9. Klagegedichte
über das unschuldigste Leiden und Tod unsers Erlösers Jesu Christi

1632 März.


An diesem öden Ort, dahin kein Tier auch kömmet,
den Sonn' und Mon nicht weiß, da nie kein Stern nicht glimmet:
da nichts als flüchtige Narcissen gegend sind,
da stets gebücket geht der matte Hyacinth,
an diser stillen Bach, da kein Silvanus springet,
da keine Nachtigal sich in die Luft erschwinget
und singt ihr liebes Lied, da stete Demmerung
mit Nebel ist vermengt, doch stille Luft genung:
[15]
kom, kom, Melpomene, mit deiner schwarzen Schaube,
bekränzet umb das Haupt mit frischem Myrtenlaube,
bring' Harf' und Saiten mitt', und setze dich zu mir
an den Cypressenstock, der für uns stehet hier!
Du, meiner Thränen Lust, die mir noch bleibt alleine,
weil ich alleine bin, du weist, von wem ichs meine.
Setz' unser Werk hindan, das dein' und meine Zier
zu guter Letzte noch begert von dir und mir,
als sie gab gute Nacht. Und selbte zu betauren
gebührt uns ewig zwar. Doch laß uns mitte trauren
umb den, umb den so tut der größre Teil der Welt,
der ihm gleich ietzt das Grab und letzten Dienst bestellt!
Hier sind wir aus der Welt, hier ist der Ort zu klagen
den, den die tolle Welt nach so viel tausent Plagen
zum Kreuze hat verdampt, den, den die grimme Welt
vom höchsten Himmel aus bis in das Grab gefällt,
den wahren Gott aus Gott, den frommen Sündenbüßer,
den Zahler aller Schuld, den treuen Himmelschließer.
Das breite Trauerfeld, die ganze wüste Statt
klagt mit uns dessen Tod, der sie erschaffen hat.
Er war zugegen schon, eh' als die Himmel waren
und aller Zeiten Zeit. Er kam herab gefahren
aus seines Vaters Schoß und ward der Mutter Pfand,
der Mutter, der er selbst der Vater wird genant.
Er ist des Vaters Wort, dadurch er erstlich machte,
was er von Ewigkeit zu machen ihm gedachte.
Die Last, die gab er an, so Atlas auf sich trägt,
das grosse Weltgebäu und was sich drinnen regt.
Der Vater war in ihm, er war sein Bild und Wesen,
der ganzen Gottheit Glanz, von Gott ein Gott erlesen.
Er war der Söhnungsrat, als Evens Apfelbiß
uns umb den Eden bracht' und in diß Elend stieß'.
Er bote sich für uns das Lösegeld zu werden,
das niemand zahlen kunt' auf dieser breiten Erden.
Der muste selbst Gott sein, der Gott vergnügen wolt',
und in das erste Reich uns Arme setzen solt'.
Auf ihn hofft' alle Welt. Er macht' es ziemlich lange,
eh er diß Werk fieng an. Es ward den Alten bange,
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es war ihr höchster Wundsch, daß der doch käm' einmal,
der ihre Seelen hielt' in steter Hoffnungsqual.
Und endlich kam er auch nach vorbestimmten Zeiten
und hielte seine Wort'. Als Feier von den Streiten
hatt' unser ganzes Rund, hieß' er sich melden an,
ohn welchen nichts, was ist, in Friede leben kan.
Die Botschaft Gabriel der Jungfrau muste bringen,
die Sohn ihn heißen solt' und ihm das Sause singen;
der Geist, der werthe Geist, der zeugt' in der die Frucht,
die keinen Man erkant, die stets gelebt in Zucht,
die Frucht, die für das Gift der ersten Frucht wird gessen.
Er kam und ward ein Kind, als iederman vermessen
sich seiner nicht versah; ob man gleich gabe für,
man warte stets auf ihn, ietzt war zu Tor und Tür.
