Herrmann Goedsche
Sebastopol
Historisch-politischer Roman aus der Gegenwart

1. Theil: Seine und Bosporus

Der Prolog
Der Prolog.

Ein heftiger Regenschauer, wie der März sie in Paris häufig mit sich führt, hatte mit der späten Stunde des Abends – die Uhren zeigten bereits über Zehn – die bewegliche Masse der Spaziergänger und Flaneurs von den Straßen und Boulevards vertrieben, als an einem Nebenausgang der Gallerie Heinrich's IV. in den Tuilerieen ein eleganter, aber durch keinerlei Zeichen oder Livree auffallender Wagen wartend hielt. Endlich gegen halb Eilf öffnete sich die Thür und zwei in Mäntel gehüllte Personen, die beide Civilkleidung trugen, kamen heraus und bestiegen den Wagen, der auf einige dem Kutscher zugeflüsterte Worte sofort über die Pont Royal, durch die Rue du Bac undde Grenelle nach der Esplanade der Invaliden seinen Weg nahm. Ein Loosungswort am Thor öffnete ihm den Eingang und der Wagen rollte durch den Cour Royal nach dem berühmten Dom, an dessen Seiteneingang er still hielt. Ein Mann in Generalsuniform schien hier den Wagen erwartet zu haben, öffnete selbst den Schlag und begrüßte höflich dir Aussteigenden, von denen der Eine den Mantel dicht und verhüllend um sich geschlagen hielt.

»Sie haben mein Billet bekommen, General,« sagte sein Begleiter, »und wir sind Ihnen sehr verbunden für Ihre Aufmerksamkeit. Ist unser Mann an Ort und Stelle?«

»Er wartet seit einer halben Stunde.«

»Ah, dann haben Sie wohl die Güte uns einzulassen und dafür Sorge zu tragen, daß wir unter keinerlei Umständen gestört werden. Die sämtlichen Eingänge sind doch geschlossen und Niemand mehr in der Kirche?«

[5] »Es ist Alles geschehen, Herr Graf, wie Sie gewünscht,« entgegnete der General. »Hier ist der Schlüssel zur Pforte, so daß Sie zu jeder Zeit von Innen öffnen können. Ich werde die Ehre haben, Sie selbst hier zu erwarten.«

Die beiden Fremden traten in die Kirche und schlossen die Thür hinter sich, der alte Offizier aber lehnte sich sinnend unter einem Vorsprung der Mauer an die Wand, um vor dem Regen geschützt zu bleiben; das Schiff der Kirche war dunkel, nur vor dem Hochaltar und in der Kapelle zu Häupten des großen Katafalks, welcher jene sterblichen Reste umschließt, die eine vertriebene Herrscherfamilie als erstes Siegel der entente cordiale von dem Felseneiland St. Helena holen ließ, zu Häupten des Katafalks Napoleon's I. leuchtete der Schimmer der ewigen Lampen. Ehe die Männer den Gang betraten, hielt der Verhüllte den Andern einen Augenblick am Arm zurück. »Sie kennen Ihre Instruktionen, Graf,« sagte er, »wenn etwas Weiteres nöthig, werde ich Ihnen ein Zeichen geben.« – Ihre Schritte hallten im Echo wieder an dem mächtigen Gewölbe, als sie sich der Kapelle näherten. Ein leiser Luftzug schien die Banner und Standarten in Bewegung zu setzen, die ringsumher aufgehangen sind. Aber es sind Siegesdenkmale der neuern Zeit, wehende Roßschweise und Prophetenfahnen, welche die Bourbonen und Louis Philipp dem Vasallen des Großherrn in den heißen Kämpfen auf afrikanischem Boden entrissen; – jene Standarten, die der mächtige Griff des napoleonischen Adlers einst auf den Feldern von Arkole bis zur Moskwa den Völkern Europa's nahm, und die der kaiserliche Soldat im Dom seiner Invaliden aufhängen ließ, sind längst verschwunden. Joseph Napoleon hatte wenigstens so viel Achtung vor dem Kriegsruhm seines verrathenen Bruders, daß er diese Zeichen einstiger Siege verbrennen und vernichten ließ, ehe die Verbündeten ihren Einzug in Paris hielten, um sie wieder zu holen.

Von den zu beiden Seiten des Grufteinganges aufwärts führenden Stufen des Mausoleums erhob sich bei dem Nahen der Beiden ein Mann und blieb sie erwartend stehen. Dem gegenseitigen stummen Gruß folgte eine kurze Pause, in der die beiden Parteien im Halblicht des Lampenschimmers sich zu mustern schienen. Von den beiden Eingetretenen hielt sich der Größere auch jetzt mehr im Schatten und in den Falten seines Mantels verborgen, ohne auch im Gotteshause den Hut abzunehmen; der Andere trat näher[6] an's Licht; seine Gestalt war mittelgroß und ziemlich schlank, und sein Kopf trug charakteristische Züge, geeignet, die Erinnerung jedes Franzosen wachzurufen. Ein ergrauender Schnurr- und Knebelbart bedeckte den untern Theil seines Gesichts, aus dem ein Paar scharfe unruhige Augen unter starken buschichten Brauen den Dritten forschend vom Kopf bis zu den Füßen maßen. Dieser erwiederte ruhig, mit einem etwas matten starren Auge den Blick. Es war ein Mann in hohem Lebensalter, offenbar den Siebenzig nahe, aber von ungebeugter, fester Körperhaltung. Haupthaar und Bart waren weiß, das Gesicht außer von zwei tiefen Narben auch von den Runzeln des Alters durchfurcht. Die dicht beieinander stehenden Augen hatten, wie gesagt, einen seltsamen starren Ausdruck, der sich nur von Zeit zu Zeit feurig und dann unwiderstehlich belebte. Eine der Narben lief von dem linken Backenknochen aus bis auf den Schädel, auf dessen hoher kahler Platte sie endete. Der Greis hatte den Reitermantel auf den Stufen des Mausoleums fallen lassen und stand vor den Beiden gekleidet in eine offenbar alte und unscheinbar gewordene Offizieruniform der poniatowski'schen Lanziers.

»Sie sind der Herr,« begann Der, welcher den General am Eingang angeredet hatte, auch hier das Gespräch, »welcher Seiner Majestät dem Kaiser vor drei Tagen dies Memoir eingereicht hat?« Er zeigte ihm hierbei ein ziemlich starkes Heft und fuhr, als der Angeredete sich zustimmend verneigte, fort: »Sie werden aus dem Besitz dieser Papiere ersehen, daß ich von Allem Kenntniß gesetzt bin und Vollmacht habe, mit Ihnen zu verhandeln. Es sind dem Kaiser seit ungefähr zwei Jahren von Zeit zu Zeit ähnliche Denkschriften zugegangen mit – wir müssen es gestehen, – sehr umfassenden und schätzenswerthen Materialien ...«

»Die der Kaiser auch benutzt hat, sonst wäre er schwerlich der Kaiser,« unterbrach ihn mit kaustischem Lächeln der Greis.

»Auch das, wenn Sie wollen, wir gestehen es zu, die Thatsachen sprechen. Selten hat man eine genauere Voraussicht und Combination der politischen Ereignisse gefunden, als der Verfasser dieser Schriften besitzt, wohl nie eine umfassendere und tiefere Kenntniß aller auch der geheimsten Triebfedern, die Europa, ja die Welt gegenwärtig bewegen. Es ist unmöglich, daß diese Kenntniß die Wissenschaft eines einzelnen Mannes sei, der nicht wenigstens einen Thron zu Gebote hat. Der Kaiser, mein Herr, ist begierig, [7] den Verfasser dieser Winke kennen zu lernen, und da es heute das erste Mal ist, daß Sie eine persönliche Annäherung selbst gewünscht haben, obgleich, wie ich gestehe, an einem seltsamen Ort und zu seltsamer Zeit, so hat mich Seine Majestät beauftragt, Ihre Eröffnungen entgegen zu nehmen und Sie nötigenfalls, wenn Sie darauf bestehen, zu ihm zu führen.«

»Das ist unnöthig, Herr Graf,« bemerkte der Andere, »ich weiß vollkommen die Person zu schätzen, mit der ich hier zusammentreffe.«

Der Graf erröthete leicht und warf einen Moment lang den Blick auf seinen Begleiter, der an der zweiten Seitenwand des Mausoleums lehnte. »Sie kennen mich, mein Herr?« frug er rasch.

Der Alte verneigte sich ehrerbietig. »Es rollt ein Blut in Ihren Adern, Excellenz, das ein alter Offizier jenes Kaisers, der nicht zu sagen gewohnt war: l'empire c'est la paix, sondern l'empire c'est l'épée! nie verkennen wird. Ueberdies sind wir gewissermaßen Landsleute, ich bin Pole von Geburt.«

»Sie gehören zu der Conföderation des Fürsten Ezartoriski?« sagte Jener rasch.

Der Pole schüttelte spöttisch das Haupt. »Herr Graf,« sagte er, »ich bin nicht siebenundsechszig Jahre geworden, ohne gelernt zu haben, daß die Wiederherstellung Polens nicht auf dem Parketboden der Salons von Paris gemacht werden kann. Ich kenne den Herrn Fürsten nur dem Namen nach. Doch lassen wir das, – es führt uns nur von unserm Gegenstand ab. Ich bitte, recapituliren wir für einen Augenblick den Stand der Angelegenheiten.«

Der Graf verneigte sich zustimmend und der alte Offizier fuhr fort:

»Im Mai 1850 ging das Kabinet der Tuilerieen aus den ihm von mir anonym vorgelegten Plan der Initiative in der orientalischen Angelegenheit ein und ließ durch General Aupick von der Pforte den Besitz der heiligen Orte fordern.

Gerade ein Jahr später nahm Herr von Lavalette die Frage auf's Neue auf und brachte im Herbst die Pforte zu einem Zugeständniß. Dies hatte, wie wir vorausgesagt, die Reclamationen des petersburger Hofes zur Folge, der auf die Vorrechte der griechischen Kirche bestand. Der Divan, von den russischen Forderungen in's Gedränge gebracht, verzögerte eine genugthuende Erklärung [8] und Marquis von Lavalette brach zu Ende des Jahres seine diplomatischen Beziehungen ab.

Auch das Jahr 1852 verging mit den angeregten Verhandlungen, die immer verwickelter wurden. Die Pforte, zwischen den beiden bedrohenden Mächten, suchte nach beiden Seiten hin einen vergütenden Ausweg. Wie das damalige Memoir der Regierung voraussagte, spannte bei der Erklärung des französischen Gesandten, zufriedengestellt zu sein, der russische seine Forderungen höher und erlangte jenen Firman zu Gunsten der Griechen, dessen Auslegung und Proclamation neue Verwickelungen hervorrufen mußte.

Hiermit war zugleich erreicht, daß die weiteren Aggressionen dem petersburger Kabinet anheim fielen und von Frankreich abgeleitet, so wie, daß die Interessen der englischen Regierung mit dem Auftreten der französischen verbunden wurden. Herr von Lavalette war in der Lage, im November zu drohen, daß bei einem Bruch der an Frankreich gegebenen Zusage er die Flotte herbeirufen müsse.

England, um weder Frankreich noch Rußland die Oberhand zu gewähren, nahm Theil an den diplomatischen Verhandlungen und erklärte die beiderseitigen Ansprüche für zu weit getrieben. Dies war der Augenblick, um Frankreich vollends herauszuziehen und den Zusammenstoß jener beiden mächtigen Feinde der Napoleoniden, Rußlands und Englands, vorzubereiten; und in der That, Herr Graf, ich muß gestehen, daß man dies sehr geschickt gethan hat.«

»Ah, Sie meinen die Erklärung unseres Gesandten unterm zehnten December, daß Frankreich keinen Anspruch auf ein Protektorat über die römisch-katholischen Unterthanen der Pforte mache, und die Erbötigkeit unsers Ambassadeurs in Petersburg, sich mit dem russischen Kabinet über die streitigen Punkte in der Frage der heiligen Stätten zu verständigen?«

»Ganz recht, Herr Graf. Seine Majestät der Kaiser hatte die Gnade, damals mein vorletztes Memoir zu empfangen und dessen Versicherung zu vertrauen, daß Kaiser Nicolaus auf dem unbedingten Protektorat über die griechischen Christen in der Türkei, das ist bei einem Verhältniß von neun zu vier Millionen über die Türkei selbst, bestehen und seine Forderung durch eine unüberlegte Waffendemonstration unterstützen würde. Rußland dirigirte in der That bereits Truppen aus ganz Beßarabien und dem Chersones nach der Gränze der Fürstenthümer, und England ...«

– »England,« unterbrach die sonore Stimme des Verhüllten [9] zum ersten Male mit dem Tone der Ungeduld die Unterhaltung, »England, mein Herr, begann seinen Rückzug. Die Depeschen Lord John Russel's an den Gesandten in Paris und an Oberst Rose constatiren, daß das Kabinet von St. James die Schuld der ersten Drohung immer noch auf Frankreich schiebt, die beiderseitige Haltung mißbilligt und sich jeder Einmischung fern halten will!«

»Ich werde sogleich die Ehre haben, diese Anschuldigung näher zu erläutern,« entgegnete mit einer Verbeugung nach der Richtung hin, in welcher der Verhüllte stand, der alte Offizier. »Diese Haltung war von dem schwankenden Charakter des Lord John vorauszusehen. Aber sie wurde paralisirt, indem man in Petersburg die Wahl einer außerordentlichen Mission auf den Fürsten Mentschikoff lenkte und durch die Erklärungen, zu denen sich der Kaiser Nicolaus unvorsichtiger Weise hinreißen ließ. Diese sind Ihnen ohne Zweifel bekannt, Herr Graf?«

»Ich, weiß in der That nicht, was Sie meinen.«

»Dann haben Sie die Güte, diese Aktenstücke zu lesen. Es sind die genauen Abschriften der geheimen Berichte, welche Sir Seymour, der englische Gesandte in Petersburg, über vier Privat-Unterredungen eingesendet, die er am 9. und 14. Januar sowie am 20. und 21. Februar mit dem Kaiser Nicolaus hatte, desgleichen die eines Memorandums vom letzten Datum, was der Kaiser jenem Gesandten zustellen ließ.« Der alte Offizier zündete eine der auf dem nahen Altare stehenden, geweihten Lampen an und überreichte ein Heft Papiere, das der Andere hastig ergriff und mit großer Aufmerksamkeit durchflog, während auch der Verhüllte näher hinzutrat und über die Schulter des Grafen mitlas.

»In der That, mein Herr,« sagte der Letztere nach einer Pause von etwa zehn Minuten, während welcher ihm beim eifrigen Lesen der Depeschen – jener Aktenstücke, die später unter dem Namen der Enthüllungen des blauen Buches bekannt geworden sind – hin und wieder ein Ausruf der Ueberraschung entschlüpft war, »in der That, ich kannte zwar im Allgemeinen den Inhalt der Unterredung vom 9., doch diese wichtigen Details sind mir neu. Es scheint, Lord John spielte eine doppelte Karte, indem er uns die Kenntniß so bedeutsamer Entschließungen vorenthielt. Sie müssen auf Ehre eine Art Hexenmeister sein, um sich den Besitz so wichtiger Dokumente verschafft zu haben?«

»Dem Golde, Herr Graf,« entgegnete der Pole der halben [10] Frage, »ist in London Alles möglich, gerade wie in Paris den Frauen. –«

»Ich erlaube mir, bis zu dem Augenblick, in dem wir uns befinden, die Vorgänge weiter zu resümiren. Die Art und Weise, in welcher Graf Nesselrode officiell den Kabinetten von London und Paris die Instructionen des Fürsten Mentschikoff bezeichnete, verzögerten den Ausbruch der Differenzen. Danach sollten diese Instructionen sehr gemäßigt sein, beträfen nur die Montenegriner und die heiligen Stätten und hätten zum Zweck, ein Aecquivalent für jedes den Griechen genommene Privilegium zu erreichen. Trotz der Beweise, die ich Ihnen eben über die Absichten Rußlands vorzulegen die Ehre hatte, zögerte das englische Kabinet noch immer mit einer Einmischung, ernannte aber einen besonderen Gesandten in der Person des Lord Stratford. Sie kennen den Lord, Herr Graf, und wissen, daß bei seinem Ehrgeiz und seinem echt brittischen Charakter ein Kampf mit der Anmaaßung und dem Stolz des Fürsten Mentschikoff unmöglich ausbleiben kann, wenn der Letztere Forderungen stellt, die in den Augen des Lords mit dem brittischen Interesse im Orient nicht vereinbar sind. Das erste Auftreten des Fürsten in Constantinopel haben die Zeitungen gemeldet. Es war beleidigend und herausfordernd in dem Maaße, daß die Pforte den brittischen Gesandten aufforderte, die englische Flotte zu ihrem Schutz herbeizurufen und Oberst Rose an Admiral Dundas wirklich die Aufforderung gestellt hat, das Geschwader nach Vourla zu führen.«

»Aber der Admiral hat sich geweigert, der Oberst hat seine Aufforderung zurückgenommen, die englische Regierung hat, was Sie vielleicht nicht wissen werden, vorgestern den Obersten desavouirt und uns ihr Bedauern ausgesprochen, daß der Kaiser unserm Geschwader im Mittelmeer gleichfalls den Befehl ertheilt hat, in die griechischen Gewässer abzugehen.«

»Der Kaiser, mein Herr,« entgegnete der Greis, »ist ein kluger Politiker und hat sehr Recht gethan, die gute Gelegenheit zu benutzen, die ihm der Schritt des Obersten Rose geboten hat. Sie werden sich erinnern, daß mein Memoir auf eine solche Gelegenheit speculirte. Nach der Absendung der Flotte Frankreichs bleibt England Nichts als über kurz oder lang die Nachfolge.«

»Ich gestehe zu,« sagte der Graf, »daß es für ein großes Interesse haben muß, England in einen Krieg mit Rußland zu [11] verwickeln und seine ganze Macht im Orient engagirt zu sehen. Die Forderungen des Fürsten Mentschikoff können allerdings den Charakter von Demonstrationen gewinnen, die den Kaiser und das Kabinet von St. James zwingen würden, für eine Krise den Gesandten besondere Instructionen zu geben.«

Der Pole lächelte. »Euer Excellenz trauen mir noch immer nicht. Vorgestern, am 22., hat Seine Majestät ihrem Gesandten in Constantinopel bereits diese Instructionen zugesandt. Soll ich Ihnen die vier Fälle der Instruction noch bezeichnen? – Gestern ist die Note an Sie nach London abgegangen, worin die Regierung die Hoffnung an das englische Kabinet ausspricht, daß bei der Krisis in Constantinopel beide Gouvernements gleiche Haltung beobachten werden. Die Depesche wird Ihren Weg gekreuzt haben, Herr Graf, da Sie, durch den Telegraphen berufen, gestern Abend Dover verlassen haben.«

Der Graf trat erstaunt einen Schritt zurück, der Verhüllte aber ungestüm auf den Fremden zu, indem er durch die heftige Bewegung den verbergenden Mantel zum Theil fallen ließ. »Wer sind Sie, mein Herr? Sie sehen, ich habe ein Recht zu fragen, und ich will wissen, auf welche Weise die Geheimnisse des Staats in Ihre Hände kommen?«

Der alte Mann verbeugte sich ehrerbietig. »In Frankreich,« sagte er, »hat stets das Wort eines Edelmannes gegolten und ich bin im Vertrauen auf dasselbe hierher gekommen. Das Recht, nicht gekannt zu sein oder zu scheinen sei ein beiderseitiges

Der Andere hüllte sich wieder in den Mantel. »Nach Ihrem Belieben, mein Herr, doch ich glaube, Sie sind uns noch immer das Resultat schuldig.«

Der Pole zog nochmals Papiere hervor und überreichte sie dem wieder herangetretenen Grafen. »Hier finden Euer Excellenz das, was jede englische Zögerung aufheben wird. Es ist die geheime Instruction des Fürsten Mentschikoff und weist ihn an, auf unbedingte Anerkennung des Protektorats Rußlands über die griechische Kirche und somit auf Unterwerfung der Pforte unter die russische Oberhoheit zu dringen und einen Vertrag mit ihr abzuschließen, der 400,000 Mann und die Flotte von Sebastopol zu ihrem Schutz gegen die Westmächte stellt.«

Der Mann im Mantel riß ihm die Papiere aus der Hand [12] und durchflog sie eilig. »Das ist genug, mehr als genug!« sagte er hastig. »Lesen Sie, Graf.«

Der Pole überreichte ein zweites Papier. »Hier ist das Verzeichniß der sämtlichen Streitkräfte, welche Rußland in diesem Augenblick disponibel hat. Die Positionen der Truppen und die Dauer der Etappen sind genau verzeichnet, eben so die Streitkräfte und Vorräthe an den Ufern des schwarzen Meeres.«

»Gut, sehr gut! Aber was rathen Sie nun, mein Herr?«

»Der Kaiser, von dem unterrichtet, was ich so eben hier vorzutragen die Ehre hatte, wird seine Vorbereitungen treffen, um im Augenblick der Krisis eine entsprechende und die brittische Streitmacht überwiegende Landarmee nach Constantinopel oder an die Ufer des schwarzen Meeres werfen zu können. Die Bildung eines Nord- und eines Südlagers würde die Zusammenziehung der Truppen erleichtern. Während Frankreich ohne Mühe 100,000 Mann zum Schutz der Türkei an das andere Ende des Mittelmeeres senden kann, wird eine solche Anstrengung England in seinen besten Lebensquellen erschüttern. Es wird genöthigt sein, die Truppen aus Indien und den Kolonieen heranzuziehen, und indeß seine unzureichende Armee im Kampf gegen Rußland sich aufreibt, wird Frankreich kräftiger und mächtiger denn je als der wahre Hort Europa's und der Civilisation dastehen. Dann – ja dann, wenn England und Rußland sich gegenseitig geschwächt haben, wird es Zeit sein, die Maske fortzuwerfen und die Asche des großen Todten, der hier ruht, zu rächen an seinen beiden stolzen Feinden. Dann werden der russische Doppelaar und der brittische Leoparde sich krümmen und beugen unter den Krallen des napoleonischen Adlers, und das Blut des Kaisers wird wieder der Herr der Welt sein, wie es ihm und Frankreich gebührt.«

»Aber Oesterreich – Deutschland? – –«

»Oesterreich? – Es wird zuerst den Fuß des Siegers auf seinem Nacken fühlen, von zwei Seiten zugleich, an der Donau und am Po bedroht. Deutschland? – Will der Kaiser den Rheinbund? er wird im Nu zu seinen Füßen speichellecken. Und dies Preußen, hochmüthig und abgeschlossen in sich selbst, es wird zaudern und zaudern, bis ihm nur der Kampf bleibt und die eigene Existenz, und in diesem Kampfe wird es sich selbst verbluten. An dem wiedererstandenen Polen und Ungarn und an dem neugeborenen Italien[13] wird das kaiserliche Frankreich drei Stützen haben, die ihm die Welt unterjochen helfen.«

Der Mann im Mantel hatte, die Rechte fest auf die Stirn gepreßt, die entflammenden Worte des alten Offiziers angehört, während die Linke sich auf den Vorsprung der Gruft stützte. Der Mantel war von seinen Schultern gesunken, so stand er eine Weile stumm und still; dann wandte er sich mit einem stolzen Ausdruck zu dem Polen.

