[313] Das Stelldichein

Geschäft ist Geschäft, und Vergnügen ist Vergnügen. Ein ordentlicher Mann hält beides auseinander; aber deshalb braucht er noch nicht pedantisch zu sein. Wenn ich etwas vorhabe und muß mit die Gelegenheit ansehen, weshalb soll ich es da nicht genießen, wenn ich in der Kneipe gegenüber warten muß, und soll mir nicht einen anständigen Wein bestellen? Auf die paar Soldi kommt es auch nicht an, die muß es schon abwerfen. Umgekehrt natürlich kann es auch geschehen, daß man sich einmal einen guten Tag macht und dabei eine wertvolle Verbindung anknüpft. Wer seine Sache versteht, der hat eben sein Auge immer offen, Pfuscher kann man nirgends brauchen.

Also Lange Rübe geht auf dem Korso spazieren und stochert sich mit eleganten Handbewegungen die Zähne. Es ist Frühling, die Sonne scheint lustig, die Menschen drängen sich, lachen und schwatzen, und die verliebten Blicke schwirren nur so durch die Lüfte, daß man schwören möchte, man hört sie. Ein reizendes Mädchen, in ein buntes Tuch gehüllt, kommt eilig an, schlängelt sich durch die Leute und leckt sich in ihrem Eifer die Lippen. Als sie vor Lange Rübe steht, will sie vorbeieilen, Lange Rübe will sie galant vorüberlassen und weicht nach derselben Seite aus, sie wendet sich nach der andern Seite, und Lange Rübe wendet sich auch dorthin, sie bleibt stehen, und Lange Rübe bleibt auch stehen, sie huscht wieder nach der ersten Seite, und Lange Rübe ist auch da. Nun kommt ein Gelächter über ihre Lippen, wie wenn man einen Beutel mit neugeprägten Lirestücken auf einen Tisch ausschüttet. »Mein Fräulein!« ruft Lange Rübe und bietet ihr elegant seinen Arm; sie gibt ihm einen leichten Klapps auf die Hand und legt dann ihren Arm in den seinen.

[314] Es wäre unpassend, wenn wir die Beiden weiter beobachten wollten; es genügt auch für den Zweck unserer Geschichte, wenn wir erfahren, daß das niedliche Mädchen plötzlich aufschreckt, sich Lange Rübe aus den Armen windet und ausruft: »Nun habe ich drei Stunden vertrödelt! Was wird meine Frau sagen!« Lange Rübe fragt teilnahmsvoll, sie erklärt, viel könne die Frau ja nicht machen, denn die Frau wisse schon, sie sei nicht auf den Kopf gefallen und auf den Mund auch nicht, und wenn der Herr etwas wüßte, der würde ein schönes Gesicht ziehen, und die Frau sollte sich eigentlich schämen, eine verheiratete Frau und so ein guter Mann, wenn er auch keine Zähne mehr habe, jeden Tag werde von silbernen Tellern gegessen, und sie hätte ihn ja nicht zu heiraten brauchen, aber die Ohrringe und die goldenen Ketten und die Edelsteine, das habe natürlich gezogen, und da sehe man, wohin es führt, wenn eine junge Frau einen alten Mann heiratet, von Liebe sei doch keine Rede, und noch dazu mit dem Hauptmann Tromba, der so dick sei und Backen habe wie ein Posaunenengel, so ein Geschmack! Und sie selber würde immer nur aus Liebe heiraten, dabei sieht sie Lange Rübe an, denn das Herz ist die Hauptsache, und es haben sich schon Mädchen aus unglücklicher Liebe das Leben genommen, aber so dumm ist sie nicht, es gibt genug Männer in Rom, man kann den Tiber mit ihnen zupflastern, und so redet das Mädchen weiter, das Mäulchen geht, und sie befeuchtet die Lippen mit der Zunge, damit sie nicht trocken werden durch das viele Reden.

