[230] Die Brüder
Vor Jahren hatte ein Messer Rodolfo gelebt, ein Mann von fröhlicher Gemütsart, der sich gern einen guten Tag machte und auch andere Leute leben ließ. Er selber war arm gewesen, aber er hatte eine reiche Frau geheiratet, weil er ein hübscher junger Kerl gewesen war; diese Frau war in ihrer Gemütsart jedoch das gerade Gegenteil von ihm gewesen, nämlich griesgrämig, neidisch und filzig. Wie es nun mit allen Menschen geschieht, daß sie sterben müssen, so war dann erst die Frau verblichen, nachdem sie ihren Mann noch das letztemal ausgezankt hatte, weil er immer die Haare beim Haarschneider nicht mitnahm, die man doch an die Maurer verkaufen kann, in den Mörtel zu mengen; und dann hatte der Mann noch eine Weile verstört in einer Kneipe gesessen, hatte seinen Freunden unter Tränen erzählt, eine wie glückliche Ehe er mit seiner Seligen geführt, und war ihr endlich in das ewige Leben nachgefolgt. Aber nicht von diesen Beiden handelt die folgende Geschichte, sondern von ihren Söhnen.
Diese waren in ihrem Wesen der Mutter nachgeschlagen, und da sie dergestalt frühzeitig einsahen, daß das Geld eine sehr wichtige Macht im menschlichen Leben ist, so hatten sie sich einen Beruf gewählt, bei dem sie mit leichter Mühe sehr viel verdienen konnten; sie waren nämlich Pfandleiher geworden.
Durch diesen Beruf waren sie bei den Leuten sehr bekannt, und deshalb hatte jeder von ihnen einen Namen bekommen, mit dem man sie nannte, wenn man von ihnen sprach, und zwar wurde der eine Messer Judas genannt und der andere Messer Ischariot. Die Meinungen darüber, wie sie zu diesen Namen gekommen, waren geteilt. Einige glaubten, die armen Leute verstünden wenig Theologie und dächten, Judas und Ischariot [231] seien zwei verschiedene Männer gewesen; Andere wieder sagten, die Leute haben mit den Namen einen Witz machen wollen, weil nämlich die beiden Brüder sich so ähnlich sahen, daß man sie für einen halten konnte, denn sie hatten beide rasierte, schmale und faltige Gesichter, einen Mund, der aussah wie ein Geldbeutel da, wo er mit der Schnarre zugezogen ist, eine Nase, die nicht zum Riechen, sondern zum Raffen gemacht schien, und eine höckerige Stirn mit vielen Pusteln, welche sie ihrem keuschen Leben zuschrieben.
Man sagt ja, daß Menschen, welche einander zu ähnlich sind, sich schlecht vertragen, weil der eine immer dasselbe haben will wie der andere. So gerieten auch die beiden Brüder oft in Streit, indem nämlich jeder dem anderen vorwarf, er verschwende. Sie führten ja getrennte Wirtschaft; wenn einer ein halbes Pfund Bohnen kaufte, dann bezahlte er selber, zählte die Bohnen und schloß sie fort, und eigentlich konnte ja jedem gleichgültig sein, was der andere mit seinem Geld machte; aber es war nun einmal so, daß Messer Judas höhnische Bemerkungen über Feinheit und Vornehmheit von sich gab, wenn Messer Ischariot sich einen neuen Hosenboden einsetzte, anstatt das Loch einfach zu stopfen, und das Stück Zeug für den Boden noch aufzuheben, und daß Messer Ischariot über Unenthaltsamkeit sprach, wenn Messer Judas überlegte, ob er sich noch ein Stück Brot abschneiden solle. Wir wollen kurz sein: im Laufe der Zeit verfeindeten die Beiden sich so, daß sie auseinanderzogen, und zwar ging Messer Judas gleich aus Rom fort und mietete sich eine Kammer in Orvieto, weil ein Gevatter ihm gesagt hatte, daß die Leute in Orvieto leichtsinnig sind und vor den Festen alles versetzen, um Kuchen zu backen. Orvieto liegt zwei Tagereisen von Rom entfernt, und die Brüder hatten sich tödlich verfeindet: so vergingen denn Jahre und Jahrzehnte, ohne daß einer etwas vom anderen hörte. Dergestalt wurden sie Beide alte Männer, blieben unbeweibt [232] und unbekindet, die Runzeln um den Mund wurden immer tiefer und die Nase immer spitziger; und als sie in diesem Zustand waren, da ereignete sich mit ihnen die Geschichte, die hier erzählt werden soll.