»Was immer auch Ihr Zweck sein mag, und ich glaube ihn in jenem schönen Traum von der Wiederherstellung Ihres Vaterlandes zu erkennen, – Sie haben gesiegt, und ich werde um jenes großen Todten willen Ihre Prophezeihung erfüllen, wenn Gott mir so lange das Leben läßt. – Leben Sie wohl, mein Herr, und nehmen Sie meinen Dank. Es ist hoffentlich nicht das letzte Mal, daß wir uns sprechen und ich bitte Sie, mir recht bald wieder Nachricht zu geben.«

Er grüßte den Fremden höflich aber vornehm, während der Graf ihm den Mantel wieder umhing, und wandte sich nach dem Ausgang der Kirche. »Sie gehen mit uns?« frug sein Begleiter den Offizier und verweilte einen Augenblick bei diesem. »Verzeihen Sie, Excellenz, ich habe hier noch ein Gebet zu verrichten. – In London werden Euer Excellenz das Weitere von mir hören und ich bitte Sie, jedem Boten zu vertrauen, der Ihnen zu seiner Beglaubigung dies Zeichen übergeben wird.« Er zeigte dem Grafen ein eigenthümlich geformtes kleines Kreuz von schwarzem Holz mit Silberstiften geziert. Der Graf neigte bejahend den Kopf, grüßte und eilte dem Vorangegangenen nach, um mit dem erhaltenen Schlüssel die Kirchthür zu öffnen.

Draußen fanden sie den General auf seiner übernommenen Wache. Mit gezogenem Hut begleitete der Veteran die geheimnißvollen Gäste bis an den harrenden Wagen und schloß selbst den Schlag. Der Graf legte zum deutungsvollen Zeichen den Finger auf den Mund, während sein Gefährte nur mit leichtem Kopfnicken Abschied nahm, und dahin rasselte die Equipage.

Der Mann im Mantel wandte sich, als der Wagen das Thor verlassen, zu seinem Begleiter. »Hat Maurepas auch die gehörigen Instruktionen und sind Sie sicher, daß uns dieser Mensch nicht entgeht, wenn er das Hôtel verläßt? Ich muß wissen, woran ich mit [14] diesem geheimnißvollen Treiben bin; eine solche Macht im Staate ist viel zu gefährlich, um sie unbeachtet zu dulden.«

»Es ist Alles nach Ihrem Befehl geschehen, Sire,« entgegnete der Graf, »auf allen Seiten sind die zuverlässigsten Agenten ausgestellt und sie werden dem Manne auf allen Tritten folgen. Morgen früh Sire, haben Sie den gewünschten Rapport. –«

Auf den Arm des nach dem Dom, um die Thür zu schließen, zurückkehrenden Generals aber legte sich im Schatten der hohen Mauern des Hofes eine Hand und hielt ihn zurück; es war der Pole. »Kennt General Beaupré wohl diesen Ring?« fragte er freundlich. »Ein Cadet der großen Armee gab ihn schwer verwundet in Leipzig dem Soldaten, der ihn aus dem brennenden Hause der Vorstadt und über die Brücke der Pleisse trug, wenig Minuten vorher, ehe sie gesprengt wurde.«

»Das war ich,« sagte erregt der General, »wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr, Sie sind doch nicht – –«

»Der polnische Lanzier, der Sie zufällig rettete, allerdings, wenn auch diese Züge Ihnen wenig mehr kenntlich sein werden. Unter braven Soldaten, General, bleibt immer Kameradschaft und Sie werden mir gewiß eine kleine Gefälligkeit nicht verweigern, um zu verhindern, daß Ihr Lebensretter vielleicht in eine Schlinge der geheimen Polizei fällt.« Er nahm den General unter den Arm und ging mit ihm einige Schritte im Dunkel auf und ab, leise zu ihm sprechend. Eine Viertelstunde darauf entfernte sich durch eine Seitenthür nach dem Latour-Maubourg unbeachtet ein Mann in dem Rock eines Aufwärters und schlug die Richtung nach dem Marsfelde ein.


In einem der belebtesten Stadtheile vonParis, – die Scene selbst verbietet natürlich die nähere Bezeichnung – bereitete sich in derselben Nacht ein geheimnißvoller Vorgang. Eine mittelgroße gewölbte Halle von eirunder Form, anscheinend unter der Erde, denn es fehlten alle Fensteröffnungen, war von einer Lampe und mehreren auf einer rothbehangenen und quer durch die schmale Breite laufenden Tafel stehenden silbernen Armleuchtern erhellt. Hinter der Tafel, um welche sieben Sessel sich reihten, verdeckte ein rother Vorhang das Ende des Gewölbes.

[15] Sechs der Sessel nahmen Personen in weite rothe Aermelmäntel gehüllt ein, deren Capüchons hauben-und larvenartig den Kopf bis zum Munde verdeckten. Der siebente Stuhl war leer, – auf dem Tische selbst lagen mehrere Papiere, mit deren Verlesung und Eintragung in ein Buch zwei der Mitglieder beschäftigt waren; keines der gewöhnlichen Wahrzeichen und Symbole geheimer Gesellschaften zeigte sich weiter in der Decoration des Gemachs, wenn eine in der Mitte gebrochene goldne Kröne nicht als solches erschien, die oben den Vorhang zusammenhielt.

»Die Berichte aus Amerika, England und Ungarn sind notirt,« sagte der, welcher dies Geschäft vollzogen. »Das Mitglied für Italien hat das Wort.«

Der Vierte in der Reihe an der Tafel erhob sich: »General Pepe berichtet aus Turin. Der Mann bleibt auch im hohen Alter Phantast und ist zu Nichts zu brauchen, sein Name aber wirbt uns zahlreiche Kräfte. Man hat in Turin und Genua eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen, doch betreffen sie nur untergeordnete Personen. Auch an andern Orten Italiens, namentlich in Parma, tritt man in Folge der österreichischen Interventionen mit auffallender Strenge gegen die Verbindungen auf. Es ist Zeit, daß der mißglückte Stoß des Ungars Libényi auf den Habsburger durch eine festere Hand an anderm Orte corrigirt werde, damit die Männer auf den Thronen wissen, daß das rächende Verhängniß über ihnen schwebt. Das Jahr 1853 hat seine Warnung gehabt, ich schlage für das nächste Beispiel Ferdinand Karl von Bourbon, den Herzog von Parma vor, unsern erbitterten Feind. – Unsere Presse hat die Nachricht verbreitet, daß Mazzini auf der Retribution sich nach Malta eingeschifft hat, damit ist vorläufig die Aufmerksamkeit abgelenkt. Der Aufstand in Palermo ist zwar fehlgeschlagen wie der in Mailand und Comorn, doch meldet Baron v. Bentivoglio, daß die Organisation zur Verbreitung der Mazzinischen Proklamation vollständig geordnet ist und großen Erfolg zeigt. Die Sammlungen haben im Monat Februar ein Resultat von achtunddreißig tausend vierhundert Livres ergeben, die ich hiermit in Wechseln abliefere. Mit den Triester Dampfschiffen sind die befohlenen Verbindungen eingeleitet.«

Der Redner übergab mehrere Papiere und nahm wieder Platz. Während seiner letzten Worte hatte sich eine Seitenthür an der Tafel geöffnet, ein Mann, gleich den Anwesenden in einem rothen [16] Mantel verhüllt war eingetreten und hatte den leeren siebenten Sessel am Ende der Reihe eingenommen.

»Section Deutschland und Schweiz,« sagte der Secretair.

Der dritte Verhüllte nahm das Wort. »Die Berichte aus Wien lauten wenig befriedigend. Das Attentat vom 18. Februar hat die zaghaften Gemüther geschreckt und die Polizei doppelt aufmerksam gemacht. Libényi hat mit heroischer Ruhe den Opfertod erduldet. Die genauen Berichte über seine letzten Tage liegen vor. Man hat selbst die Gewissensbedrohung durch die feile Geistlichkeit erschöpft, um ihn zum Geständniß zu bringen, von wem die Sendung von 600 Gulden herrührt, die er kurz vor der That durch Anweisung des Londoner Hauses erhalten hat; der Brave schwieg. Weniger treu seinem Eide starb in Pesth der Verräther Andraffy, der die Pläne zum Aufstand in Comorn Kossuth's Schwester überbringen sollte und in die Hände der Schergen fiel. Er hat die mit Omer Pascha angeknüpften Verhandlungen über dessen Einrücken in Croatien verrathen, soweit er davon Kenntniß hatte, und dieser Entdeckung ist die augenblickliche Stellung des Wiener Kabinets gegen die Pforte zuzuschreiben. Man will den Divan um jeden Preis zur Vertreibung der Flüchtigen drängen. Die Finanzverlegenheit jedoch wächst immer ärger und man sucht nach neuen Hilfsmitteln. – In Berlin tritt die Spaltung der Conservativen immer mehr hervor und man arbeitet unsern Absichten in der kommenden Verwicklung damit in die Hand. Die Polizei hat eine Verbindung aufgehoben, deren unreife Organisation ein Kind der eingeborenen Demokratie war. Die Betheiligten wurden von den Wissenden des Bundes zum Theil bei der Flucht Kinkels benutzt, können aber die höheren Interessen in keiner Weise compromittiren. Es ist hier vorläufig Nichts zu machen, als die Zerwürfnisse mit Oesterreich möglichst zu erneuern und die Sympathieen des Heeres für den bevorstehenden Krieg von Rußland abzulenken. Dem russischen Gesandten liegt ein Memoir vor über die Influirung der Tagespresse – unsere Gegenanstalten sind getroffen. Die Sammlungen haben äußerst geringe Resultate gebracht, – man giebt dort nur öffentlich. – Die Regierung von Tessin ist im Begriff den österreichischen Anmaßungen zu weichen; ich habe die Tribune Suisse angewiesen, bei weiterer Nachgiebigkeit mit einer Revolution zu drohen. – Die Sammlung der Schweiz ergiebt Zwölfhundertzwanzig Franken; das[17] Gesamtresultat der Sammlung aus Deutschland ist noch nicht eingegangen.«

Er übergab die Papiere. Der Zuletztgekommene erhob sich nach ihm, ohne die Aufforderung abzuwarten. Wer der geheimnißdollen Zusammenkunft im Dom der Invaliden beigewohnt hätte, würde leicht in dem Sprecher den alten polnischen Offizier wieder erkannt haben. Ausführlich berichtete er über den Gang derselben, das Mißtrauen, das man ihm Anfangs gezeigt und den Eindruck, welchen die übergebenen Abschriften der wichtigen politischen Dokumente gemacht hatten. »Der Kaiser,« schloß der Greis seinen Bericht, »ist offenbar ein scharfsichtiger gewandter Politiker, aber wir haben ihn besiegt, indem wir uns an das verborgenste Geheimniß dieses verschlossenen Herzens gewandt haben. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn nicht vorher schon die Pläne dieses Kopfes von der Vernichtung Englands und der Weltherrschaft der Napoleoniden geträumt hätten, – unser Bei stand hat sie ihm klar gemacht und die Möglichkeit der Verwirklichung ihm gezeigt. Er würde den Krieg hervorrufen, selbst wenn er keinen andern Gewinn davon hätte, als die britische Armee und die britische Flotte von seinen Schöpfungen verdunkelt zu sehen. Aber ich warne vor diesem Kopf! Er ist schlau und thatkräftig genug zu einem Versuch, die Bande, die ihn geheimnißvoll umschlingen, mit eigener Hand zu zerreißen. Möge der Augenblick nicht versäumt werden, wo sein Fall uns nöthig ist, ehe er uns zuvorkommt.«

Der einmalige scharfe Anschlag einer Silberglocke ließ sich hören und augenblicklich schwieg die Unterhaltung. Der Vorhang im Hintergründe öffnete sich ein Wenig und ein Mann, ganz gleich wie die an der Tafel verhüllt, nur daß die rothe Maske selbst den untern Theil des Gesichts verbarg, trat hervor. Die Sieben erhoben sich sämtlich.

»Die höchste Gewalt ist zufrieden, meine Herren, mit dem Resultat der Berichte,« sprach der Unbekannte mit einer milden, etwas zischenden Stimme, »namentlich erkennen wir die große Geschicklichkeit an, mit welcher der Vertreter der Sektion VII. heute seinen Auftrag für die französische Regierung gelöst hat. Das Geschick Frankreichs ist damit in unsern Händen und wir können seine Kräfte ohne Gefahr benutzen. – Zur rechten Zeit wird jene einschreitende Hand bereit sein, die stürzt, wie sie allein erhoben hat.«

Der zuletzt Gekommene der Sieben verbeugte sich; der Andere [18] fuhr fort: »Die Botschaften für London, Wien, Berlin, Petersburg und Constantinopel liegen bereit. Haben Sie die geeigneten Persönlichkeiten dazu ausersehen, je nach dem Grade der Wichtigkeit, welche die Mission hat?«

Der Secretair des Raths bejahte und überreichte ein Blatt mit den Namen und den persönlichen Notizen, das Jener genau überlas. »Warschau und Petersburg!« sagte er überrascht, – »der Vorstand der Section selbst will diese Mission übernehmen?«

Der Verhüllte, welchen der Leser als den Offizier aus dem Invalidendom erkannt hat, erhob sich. »Ich habe diesen Auftrag als Lohn für die wenigen Dienste erbeten,« sagte er, »die ich dem Bunde der Unsichtbaren geleistet. Ich glaubte, daß mir die Mitglieder der höchsten Gewalt das Vertrauen schenken würden, ich werde meine schwierige Aufgabe mit allen Kräften lösen. Ohnedies ist hierzu ein Mitglied des siebenten Grades nothwendig, um im Augenblick der Entscheidung den Befehl in die Hand nehmen zu können.«

»Sehr wahr, mein Herr, aber wir werden Sie kaum hier entbehren können. Auch sind Sie eine in Warschau sehr bekannte Persönlichkeit und stehen auf der Liste der Geächteten.«

Der alte Soldat nahm ein Papier aus dem Portefeuille und überreichte es: »Die Begnadigung des Kaisers und die Erlaubniß zur Rückkehr! Ich empfing sie heute von Herrn von Kisseleff.«

»Das ist allerdings Viel, doch« – eine behandschuhte Hand, die sich aus den Falten des Vorhangs hervorstreckte, reichte dem Sprechenden einen Streifen Papier, den dieser las und sofort am Licht einer Kerze verbrannte. »Die Majorität der höchsten Gewalt ist mit Ihrer Sendung einverstanden. Sie haben also die Vollmacht zur Reise und werden als Mitglied des Raths bis zur Summe von fünfzigtausend Rubeln disponiren können. Doch ist es Ihnen bekannt, daß von diesem Augenblick an, bis zur Beendigung Ihrer Mission, Sie aus dem Rath selbst scheiden und unter die Gehorchenden zurücktreten.«

Der Pole verneigte sich. »So nehmen Sie die nöthigen Papiere in Empfang und die Sonne der Freiheit leuchte Ihnen nach Osten.«

Er reichte dem Scheidenden die Hand, jeder der Beisitzer that dasselbe und der Pole verließ den Saal durch die erste Thür, während der Verhüllte dessen Sitz einnahm.

[19] »Smyrna und Constantinopel?« führ derselbe nach einem weitern Blicke in das Papier fort. »Nach diesen Notizen hält der Rath es für gut, den dahin bestimmten Gehorchenden von hier zu entfernen und in eine Lage zu bringen, in welcher er gehörig überwacht, dem Bunde bessere Dienste leisten kann, als hier. Welchen Grad zählt der Gehorchende?«

»Den vierten.«

»Das ist genügend, wir haben sichere Leute an Ort und Stelle. Lassen Sie ihn eintreten.«

Der Secretair drückte auf eine Feder, die zweite Thür gegenüber dem Tisch öffnete sich, und ein Mann, anscheinend in den ersten dreißiger Jahren, von offenen männlichen Gesichtszügen und festem ruhigen Auge, einfach aber gut gekleidet, trat ein und nahte mit einer Verbeugung dem Tisch.

»Sie wollen nach der Levante gehen, um als Arzt dort Beschäftigung zu suchen?«

»So ist es.«

»Seit wann sind Sie Mitglied des Bundes?«

»Seit fünf Jahren.«

»Gut, Sie werden die Briefe erhalten, die Sie auf Gefahr Ihres Lebens sicher zu überbringen haben. Die weiteren Instruktionen werden Sie an Ort und Stelle finden. Die Mittel der Reise sind hier.« Er reichte ihm zwei Goldrollen. »Wann reisen Sie?«

»Morgen früh.«

»Wir werden in Constantinopel von Ihrer Kunst den geeigneten Gebrauch machen. Bedenken Sie: Willenloser Gehorsam! Leben Sie wohl.«

Der Angeredete nahm mehrere Papiere in Empfang und entfernte sich durch dieselbe Thür, aus welcher er eingetreten.

»Die Person für Berlin und Deutschland!«

Ein neuer Druck der Feder öffnete die dritte Thür: eine elegant in schwarze Seide und Spitzen gekleidete Dame trat mit graciösen Manieren ein. Ein kühner interessanter Kopf blickte aus den umhüllenden Falten des kokett um das dunkle Haar geschlungenen, von einer prächtigen Brillantnadel gehaltenen Spitzenschleiers. Die dunklen geschwungenen Brauen über dem feurigen Gluthauge, die zierlich üppigen Formen von Busen und Hüften, der ganze Typus des zwar nicht mehr in der ersten Jugendfrische prangenden aber überaus interessanten und anregenden Gesichts[20] ließ die Südländerin nicht verkennen. Die sieben Männer erhoben sich und verbeugten sich artig vor der schönen Erscheinung.

»Sie gehen nach Berlin, Madame, um dort neue Triumphe zu feiern?«

»Senjor sind sehr galant,« entgegnete die Dame. »Ich habe das immer erfahren, seit ich in Frankreich bin, wenn ich auch leider die mächtigen Beschützer nicht kenne, die sich meiner angenommen und mich aus verabscheuten Fesseln befreit haben. Sie wissen, Senjor, daß ich ganz zu Ihren Befehlen stehe.«

»Wir wünschen vor der Hand Nichts, Madame, als daß Sie diese Empfehlungsbriefe in den verschiedenen Hauptstädten, die Sie berühren werden, abgeben, und die Personen, an die sie gerichtet sind, mit der bekannten Gewalt Ihrer Reize an sich fesseln. Sie wissen, daß wir mächtig sind und namentlich Schweigen verlangen. Denken Sie immer daran, daß selbst die Wände in unserm Solde stehen. Vor Allem, Madame, wenden Sie die Geschosse Ihrer Feuerblicke und die Macht Ihrer Reize gegen die Herren vom Militair und bilden Sie aus diesen den Kreis Ihrer Sclaven. Ist das besorgt, was für Madame bestimmt war?«

Der Secretair überreichte ihm ein sammetnes Etui, der Verhüllte schlug es auf und ein prachtvoller Brillantschmuck glänzte in dem Strahl der Kerzen. Die Augen der Dame funkelten bei dem Anblick in unbezähmbarer Begierde.

