Die Lerche und die Nachtigall

Oft ließ der Kunst und seinem Wirt zu Ehren
Sich der Kanarievogel hören
Und freute sich, wenn durch ihr schmetternd Lied
Die Lerche minder Kunst verriet.
»O«, sprach sie, »wenn ich doch ein Lied
Gleich seinen hohen Liedern sänge!«
Und sang, indem sie dieses sprach,
Dem Nachbar eifersüchtig nach,
Verliebte sich in seine fremden Gänge
Und quälte sich, den angebornen Ton
Durch den erlernten zu verdringen,
Und trug nach vieler Müh' zuletzt das Glück davon,
Kanarisch fehlerhaft zu singen.
»O!« sprach die Nachtigall, die lang ihr zugehört,
»Wie sinnreich bist du nicht, mein Ohr und deins zu quälen!
Dich hatte die Natur vortrefflich sein gelehrt,
Und sieh, nun lehrt der Zwang dich fehlen.«
Elpin schreibt niedrig und schreibt schön;
Kleanth schreibt hoch. Elpin wünscht ihm zu gleichen.
Wie teuer kömmt es ihm zu stehn!
Er sucht Kleanthen zu erreichen
Und äfft ihn nach und muß ihm weichen,
Er schreibt und denkt für keinen Menschen schön.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Gellert, Christian Fürchtegott. Fabeln und Erzählungen. Fabeln und Erzählungen. Drittes Buch. Die Lerche und die Nachtigall. Die Lerche und die Nachtigall. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C3A8-0