Er ward in einen Stall verwiesen zu den Tieren,
der über alles ist. Den Wiegen solten zieren,
der ward der Krippen Last; der must in Kält' und Frost
geworfen werden hin und sein an schlechter Kost,
der Kält' und Wärme gibt, der alles reichlich speiset,
was Speise nur bedarf. Doch wird er noch gepreiset
von Tityrus Schalmei, im Fall kein Musicant'
Herodes hören wolt'. Als er kam in sein Land
und zu den Seinigen, die ihn doch nie erkanten,
ob sie Messias stets in ihren Schulen nanten,
ietzt sieht man ihn nicht an. Der muß geschätzet sein,
der vor Augustus hatt' ins Reich gesetzet ein,
der ewig freie Prinz. Er fing schon an zu leiden,
als er geboren kaum; er ließe sich beschneiden.
Des Vaters Zimmeraxt, der Mutter Näterei
erwurben ihm mit Not den halbgemachten Brei.
Am Mangel mangelts nicht: noch blieb er nicht zu Frieden
in seiner Kindheit Lenz. Er muste sein geschieden
von Freund und Vaterland. Ägyptus Hausgenoß
ist der, der alle Welt behaust in seiner Schoß.
Herodes tobte sehr, er furchte seiner Krone,
beginge Kindermord. Die List ward doch zu Hohne.
Gott fällt durch Säbel nicht. Das Kind fleucht bei der Nacht.
Tyrannen sind doch nichts vor Gott mit ihrer Macht.
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Der König wurde faul, starb hin bei frischem Leben;
so ward der Kinder Tod dem rechten Tode geben.
Das Kind läßt Nilus stehn, kehrt umb nach Nazareth:
wird weiser Tag für Tag, folgt Joseph früh und spät'.
Es war sein höchste Lust, daß er zu Tempel gienge,
gab zu verstehen schon, was er an künftig fienge;
die Ceremonien hielt' er in allem mitt',
und hörte gerne zu, wenn etwa fiel ein Strit
in Glaubenssachen für. Ihr blinden Pharisäer,
und du verstocktes Volk, ihr dummen Sadducäer!
was half euch Moses Schrift und der Propheten Wort,
weil ihr erkantet nicht den wahren Lebenshort?
Er war euch untertan, doch mustet ihr ihn neiden.
Er war zwar euer Sohn, doch auch das Liecht der Heiden,
weil ihr ihn stießet aus. Was hilft euch Abraham?
Ietzt geht euch Japhet für, nun ihr seid worden Cham.
Wie ofte kam er doch in eure Synagogen,
alda ihr seiner Lehr' und Unterrichts gepflogen!
Wie war euch da zu Mut', als er, doch noch ein Kind,
mit euch befragte sich? Ihr waret sehend blind.
Der Jordan täufet' ihn, der Geist fuhr sichtbar nieder
und satzte sich auf ihn: das Zeugnüß hört' ein ieder,
das ihm sein Vater gab. Johannes weiste frei,
daß er das Gotteslamb für unsre Sünde sei.
Er trat ins Predigampt, beglaubte mit viel Zeichen
das Evangelium, er heilte manche Seuchen,
den Blinden gab er Liecht, den Tauben das Gehör',
er speiste wunderlich die Folger seiner Lehr'.
Er kostete kein Brot in zweimal zwanzig Tagen,
das Wasser war ihm Land, die See, die must' ihn tragen;
es ist ihm umb ein St, so fleuget Eolus.
Neptunus wildes Feld für ihm erstummen muß.
Er weckt den Jüngling auf, Jairus Tochter schnäubet,
und Lazarus, sein Freund, wird wieder neu beleibet,
ob er schon riechend ist, nur durch ein einzig Wort:
hier trieb er Teufel aus, den Krüppeln half er dort.
Er stieß die Wechsler aus und die des Tempels Ehren
durch Krämerei verletzt. Er kunte kräftig lehren,
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er nam kein Blat fürs Maul, die Jüden schalt er frei,
und meldete sich selbst, daß er Messias sei.
Noch half es alles nichts. Ihr kuntet ihn nicht hören,
an Geistes Ohren taub, doch gleichwol auch nicht wehren.
Was wart ihr gegen Gott? Das Volk beschämet euch,
verachtet euren Bann, wird seelenfrei und reich.
Ietzt trugt ihr Steine zu und woltet ihn entleben,
ietzt stürzen von dem Fels, ietzt in die Bande geben.