»Nehmen Sie,« sagte galant der Redner, »es ist ein vorläufiges Zeichen unsers Dankes und seien Sie gewiß, daß derselbe dabei nicht stehen bleiben wird.Au revoir, Madame, vielleicht ehe Sie es denken.«

Er erhob sich, während die Dame eine ziemliche Anzahl Briefe in Empfang nahm, und führte sie bis an die Thür zurück, die sich hinter ihr schloß. »Bei meinem Eide,« sagte der Verhüllte zurückkehrend, »ein entzückend schönes Weib. Sie wird uns treffliche Dienste leisten. Doch lassen Sie uns eilen, die Zeit ist vorgeschritten. Ich sehe, die nächsten für London bestimmten Personen gehören den untersten Klassen an?«

»Man hat um Persönlichkeiten geschrieben, die weniger als Führer und Wissende, an denen es in London nicht fehlt, denn als geeignet erscheinen, kameradschaftlich unter den Arbeitern und dem Volk selbst zu wirken. Die beiden Personen, die wir gewählt haben, sind sehr zuverlässig und geeignet; der Eine finster, brütend, [21] jedes Entschlusses und jedes Opfers fähig, ohne Familienbande und nur für die Revolution thätig; der Zweite ein Kind derselben, begeistert, einer jener pariser Proletarier, die mit Beranger's Liedern statt der Muttermilch gesäugt worden sind.«

Ein Zeichen befahl den Eintritt; aus der vierten Thür erschienen zwei Männer, sehr verschieden im Aeußern. Der jüngere mochte etwa 23 Jahre zählen, ein ächtes Kind des pariser Pflasters, dem, wenn auch von der Conscription durch eine glückliche Loosung befreit, doch das soldatische Blut des Franzosen aus Haltung und Bewegung leuchtete. Ein freies männliches Gesicht, von schönem Bart umschattet, ein etwas wild und hitzig blickendes Auge, die kräftige und doch gelenke Gestalt mit den ausgearbeiteten Händen, bekleidet mit der reinlichen Blouse, machte den jungen Mann zum Ideal eines lebensfrischen Repräsentanten der arbeitenden Klasse. Ganz im Gegensatz zu ihm stand sein Begleiter, anscheinend fünf bis sechs Jahre älter, nicht groß und dennoch von gebückter Haltung, das straff anliegende schwarze Haar fast bis zu den buschigen Augenbrauen herabgehend, unter denen tief liegende unheimliche Augen funkelten; im gelblichen Italienergesicht, um den kleinen gekniffenen Mund, lagen Züge unbeugsamer Entschlossenheit.

»Sie gehen nach London und Manchester,« redete der Verhüllte die Beiden an, »und werden dort der großen und heiligen Sache der freien Arbeiterverbrüderung wichtige Dienste leisten. Ich brauche Sie nicht an das Joch der Tyrannei zu erinnern, denn Sie fühlten es selbst an jedem Tage, an welchem Ihre Mühen und Ihr Fleiß die Geldkisten Ihres Fabrikherrn füllten. Nur die erhabene Fahne der socialen Republik kann in ihrem Schatten jedem freien Mann seine Geltung verschaffen. Werben Sie unter Ihren Brüdern in England, und bereiten Sie dieselben vor; denn ich sage Ihnen, der Anbruch des Tages ist nahe, an dem die Flamme der Völkerfreiheit über Berg und Thal, über See und Land leuchten und zum großen Kampfe rufen wird für die ewige Gleichheit!«

Die schwülstigen, wohlberechneten Worte verfehlten ihren Eindruck nicht, der junge Mann hob begeistert die Hand in die Höhe wie zum Schwur, der Italiener ballte die Faust, zwischen den zusammengebissenen Zähnen zischte die Drohung:

»Tod den Tyrannen!«

»Diese Papiere werden Ihnen sagen,« fuhr der Redner fort, [22] »an wen Sie sich in London zu wenden und wie Sie Ihre Instructionen zu erhalten und auszuführen haben. Im Namen der Freiheit und Gleichheit weihe ich Sie zu dem großen Werke des Bundes. Gehen Sie.«

Die Beiden wendeten sich nach der Empfangnahme der Papiere zur Thür, an der der Jüngere einen Augenblick zauderte, dann kehrte er rasch um und trat entschlossen nochmals zu dem Tisch:

»Morbleu, meine unbekannten Herren! Es drückt mir da Etwas das Herz und das möchte ich gern los sein, ehe ich die befohlene Reise zu den Beafsteaks antrete. Mein Alter hätte das Geld sparen können, das er in meiner Jugend darauf verwendet hat, mich in einer englischen Maschinenwerkstätte in die Lehre zu geben, dann hätte doch meine Schwester jetzt einen Nothpfennig. Ich kann das arme Mädchen wahrhaftig nicht so zurücklassen ohne Schutz und Hilfe, das Grisettenblut in ihren Adern ist gar zu leicht und die Verlockung oft groß genug.«

»Sie werden vor Ihrer Abreise einen Vorschuß von zweihundert Franken erhalten, den Sie von Ihrem guten Verdienst in England abtragen können,« sagte der Rothe. »Ihre Schwester wird im Auge behalten werden, gehen Sie unbesorgt.«

Der junge Arbeiter verneigte sich dankend, warf noch einen neugierigen Blick rings umher und folgte seinem Gefährten. »Ich glaube, der Vorstand der Section England,« sagte der Verhüllte, »hat da keine besondere Wahl getroffen. Der Mann gehörte auf die Barrikade, nicht in die Werkstätten.«

»Er ist ein trefflicher und für seinen Stand schwungvoller Redner,« wandte der Getadelte ein, »und wir finden wenig französische Arbeiter, die der englischen Sprache mächtig sind. Ueberdies ist sein Begleiter der Mann, der seine Fähigkeiten auf den bestimmten Punkt fesseln wird.«

»Sie mögen Recht haben, der Zweite ist eine Physiognomie, aus der sich Vieles machen läßt und der, was er erfaßt, nie aus den Augen verlieren wird. Ich kann den Namen nicht deutlich lesen, der Manu heißt?«

»Pianori. Er focht in Rom, brachte uns die letzten Depeschen von Turin und hält sich seitdem heimlich hier auf.«

»Lassen Sie den Letzten für heute erscheinen.«

Die fünfte Thür öffnete sich und ein elegant, ja überladen gekleideter Mann in mittleren Jahren, von einem gewissen Embonpoint, [23] wie es vielen unserer Börsencoryphäen so behaglich steht, trat unter Verbeugungen ein. Der Schnitt des Gesichts verrieth die orientalische Abstammung vielleicht aus dem zweiten Grad; die schmal zulaufende hohe Stirn den geübten Rechner und Zahlenmann, die rastlos sich bewegenden Finger und die kurz und scharf umherblickenden Augen zeigten den thätigen Geschäftsmann und Speculanten.

Ohne die Anrede abzuwarten, begann der Eingetretene: »Im Begriff, nach Wien abzureisen, erhielt ich die Ladung des Rathes und beeilte mich, dem Befehl nachzukommen. Darf ich wissen, welche Angelegenheiten meine Dienste erheischen?«

Der Verhüllte nahm ein kleines Buch in rothem Saffian, das der Secretair ihm reichte und durchblätterte es einige Augenblicke schweigend, dann frug er:

»Haben Sie zufällig unser Conto zur Hand, Herr Baron?«

»Gewiß, ich steckte es zu mir. Der letzte Abschluß vom vorigen Monat ist, wie ich ersehe, 75,000 Franken zu meinen Gunsten. Man hatte in dem Monat stark gezogen.«

»Ganz recht, mein Herr, indeß die anvertrauten Fonds ergeben eine Summe von Achtmalhundert dreiundsechszigtausend Francs, – so viel ich weiß in Metalliques und Bank-Aktien?«

Der Geldmann warf einen hastigen Blick auf den Redner. »So ist es, ich machte auch nur die Bemerkung in Beziehung auf das laufende Conto.«

»Ich vermuthete das. Doch, mein Herr, der Bund braucht in diesem Augenblick bedeutende Mittel, und ich wollte Sie ersuchen, die Werthe bis auf achtmalhunderttausend Francs auf Morgen Mittag 12 Uhr für uns disponibel zu halten. Wir brauchen grade österreichische Papiere und werden sie auf die gewöhnliche Weise in Empfang nehmen lassen.«

Der Banquier erbleichte leicht, faßte sich aber rasch. »Sie werden zu Ihrer Disposition sein.«

Ein scharfer durchbohrender Blick sprühte aus der verhüllenden Maske. »Ist das auch gewiß, Herr Baron, werden wir die Metalliques vorfinden?«

Das Gesicht des Befragten überzog sich mit fahler Blässe, dennoch wankte er nicht unter dem Schlage, sondern entgegnete mit fester Stirn: »Ich werde die Ehre haben, Ihnen meine Kasse zu öffnen, das Geld befindet sich darin.«

[24] Die Worte waren kaum ausgesprochen, als der Vorhang hinter der Tafel auseinanderrauschte und in einer dunkel behangenen weiten Nische zwei Männer sichtbar wurden, die dasselbe verhüllende Kostüm trugen, wie ihr Gefährte. Der Eine war eine große breitschultrige Gestalt, der Andere klein, offenbar schwächlich und verwachsen. Alle Mitglieder der Tafel standen auf, – der Geldmann vor ihr trat unwillkürlich einen Schritt zurück und beugte das Haupt.

»Einen Augenblick,« sagte die ernste dröhnende Stimme des Größern der neuen Zeugen, »ich möchte Sie fragen, Gehorchender, ob dieser Auszug über den gegenwärtigen Bestand Ihrer Kasse richtig ist? Danach ist dieser Bestand an Aktien der österreichischen Bank nur 2000 Gulden, baar vielleicht 40,000 Francs, die in diesem Moment wahrscheinlich in Wechseln in Ihrer Tasche oder in Ihrem Koffer sind; aber von den Ihnen anvertrauten Metalliques giebt es in Ihrer Kassette keine Spur.«

Der Baron war vernichtet. »Ich hatte Forderungen zu decken –« stammelte er endlich, »das Geld ist nicht verloren – ich habe Speculationen – gönnen Sie mir nur Zeit.«

Der Große lachte verächtlich. »Armer Narr, wenn wir das nicht wüßten, lebten Sie bereits nicht mehr, um hier von Ihrem Verhalten Rechenschaft zu geben. Merken Sie sich die Lection, der nächste Bruch des Vertrauens wird mit Ihrem Herzblut gesühnt! – Hätten Sie uns Ihre Absicht, auf die Escompten-Bank zu speculiren, mitgetheilt, so würden wir dem gar nicht widersprochen haben, und Sie hätten nicht auf eigene Rechnung sieben Procent an dem Verkauf der Papiere verloren. So wie es ist, tragen Sie den Schaden. Sie werden nach Wien reisen und das Escomptengeschäft in Ordnung bringen. Je mehr Aktien Sie erwerben, desto besser. Es ist nöthig, daß wir die Majorität der Stimmen benützen. – Doch haben wir noch ein anderes und besseres Geschäft für Sie. Dies Memoir wer den Sie, nachdem Sie es sich zu eigen gemacht, in einer Audienz an Herrn von Bach in Wien persönlich übergeben und ihm Vortrag darüber halten. Es betrifft den Vorschlag zum Ankauf der österreichischen Staatsbahnen für Rechnung einer zu bildenden Gesellschaft. In diesem Portefeuille finden Sie 2 Millionen Gulden in Wechseln auf Sina und Eskeles; fünfzigtausend davon werden Sie nöthigenfalls für die Beamten verwenden, von deren Empfehlung das Geschäft abhängt, den Rest stellen Sie dem Premier sofort zur Disposition als Anzahlung [25] auf den Kauf. Die weiteren Auseinandersetzungen und Bedingungen finden Sie in den Papieren.«

Der adlige Banquier ergriff erfreut das Portefeuille, prüfte aber als Geschäftsmann sorgfältig die darin enthaltenen Anweisungen. Dann steckte er Alles zu sich und versicherte hoch und theuer, daß man volles Vertrauen in ihn setzen könne.

»Sie werden selbst am besten dabei fahren,« sagte der große Verhüllte, »denn ich schwöre Ihnen, Ihr Leben ist keinen Schuß Pulver mehr werth, wenn Sie im Geringsten nochmals von der Ihnen vorgezeichneten Bahn abweichen. Jetzt, Herr Baron, reisen Sie mit Gott und – denken Sie Ihres Auftrags zu jeder Zeit und an jedem Orte.«

Der Agent verneigte sich dankend und verließ, etwas weniger sicher, aber leichtern Herzens, als er gekommen, das Gemach.

»Jetzt, meine Brüder,« nahm der zuerst Eingetretene der Drei das Wort, »ist unser Geschäft für heute beendet. Sie werden die nöthigen Anstalten treffen, daß unsere Missionaire genügend überwacht und geleitet werden. Seien Sie thätig in sämtlichen Sectionen, Sie wissen, wie wichtig die Gegenwart ist. Wenn ganz Europa erst in Krieg verwickelt worden, kommt die Zeit unserer Ernte. Die Monarchieen schwächen sich durch die Opferung ihrer Armeen; England wird seine Zuflucht wiederholen müssen, Fremdenlegionen in allen ihm zugänglichen Staaten zu bilden, deren Kern unsere Gehorchenden sein werden. Ist der Zeitpunkt der Erschöpfung gekommen, haben wir die Kämpfe zu dem Ende geleitet, das wir bezwecken, dann ist es Zeit, den Boden zu bestimmen, auf dem unsere Siege erfochten werden müssen, und dieser Boden wird zwei Welttheile umfassen. Wann diehöchste Gewalt im Einzelnen oder insgesamt Ihren Sitzungen wieder beiwohnen kann, ist leider unbestimmt; darum leben Sie wohl bis dahin.«

Der Verwachsene winkte mit der Hand, einen Augenblick zu warten. Ein leiser schrillender Ton ließ sich hören, und aus dem Druckapparat eines electrischen Telegraphen, der unter einer entsprechenden Scheibe an der Wand der Nische angebracht war, schob sich langsam ein Streifen Papier, mit Punktirzeichen versehen. Er nahm denselben, las die Chiffreschrift und sagte lachend mit offenbar italienischem Accent: »Graf Walewski hat sich an [26] den Tuilerieen beurlaubt und ist zu Mademoiselle Rachel gefahren. Dem Polizeiminister meldet man so eben, daß die Spione am Invaliden-Hotel keine Spur entdecken konnten. Mit dem Abendzug ist ein Courier von Petersburg für Herrn von Kisseleff eingetroffen, Fürst Oczakoff. Da haben Sie die neuesten Neuigkeiten.Buona notte!«

Die Lichter erloschen, im Dunkel vernahm man mehrere Thüren sich öffnen und schließen – dann folgte das Schweigen des Todes.

Das erste Blut
[27] Das erste Blut.

Entzückend schön, über die Beschreibung der Feder, über die irdischen Farben des Malers erhaben ist der Sonnenaufgang im Golf von Smyrna!

Der »Egytto« hatte während der Nacht auf Chios angelegt und eine Menge neuer Passagiere an Bord genommen. Erst als das Tagesgrauen über die fernen Berge Anatoliens herauf dämmerte, erhoben sich die Reisenden vom Verdeck, wo sie ihr improvisirtes Lager gefunden, oder kamen langsam aus den Cajüten und Sabinen zum Vorschein. Das Verdeck eines Levante-Dampfers bietet, nachdem er von Athen abgefahren, ein eigenthümlich seltsames Schauspiel, dessen bunte Conturen von Insel zu Insel an Mannigfaltigkeit gewinnen. Der Capitain läßt das Deck der Schanze mit einer vorbereiteten Bretterlage überziehen, um es vor den Spuren des Kochens, Bratens und Schlafens säuberlich zu bewahren. Eine besondere Abtheilung für die Frauen und Kinder wird abgegränzt; mit Teppichen und Ballen aller Art und Form nehmen die Ankömmlinge den kleinen ihnen gestatteten Raum ein; Kreise bilden sich um den Dreifuß, auf dem alsbald der Granatapfel schmort oder die Zwiebel und das Hammelstückchen zischt; die Frauen bereiten den Kaffee oder holen ihn in kleinen Schälchen von dem alten Moslem, der mitten auf dem Verdeck seine Bude gleich den Schilderhäuschen unserer Obsthöker aufgeschlagen hat. Ueberall strecken sich lange Pfeifen quer über den schmalen, von dem hochaufgethürmten Gepäck gelassenen Gang; um die Küche drängt sich eine lärmende Menge, vom Koch glühende Kohlen zum Anzünden ihrer Nargilehs oder Schibucks zu betteln; zwischen den Haufen [28] der plappernden, lachenden, gestikulirenden Griechen sitzt auf seinen Kissen in ernster Gravität der Muselmann, von seinem schwarzen Sclaven bedient; Weiber mit dem wundervoll zarten Teint und den unzierlichen Gestalten der Frauen der Cycladen schlürfen in ihren klappernden Holzpantoffeln umher. Das dunkle brennende Auge zwischen den gefärbten Wimpern, durch die eigenthümliche Schwärzung des untern Augenlides noch flammender gemacht, mißt frei und offen den Fremden, oder blickt neugierig unter dem Yaschmak hervor, dem Mousselinschleier, welcher die orientalischen Schönheiten verhüllt, und den die Bekennerin des Propheten nur in den vertrauten Gemächern des Harems ablegt. Dazwischen bewegt sich das Volk der Matrosen, meist sehnige, sonnverbrannte Figuren von den Küsten der obern Adria, hin und wieder ein Italiener aus dem Golf von Tarent, stößt ohne Unterschied der Person, wer ihm im Wege steht oder liegt bei Seite: den Armenier, der auf dem Hühnerkorb sein Gold zählt und mit einem Andern um den leichten venetianischen Dukaten oder den beschnittenen Ghazi feilscht, ebenso wie den türkischen Juden, der in seinem blauen Tuchtalar geschmeidig durch die Menge schlüpft. Für den europäischen Reisenden hört mit dem Schritt über Athen hinaus jede Bequemlichkeit und Gewohnheit der nördlichen Civilisation auf; der Platz auf dem Hühnerkasten, auf dem Bogspriet oder den Bänken des großen Decks, von dem aus behaglich hingestreckt er unterm Schutz des Zeltpavillons die Oliventerrassen der ionischen Inseln, die dunklen Felsenwände von Tschernagora und Albanien, den zauberhaften Golf von Lepanto betrachtet hat, ist besetzt, kaum findet er einen Raum an der Brustwehr frei, von dem aus er hinaus das trunkene Auge tauchen kann in die unermeßliche Fläche der Wässer, deren Lazurbläue mit dem im Licht zitternden Dome des Himmels wetteifert. Das widrige Schauspiel anderer Meere und Seereisen, die Seekranken, verderben ihm das Bild nicht. Dieses Volk lebt und stirbt am Strande, das blaue Meer ist sein Element, wie die Luft, – die Fahrt von einer der prächtigen Cycladen zur andern seine Lebensgewohnheit. Gern opfert der Reisende sein eignes dolce farniente, um diese Kinder des Südens das ihre verträumen zu sehen.

Aus den blauen Tiefen des Meeres wachsen Felsen empor, Felsen mit Rosen und Myrthen, mit dem dunklen Grün des Lorbeers und der Olive, mit dem schlanken Stamm der Cypresse und der [29] Platane. Smaragden sind es in ihrem dunklen Grün, Diamanten in dem gelben Strahl ihres Lichts, schaukelnd wie Schmuck auf dem üppigen Busen einer Lais! Edelsteine sind es, die die tobende Gluth des Vulkans aus dem innern Gewerk der Erde emporgeworfen an die Oberfläche des Tages, daß sie Kunde geben von den Zaubern der Tiefe; die Götterwelt der Alten bevölkert sie in der Erinnerung, – weiße Segel auf leichten Barken, mächtige Handelsschiffe und die Flaggen aller Nationen ziehen gleich Tauben und Schwänen durch ihre Buchten und Labyrinthe. –

Der erste rosige Strahl der Sonne tauchte am Horizonte empor und zitterte über die Fläche des Golfs. Glänzend stieg die Königin unserer irdischen Welt über die in den fernen Nebeln noch unsichtbare Königin der Städte Anatoliens empor. Neben dem ernsten etwa vier bis fünfunddreißigjährigen Mann in einfacher aber moderner europäischer Kleidung mit dem grauen breiträndrigen Filzhut, der schon seit einer Stunde an dem Bollwerk des Vorderschiffes lehnte, um das herrliche Schauspiel mit allen seinen hier so wunderbaren Farbenwechseln nicht zu verlieren, breitete ein Türke seinen Teppich aus und knieete mit dem Antlitz gen Mekka nieder, sein Gebet zu verrichten. Was an Moslems auf dem Verdeck war, folgte dem Beispiel; der große Haufe der Griechen und Franken kümmerte sich aber wenig um die Andacht der Ungläubigen und unterbrach keinen Augenblick seine Unterhaltung, ja viele der erstern spuckten verächtlich und mit grimmigen Seitenblicken nach dem Erbfeind ihres Glaubens in's Wasser. – Eine Hand legte sich auf die Achsel jenes Mannes, der die ihm fremde Andacht beobachtete; als er sich umwandte, blickte er in ein Gesicht, das ihm wohl bekannt schien, doch ließ die fremdartige Kleidung, der das Haupt bedeckende griechische Fez ihn im ersten Moment den Andern nicht gleich erkennen. Es ging ihm wie so häufig im Leben, man findet unter veränderten Umständen ein Gesicht, von dem man weiß, daß es uns bekannt und befreundet gewesen, ohne sich doch gleich zu erinnern, wo der Besitzer hinzuthun ist, wie zu benennen.

