[169] LXXVIII.
Von der Eingiessung der Medicamenten in die Gefässe des menschlichen Körpers.

Man glaubt, daß dieses neue Mittel in Engelland von dem Herrn Wren berühmten Professor auf der Universität Oxford und Mittglied der königlichen Gesellschaft, erfunden worden seye. Man ist deswegen auf diese Entdeckung gekommen, weil man vermittelst derselben Arzneymittel in den Körper gebracht, die sich auf die kranken Theile hingezogen haben, ohne daß ihre Kraft dadurch etwas verlohren hätte. Welchen langen Weg müssen die Arzneymittel nehmen, die man durch den Mund einnimmt! es ist nicht anderst möglich, als daß sie bey allen diesen Umwegen beträchtliche Veränderungen leiden, sich mit vielen ganz verschiedenen Substanzen vermischen, und ihre ganze Wirksamkeit verliehren müssen: die Erfahrung beweiset diese Wahrheit; dann wenn man einem Hund eine gewisse Menge Brechpulver, durch den Schlund eingegeben hat, so wird es fast gar keine Wirkung haben, bringt man ihm solches aber in seine Adern bey, so wird er sich fast zu Tod speyen. Man hat ingleichen auch bemerket, daß die speichelmäßige Feuchtigkeit die in den Blasen, welche sich zwischen den Zähnen der Ottern befinden, stecket, wenn [170] man sie in Brandwein, was solches für einer seyn mag, einnimmt und verschlucket, nicht den geringsten Schaden verursachet; wenn man sich aber im Gegentheil an einem Ort, wo die Haut offen ist, nur ein wenig mit dem aus einer toden oder lebendigen Otter gezogenen Saft, reibet, so wird man ganz unfehlbar angestecket. Die Ursache davon ist, weil der Gift auf die erste Art alle seine Stärke in den ersten Gängen, ehe er bis zum Herzen kommt, schon verlohren hat: da er sich im Gegentheil nach der zweyten Art gleich in die Adern einschleichet, und von da unmittelbar ins Herz dringet, ohne irgend eine Veränderung gelitten zu haben.


Herr Fabricius, welcher seit langer Zeit begierig war, einen Versuch zu machen, was die Eingiessung der Medikamenten in die Adern eines Menschen für eine Wirkung hervor bringen würde, machte, nachdem sich endlich einige Personen fanden, die sich dazu erboten, folgende Beobachtungen.


Der erste Versuch geschahe mit einem Soldaten, welcher von sehr starker Leibesbeschaffenheit, aber dergestalt von den Franzosen angestecket war, daß ihm die Beine in den Armen völlig von solchen Knoten, die man Exostoses nennet, bedecket waren. Nachdem man ihm zwey Dragma von einem Purgier-Trank in die Adern des Arms eingegossen hatte, [171] so beklagte er sich über einen grossen Schmerzen am Ellenbogen: als sein Arm an einigen Orten stark aufgeschwollen war, so druckte man diese Geschwulst etwas gelind mit den Fingern, und trieb sie gegen die Schultern zu hinauf, und ohngefähr nach Verlauf von vier Stunden, fieng die Arzney, aber ohne viele Heftigkeit an zu wirken, und dieses hielte bis zu dem folgenden Morgen an, so daß der Kranke in allem fünf Stuhlgänge hatte. Nach dieser Ausführung verschwanden die Exostoses, ohne daß man noch ausser diesem das geringste Mittel gebrauchet hätte, und es blieb dem Patienten nicht das geringste von der Krankheit zurück, mit welcher er angestecket war.


Der zweyte Versuch geschahe an einer verheuratheten Frau, die fünf und dreyßig Jahr alt war und an der schweren Krankheit litte. Diese Krankheit war so stark eingewurzelt, daß keine Hoffnung zu deren Genesung mehr vorhanden war. Nachdem man ihr zwey Dragma von einer Purganz, die man in einem antepileptischen Spiritu aufgelöset, in die Adern gegossen hatte, so bekam die Frau nach Verlauf einiger Stunden einigemal den Stuhlgang, worauf des folgenden Morgens nachher der Anfall ihres Uebels weit schwächer war, und sie endlich nach und nach gänzlich davon befreyet wurde.


[172] Extrait du Journal d'Angleterre. Journ. des Scav. du 23. Jan. 1668.


Herr Smith, ebenfals ein Arzt aus Danzig, machte, nachdem er die Erlaubniß erhielte an einigen Kranken in dem Spital, an deren Aufkommen man ohnehin verzweifelte, zu versuchen, was für Wirkungen die Eingiessung der Arzneymittel in die Adern verursachen würde, den Versuch damit an zwey Personen, die solchergestalt von den Franzosen angestecket waren, daß man sie für unheilbar hielte. Der eine derselben kam davon und wurde curiret, der andere aber gieng darauf. Er entschlosse sich inzwischen diese Erfahrung fortzusetzen, und ließ mit Gutachten des HerrnSchleffers der gleichfals ein Arzt aus dieser Stadt war, dreyen Kranken, von denen der eine an der Gicht, der andere an einem Schlagfluß und der dritte aufs äusserste an der pohlnischen Plica 1 litte, einige alterirende Arzneymittel in die Adern des Arms eingiessen. Diese drey Operationen hatten den er wünschtesten Erfolg, dann der, welcher an der [173] Gicht krank lage, befand sich das andern Morgens schon besser, und erlangte nach einigen Tagen seine Gesundheit so vollkommen, daß er hingieng und in der Ernde, die dazumal war, arbeitete; der, welcher am Schlagfluß gelitten hatte, hat seit dieser Zeit keinen Anfall mehr bekommen, und der letzte, welcher unterschiedliche Geschwüre hatte, wurde gleichfals vollkommen davon geheilet.


Extrait du Journ. d'Angle. Journ. des Scav. du 12. Nov. 1668.


Wenn dergleichen Art zu heilen in den Händen eines Arztes aus Danzig von einem so guten Erfolg gewesen ist, warum hat sie sich denn nicht bis auf unsere Tage fort erhalten? Hat sie vieleicht wegen eines bey gewissen Leuten, die sich ihr unterworfen haben, fehlgeschlagenen Versuchs das nämliche Schicksal gehabt, wie die Transfusion des Blutes, von der wir geredet haben? Oder ist die Anzahl derer, die daran sturben, grösser gewesen, als die Zahl derer, denen sie geholfen hat? Es mag aber die Ursache davon seyn welche sie will, so bleibt doch dieses richtig, daß man diese Heilungsart schon deswegen, weil sie einige schwere Curen bewerkstelliget hat, nicht gänzlich hätte aufgeben sollen, dann wie viele Personen, die auf Befehl der Facultät zu einen unvermeidlichen Tod verurtheilet worden, würden nicht in Versuchung gerathen, [174] von diesem Urtheil an dieses Gericht der Wunder zu appelliren?

Fußnoten

1 Plica polonica ist eine in Pohlen sehr gemeine Krankheit, die in einer Verwicklung und Zusammenbackung der Haare an unterschiedlichen Theilen des Leibes, hauptsächlich aber auf dem Haupt bestehet, welche von sehr zähen und schleimichten Humoribus mit mancherley Zufällen herrühret. Es ist solches ein harter und fast nie recht zu curirender Zufall.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine. Werk. Medicinische Anecdoten. Medicinische Anekdoten. 78. Von der Eingiessung der Medicamenten in die Gefässe des menschlichen Körpers. 78. Von der Eingiessung der Medicamenten in die Gefässe des menschlichen Körpers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-871F-4