[3] TAGE UND TATEN
AUFZEICHNUNGEN UND SKIZZEN

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Vorreden

Vorrede zu Band XVII der Gesamt-Ausgabe
VORREDE ZU BAND XVII DER GESAMT-AUSGABE

Diese ausgabe ist vermehrt um alle übertragungen in ungebundner rede .. sie sind in den ersten folgen der Blätter für die Kunst erschienen.

Vorrede der zweiten Ausgabe
VORREDE DER ZWEITEN AUSGABE

Die Tage und Taten wurden zum grossen teil jahre hindurch in den Blättern für die Kunst veröffentlicht · noch ohne namennennung .. die sätze über Wasmann in Verweys Zweimonatlicher Zeitschrift mit namen. Als buch erschienen sie zuerst 1903 im verlag der Blätter. Die vorliegende erweiterte ausgabe enthält alles vom verfasser in ungebundener rede geschriebene mit ausnahme jedoch aller vorworte aller einleitungen und merksprüche. Schwierig wäre aus diesen sein eigenes anteil herauszulösen · es würde auch eine ungebührende beladung sein für dieses im wesentlichen dichterische werk.

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Sonntage auf meinem Land

I [Wir weichen von der heerstrasse ab]
I

Wir weichen von der heerstrasse ab und schlagen den feldweg ein .. es ist so einer der lezten septembertage dem man dankt wenn er ohne regen schied. Wir gehen dicht am mühlenbach bis zur stelle wo er vom fluss sein wasser empfängt. Dort war ehmals ein wehr errichtet das jezt in trümmern liegt. Ich bücke mich über einen strauch mit blauen sternförmigen blüten während eine gestalt ganz in schwarz mir in der ferne winkt.

Wir schreiten durch ein dorf dessen kalkbestrichene wände wie gräber schweigen. Zum ufer hinunter die schräge gasse die reinlich und ganz verlassen ist. Ein nachen bringt uns über den wenig breiten fluss und wir sehen uns in weiten wiesen. Bei der hochflut sollen sie ganz unter wasser stehen wie tief gehöhlte gräben andeuten. Wir sammeln karminrote blumen die man dortzuland federrosen nennt.

Wir münden wieder in einen breiten weg der wagenfurchen zeigt und zu einem flecken führt. Zur linken zieht eine lange pappelreihe hin und ich bemerke dass die pappeln die ernsten unter den bäumen seien .. meine begleiterin sieht mich lächelnd an. Dann begegnen wir kindern die sich an den misstönen ihrer spielwerke freuen und deutlicher werden die ausgerenkten lieder der leierkasten .. im flecken muss ein fest sein.

II [Weiter und weiter ganz allein]
[8] II

Weiter und weiter ganz allein auf der breiten lehmigen heerstrasse · mühsam über steine und furchen hinaus in eine unheimliche nacht deren graue dünste von oben lasten und von allen seiten umschliessen mit feuchtem bedrückendem wehen. Kein wesen keine stimme kein licht. Kaum die gerippe der bäume drüben am graben sind erkennbar · und immer dieselbe bleifarbene schranke als ziel und immer in nämlicher ferne. Am graben drüben huschen zwei gestalten: das eine scheint ein hund zu sein das andre ein kind mit einem zinnkrug.

In den gängen des toten gartens viele rege hände: die zu üppigen schlinggewächse werden weggeräumt · für die welken erfrorenen blumen neue gesezt und man bringt frischen kies und kränze von künstlichen immortellen. Jene von uns die noch nicht lange gegangen sind werden am reichsten bedacht. Der bleiche schein der lezten oktoberstunden auf dem roten und gelblichen sandstein den marmorgestalten und dem denkmal das mich immer so sehr berührte: jener grosse schwarze anker – das wahrzeichen zweifelhafter hoffnung.

Auf den hügeln begann der schnee zu schmelzen. Der fluss und der verregnete stille weg verschwimmen in einer einzigen goldenen und silbernen fläche und werden jählings wieder braune und graue wirklichkeit je [9] nach dem stande der sonne vor oder hinter dem gewölk – oft ein mehrmaliger wechsel in wenigen augenblicken. Die seele lässt dieses flackern und flammen der sonntäglichen leiden über sich ergehen mit einem merklichen wolgefühl.

III [Vier sonntägliche strassen gibt es auf meinem land]
III

Vier sonntägliche strassen gibt es auf meinem land: die strasse von den blassen erinnerungen die strasse von der wiederaufgenommenen tat die strasse von den unabwendbaren verzweiflungen und die strasse vom möglichen glück.

IV [Das altertümliche dorf wo unsere vorfahren lebten]
IV

Das altertümliche dorf wo unsere vorfahren lebten und der reihe nach an der eppichbewachsenen mauer des kirchhofes begraben sind. Auf den wacken-gepflasterten gassen grüssen mich einige leute die ich niemals vorher gesehen hatte und auf dem kirchweg begegnet mir eine greisin die mich mit urväterlicher freude erkennt und befragt. Dunkel tauchen mir wieder auf: das rundbogige hölzerne tor die geschnizten köpfe am treppenaufgang und die unmodischen möbel die anheimeln wie die verjährte ehrliche gastlichkeit der inwohner. Ich hätte mich auch gern nach dem alten ohm erkundigt: ich wusste aber wahrlich nicht ob er nicht schon gestorben war.

[10] Es sollte mir gezeigt werden ein familien-erbstück das schon seit jahren dastand: die gipsbüste eines schönen stillen klugen kindes das früh sterben musste .. es wurde mir gezeigt in dem frostigen langen fünffenstrigen saal mit den altfränkischen vergoldungen dem weissen gedielten estrich dem verbrauchten plüsch und den bis zur unkenntlichkeit nachgedunkelten ölgemälden. Alle läden wurden geöffnet damit man es gut betrachten könne. Auf einem alten kaunitz in einem glasgehäuse stand es mit der hohen etwas gewölbten stirn – viel älter aussehend da es nach der totenmaske gebildet war – das hinterköpfchen stark hervortretend und um den mund schon den ansatz zur falte die man später die schmerzensfalte nennt.

Die zusammenstimmende ruhe von wiesen wasser und blauer ferne wird nur manchmal unterbrochen durch das wehen einer flagge oder durch einen feiertagsklang der umliegenden weiler. In langen zwischenräumen schreien truthähne auf dem meierhof. Kinder stehen mitten im flachen fluss und fischen · andere baden zwischen dem weidicht und weiter oben schwankt ein leeres boot an der fähre. Wäre es möglich in dieser friedfertigen gediegenen landschaft seine seele wiederzufinden?

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Der kindliche Kalender

DER KINDLICHE KALENDER

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Die ersten wochen nach Erscheinung des Herrn hatten ausser den fremdländischen gesichten der drei Weisen mit gold weihrauch und mirren kaum andere erinnerungen als die schlittenfahrten über den zugefrorenen strom · der mit der ebene eines geworden war. Um Mariä Lichtmess hörten wir viel von der zunehmenden helligkeit und der hoffnung auf winters ende. In der frühe gingen wir zur weihe des wachses und empfingen tags drauf den segen der kerzen. Der Fasching wo wir mit bunten und seltsamen kleidern einherzogen brachte uns die schau einer umgekehrten welt · wo sich männer in weiber und menschen in tiere verwandelten. Morgens noch als es dunkelte · sagten kinder die auf hohen stangen aufgespiesste brote trugen singend die Fastnacht an. Am Aschermittwoch traten wir zum altar und der priester zeichnete unsre stirnen mit dem aschenkreuz. Um Lätare beobachteten wir die ersten arbeiten auf dem feld und als der saft in den bäumen stieg sassen wir im weidicht und schnitten aus den lockergeklopften rinden uns flöten und pfeifen. Die schwalben und die störche kehrten wieder. Die Heilige Woche kam mit ihren zerstörten altären · der verstummten orgel und dem tönen der klapper statt der klingeln und glocken. Am Karfreitag lagen wir · nachdem pfarrer und messner vorangegangen waren · der länge nach ausgestreckt auf dem chor und küssten das niedergelegte Heilige Holz. [14] In der dämmerung erklangen die uralten klageweisen über den untergang der Stadt. Darauf der Samstag mit der enthüllung des kreuzes und den posaunen der osterfreude. Am Weissen Sonntag weckten uns in der frühe die choräle von den türmen und wir stellten uns auf um den zug der kleinen bräutigame und bräute zu sehen die zum erstenmal zum Tisch des Herrn zogen. Alle hatten sie auf ihren stirnen die blässe der angst und andacht und dies war der einzige tag wo auch die plumpen kinder des volkes schön wurden. Ende april begannen wieder unsere regelmässigen fahrten in die wiesen und auf die berge. Unsere mutter lehrte uns die namen und die kräfte der blumen und kräuter und wir bekamen die schwer zugängliche kuppe gezeigt wo die seltene blume diptam wächst aus der des nachts weisse flammen perlen. Im monat der Maria gingen wir des abends mit kränzen und grossen fliederbüschen zur kapelle um das bild der himmelskönigin zu schmücken. Hier wurden uns die beiden gebärden des gebetes gewiesen: die eine mit ineinandergeschlungenen geneigten fingern um ergebenheit und dank auszudrücken · die andere mit aufrechten aneinandergelegten zu bitte und preis. Am Fronleichnam wurde in grossem aufzug das Allerheiligste durch die bestreuten und geschmückten weihrauchduftenden strassen geführt und mit den dumpfen männerstimmen vereinigten sich unsre [15] helleklingenden zum Tedeum. Mit Pfingsten begann der sommer und die gesänge im wald und am flusse. In grossen steinkrügen trugen wir den wein bergaufwärts · wir durften ihn in den bächen kühlen und lagerten uns auf dem grunde zu den frohen abendmahlzeiten im tannenrund. An Johanni sammelten wir von haus zu haus holz und reisig. Es wurde auf karren geladen und auf den höhen in grossen haufen aufgeschichtet. Nach einbruch der dunkelheit wurde es entzündet und wir liebten es unsre nackten arme in die freie züngelnde flamme zu schnellen. In den erntetagen wenn die hitze etwas nachgelassen hatte gingen wir in die flur und flochten uns kränze von kornblumen · und die leute zeigten uns wie man aus umgestülpten mohnrosen kleine prinzessinnen macht. Dort hörten wir einmal wie die schnitter ein lied vom Wote sangen und konnten uns unser grauen und unsere verwunderung nicht erklären. Erst viel später fiel uns der grund ein: dass ein seit jahrtausenden entthronter Gott noch in erinnerung sein sollte während ein heutiger schon in vergessenheit geriet. Mitte august begleiteten wir die auf einem gerüst getragene bildsäule des Stadt-Heiligen von der kirche zur bergkapelle. Er war in einen dunkelpurpurnen samtmantel gekleidet und um seine schultern hingen die ersten reifenden trauben. Wir hatten pilgerkutten angelegt mit aufgenähten muscheln und führten in der[16] hand flasche und stab. In langer reihe kamen dann die vielen sonntage nach Pfingsten die wenig abwechslung brachten im kindlichen jahre und blasser im gedächtnis blieben – bis zum Advent. Dazwischen war der Dreifaltigkeitstag an dem die nachtwandrer und hellseher geboren werden · die zeit der weinlese und Allerheiligen · das lezte fest vor dem einbruch des nebels und der kälte. Während der Kunfttage gingen wir mit lampen zur frühmette · wo der psalm wiederholt wurde ›Tauet himmel den Gerechten‹ .. und lange wochen waren erfüllt von den erwartungen der nahen Weihnacht.

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Tage und Taten

Heim
HEIM

Noch einmal schau ich auf meiner wandrung im engen viereck die tiefgrünen vorhänge von denen zwei das licht umrahmen und zwei das dunkel: die türen. Eine (die dem licht gegenüber) zwischen zwei weissen götterbildern auf schwarzen säulen. An der vierten mauer die grossen sträusse trockner gräser rechts und links von dem bild · von der decke das hellgoldene kronenlicht mit drei händen deren jede mit drei fingern ... Ich lehne mich an den lauen thonofen und es klingt von unten her die gassenweise der orgel die wir so oft bespottet die aber am herzen nagt.