»Erinnert sich Doctor Welland wirklich nicht mehr des Comilitonen,« frug der Grieche, »mit dem er vor Jahren die Kollegien unter Dieffenbach gehört, oder haben die acht Jahre, die seitdem vergangen, Gregor Caraiskakis so ganz aus dem Gedächtnisse der Freunde seiner schönen Jugendtage verdrängt?«

Welland warf sich in die geöffneten Arme. »Die Schulbank [30] des Knaben, die Aula des Jünglings schlingt ein Band gemeinschaftlicher Erinnerungen, das wahrlich auch im Männerleben sich nicht vergißt. Verzeihen Sie mir, Caraiskakis, daß ich 500 Meilen von dem Orte, wo wir zusammen gelebt, und in der veränderten Tracht Sie nicht wiedererkannte. Glauben Sie mir, ich habe, während der Dampfer mich an den Küsten Ihrer klassischen Heimath vorübertrug, gar oft Ihrer gedacht, und nur die Kürze unseres Aufenthalts in Athen verhinderte mich, nach dem lieben Comilitonen alter Zeit zu forschen. – Aber,« fuhr er fort und sah aufmerksam in das Antlitz des Universitätsfreundes, – »warum die Wahrheit verhehlen, gewiß, Sie haben sich auch sehr verändert, Gregor, und diese Falten, diese Blässe, stimmen wenig mit Ihren Jahren und dem frischen, kecken Lebensmuth, den der Sohn des Helden vom Pyräus sonst in jeder Bewegung, in jedem Worte zeigte.«

»Sie haben Recht,« entgegnete der junge Mann, »ich fühle es selbst. Aber zuerst, – wie kommen Sie hierher nach der Levante, in die sich brauenden, drohenden Gewitter, Sie, den ich in Berlin in der Gewißheit eines brillanten Examens und einer baldigen guten Praxis oder einer Anstellung im Staatsdienst zurückließ? – Lassen Sie mich das erst hören.«

»Der Mentor, der sich Ihnen gegenüber so oft als älter und erfahrener gerirt hat, wußte sich selbst nicht zu leiten. Etwa zwei Jahre, nachdem Sie, lieber Freund, nach München und von dort, wie ich hörte, nach Griechenland zurückgekehrt waren, brach bei uns jene merkwürdige, mir selbst kaum erklärliche Revolte aus, die man die Märztage nennt. Sie kennen sie aus den Zeitungen. Ich war thöricht genug, mich daran zu betheiligen, nachdem ich mir bereits seit einigen Monaten eine kleine Praxis gegründet hatte. In der Zeit ging Alles drunter und drüber, auch meine Existenz. Meine Familie trennte sich im Zorn von mir; so packte ich mein Bündel und zog nach Frankfurt, wo das deutsche Reichsparlament tagte und tobte. Dort blieb ich bis zum Frühjahr 49 und ein eigenthümlicher Zufall, den ich Ihnen wohl später erzähle, führte mich nach der Platz und Baden, als der Prahler Miroslanski dort seine Lorbeeren zu pflücken dachte. Mir war die Sache zuwider, denn ich hatte viel gesehen und erlebt in der Zeit; aber es stand doch mancher eherne Mann mit aufrichtiger Gesinnung, mancher Jüngling mit glühender Phantasie und ehrlichem Herzen unter [31] den Freischaaren, und wenn ich auch nicht an ihrer Seite gegen meine Landsleute focht, so widmete ich ihnen doch meine Kunst und wirkte als Arzt unter den Verwundeten und Sterbenden. Der Fall von Rastatt trieb mich nach Straßburg, von da nach Paris. Ich hätte vielleicht wiederkehren können in meine Heimath, da ich nicht compromittirt genug war, um sie mir für immer versperrt zu sehen; gewiß hätte es nur einer Bitte bedurft; aber theils war ich mit meiner Familie ganz zerfallen und erhielt nur heimlich hin und wieder einen Brief von den Schwestern, theils fesselten mich viele Freundesbande an Paris. Das Flüchtlings-Comitee unterstützte mich und ich gründete mir unter den Verbannten aller Nationen eine Praxis, die wenigstens ihren Mann nährte. – Aber, ich will es Ihnen gestehen, es fehlte mir die Befriedigung, ich sehnte mich fort in die Ferne, auf ein Feld, wo ich mehr wirken und schaffen konnte, aus den erschlaffenden Mauern von Paris mit seinen tausend politischen und socialen Intriguen hinaus in die frische Natur. Schon wollte ich nach Algerien gehen, als ein Auftrag von Freunden mir einen anderen Weg wies. Ich erhielt Empfehlungen nach Constantinopel und an Herrn de Latour, den französischen Gesandten, der mir bei den jetzigen Verhältnissen gewiß leicht eine meinen Absichten entsprechende Stellung verschaffen wird. Vorläufig werde ich eine kurze Zeit in Smyrna verweilen.«

»Da ist unser Ziel dasselbe,« sagte freudig der Grieche, dem die etwas zurückhaltende und vorsichtige Erzählung vollkommen genügte. »Auch ich gehe nach Smyrna, mögen die Heiligen geben, mit gutem Erfolg. Selbst in anderer Beziehung ähnelt sich unser Schicksal, auch die Familie Caraiskakis ist ausgewiesen von hellenischem Boden, aus jener Heimath, die ihr Vater mit seinem Blut erkauft hat!«

»Sie sind verwiesen aus Athen?« frug erstaunt der Deutsche. »Aber König Otto hat Sie und Ihre Brüder ja selbst erziehen lassen als eine Dankespflicht für den Heldentod Ihres Vaters.«

»Wir haben auch über den König nicht zu klagen, er ist gut und will das Beste. Aber Sie kennen die Parteiungen nicht, die das arme Griechenland zerreißen und es immer am Emporblühen hindern werden. Nur wenn es galt, das Kreuz gegen unsern alten Erbfeind zu erheben, waren Griechen jedes Stammes einig, und selbst da noch trieben Neid und Ehrgeiz ihr zerstörendes Spiel. Wenn der Wille des Königs auch gut, so ruht die Regierung doch [32] größtentheils in Händen, die nur darauf bedacht sind, zur eigenen Bereicherung oder Unterdrückung der politischen Gegner alle Macht zu verwenden. Die Verwirrung wird gesteigert durch die Einflüsse der mächtigern Staaten Europa's. Wo an anderen Höfen die diplomatische Intrigue ihr verdecktes Ziel zu erreichen strebt, da tritt bei uns die offene drohende Forderung auf. Das arme gedrückte Hellas erliegt unter der Last des europäischen Protektorats. Blicken Sie hin nach Jonien, der proklamirten freien Republik! Der britische Schutz hat es in Fesseln geschlagen, ärger wie die indischen. Ich führe Ihnen nur die einzige Thatsache an, daß auf allen sieben Inseln nur eine einzige Druckerei ist, die englische Regierungsdruckerei, und daß kein anderes Blatt, als das Regierungsorgan, erscheinen darf. Der Gouverneur von Corfu ist mehr Herr in unserem Griechenland als König Otto, und seinem peremtorischen Verlangen und der Forderung des englischen Gesandten verdanke ich die Verweisung vom Festlande, die mich seit zwei Jahren auf den Inseln des Archipel umhertreibt, weil in einigen Artikeln der ›Elpis‹ ich die unterdrückten Brüder auf Corfu in Schutz nahm und die Auflösung des Senats kritisirte.«

»Wenn ich mich recht erinnere,« frug Welland, »so stammen Sie ja wohl ohnehin von den Inseln?«

»Von dem unglücklichen Chios, das trotz seines Märtyrerthums im Befreiungskriege der englische Machtspruch unter den Fesseln des Halbmondes ließ. Meine Mutter flüchtete mit uns aus den Mörderhänden des Kapudan Pascha auf's Festland, wo mein Vater bereits für das Kreuz kämpfte. Die Sehnsucht nach der Geburtsstätte ließ vor zwei Jahren meine Mutter mich begleiten, ich brachte sie nach Chios zu Verwandten und schweifte seitdem umher, von Insel zu Insel, durch die Klöster des Athos, Stambul hinauf und an den Küsten des Pontus. Ueberall, wo ich weilte, fand ich die Herzen nach Erlösung schlagend, die Faust sich ballend im ohnmächtigen Grimm. Ueberall mein Volk trotz des Tausimats und aller Fermans vom Moslem unterdrückt und geschlachtet. Glauben Sie mir, Welland, was ich gesehen und erlebt, würde Ihnen das redliche Herz in der Brust umkehren. Nur in Constantinopel und in den Küstenstädten, wo die europäischen Consuln residiren und ihre Anwesenheit die Pascha's im Zaume hält, haben die griechischen Christen geduldete Rechte; im Innern [33] des Landes herrscht der Jahrhunderte alte Druck noch in seiner vollen Willkühr und Barbarei.«

»Aber Ihre Geschwister? Sie erzählten mir so oft von ihnen.«

»Mein älterer Bruder steht im griechischen Heer an der Gränze, mein jüngster ist in diesem Augenblick in Zettinge und hielt die Schluchten der Tschernagora mit dem tapferen Bergvolk gegen Omer Pascha's Redif's. Beide sind ihrer Väter würdig und ich nenne sie mit Stolz meine Brüder. Wenn ich sie sehe, werde ich ihnen den Segen ihrer greisen Mutter bringen, denn ich komme von ihrem Sterbebett auf Chios, wo ich sie gestern unter den Platanen begrub, die auf den Trümmern meines väterlichen Hauses wachsen. Möge die blutgetränkte Erde der Heimath ihr leicht sein!«

Welland reichte dem trauernden Freunde die Hand. »Und Ihre Schwester?«

Des Griechen strömende Augen stammten auf. Ueber sein bleiches Gesicht flog die Zornesröthe heftiger Erregung und er streckte den Arm aus gegen die Stadt, die aus dem Duft von Licht und Wasser emporschwamm, überragt von dem Pagus, an dessen Seiten über die Kuppeln und Minarets der Türkenstadt sich die Cypressenwälder der Friedhöfe hinaufziehen, während hoch von der Spitze die Trümmer des alten genuesischen Kastells sich gegen den Himmel zeichnen.

»Ich gehe, sie zu schützen, oder – zu richten!« sagte er mit tiefer Stimme und wandte sich ab. Die drängende Menge umgab sie und verhinderte jedes weitere Gespräch. –

Ismir, – wie es die Türken nennen, – Smyrna im Munde der Geschichte, das Kind Alexanders des Großen – zehn Mal verwüstet von der Hand mächtiger Feinde, und zehn Mal wieder emporgestiegen aus seinen Trümmern, Smyrna, eine der sieben heiligen Kirchen Kleinasiens, dehnte sich vor den Blicken der Reisenden an seinem prächtigen drei Meilen breiten Golf aus. Wie fast alle Uferstädte Griechenlands und Kleinasiens an der Höhe der Berge terrassenmäßig emporsteigend, bietet es einen prächtigen Anblick. Rechts am türkischen Kastell vorüber mit seinen schläfrigen Schildwachen und unbehülflichen Geschützen fliegt der Dampfer gegen die Stadt, die von Bergen umgeben nur rechts am Ufer hin sich nach der Karavanenstraße öffnet, auf der in [34] langen Reihen die gekoppelten Kameele die köstlichen Früchte und Erzeugnisse des südwestlichen Asiens zum Stapelplatz des levantinischen Handels bringen. Rechts im Vordergrund die neue Kaserne, ihre Höfe in das Meer tauchend; darüber empor die Türkenstadt mit ihren zahlreichen Minarets und Kuppeln, den kleinen zum Terrassenbau so prächtig geeigneten Häusern, dem Grün der Büsche und der Bäume, den mäandrischen Windungen der Straßen; höher am Berge Pagus das armenische Quartier, links die Franken- und Griechenstadt mit den Flaggen der Consulate, den Kaffeehäusern Magazinen auf der Marina, – zur Seite einschneidend die Wässer des Golfs zwischen den Bergen, eine Bucht tief hinein, deren Ufer von den zierlichen Landhäusern des Dorfes Bournabat besetzt sind. Im Hafen und das ist der ganze Golf, ankern Hunderte von Schiffen aller Nationen, Kriegsfahrzeuge auf dem Wege von und nach Constantinopel, Handelsschiffe jeder Art und Größe, von der leichten Küstenschebecke bis zum Fregatten-Dreimaster, der die Erde umkreist und ihre Produkte sammelt. Dampfer kommen und gehen, von Beiruth und Alexandrien, von Malta und Athen, aus dem Bosporus her, – – das Meer ist belebt von den flatternden Wimpeln und Segeln und dem Schlag der Dampfmaschinen.

Auf der Höhe des Golfs lag eine österreichische Brigg vor Anker, der »Hussar«, und von der Gaffel wehte lustig im Morgenwinde der schwarze Doppeladler im gelben Felde. Bollwerk und Wandtaue waren besetzt von dem Schiffsvolk, das zur Begrüßung des Lloyddampfers die Hüte schwenkte; auf dem Hauptdeck standen die Offiziere um eine gedrungene markige Gestalt, den Commandanten Major Schwarz. Kaum daß der Egytto in einiger Entfernung näher der Stadt Anker geworfen, so hörte man auch auf der Brigg den schrillen Ruf der Bootsmannspfeife ertönen und mit der den Kriegsschiffen eigenen Schnelligkeit hob sich ein Boot vom Schiffsrand und wurde bemannt, um zum Dampfer zu rudern. Roch ehe dasselbe jedoch anlangte, umschwärmten zahlreiche Uferbarken das Dampfschiff. Die erste derselben brachte den türkischen Sicherheitsbeamten an Bord, der die Papiere des Schiffes zu prüfen und seine Ueberkunft aus pestfreien Gegenden zu constatiren hat. Auf seine Erlaubniß erst verschwindet die kleine gelbe Flagge vom Mast und das Schiff tritt in den freien Verkehr.

[35] Während der Beamte noch mit den Papieren beschäftigt war, und sein Khawaß in der malerischen weißen Tracht, den Leibbund mit einem Arsenal von Waffen gespickt, im Boote Wache hielt, daß kein Unberufener die Schiffstreppe besteigen möge, drängten sich die Boote, theils zur Aufnahme der Fremden, theils zum Handel bestimmt, um den Bord, und vielfache Nachfragen und Unterhaltungen in allen Sprachen des Südens wechselten hinauf und hinab. Welland saß auf dem Rande des Bugspriets und seine Blicke schauten mit Neugier auf das malerische Getümmel, in seiner Hand wehte zufällig oder absichtlich ein Taschentuch von hellgrüner Seide. Nach wenigen Augenblicken bemerkte Caraiskakis, der wieder neben dem Freunde stand, daß in einem der um das Schiff kreuzenden Boote zwei Männer scharf auf den Deutschen blickten, und der eine von ihnen nach wenigen eifrig gewechselten Worten ein eben solches Tuch aus der Tasche zog und wehen ließ. Welland erblickte es und machte mit der Hand ein Zeichen, das rasch erwiedert wurde, worauf der Nachen mit den Fremden sich an das Schiff drängte und dabei heftig mit dem Boot der Brigg zusammenstieß, das eben heranfuhr. In diesem Augenblick wandte sich Welland zufällig um und bemerkte, daß die Augen zweier Männer sein Thun scharf beobachteten. Der Eine war der Grieche, der Andere ein Passagier, der schon von Triest aus die Fahrt mitgemacht und mit auffallender Freundlichkeit sich an den Doctor zu drängen versucht hatte. Diesem aber gefiel des Mannes Wesen nicht, auch machte ihn ein zufällig hingeworfenes Wort des Capitains aufmerksam und hatte ihn gewarnt. So hatte er sein Benehmen auf den äußerlichen höflichen Verkehr beschränkt und namentlich den Fragen auszuweichen verstanden, die der Fremde, seiner Aussprache nach ein Wiener, obschon er sich für einen Ungar ausgab, nach Zweck und Ziel seiner Reise geschickt einzuflechten verstand. Eine leichte Röthe überflog Welland's Gesicht, als er sich so beobachtet und ertappt sah, doch wurde seine Aufmerksamkeit alsbald durch einen Streit abgezogen, der sich unten zwischen den beiden Booten erhoben hatte. In dem des Kriegsschiffs saß ein junger schlanker Schiffsoffizier in der österreichischen Midshipman-Uniform, und gebot heftig den beiden Ruderern des andern Bootes, an der Treppe Raum zu geben. Einer der beiden Insitzenden jedoch lachte höhnisch zu dem herrischen Befehl und hieß in italienischer Sprache, die in den Küstenländern des Orients, selbst [36] bis an die Ufer der Donau hinauf überall gesprochen und verstanden wird, seine Fährleute ihren Platz behaupten.

Der junge Offizier, an Gehorsam gewöhnt und über den Widerstand der Kahnführer erzürnt, erhob sich und ergriff eine neben ihm liegende Speiche, dieselbe zum Schlag halb gegen die feigen griechischen Ruderer, halb gegen den trotzigen Passagier erhebend. Wie ein Blitz flammte das Auge des Bedrohten auf den Oesterreicher und seine Hand fuhr nach der Brusttasche, aber der Zweite, Besonnenere, derselbe, welcher das Tuch gezeigt, riß ihn zurück und gab den Ruderern ein Zeichen, zu weichen. »Bist Du rasend, Jumagalli?« herrschte er dem Gefährten zu, »Dein Tollkopf wird uns noch verderben.« – Der Offizier bestieg mit dem ziemlich hörbaren Ausdruck »Gesindel!« die Schiffstreppe, ohne sich weiter um die Zurückgewiesenen zu kümmern, denn eben war das Zeichen gegeben worden, daß die Revision beendet und das Schiff in freien Verkehr gesetzt worden und er hörte nicht das. »Cospetto, Bursche, wir treffen uns wieder!« das der Italiener hinter ihm her fluchte. Der Andrang der Kähne von allen Seiten überfluthete jetzt die kleine Zwischenscene und bald war das Verdeck förmlich im Sturm genommen von all den Bootführern, Verkäufern und Agenten, die das Schiff umringt hatten. Während der junge Offizier von dem Schreiber des Schiffs ein Packet mit Briefen in Empfang nahm und von dem Wiener angesprochen wurde, hatten die beiden Männer mit den scharfgeschnittenen südlichen Physiognomieen, die in dem Kahne mit Welland die Zeichen gewechselt, sich diesem genaht und verkehrten an einer weniger beengten Stelle des obern Verdecks lebhaft mit ihm. Bald schienen die Drei sich verständigt zu haben; denn die Fremden winkten ihre; Kahnführer an Bord und diese brachten das wenige Gepäck des Deutschen in ihr Boot.

Ein Jeder hatte genug zu thun, sich in dem Gedräng um seine Habe zu bekümmern und die Zudringlichkeiten der türkischen und griechischen Bootsleute abzuwehren, die mit Gewalt sich der Reisenden zu bemächtigen suchten. Die Geschwätzigkeit und Unverschämtheit der Griechen trug gewöhnlich den Sieg über ihre Rivalen davon und bald flogen Boote mit den Reisenden, die theils in Smyrna bleiben, theils den Tag, während dessen das Dampfschiff auf der Rhebe ankerte, dort zubringen wollten, dem Strande zu.

Welland trat zu dem gleichfalls beschäftigten Jugendfreund und [37] reichte ihm mit einiger Verlegenheit die Hand. »Ich habe bereits Leute getroffen, Gregor,« sagte er, »an die ich empfohlen bin und mit denen ich Geschäfte habe. Sagen Sie mir Freund, wo wir uns heute Abend in dem mir fremden Smyrna treffen können, wir haben uns noch so Vieles zu sagen und können dann besser unsere weiteren Pläne besprechen.«

Caraiskakis drückte ihm eifrig die Hand. »Hüten Sie sich vor den fremden Flüchtlingen,« sagte er ihm eilig und leise. »Es sollen in Smyrna deren jetzt mehr als fünfhundert sich befinden und das niedere Gesindel ist zahllos und macht die Stadt und die Gegend unsicher. Mein Weg führt mich nach dem armenischen Quartier, und wenn ich kann, suche ich Sie heute Abend bei Sonnenuntergang auf der Terrasse des englischen Kaffeehauses um Hafen auf, das Ihnen jedes Kind zeigt.«

Damit trennten sich herzlich die Freunde und bald fuhr die Barke der Italiener mit Welland über die im Sonnenschein leuchtende und blitzende Wasserfläche zur Stadt. Ihren Weg kreuzte das Boot der Corvette, in dem der Wiener saß und dem Reisegefährten vertraulich zunickte. Am Quai des österreichischen Generalconsulats sahen sie es landen.