Doch stricht ihr in die Luft. Wer streitet wider Gott,
der schlägt sich selbst aufs Maul und wird des Pöbels Spott.
Ihr brauchtet manchen Fund, erdachtet glatte Fragen, –
was aber ihr für Ruhm mit euch anheim getragen,
des rühmt euch jo nur nicht: es bleibet doch darbei,
der Menschen Klugheit ist für Gott nur Narrerei, –
biß daß die Zeit kam an, daß er, umb wessen willen
er kommen, führt' hinaus. Der Esel und das Füllen
bracht' ihn zu Jebus ein, daß zweierlei Geschlecht'
er zu dem Testament und neuen Rechte brächt'.
Hosanna singt man ihm, es spreitet mancher Jüde
die Palmen auf den Weg, weil kömpt der rechte Friede.
Als er zu Tische saß, erfeuchtet Haupt und Bart
das Nardenwasser dem, der vor gesalbet ward
zu dem gedritten Ampt'. Er ließ uns noch zur Letzte,
als er zum letzten sich mit seinen Jüngern setzte
und aß das Osterlamb, ein hohes Liebespfand,
ein rechtes Ostermahl, das er selbst wird genant,
das große Sacrament, da wir Gott selbsten essen
in und mit Brot und Wein. Ob schon der Feind besessen
Ischarioth, den Dieb, so würdigt' er ihn doch,
daß er ihm reichte zu den letzten Bissen noch.
Drauf wird er teuflisch ganz, steht auf bei Nacht und übet
das rechte Werk der Nacht, betrübt den, der ihn liebet,
verkäufet Gott umb Kot. Der schändliche Gewin
macht, daß der Geizhals hier gibt Seel' und Herren hin.
Jetzt geht die Marter an, jetzt muß der Heiland schwitzen,
bei frischer Lenzenluft. Er glüt für Grimmeshitzen,
darmit sein Vater brennt und wir stets schüren zu.
Die schwere Höllenangst läst ihm nicht so viel Ruh.
[19]
Der Schweiß ist nicht ein Schweiß, Blut sehn wir von ihm rinnen,
der Puls schlägt nährlich an. Wie ist ihm doch zu Sinnen!
Er betet brünstiger das Abba in der Loh,
das Abba, welches uns in letzter Angst macht froh.
Der herbe Sündenkelch, den er ietzt aus muß trinken,
der machet ihn so schwach, daß auch im letzten Sinken
ihm Kraft ein Engel gibt. Der starke Zebaoth,
der vor die Engel schuf, ist ietzt in solcher Not.
Jacobus, schläfestu? Johannes, kanstu rasten?
Auf Simon, denke doch an deines Meisters Lasten!
Auf Schläfer! Schläfer auf! Ietzt kömpt der Capitain
auf das Getsemane, ietzt läst man ihn gleich ein.
Du mörderischer Schelm, in Plutos Gruft erzogen,
du hast beim Phlegeton Erynnis Brust gesogen,
die blaue Neidesmilch. Du kömpst bei später Nacht
ietzt vom Avernus her, gerüstet mit der Macht
der tollen Furien. Was sind die Spieß' und Stangen,
als der Tisiphone giftaufgelaufne Schlangen?
Alekto brennend Pech und Schwefel umb sich schwingt,
wenn man die Fackeln sicht. Jetzt ist der Herr umbringt.
Ihr frischen Krieger ihr, fallt ihr von einem Worte,
das doch kein Donner war? Wie kriecht ihr nach der Pforte!
Ich bins, das hat die Kraft, daß ihr frei lassen müßt,
die der wil, der doch ietzt von euch gefangen ist.
Der zwingt euch, den ihr zwingt. Trit her, trit her, Verräter,
und raffet euch doch auf, ihr nichts als Übeltäter!
Was säumstu, Juda, dich? Laß hören deinen Gruß,
und gieb, du falscher Hund, das Zeichen, einen Kuß!
Diß ist der Augenblick, der dich zur Höllen stürzet,
in dein recht Vaterland. Der Strick, der dir verkürzet
dein Leben hat hernach, wird dir ein Leben sein,
das nichts als Tod doch ist in ungeendter Pein.