Also kurz und gut, es stellt sich heraus, daß die Signora Lavinia eine Liebschaft hat mit dem Polizeihauptmann Tromba und daß im Schlafzimmer der Signora auf dem Spiegeltischchen ein Kasten mit Schmucksachen steht, die tausend Skudi wert sind, und daß die Kleine dem Polizeihauptmann einen Brief bringen soll, und daß heute abend die Haustür nicht geschlossen wird, und daß die Kleine Punkt zwölf Uhr den [315] Polizeihauptmann im Dunkeln innen an der Haustür erwarten soll und ihn die Treppe hinauf in das Schlafzimmer der Signora führen. »Da, lies selber,« sagt sie, indem sie Lange Rübe den Brief reicht; »man schneidet die Oblate mit dem Messer auseinander und klebt sie dann mit Spucke wieder zusammen.«

Lange Rübe nimmt den Brief, öffnet ihn, liest ihn langsam und gründlich und steckt ihn dann in die Brusttasche. Er klopft mit dem Knöchel auf die Tasche, legt dann die Hand auf den Tisch und beginnt unbeteiligt mit den Fingern zu trommeln. Die erschreckte Kleine verlangt ihren Brief zurück. »Tromba ist mein Freund, ich habe viel geschäftlich mit ihm zu tun, ich gebe den Brief selber ab«, erwidert Lange Rübe. Die Kleine bittet und sieht, Lange Rübe ist unerbittlich, er setzt sie auf seinen Schoß, streicht sich den flotten Schnurrbart, küßt sie noch einmal, stellt sie dann auf den Boden, erhebt sich selber und ruft: »Vorwärts, an die Arbeit!«

Der Kleinen bleibt nichts übrig, als alles zu glauben, was Lange Rübe sagt. »Punkt Mitternacht tritt Tromba in die Haustür; erwarte ihn und führe ihn in das Zimmer«, sagt Lange Rübe. Man hat sich wohl gedacht, daß die Beiden ihre Zwiesprache nicht auf der Straße abgehalten haben; sie verlassen das Zimmer der freundlichen Frau, der guten Bekannten von Lange Rübe, der sie einen Besuch abgestattet; auf der Straße drückt Lange Rübe der Kleinen zum letztenmal die Hand und entfernt sich dann mit dem stolzen Gang, der ihm eigen ist. Die Kleine blickt ihm nach, etwas bekümmert zwar über den Brief, aber doch mit einem eigentümlich seligen und träumerischen Gesichtsausdruck.

Also um Mitternacht steht die Kleine zähneklappernd im dunkeln Hausflur; die Tür öffnet sich, der Erwartete tritt ein, sie ergreift seine Hand, und die Beiden schleichen in das Schlafzimmer der Signora.

[316] Die Kleine hatte Lange Rübe so viel erzählt, daß er die ganze Gelegenheit des Hauses kannte, aber bei ihrem Schwatzen hatte sie Nero vergessen. Nero kennt den Hauptmann Tromba genau, denn Tromba bringt ihm immer Wurstschalen mit, wenn er seinen Freund, den Gatten der Signora Lavinia, besucht. Nero ist gut gezogen und bettelt nicht; wenn Tromba kommt, so erhebt er sich, geht langsam zu ihm, stößt seine herabhängende Hand leise mit der Nase an und sieht zu ihm auf; er denkt: »Hat er Wurstschale bei sich: gut; hat er keine: ein anständiger Hund wird sich nie merken lassen, daß es ihm um die Wurstschale zu tun ist.« Signora Lavinia befürchtet also von Nero keine Störung, Tromba hätte sie auch nicht befürchtet; der Mann aber, den die Kleine an der Hand führt, ist nicht Tromba, sondern Lange Rübe, welcher einen Anschlag auf das Schmuckkästchen vor dem Spiegel gemacht hat, das tausend Skudi wert ist; an der Liebe der Signora liegt ihm weniger, die würde er höchstens aus Anstandsgründen mitnehmen.

Als die Kleine die Schlafzimmertür geöffnet hat, stößt Nero ein furchtbares, heulendes Gebell aus, stürzt auf Lange Rübe zu, wirft ihn um, stellt sich breitbeinig über ihn und hält seinen heißatmenden Rachen knurrend über sein Gesicht. Die Kleine gibt einen durchdringenden Schrei von sich, läuft fort, schlägt die Tür hinter sich zu, reißt irgendwelches Geschirr um, das krachend und klirrend auf die Erde fällt, die Signora kreischt anhaltend, und selbst Lange Rübe hat einen Schrei nicht unterdrücken können, als der Hund ihn umwirft. Es wird im Hause lebendig, vor der Tür versammeln sich der Signor und die männlichen Dienstboten, jeder ermahnt den anderen, zuerst in das Zimmer zu treten, das Knurren des Hundes drinnen wird bedrohlicher, die Signora betet jetzt laut zu allen Heiligen, die ihr einfallen, die Köchin kommt, notdürftig angezogen und stößt die Tür auf, die Andern weichen [317] zunächst zurück, die Köchin nimmt dem Kammerdiener die Öllampe aus der Hand und geht in das Schlafzimmer; da liegt Lange Rübe unter dem Hund, dessen Geifer ihm ins Gesicht tropft und der jeden Augenblick scheint zuschnappen zu wollen, und die Signora hat sich unter der Bettdecke versteckt, indem sie dem Instinkt des Vogels Strauß nachgibt.