[Ich bin wieder da]
*

Ich bin wieder da wohin ich im sommer meinen gram getragen. Aber an stelle des grases liegt weisser flaum aus dem schwarze stämme und schwarze äste ragen. Daneben auch kleine sträuche mit den grauen hüllen der vergängnis. Die gruppen der liebesgötter auf plumpen sockeln scheinen viel nackter als zur zeit wo sich hinter ihnen ein bunter fächer auftat .. damals war mein schmerz noch rot. Nun hat er sich milde getönt wie das blau eines himmels im vorfrühjahr.

[Auf dem kaum genässten boden]
*

Auf dem kaum genässten boden fängt es wieder zu[20] stauben an. So sengend ist schon die frühsonne. Indessen wagen rollen und karren rasseln stösst sich die emsige menge auf der gehseite schmalem schattenrand den jedes benützen will. Wie unecht ist dabei der geruch der maiglocken der aus armen körben kommt und störend als wenn die offenstehende kirche dem pflaster etwas mitteilen will von ihrem erhebenden qualm.

Nach dem Wetter
NACH DEM WETTER

Die flieder sind geblichen und ihr geruch verringerte sich · aber laub und gras stehen dichter und dunkler .. der garten ist feucht und kühl und fast von menschen rein. Feiertagsfrühe die mit regen droht. Und während die glocken zusammenläuten träufelt zu dem schon reichlichen am boden neues wachs von den kalten kerzen die auf den maronenbäumen stecken.

Reden mit dem Wind
REDEN MIT DEM WIND

Von der strasse wo dicker staub hinstürmte ging ich langsam den berg hinan. Und der wind blies: du lobst nicht den frischen vollen atem der freie? ›den blassen sehnenden der gelben blütentrauben im rain‹ den bach [21] der bald lallt bald wispert und den vögeln keine antwort schuldig bleibt – ›ich horche gespannt ich glaube menschenstimmen zu hören‹ die hecken weiss vor lauter blüten die wogenden gräser – ›ja auf diesen scheint es dass du weisse schatten gleiten lässest an jenen erschrecken mich die bienen‹ Geh nun! uns für uns allein begreifst du nicht mehr.

[Die heissen hände der sonne]
*

Die heissen hände der sonne erschlafften die blätter nahmen ihnen den glanz und liessen dafür einen grauen überzug wie von staub. Wo erde und grün duften duften sie stärker und sommerlich · und auf die flieder kamen die robinien die zu einem schlafe laden aus dem man kein erwachen wünscht.

[Trotz des beständigen warmen lichtes]
*

Trotz des beständigen warmen lichtes das mitten im herbst an den frühling gemahnt merke ich ein langsames sterben in mir. So auch am heutigen lärmenden aber mir zerstreuungslosen tag. Müde von den vergangenen wachen schlief ich am mittag und kam erst nach der abenddämmerung zu mir. Welche unerklärliche änderung nun? auch ohne den falschen klang zu neuer glocken fühlte ich mich heiler · emporgetragen in einem sanften und reinen schmerz.

Frühlingsfieber
[22] FRÜHLINGSFIEBER

In den schollen der äcker und am rande der bäche haften noch einige schneespuren und von der eintönigen verschleierten ebene fliegen die krähen auf. Weisse wolkenstreifen strecken in den grauen vorjahrhimmel ihre totenhände. Gewichtig und lächerlich · grossen vögeln gleichend drehen sich einige dürre bäume auf einer bergeshalde im winde hin und her.


Die erinnerung an euch goldumrandete wolken – flatternde versprechungen – war verblasst als von neuem warme tage das blut in gefährliche wallung treiben und vom haus zu den hügeln von den feldern zu den flüssen jagen. Die sonnengebadeten höhen verletzen das auge das nur das graue verschlissene laub des vergangenen sommers betrachtet und die nacktheit der blütenbedeckten bäume die noch jedes grüns entbehren. Abends sind diese aber in den dunklen gärten hellblinkende schwankende gestalten ...


Es ist natürlich dass auch einmal die gräber mich zum besuche laden. Zwei derselben sagen mir besonders zu: eines mit breiten edelkiefern die lauchgrüne spitze früchte tragen · ein andres wo eine verschleierte [23] frau seit einem halben jahrhundert die kalte wohnung eines kindes beschüzt.


Nicht sehr fern ist es zu der düstren kleinen kirche auf einen vorsprung in den fluss gebaut deren scheiben und deren inneres zertrümmert sind und wo man ehemals messen las damit ein gewisser heiliger die leichen derer die dort herum ertranken länden lasse. Unter einer reihe von gebogenen verwitterten kreuzhölzern gehe ich ganz nah an den stom und ich ermüde das ohr am gleichmässigen geräusch und am flimmernden spiegel die augen die seit langem die lust verloren sich mit tröstenden tränen zu füllen.


In dieser paarung von müdigkeit und unruhe vereinige ich oft mit verdrehter freude die verschiedenartigsten ausschnitte zu einer landschaft und es scheint mir wenn plötzlich ein zitronengelber schmetterling durch die kahlen farbenlosen gefilde fliegt wie ein jäher entschluss mitten in unbestimmten wünschen und drängen.

Zwei Abende
ZWEI ABENDE

Beschwerlicher nebel verdeckt den himmel von dem das licht kommen sollte und die nächste nähe trotz[24] des rauchigen scheines der laternen so dass die dürren herabhängenden äste einem ins gesicht peitschen wenn man über den grauweissen morschen teppich der strassen geht. Ein scharfer wind schneidet dringt aber nicht bis an die tiefen wurzeln der begierden. Entflieht man dieser verzehrenden und doch nicht betäubenden einsamkeit in einen saal von licht und lust so schweben dieselben unangenehmen bilder vor: etwa das einer katze die auf dem sims eines geschlossenen fensters sitzend in weniger als griffweite draussen einen vogel gewahrt aber nicht erlangen kann und deshalb leise fletscht und wimmert.


Ein hellerer tag ist gekommen. Die scheiben und die giebel erschimmern des nachmittags wie von einem neuen unbekannten metall. In den vorgärten und auf den rasenplätzen liegen die gezackten schneereste wie zobelfelle. Draussen sowol als im zimmer fallen auf einen ganz unerwartete lichtflecke. Tritt man nun durch das säulentor langsam in den abend ein so fühlt man wie der gesamte glanz glauben und stolz wieder-erweckt und auf den beschönigenden kreis unsrer gedanken weist als auf unsren natürlichsten freudenhimmel.

Pfingsten
[25] PFINGSTEN

Wie wir in unsern glücklichsten tagen in freudiger und schmerzlicher spannung den festen entgegensahen so hab ich deiner ankunft geharrt. Im zusammenläuten der glocken hallten einer ganzen jugend träume vom unsäglichen glück. Zutrauliche vögel aber verkürzten im gartenhaus die schleichenden stunden.


Deine nähe und deine ferne sind mir in gleicher weise verhängnis. Ich darf nicht denken dass zwei glühende wangen sich berühren und unsre blicke gegenseitig in unsre abgründe leuchten könnten. Qualen und verzückungen sind die scheinbar so stillen wanderungen durch büsche und reben und oft sehe ich erstaunt auf wie es möglich sei dass in dieser reichen gefälligen landschaft die verzweiflung reife.


Wie nach einem begräbnis kehre ich zu dem verödeten hause und sehe auf den bergen den lezten rauch des scheiterhaufens vom tag der noch mit seinem ganzen leben in mir brennt. Öde sind alle wege und gärten · blutstropfen aber wurden die mohnblumen am rain.


Ich werde dich und alle verlassen müssen sobald das wort gefallen ist das nur im angesicht des todes erträglich wird. Ich erhebe keinen vorwurf. Denn die[26] schönheit fordert wie alle grossen begriffe ihre opfer. Im wirbel der begeisterung werde ich scheiden aus dem strahlenden leben.


Törichte hoffnungen und erwünschte qualen gebieten mir schweigen. Lächelnd wirst du heute gehen · lächelnd wirst du wieder kommen unwissend an welchen schluchten wir gegangen waren. Für den abschied aber fehlt mir die kraft. Ich steige im schon dunkelnden pfad zum hügel hinauf als die wahnsinnigen räder die dich entführen werden heranrollen und während die feurigen augen in die berghöhle eintauchen klingt es wie ein menschlicher hilfeschrei in der nacht.

Ein lezter Brief
EIN LEZTER BRIEF

Du kannst ohne liebe lächeln · doch ich kann nur hassen. Viele menschen mag deine leichte anmut befriedigen · ich kann sie nicht in tausch nehmen für das wort das du hättest finden müssen und das mich hätte retten können. Du redetest einen ganzen sommer lang von den wolgeformten wolken von den rätselhaften geräuschen der wälder und den klängen der ländlichen flöte · aber für das eine wort bist du stumm geblieben. Was ist all deine schönheit all deine begeisterung wenn du dessen unkundig bist? nicht ein wort · minder als [27] ein hauch · eine berührung! du hast gesehen dass ich tag und nacht darauf wartete. Ich konnte es nicht sagen · ich konnte es nur in träumen ahnen · auch hätte ich es nicht sagen dürfen · da du es hättest finden müssen. So träume und handle auf deine weise – uns ist nichts mehr gemeinsam: wenn du mir nahe kommst so muss ich dich hassen und wenn ferne bist du mir fremd.

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Träume

Die Barke
DIE BARKE

Unsere barke tauchte und hob sich ächzend mitten auf dem meer in nässendem sturm. Ich war am steuer hielt es mit krampfender hand meine zähne standen fest auf der unterlippe und mein wille kämpfte gegen das wetter. So trieben wir ein stück selber still im rasenden lärm. Da aber erschlaffte der frost meine finger mein wille lahmte sodass ich losliess. Und die barke sank und die wellen schlugen drüber und wir werden alle sterben.

Zeit-Ende
ZEIT-ENDE

Die meisten menschen hatten im entsetzen die kraft zu leben verloren. Sie lagen zu tausenden in der stadt und auf dem land unfähig dem gedanken an den untergang zu widerstehen. Seit tagen war keine sonne aufgegangen eisige winde fuhren einher und es gurgelte im schooss der erde. Eben geht der lezte zug ins gebirg. Die lichter blinken matt in den schwarzen morgen. Die wenigen insassen sehen sich starr an zittern stumm. Der endliche stoss kommt vielleicht schon vor der ankunft im gebirg.

Tiholu
TIHOLU

Wir waren in jenem besonderen bezirke der unnachlässlichen strafen wo die menschen sind die nicht sagen [30] wollten: o herr! und die engel die sagten: wir wollen. Am orte ihrer qualen lästern sie den ewigen richter und werfen sich in die brust: sie seien grösser als die seligen und verachteten deren freuden. Aber jeden dritten tag ruft von oben eine schrille stimme: Tiholu · Tiholu – es entsteht ein knäuel-artiges gewirr · die verdammten schweigen bewegen zitternd die zähne legen sich platt auf den boden oder suchen sich in den glühenden finsternissen zu verstecken.

Der tote See
DER TOTE SEE

Der ganze boden über den sich ein niedriger verfinsterter himmel dehnt ist mit spärlichem versengtem gestrüpp bedeckt und weite strecken wächst auch dieses nicht einmal. Nackte ungestalte steine kreuz und quer liegend deuten auf einen weg der kein ende zu nehmen scheint. Da taucht in der einöde auf einmal ein dunstumhüllter flacher hügel auf an dessen saum ein verwitterter pfahl mit einem zeiger steht. Da droben muss der tote see liegen. Er ist gewiss schwarz und zäh und von ihm steigt der brenzliche geruch der ringsum wahrnehmbar ist. Meinen einen fuss zieht es hinauf · den andern aber hält ein schmerzliches grausen ab am pfahl vorüberzuschreiten.