Und wär' es nur ein Tod. Wo wird doch Minos finden
gnung Strafen nur für dich? Man wird dich müssen binden,
wo Tityus muß sein und wo sein Geier ist,
der dir die falsche Zung' und ihm die Leber frißt.
Ixion freuet sich, daß du wirst sein Geselle
an seinem Schlangenrad'. Es muß die ganze Helle
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dir eine Helle sein. Styx speiet Pech auf dich,
Cocytus brennend Harz und Schwefel grimmiglich.
Nun greift man Jesus an; ietzt führt man ihn gefangen
für Caiphas Gericht', allda die zarten Wangen
den Backenstreich gefühlt. Der wird des Hannas Spiel,
der uns vom ewigen Gespötte freien wil.
Die königliche Hand muß Rohr für Scepter führen,
die Kron' ist Dornenreis, der Purpur muß ihn zieren,
doch nur zu Spott und Schmach. Man beugt für dem die Knie,
man grüßet König den, den man geehret nie.
Er wird der Knechte Spott, der uns zu Herren machet,
der ietzt in höchster Angst wird noch darzu verlachet.
Von Kot und Speichel fleust das heilig' Angesicht,
von Dornen schmerzt das Haupt, die Haut von Geißeln bricht.
Seht, welch ein Mensch ist das! geht, fragt, ob man auch finde
ein' Angst, die dieser gleicht. Er ist, als für uns stünde
sein Schatten und nicht er. Wie macht ihn doch so naß
der Wust und Schmerzenschweiß? Seht welch ein Mensch ist das!
Seht, welch ein Mensch ist das! so ihr noch könt erkennen,
daß er nicht sei vielmehr ein Wurm als Mensch zu nennen.
Wie elend ist er doch, wie krank! wie mat! wie blaß!
Wie wund! wie zugericht! Seht, welch ein Mensch ist das!
Der Leib ist Beulen voll, gelifert Blut und Eiter
rinnt häufig von ihm weg, die Wunden brechen weiter,
die Strimen laufen auf in ungezählter Zahl.
Da ist kein Plätzlein nicht, das habe nicht ein Mal.
O Modul aller Angst! O Exemplar zu dulden!
Wir, wir sind Streiche werth, denn unser sind die Schulden.
Wie kanst du so den Sohn, o Vater, richten zu?
Halt inne, schlag auf uns und gib dem Bürgen Ruh!
O Qual, o höchste Qual! O Marter aller Plagen,
die du, o Bruder, must für uns ietzunder tragen!
Du bist Immanuel, von unsern Wunden wund,
durch welche Wunden du die unsern machst gesund.
Die Schmerzenstöchter dich, die Thränen, scheußlich machen,
sie fließen als ein Strom, auf daß wir möchten lachen.
Doch schweigstu, wahres Lamb, und sagst kein Wörtlein nicht,
auf daß wir künftig nicht erstummen für Gericht.
[21]
O wahrer Menschenfreund, die doch sind deine Feinde,
was tustu nicht für sie? Ein Freund, der seinem Freunde
durch sich den Tod versöhnt, das ist die höchste Treu:
hier sieht man wie ein Freund für Feind' ermordet sei.
Diß muß jo sein ein Freund, diß muß jo lieben heißen!
Er schonet seiner nicht, läst weidlich auf sich schmeißen,
daß uns in Plutos Gruft Alekto peitsche nicht
und Rhadamantus wir nicht kommen für Gesicht.
Hie hilft kein Helfen nicht, ihn kan ietzt niemand retten,
die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Friede hätten.
Des Vaters Zornesflut fährt über ihn mit Graus
und wil ihn aus dem Land' und Leben rotten aus.
Man wil ihn haben tot, und wird doch nichts erwiesen.
Der Zeugen Zeugnüß wankt. Er wird gerecht gepriesen
vom Pfleger Pontius. Noch sol und muß er dran,
ob man gleich keine Schuld auf ihn erzwingen kan.
Herodes lacht ihn aus, Pilatus, fast erzwungen,
spricht ihn dem Tode zu. Die Alten mit den Jungen
erbitten Barrabas. Der Mörder wird erkiest
für dem, der doch für sich das wahre Leben ist.