Man kann sich denken, daß Lange Rübe bei seinem Geschäft oft einen Pfandleiher braucht. Lebensmittel werden gegen Bescheinigung an den allgemeinen Verband abgegeben; wenn man Schmuck hat, so nimmt man die Steine heraus, schmilzt das Gold ein und verkauft beides getrennt an den Juwelier Matteo, von dem man auch den falschen Schmuck bezieht; Kleidungsstücke, Betten und dergleichen werden zu guten Preisen von den Trödlern abgenommen; Kupfer, Messing, Blei verkauft man an das Arsenal Seiner Heiligkeit; aber wenn man nun etwa Elfenbeinschnitzereien hat oder kostbare Kristallsachen oder Stickereien, da braucht man eben den Messer Ischariot.
Gegen Geschäftsfreunde unternimmt man nichts; es würde als unanständig gelten, wenn man bei ihnen ein Ding drehen wollte. Aber natürlich muß da auch Gegenseitigkeit herrschen. Messer Ischariot kann sich wirklich nicht beklagen, wenn man keine Rücksichten nimmt; er ist ein Gauner, ein Blutsauger, ein Bedrücker, ein Wucherer, ein Halunke mit einem Wort.
Also Pietrino kommt zu Messer Ischariot. Pietrino ist erst seit kurzem dem Verband beigetreten; er ist deshalb dem Messer Ischariot noch unbekannt.
Pietrino kommt, mit Staub bedeckt, verschwitzt und matt, am Abend, als Messer Ischariot nach einem spähenden Blick straßenauf und ab eben sein Haus schließen will, damit seine späten Besucher ungestört sind; er grüßt und fragt, ob er die Ehre habe, Seine Exzellenz, den Messer Ischariot zu sprechen, der lüpft das Käppchen und erwidert freundlich: »So nennen mich allerdings die Leute, mein eigentlicher Name lautet ja anders. Aber was führt Euch zu mir, mein Freund?«
[233] Nun beginnt Pietrino zu erzählen, er solle keinen Schreck kriegen, und es sei am besten, wenn er sich vorher auf einen Stuhl setze, und er sei ein Hausschlächter aus Orvieto, gerade in der Ecke am Dom wohne er, ein neues Haus, und sehr bequem, die Cessi seien nach der neuesten Mode angelegt, der Wirt habe sich aber verbaut, er werde nie die Verzinsung herausbekommen, das hat man davon, wenn man zu gut baut, und Messer Judas hat ihm das auch gesagt, noch am Abend vor seinem Tode hat er es ihm gesagt ... und nun fährt er fort, den Tod des Messer Judas zu schildern, und daß Messer Judas immer nach seinem Bruder gerufen hat, und daß er eines seligen Todes verstorben ist, denn er hat dem Priester angegeben, wo seine Bücher liegen, und hat gesagt, daß alle Zinsen, die er genommen hat, zurückgezahlt werden sollen, und wenn die Leute gestorben sind, dann sollen die Erben das Geld erhalten, und dann hat ihn der Priester absolviert, und so erzählt er weiter. Messer Ischariot hat zuerst erstarrt vor ihm gestanden, dann hat er vor Verzweiflung sein Käppchen abgerissen und auf die Erde geworfen, und nun schreit er: »Verrückt ist er gewesen! Das Geld gehört mir! Ich bin sein Erbe! Wie kann er das Geld an die Leute zurückgeben lassen? Bezahlt ist bezahlt! Heute noch gehe ich nach Orvieto! Ich verklage den Priester! Mein Bruder hat es nicht schriftlich hinterlassen! Der Priester hat überhaupt gelogen, er will das Geld nur für sich behalten!« So tobt Messer Ischariot, Pietrino aber nickt, gibt ihm eifrig recht, erklärt, daß die Priester immer bei den Sterbenden stehlen, erzählt dann, daß er sich gleich auf den Weg gemacht hat, wie alles bekannt geworden war, aus Liebe zu Messer Ischariot und aus Gerechtigkeitssinn, denn er hat sich gesagt, daß Messer Ischariot der Erbe ist, und nicht das leichtsinnige Volk, das seine Betten versetzt, um Kuchen zu backen, und in Viterbo hat er übernachtet in der Goldenen Gans, denn die Goldene Gans ist der billigste [234] und beste Gasthof in Italien, und Pietrino ist ein armer Mann, denn was kann ein Hausschlächter verdienen heutzutage? Das knappe Leben, weiter nichts. Einen neuen Anzug kann er sich nicht bestellen. Aber der Messer Ischariot ist ein edler Mann, er wird ihm die Unkosten bezahlen und den Arbeitslohn, zwei Tage her und zwei Tage zurück; denn nun wird doch die Erbschaft gerettet, und die Möbel und das Bett, ein gutes Bett, und so will er weiter reden. Messer Ischariot aber sagt, er habe ihm nichts aufgetragen seines Wissens, und was er nicht verlangt habe, das brauche er nicht zu bezahlen, aber er danke ihm vielmals für die Nachricht, und er habe edel gehandelt, denn er habe die Gerechtigkeit unterstützt, und Gott werde ihn belohnen. Damit schiebt er den guten Pietrino vom Haustritt und schließt seine Tür.