Smyrna, das wie viele andere orientalische Städte, aus der Ferne einen so prächtigen Eindruck macht, bietet im Innern dem Fremden den ganzen Typus des türkischen Schmutzes, der gränzenlosen Fahrlässigkeit und Unordnung. Nur das Frankenquartier mit seinen vielen Consulaten und den großen europäischen Handelsmagazinen, deren Durchgänge von der Frankenstraße her sich am Meeresstrande öffnen, und ein Theil der armenischen Stadt sind nach europäischen Begriffen einigermaßen erträglich. Die Straßen aber auch dieser Stadttheile sind krumm, eng und ungepflastert, doch Promenaden im Vergleich zu den Gäßchen und Winkeln der Türkenstadt. Keines der Häuser hat mehr als ein Stockwerk außer dem Erdgeschoß und die meisten sind nach orientalischer Art, also eng und unbequem mit flachen Dachterrassen und mauerumgebenen Höfen gebaut. Ein Quai am Hafen existirt eben so wenig wie in Constantinopel; die Höfe der meisten anliegenden Häuser laufen bis unmittelbar an das Ufer des Meeres und die einzelnen freien Strecken auf der [38] Marina, welche den Spaziergang der Bevölkerung Smyrna's an der See bilden, sind kaum 200 Schritt lang. Das Café anglais, ein Quadrat in die See hinausgebauter mit leichtem Geländer umgebener Vorsprung, liegt an der Südseite derselben.

Welland hatte aus verschiedenen Gründen die Einladung seiner neuen Bekannten nicht angenommen und seine Wohnung bei Madame Giraud aufgeschlagen, der behaglichen freundlichen Französin, die eine weitbekannte Pension – wie man die Kosthäuser im Orient nennt, – in der Frankenstadt hält. Er hatte eben seine Sachen geordnet, als seine beiden neuen Bekannten erschienen und einen Dritten ihm vorstellten, den Ungar Costa. Es war ein Mann von einigen dreißig Jahren, nicht groß, doch schlank gebaut, dabei von breiten Hüften und festen Muskeln. Sein keck geschnittenes Gesicht, von dunklem Bart umgeben, nahmen für ihn ein und Welland fühlte sich von Anfang mehr zu ihm hingezogen als zu den Italienern. »Sie haben, wie ich von meinen Freunden höre, Briefe für mich von Paris,« sagte der Ungar verbindlich; »ich habe so lange der Nachrichten entbehrt, daß ich voll Erwartung bin. Wollen Sie mir dieselben aushändigen?«

»Sie werden selbst wissen, daß einige Bedingungen vorher zu erfüllen sind,« bemerkte Welland und nahm ein sorgfältig verwahrtes Briefpacket aus seiner Brieftasche. Costa beugte sich zu ihm und flüsterte: »Die Flamme ist die Mutter des Lichts. Die Mariannen beten die Flamme an!«

Sie waren zur Seite getreten. »Das sind die Worte des dritten Grabes,« sagte Welland, »ich brauche die Losung des vierten.«

Costa flüsterte noch leiser als zuvor: »Flamme und Eisen machen Asche und Leichen. Asche und Blut düngen den Boden der Freiheit. Die Joseffiten sind die Blätter des Baumes. – Sind Sie befriedigt?«

Welland übergab ihm die Briefe. Der Ungar betrachtete ihn einige Augenblicke scharf, dann zog er ein kleines schwarzes Kreuz von Ebenholz aus der Tasche, das von eigenthümlicher Form dem des Ordens vom heiligen Grabe glich, und in das fünf breite silberne Stifte eingeschlagen waren; »Sie sehen,« sagte er leise, »daß Sie mir zu gehorchen haben, denn ich setze voraus, daß Ihre Mission mit dem vierten Grade endigt?«

[39] Welland verbeugte sich: »Ich stehe zu Ihrer Disposition, Signor Costa.«

Der Ungar winkte die Andern wieder herbei, setzte sich an den Tisch und schickte sich an, das Couvert zu erbrechen. Ehe er dies that, untersuchte er es sorgfältig von allen Seiten und betrachtete namentlich aufmerksam das Siegel, das ein wie oben beschriebenes Kreuz auf guillochirtem Grunde zeigte. Seine scharfen Augen schienen einen Umstand zu entdecken, der seine Besorgniß erregte.

»Auf Ihren Eid als Bundesbruder,« frug er, »ist dies Packet nie aus Ihren Händen gekommen, Signor?«

»Ich trug die Briefe stets in meinem Portefeuille und dies in der innern Brusttasche meines Rockes. Des Nachts verschloß ich sie in meine Kasette und stellte diese in die Kabine', in der ich schlief.«

Costa schüttelte den Kopf. »Das war zu viel Vorsicht, oder zu wenig,« sagte er, »man hätte uns einen mit der österreichischen Polizei vertrautern Mann schicken sollen. Der Brief ist geöffnet worden.«

Er sagte dies mit solcher Bestimmtheit, daß Alle erschrocken und neugierig näher traten, um selbst zu prüfen. Welland behauptete, es sei nicht möglich; doch der Ungar nahm eine Scheere, schnitt rings um das Siegel das Couvert durch, hob das erste dann in die Höhe und zeigte an seiner Doppellage, daß das Papier mit einer seinen erwärmten Klinge unter dem Rande aufgetrennt gewesen und später auf gleiche Weise wieder befestigt worden war. Dann sah er rasch die Papiere durch. »Zum Glück,« sagte er, »sind die wichtigeren Stellen in Zeichen geschrieben, deren Lösung wohl dem Dechiffrirbüreau in Wien arges Kopfzerbrechen machen dürfte, selbst wenn es gelungen wäre, Abschrift zu nehmen. Haben Sie auf Niemand Verdacht, Signor Wellando? Wer waren Ihre Mitreisenden?«

Welland fiel der Wiener ein. »Nur Einer derselben konnte es gewesen sein, die Andern waren unbedeutende Menschen. Der Mann versuchte sich auffallend an mich zu drängen, doch wies ich ihn zurück.«

»Wo schlief er?«

»Jetzt fällt mir auf, daß, obschon er auf dem ersten Platz reiste, er mehrmals sein Nachtlager auf den breiten Bänken unserer [40] zweiten Kajüte aufschlug, unter dem Vorwande, daß ihm in den engen Kabinetten die Hitze unerträglich sei.«

»Bassa manelka! verlassen Sie sich darauf, er ist der Spion. Wo ist er geblieben?«

»Er fuhr in einem Boot des österreichischen Kriegsschiffes, das an unsern Bord kam, an's Land.«

»Ich sah es am Quai des österreichischen Konsulats landen,« flocht einer der Italiener ein. »Ich beobachtete es genau, denn ich hatte ein kleines Rencontre mit dem Lassen, der es commandirte.«

»Sie werden uns sicher noch Unannehmlichkeiten mit Ihrer Hitze bereiten, Fumagalli,« sagte Costa streng. »Wir sind zwar augenblicklich die Herren in Smyrna, und die Autorität des Pascha's ist Null. Aber wir müssen trotzdem vorsichtig sein, um die Aufmerksamkeit nicht auf hier zu lenken. – Signor Wellando, Sie werden in zwei oder drei Tagen mit mir nach Constantinopel gehen müssen; unsere Gegner sind thätig, und wir dürfen ihnen keinen Vorsprung lassen. Sie Fumagalli mit Bassitsch berufen die Ungarn und Italien auf morgen Abend nach dem Tempel des Jupiter, denn für heute bleibt uns keine Zeit. Eine Stunde vor Sonnenuntergang! Und nun Signor, ruhen Sie sich aus und schauen Sie sich diese sogenannte Königin Anatoliens an, Sie werden finden, daß sie einer Reinigung stark bedarf.«

Costa schied, die Italiener folgten ihm, nachdem sie dem Deutschen versprochen, ihn Einer oder der Andere am Abend zu einem Gange abzuholen, und ihm gerathen hatten, vor dem Essen ein türkisches Bad zu seiner Erholung zu nehmen.

Diese gewährte es ihm wirklich. Ein türkisches Bad ist einer der Genüsse, die wir Occidentalen leider nicht kennen, – es ist eine Wollust des Körpers, aus der man wie neugeboren hervorgeht. Stundenlang kann man sich unter der knetenden, streckenden, drückenden Hand des Badedieners einem behaglichen Gefühl überlassen, gegen das jenes dolce farniente des Italieners nur ein Schatten ist.

Am Tisch, der bei Madame Giraud vortrefflich ist und die Genüsse des Orients und Occidents vereinigt, waren Gäste aller Zungen. Man sprach und erzählte von den Verwickelungen in Constantinopel, von den beginnenden Aushebungen in Syrien und Egypten und der großen Unsicherheit der Gegend, ja der Stadt selbst, die Jan Katarchi, der Kameeltreiber, mit seiner Bande in [41] Schrecken zu setzen begann. Welland vernahm mit Erstaunen, daß eine Stadt von 150,000 Einwohnern von einem Räuber in fieberischer Angst gehalten wurde, der kaum 10–15 Mann zu seinem Gebot hatte.

Es war damals eine merkwürdige Zeit in Smyrna. Die Flüchtlinge aus Ungarn, Italien und Frankreich hatten sich in Masse an dieser Stätte uncivilisirter Freiheit und Nachlässigkeit gesammelt, es mochten ihrer wohl an 5- bis 600 sein. Dazu kam die abnorme Masse Gesindels, welche von dem griechischen Festland, den Inseln, dem ionischen Staat und namentlich von Malta und Egypten her sich hier zusammenfindet. Räuber und Mörder, denen der Galgen und die Garotte auf der Stirn geschrieben steht; Männer, die Menschenblut bei dem geringsten Streit oder für ihre Zwecke wie Wasser vergießen, füllten die Gassen und die Kaffeehäuser der Stadt. Verworfene Subjecte, deren Handwerk das Verbrechen, namentlich Malteser, diese Pest des Orients unter englischem Schutz, sprachen jeder Ordnung, jedem Gesetz Hohn. Längst hatten der Pascha und die türkischen Behörden die Aufrechthaltung einer gewissen Sicherheit, wie sie sich im Orient etwa erwarten läßt, aufgegeben. Den Mörder, den Räuber – und deren ergriffen die Khawassen des Pascha's täglich auf offener That in den Straßen der Stadt – reclamirte sofort der englische Viceconsul; denn der Vertreter der brittischen Macht lag Tag für Tag in Rum berauscht, – oder die Consule von Sardinien, von Griechenland oder sonst ein gefälliger Beamter, als Angehörige ihres Staates, und ließen sie nach einer Haft von kaum 24 Stunden wieder auf die menschliche Gesellschaft los. Um diesem Allem die Krone aufzusetzen, streiften die freien Räuber rings um die Stadt, und plünderten die Kravanen und die Reisenden. Ja, es war allgemein bekannt, daß Jan Katarchi, der berüchtigste und kühnste unter diesen Bandenführern, fast täglich frank und offen in den Straßen Smyrna's verkehrte, und jeder Grieche ihn zum Spion und Freund ward, da er kühn erklärt hatte, nur gegen die Feinde des Kreuzes, gegen die Moslems, die Engländer und Franzosen seinen Säbel erhoben zu haben. Obschon eine Menge Freiwillige ihm zuströmten, vermied er doch, die Zahl seiner Bande zu vermehren, mit der er ganz Smyrna bald der Art in Schrecken setzte, daß kein Mensch mehr wagte, die nächste Umgebung der Stadt allein zu überschreiten. Selbst in dieser hatte der Räuber schon, von allen Verhältnissen sorgfältig unterrichtet, wohlhabende oder [42] angesehene Personen aus der Mitte ihrer Familien aufgehoben, in die Berge geschleppt und schweres Lösegeld für sie erpreßt, oder er sandte ihre Ohren, oder gar ihre Köpfe zum Hohn des Pascha's in die Stadt zurück. –

Es war am Abend bei Sonnenuntergang, als Welland auf der Terrasse des englischen Kaffeehauses den Freund seiner Jugend traf. Finsterer Schmerz, ruhelose Gedanken lagerten auf den Mienen des Griechen. Er drückte schweigend dem Deutschen die Hand, und Beide setzten sich unter das Zeltdach an das äußerste Ende der niedrigen Barriere, die in die plätschernden Wellen des Golfs taucht. »Sie haben nicht Alles so gefunden, wie Sie gewünscht, lieber Freund,« sagte Welland vertraulich, »Sie empfinden Schmerz und Kummer, wollen oder können Sie mir nicht dessen Ursache mittheilen?«

Gregor Caraiskakis sah einige Augenblicke vor sich hin, dann strich er mit der Hand über die Stirn und entgegnete: »Sie sollen erfahren, was mich hierher nach Smyrna trieb. Sie wissen bereits aus meinen Erzählungen von der Heimath, daß meine Schwester und mein jüngerer Bruder aus einer zweiten Ehe stammen, die meine Mutter sechs Jahre nach dem Tode meines Vaters mit einem früheren Waffengefährten desselben schloß. Es war ein braver und gerechter Mann, der an uns beiden Aelteren, die wir im Pädagogium zu Athen auf Kosten des Staats erzogen wurden, wie ein aufrichtiger Freund handelte, und bei seinem Tode sein Erbe gleichmäßig unter uns Vier theilte. Meine Schwester Diona, jetzt ein Mädchen von 18 Jahren, kam, als man mich aus Athen verbannte und meine Mutter nach Chios zog, von dort aus zu armenischen Verwandten ihres Vaters nach Smyrna. Wir Brüder liebten das Mädchen innig, das, als ich es das letzte Mal sah, bereits zur schönen Jungfrau erblüht war, wie sie nur dieser milde Himmel erschafft. Eine Botschaft der erkrankten Mutter rief mich an ihr Sterbebett, und hier vermißte ich mit Staunen die Schwester, sie war von Smyrna nicht zurückgekehrt. Ihre Briefe, denn sie hat eine gute Erziehung genossen, was wenigen von unseren Mädchen zu Theil wird, – brauchten offenbar leere Vorwände zur Verlängerung ihres Aufenthalts, und verbargen sichtlich Vieles vor den Augen der Mutter. Ich konnte diese nicht verlassen; wie kurz auch die Entfernung war, – in wenigen Tagen ging es zu Ende. An ihrem Todestag erhielt ich zugleich einen Brief von Diona, [43] der verworren und schmerzlich aufgeregt von uns Allen einen leidenschaftlichen Abschied nahm. Mir ahnte Böses, – als das Grab unter den Platanen sich über meiner und ihrer Mutter geschlossen, eilte ich nach Kastron, und traf am andern Abend Ihr Schiff.« –

»Und hier?«

»Hier fand ich Diona verloren! – Freund, Sie wissen nicht, was unter diesem warmen Himmel, der das Blut heiß durch die jugendlichen Adern treibt und zur Nachsicht mahnen sollte, ein Fehltritt des unbewachten Mädchens für Folgen nach sich zieht! Bei uns besteht noch die Sitte der Väter, die die Jungfrau rein und unbescholten in das Haus des Gatten liefert, nicht jene Nachsicht und Vergebung, die in Ihrem kalten Norden gegen die Sünde des warmen Blutes geübt wird. Die Reinheit unserer Töchter und Schwestern ist ein Ehrenpunkt, der heilig gehalten wird; das gefallene Mädchen ist verstoßen und verflucht von ihrer Familie, wenn sie nicht die Pistole oder der Dolch des Blutsfreundes in rascher That straft. – Ja, Fremdling auf dem Boden meiner Väter, die Schwester des Gregor Caraiskakis ist die Maitresse eines Engländers geworden!«

Er schlug die Hände vor das Gesicht und barg das Haupt auf der Balustrade. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter, noch ehe Welland ihm zu antworten vermochte. »Caraiskakis?« fragte eine tiefe Stimme in italienischer Sprache, während die frühere Unterhaltung deutsch geführt worden. »Wer spricht hier von Gregor Caraiskakis?«

Die Freunde blickten erstaunt um. Ein Mann mittlerer Größe, von gedrungenem kräftigem Bau, in fränkischer Kleidung, die ihm offenbar ungewohnt und unbequem war, stand hinter ihnen und mußte während der Erzählung an einem Tisch in ihrer Nähe Platz genommen haben. Ein kräftiges orientalisches Gesicht, von der Sonne tief gebräunt, wurde von einem ergrauenden Bart umschattet; der Mann mochte ungefähr 50 Jahre zählen. Ein Zug kecker Entschlossenheit und eiserner Willenskraft preßte seinen Mund zusammen, dunkle, rastlose Augen glühten mit vom Alter ungeschwächtem Feuer unter den dicken Brauen. Seine markige Hand spielte mit der den Orientalen eigenthümlichen Rastlosigkeit an der Stelle des Gürtels, gleich als sei sie gewohnt, dort den Pistolenknauf oder den Handjar zu finden.

[44] Welland hatte sich zuerst gefaßt. »Was wünschen Sie von uns, mein Herr?« fragte er.

»Verzeihen Sie, Signor,« sagte der Fremde, »dieser Herr nannte, wenn ich recht gehört, so eben einen Namen, den ich lange nicht vernommen habe, der mir aber lieb und werth ist. Ist ein Gregor Caraiskakis noch unter den Lebenden und kennen Sie das Kind?«

»Das Kind,« sagte der Deutsche lächelnd, »freilich nicht. Aber den Mann kenne ich, der aus dem Kinde geworden, und Sie auch. Dort sitzt er, mein Freund ist Gregor Caraiskakis.«

Der Fremde stürzte auf den jungen Griechen zu und faßte seine beiden Hände; sein Gesicht war lebhaft erregt. »Sie sind Gregor Caraiskakis?« fragte er hastig, »der Sohn von Michael Caraiskakis und Anastasia Maliolis in Chios geboren?«

»Derselbe!« entgegnete erstaunt der Grieche.

»Wo hatte ich auch mein Gedächtniß!« sagte der Mann, »das ist ja sein Gesicht, das sind ihre Augen! – Herr,« fuhr er fort, »halten Sie mich nicht für närrisch oder aufdringlich, daß ich mich freue wie ein Knabe, Einen Ihres Geschlechts wiederzusehen. Wenn Sie wüßten, wie sehr dies Herz noch an ihm hängt, wenn Sie erfahren, wie nahe ich ihm gestanden – sprechen Sie, Signor, ist Ihnen dies Gesicht denn ganz unbekannt geworden, haben Sie keine Erinnerung mehr für – – Doch nein,« fuhr er, sich umsehend auf der Terrasse, die sich mit Spaziergängern zu füllen begann, und auf der Costa mit mehreren Begleitern eben sich den Freunden nahte, fort, »jetzt nicht, hier nicht, diese Menge ist nicht für mich. Leben Sie wohl, Signor, Sie werden von mir hören!«

Damit wandte er sich ohne Gruß und ging langsam, wie absichtslos sein Gesicht mit dem Tuche verbergend, durch die Reihen der Gäste, welche hier ihren Sorbet, ihre Limonade oder Granita schlürften. Unter den zahllosen Barken, die am Ufer lagen, wurde sogleich eine von zwei Ruderern frei gemacht, als hätte sie auf ihm gewartet. Der Fremde stieß einen riesigen Mann in niederer griechischer Tracht zur Seite, der am Ufer lungernd ihm den Weg versperrte, und stieg in den Nachen, der sofort sich in Bewegung setzte und davonfuhr, während der Zurückgedrängte ihm aufmerksam noch und bald darauf mit einigen Männern in seiner Nähe sprach, eifrig nach dem bereits entfernten Kahne deutend. Caraiskakis [45] schien übrigens diesen Menschen zu kennen, denn während Costa den Deutschen ansprach und ihm mehrere Begleiter vorstellte, ging er zu dem Griechen.

