Philinde

Philinde blieb oft vor dem Spiegel stehn;
Denn alles kann man fast den Schönen,
Nur nicht den Trieb, sich selber gern zu sehn
Und zu bewundern, abgewöhnen.
Dies ist der Ton, aus dem die Männer schmähn;
Doch Mädchen, bleibet nur vor euren Spiegeln stehn!
Ich lass' es herzlich gern geschehn.
Was wolltet ihr auch sonst wohl machen?
Beständig tändeln, ewig lachen
Und stets nach den Verehrern sehn?
Dies wäre ja nicht auszustehn!
Genug, das schöne Kind, von der ich erst erzählte,
Bespiegelte sich oft und musterte das Haar
Und besserte, wo nicht das Mindste fehlte.
Ihr Bruder, der ein Autor war,
Sah sie am Spiegel stehn und schmälte.
»Habt Ihr Euch noch nicht satt gesehn?
Ich geb' es zu, Ihr seid sehr schön!
Doch sein Gesicht die ganze Zeit besehn,
Verrät ein gar zu eitles Wesen.« –
»Herr Autor«, sprach sie, »der Ihr seid,
Hebt mit mir auf; denn sich gern selber lesen
Und gern im Spiegel sehn, ist beides Eitelkeit.«
[161]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Gellert, Christian Fürchtegott. Fabeln und Erzählungen. Fabeln und Erzählungen. Zweites Buch. Philinde. Philinde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C418-6