O Urteil ohne Recht! O Strafen ohne Sünden!
Messias muß nun fort. Er muß sich lassen binden.
Zum Kreuz ist er verdampt. Der wahre Todes Tod,
des Lebens Leben selbst kömpt ietzt in solchen Spott.
Der Segen wird ein Fluch, auf daß wir Segen hätten,
vom Fluche frank und quit: die Freiheit geht in Ketten,
auf daß wir würden frei. Sein Blut durchstreicht den Brief,
der wider unser Blut zu Gott stets schrie und rief.
Er mus auf Golgatha das Kreuz ihm selber tragen,
der unser Kreuze trägt. Er wird daran geschlagen,
streckt Händ' und Füsse weg, der doch in seiner Macht,
was Auf- und Niedergang, was Mitter-Tag und Nacht
in sich bearmet, hält. Der hänget zwischen Dieben,
der ohne Sünde war. Denkt, denkt, was ihr könnt üben,
ihr Herzen ohne Herz', ihr nichts als Ottergift!
Die Sonne trübt der Fall, der ihren Schöpfer trifft,
sie macht den Tag zur Nacht. Das blaue Schloß des Himmels
entfärbt sich ob der Tat. Von Stürmen des Getümmels
[22]
erblaßte Cynthia sampt ihrer güldnen Schar
und eilet' an die Wacht, als es noch hoch Tag war.
Nocturnus wuste nicht, welch Pferd er satteln solte.
Auch Atlas bebete, gleich ob er fallen wolte.
Die Wolken drungen sich und flogen schneller fort.
Neptunus kunte selbst für Sturme nicht zu Port.
Es zittert die Natur, weil ietzt ihr Vater zaget.
Gott reißet sich von Gott. Vor Durst der Schöpfer klaget,
das gallgefüllte Rohr, der essigvolle Schwamm
muß mehren seinen Schmerz. An dem verfluchten Stamm'
hängt unser Lebensbaum. Die hier vorüber giengen,
die klatschten mit der Hand. Auch selbst die mit ihm hiengen,
die schalten auf ihn zu. Es bliebe mancher stehn
und las die Überschrift mit spöttlichem Gehön'.
Hier hänget unser Ruhm, hier leidet unser Prangen,
hier kranket unser Arzt, durch den wir Heil erlangen!
Ist das der Wunderbaum? ist diß das werthe Holz,
darauf wir Christen sein so prächtig und so stolz?
Der Even erster Wundsch, des Abrahams Verlangen,
die Hoffnung Isaaks, den Jacob hat umbfangen,
die Himmelsleiter die, der Trost der Köninge,
hängt hier in Schmach, in Angst, in Schmerz, in Ach, in Weh.
Es kunte niemand nicht ein Beileid mit ihm haben,
das war die doppelt' Angst. Maria sampt dem Knaben
beweinten Freund und Sohn. Da ist kein Jünger nicht,
kein Petrus ist nicht da mit seiner hohen Pflicht,
der für ihn sterben wil. Ach! wie ist dir zu Herzen,
du nie erkantes Weib, wenn du in solchen Schmerzen
hörst winseln deinen Sohn? Wie ofte zeuchstu hin
in Ohnmacht, stimmelos, erstarret, ohne Sinn.'
Hier hängt dein Wunderkind in so viel hundert Wunden,
in Ängsten über Angst, gebissen von den Hunden,
die ärger sind, als Hund'. O Weib, o armes Weib,
ietzt dringet dir das Schwert durch deine Seel und Leib?
Du niemand gleiche Frau, du must von fernen heulen.
Ach dürftestu doch nur verbinden seine Beulen!
Ach wäre dir vergunt, daß du zu guter Letzt
ihm küsstest seinen Mund, mit Thränen eingenetzt!
[23]
Was hilfts? es kan nicht sein. Du must in Jammer stehen
und zusehn, wie man spielt. Jetzt mustu gar vergehen,
weil dir dein Trost vergeht, weil er wird sinnenlos,
weil ihm die Todesangst gibt manchen harten Stoß.