Nun muß man wissen, daß zu der gleichen Zeit in Orvieto Lange Rübe mit Messer Judas spricht und dem erzählt, sein Bruder Ischariot sei gestorben, und alles weitere so erzählt wie Pietrino, so daß auch Messer Judas den Entschluß faßt, zu reisen, um Verwahrung einzulegen und die Erbschaft des Bruders für sich zu verlangen.
So schließen denn in der Frühe Messer Ischariot in Rom und Messer Judas in Orvieto Kisten und Kasten, verstecken Geld und Schmuck unterm Bett, wo eine Diele lose ist, und machen sich auf den Weg, der eine nach Rom und der andere nach Orvieto. Während sie aber so pilgern mit rachedürstendem Herzen und sich überlegen, wie sie die Priester recht kränken können, haben Pietrino in Rom und Lange Rübe in Orvieto Zeit und Muße, ihre Wohnungen genau zu durchsuchen und Geld und Wertsachen und was sonst noch sich das Mitnehmen lohnt, in Sicherheit zu bringen.
Mitten auf dem Wege zwischen Rom und Orvieto liegt Viterbo. Hier müssen die Brüder haltmachen. Pietrino wie Lange Rübe haben von der Goldenen Gans gesprochen, die beiden [235] Brüder erkundigen sich unterwegs bei anderen Wandersleuten und erfahren, daß wohl auch der Blaue Engel gut sei und der Heilige Geist, aber so billig wie die Goldene Gans sind sie nicht; und so beschließt denn jeder von beiden, ein Übereinkommen mit dem Wirt zu treffen und in der Goldenen Gans zu übernachten. Messer Judas ist etwas früher in Viterbo als sein Bruder; er handelt um das Nachtlager und wird in das Zimmer mit den Betten gewiesen; der Wirt denkt, daß er noch einmal in die Gaststube kommen wird, um auch etwas zu verzehren, und empfiehlt Kuttelflecke, saure Bohnen und Kaninchenpfeffer; aber Messer Judas behauptet, er habe einen schwachen Magen, holt ein Stück Brot aus der Tasche, geht in den Hof, setzt sich auf den Brunnenrand, verzehrt sein Brot und trinkt Wasser dazu. Dann steigt er wieder nach oben, zieht seine Kleider aus, legt sie ordentlich auf den Stuhl neben seinem Bett, versteckt seine Geldtasche unter dem Kopfkissen, streckt sich müde aus und zieht die Bettdecke über die Ohren. Zwei Stunden später kommt Messer Ischariot. Auch er ißt auf dem Brunnenrand das mitgebrachte Brot und trinkt Wasser; es ist inzwischen Nacht geworden, aber der Mond scheint hell; er geht die Treppe hinauf in das Schlafzimmer, entkleidet sich und will mit behaglichem Gähnen im Hemd in sein Bett steigen; dabei stützt er sich auf die Stuhllehne, der Stuhl aber ist wurmstichig und bricht mit einem großen Krach zusammen. Messer Judas erwacht und sieht im Mondschein eine weiße Gestalt im Zimmer stehen, die sein Bruder Ischariot ist. Blitzschnell durchzuckt es ihn, daß Ischariot aus dem Fegefeuer kommt, um ihm Vorwürfe zu machen, weil er gegen die Rückerstattung der Zinsen Verwahrung einlegen will; die Haare sträuben sich ihm, er stürzt aus dem Bett und stößt einen fürchterlichen Schrei aus. Nun sieht Messer Ischariot den Bruder im weißen Hemd, der Schrei geht ihm durch Mark und Bein, er denkt dasselbe von seinem [236] Bruder, was der von ihm gedacht hat, und stößt einen ebensolchen Schrei aus.
Der Wirt, der Hausknecht, der Kutscher stürzen in das Zimmer, die Wirtin und die Mägde halten sich im Gang vor der Tür. Messer Ischariot und Messer Judas stehen einander im Hemd gegenüber, starren sich entgeistert an und schreien fortwährend. Der Hausknecht und der Kutscher aber sind verständige Menschen. Jeder geht auf einen Mann zu, hebt ihn auf und trägt ihn aus dem Zimmer. Messer Ischariot wird im Schlafgemach der Wirtsleute untergebracht, Messer Judas im guten Fremdenzimmer, das sonst nur für die vornehmen Gäste benutzt wird, welche eine Schlafstube für sich allein haben wollen. Eine Magd hat den Arzt geholt; dieser läßt sie auf jeden Fall Beide zur Ader, damit etwas geschieht, und spricht von einer plötzlichen Gehirnhautentzündung.
