Fünftes Kapitel

Wie König Heinrich gen London zieht

Noch blitzt die Sonne kaum ins Tal,
Auf Woodstocks Turm und Tannen,
Da zieht im ersten Morgenstrahl
Der König schon von dannen;
Ihn grüßend von des Söllers Rand
In weißem, flatterndem Gewand
Steht Cliffords schöne Tochter.
Wie Marmor leuchtet in die Au
Ihr Nacken, der entblößte,
Mit Perlen schmückt der Morgentau
Ihr Haar, das aufgelöste.
Sie blickt herab, er blickt hinauf,
Und jeder möcht' in heißem Lauf
Dem eignen Blicke folgen.
Wie ausgesetzte Schiffer bang
Am Felsenufer harren
Und auf das flücht'ge Schiff noch lang
Sehnsücht'gen Auges starren –
So blickt vom Turm jetzt in den Wald
Auf Heinrichs schwindende Gestalt
Die schöne Rosamunde.
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Er aber gleicht dem Schiffer gut,
Dem nichts das Auge feuchtet,
Solang' ihm noch durch Sturm und Flut
Des Liebchens Fenster leuchtet.
Nun aber wird's ihm bang fürwahr:
Noch einmal blitzt ihr goldnes Haar,
Es blitzt – und ist verschwunden.
Doch Waldesduft und Morgenschein
Sind keine Grillenfänger,
Und auch des Königs Traurigsein,
Sie dulden es nicht länger.
Tautropfen glänzen hier und dort,
Die Sonne sieht's und küßt sie fort –
Sie will heut keine Tränen.
Die Lerchen flattern her und hin,
Und Heinrich hört sie singen:
»Nur frischer Mut und froher Sinn
Darf in den Himmel dringen.«
Des Waldes Tauben girren laut:
»Ein Herz, das liebt und Gott vertraut,
Lacht wie die Maiensonne.«
Da denkt der König: ›Sei gescheit
Und laß all trübes Sinnen!
Der Trennung Zeit ist böse Zeit,
Doch wird sie drum verrinnen.
Traun, wer nicht will von dannen gehn,
Der bringt sich selbst ums Wiedersehn –
All Leid hat seine Freude.‹
Er denkt's; und als an Wald und Sumpf
Er jetzt vorübertrottet,
Da wähnt er wohl mit Stiel und Stumpf
Die Sorgen ausgerottet;
Manch Lied ihm aus der Kehle schallt –
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Bis nun durch Londons Gassen hallt
Der Hufschlag seines Schecken.
Schon kauern rings die Häuser, dicht
Gehüllt in nächt'ges Dunkel,
Nur hier und dorten glüht ein Licht,
Wie bösen Aug's Gefunkel.
Das finstre Bild der Königin
Tritt da vor Heinrichs Seele hin
Und löscht die heitren Bilder.
Und alsobald durchklirrt sein Schritt
Des Towers Hof und Tore,
Und aus der Hall' entgegen tritt
Sein Weib ihm, Leonore.
Sie spricht und blickt ihn tückisch an:
»Willkomm, willkomm, Herr Jägersmann,
Nach manchem Tag willkommen!
Ich wett', du hast wie Ritter Jürg
Lindwurm und Molch getötet,
Zehn Meilen Forst, des bin ich Bürg',
Hast du mit Blut gerötet;
Wie, oder hätt' im Woodstock-Gau
Waldfräulein dich und Heidefrau
Bis diesen Tag bewirtet?«
Der König drauf: »Waldfräulein frisch,
Wohl hab' ich das gefunden,
Und Speis' und Trank von ihrem Tisch,
Die machten mich gesunden;
Doch frägst du nach dem Heideweib?
Ihr glühes Aug', ihr welker Leib
Ist andren Orts zu finden.«
Der König spricht's, ein leiser Spott
Fliegt über seine Züge;
Dann ruft er stolz: »Verhüt' es Gott,
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Daß ich dich feig belüge!
Ich schulde dir nicht Treu' noch Dank:
Waldfräulein blond, Waldfräulein schlank
Ist Cliffords schöne Tochter.«
Er spricht's, und als in Haß und Zorn
Jetzt ihre Augen blitzen,
Da ruft er laut: »Es soll kein Dorn
Je ungestraft sie ritzen!
Dein Blick ist Dolch, dein Wort ist Gift –
Und wenn des Himmels Blitz sie trifft,
Du stirbst, denn du bist schuldig!«
Der König spricht's; er tritt heran
Zu hohen Fensters Nische
Und zieht in langen Zügen dann
Die Nachtluft ein, die frische;
Sein Aug' ist trüb, sein Herz ist fern –
Hernieder blickt der Abendstern,
Wie Rosamundens Auge.

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TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1898). Bilder und Balladen. 2. Englisch-Schottisches. Von der schönen Rosamunde. Fünftes Kapitel. Fünftes Kapitel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AE51-3