[190] An Herrn Frhrn. von Lauer

Auch ich, o Freund, hab' auf dem Lande mir
Mit meinem letzten Deut ein kleines Ohnesorge
Zurecht gebaut. Mein Leben gleichet hier
So ziemlich meiner Nachbarin, der Zorge. 1
Zwar kennt man ihren Namen schon nicht mehr,
Betritt ein Wanderer nur Schwarzburgs nahe Grenzen,
Zwar drückt kein Schiff mit Kaufmannsgut sie schwer,
Zwar sieht man kaum im Mondenschein' sie glänzen.
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Auch geht nur der an ihren Kieselstrand,
Wer sanftes Rauschen liebt von felsenvoller Welle,
Und Freud' am Spiel' mit ihren Kindern fand,
Dem trägen Krebs, der lustigen Forelle.
Doch wuchs durch sie schon manche Weide groß,
Und gab dem armen Lamm' im Pelze, kühlen Schatten;
Und Wiesen trugen Klee durch sie, die Moos
Und Disteln sonst und Dorn getragen hatten.
So weiß von mir kein Wort die nächste Stadt,
So drückt nicht Lein und Korn und Wolle meine Speicher,
Und die zu Bettlern viel' gestickt schon hat,
Lion, wird durch mein Kleid gewiß nicht reicher.
Doch mancher Jüngling scheut durch mich den Schlag
Des Stärkern nicht, mit ihm für Unschuld Kampf zu wagen;
Und liegt, durch mich, nicht da, wo Stoppe lag,
Itzt Kleist auf manchem Nachttisch' aufgeschlagen?
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O flösse doch mein Leben ganz die Stadt,
Der Zorge gleich, vorbei! Irrt' ich, wie sie, durch Wiesen,
Bis alles Irren hier ein Ende hat,
Von den Socraten glücklich nur gepriesen!
Dann – – Aber halt! du steigst zu hoch empor!
Zurück du kühner Wunsch! du darfst noch nicht entfliegen.
Denn wäre nicht selbst Socrates ein Thor,
Daß er nicht lebte, bloß für sein Vergnügen?
Athen mit Achselzucken nicht verließ,
Wo ihn die Schlangen der Verläumdung rund umzischten?
Den Söhnen noch den Werth der Tugend prieß,
Indeß schon Gift die Väter für ihn mischten?
Wohlan! Auch ich will unter Menschen alt,
Im Kleinen, Socrates, und grau mit Ehren werden.
Dann aber hin, wo die Schalmey erschallt!
Hinaus zu den friedsamen Lämmerherden!

Fußnoten

1 Die Zorge, ein kleiner, aber schneller Fluß, scheidet die Stadt und Vorstadt von Ellrich, und geht wenige Schritte vor Wülferode, des Verf. ehemaligem Landhause, vorbei.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lyrische Gedichte. Zweites Buch. An Herrn Frhrn. von Lauer. An Herrn Frhrn. von Lauer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DEED-C