Geizhälse haben ein zähes Leben; die Beiden lagen eine Woche in heftigem Fieber und erholten sich dann allmählich. Als jedem klar wird, daß der andere kein rächendes Gespenst aus dem Fegefeuer ist, sondern noch lebt, da kommt ihnen der Gedanke, daß eine Spitzbüberei hinter der Geschichte stecke, und die Angst um ihr Vermögen, das sie unbeschützt zu Hause gelassen, beschleunigt ihre Genesung. Sie müssen große Kosten für Arzt, Apotheker und Pflege bezahlen und können ziemlich gleichzeitig an ihren Ort zurückreisen; in den Kämpfen, welche sie um die Höhe der Rechnungen führten, hatten sie ihren alten Groll vergessen und sich ausgesöhnt; und als sie nun zu Hause ihre Wohnungen leer finden und sich sagen, daß sie um das Wiedererwerben des Verlorenen doch am billigsten und aussichtsreichsten sich zusammen bemühen würden, da zieht Messer Judas wieder nach Rom zurück, und die beiden Brüder leben wieder zusammen.
Sie beschweren sich beim Verband, und der Verband, geschmeichelt, daß sie nicht zum Polizeihauptmann Tromba gegangen [237] sind, verspricht, ihnen ihr Recht zu verschaffen. Aber nicht umsonst haben die Gauner und Spitzbuben täglich mit den Gerichten zu tun; Lange Rübe und Pietrino wissen ihre Verantwortung, ihre Gegenklagen, die Beweisführungen für die Gegenklagen hinauszuziehen, sie versäumen Termine und lassen neue Termine anberaumen, legen Berufungen ein und verlangen immer neue Zeugen; die Monate vergehen, die Jahre verstreichen, die beiden Brüder sind ja nicht mehr jung, sie werden immer magerer, spitziger, grimmiger; der Kummer nagt an ihren Herzen; die gekittete Freundschaft geht wieder auseinander und sie tun sich gegenseitig jedes Herzeleid an. Man sagt, wenn man zwei Ratten zusammensperrt und ihnen nichts zu fressen gibt, dann frißt endlich die stärkere die schwächere auf; dadurch ist die überlebende dann auf den Geschmack gekommen, und wenn man sie nun freiläßt, so stürzt sie sich draußen auf alle anderen Ratten, die sie fangen kann, und verzehrt sie. Das soll ein probates Mittel der Kammerjäger sein. Die beiden Brüder sind umgekehrt wie zwei Ratten, die früher von ihresgleichen gelebt haben und nun, weil sie ja doch wegen ihrer Armut nicht mehr auf Pfänder verleihen können, sich gegenseitig anfallen. Aber sie sind gleich stark, keiner kann den anderen unterkriegen, und so bleibt ihnen denn nichts weiter übrig, als zu gleicher Zeit zu sterben.
Lange Rübe und Pietrino feiern ihr Begräbnis, indem sie dem Verband ein großes Essen geben. Das Fest ist im Volk bekannt geworden; und so erwählen denn die Leute, welche bei Messer Judas und Messer Ischariot immer geborgt haben, Abgeordnete, um Lange Rübe und Pietrino ihren Dank auszusprechen für die schöne Rache, die sie für alle genommen haben. Die Gauner sitzen am Tisch, jeder hat sein großes Stück Braten auf dem Teller und seinen Knochen in der Hand, den er benagt, alle glänzen im Gesicht von Fett, Schweiß und Glück, der Wein ist über die Platte geflossen und tropft auf [238] die Erde, unterm Tisch beißen sich die Hunde und bekommen zuweilen einen Tritt, es wird geschrien, gelacht und gesungen; die hübschen Weiber werden von allen geküßt und die häßlichen müssen den Wein eingießen; die Abgeordneten treten auf mit einem großen Lorbeerkranz und halten ihre Rede; es wird ihnen zugetrunken und zugerufen; der Vorsitzende erhebt sich und ladet sie ein, an der Feier teilzunehmen.
Man sitzt lange zusammen; zuletzt ist man gerührt, ein Abgeordneter schlägt vor, Messer Judas und Messer Ischariot hochleben zu lassen; sie sind zwar tot, aber ihnen verdankt man doch schließlich die schöne und würdige Feier. Alle, die noch stehen können, erheben sich, die Gläser klingen zusammen, eine tiefe Stille entsteht in der Versammlung, und gerührt denkt jeder der beiden Verblichenen.