Der redende Kopf
[31] DER REDENDE KOPF

Man hatte mir eine thönerne maske gegeben und an meiner zimmerwand aufgehängt. Ich lud meine freunde ein damit sie sähen wie ich den kopf zum reden brächte. Vernehmlich hiess ich ihn den namen dessen zu sagen auf den ich deutete und als er schwieg versuchte ich mit dem finger seine lippen zu spalten. Darauf verzog er sein gesicht und biss in meinen finger. Laut und mit äusserster anspannung wiederholte ich den befehl indem ich auf einen anderen deutete. Da nannt er den namen. Wir verliessen alle entsezt das zimmer und ich wusste dass ich es nie mehr betreten würde.

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Briefe des Kaisers Alexis an den Dichter Arkadios

Arkadios an Alexis
ARKADIOS AN ALEXIS

Wenn ich den schmerz über die trennung von dir schon überstanden so dürfte ich den wechsel aus dem städtischen lärm und glanz in die ruhe dieser kühlen gartenländer nicht bereuen in die deine gnade o grösster und gütigster cäsar mich versezt · wo ich am moos der gesteine dem allmählichen reifen der früchte und dem rollen reichlicher gewässer mich freuen gelernt während die tage in gleichmässiger behaglichkeit vorüberschweifen. Es ist mir eine angenehme müssigkeit geworden den plätzen die ich besonders lieb gewinne namen zu erfinden: die eichen oberhalb des gartens die mich in den ersten stunden meines aufenthalts in Malakoi Potamoi so sehr getröstet nannte ich das wäldchen der morgenröte .. die stelle wo der grade bach durch dunkle tannen ganz von der sonne geschieden ist den trauer-ort der nymphen. Seitdem du o Alexis meinen gesängen beifall gespendet habe ich oft gedacht dass jeder augenblick mir verloren wäre den ich nicht zu deiner freude und zu deinem preise verbrächte.

Alexis an Arkadios
ALEXIS AN ARKADIOS

Wie gern ich dich im palaste behalten hätte nachdem ich dich kaum gefunden und gekannt und welche[34] gründe deine entfernung – denn verbannung darfst du es nicht nennen – veranlasst haben o mein Arkadios das weisst du. Bald hättest du das was du als segen empfingest als bürde fliehen wollen und ich hätte dich vor ränken und gehässigkeiten nicht schützen können der ich selber oft dem grössten zwange unterworfen bin. Hat doch Seleukos erst kürzlich die zahl meiner flötenbläser beschränken wollen und es mir verübelt dass ich in der rennbahn die partei der grünen ergriffe. Deine nänien geliebtester Arkadios die ich überallhin bei mir führe sind mir eine unversiegliche quelle der lust und sie werden mich an dich erinnern bis ich zum beginne der opora in deine abgeschiedenheit dich zu begrüssen eile.

Arkadios an Alexis [2]
ARKADIOS AN ALEXIS

Es war ein böser morgen der mich zu einer marmorsäule des Lysippos führte die den gott des weines und der freude darstellt und in einem mir seither unentdeckten laubgang des lustgartens errichtet ist. Die ausgezeichnetsten werke jenes bildners die ich in der hauptstadt gesehen und von denen einige deine erhabene wohnung schmücken haben mich zwar immer mit staunen und bewunderung erfüllt: niemals aber fand [35] ich ebenmaass starke glieder und zarte rundungen in so wahrhaft göttlicher weise vereinigt und die kunst des Lysippos deuchte mir das höchste geschenk der Himmlischen im vergleich zu der alle – auch die meine – gering und tadelhaft wären. Obwohl ich Polyhymnias und Eratos sanfte vorwürfe zu vernehmen glaubte und das gedächtnis an dein gütiges lob o Alexis mich wieder ermunterte: es war der erste tag meiner tränen in Malakoi Potamoi.

Alexis an Arkadios [2]
ALEXIS AN ARKADIOS

Schweren herzens setze ich dich von einem tode in kenntnis: des Eumenes der am abend der nonen dem gift erlegen ist. Es wurden stimmen laut der jüngling habe sich beim gelage zu schmähungen hinreissen lassen die andeuten dass er sich gegen unser geschlecht feindlich benehmen werde sobald erst die jahre mehr die begierde nach taten als nach gastmahlen in ihm wachgerufen hätten. Seleukos wie die Augusta sahen in seinem tod eine staatliche notwendigkeit: unsere herrschaft bedürfe der ständigen festigung und man solle nicht dulden dass ein uns gefährlicher anhang in der straflosigkeit gedeihe. Sie beharrten beide auf ihrem entschluss obwohl ich ihnen mit flehen abriet und ich den Eumenes weniger wegen der verdienste [36] seiner ahnen als wegen seiner jugend und früheren freundschaft zu uns geschont hätte.

Arkadios an Alexis [3]
ARKADIOS AN ALEXIS

Obwol mir deine botschaft grosse trauer über unsern geliebtesten Eumenes gebracht hat sog ich doch aus jedem deiner worte einen erquickenden tropfen für mein langsames leben in Malakoi Potamoi. Während ich den morgen über meinen schriften und mit meinen gedanken hinbringe besuche ich gegen abend die unabsehlichen obstgärten deren rauhe bewohner mich anfangs mit neugier und scheu betrachtet haben mich aber jezt mit demütigem lächeln grüssen und mir von ihren saftigen früchten anbieten. Ich zweifle nicht dass diese ewig heitere sonne den pflegern der saaten und bäume willkommen sein mag: ich aber bin ihr nun so gram dass ich sie mit den verhüllenden nebeln vertauschen möchte damit ich nicht immer durch den überfluss des einen lichtes an den mangel des anderen – deine erhabene nähe o Alexis – erinnert werde.

Alexis an Arkadios [3]
ALEXIS AN ARKADIOS

Indem ich dich noch bis zum wachsenden mond um geduld bitte mein Arkadios eröffne ich dir dass die ehrwürdige [37] Augusta sich dazu bequemt hat die Heliodora nicht nur von ihrer ägäischen verbannung zu erlösen sondern ihr auch die pforten des palastes wieder zu erschliessen: sei es nun dass die feindlichen gerüchte in der abwesenheit entkräftet wurden sei es dass solche erlesenheit des stammes eine unerwartete milde eingegeben hatte. Auch ich habe keinen grund diese durch bewundernswerte gestalt und erlesenen schmuck gleich ausgezeichnete fürstin nicht mit grösster freude wieder vorm thron zu begrüssen: denn stände es auch unzweifelhaft fest dass sie sich dem mit schätzen überladenen Harmodios für den sagenhaften preis von sieben landgütern hingegeben habe so würde ich doch den makel leichter vergessen weil mir in diesem ausgleich so unerhörter schönheit und so unermesslicher reichtümer fast eine fügung des schicksals zu liegen schiene.

Alexis an Arkadios [4]
ALEXIS AN ARKADIOS

Die stechende hitze und der fieberhafte dunst der stadt werden mir jezt nur dadurch erträglich dass ich schon die stunden zählen kann die mich von Dir und Malakoi Potamoi trennen. Im palast herrscht eine ungewöhnlich bedrückende verlassenheit seitdem die gesandten der steppe-bewohnenden Skythen uns verlassen haben [38] und Seleukos redet mir nur noch von den zinstabellen der kilikischen krämer. Zudem habe ich jezt auch den Hilarios · den lezten unserer ehemaligen freunde aus den augen verloren: es scheint · er widmet jezt seine ganze sorge der Mya und der Mitta · zwei jungen buhlerinnen aus der kleinasiatischen stadt Klazomenai.

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Altertümliche Gesichte

Eine Erinnerung des Sophokles
EINE ERINNERUNG DES SOPHOKLES

Da Antilochos hat sterben wollen und Charilaos nach einer fernen insel gezogen ist werde ich nichts mehr gross und glücklich nennen. Charilaos mein entzücken! Charilaos meine qual! Charilaos mein wahn! ich werde ihn nicht mehr das haupt wenden sehen beim klang eines so süssen namens ... Die wolken haben meinen schmerz begriffen: sie haben mit ihrem dichten schleier die sonnigen gefilde verhüllt über die wir zusammen wandelten und ungezügelte winde antworten auf die rufe einer untröstlichen seele. Da überrascht mich Polidor mitten in meinem weinen lächelt und fragt: wer ist Charilaos? ein junger flötenspieler der bald unter den mädchen von Samos und Trinakria singen und tanzen wird und der dich nur deshalb geliebt hat weil dein weihrauch seiner stolzen knabenhaftigkeit schmeichelte. O harte stimme des Polidor! niemals hat sie unrecht doch wird sie mir helfen meine sehnsucht zu besiegen und meine leier wieder aufzunehmen?.. Haben doch die langen tage an meinen schmerzen nichts ändern können! Erst in den armen des alten wahrsagers habe ich ein wenig ruhe gefunden nach stunden von ängsten und fiebern. Tröste dich! hat er mir gesagt: denn das grosse geheimnis ist dir aufgeschlossen worden .. es liegt weder in den durchdüfteten [42] haaren noch in den gemalten lippen der dirnen von Attika oder Mytilene · und wenn Charilaos leichter ist als ein halm auf dem wasser und unbeständiger als das wasser selbst: erröte nicht deine geheiligten hände vor seinen knieen zu falten und deine gekrönte stirne vor der seinigen zu neigen: Leide um Charilaos! weine um Charilaos! verzehre dich um Charilaos! Eines abends habe ich es erfahren als ich unter der säule eines verlassenen tempels sass und die von plötzlichen himmlischen feuern erhellte bildsäule des gottes der frohen jugend bewunderte: was die ganze grösse der spartischen felder war und der ganze glanz der jonischen gestade.

Altchristliche Erscheinung
ALTCHRISTLICHE ERSCHEINUNG

Die weite basilika füllte sich immer dichter mit den gläubigen und zwischen denen die sich am boden beugten oder an den pfeilern standen drängten sich die neueintretenden scharen. Man erwartete die segnung des knaben Elidius. Er mit seiner sündigen schönheit kniete nun nackt und schlicht und als ob er allein wäre auf dem erhöhten vergitterten chor: die stirne in andacht tief geneigt und in einen mantel von schatten und weihrauch gehüllt. Während in der seitenkapelle sich die oberhirten und priester berieten ob ihm die heiligung [43] zu gewähren sei murmelten weisse gestalten an den altären lange litaneien und das volk schaute und harrte unter stummen gebeten. Da öffnete sich die seitentür und eingeleitet und gefolgt von kindern mit brennenden kerzen trat der erzpriester in vollem ornat heraus und auf seiner mitra und auf seinem vorgereckten finger waren grünglühende edelsteine. Alle hielten den atem an bei seinen ersten schritten. Als er aber auf Elidius zugegangen war und die hand auf dessen haupt gelegt hatte: da brach in den vordersten reihen ein verhaltenes jauchzen los das wie von hundert orgeln anschwoll und weiterwuchs .. es sprengte die türen ging wie ein donner durch unabsehliche pfeiler und durch die unabsehliche menge wo keiner sich mehr hörte und fühlte in einem überirdischen und rasenden jubel.

[44]

Bilder

Mutter Gottes des Cimabue
MUTTER GOTTES DES CIMABUE

Engel stehen im kreis um sie · brüder alle durch die auffällige drehung der nase. Sie die Mutter selbst ist riesengross mit gewährendem und nährendem blick · halbgöttlich aber kaum menschlich.

Ein Quentin Massys
Das frühere Löwener Altarbild
DAS FRÜHERE LÖWENER ALTARBILD

In einer säulenhalle die den blick in eine grünblaue landschaft mit geschlängelten wegen und flüssen gestattet sizt im vordergrunde rechts die Maria in goldbraunem herabwallendem haar in einem weissen kleid mit ganz zartblauer randfärbung und goldnen saumnähten. Auf ihrem schooss trägt sie das göttliche kind das einen kleinen vogel halb zärtlich halb ängstlich an die wange zum kusse hält wobei es mit dem einen auge blinzelt. Die alte frau links in braun-rotem gewand und schwarzer haube bietet dem enkel eine traube an nach der er ohne hinzuschauen den finger streckt. Weiter unten sitzen zwei junge mütter: die eine schlingt ihre hand um den knaben der neben ihr betet und hält einem anderen eine frucht verweisend weg ohne zu bemerken dass er inzwischen gewährung erbittend eine [46] neue hervorgeholt hat. Die beiden knaben über den knieen der zweiten mutter blicken fragend und andächtig in ein buch und ein dritter eilt herbei und hebt glücklich über den fund eine nelke empor. Zu ihren füssen lehnt auf der erde ein ganz kleines mädchen mit einer grossen bunten bibel aus der einige blätter fallen und liest mit seitwärts geneigtem kopf und abgelauschter frömmigkeitsmiene vom verkehrten blatt. Die männer im hintergrund sehen vertrauend und still glücklich auf die ihrigen und aus dem boden spriessen windröschen und dreifarbige veieln.