Da man ohne Gefahr eintreten kann, so wendet sich der Signor zuerst zu seiner Gattin; er beschwört sie, ihr Gesicht zu zeigen, er sagt, daß er sie schützen wird, er gibt seiner Angst Ausdruck, daß ihr die Aufregung geschadet haben könne, die Signora bleibt unter der Decke. Der Signor wendet sich zum Kammerdiener und befiehlt ihm, sofort den Hauptmann Tromba zu rufen, damit er mit einigen Sbirren kommt und den Einbrecher gefangen nimmt. Die Signora steckt den Kopf unter der Decke vor, sagt: »Mir ist so schlecht«, und wird ohnmächtig. Alle Leute laufen, um ein Glas Wasser zu holen. Dem Signor kommen die Tränen, er ergreift ihre Hand, sie hält in ihrer Ohnmacht die Hand fest und drückt sie auf ihr Herz; Lange Rübe macht eine Bewegung, der Hund tut seinen Rachen ungeheuer weit auf; die Signora öffnet die Augen halb, lächelt verzückt und sagt noch in der Betäubung: »Mein lieber Gatte«; ihm laufen die Tränen an die Nasenspitze, tropfen auf das Gesicht der Signora und zersprühen hier in kleine Kugeln, weil ihre Schminke sehr fett ist; er wischt sich mit einem rot-und blaukarrierten Taschentuch die Augen, schnäuzt sich und sagt leise: »Sie ist ein Engel.«

Kurz und gut, Tromba kommt mit zwei Häschern, der Hund wird von hinten festgehalten, Lange Rübe unter ihm fortgezogen und von den beiden Häschern gefesselt. Die Signora ist wieder ohnmächtig geworden, als sie Tromba gesehen hat; die Häscher gehen mit Lange Rübe ab, Tromba empfiehlt sich dem Signor und folgt ihnen.

Unterwegs aber gibt ihm Lange Rübe zu verstehen, daß er [318] ihn allein sprechen muß, in einer sehr wichtigen Angelegenheit, denn es handelt sich um die Ehre einer Dame, und die Ehre einer Dame ist ihm heilig. Er weiß ja nicht, wie Tromba über einen solchen Punkt denkt, aber er, Lange Rübe, ist ein Ehrenmann. Tromba wird unruhig und verspricht ihm, ihn allein zu verhören; die Häscher bringen ihn in die Gefängnis im Hause Trombas und gehen dann schlafen, Tromba bleibt bei ihm, setzt sich auf die Pritsche, räuspert sich und erwartet beklommen, was Lange Rübe sagen wird, der in der Zelle auf und ab geht.

Lange Rübe zieht den Brief aus der Tasche und liest ihn vor: »Liebster, endlich schläft mein alter Esel für sich. Ich habe ihm gesagt, ich kann vor seinem Schnarchen kein Auge zutun, also heute abend, Punkt zwölf Uhr. Tausend Küsse, in Sehnsucht, Lavinia.« Nachschrift: »Recht vorsichtig, nicht anstoßen.« Zweite Nachschrift: »Ich liebe Dich!« Nachdem er gelesen, faltet er den Brief und steckt ihn wieder ein.

»Ja, denkst du denn, der Richter glaubt dir, daß der Brief an dich gerichtet ist?« fragt Tromba.

»Weshalb soll er nicht? Der Brief hat keine Aufschrift«, erwidert Lange Rübe.

»Ebensogut kann er zum Beispiel an mich gerichtet sein«, schreit wütend Tromba und springt auf. Aber Lange Rübe läßt nur verächtlich seine Blicke an der rundlichen Figur Trombas niedergleiten und geht wortlos in der Zelle auf und ab. Lange Rübe ist wirklich ein schöner Mann.

Kurz und gut, Lange Rübe hat einen Verlust von tausend Skudi gehabt. Tromba ersetzt ihm vorläufig den Verlust; natürlich wird ihm die Signora die Auslagen zurückzahlen; dann öffnet er Lange Rübe eigenhändig die Haustür. Am anderen Morgen wundern sich die Häscher, als sie das Gefängnis leer finden, und Tromba wäscht ihnen gehörig den Kopf wegen ihrer Unachtsamkeit.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Ernst, Paul. Erzählungen. Komödianten- und Spitzbubengeschichten. Das Stelldichein. Das Stelldichein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A250-B