O Alles, schaue zu, Jehova muß ietzt sterben,
der uns durch seinen Tod das Leben kan erwerben;
Gott röchelt, Gott erblaßt, der Herr der Herrlichkeit
muß so elendiglich ietzt enden seine Zeit.
Und nun, nun ist er hin! Das Firmament erzittert,
der Felsen Stärke springt, der große Punct erschüttert.
Nord, Osten, Süd und West, die rissen aus der Kluft,
bestürmten See und Land. Dreimal mehr in die Luft
spie Etna Feuer aus. Die Elementen dachten,
es wär ihr Ende da, des Tempels Sparren krachten,
der Teppich riß entzwei, die Gräber brachen auf.
Auf dich, o Solyme, war vieler Toten Lauf.
Ach Leben, bistu tot? ie kan denn Gott sich enden,
der Anfang anfangslos, das End' ohn' End' und Wenden?
Wie? mangelt der ihm selbst, der nichts als Alles hieß?
Ist denn die Seele hin, die uns die Seel' einblies?
O Höchster, neigst du dich? Die krausen Locken hangen,
der rosenliebe Mund, die wollustvolle Wangen
verlieren ihren Glanz, die Augen brechen ein,
die Augen, die der Welt sind mehr als Sonnenschein.
Die Hände werden welk, der Beine Mark erkaltet,
blutrünstig ist die Haut, gelifert und veraltet;
hier hängst du ausgespannt, geädert, abgefleischt,
zerstochen, strimenvoll, entleibet, ausgekreischt.
O wahrer Pelican, der seine toten Jungen
durch sein selbst Blut belebt. Uns ists durch dich gelungen,
du ehrne Schlange du, du edle Medicin,
die Leviathans Gift und Bisse nimmet hin.
O mehr als Jonathan, o treuer als Orestes,
Treu über alle Treu', hier suchstu unser Bestes
und tust dir höchstes Leid. O Priester, o Levit,
der uns, wie Aaron, beim Vater stets vertrit.
Du stirbest als ein Mensch, auf daß du überwindest
den Tod, als wahrer Gott, und daß du, Schiloh, bindest
[24]
den starken Cerberus, so steigstu in die Gruft
und stürmest kecklich zu auf Plutos schwarze Kluft.
Du starker Simson du, du Löw' aus Juda kommen,
wie hat doch deine Kraft so gar bald abgenommen?
O Stern, wo ist dein Glanz? O Schatz, wo ist dein Gold?
O Herr, ist das dein Ehr'? O Arzt, ist das dein Sold?
Kein Tiger ist so grimm, so grausam ist kein Drache,
der einem seiner Art ein solches Quälen mache.
Der Löwe liebt den Arzt; wir Menschen sein so toll
und töten den, der uns vom Tode helfen sol.
Ihr ganz vergälltes Volk, ihr gar verstockter Sinnen,
noch tierischer als Tier, ie werdet ihr nur künnen
erkennen eure Schuld? In Gottes Sones Blut'
habt ihr den Speer genetzt, das er auch euch zu gut'
ietzt fließen läst von sich. Beherzet doch die Zeichen!
Doch ihr seid Eisenart, euch kan doch nichts erweichen.
Den Demant zwinget Blut, den Stal zerschmelzt die Glut,
kein Demant und kein Stal gleicht eurem harten Mut?
Ietzt gebt ihr Gott den Dank, wie eure Väter taten,
das ungezähmbte Volk, das Volk dem nicht zu raten,
der dich, o Israel, erlöst' aus Pharus Hand,
der dir das Rote Meer in blaches Feld gewandt
und Jordans wilde Flut, der inner vierzig Jahren
dich wie ein Adler trug. Da keine Wege waren,
kein Proviant, kein Haus, nichts als nur Wüstenei,
hielt er dich, hartes Volk, in Speis und Kleidern frei.
Die Winde musten Fleisch, die Klippen Wasser geben,
das Manna stunk euch an. Er selbst Gott, euer Leben,
stund allzeit über euch, noch fürchtet ihr ihn nicht.
Das Kalb, das war euch mehr als Gottes Wolk' und Liecht,
bis daß euch Josua in Idumeen brachte
und alles Canaan euch untertänig machte,
das Milch- und Honigland. Es war euch Niemand gleich.