Schmucktrachten des Dierick Bouts
Das Opfer des Melchisedech
DAS OPFER DES MELCHISEDECH

Der heerführer halb knieend trägt einen waffenrock mit eingepresstem goldnen und grünen rankenwerk und einer umrandung eherner maschen · oberarm und schenkel sind mit enganschliessendem stahlblauem stoff bekleidet in dem goldne punkte eingelegt sind · arm- und beinschienen aus gold · schuhe schwarz und dreieckig spitz · in ledernem goldgelochtem gehenk steckt in holzbrauner scheide ein schmales schwere mit einem eigrossen diamanten als knauf · der mantel blau innen [47] violett-braun umhüllt nur den rücken .. einfache tuchkappe etwa von der farbe der mantelfütterung.

Der priester kniet in dunkelblattgrünem untergewand das über die füsse hinauswallt und weite fallende ärmel hat · oberarm und brusttuch aus goldstickerei mit dunkelviolettem blattwerk und perlen umrahmt · der tiefblaue purpurn gefütterte mantel ist mit ovaler spange zusammengehalten in der drei verschiedenfarbige steine sitzen · der hut spitz-zulaufend oben geschlizt und in einen kleeblattförmigen knoten endend bedeckt den hinterkopf wird von einer krone umlaufen und hat am stirnaufschlag einen grossen rubin im perlenkreis.

Der Manna-Regen
DER MANNA-REGEN

Der eine fürstliche manna-sucher kniet vorgebeugt in weissem untergewand wo blumen von gleicher farbe eingewirkt sind und das in braun-violetter borte und ganz wenig geschlizten ärmeln endet · das dunkelblaue obergewand mit gelber fütterung und gelben aufschlägen ist durch ein weisses seil geschürzt und lässt die hellroten schuhe sehen · die platte schwarze mit braunem pelz umgebene mütze hat auf der oberfläche eine gelbe raupe und auf der vorderseite (im pelz) ein perlendreieck.

[48] Dahinter steht eine frau in purpurnem am hals ausgeschnittenem langem seidengewand unter dessen saum aus gezackten goldnähten die fussspitzen kaum hervorschauen · es hängen ihr – wahrscheinlich vom gürtel herab – bis zum knie nebeneinander streifen vom stoffe des gewandes mit goldnen nähten und fransen versehen · brust und schultern umschlingt ein dunkelgrüner überwurf doch so dass ein teil des unterkleides sichtbar bleibt · ihr kopfputz ist ein weisser turban-artiger wulst und von einem ohr unter dem kinn her zum andern ein tuch das gleichfalls weiss ist.

Eine Pietà des Böcklin
EINE PIETÀ DES BÖCKLIN

Farbe hintergrund erwecken schon namenlose trauer ehe man noch das dunkel-verhüllte haupt der Madonna gewahrt die sich über den sohn geworfen der ausgelitten. Wie ihre eine hand in seinen toten arm greift · ihre andere in seine gereckten haare! Ein bläulicher tönung-schleier macht den grau-grünen leib und die bahre (den rechteckigen grünen marmoruntersatz) mit den violetten rosen und den scharfen rinnen der verwitterung zu möglichkeiten. Nackte kinder mitleidig neugierig sehen aus den niedern wolken und eines rotumkleidet schnellt herab · beinah streng wie ein befehl Gottes der den übergrossen schmerz missbilligt.

Nach radierten Skizzen von Max Klinger
Wanderers Ende
WANDERERS ENDE

Ein müder mann der den winterlichen pass überschreiten wollte und sich hoch im gebirg verirrt hat ist an einer felswand hingesunken · das schmerzliche haupt und den arm in den weichen schnee gebettet · den dürftig gekleideten körper den winden preisgebend. Unter ihm liegt sein stab und ein geier schielt ihn an ob er zum frasse reif ist.

Siesta
SIESTA

In einem farblosen grasplatz mit einfachem baumhintergrund der weisse ausguss einer weiblichen gestalt in weitem langem gewande. Sie ist voll hingestreckt – fast eines mit dem boden – ihr linkes auge ist geschlossen ihr rechtes richtet sie auf eine blume die ihr zarter finger unbewusst ausgerissen hat.

Dolce far niente
DOLCE FAR NIENTE

Bewacht von der grossen katze der langeweile sizt sie vor einem tapetenhimmel in einer hängematte die an einen baum voll heller fingerhut-blüten geknüpft ist – sie aus gewohnheit geschmückt und in vergnügungsloser erwartung dessen was kommt.

[50]

Lobreden

Mallarmé
MALLARMÉ

Den jähen aufstrich in handbewegung stimme und (lächeln wir!) selbst in der bezeichnenden haarlocke und den endhaken der schrift · beinah schüchternes rückhalten und andrerseits bezaubernde höflichkeit die die neigungen und dauerndes verehren erobert · gewisse leicht britannische arten mit dennoch dem eifer eines gläubigen für seine sache: der mann Stéphane Mallarmé.

Hat der dichter sein ganzes leben lang an den windungen seines irrgartens gearbeitet aus denen kein besucher den rückweg finden kann? sich in einem unersteiglichen spitzenturm verschlossen zum scherze der lacher zum achselzucken der gewissenhaften? sind sie nur eine spielerei die zusammenstellung tönender silben und die schweren glitzernden satzgefüge?


Dann kniet das Volk und ihre mutter steht ..


Mir war ich säh die fee im strahlenhut ..

Ich bringe dich das kind aus einer Idumäer-nacht ..
Wie eines kaiserkindes kriegerhelm
Aus dem um dich zu bilden rosen sänken ..
Überbild aus meinem angedenken
Weisst du nicht siegreich dich
Zu erheben ..

Der ruhm! den ruhm ich kannte ihn erst gestern · unwidersprechlich ..

[52] Denken wir an jene sinnlosen sprüche und beschwörungen die von unbezweifelter heilkraft im volke sich erhalten und die hallen wie rufe der geister und götter · an alte gebete die uns getröstet haben ohne dass wir ihren inhalt überlegt · an lieder und reime aus grauer zeit die keine rechte klärung zulassen bei deren hersagung aber weite fluten von genüssen und peinen an uns vorüberrollen und blasse erinnerungen auferstehen die wie schmerzhafte schwestern uns schmeichlerisch die hände geben.

Wir wissen auch noch welchen starken eindruck die schriften der Byzantiner und Spätlateiner in uns hinterliessen und der kirchenväter die sich nicht enthalten konnten ihre bereuten sünden in schillernden farben darzustellen · wie wir in ihrem unterjochten zerquälten stil das pochen und zucken unsrer eigenen seelen mit genugtuung herausfühlten und wie manchmal die schwergeborenen verse des heissblütigen Ägypters die mänaden gleich jagen und brausen uns vor denen des alten Homer mit wollust erfüllt. Jeden wahren künstler hat einmal die sehnsucht befallen in einer sprache sich auszudrücken deren die unheilige menge sich nie bedienen würde oder seine worte so zu stellen dass nur der eingeweihte ihre hehre bestimmung er kenne .. klangvolle dunkelheiten sind bei Pindar Dante und manche bei dem klaren Goethe.

[53] Aber hat der meister nicht auch deutlich greifbare bilder gegeben?

Die Seiten mit der herbstklage dem winterschauer und der verehrung für ein trübes heim ... Die biblische wildheit der Herodias die in verrufenen nächten mit fliegendem haar in den gemächern auf und ab geht · dann in einem spiegel ihren mattbraunen nackten leib beschaut nur mit einigen singenden edelsteinen geschmückt.


. . . . . . . . . und ich entblättre

Wie überm bronnen dessen strahl mich aufnimmt

Die bleichen lilien die in mir sind ..


. . . . . . . . . . . . O Spiegel

Wasser durch leid im rahmen eingefroren

Wie oft und während stunden in verzweiflung

Erschien ich mir in dir ein ferner schatten ..


Verkünd dass wenn der laue sommerazur

Für den die frau zuweilen sich enthüllt mich

In meiner sternenkeuschheit zitternd sieht

Ich sterbe ..


Oder den Nachmittag des Faunen· voll vom geruche der sommererde und des sommerwassers · von heissem unbewegtem laub und von wesen mit ursprünglich schönen lüsten die sich am schwellenden busen einer allmutter ihre strotzende kraft holen.


[54]

Wenn ich der trauben klarheit ausgesogen .. lachend

Zum sommerhimmel auf den leeren rappen hebe

Und in die lichten häute blase ..


Zu meinen füssen schläferinnen

Allein mit ihren armen sich umschlingen –

Ich raube sie und ohne sie zu lösen fliege

Zu diesem dickicht ..


Wild entzücken

Der heilgen nackten bürde die entgleitet

Um meiner lippe brennen zu entfliehn!


Den weisen der die geheimen kräfte kennt und daraus den lebenerweckenden trank bereitet darf man nicht anschulden wenn der lehrling der durch die spalte gelauscht die heiligen handgriffe ungeschickt wiederholt und mit seinem brau die erschlaffung und den tod herbeiführt.

Deshalb o dichter nennen dich genossen und jünger so gerne meister weil du am wenigsten nachgeahmt werden kannst und doch so grosses über sie vermochtest · weil alle in sinn und wolklang nach der höchsten vollendung streben damit sie vor deinem auge bestehen: weil du für sie immer noch ein geheimnis bewahrst und uns den glauben lässest an jenes schöne eden das allein ewig ist.

Verlaine
[55] VERLAINE

Das sokratische haupt mit der übermässigen gebuckelten stirne · unter den langgezogenen brauen träumende und tierhaft begehrliche augen · gutmütige barsche laute zu bewegungen die selbst in schwachheit und elend des adels und der einfalt nicht entbehren: sie sind des mannes der in jeder erhebung zittert und in jeder sünde brennt.

Nach seinen ersten Saturnischen Gedichten wo der jüngling in persischem und päpstlichem prunke sich berauscht · aber noch gewohnte parnassische klänge spielt · führt er uns in seinen eigenen rokokogarten der Galanten Feste wo gepuderte ritter und geschminkte damen sich ergehen oder zu zierlichen gitarren tanzen · wo stille paare in kähnen rudern und kleine mädchen in versteckten gängen lüstern zu den nackten marmorgöttern aufblicken. Über dieses leichte lockende Frankreich aber haucht er eine nie empfundene luft peinigender innerlichkeit und leichenhafter schwermut.


Wenn sie in sanften tönen auch besingen

Der liebe siege und das heitre sein:

Will ihnen rechte freude nicht gelingen

Und ihr gesang verschmilzt im mondenschein.


[56]

Der alte faun aus grauem thone

Sieht aus dem gras mit lüsternheit

Er profezeit uns zweifelsohne

Ein trübes end auf heitre zeit ..


Im alten einsamen park wo es fror

Treten eben zwei schatten hervor.


Was aber ein ganzes dichtergeschlecht am meisten ergriffen hat das sind die Lieder ohne Worte – strofen des wehen und frohen lebens .. hier hörten wir zum erstenmal frei von allem redenden beiwerk unsre seele von heute pochen: wussten dass es keines kothurns und keiner maske mehr bedürfe und dass die einfache flöte genüge um den menschen das tiefste zu verraten. Eine farbe zaubert gestalten hervor indes drei spärliche striche die landschaft bilden und ein schüchterner klang das erlebnis gibt. Wir erinnern uns dass wir keines wortes mächtig von diesen weisen erklingend durch die strassen und felder gingen in einem beengenden schmerzens- und sprengenden glücksgefühl.


