[224] Gleim an Göckingk

Halberstadt, den 27. October 1781.


In diese Gegend sich verirren,
In welcher kaum noch Tauben girren,
Ist Wollust! Ich gefalle mir,
O du, mein lieber Freund, in ihr
Am besten fast, vielleicht auch dir!
Du hättest mich nicht finden sollen!
Ich hätte tiefer mich verirrt;
Ich hätte, was denn? werden wollen,
Was man so leicht im Alter wird:
Ein Menschenfeind! Und du, mein Lieber,
Du hättest oft Besuch gewagt
[225]
Beim neuen Timon, und dich über
Die bösen Menschen auch beklagt.
Ei! höre doch die Tauben girren,
Die deine liebsten Tauben sind!
Ei! höre doch den Silberbach,
Der über harte Kiesel rinnt;
Man hört ihn doch!
Ihr Götter! ach!
Fern von den Menschen hier zu leben,
Könnt ihr zu meiner Lebenszeit
Zehn tausend Tage mir noch geben!
In dieser stillen Einsamkeit
Dürft' ich in keine Tiefe mich
Erniedrigen, mich nicht erheben
Auf eine Höhe, welche sich
Feindselig könnte mir beweisen!
Ach! o du Zeit! du Zeit von Eisen!
Am glücklichsten ist der zu preisen,
Der, weit von Königen und Weisen,
[226]
Sein König und sein Weiser ist,
Wie du's erst itzt, nach deinen Reisen,
In deinem Ohnesorge bist.
Mit Königen ist nur zu streiten
Um Menschen, und um Menschenblut!
Und mit den Weisen unsrer Zeiten,
Verträgt man sich nicht eben gut;
Sie schelten gleich.
Darum entfliehe,
Du Durst nach Ehre, Würd' und Stand!
Um euch geb' ich mir keine Mühe,
Was meine Ruhe stört, ist Tand,
Und wenn's der Schatz des Mogols wäre!
Was hätt' ich von der großen Ehre,
Der erste zu Berlin zu seyn,
Und meine Seele wäre klein?
Was hätt' ich von der höchsten Würde
Der ganzen werthen Christenheit?
Bei der mir aufgelegten Bürde,
[227]
Zu sorgen für die Seligkeit
Der Menschen, welche Haß und Neid
Entbrüdert, hätt' ich keine Zeit,
An mich zu denken.
Welch ein Stand
Nimmt nicht dem Stillen seine Freuden?
Wer's haben kann, der geh' aufs Land
Und lasse da sich nicht beneiden!
Neid macht nur Feinde.
Ruhe, du
Bist meine Göttin! Lebensmüde
Geh' ich auf deinen Tempel zu,
Denn unter Menschen ist kein Friede!
Nun erst? Warum nicht eher, Freund?
Ach! nimm ein klägliches Exempel
An mir, und geh in ihren Tempel
Bei Zeiten, eh ein böser Feind
Hinein dich treibt.
[228]
Die Menschen alle
Sind böse Feinde, die zu Halle,
Zu Bonn, zu Mannheim, zu Berlin,
Zu Düsseldorf, zu Zürch, zu Wien,
Und die zu Mainz in der Carthaus;
Zwei, oder dreie nehm' ich aus.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lyrische Gedichte. Zweites Buch. Gleim an Göckingk. Gleim an Göckingk. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DF7A-6