»Andrea,« sagte er, »kanntet Ihr den Mann, der eben in jenem Boot davonfuhr?«

»Excellenza werden das selbst am besten wissen,« entgegnete mit übertriebener Höflichkeit und ausweichend der Angeredete, der Wirth eines griechischen Speisehauses, in dem Caraiskakis einstweilen wegen dessen Nähe am armenischen Quartier seinen Aufenthalt genommen. »Ich bin ein armer Mann und lebe und lasse leben. Excellenza haben ja selbst mit ihm geredet, und in Smyrna muß jetzt Keiner die Augen da offen haben, wo er sie besser schließen sollte. Messerstiche sind eine billige Waare in dieser Stadt. Doch Excellenza wollen mir eine Gegenfrage erlauben. Wer ist der Herr mit dem dunklen kurzen Rock und dem breiten Strohhut, der eben mit Ihrem Freunde spricht, mit dem sich Excellenza so lange unterhalten haben?«

»Ihr scheint ja genau hier aufzupassen, Andrea,« sagte verwundert Caraiskakis. »Wenn ich recht gehört im Fortgehen, nannte ihn mein Freund Signor Costa. Kennt Ihr, der halb Smyrna kennt, auch diesen Herrn nicht?«

»Bitte um Verzeihung, Excellenza,« entgegnete unterwürfig der Wirth, »aber ich war meiner Sache nicht ganz gewiß, obschon ich den Signor oft gesehen habe. Doch kann ich Ihnen gute Nachricht in Ihrer Angelegenheit zu heute Abend bringen, einer meiner Freunde ist der Sache auf der Spur.«

»Desto besser, Ihr wißt, es wird Euer Schaden nicht sein. In einer Stunde bin ich bei Euch.«

Damit kehrte der Grieche zu seinem Freunde zurück; an Andrea, dem Speisewirth, aber streiften in der rasch auf den Sonnenuntergang folgenden Dämmerung zwei Gestalten vorüber, deren eine Welland's scharfes Auge, wenn er sie beobachtet hätte, leicht für seinen wiener Reisegefährten erkannt haben würde. Der Zweite, eine robuste Figur mit einem österreichischen Orden im Knopfloch, winkte ihn nach einem der Durchgänge und frug:

»Habt Ihr das Wild gefunden?«

»Ja, Excellenza!«

»So sorgt dafür, – todt oder lebendig, Ihr kennt den Preis.«

»Ihr werdet zufrieden sein, Signor Cancellario, wenn nicht [46] heute Abend, so hoch sicher bis Morgen um diese Zeit, und sollte ich ihn aus einem Bett holen.«

»Auch den Andern vergeßt nicht,« fügte der Wiener hinzu, »es geht in Einem hin und er wird uns nothwendig sein. Doch bleibt der Erste die Hauptsache. Lebendig wo möglich – ich lege hundert Piaster zu.«

»Verlaßt Euch auf mich, Excellenz.«

Die Beiden betraten das Kaffeehaus.

Caraiskakis war unterdeß zu Welland gekommen, der sich lebhaft mit dem Kreis um ihn her unterhielt. »Ich muß Sie verlassen, lieber Freund,« sagte er, als sich dieser sogleich losmachte, »ich habe Ihnen zwar noch viel zu erzählen und Ihren Rath, vielleicht auch Ihren Beistand zu erbitten, doch sind mir eben Nachrichten versprochen, die ich nicht versäumen darf. Wenn es Ihnen genehm, hole ich Sie morgen zu einem Gang nach dem Bazar ab. – Noch Eins. Eben erkundigte sich ein Mann, der auch Ihnen vorhin am Ufer auffiel, bei mir nach Ihnen und Ihren Freunden. Er ist mein Wirth gegenwärtig, ein berüchtigter Mensch in Smyrna und ein so verworfenes Subject, wie irgend eines die Erde trägt. Aber ich brauche ihn augenblicklich und habe deshalb sein Haus vorgezogen. Doch wollte ich Sie aufmerksam machen, der Schurke frägt nie ohne Absicht.«

Welland zuckte die Achseln. »Ich bin noch so ganz unbekannt und deshalb wohl ungefährdet. Ich verlasse mich darauf, Sie kommen morgen, gebe Gott, mit erleichtertem Herzen.«

Er drückte dem Freunde die Hand und kehrte zu dem Kreise zurück; Caraiskakis aber wandte sich nach dem griechischen Quartier.


Es war bereits gegen Mittag, die Stunde der Siesta nahete, als Caraiskakis den Fremd abholte und mit ihm durch die mäandrischen Windungen der Straßen hinauf zum Bazar stieg, in dessen weiten Kreuzgängen sich alle Schätze des Morgenlandes und Abendlandes vereinigen. Züge von Kameelen begegneten ihnen, Menschen aller Zonen und Farben drängten sich nach dem Weltmarkt. Nach und nach wurden der Mittagshitze wegen die Gänge leerer. Welland kaufte einige Gegenstände in den verschiedenen streng gesonderten Abtheilungen des Bazars, unter Anderm einen vollständigen orientalischen Anzug und von einem Turkomannen einen trefflichen [47] Handjar, und sandte die Sachen durch die Kaufleute in sein Quartier. Schon während des Handelns war es dem Deutschen aufgefallen, daß ein Knabe in zerlumpter türkischer Kleidung sie unablässig verfolgte und aufmerksam beobachtete. Als sie nun durch die leeren Gänge zurückkehrten, trat ihnen der Bursche an einer Biegung nochmals entgegen. Welland glaubte, es sei ihm um den Bakschis – ein Trinkgeld – die gewöhnliche Forderung im Orient bei allen Gelegenheiten, bei denen man mit Türken verkehrt, zu thun und reichte ihm einige Para's, doch der Knabe schüttelte den Kopf und zeigte ihnen ein Stück schmuziges Papier, auf dem in griechischer, doch kaum leserlicher Schrift der Name »Caraiskakis« geschrieben stand. »Aha, wohl von Ihrem geheimnißvollen Freund,« meinte der Doctor und wies den Boten an den Gefährten. Gregor, den ganzen Morgen über zerstreut und noch düsterer als am Tage vorher, fragte ihn kurz nach seinem Begehr.

»Ich soll Euch bitten, Effendi,« sagte der Junge, »Ihr möchtet heute mit Eurem Freunde die Marina (den Quai) meiden und um Sonnenuntergang an der Karavanenbrücke sein, dort würde Jemand Eurer warten.«

»Thorheit,« entgegnete der Grieche, »meine Zeit ist gemessen und ich kann unbekannten Botschaften keine Folge leisten. Nach der Marina gehen wir eben.«

»Sie sollten die Botschaft doch nicht so leicht von sich weisen,« sagte Welland, »vielleicht betrifft sie einen Gegenstand, der Ihnen gerade von Wichtigkeit ist.«

»Das ist nur einer, – und von dem kann jener Mann Nichts wissen. Ich bitte Sie, hören Sie mich weiter, denn ich muß meine Geschichte von gestern vollenden und Ihre Ansicht hören, um so mehr, als Sie morgen schon, wie Sie mir sagten, Smyrna und mich wieder verlassen wollen.«

Er legte seinen Arm in den des Freundes und Beide gingen an das Ufer, wo sie, vom Seewind gekühlt, auf der kurzen Strecke umherwandelten. Später begegnete ihnen der Ungar Costa, nickte aber nur, da er sie im eifrigen Gespräch sah, dem Deutschen zu und setzte sich an einem entfernteren Kaffeehaus am Ufer nieder, eine Zeitung zu lesen und seinen Kaffee zu schlürfen.

»Ich habe Ihnen bereits gesagt,« erzählte der Grieche, »wie meine Schwester Diona hierher gekommen und welches Unglück uns betroffen hat. Als ich gestern zu meinen armenischen Verwandten [48] kam, bei denen sie sich aufgehalten, fand ich sie dort nicht mehr vor. Die Familie war bestürzt über meine Ankunft und wollte offenbar nicht mit der Sprache heraus. Erst durch lange Bitten und Drohungen erfuhr ich endlich, daß meine Schwester vor etwa drei Monaten die Bekanntschaft eines Engländers gemacht, der sich hier aufhielt und daß sich das Verhältniß heimlich weiter gesponnen, bis die Familie dahinter gekommen und Diona strenger bewacht gehalten habe. Vor einer Woche etwa sei sie plötzlich verschwunden, mit ihr zugleich der Brite, und es sei alle Anstrengung vergebens gewesen, ihre Spur aufzufinden. Manche Umstände der Erzählung schienen mir verdächtig und nach einem heftigen Auftritt mit der Familie verließ ich das Haus. Ich kannte Smyrna von früher und wußte, daß hier für Gold Alles zu erlangen ist. Nach kurzem Besinnen nahm ich meine Wohnung bei jenem Speisewirth Andrea, einem berüchtigten Schurken, der aber die Fäden der meisten Verbrechen hier in der Hand hat – bei Gott,« unterbrach er sich, »da geht der Bursche eben wieder bis an die Zähne bewaffnet mit Einigen seines Gelichters umher! – Ich nahm also bei ihm meine Wohnung und schickte sein Weib auf Kundschaft aus. Bald wußte ich Alles! Meine Verwandten hatten, durch das verschleuderte Gold des Briten geblendet, die Bekanntschaft des Mädchens mit diesem begünstigt, ja, er kam täglich in ihr Haus und der Jungfrau Ruf war vernichtet, wahrscheinlich eher, als sie es wirklich verdient hatte. Erst als sie von meiner Ankunft auf Chios Nachricht erhielten, fanden sie es für gut, meine Rache fürchtend, dem Umgang ein Ende zu machen und Diona einzusperren. Es war zu spät; in einer Nacht waren Beide, das Mädchen und ihr Liebhaber, entflohen und meine Kundschafterin betheuerte mir, daß die Kuppler selbst keine Ahnung hatten, wohin. Verschiedene kleine Umstände, namentlich daß man den Verführer noch vor drei Tagen hier gesehen haben will, ließen mich argwöhnen, daß das Paar noch in der Nähe sich aufhält und ich bot nun alles Mögliche auf, seine Spur zu verfolgen. Der Schurke Andrea war mir förderlich; gestern Abend führte er mir den Mann zu, der das Paar über den Golf nach Bournabat in einer Barke geführt hatte. Hier bewohnten sie oder bewohnen sie noch ein wohlverwahrtes Landhaus, das dem englischen Viceconsul gehört, einem Mann von schlimmen Ruf, dem für Geld Alles feil ist und [49] der für blanke Dublonen schon die ärgsten Schurken vom Galgen gerettet hat.«

»Und haben Sie seit gestern Abend bereits Schritte gethan?«

»Heute Morgen führte mich derselbe Fährmann hinüber nach der Villeggiatura. Ich forderte Einlaß am Hause, aber ein englischer Diener weigerte denselben unter dem Vorwand, daß es gänzlich unbewohnt sei. Daß dem nicht so ist, sah ich aus dem Umstand, daß sich zwei Khawassen im Hofe umhertrieben. Ich war allein und konnte den Zutritt nicht erzwingen. Zur Stadt zurückgekehrt, eilte ich zu dem englischen Consulat und drang bis zu dem Gmeralconsul. Er war wie gewöhnlich gleich einem Vieh betrunken, sein Stellvertreter aber, jener Eigenthümer des Hauses, der alle Geschäfte und alle Macht in Händen hat, wies mich barsch zurück, wollte von Nichts wissen und drohte mich verhaften zu lassen.«

»Was gedenken Sie zu thun?« fragte theilnehmend der Doctor.

»Was ich thun will?« antwortete zähneknirschend der Grieche. »Sehen Sie hin auf jenes Boot, das, mit Männern besetzt, wie hier Hunderte umherlaufen, eben dem Strande naht, mit Männern, die nicht fragen nach dem Erlaubt und Gestattet, wenn es eine kühne That gilt, – mit einem solchen Boot und einem Halbdutzend solcher Bursche will ich morgen bei Nacht landen an der verschlossenen Thür, die die Schande meines Hauses birgt, und dann, bei dem Geist meiner Väter, will ich Gericht halten über die Beiden!«

»Um Gotteswillen, Gregor, thun Sie keinen unsinnigen Schritt, der Alles verdirbt und Sie in die größte Gefahr stürzen muß,« beruhigte Welland. »Gehen Sie zu dem griechischen Consul, er hat die Pflicht, einzuschreiten. Wenden Sie sich selbst an den türkischen Gouverneur, er muß Ihr Recht schützen.«

»Recht in der Türkei?!« hohnlachte Caraiskakis. »Wissen Sie nicht, daß ich verbannt bin von den Machthabern in Athen? Meinen Sie, daß der feige entnervte Moslem, der nicht den offenen Meuchelmord aus den Straßen seiner Stadt verbannen kann, Mädchenraub bestrafen wird an einem seiner hundert Herren, an Einem aus jenem Volke, das die wahre Pest des Orients durch seinen Uebermuth und seinen Druck ist, gegen die selbst das türkische Joch Milde genannt wird? – an einem Engländer? Wenn die Hand seines Allah aus den Wolken reichte, würden sich die Bekenner [50] des Halbmondes nicht so beugen, als vor der Tyrannei jener gekreuzten Flagge. Nein, ich selbst – – Heiliger Gott! was geht dort vor – der blutige Schurke Andrea mordet Ihren Freund!«

Ein wildes Geschrei ertönte von der etwas entfernten Stelle des Quai, an der sie den Ungar verlassen hatten, – Menschen drängten eilig hinzu, der Ruf nach Hilfe übertönte aus vielen Kehlen den Lärmen.

Eine schreckliche Scene hatte sich dort entsponnen. Sie ist historisch geworden in ihren empörenden Einzelnheiten.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Zahl der politischen Flüchtlinge zu jener Zeit sehr bedeutend in Smyrna war, und daß sie eine gewisse Herrschaft in der Stadt ausübten. Nächst London war Smyrna damals der offene Centralpunkt der Agitation. Oeffentlich gegründete Comitee's verhandelten die Revolution von Europa, und die große Thätigkeit der Einzelnen in der Erlernung der orientalischen Sprachen, die Bemühungen, unter der griechischen Bevölkerung sogenannte philharmonische Vereine zu gründen, an deren Spitze sie standen, wiesen darauf hin, daß die Emigration sich in Smyrna und im Orient überhaupt einen neuen Haltpunkt zu schaffen suche. In keinem Lande der Welt würden die Flüchtlinge bei einem ruhigen Verhalten weniger gestört worden sein; denn die lässigen türkischen Behörden kümmerten sich durchaus nicht um ihre Person, ja, der englische und amerikanische Consul beschützte sie bei jeder Gelegenheit. Der Zusammenhang dieser Agitation mit der mailänder Februar-Revolte war ganz offenkundig, und man sprach – gerade wie im Jahr 48 von Berlin und Wien, – am Tage des Ausbruchs in Mailand bereits davon in der asiatischen Handelsstadt. Da nur hauptsächlich alle diese Umtriebe und Angriffe gegen die österreichische Regierung gerichtet waren, forderte endlich der kaiserliche General-Consul von Wexbecker wiederholt von dem damaligen General-Gouverneur von Smyrna die Ausweisung der ohne Schutz einer Nationalität sich dort aufhaltenden Flüchtlinge, besonders die mehrerer in Oesterreich schwer gravirter Persönlichkeiten, die hier die Führer bildeten. Zu diesen gehörte auch Martin Costa, im ungarischen Revolutionskriege Adjutant Kossuth's und einer der thätigsten und entschlossensten Offiziere des Insurgentenheeres. Er war nach dem Uebertritt Kossuth's auf türkisches Gebiet mit diesem in Kintaia internirt, folgte ihm 1851 nach London und ging dann nach Amerika, von wo er unerwartet [51] zu Anfang des Jahres 1853 nach Smyrna zurückkehrte, wo er alsbald an die Spitze der Clubs und Verbindungen trat. Die österreichische Regierung hatte die sichere Kunde von neuen Bewegungen und da selbst das Einschreiten des Gesandten beim Divan und ein Befehl des Vezirs Ali Pascha den Gouverneur nicht aus seiner Unthätigkeit aufzuwecken vermochte, sah sich die österreichische Regierung veranlaßt, selbst einzugreifen und an ihren General-Consul bestimmte Befehle zu erlassen, auf Grund der ihr tractatenmäßig zustehenden Rechte die Verhaftung der Flüchtlinge österreichischer Nationalität vorzunehmen und sie an die kaiserlichen Militärbehörden auszuliefern. Wäre dies in der geeigneten offiziellen Weise geschehen: etwa durch die Bemannung der Brigg Hussar, oder durch die Khawassen des Consulats, so wäre trotz der Anwesenheit so vieler Flüchtlinge der Ausgang offenbar ein ganz anderer gewesen und hätte einen bedeutenden Schrecken verursacht. Die ungeschickte und eclatante Weise, mit welcher der Kanzler des Generalconsulats die Sache aber begann, den ersten Schlag in Folge besonderer am Tage vorher eingegangener Nachrichten gegen Costa richtend, kehrte das Resultat gegen die Behörde selbst.

Der Ungar saß ruhig und Nichts ahnend auf dem Quai, auf dem zu dieser Zeit nur wenig Menschen der Hitze wegen verkehrten, als der Kneipenwirth Andrea mit drei bewaffneten Gefährten seines Gelichters sich ihm näherte. Zugleich kam ein Boot mit vier berüchtigten Gesellen derselben Bande herangefahren und ein anderes mit zwei Ruderern bemannt hielt sich in der Nähe zur Aufnahme des Griechen. Andrea, den breiten Bund mit Pistolen und Dolchen gespickt, schlug von hinten den Lesenden auf die Schultern und frug: »Seid Ihr Signor Costa?« – Ueberrascht über die Frechheit sprang der Ungar empor, und maß den Wirth mit den Augen. Ehe er aber noch eine Erklärung fordern konnte, stürzten sich alle Vier auf den Erstaunten und suchten ihn zu Boden zu werfen. Ein wildes Ringen entstand, der Ungar lief »Verrath!« und so groß war seine Körperkraft, daß er sich aus den Händen der Angreifer losmachte, zwei derselben packte und rasch entschlossen sich mit ihnen über die Balken des Bollwerks ins Meer stürzte. In diesem Augenblicke war es, als Welland und Caraiskakis herbeieilten, zugleich von mehreren Seiten andere Personen. Aber auch das Boot der Banditen hatte sich genähert, und von seinem Bort versuchten die Einsitzenden, dem Ungarn, der sich [52] im Wasser von seinen Angreifern befreit hatte und zum Strande zurückschwamm, eine Schlinge überzuwerfen. Zwei Mal gelangte Costa an das Bollwerk und klammerte sich daran fest, um sich empor zu helfen, zwei Mal zerschnitt ihm der Handjar Andrea's die Finger und Arme, daß er blutend zurückfiel, während dessen Genossen mit Messer und Pistolen die andrängenden Menschen zurückhielten. Verzweifelt rang Welland mit einem der Banditen, einem kräftigen Mohren, aber immer wieder wurde er zurückgestoßen und sein Allarmruf erschallte vergeblich. Während dem war es den Mördern im Kahn gelungen, dem Unglücklichen die Schleife um den Hals zu werfen, und blutend, halberdrosselt, halbertrunken schleiften sie ihn an dem Strick durch die Wellen fort. Andrea pfiff dem zweiten Boot und sprang dann auf Welland zu, diesen hineinzuzerren, doch Gregor warf sich schützend vor den Freund und eine kleine Hand, die Hand des Knaben, der vorher die Freunde angesprochen, schlug zugleich die Pistole zur Seite, die der Anführer der Mörderrotte bereits ergriffen hatte. »Bei der Gebenedeiten des Himmels,« rief der Knabe, »Andrea, Ihr seid ein todter Mann, wenn Ihr einem der Herren ein Haar krümmt. Sie stehen unter seinem Schutz!« Er sprach dem Banditen den Namen in's Ohr.

Andra fuhr zurück. »Diavolo,« fluchte er, »da hätte ich mir eine schöne Geschichte auf den Hals geladen! Geht zum Henker, Signor!« Damit stieß er Welland von sich und sprang in die Barke, die alsbald das Weite suchte und dem ersten Kahn nachfuhr. Einige Pistolenschüsse knallten hinter ihm drein von herbeieilenden Gefährten des Gefangenen, aber er war schon zu fern. Man hatte gesehen, wie der Ungar endlich in das große Boot gezogen worden, wie beide zu der Brigg ruderten und der Gefangene an Deck gebracht wurde; die Aufregung war entsetzlich. Wie ein Mordio ging der Ruf von der Gefangennehmung Costa's durch die Straßen Smyrna's; von allen Seiten drängte man nach dem Quai. Italienische, ungarische, polnische und deutsche Flüche und Verwünschungen füllten die Luft, um Gregor und Welland, der mit aufregenden Worten den Hergang schilderte, drängte sich die Menge. Selbst Caraiskakis hatte über der empörenden Scene das eigene Leid für den Augenblick vergessen. Bassitsch, der Ungar, versammelte endlich die nächsten Bekannten um sich, und wechselte fliegende Worte mit ihnen, die das Aergste befürchten ließen, doch Welland drängte sich vor und ermahnte und bat, alle augenblicklichen [53] Schritte zu unterlassen und von der Berathung abhängig zu machen, die für die Stunde vor Sonnenuntergang auf dem Pagus angesetzt war. Er selbst erbot sich, als am Wenigsten durch seine Person bekannt, nach der Brigg zu fahren und zu versuchen, bis zu Costa zu dringen. Dies beruhigte ein Wenig die exaltirten Gemüther, rasch verbreitete sich unter den Flüchtlingen die Kunde, daß die Versammlung trotz des Geschehenen stattfinden werde, und während noch die Massen auf dem Quai auf und ab wagten, fuhr Welland, auf sein Bitten von dem Freunde und einem in Smyrna ansässigen deutschen Kaufmann begleitet, hinaus in den Golf, um sich der Brigg zu nähern. Seine Bemühung war jedoch vergeblich. Der Anruf der Schildwach befahl ihnen, sobald man sich auf Kabellänge genähert, beizulegen und als Welland sein Verlangen kund gab, den Gefangenen zu besuchen, erschien der Commandant der Brigg, Major Schwarz, ein alter fester Haudegen, auf dem Kastell und drohte ihnen, beim mindesten weitern Versuch, sich zu nahen, Feuer auf den Kahn geben zu lassen. Doch war er menschenfreundlich genug, auf ihre Fragen mitzutheilen, daß Costa zwar erschöpft und leicht verletzt, doch sonst ungefährdet an Bord gebracht worden und dort in strenger Haft sei.