Ich ahne hinter leisem geraun

In feinem umriss alte stimmen

Und durch ein tönereiches glimmen

Bleiches lieb – ein neues morgengraun.


[57]

Wir müssen – siehst du – uns versöhnlich einen

So können wir noch beide glücklich werden.

Und trifft auch manches unglück uns auf erden

Sind wir doch immer – nicht wahr? zwei die weinen.


Im schwarzen grase

Kobolde gehen

Man meint die winde

Weinen im wehen.


Dann das buch der Weisheit · der reue und der himmlischen liebe .. nach wilden fahrten erwacht die sehnsucht nach knabenhafter reinheit · der drang sich vor dem heiligen in den staub zu werfen · die glühende hingabe an ein denkbild. Hier liegt etwas von der christlichen brunst der ordensväter und auch hier zeigt die maasslosigkeit die echtheit der liebe. Doch während der verzückungen des beters dringen in die friedliche kapelle hie und da wieder die lichter des bunten und lauten tages:


Vermummter guter reiter auf dem stillen rosse

Das unglück traf mein altes herz mit dem geschosse.


Mein gott du hast mit liebe mich verwundet

Ich fühle noch wie diese wunde zittert

Mein gott du hast mit liebe mich verwundet ..


[58]

Schlingt dieses gestern unser schönes morgen

Und ist noch unterwegs der alte wahn?


Heilshände! hände die weihen

Hebt euch auf zu verzeihen!


Und daneben und dahinter blätter mit niedern wirklichkeiten kindlichem lallen zweideutigen scherzen! – dann wieder das spiel sich lösender klänge verbleichender farben verschwimmender linien: die bücher vom Guten Liede · von Einst und Jüngst von Liebe von Gleich und Gleich von Glück ... aber meister schweige nun! wir haben noch so viel zu lauschen.

Jean Paul
[59] JEAN PAUL

Von einem dichter will ich euch reden einem der grössten und am meisten vergessenen und aus seinem reichen vor hundert jahren ersonnenen lebenswerk einige seiten lösen von überraschender neuheit unveränderlicher pracht und auffallender verwandtschaft mit euch von heute damit ihr wieder den reinen quell der heimat schätzen lernet und euch nicht zu sehr verlieret in euren mennigroten wiesen euren fosfornen gesichtern und euren lila-träumen ..

Wenn es seiner hohen zeitgenossen befriedigung war empfundene und geschaute wirklichkeiten deutlich wiederzugeben so war es Sein heiliges streben den zauber der träume und gesichte zu verbildlichen .. wenn andere mit der worte klarheit und richtigkeit siegten so hat Er mit der worte verschwindend zarten abschattungen gewirkt · über ihren geheimnisvollen unsichtbar rauschenden und anziehenden unterstrom aufschlüsse gegeben und zuerst – ein vater der ganzen heutigen eindruckskunst – die rede mit unerwarteten glänzen und lichtern belebt mit heimlichen tönen mit versteckten pulsschlägen seufzern und verwunderungen.


Ich war an die fünfte säule auf den obersten stufen eines griechischen tempels gelehnt dessen weissen fussboden die gipfel taumelnder pappeln umzingelten – und die gipfel von eichen [60] und kastanien liefen nur wie fruchthecken und geländerbäume wallend um den hohen tempel und reichten dem menschen darin nur bis ans herz.


O wenn ein erdenmensch in einem traum durch das Elysium gegangen wenn grosse unbekannte blumen über ihm zusammenschlagen wenn ein seliger ihm eine von diesen blumen gereichet hätte mit den worten: ›Diese erinnere dich wenn du erwachst dass du nicht geträumt‹ wie würde er schmachten nach dem elysischen lande so oft er die blume ansähe!


Da sanken vor uns lichte schneeperlen wie funken nieder · wir blickten auf und drei goldgrüne paradiesvögel wiegten sich oben und zogen unaufhörlich einen kleinen kreis hintereinander her und die fallenden perlen waren aus ihren augen oder ihre augen selber.


Da begann die lallende zunge aus orgeltremulanten durch die öde stille den seufzer des menschen anzureden und der wankende ton wand sich zu tief in sein weiches herz.


Er sah nie einen so reinen schnee des augapfels um die blaue himmelsöffnung die weit in die schönere seele ging und wenn sie das auge in den garten niederschlug stand das grosse verhüllende augenlid mit seinen zitternden wimpern ebenso schön darüber wie eine lilie über einer quelle.


Er weinte nicht aber konnte doch nicht mehr sprechen · ihre zwei herzen ruhten verknüpft ineinander und die nacht umhüllte schweigend ihre stumme liebe und ihre grossen gedanken.


Wenn oft ein undurchdringliches gestrüpp uns den weg durch den anmutigen duftenden garten mühsam[61] macht: wenn ganze seiten von wunderlichen zusammenstellungen und maasslosen abschweifungen uns erschrecken so sollen wir uns zurückrufen dass der dichter zur zeit des zopfstils gelebt hat den Er allein im welt-schrifttum vertritt · zur zeit in der man die edlen formen mit lächerlichen anhängen hässlichen schnörkeln und überflüssigen zierraten versah und wenn mitten im trauten gespräch der liebenden ihr des schlummernden vaters rohes gelalle hören und mitten in einem erhabenen sternen-chore bis auf die minute erfahren müsst wann der mond aufgeht: so ist dies ein jäher rückruf · der peinliche unvermeidliche schlag den der dichter sich und euch wiedergibt so wie ihn seine hehre seele in all den kleinen städten an all den kleinen höfen vom niederen leben empfing.

Doch um wieviel öfter bleiben wir erstaunt und beschämt stehen vor einem so zarten empfinden einer so frauenhaften aufmerksamkeit einem solchen reichtum der gefühle · besonders da wo es ihm gelingt – entgegen dem beispiel der gleichaltrigen – herzlich und zugleich fein zu sein: traulich aber nicht derb weich aber nicht verschwommen.

Wie hat er noch den wald gesehen das kindliche tal und die einfachen blumen! wie hat er noch der vögel sange lauschen können · mit welcher kühnheit und mit welch frommem schauer ist er durch die unermesslichkeiten [62] durch räume voll sonnen monden erden geschwebt! wie hat er noch den mai genossen von seinem ersten kühlen windrauschen an bis zur himmlischen trunkenheit und verzückten auflösung im warmen blüten-meere!

Und sind sie nicht alle etwas von unserem fleische: seine wesen in denen wir nur die kämpfenden und sich versöhnenden teile der eigenen seele sehen · die ohne grosse täter zu sein unendlich sinnen und unendlich leiden · die zwischen dem flötenspiele zarter jünglinge und dem rosigen welken zarter mädchen hin und her ziehen vom stillen Lilar zum lauschigen Blumenbühl?

Sei aber nicht gesagt dass es in seinen werken an heftig ergreifenden auftritten fehle! wie Lindas verderben · Emanuels entschlummern · Vults abschied von Walt und der grössten und rührendsten einer: Albanos wahn genesung und reise mit einem beinah heldengeschichtlichen abschluss.

Wenn Du höchster Goethe mit Deiner marmornen hand und Deinem sicheren schritt unsrer sprache die edelste bauart hinterlassen hast so hat Jean Paul der suchende der sehnende ihr gewiss die glühendsten farben gegeben und die tiefsten klänge.

Friedrich Wasmann
[63] FRIEDRICH WASMANN

Vor einigen monaten ist einer unsrer liebenswürdigsten maler im geist der ersten hälfte des jahrhunderts einer unverdienten vergessenheit entrissen worden .. es war dazu nötig dass drunten im südlichen Tirol der nachlass des aus Niederdeutschland gebürtigen künstlers von einem heutigen künstler der ein Norweger ist entdeckt und gesammelt und in einer mit fleiss und opfern hergestellten schönen ausgabe dem deutschen volk zugänglich gemacht wurde.

Das vorliegende buch das mit einer selbst-lebens-beschreibung Wasmanns eine reihe von zeichnungen und gemälden aus den jahren 1828–35 in guten steindruck-nachbildungen enthält und das allein die bekanntschaft mit dem in keiner öffentlichen sammlung vertretenen meister vermitteln kann ist wol von ausgezeichneten kunst-kennern wie Hermann Schlittgen dringend empfohlen worden hat aber in weiteren kreisen die würdigung noch nicht gefunden die es verdient.

Mögen wir auch zugeben dass durch eine gewissenhafte und feine auswahl der wert der angebotenen schöpfungen ungemein erhöht wird und wir minderwertiges gar nicht zu gesicht bekommen so ändert das wenig an unsrer bewunderung für den mann der fern vom markte der ausstellungen fern vom drang der [64] bestellungen schweigend und unbekannt zur zeit des Nazarenertums d.h. der allgemeinen formerstarrung mit der selbständigkeit der auffassung die reinheit der linien mit der vollendeten festigkeit und sicherheit eine keusche wahrhaft rührende anmut verband.

Schon in einer sehr frühen bleizeichnung (bild der mutter des künstlers b. 4) zieht uns eine den zwang der schule durchbrechende eigenart an: in dem männlichen bildnis b. 8 sehen wir die ganze verträumte jugend von damals mit dennoch einer festen und scharfen schönheit .. fast wie ein Rafael wirken die höchst einfachen striche die einen jüngling bilden · wie uns scheint einer von denen die voll von kühnen unschuldigen träumen und von himmlischen erwartungen ihre strasse nach Italien zogen.

Von bezaubernder innigkeit sind die mädchenköpfe s. 28 s. 41 s. 65 s. 132 besonders das zweitgenannte auf getöntem papier .. bei aller kindlichen und jungfräulichen reinheit liegt in diesem antlitz das bedeutungsvoll die augen aufschlägt ein so grosses trauriges verzichten dass wir ganz die jahreszahl vergessen und meinen die neuesten Engländer und Franzosen vor uns zu haben und zwar die besten.

Manche dieser bildnisse sind uns eine enthüllung: so deutlich haben wir noch nie gestalten jenes abschnitts gesehen den man die Romantik nennt · ohne verschwommenheit [65] und verweichlichung die helden Jean Pauls: wir bekommen ein neues bild jener still-glühenden und tiefblauen zeit.

Eine andre seite von Wasmanns kunst zeigen uns die öl-bilder aus einem späteren abschnitt seines lebens mit noch gesteigertem sinn für das wirkliche .. wol müssen wir die farben dazu ersinnen (sie werden eher verschwiegen als leuchtend sein) aber es genügt die haltung jener Alten b. 148 zu betrachten die bei meisterhafter behandlung der gewandung in ihrer behäbigen güte soviel menschliche ewige schönheit mitbekommen hat · oder den etwas geduckt dasitzenden keineswegs liebe-erweckenden menschen s. 153 den ich mir vorstelle mit seinem ledergelben südländergesicht das sich vom etwa blauen sammt des sessels abhebt: es ist darin etwas vom bestreben der Alten Meister die die abschreckende hässlichkeit geistlicher und weltlicher würdenträger so unvergänglich verklärt haben.

Dem maler dem mann von handwerk werden zulezt einige skizzen und entwürfe eine besondere aufmerksamkeit abringen · einige ganz geringfügige dinge mit einer einfachheit und fertigkeit hingeworfen wie es nur die Japaner vermögen: dort ein lamm · dort ein hahn · dort eine ziege.

Die lebensbeschreibung die keine erläuterung zu den abbildungen gibt läuft selbständig als text mit. Sie ist [66] im schlichten ehrlichen manchmal schattierungslosen ton damaliger zeit abgefasst .. dort finden wir aber auch – abgesehen von der teilnahme die das leben dieses merkwürdigen mannes erwecken muss – so feine beobachtungen und einflüsternde wendungen wie sie nur dem grossen schriftsteller gelingen.

