Von der Quelle der guten Werke

Wenn zur Vollführung deiner Pflicht
Dich Gottes Liebe nicht beseelet:
So rühme dich der Tugend nicht,
Und wisse, daß dir alles fehlet.
Wenn Vorteil, Wollust, Eigensinn
Und Stolz dir nur das Gute raten;
So tue noch so gute Taten;
Du hast vor Gott den Lohn dahin.
Sei durch die Gaben der Natur
Das Wunder und das Glück der Erden!
Beglückest du die Menschen nur,
Um vor der Welt geehrt zu werden;
Erfülle die Liebe nicht dein Herz:
So bist du bei den größten Gaben,
Bei dem Verstand, den Engel haben,
Vor Gott doch nur ein tönend Erz.
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Bau Häuser auf, und brich dein Brot,
Das Volk der Armen zu verpflegen;
Entreiß die Witwen ihrer Not,
Und sei der Waisen Schutz und Segen!
Gib alle deine Habe hin!
Noch hast du nichts vor Gott gegeben.
Wenn Lieb und Pflicht dich nicht beleben:
So ist dir alles kein Gewinn.
Tu Taten, die der Heldenmut
Noch jemals hat verrichten können:
Vergieß fürs Vaterland dein Blut,
Laß deinen Leib für andre brennen!
Beseelet dich nicht Lieb und Pflicht;
Bist du die Absicht deiner Taten:
So schütz und rette ganze Staaten;
Gott achtet deiner Werke nicht.
Läg ihm an unsern Werken nur:
So könnt er uns, sie zu vollbringen,
Sehr leicht durch Fessel der Natur,
Durch Kräfte seiner Allmacht zwingen.
Vor ihm, der alles schafft und gibt,
Gilt Weisheit nichts, nichts Macht und Stärke.
Er will die Absicht deiner Werke,
Ein Herz, das ihn verehrt und liebt.
Ein Herz, von Eigenliebe fern,
Fern von des Stolzes eitlem Triebe,
Geheiligt durch die Furcht des Herrn,
Erneut durch Glauben zu der Liebe;
Dies ist's, was Gott von uns verlangt.
Und wenn wir nicht dies Herz besitzen:
So wird ein Leben uns nichts nützen,
Das mit den größten Taten prangt.
Drum täusche dich nicht durch den Schein,
Nicht durch der Tugend bloßen Namen.
Sieh nicht auf deine Werk allein;
Sieh auf den Quell, aus dem sie kamen.
[250]
Prüf dich vor Gottes Angesicht,
Ob seine Liebe dich beseelet.
Ein Herz, dem nicht der Glaube fehlet,
Dem fehlet auch die Liebe nicht.
Wohnt Liebe gegen Gott in dir:
So wird sie dich zum Guten stärken.
Du wirst die Gegenwart von ihr
An Liebe zu dem Nächsten merken.
Die Liebe, die dich schmücken soll,
Ist gütig; ohne List und Tücke;
Beneidet nicht des Nächsten Glücke;
Sie bläht sich nicht; ist langmutsvoll.
Sie deckt des Nächsten Fehler zu,
Und freut sich niemals seines Falles.
Sie suchet nicht bloß ihre Ruh.
Sie hofft und glaubt und duldet alles;
Sie ist's, die dir den Mut verleiht,
Des Höchsten Wort gern zu erfüllen,
Macht seinen Sinn zu deinem Willen,
Und folgt dir in die Ewigkeit.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Gellert, Christian Fürchtegott. Gedichte. Geistliche Oden und Lieder. Von der Quelle der guten Werke. Von der Quelle der guten Werke. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C350-1