Als das Boot zum Quai zurückkam, war die Sonne bereits im Abwärtssteigen und die Stunde der Versammlung in den mächtigen Trümmern des genuesischen Forts auf dem Berggipfel nahe.

»Sie müssen mich auch dahin begleiten, Gregor,« bat Welland den Griechen, »denn das Ungewitter, das wie ich glaube, sich dort oben zusammenbrauen wird, könnte leicht auch Ihnen behilflich sein zu Ihrem Zweck. Jedenfalls stehe ich Ihnen dann ganz zu Diensten.« So folgte Caraiskakis dem Freunde und diente ihm, da er hier bekannter war, zum Führer.


Ueber die türkischen und armenischen Begräbnißplätze, die sich an den Seiten des Berges emporstrecken, von Cypressen unk Platanen beschattet, schritten die Freunde eilig hinauf. Zu jeder andern Zeit würde sich Welland dem eigenthümlichen Eindruck und Schauspiel hingegeben haben, das die Friedhöfe der Moslems machen. Sie sind die Spaziergänge von Alt und Jung, Männern und Frauen während des Tages, der Aufenthaltsort, oft die Schlafstätte des Gesindels während der Nacht. Zwischen den schmalen [54] und aufrechtstehenden Leichensteinen, welche die Form umgestülpter Obelisken oder Säulen haben, auf deren Spitze ein Turban oder Fez den Rang des Verstorbenen anzeigt, während blaue und rothe Farben, Vergoldungen und Inschriften den Stein schmücken, spielen die Kinder, liegen die Müssiggänger und sitzen klatschend die Weiber. Hin und wieder ragen aus diesen Begräbnißplätzen noch Trümmer der alten hellenischen Mauern hervor, die sich nach dem Gipfel zu mehren. Pausanias setzt den Ursprung der Stadt in die Zeit Alexanders des Großen, der sie in Folge eines Traums für die von Ephesus gekommenen Smyrnäer gegründet haben soll. Unter der Römerherrschaft kam sie zur Blüthe, Tzachas machte sie im Jahre 1084 zur Hauptstadt seines neugegründeten ionischen Reichs; Johannes Ducas, der griechische Admiral, belagerte sie 1097. Zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts war die Stadt bis auf die Akropolis ein Trümmerhaufe, Angelus Comnenus aber stellte sie vor seinem Tode (1227) wieder her. Im vierzehnten war sie häufig der Schauplatz der blutigen Kämpfe der Ritter von Rhodus mit den Moslems;Tamerlan, als er auf seinem Zuge von den Kämpfen der Christen und Türken in der Stadt hörte, belagerte sie 1402 vierzehn Tage lang, nahm sie im Sturm und zerstörte sie auf's Neue.

All diese Erinnerungen zogen an den Beiden vorüber, als sie den riesigen Trümmern des Schlosses zueilten. Die Mauern desselben schließen einen beträchtlichen Raum ein, in ihrem Mittelpunkt finden sich die Reste einer alten Kirche, nach den Volksüberlieferungen: der alten Kirche Smyrna's. Desgleichen viele Cysternen, Gewölbe und Gänge, die einen ganzen unterirdischen Bau unter den Trümmern bilden sollen. Eine weite, herrliche Aussicht bietet sich von diesen Ruinen über Stadt und Meer, über die vom Hermuss durchzogenen Ebenen im Osten und die Flächen im Süden, die der Meles mit seiner Wasserleitung befeuchtet. Etwas weiter zur Seite, unfern der in die Felsen gegrabenen Stadien, wo der heilige Polycarp den Märtyrertod erlitt, stehen noch einige Trümmer des Jupiter-Tempels, und hier hatten die Flüchtlinge aller Nationen sich zur Berathung versammelt. Man hatte mit der Eröffnung derselben auf Welland gewartet, und er wurde genöthigt, von einem der riesigen Postamente herab nochmals die Erzählung der grausames Art und Weise zu wiederholen, in der Costa verhaftet worden. Welland sah sogleich, daß die Exaltation [55] der Menge durch die Einwirkungen Einzelner auf's Höchste gesteigert worden und daß eine besonnene Vermittelung dringend Noth that. Er knüpfte daher sofort an seine Erzählung den Vorschlag, daß die in der Angelegenheit zu thuenden Schritte einem Comitee übertragen werden möchten, daß dieses von dem österreichischen Consul die Freigebung Costa's verlangen, und durch Deputationen die Mitwirkung aller andern Consuln, namentlich der französischen und englischen, in Anspruch nehmen solle.

Doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein der geweckten Leidenschaften. Fumagalli mit all dem lodernden Feuer seiner Landsleute, nahm den Platz des bedächtigen Deutschen ein und reizte mit flammenden Worten die Menge zu Thaten der Rache. »Wie es Costa ergangen,« rief er, »wird es auch uns gehen; Einen nach dem Andern werden die feilen Schergen der Tyrannei hinwegholen, um uns in Ketten in ihre tiefen Kerker auf dem Spielberg und Kufstein zu werfen, wo so viele edle Söhne der Freiheit lebendig vermodern. Zeigen müssen wir ihnen, daß wir Mann zu Mann stehen, Blut müssen wir haben zur Sühne, mit rothen Flammenzeichen wollen wir unser Gericht halten! Brüder, Freunde, edle Männer der Magyaren! Söhne des freien Italiens! – laßt uns hinunterziehen und die steinerne Zwingburg unsers Feindes, des österreichischen Consuls, mit gewaffneter Faust stürmen. Wenn die Lohe als Warnungszeichen unserer Rache über seiner Habe zusammenschlägt, wenn wir ihn und jedes lebende Wesen in seinem Hause gefangen halten und unsere Dolche ihre Brust bedrohen, wirb man uns den Verrathenen sicher ausliefern, und haben wir ihn erst zurück, dann Wehe den Elenden!«

Mit wildem Jubel erwiderte die Menge die Rede. Wahnwitzige Vorschläge aller Art wurden laut, der Ungar Cricca wollte die am Kastell liegende türkische Fregatte mit Gewalt nehmen und mit ihr den Gefangenen befreien, ein Anderer schlug einen Angriff bei Nacht mit Böten vor, ein Dritter gar, die Stadt an allen Ecken anzuzünden. Je abentheuerlicher und entsetzlicher die vorgeschlagene That, desto stürmischer war der sinnlose Beifall. Vergebens suchte in diesem Tumult Welland zur Ruhe und Ueberlegung zu mahnen; verzweifelnd wollte er sich abwenden und den Platz verlassen, als er im Gedränge einen Zettel in seine Hand gedrückt fühlte. Rasch wandte er sich um, doch unbekannte, nur mit der aufregenden Versammlung beschäftigte Gesichter zeigten sich [56] rings umher. Er flüchtete aus dem Gewühle und las den Zettel. Ein Kreuz, ähnlich dem, das Costa ihm gezeigt, war in flüchtigen Zügen mit Bleistift auf das Papier gezeichnet. Darunter standen die Worte: »Keine Gewalt! die Zeit ist noch nicht gekommen. Gehen Sie morgen zum amerikanischen Consul und verlangen Sie seinen Schutz für Costa als amerikanischen Bürger. Die Hilfe wird zur rechten Zeit bereit sein. Gehorsam!« – Welland trafen die Zeilen wie ein Blitzstrahl, freudig, daß sich eine Aussicht zeigte, den Gefangenen zu retten, überraschend, daß auch hier in so weiter Ferne eine unsichtbare geheimnißvolle Macht seine Handlungen zu leiten, Alles zu überwachen schien. Er drängte sich mit Gewalt zu Fumagalli durch und zog ihn bei Seite. »Wenn Sie nicht Alles absichtlich verderben und Costa's Blut über sich und uns Alle bringen wollen, so stehen Sie von diesen wahnwitzigen Handlungen ab!« sagte er ihm. »Gehen Sie meinetwegen mit einer Deputation zu dem österreichischen Consulat und fordern Costa's Freigebung, um die aufgeregte Menge zu beschwichtigen, aber keine Gewaltthat heute! Sie wissen, daß Costa dem Bunde angehört, im Namen dieses Bundes und als Ihr Vorgesetzter befehle ich Ihnen, den morgenden Tag abzuwarten. Bis dahin wird Hilfe zur Stelle sein, die den Ungar schützen kann, den wir heute nur verderben würden.« – Mit Widerstreben versprach der Italiener, die Menge zu beruhigen oder wenigstens so zu leiten, daß es bei den Drohungen bliebe und keine offenbare Gewaltthat die Lage verschlimmere. Von ihm erfuhr Welland auf seine Nachfrage auch, daß in der Wohnung Costa's sich nur wenige und unbedeutende Papiere vorgefunden und diese bereits in Sicherheit gebracht worden seien. Ein Paß war nicht darunter gewesen.

Während Fumagalli auf's Neue zu dem Kreis der Flüchtigen sprach, mit Hilfe seiner Vertrauten die Wahl eines Comitee's zu Stande brachte und dann vorschlug, nach der Stadt zurückzuziehen, suchte Welland den Freund auf und fand ihn unter den Trümmern des Schlosses am Rand einer Cisterne sitzen. Die Sonne verschwand eben am Horizont und in der beginnenden Dämmerung, die, wie es im Süden der Fall, rasch zunahm, hörten sie die wilden Revolutionsgesänge der abziehenden Haufen. Sie waren die Einzigen, die noch zurückgeblieben, und Welland mahnte trotz des erhabenen Eindrucks, den die Stille des Abends und der einbrechenden Nacht verbreitete, zum Aufbruch, da ihm die Erzählungen von [57] der Unsicherheit der Umgebung einfielen. Aber es schien bereits zu spät. Als sie den Ausgang suchten, streckte sich ihnen plötzlich ein Gewehrlauf entgegen und eine barsche Stimme rief sie in griechischer Sprache an. Sie sprangen zurück und griffen nach den verborgenen Terzerolen, die Beide trugen, doch ein leichtes Lachen machte sie sich umwenden, und sie erblickten hinter sich, aber in griechischer Tracht und auf eine lange Flinte gestützt, den Unbekannten, welcher sich gestern auf der Marina bei Caraiskakis Namen so ergriffen gezeigt hatte.

»Ich danke Ihnen, Signori,« sagte der Fremde mit leichtem Spott, »daß Sie meiner Einladung dennoch Folge geleistet. Freilich etwas spät – doch in diesem Lande kommt alles Gute spät, oft zu spät, meist gar nicht. Wollen Sie mir folgen, Sie sehen, jeder Widerstand ist unnütz, und bei Sanct Procopio, meinem Schutzheiligen, ich wollte mir eher die Augen ausreißen lassen von diesen türkischen Hunden, ehe ich zugäbe, daß Ihnen etwas Uebles widerfährt.«

Welland und der Grieche sahen sich um und sich von neun bis zehn dunklen Gestalten umgeben, deren Waffen im Sternenlicht funkelten, – Widerstand wäre thöricht gewesen – nach wenigen deutsch gewechselten Worten erklärten sich Beide bereit, dem Fremden zu folgen.

Dieser – offenbar der Anführer der gefährlichen Schaar – ertheilte derselben einige kurze Befehle und ging dann voran, von den beiden Freunden gefolgt, denen sorgsam zwei der Banditen jede unebene und gefährliche Stelle zeigten. Der Weg führte sie mitten in die Ruinen der alten Akropolis und nach kurzem Gang sahen sie aus einem der verfallenen Bogen den Schein eines Feuers leuchten. Sie traten durch die Pforte in einen kleinen von Mauern umgebenen Raum, in dessen Mitte ein Feuer brannte, von dem Knaben angeschürt, der ein Hammelviertel am Spieß briet. In der Nähe lagen auf riesigen Marmorquadern ein Schlauch voll des schwarzen aromatischen Brussaweins und andere zur Mahlzeit gehörige Gegenstände.

Der Fremde schritt zuerst auf den Stein zu, nahm einen Maiskuchen, bestreute ihn mit Salz und brach ihn in drei Theile, von denen er einen jedem der Freunde gab. »Nehmt und eßt,« sprach er, »der Gast ist dem Wirthe heilig.« Gregor und Welland aßen einige Bissen, und Beide, die schöne Sitte des Morgenlandes kennend, fühlten sich beruhigt.

[58] »Jetzt, Mauro,« sagte freundlich der Unbekannte zu dem Knaben, »entferne Dich und halte Wache, daß uns Niemand stört, ich habe mit diesen Männern zu reden.« Das Kind gehorchte; auf einen Wink des Mannes setzten sich die Freunde auf die umherliegenden Trümmer und harrten gespannt auf die Entwickelung.

Lange saß ihr seltsamer Wirth auf dem Stein vor ihnen, die braunen schwieligen Hände vor dem Gesicht, als zolle er mächtigen Erinnerungen seinen Tribut. Dann erhob er das Haupt, reichte dem jungen Griechen die Hand, und sagte: »Sei mir willkommen, Sohn des Michael Caraiskakis, meines unvergeßlichen Herrn! Sage, ist Einem Deines Geschlechts der Name und das Antlitz Johannes des Ipsaroten denn so ganz fremd geworden, daß er ihn nicht mehr wiedererkennt?«

»Janos!« rief der Grieche, und sprang empor – »Janos, der Mutter und Kind in der Mordnacht aus den Flammen trug? Janos, unser Retter und Freund! Heilige des Himmels, wo hatte ich meine Augen!« Er umschlang den Hals des Mannes, in dessen Augen Freudenthränen glänzten, der aber freundlich ihn von sich drängte.

»Janos! Ja wohl!« sagte er, »und damit Ihr Alles wißt – Janos Katarchi, Jan, der Kameeltreiber, Jan der Räuber und Mörder, vor dessen Namen jene ungläubige Brut dort unten zittert. Jan Katarchi steht vor Dir und heißt Gregor, den Knaben, den er einst auf den Knieen trug, willkommen, wenn dieser ihn noch kennen will'«

Gregor warf sich noch einmal an die Brust des treuen Dieners seiner Familie. »Sage, Jan der Palikare, Jan der Rächer, wie Dich jedes wahre griechische Herz dort unten nennt. Was geht mich Dein Name an, Dein Thun, oder daß Du vogelfrei im Kampf mit den Unterdrückern unsers Volks bist, und an Deinen Händen Blut klebt! Ist es nicht auch das Blut, das Du vor einunddreißig Jahren zu unserer Vertheidigung vergossen, bist Du nicht der Waffendiener meines Vaters, der mit ihm das Schiff des blutigen Wüthrichs gegen die Wolken sprengte, als diese ihre Blitze vergessen hatten gegen die tausendfachen Greuel! Es ist wahrlich eine Segnung der Heiligen in meinem Kummer, daß ich in diesem Augenblick einen Mann finde, der der Freund meiner Kindheit war, wie ich den Freund meiner Jünglingsjahre wieder gefunden!« Er reichte Beiden die Hand, die der Bandit trotz der [59] Abwehr Gregor's leidenschaftlich küßte. Dann zog der Mann des Bluts und der Verbrechen den Wiedergefundenen zu sich nieder an's Feuer und begann mit einer Hast und Unermüdlichkeit der Zunge, die dem Griechen, namentlich der untern Klassen eigen ist, ihm hundert Fragen über das Schicksal der Familie vorzulegen, während der Deutsche ein stummer, aber aufmerksamer Zuhörer der unerwarteten Scene blieb.

»Aber sage mir, Janos,« unterbrach endlich Caraiskakis den Strom der Fragen, – »wie kommst Du hierher? Wir glaubten Dich todt nach der letzten Nachricht, die wir von Dir erhalten, und betrauerten Dein Andenken.«

»Du weißt, Herr,« erzählte der Räuber, »daß ich an der Seite Deines tapfern Vaters am Piräus fiel, als wir fünf Jahre nach dem Blutbad von Chios unter Richard Church den Ersatz der Akropolis versuchten. Mein Leib deckte den theuren Leichnam und zeigte noch die Spuren der drei tiefen Wunden, die ich erhielt. Wie ich gehört habe, ziert ein Denkmal die Stelle, wo mein Herr für die Freiheit und das Kreuz am 4. Mai blutete. Mögen die Heiligen ihm im Paradiese gnädig sein! Als ich erwachte, lag ich nackt und bloß auf dem Schlachtfeld. Ein fränkischer Arzt erbarmte sich meiner, – schon damals im heiligen Kampf des Kreuzes gegen den Halbmond hatten sich ja Christen unsern Feinden verkauft! – und verband meine Wunden. Wider das eigene Hoffen genas ich, und mit hundert anderen Unglücklichen schickte mich Ibrahim Pascha als Siegesbeute seinem Vater nach Egypten. Dort litt ich fünf Jahre, was ein Sclave leiden kann, bis ich im Krieg des Vicekönigs gegen den Sultan mit nach Syrien geschleppt wurde. In dem Gewühl des Sieges von Konieh gegen Reschid Pascha gelang es mir, zu entkommen, – ich bettelte und schlug mich durch, bis ich die blauen Ufer unsers schönen Meeres mit seinen grünen Inselsternen wieder sah, und kam nach Chios. Zehn lange Jahre hatten nicht gereicht, die Spuren jener schrecklichen Verwüstung zu verwischen. Die herrliche Insel, des großen Homer Geburtsstätte, hatte man in den Händen der Ungläubigen gelassen, die Inglesi tragen die Schuld daran, wie ich mir sagen ließ, jenes Volk von Kaufleuten, das jetzt wieder auf der Seite unserer Unterdrücker steht, jetzt, wo der große Czaar im Norden das ganze Griechenland frei machen will von der Herrschaft der Ungläubigen. Deshalb hasse ich die [60] Nation, ich speie auf die Gräber ihrer Väter; denn Nichts sind sie besser, als die Moslems selber.«

»Hier hören Sie eine Stimme des Volks,« winkte Caraiskakis dem Freunde. »Wie aus dem Munde dieses Verbannten und Geächteten, so tönt es überall, wo Hellenen wohnen und Jeder träumt von einer neuen Aera des byzantinischen Reichs.«

»Auf Chios,« fuhr der Räuber fort, »war meines Bleibens nicht mehr. Vergeblich forschte ich nach der Familie meines Herrn. Der neue Name Deiner Mutter verbarg mir die Spur. So ging ich auf's Festland zurück und gewann mein Brot in Smyrna als Kameeltreiber bei den Karavanen, die aus dem Innern von Syrien und Turkomannien die Früchte und Teppiche bringen. Ich hatte Weib und Kind, – eine Tochter von sechszehn Sommer, und bei Sanct Polycarp dem Märtyrer, es war ein schönes und gutes Kind. Ich wohnte damals mit meiner Familie in Tschardak am Tschernek-Su, nährte mich redlich und friedlich und zahlte regelmäßig mein Kopfgeld. Ein junger Mann unsers Glaubens sah mein Kind und begehrte es zur Ehe. Der Tag der Hochzeit war bestimmt, da reitet der Musselim 1 an unserm Hause vorbei und sieht Nausika, die ihm Milch reichen muß. Am andern Tage läßt er mein Weib rufen, – ich war gerade mit den Karavanen nach Smyrna, – und frägt sie, ob sie ihm die Tochter verkaufen wolle. Mein Weib erschrickt und bittet ihn, abzustehen, da das Mädchen verlobt sei und man bloß meine Rückkehr erwarte, um sie in das Haus ihres Gatten zu führen. Der Musselim aber streicht sich den Bart, spricht, er brauche ein schönes Weib als Geschenk für seinen Gönner, den Mehemet Pascha in Stambul, und wenn sie das Kaufgeld nicht nehmen wolle, werde er das Mädchen umsonst holen. Darauf schickte er nach Vaso, meinem Eidam, steckt ihn trotz seines Glaubens unter den Nizam 2 und sendet ihn noch am selben Tage mit einer Schaar fort. Am Abend aber holen seine Khawassen das Mädchen, und als mein Weib stehend folgt bis an die Schwelle seines Hauses, mißhandeln sie die Aermste mit Stockschlägen, daß sie krank von den Nachbarn nach Hause getragen wird. Als ich fünf Tage später von Smyrna heimkehrte, fand ich mein Weib am Tode, mein Kind geraubt und den Musselim [61] verreist. Ich raufte das Haar und begrub mein Weib. Dann that ich einen Eid bei der heiligen Jungfrau, zündete mein Haus an, die Stätte meines Glücks, und ging davon.«

»Aber warum klagtet Ihr nicht, unglücklicher Mann,« sagte der Deutsche, »warum wandtet Ihr Euch nicht an die europäischen Consuln oder selbst nach Constantinopel?«

»An die Consuln?« hohnlachte der Räuber. »War ich ein ionischer Dieb oder ein maltesischer Mörder, daß ich auf ihren Schutz Anspruch gehabt hätte? Ich war ja nur ein Ipsarote, Einer der Millionen Christen, die diesen Henkern überlassen blieben mit Leib und Seele! – Gerechtigkeit in Smyrna oder Stambul gegen den Musselim, meinen Herrn! – Nein, Signor, ich that Besseres, das Einzige, was dem Manne bleibt. Ich lauerte am Wege in den Felsen neun Tage lang, bis der Musselim von seiner Fahrt zurückkehrte, und als er mir nahe war, schoß ich ihm die Kugel in Mitten seiner Khawassen durch das gierige Herz. – Seit dem, Gregor Caraiskakis, seitdem bin ich ein Räuber!«