So lesen wir in den kinder-erinnerungen: Bald zogen kosakenpulks · lieder in melancholischen molltönen singend in langen zügen über den deich · bald französische reiterscharen · die langsam vorüberreitend und niedergebeugt auf uns kinder die wir sie neugierig anblickten traurig und matt herabsahen · bei der betrachtung einer Medusenmaske stehen die worte: was ich damals nicht verstand ist mir jezt klar und erscheint mir wie ein bild der von Gott getrennten unerlösten natur die wie der blick der schlange das auge des menschen bezaubert die seele erstarren macht und in tödlichen schlaf versenkt · in der Italienreise findet sich der abschluss: Die menschen schienen mir einen wehmütigen zug im gesicht zu haben den ich bis dahin nie gekannt hatte als wären sie auf einer wallfahrt durchs leben begriffen und bewegten selbst mitten im geräusch des tages und bei der arbeit die lippen zu stillem gebet.


Friedrich Wasmann · Ein Künstlerleben · München 1896

Hölderlin
[67] HÖLDERLIN

Wo aber überflüssiger · denn lautere quellen

Das gold und ernst geworden ist der zorn an dem himmel ·

Muss zwischen tag und nacht

Einstmals ein wahres erscheinen.

Dreifach umschreibe du es ·

Doch ungesprochen auch · wie es da ist

Unschuldige · muss es bleiben.


Noch ehe bäche rauschten von den bergen

Und hain und städte blüheten an den strömen ·

So hat ER donnernd schon

Geschaffen ein reines gesetz ·

Und reine laute gegründet.


Die natur ist jezt mit waffenklang erwacht ·

Und hoch vom äther bis zum abgrund nieder

Nach festem gesetze · wie einst · aus heiligem chaos gezeugt ·

Fühlt neu die begeisterung sich ·

Die allerschaffende wieder.


Die tempelsäulen stehn

Verlassen in tagen der not ... namlos aber ist

In ihnen der gott · und die schale des danks

Und opfergefäss und alle heiligtümer

Begraben dem feind in verschwiegener erde.


Beim kampfspiel · wo sonst unsichtbar der heros

Geheim bei dichtern sass · die ringer schaut und lächelnd

Pries · der gepriesene · die müssigernsten kinder.

Ein unaufhörlich lieben wars und ists.


[68] Denn manches mag ein weiser oder

Treuanblickender freunde einer erhellen · wenn aber

Ein gott erscheint · auf himmel und erd und meer

Kömmt allerneuende klarheit.


Immer stehet irgend eins zwischen menschen und Ihm.

Und treppen-weise steiget

Der himmlische nieder.


Wenn aber alltäglich die himmlischen und gemein

Das wunder scheinen will · wenn nämlich

Wie raub titanenfürsten die gaben

Der mutter greifen · hilft ein höherer ihr.


Uns heisst es ein greifbares wunder wenn durch menschenalter nicht beachtet oder nur als zarter erträumer von vergangenheiten plötzlich der grosse Seher für sein volk ins licht tritt. Das sibyllinische buch lang in den truhen verschlossen weil niemand es lesen konnte wird nun der allgemeinheit zugeführt und den erstaunten blicken eröffnet sich eine unbekannte welt des geheimnisses und der verkündung. Mag dies gefahr sein so bleibt doch der trost dass auch fürder unfassbar was nicht erfühlbar ist und dass beim nahen des schicksalaugenblicks das fromme schweigen gebrochen werden darf. Mit seinen anfängen gehört Hölderlin in das jahrhundert Goethes · in seinen späteren zumeist jezt erst zugänglichen oder verständlichen gebilden ist er der [69] stifter einer weiteren ahnenreihe. Die meister der klassik die sein bestes nicht würdigen konnten hatten die schwere aufgabe sich selbst und ihre stammgenossen aus barbarischer wirrnis und triebhaftem gestürme zur hellenischen klarheit hinaufzuläutern. In den bildenden künsten erkannten sie nur den Apollo · vielmehr mussten sie ihn erahnen aus geglätteten nachschöpfungen: an der Flötenspielerin und dem waagehaltenden Jüngling des sogenannten Throns wären sie noch stumm vorübergegangen. Wol waren die Tragiker erschaut · Pindar aber nur eine weile lang und halbwegs und vor einem anderen Plato scheute man sich als dem der begriffe. Dionysos und Orpheus waren noch verschüttet und Er allein war der entdecker. Er bedurfte keines äusserlichen hinweises: ihm half das innere gesicht. Er riss wie ein blitz den himmel auf und zeigte uns erschütternde gegenbilder wie Herakles-Christos: vor seinen weitesten einigungen und ausblicken aber stehen wir noch verhüllten hauptes und verhüllter hände ... Viel war die rede vom liebenswürdigen schwärmer und klangreichen lautenschläger · nicht aber vom unerschrocknen künder der eine andre volkheit als die gemeindeutliche ins bewusstsein rief · noch vom unbeirrten finder der zum quell der sprache hinabtauchte · ihm nicht bildungs-sondern urstoff · und heraushob zwischen tatsächlicher beschreibung und dem zerlösenden ton [70] das lebengebende Wort. Die natur- und vernunfterben des Grossen Umsturzes die ihn den erdfremden hiessen vergassen dass ihre gepriesene erfahrung hinfällig und überflüssig ist für den der mit göttern und mächten im bunde steht. Uns kümmern wenig die berufsmühen des mannes und der krankheitsablauf des greisen: wir sind heil genug um wissen zu dürfen dass jenseits von vernünftig und gesund der dämon seine wirkung tut. Nicht dass sein schmerzhaftes und zerrissenes dasein ein vorbild werde für neue sitte .. denn es gilt höheres. Er ist der er sich selber genannt hat: gruft und tempel zu denen er die künftigen mit kränzen zu wallen lädt. Nicht dass seine dunklen und gesprengten silbenmaasse ein muster werden für suchende vers-schüler .. denn es gilt höheres. Durch aufbrechung und zusammenballung ist er der verjünger der sprache und damit der verjünger der seele .. mit seinen eindeutig unzerlegbaren wahrsagungen der eckstein der nächsten deutschen zukunft und der rufer des Neuen Gottes.

[71][73]

Vorrede zu Maximin

VORREDE ZU MAXIMIN

[73]

Wir hatten eben die mittägliche höhe unsres lebens überschritten und wir bangten beim blick in unsre nächste zukunft. Wir gingen einer entstellten und erkalteten menschheit entgegen die sich mit ihren vielspältigen errungenschaften und verästelten empfindungen brüstete indessen die grosse tat und die grosse liebe am entschwinden war. Massen schufen gebot und regel und erstickten mit dem lug flacher auslegung die zungen der Rufer die ehmals der mord gelinder beseitigte: unreine hände wühlten in einem haufen von flitterstücken worin die wahren edelsteine wahllos geworfen wurden · zerlegender dünkel verdeckte ratlose ohnmacht und dreistes lachen verkündete den untergang des Heiligtumes. Wir waren reif genug um uns nicht mehr gegen die schicksalhafte wiederkehr der notwendigen leiden aufzulehnen: jezt aber schien uns eine seuche zu wüten vor der kein mittel hälfe und die mit der entseelung dieses ganzen geschlechtes endigte. Schon wandten sich einige von uns abseits nach den dunklen bezirken und priesen den wahnsinn selig – andre verschlossen sich in ihre hütten voll trauer oder hass: als die plötzliche ankunft eines einzigen menschen in der allgemeinen zerrüttung uns das vertrauen wiedergab und uns mit dem lichte neuer verheissungen erfüllte.

Als wir Maximin zum erstenmal in unsrer Stadt begegneten stand er noch in den knabenjahren. Er kam uns [74] aus dem siegesbogen geschritten mit der unbeirrbaren festigkeit des jungen fechters und den mienen feldherrlicher obergewalt jedoch gemildert durch jene regbarkeit und schwermut die erst durch jahrhunderte christlicher bildung in die angesichter des volkes gekommen war. Wir erkannten in ihm den darsteller einer allmächtigen jugend wie wir sie erträumt hatten · mit ihrer ungebrochenen fülle und lauterkeit die auch heut noch hügel versezt und trocknen fusses über die wasser schreitet – einer jugend die unser erbe nehmen und neue reiche erobern könnte. Wir hatten allzuviel gehört von der weisheit die das lezte rätsel zu lösen wähnte · allzuviel gekostet von der buntheit der sich überstürzenden erscheinungen .. die unermessliche fracht äusserer möglichkeiten hatte dem gehalt nichts zugefügt · das zu schillernde spiel aber die sinne abgestumpft und die spannungen gelähmt: was uns not tat war Einer der von den einfachen geschehnissen ergriffen wurde und uns die dinge zeigte wie die augen der götter sie sehen.

An der helle die uns überströmte merkten wir dass er gefunden war. Tage um tage folgten wir ihm und blieben im banne seiner ausstrahlung ehe wir mit ihm zu reden wagten – von dann ab begleitete er uns von selber auf unsren pfaden und ohne staunen als gehorche er nur einem gesetz. Je näher wir ihn kennenlernten [75] desto mehr erinnerte er uns an unser denkbild und ebenso verehrten wir den umfang seines ursprünglichen geistes und die regungen seiner heldenhaften seele wie deren versinnlichung in gestalt und gebärde und sprache. Zu andren zeiten erschien er uns als der märchenhafte waise dem die verwunschene unke am teich seine abstammung verraten und ihn zum berger der goldenen krone bestellte. Wir ahnten in ihm ein fremdes das uns nie angehören würde und beugten uns vor dem unfassbaren los das ihn zu einem uns unbekannten ziele führte. Nur manchmal erschreckte bei uns nötig dünkenden fragen eine unheimliche ferne seines blickes · als ob die antwort nicht hier sondern erst auf einem anderen gestirn gegeben werden könne. Uns allen haftete ein schaden an von der fieberluft der sümpfe die wir durchwaten mussten. Wir waren die sieghaften krieger des auszuges: er war zum herrscher erkoren. Er besass alle unsre feinen werkzeuge · aber er hatte sie erworben auf dem gesunden und rechtmässigen weg. Dabei entbehrte er jeglichen anflugs von unbescheidener frühreife und hielt sich in den natürlichen grenzen seines alters. Anmutig und sicher wie jede wendung seines kopfes und jeder griff seiner hände war auch die art wie er mit allen umging .. er bedurfte keiner absonderung von den Barbaren wie wir in früheren jahren · er war zu rein als dass eine berührung [76] ihn hätte beflecken · zu abseits als dass eine nähe ihn hätte treffen können .. er trug sich mit dem unbewussten stolz derer die nie geleugnet oder gedient und mit der unnachahmlichen würde derer die viel gebetet haben. Sein wesen bewegte sogar die unempfindlichen leute des volkes: sie warteten die stunde ab da er vorüberkam um ihn im nu zu betrachten oder seine stimme zu hören. Diese stimme war besonders rührend – am mächtigsten wenn er lobte oder verteidigte oder uns aus den dichtern las und uns überraschte mit einem neuen zauber des tönenden. Dann bezog sich die leichte bräunung seiner haut mit purpur und seine blicke leuchteten so dass die unsren sich niedersenkten. Aber auch ohne dass er sprach und tat: seine blosse anwesenheit im raum genügte um bei allen das gefühl von leibhaftem duft und wärme zu erwecken. Willig gaben wir uns der verwandelnden kraft hin die nur anzuhauchen oder anzurühren braucht um den alltäglichsten umgebungen einen jungfräulichen paradiesischen schimmer zu spenden.

Die mitbürtigen die ihn nicht sahen und die späteren werden nicht begreifen wie von solcher jugend uns solche offenbarung zuteil wurde. Denn so sehr die zartheit und seherische pracht seiner hinterlassenen verse als bruchstücke eines eben beginnenden werkes jedes uns gültige maass übersteigt: er selber lieh ihnen [77] keine besondere bedeutung und das tiefste sei nes wirkens wird erst sichtbar aus dem was unsren geistern durch die kommunion mit seinem geiste hervorzubringen vielleicht vergönnt ist. Allein wir wissen dass nur greisenhafte zeitalter in jugend ausschliesslich vorstufe und zurichtung · niemals gipfel und vollendung sehen – dass mehr in ihrer gestalt als in ihren worten und taten die überdauernde macht der Hehren und Helden liegt und aller Lenzbegnadeten die nur eine weile über die sommerwiese schritten am waldesrand verbluteten oder in dunkler welle versanken um nach oben entrückt zu werden und unvergänglichen namens über allen geschlechtern zu thronen. Wir wissen dass die ungeheuren fahrten die das aussehn unsrer flächen veränderten im hirn des schülers Alexander geplant wurden · dass der zwölfjährige sohn aus Galiläa die schriftgelehrten der hauptstadt unterwies: der herrscher des längsten weltreiches unsrer überlieferung nicht als dreissiger sondern als jüngling auf seiner blumigen bahn die ewigen zeichen fand und als jüngling den tod erlitt.

