Herodes und Herodias

Freund, wer ein Laster liebt, der liebt die Laster alle,
Wer ein Gesetz der Tugend übertritt,
Entheiligt in dem einen Falle
Im Herzen auch die andern mit.
»O!« sprichst du, »welche Sittenlehre
Giebt Euch der Geist der Schwermut ein!
Gesetzt, daß ich der Wollust dienstbar wäre,
Werd' ich deswegen wohl der Mordsucht eigen sein?«
Ich glaub' es, lieber Freund, du wirst es mir verzeihn;
Schrift und Vernunft behaupten diese Lehre.
Der Witz, der dich die Wahrheit lehrt,
Die Hurerei sei kein Verbrechen,
Wird, wenn's dein Vorteil nur begehrt,
Das Wort zugleich der Mordsucht sprechen.
Auf einmal wird man nie der größte Bösewicht;
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Allein den Grund dazu kann man auf einmal legen.
Verletze nur mit Vorsatz Eine Pflicht:
So hast du schon das schreckliche Vermögen,
Wodurch dein Herz die andern bricht.
Warum gehorchst du den Gesetzen?
Weil Gott, der Heilige, der deine Wohlfahrt liebt,
Sie den Vernünftigen zu ihrer Wohlfahrt giebt.
Doch darfst du Ein Gebot verletzen:
So schwächst du ja den Grund, auf dem sie alle stehn.
Was kann sich dir denn widersetzen,
Dich nicht an allen zu vergehn?
O! merk' es doch, noch unschuldsvolle Jugend!
Ich bitte dich, o merk' es dir!
Es giebt nicht mehr als Eine Tugend
Und als Ein Laster neben ihr.
Hast du den Vorsatz nicht, nach allen heil'gen Pflichten
Dich in und außer dir zu richten:
So prange hier und da mit guter Eigenschaft:
Dein Herz ist doch nicht tugendhaft.
So oft du's wagst, nur eins von den Gesetzen,
Weil es dein Herz verlangt, mit Vorsatz zu verletzen:
So schwächst du aller Tugend Kraft
Und bist bei hundert guten Taten,
Die Hoffnung oder Furcht, Ruhm und Natur dir raten,
Vor Gott und der Vernunft doch völlig lasterhaft.
O Jugend! faß doch diese Lehren,
Itzt ist dein Herz geschickt dazu.
Dem kleinsten Laster vorzuwehren,
Die Tugend ewig zu verehren,
Sei niemand eifriger als du!
Durch sie steigst du zum göttlichen Geschlechte,
Und ohne sie sind Könige nur Knechte
Sie macht dir erst des Lebens Anmut schön.
Sie wird bei widrigem Geschicke
Dich über dein Geschick erhöhn.
Sie wird im letzten Augenblicke,
Wenn alle traurig von dir gehn,
In himmlischer Gestalt zu deiner Seite stehn
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Und in die Welt der sel'gen Herrlichkeiten
Den Geist, weil sie ihn liebt, begleiten.
Sie wird dein Schmuck vor jenen Geistern sein,
Die sich schon auf dein Glück und deinen Umgang freun.
O Mensch! ist dir dies Glück zu klein,
Um strenge gegen dich zu sein?
Nunmehr mag uns ein wahres Beispiel lehren,
Wie alle Laster sich von Einem Laster nähren.
Herodias, wie uns die Schrift erzählt,
Brach dem die Treu', mit dem sie sich vermählt,
Und hing an seines Bruders Seite
Der Neigung nach, die auch ein Heide scheute,
Und die der Hof, der gern mit Worten spielt,
Für Zärtlichkeit und nicht für Unzucht hielt.
Doch laßt die Schmeichler knechtisch sprechen.
Johannes kommt an Hof. Kein Thron verblendet ihn,
Von dem das Laster strahlt. Er sieht es und spricht kühn:
»Du hast des Bruders Weib; dies, Fürst, ist ein Verbrechen!«
So red't ein Mann, aus dem der Geist der Tugend spricht.
Zur Niederträchtigkeit reizt ihn der Thron zu wenig.
Er fürchtet Gott mehr als den König
Und hält den Mut für seine größte Pflicht,
Wenn er zu dessen Ehre spricht,
Von dem mit uns die Könige der Erden
Aus gleichem Staub gebildet werden.
So dreist sprach Zachariä Sohn;
Allein der Kerker ward sein Lohn.
Ein Widerruf könnt' ihn daraus erretten;
Doch nein! ein Tugendfreund liegt lieber frei an Ketten
Als sklavisch um der Fürsten Thron.
So frei indes Johannes auch gesprochen:
So blieb er doch dem Fürsten wert.
Denn selber der, der jede Pflicht gebrochen,
Wird durch ein Herz gereizt, das Gott und Tugend ehrt;
Ein heimliches Gefühl heißt ihn dies Herz noch lieben
Und sich, daß er's nicht hat noch hassen kann, betrüben.
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Und also scheint der Fürst noch tugendhaft zu sein,
So sehr ihn auch sein Laster eingenommen.
Wenn er unzüchtig ist, ist er drum grausam? Nein!
Doch laßt nur einen Umstand kommen:
So wird er's doch aus Wollust sein.
Kein Laster herrscht jemals allein,
Und du begingst vielleicht, wie er, das größte,
Wärst du zum größten nicht zu klein.
Der Fürstin Tochter tanzt an einem Freudenfeste,
Der Hof bewundert sie. Herodes wird entzückt
Und fühlt, indem er sie erblickt,
Der Mutter Blick in ihrer Tochter Blicke.
Er winkt der Salome: »Gebeut itzt deinem Glücke
Und bitte, was du willst! für meine Lieb' und dich
Ist nichts zu groß und nichts zu königlich.«
Die Tochter eilt mit frohen Schritten
Zu der Herodias und fragt: »Was soll ich bitten?« –
»Bitt' um des Täufers trotzig Haupt.«
O Gott! wer hätte das geglaubt?
Ist für ein weiches Herz und für verbuhlte Blicke
Ein blutig Haupt ein reizungsvolles Glücke?
Ein Weib, das sonst die kleinsten Schmerzen scheut,
Find't, da die Wollust ihr gebeut,
Selbst Wollust in der Grausamkeit
Und lehrt zugleich die Tochter ein Verbrechen?
Herodes hört den Wunsch, erschrickt und wird betrübt,
Weil er den frommen Täufer liebt;
Allein der Fürstenstolz weist ihn auf sein Verbrechen.
Hat's nicht der Hof gehört? Bist du nicht Herr und Fürst?
Wird sich Herodias nicht gleich durch Kaltsinn rächen,
Wofern du nicht den Wunsch erfüllen wirst?
Gebeut, sprach seine Brunst; und eilig willigt er
In dieses grausame Vergnügen.
Man bringt des Täufers Haupt auf einer Schüssel her.
Hier siehst du ja, wie bald nach leichter Gegenwehr
In Einem Laster alle siegen!
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Gellert, Christian Fürchtegott. Fabeln und Erzählungen. Fabeln und Erzählungen. Zweites Buch. Herodes und Herodias. Herodes und Herodias. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C45E-A