[100] Ein Lebewohl

Leb wohl, ich will dich nimmer sehn,
Will Nichts mehr von dir wissen,
Ob Thränen mir im Auge stehn,
Ich hab den Schmerz verbissen.
Als wie ein Vogel flattert fort,
Als wie ein Blatt im Lenz verdorrt,
Als wie ein Lenz vergeht,
Sei unser Traum verweht!
Es ist vorbei, es thut kein gut,
Wir passen nicht zusammen,
In gleichem Takte springt das Blut
Und prasseln unsre Flammen.
Wir liebten uns, es war ein Wahn,
Wir beteten uns selber an.
Geheimniß, tief und groß,
Zieht an und läßt nicht los!
Wir konnten auf der Herzen Grund
Uns schauen und erlauschen –
Wir könnten schließen neuen Bund
Und Lieb in Freundschaft tauschen,
Geschwisterlich zusammengehn,
Uns friedlich in die Augen sehn,
Doch nein! Leb wohl, leb wohl!
– So flieht sich gleicher Pol.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Gedichte. Leben und Liebe. Lieder. Ein Lebewohl. Ein Lebewohl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A0C9-D