Gott macht' ein großes Volk und Königreich aus euch.
Er stieß euch vielmal aus und holt' euch vielmal wieder,
so oft ihr kehrtet umb und fielet für ihm nieder.
Ihr seid der Väter Har; ihr häuft noch ihre Schuld;
ihr teufelisches Volk, solt' euch denn Gott sein huld?
[25]
So viel Prophetenblut ist noch für euch zu wenig,
ietzt tötet ihr Gott selbst, Gott selbst, Gott euren König!
O du verdamptes Volk, der euch von Anbeginn
zu seinem Reich erwählt, dem ihr stets lagt im Sinn, –
und diß noch was ihr seid, seid ihr durch seine Gnade, –
ietzt gebt ihr ihm den Lohn. Ach daß doch euer Schade
euch noch zu Herzen gieng'! iedoch ihr habt kein Herz!
Es ist euch eine Mähr, es ist euch nur ein Scherz.
Du Volk von Hagar her, du nicht der Freien Same,
du bist nicht mehr ein Volk, dein Nam' ist mehr kein Name,
du iedermannes Greul, so weit schwebt eine Wolk'
hastu kein stetes Haus, du ganz zerstörtes Volk!
Luft, Feuer, Erd' und Meer die ruf' ich an zu Zeugen,
daß ihr, Halsstarrigen, mit nichts nicht seid zu beugen,
wie Gott selbst von euch sagt. Weil ihr denn starrt so sehr,
so beug' euch dermaleins Luft, Feuer, Erd und Meer.
O Kreuz, uns nicht ein Kreuz, an dem wir können haben
für Kreuz Ergötzlichkeit, für Armut reiche Gaben,
für Bande freien Pass, für Schrecken Sicherheit,
für Helle Himmelsgunst, für Tod Unsterblichkeit.
Diß heist ja wol getauscht. Ietzt stehn des Himmels Türen
geöffnet angelweit. Gott wil uns mit sich führen
in sich und durch sich selbst. Wir sind den Engeln gleich,
ja mehr als Engel noch in unsers Heilands Reich'.
O Kreuze sei gegrüßt. Dich muß ein jeder ehren
in allem, was er tut. Du kanst den Teufeln wehren,
durch den der dich geweiht. O heilige Figur,
an der wir haben stets noch unsers Elends Cur.
Weg, Moses, mit dem Fluch! Hier hat Gesetz ein Ende,
der Decke darf man nicht, daß uns der Herr nicht blende.
Hier ist des Lebens Buch, das neue Testament;
Jehova selbst ist hier, den noch kein Jüde nennt.
Hin ist nun alles Leid, Gott hat nun ausgestanden,
was auszustehen war. Gebt Linderung den Banden
und zieht die Nägel aus, nehmt Gottes Körper ab,
tut ihm das letzte Recht, versenkt ihn in ein Grab.
Und Joseph, du tust wohl, daß du wilst den begraben,
durch dessen Wundergrab wir keine Gräber haben.
[26]
Weil der gestorben ist, so stirbet nun kein Christ,
weil uns der Tod ein Schlaf, das Grab ein Ruhbett ist.
Ach hätt' ich auch gelebt zu Nikodemus Zeiten,
ich hätte wollen wol des Herren Grab bespreiten
mit blauen Veiligen, das grüne Lorberlaub
hätt' ich hieher gestreut! Für Erde, Sand und Staub
hätt' ich die Rosmari und Amaranthen geben,
mit Tolpen untermengt, dir, aller Blumen Leben.
Das fremde Benzoe hätt' ich gezündet an,
und wormit sonsten man die Toten ehren kan.
Das Wündschen hilft mich nichts. Jebova, nim vor Willen,
weil ich doch meinen Wundsch kan ietzund nicht erfüllen,
nim an diß Sterbelied, nim an den Grabgesang,
den, höchster Freund, aus mir dein grimmer Tod erzwang!
Erlöser, habe Dank, Blutbürge, sei gelobet!
Ruhstifter, ruhe sanft; obgleich umb dein Grab tobet
der Wächter ohne Wacht. Schlaf ein, bis weder Tag,
noch Wacht, noch Siegel dich im Grabe halten mag!

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