Das ganze getriebe unsrer gedanken und handlungen erfuhr eine verschiebung seitdem dieser wahrhaft Göttliche in unsre kreise getreten war. Die knechtende gegenwart verlor ihr alleinrecht seitdem sie sich einer anderen richte zu bequemen hatte. In uns kehrte die ruhe wieder die jeden seinen mittelpunkt finden liess[78] und der mut die verworrenen bürden abzuwerfen und zu versenken im einheitlichen meer. Wir fühlten wie geringfügig alle streite der länder · alle leiden der kasten werden vorm dämmerschauer der grossen erneuungstage: wie alle brennenden fragen der gesellschaften in wesenlose finsternis verblassen wenn nach jeder ewigkeit den irdischen sich ein erlöser offenbart. Keiner wird dann mehr das haupt schütteln über eigensüchtige abschliessung die sich um das weh der mitbrüder nicht kümmere: denn der ist der grösste woltäter für alle der seine eigne schönheit bis zum wunder vervollkommnet.

Maximin hat nur kurz unter uns gelebt. Gemäss einem frühen vertrag den er geschlossen wurde er auf einen andren stern gehoben ehe seine göttlichkeit unsresgleichen geworden war. Er zog dem farbigen mannigfachen geschicke des glorreichen sterblings das erhabne stille walten der Himmlischen vor. Schon seine kinderjahre waren angefüllt mit sprengenden jenseitsgefühlen mit dem kampf wider den Unnennbaren. Zu ihm wandte er sich als dem Einzigen mit dem sich zu messen er für wert hielt · ihn bat er um prüfungen und aufgaben und flehte als lohn in seinen sehnsüchtigen nächten um das schauen des heiligen antlitzes. Als er erfahren hatte dass Gott sich solchermaassen nicht eröffnen könne bot er ihm diesen bund an: so zeig dich[79] mir im besten deiner sichtbaren schöpfung! gib mir Leda die geliebte! gib mir den grossen menschen den Meister! und wenn es wahr ist dass hier jeder bau fällt · jede flamme lischt · jede blume welkt: so lass mich einmal auf deine höhe treten und dann von deinem adler schnell entrissen werden!

Und Maximin ging im rauschenden frühling an der hand der geliebten durch die gärten · die betäubenden blüten schwellten sein herz von dank und lust und er sank nieder vor dem kinde das für ihn geschaffen war und das er als engel im eignen spiegel sah. In dieser frist seines vollen erglühens durften wir ihm den hintergrund bereiten · wir deuteten ihm die schauer des erdenruhms an und machten ihn zum heimlichen könig unsrer feiertage. Dies aber war Maximins stolzester abend als er unter langen gesprächen mit dem Meister durch die halbentschlafnen fluren gegangen war und dieser sagte während sich hinter dem schloss eine weinrote wolke erhob: Mein Maximin · was du mir entgelten wolltest ist reichlich zurückgegeben. Mit Einem satze hast du ein quälendes geheimnis gelöst zu dem kein buch und keine rede mir den schlüssel brachte: du hast über grosse eisige flächen nun ein gleichmässiges und wärmendes licht verbreitet. Ich entlasse dich als schüler · nimm mich zum freund! denn immer bleib ich ein teil von dir wie du ein teil von mir. Maximin hing sich in seligkeit [80] an den Meister bevor er antwortete: ich weiss nicht ob ich diese wesen je werde verstehen lernen die aus ihrem wohnsitz sich eine hölle bauen und darüber sich paradiese erfinden .. soweit mein auge reicht seh ich nur glanz · ich habe die ganze brust voll glück und über jedes ende hinaus winkt mir mit goldnen flügeln unsterblichkeit.

Nach diesen tagen der entzückung ging er von einem fiebertraum in den tod – so schnell dass wir nur auf ein gewohnes grab starren konnten · und nicht glauben dass es ihn berge. Wir stürzten nieder in der dumpfen verzweiflung der zurückgelassenen gemeinde · wir wanden uns in sinnlosem schmerz dass wir niemals wieder diese hände berühren dass uns niemals wieder diese lippen küssen dürften. Da drang seine lebendige stimme in uns und belehrte uns über unsre torheit die ihn hier noch zwingen wollte und über den ehernen fug dass in oberstem adel die notwendigkeit der frühen auffahrt liege. Damit gebot er schweigen unsren selbsüchtigen tränen und seufzern und erweckte uns für das neue dasein das wir nun mit ihm beginnen sollten. So steht er vor uns wie wir zulezt ihn sahen: nicht in der eisigen unerbittlichen hoheit des todes sondern in der siegprangenden glorie des festes · geschmückt und mit dem blumenkranz im haar · kein abbild einsiedlerischen duldenden verzichtes sondern der lächelnden und blühenden [81] schönheit. Wir können nun gierig nach leidenschaftlichen verehrungen in unsren weiheräumen seine säule aufstellen uns vor ihm niederwerfen und ihm huldigen woran die menschliche scheu uns gehindert hatte als er noch unter uns war.

[82]

Betrachtungen

Rat für Schaffende
RAT FÜR SCHAFFENDE

Qui si parrà la tua nobilitate.

Dante


Warum die schönheitwidrigen gebräuchlichen formeln: ›Ja sagte X‹ ›Nein versezte Y› ›es war an ...‹ usw. anwenden um dein inneres auszugiessen? denn das ist es ja nur was du willst? kannst du nicht all dein leises sehnen in das lispeln der blumen legen oder in einen feinen mairegen? nicht all deine unbezähmbaren wünsche in eine stürmende nacht ein brandendes seerauschen ein gellendes heulen aus ungelichteten wäldern? das ringen nach unmöglichem auf schwindel-verursachende berggipfel tragen die von den wolken immer noch weit genug sind? das vergebliche des seins und zeugens in jene ziellose graue nebelstrasse und die stolzen unvermeidlichen verzweiflungen in blut und purpur eines sonnenniederganges?

[Der noch einfältige leser regt sich gläubig]
*

Der noch einfältige leser regt sich gläubig an der ›geschichte‹ auf deren lösung er mit spannung entgegeneilt · der mittlere geht nach und spricht von verschiedenen gestalten sogenannten ›charakteren‹ .. der einsichtige sucht in diesen männern diesen frauen die bestrebungen und begierden · in diesen helden diesen bösewichtern die grossen entschlüsse oder die dunkeln winkel einer seele.

Über Dichtung
I [In der dichtung, wie in aller kunst-betätigung]
[84] ÜBER DICHTUNG
I

In der dichtung – wie in aller kunst-betätigung – ist jeder der noch von der sucht ergriffen ist etwas ›sagen‹ etwas ›wirken‹ zu wollen nicht einmal wert in den vorhof der kunst einzutreten.


Jeder widergeist jedes vernünfteln und hadern mit dem leben zeigt auf einen noch ungeordneten denkzustand und muss von der kunst ausgeschlossen bleiben.


Den wert der dichtung entscheidet nicht der sinn (sonst wäre sie etwa weisheit gelahrtheit) sondern die form d.h. durchaus nichts äusserliches sondern jenes tief erregende in maass und klang wodurch zu allen zeiten die Ursprünglichen die Meister sich von den nachfahren den künstlern zweiter ordnung unterschieden haben.


Der wert einer dichtung ist auch nicht bestimmt durch einen einzelnen wenn auch noch so glücklichen fund in zeile strofe oder grösserem abschnitt .. die zusammenstellung · das verhältnis der einzelnen teile zueinander · die notwendige folge des einen aus dem an dern kennzeichnet erst die hohe dichtung.


[85] Reim ist bloss ein wortspiel wenn zwischen den durch den reim verbundenen worten keine innere verbindung besteht.


Freie rhythmen heisst soviel als weisse schwärze · wer sich nicht gut im rhythmus bewegen kann der schreite ungebunden.


Strengstes maass ist zugleich höchste freiheit.

II [Das wesen der dichtung wie des traumes]
II

Das wesen der dichtung wie des traumes: dass Ich und Du · Hier und Dort · Einst und Jezt nebeneinander bestehen und eins und dasselbe werden.


Tiefster eindruck · stärkstes empfinden sind noch keine bürgschaft für ein gutes gedicht. Beide müssen sich erst umsetzen in die klangliche stimmung die eine gewisse ruhe · ja freudigkeit erfordert. Das erklärt warum jedes gedicht unecht ist das schwärze bringt ohne jeden lichtstrahl. Etwas ähnliches meinte man wol früher mit dem ›idealischen‹.


Schönheit ist nicht am anfang und nicht am ende · sie ist höhepunkt ... Die kunst ergreift am meisten in der man das atemholen neuer noch schlafender geister spürt.


[86] Die dichtung hat eine besondere stellung unter den künsten. Sie allein kennt das geheimnis der erweckung und das geheimnis des übergangs.

Über Kraft
ÜBER KRAFT

Vor den zu lebhaften ausbrüchen der kraft im kunstwerk muss man auf der hut sein .. hinter ihnen steht oft gar nicht des empfindens wahrheit und tiefe · sondern nur schwärende unreife oder die anstrengung sich durch die eigenen schreie in etwas einzureden was nicht vorhanden ist. Durch bezwingen dieser ausbrüche zeigt sich wahre kraft. So wird Nietzsches ›schreibe mit blut‹ von vielen missverstanden: ›zeige damit man dich für echt hält ohne scheu die flecke deiner wunden und die zuckungen deiner wollust‹. Diese mögen wir aber gar nicht sehen · denn kunst ist nicht schmerz und nicht wollust sondern der triumph über das eine und die verklärung des andern. Tiefster schmerz deutet sich auch nicht an durch ausstossen von wehlauten auf offenem markt: der kenner der seele aber hört ihn unendlich rührend als seufzer aus einer scheuen einsamkeit. Tiefste wollust gibt sich auch nicht zu erkennen durch anwendung heftiger worte und bilder sondern durch ein lächeln · durch eine zerdrückte träne und durch ein beben. Aus der grösse des [87] sieges und der verklärung fühle man grösse und echtheit der erregung. So dachte gewiss auch Nietzsche · sonst hätte er nicht gesagt: ›schreibe mit blut‹ sondern ›schreibe mit roter tinte‹.

Kunst und menschliches Urbild
KUNST UND MENSCHLICHES URBILD

Unsere lebensfliessung (rhythmus) verlangt ausser uns das urbild das in den vielen menschlichen gestalten oft einzelne züge und zeit- und näherungsweise eine verkörperung findet. Eine andere enklärung gibt es weder für die Dantesche Geliebte noch für den Shakespearischen Freund. Nach der einen wirklichen Beatrice und dem einen wirklichen W. H. zu suchen ist eine spielerei der ausleger.

Die Untergehenden
DIE UNTERGEHENDEN

Sie rühmen sich ihrer dreifachen verderbtheit: der Stadt des Staates und des Stammes. Es sind dies die zersezten menschengefüge die die macht der grossen gefühle und gedanken nicht mehr anders als im spiele ertragen. Ein wunderbar feines inneres gefädel befähigt sie von aussen jede starke schönheit aufzunehmen die ihnen im inneren fremd blieb. Solange sie noch an ihr saugen und solang sie noch jung sind · gelingen ihnen [88] oft gebilde von schmeichelnder süsse. Später schiesst alles in sie ein was ihnen in den weg kommt. Sie sind wie Guercin und Domenichin nach den grossen malern abwechselnd hoch und hohl · verfeinert und albern · fromm und lüstern. Sie haben von den schäferzeiten her das Geschminkte und Verschnörkelte das nur manchmal durch eine totenhafte trauer erträglich wird.

[89][91]

Übertragungen

Stéphane Mallarmé
Winter-Schauer
WINTER-SCHAUER

Diese sächsische stutzuhr die nachgeht und dreizehne schlägt zwischen ihren blumen und göttern · wem war sie gewesen? Denk dir dass sie aus Sachsen gekommen ist in langen postfahrten · ehemals.

(Seltsame schatten hängen an den verbrauchten scheiben)

Und dein venezianischer spiegel tief wie eine kalte quelle · in einem ufer von verblassten wappenschlangen · wer hat sich darin betrachtet? ah! ich bin sicher dass mehr als eine frau in diesem wasser die sünde ihrer schönheit gebadet hat: und vielleicht säh ich ein nacktes gespenst wenn ich lange schaute.

– Böser · du sagst oft garstige dinge.

(Ich erblicke spinnweben oben an den grossen fenstern)

Unsre truhe auch ist sehr alt · die verloschenen vorhänge sind aus derselben zeit · die glanz-entblössten polster der sessel und die vorelterlichen kupferstiche an den wänden und all unser wunderliches gerät! scheint es dir nicht auch dass sogar die bengali und der blaue vogel mit der zeit abgefärbt haben?

(Sinne nicht über die spinnweben die oben an den grossen fenstern beben)

Du liebst alles das · und das ist der grund weswegen ich bei dir leben mag.

[94] Hast du nicht gewünscht · meine schwester mit dem blick von ehedem · dass in einem meiner gedichte die worte vorkämen: ›der reiz der verwelkten dinge?‹ Die neuen gegenstände missfallen dir · dir auch machen sie angst mit ihrer schreienden anmaassung und du würdest das bedürfnis fühlen sie abzunutzen – was schwer ist für solche die die tätigkeit nicht lieben.

Komm · schliess deinen alten deutschen kalender den du mit aufmerksamkeit liesest · obgleich er vor mehr als hundert jahren erschienen und die könige die er aufweist alle tot sind. Auf den altmodischen teppich gelagert · das haupt auf deine barmherzigen kniee gestüzt in dein mattes kleid · o stilles kind · werd ich stundenlang mit dir reden. Es gibt keine felder mehr und die strassen sind leer · ich werde dir von unsren möbeln reden .. du bist zerstreut?

(Diese spinnweben frösteln oben an den grossen fenstern)

Louis Bertrand
Vorbemerkung
EINLEITENDE SÄTZE BEI DER ERSTEN VERÖFFENTLICHUNG IN DEN BLÄTTERN FÜR DIE KUNST

Wir begnügen uns mit diesem hinweis auf das seltene wenig gekannte buch das ehemals Baudelaire zu seinen Prosa-gedichten anregte und das vielleicht eins der liebenswürdigsten ist die die ganze französische romantik hervorgebracht. Die drei – nach abschrift – übersezten teile sind die vorrede an Victor Hugo und zwei stücke des ersten abschnitts Haarlem. ›Das wunderbare puppengemälde das die ganze flämische schule umfasst · Haarlem gemalt von Jan Breughel · Pieter Neefs · David Teniers und Paul Rembrandt.‹

An Victor Hugo
[98] AN VICTOR HUGO

Der ruhm weiss nichts von meinem unbekannten haus ·

Ich singe ganz allein mein trostlos lied ·

Es hat für mich nur reiz.

Ch. Brugnot


Das zierliche buch deiner verse wird wie heute so noch in hundertjahren der gehegte schatz der schlossfrauen und -fräulein und der minnesinger sein · eine blütenlese der ritterlichkeit · ein dekameron der liebe der die edlen mussestunden der herrenhäuser entzückt.

Aber das kleine buch das ich dir widme wird dem los alles sterblichen verfallen · nachdem es vielleicht eines morgens hof und stadt belustigt hat die mit so geringfügigem sich belustigen.

Wenn es dann einem buchliebhaber einfällt dies verfaulte und wurmstichige werk auszugraben so wird er auf der ersten seite deinen erlauchten namen lesen der den meinen keineswegs vorm vergessen retten wird.

Seine neugierde wird den gebrechlichen schwarm meiner geister befreien den schlösser aus vergoldetem silber lange in einem pergament-gefängnis fest hielten. Und für ihn wird das ein nicht weniger köstlicher fund sein als für uns ein sagenbuch mit gothischen lettern das als wappen ein einhorn mit zwei störchen trägt.

Der Tulpenhändler
[99] DER TULPENHÄNDLER

Die tulpe ist unter den blumen was der pfau unter den vögeln ist. Die eine ist ohne duft · der andere ohne stimme · die eine ist stolz auf ihr kleid · der andere auf seinen schweif.


Kein geräusch ausser dem knittern der pergamentblätter unter dem finger des doktors Huylten · der von seiner mit gothischen maiereien besäten bibel nur die augen abwandte um das gold und den purpur zweier fische an den feuchten wänden einer glasglocke zu bewundern.

Die türflügel rollten: es war ein blumenhändler der die arme mit mehreren tulpentöpfen beladen sich entschuldigte dass er eine so gelehrte persönlichkeit im lesen unterbräche.

›Meister‹ – sagte er – ›hier ist der schatz der schätze · das wunder der wunder: eine zwiebel wie sie jedes jahrhundert nur einmal im schlosse des konstantinopolitanischen kaisers blüht.‹

›Eine tulpe‹ rief der alte mann erzürnt! ›dieses sinnbild des hochmuts und der prasserei die in der unglücklichen stadt Wittenberg die schrecklichen ketzer erzeugt haben.‹

[100] Meister Huylten hakte das schloss seiner bibel ein · legte seine brille ins futteral · zog den fenstervorhang zurück und in der sonne erschien eine passionsblume mit ihrer dornenkrone · ihrem schwamm · ihrer geissel · ihren nägeln und den fünf wunden Unsres Herrn.

Der tulpenhändler verbeugte sich ehrfürchtig und schweigend · durch einen forschenden blick des Herzogs Alba verwirrt dessen bild – ein meisterwerk Holbeins – an der wand hing.

Der Goldmacher
DER GOLDMACHER

Unsere kunst lernt sich auf zwei arten · will sagen durch den mündlichen unterricht eines meisters oder durch göttliche eingebung und offenbarung oder endlich durch die bücher welche gar dunkel und verwickelt sind · und um in selben sinn und wahrheit zu finden heisst es klug geduldig fleissig und wachsam sein.

(Der schlüssel zu den geheimnissen der weisheit von

PETER VICOT)


Noch nichts! und vergebens habe ich drei tage und drei nächte lang bei dem bleichen scheine meiner lampe die versiegelten bücher des Raymund Lulle durchblättert.

Gar nichts – ausser zum pfeifen der kolbenflasche das spöttische gelächter eines molches der sich ein vergnügen daraus macht meine betrachtungen zu stören. [101] Bald hängt er an ein haar meines bartes einen funken bald schiesst er aus seiner armbrust einen feuerstreifen auf meinen mantel.

Oder er puzt seine rüstung · und dann bläst er die herdasche auf mein papier und in mein tintenfass.

Aber noch nichts! und drei weitere tage und nächte werde ich bei dem bleichen scheine meiner lampe die versiegelten bücher des Raymund Lulle durchblättern.

John Ruskin
Vorbemerkung
VORBEMERKUNG

Die beiden folgenden stellen aus der grossen schönheitslehre John Ruskin's werden hier zu übertragen versucht als meisterstücke malender und leidenschaftlicher rede. (Bl. f. d. K. 3. F. 4. B.)

Einleitung zur zweiten Ausgabe der Modern Painters
EINLEITUNG ZUR ZWEITEN AUSGABE DER MODERN PAINTERS

Man kann sich vielleicht keine eindrucksvollere schau denken auf erden als die einsame weite der römischen Campagna in abendbeleuchtung. Denke man sich einen augenblick den klängen und bewegungen der lebenden welt entrückt und allein in diese wilde und brache ebene versezt zu sein. Die erde gibt nach und zerkrümelt sich unter den füssen · trete man noch so leicht auf · denn ihr grund ist weiss hohl und zerfressen wie das staubige überbleibsel menschlicher gebeine. Das knotige lange gras weht und wendet sich schwach im abendwind hin und her und die schatten seiner bewegungen schütteln sich wie im fieber an den trümmer-wällen die sich zum sonnenlicht erheben. Hügel von modernder erde schwellen ringsherum an als ob die toten drunten im streit wären und gleichsam um sie niederzuhalten liegen zerstreute viereckige blöcke von schwarzem fels darauf · [104] reste mächtiger gebäude von denen kein stein auf dem andren geblieben ist. Ein schwerer purpurner giftiger dunst dehnt sich flach über die wüste hin · verhüllt ihre geisterhaften wracke massiger trümmer in deren risse das rote licht bleibt wie sterbendes feuer auf entweihten altären und der blaue rücken des Albanerberges hebt sich in den feierlichen raum eines grünen klaren stillen himmels. Wachttürme dunkler wolken stehen unverrückt an den vorgebirgen der Apenninen. Von der ebene zu den bergen hin zerschmelzen die eingerissenen wasserbauten · pfeiler nach pfeiler · in der finsternis wie verhüllte zahllose schaaren von leidtragenden die vom grab eines volkes daherkommen.

Aus dem vierten Band der Modern Painters
AUS DEM VIERTEN BAND DER MODERN PAINTERS

So kann ich kaum worte finden um das innige vergnügen auszudrücken das ich empfinde wenn ich nach langem aufenthalt in England wieder den turm der alten Calais'er kirche vor mir sehe. Seine weite verlassenheit · seine edle unscheinbarkeit · die so sichtlich aufgeschriebene geschichte seiner jahre ohne jedoch ein zeichen von schwäche und verfall – seine strenge öde und düsterheit weggeleckt durch die sundwinde[105] und überwachsen mit bitteren seegräsern · seine leien und ziegeln all erschüttert und zerrissen und doch nicht fallend · sein verlassenes backsteinwerk voll bolzen löchern und hässlichen spaltungen und dennoch stark wie ein nackter brauner felsen · seine gleichgültigkeit gegenüber dem was man für ihn fühle · über ihn denke – keinen anspruch erhebend · ohne schönheit wünschbarkeit stolz oder anmut und doch niemals das mitleid anrufend · nicht wie ruinen sind · nutzlos und kläglich schwach und gern von besseren tagen schwatzend sondern noch nützlich · sein täglich werk verrichtend · wie ein alter im wetter ergrauter fischer der noch immer seine netze wirft ... so steht er ohne klage über seine vergangene jugend in gebleichter und magerer festigkeit und dienlichkeit · führt menschliche seelen unter sich zusammen · die töne seiner glocken rollen noch zum gebete durch seine risse und der graue giebel wird noch weit draussen im meer erblickt · der höchste der drei die sich über die weite von brandendem sand und hügeliger küste erheben – der leuchtturm fürs leben · der läut-turm zur arbeit · und in dieser zur andacht und geduld.

Waclaw Lieder
Einleitung der Gesamt-Ausgabe
EINLEITUNG DER GESAMT-AUSGABE

Dies sind jahre monate und stunden die in regelmässigen reihen sich ansammeln um mit festlichen worten für alle zeiten zeugnis zu geben von unserem erdenwandel. Uns führte von einem wegesend zum andern ein unscheinbarer stern und dieses sternes name ist betrachtung. Eben am andern ende stehen bleibend lenken wir unsre augen zurück nach den gefilden durch die wir gezogen sind. Dieselbe sonne des herbstes welche uns einst auf reisen entsandte drückt auf unsere stirnen den abschiedskuss. Und bei der sechsten abendstunde welche die stunde unsres anfangs war: und bei zwei heiligen herzen · den elterlichen: nicht war unser dasein der erde lästig gewesen. Wenn wir es nicht erreicht haben mehr gutes zu vollbringen so war es das eine: Gott versah uns nicht mit grösseren kräften gutes zu vollbringen. Aber so wie unser dasein der erde nicht lastend war so soll auch die erde unsre asche nicht bedrücken.

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Gesamtausgabe der Werke. Tage und Taten. Aufzeichnungen und Skizzen. Tage und Taten. Aufzeichnungen und Skizzen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-CAE2-0