»Und Deine Tochter?«

»Was liegt an meiner Tochter! Sie wird, wie hundert Andere, an das träge Leben im Harem eines unserer Herren im üppigen Stambul sich längst gewöhnt haben! Die Heiligen wissen, ob und wo sie athmet – für den Vater ist sie gestorben. Ich nahm den Sohn der Schwester meines Weibes mit mir, Ihr habt den Knaben gesehen, und bald waren einige Gefährten um mich versammelt, mit denen ich mein Rachewerk begann. Ihrer Verfolgungen kann ich spotten, denn tausend Freunde haben Augen und Ohren für mich in jener Stadt und im ganzen Paschalik.«

»Du schmähst auf den Türken, Mann, auf den Erbfeind Deines Glaubens,« sagte Gregor mit finsterem Ausdruck; »gehe hin zu Deinen christlichen Brüdern, den prahlenden Beschützern unserer Freiheit und unserer Religion, den Männern, die von den Rechten des Volks in ihren Parlamenten reden und das Glück der Völker im Munde führen! Der Moslem nimmt offen seinen Raub und sagt: ich bin Dein Herr! Der Brite aber stiehlt Dir Dein Gut wie Dein Land, wenn es ihm gefällt und macht Dir noch weiß, es geschehe zu Deinem eigenen Besten. Dir ist die Tochter genommen, mir die Schwester. Ist die Odaliske des Türken, nach seinen Sitten und seinem Glauben sein Weib, nicht besser als die Metze des reichen Briten?«

[62] Er sprang empor; die Faust des Räubers preßte seinen Arm: »Was sprichst Du da?«

Gregor wiederholte das, was er am Mittag dem Freunde erzählt hatte. Der Bandit jauchzte hell auf: »Ei! steht es so! – Du würdest das Vöglein ausgeflogen finden, mein Sohn, wenn Jan, der Kameeltreiber, nicht zufällig dafür gesorgt hätte. Unten im Golf liegt eine Felucke vor Anker, die der Inglesi gemiethet hat, um mit seinem Täubchen morgen in der Frühe auf und davon zu fahren. Ich habe gute Spione in Bournabat und hatte dem Franken ohnedem heute Nacht einen Besuch zugedacht, um ihn etwas leichter zu machen. Jetzt wird die Sache ernster. Wenn wir Deine Schwester nicht heule ihm abnehmen, ist sie verloren für Dich. Die Felucke führt nach Tenedos, wo in der Troja-Bai 3 die Flotten ankern. – He, Mauro!« Er pfiff gellend, der Knabe sprang wie ein Pfeil herbei; Jan befahl ihm, die Gefährten zu rufen bis auf die äußerste Wache gegen die Stadt. »Wir dürfen erst nach Mitternacht aufbrechen und wollen unterdeß unsere Mahlzeit halten. Ehe der Morgen graut, Gregor Caraiskakis, sollst Du Deine Schwester hier sehen.«

»Das ist mein eigen Geschäft,« erklärte Gregor, »ich nehme dankbar Deine Hilfe an, aber ich werde Dich begleiten. Und Du, Freund,« er reichte Welland die Hand, »wirst uns gewiß nicht verlassen?«

»Gewiß nicht in einer gerechten Sache,« entgegnete dieser; »aber Eines beding' ich mir aus, um Ihrer eigenen Ehre willen, Gregor: kein unnützes Blut, keinen Mord! Sie versprechen mir das Leben des Briten – – hören Sie erst Ihre Schwester, dann entscheiden Sie und fordern Rechenschaft, wenn es nothwendig ist. Im Licht des Tages werde ich Ihnen als Freund zur Seite stehen, und so allein können Sie vielleicht die Ehre des Mädchens wiederherstellen. Ich liebe selbst die Nation des Verführers nicht, aber den Muth, dem Gegner sich zu stellen, wird ihr Feind selbst nicht läugnen.« Gregor gab das geforderte Versprechen, nach einigen Einwänden auch der Räuber. Während die wilden Gestalten seiner Gefährten von verschiedenen Seiten herbeikamen und Alle um das Feuer zur Mahlzeit lagerten, besprach man das Unternehmen[63] und Mauro brachte Waffen aus den in weiten unterirdischen Gewölben und Gängen der Ruinen befindlichen Verstecken der Bande für die beiden Freunde. – –


Die dunkle Nacht lag über dem prächtigen Golf, und Ruhe und Stille über der großen Stadt, als in der Nähe der Mühlen am diesseitigen Strande zwei Barken abschoben, in denen sich acht wohlbewaffnete Männer und ein Knabe befanden, und ihre Richtung nach Bournabat nahmen. Es waren der Räuber Jan Katarchi und seine Gefährten, Gregor Caraiskakis und Doctor Welland. Jan saß mit diesen in einem der Nachen zusammen, den zwei Mann ruderten, die andern drei mit dem Knaben fuhren voraus. Alle waren mit Pistolen und Handjar bewaffnet, Gregor und der Doctor hatten ihre Kopfbedeckung mit einem Fez vertauscht, an dem vorn ein Stück grünen Schleiers zur Verhüllung ihrer Gesichtszüge befestigt war. Jan hatte auf diese Vorsicht bestanden, um späteren Folgen durch ein Wiedererkennen vorzubeugen. In den Kähnen lagen Stricke und Hacken und eine schwere Eisenstange, um nöthigen Falls die Thür zu erbrechen.

Auf der Mitte des Wassers sahen sie die Felucke ankern, welche am Morgen Sir Maubridge und die schöne Griechin nach Tenedos tragen sollte. Jan gab ein leises Zeichen, in aller Stille vorbeizufahren; die Ruderer hoben die Riemen, um sich nicht durch die phosphorleuchtenden Striche einer etwaigen Wache zu verrathen, und die Boote trieben in einiger Entfernung am Schiff vorüber, bis sie weit genug waren, um durch den Ruderschlag nicht mehr gehört zu werden; dann griff man wieder eifrig zur Arbeit, und nach einer Viertelstunde war man an der Gartenmauer des Landhauses, das Gregor im Dunkel als dasjenige erkannte, an dem er am Morgen vorher nach der Schwester geforscht. Der Räuber hatte rasch seine Dispositionen getroffen. Welland und zwei der Banditen wurden im Wasserhof zurückgelassen, in dem die Kähne angeschlossen lagen, mit dem Auftrag, hier den Bewohnern den Rückzug abzuschneiden. Einen Andern postirte Jan auf den Weg nach Bournabat, da das Landhaus des Viceconsuls fast das Ende des Dorfes bildete; er selbst mit Gregor, dem Knaben und zwei seiner Leute übernahm es, durch den Haupteingang einzudringen.

[64] An dem Thor angekommen, hob der Räuber den Jungen, der seine Lust an der ihm gewährten Rolle durch fast affenartige Behendigkeit und Geschicklichkeit ausdrückte, auf seine Schultern und ließ ihn einen der am Strick befestigten Haken über die Mauer werfen und an jener vollends emporklimmen. Oben auf derselben änderte Mauro bloß die Lage des Hakens und ließ sich an dem Seil in den Hof hinab, um von Innen das Thor zu öffnen. Während dem hatte Jan seinen beiden Begleitern Fackeln gegeben, um selbe zum Anzünden bereit zu halten. Gregor faßte den Schaft der Pistole in seinem Gürtel und spannte den Hahn.

»Capitano,« flüsterte dee Knabe durch die Spalte, »die Thür ist verschlossen, ich kann sie nicht öffnen und höre das Schnarchen des Khawassen.«

»Pesta!« fluchte der Sciote, »das ändert unser Spiel und wird blutige Arbeit geben. Sieh, daß Du in's Haus gelangst, Mauro, durch eine der Jalousien. Du hast zwei Minuten Zeit; beim heiligen Prokopio, sei flink, mein Junge!«

Wenige Momente darauf setzte er das Brecheisen zwischen die Fugen des Thors und warf sich mit seiner riesigen Kraft darauf. Zugleich flammten die Pechfackeln der beiden Räuber empor.

Ein türkischer Anruf tönte von Innern.

»Bismillah! Wer ist dort? Was wollt Ihr?«

»Jan Katarchi!« heulte der Ruf des Räubers durch die Luft und alle Vier warfen sich mit aller Manneskraft gegen das brechende Thor. Zwei Schüsse knallten ihnen entgegen, von denen der eine den Mann neben Katarchi in die Schulter traf, daß er zu Boden taumelte. »Nach der Barke!« herrschte ihm der Führer zu, und die Fackel dem Verwundeten entreißend, schleuderte er sie mit gewaltigem Schwunge hinauf auf das platte Dach des Hauses und war mit einem kühnen Satz über die Trümmer des Thors mitten im Hof. Im nächsten Augenblick parirte seine große Pistole den scharfen Handjarhieb eines Khawassen und er drückte die Waffe nach dem Türken ab. Aber eingebogen von dem kräftigen Hieb sprang das Rohr bei dem Schuß und die eisernen Splitter stoben umher.

»Diona! Diona!« schrie Caraiskakis, und ohne des zweiten muthig den Zugang des Hofes vertheidigenden Khawassen zu achten, sprang er wie ein Panther über den Hof und versuchte die [65] Thür des Hauses einzustoßen. Eine Kugel, die im nächsten Augenblick durch seinen hohen Feß fuhr, belehre ihn, daß die Bewohner bereits wach und zur Vertheidigung bereit seien. Emporblickend bemerkte er ein männlich schönes, nur etwas starres Gesicht, das von hochblondem lockigem Haar umgeben, sich mit furchtlosem Ausdruck aus dem Fenster des ersten Stockwerks gerade über der Thür heraus bog, um die Wirkung des Schusses und die weiteren Vorgänge im Hofe zu erspähen. Ein weißer voller Arm schlang sich um den Hals des Engländers und zog ihn halb mit Gewalt in das Haus zurück.

Im Hofe schlug sich Katarchi mit den beiden Khawassen, sein Untergebener war Caraiskakis zu Hülfe geeilt und suchte mit diesem die Thür einzudrängen. Ein Ruf des Bandenführers, der die Augen überall hatte, mahnte Gregor, zur Seite zu blicken. Aus einem Nebenfenster des Erdgeschosses, nahe der bestürmten Thür, lehnte sich ein vierschrötiger Engländer in Seenmannstracht bequem heraus und suchte für seine Flinte im Anschlag den Kopf des Griechen zu fassen. Die Gefahr war dringend und fast unabwendbar. Aber im Augenblick, wo der Finger des Briten den Drücker berührte, schwankte das Gewehr und der Schuß fuhr zur Seite vorbei, der Engländer aber verlor das Gleichgewicht und an den Beinen in die Höhe gehoben, stürzte er schwerfällig aus dem Fenster auf das Marmorpflaster des Hofes. Mauro, der gewandte Schelm, war durch eines der Fenster in's Haus geklettert und zum glücklichen Augenblick erschienen. Im nächsten hatte er die Thür entriegelt und Caraiskakis, sein Gefährte und der Räuberchef, der sich des einen Khawassen durch einen schweren Hieb in die Schulter entledigt hatte, stürzten in das Haus. Zugleich eilte aus dem Oberstock Sir Maubridge, von zwei anderen Dienern und dem Hausaufseher gefolgt, die Stiege herab, denn oben auf dem flachen Dache leckten und schlugen bereits die Flammen empor, die Jan's geschleuderte Fackel an dem trockenen Holzwerk entzündet. In dem linken Arm des Briten, halb getragen von ihm, hing ein griechisches Weib in wallenden Nachtgewändern, das bleiche Gesicht umflattert von den fessellosen wallenden Locken. »Diona!« wiederholte Gregor und das bleiche Frauenbild zuckte zusammen bei den bekannten Tönen und streckte die Hände nach ihm aus, – aber wie von unwiderstehlicher Macht dahingerissen, klammerte sie sich von Neuem an den Geliebten und der flammende Stahl trennte die Geschwister, [66] denn kühn und gewandt schwang Maubridge den Säbel in seiner Rechten gegen die Herandrängenden, und die drei Diener wehrten mit allen Waffen, die in der Eile zur Hand waren, den Angriff ab und sicherten seinen Rückzug. Zwei Mal hob Gregor die Pistole und visirte nach dem Verführer, zwei Mal ließ er sie sinken, denn des Mädchens Brust deckte opfernd den Geliebten. So tobte, der Kampf von Zimmer zu Zimmer, bis der hintere Ausgang des Hauses erreicht war und unter der Hand der Diener aufflog. »Hundert Pfund, wenn Ihr fünf Minuten die Thür haltet!« bot der Brite und warf sich mit seiner schönen Beute in's Freie, während die drei Engländer wie grimmige Bulldoggen sich vor den Ausgang stellten und den Gegnern das Weiße im Auge boten. Ein Schuß durch den Kopf aus Gregors Pistole streckte den einen der Diener zu Boden, dem Hauswart traf ein Messerstich des Buben Mauro in die Weichen, und während der dritte Gegner dem Räuberchef einen gewaltigen Boxerstreich versetzte, der diesen fast zu Boden warf, tönte draußen bereits der Ruf des Triumph's; Welland trug das ohnmächtige Mädchen auf seinen Armen hinab zum Ufer, indeß seine beiden Gefährten den zu Boden geworfenen Baronet mit Stricken zusammenschnürten. Hoch auf schlug die Flamme aus dem Landhause in den blauen Nachthimmel und beleuchtete die blutige Scene. Da eilte vollen Laufs der Bandit herbei, den Jan auf Posten gegen das Dorf gestellt hatte und verkündete das Nahen von Leuten. Im Nu waren Alle an den Booten versammelt, – drei der Männer schwer verwundet, auch Jan blutete aus einem Schulterhieb, – die Boote flott gemacht und besetzt, – in der nächsten Minute stießen sie vom Ufer und flogen in das bergende Dunkel, während hinter ihnen drein noch ein Schuß des entflohenen Khawassen knallte und die jeden Moment sich mehrenden Gestalten am Ufer hin und her eilten. Welland hatte das noch immer von Ohnmacht befangene Mädchen dem Freunde auf den Schooß gelegt und arbeitete rüstig mit zwei Rudern. In der Spitze des Kahns stand Jan, um die Bewegungen zu lenken, damit sie nicht zu nahe der Felucke kommen möchten. In der That war hier Alles wach geworden von dem wiederholten Schießen und dem Brande, der mächtige Rauchwolken in die Morgenluft emporqualmte. Man rief sie an, aber der Räuber antwortete gewandt, daß sie vor dem Angriff flüchteten und bald waren sie außer Schußweite. Im Hauch der frischen Seeluft [67] kam Diona wieder zur Besinnung. Zuerst fuhr sie empor und blickte wild um sich, wie den schützenden Freund suchend, – dann, indem sie den Bruder erkannte, warf sie sich in seinen Schooß und weinte heftig. In der Nähe des Ufers trennten sich die Kähne, und während der Banditenchef das Geschwisterpaar weiter hinauf nach seinen Verstecken führte, landete der Knabe den Arzt in der Nähe der Frankenstadt und geleitete ihn durch die noch einsamen Straßen bis zum Eingange seines Hauses. Am nächsten Abend versprach er ihn zu dem Freunde zurückzuführen.


In Smyrna selbst war der Abend und ein Theil der Nacht zwar ruhig und stürmisch, aber doch ohne Gewalthat der Flüchtlinge vergangen. Der Tiger hatte noch nicht Blut geleckt. Eine Deputation an Herrn von Wexbecker, den österreichischen Consul, war von diesem, der – nachdem die Sache einmal verfehlt angegriffen war – sich männlich und consequent benahm, abgewiesen worden. Die Flüchtlinge und der zahllose Janhagel von Smyrna, der sich ihnen angeschlossen, tobten durch die Frankenstadt, drohten das österreichische Consulat zu stürmen, warfen einige Fenster ein und ließen es bei den Drohungen. Noch bis tief in die Nacht wogte die Bevöllkerung auf und ab durch die Straßen. Bei der Alltäglichkeit von Feuersbrünsten in den großen türkischen Städten, wo die Regierung selbst oft ganze Quartiere abbrennen lässt, um die Bewohner zum zweckmäßigeren Neubau zu zwingen, war der Brand jenseits des Golfs zwar bemerkt worden, aber Niemand achtete darauf, noch weniger fiel es Jemand ein, Hülfe dahin zu bringen.

Am nächsten Morgen – Welland hatte von der Erregung der Nacht bis in den Vormittag hinein geschlafen, – begab er sich sofort zum amerikanischen Consul und reclamirte der erhaltenen Weisung gemäß Costa als amerikanischen Schutzangehörigen auf Grund eines Passes, den der Ungar von den Vereinigten Staaten erhalten haben sollte. Zu seiner Verwunderung fand der Arzt den Consul sofort bereit, auf das Verlangen einzugehen. Es schien, als ob er bereits darauf vorbereitet gewesen und er theilte ihm mit, daß am Morgen eine amerikanische Corvette von Constantinopel angekommen sei und im Hafen Anker geworfen habe, ein glücklicher Zufall, der ihrer Forderung den nöthigen Nachdruck [68] geben mußte. Eine Stunde darauf trat, durch einen Boten herbeigerufen, der Capitain der Corvette in Begleitung eines seiner Offiziere bei dem Consul ein und begab sich mit demselben zu Herrn von Wexbecker, um die Reclamation einzulegen. Der österreichische General-Consul empfing sie zuvorkommend, und obgleich er die Begründung der Ansprüche bezweifelte, erklärte er sich bereit, die Amerikaner an Bord des »Hussar« zu begleiten, um durch eine eigene Unterredung mit Costa ihnen genauere Information zu verschaffen. Welland erwartete in aufregender Spannung im Consulats-Gebäude ihre Rückkehr, und als er endlich das Boot von der Brigg wieder abstoßen, zur Corvette rudern und dann zum Lande zurückkehren sah, eilte er ihm auf die Marina entgegen. Der amerikanische Consul brachte jedoch schlechte Nachrichten. Costa hatte trotzig sich als Ungar erklärt und zwar angeführt, daß er sich einige Zeit in Amerika aufgehalten und von dort nach Smyrna gekommen sei, aber über seine Schutzangehörigkeit oder das Vorhandensein eines Passes keine, einigermaßen zum weiteren Einschreiten berechtigende Angaben machen können. Unter diesen Umständen hatten die Amerikaner von der Reclamation Abstand nehmen und den Ungar seinem Schicksale überlassen müssen, das er übrigens mit ungebeugtem Sinne trug. – Welland war sehr bestürzt über die Nachricht, der Consul jedoch führte ihn bei Seite und versicherte ihm, daß in der Angelegenheit noch Nichts verloren sei, da Herr von Wexbecker sich weiter bereit erklärt hatte, vor der Abführung Costa's mit dem nächsten Lloyddampfer nach Triest erst die weitere Entscheidung der beiden Gesandtschaften in Constantinopel abwarten zu wollen, an die sofort die nöthigen Berichte gesendet werden sollten. Der amerikanische Capitain war bereits angewiesen, sich jeder früheren Wegführung des Gefangenen nöthigenfalls mit Gewalt zu widersetzen. Für das Weitere, meinte mit schlauem Lächeln der Amerikaner, werde man schon in Constantinopel sorgen. Beruhigt schied Welland von ihm und wandte sich wieder zu Marina, um den Fremden Costa's diese tröstliche Nachricht mitzutheilen, denn rasch hatte sich die Kunde von der verweigerten Auslieferung in der Stadt verbreitetet. Eine Zeitung zur Hand nehmend, setzte er sich am Eingang des englischen Café's (Café Paulo) nieder.

Es war der Abend des 23. Juni. Das Belvedere des Caffeehauases begann sich nach und nach mit Fremden und Einheimischen zu füllen. Bald darauf traten Arm in Arm zwei junge Offiziere [69] von der österreichischen Brigg auf den offenen Raum, ließen sich an dem zweiten Tisch von Welland nieder und forderten Eis und Limonade. Es waren der Schiffslieutenantvon Auerhaummer und der Marine-Aspirant Baron von Hackelberg, der einzige Sohn des Feldmarschall dieses Namens. In dem Zweiten erkannte Welland den Offizier, welcher am Morgen seiner Ankunft zum Egytto gekommen und das Boot der Italiener zurückgewiesen hatte. – Die beiden jungen Leute, keck die allgemeine Mißstimmung herausfordernd, lachten und scherzten ziemlich laut und hatten, wie man später erfuhr, schon während des ganzen Morgens sich unachtsam durch die Straßen Smyrna's umhergetrieben. Viele Blicke ruhten mißbilligend oder ängstlich auf ihnen, dennoch ahnte Niemand die schreckliche Katastrophe, die folgen sollte.

Auch Welland hatte mit einer gewissen Unbehaglichkeit und Besorgniß die kecke Haltung der beiden hübschen jungen Männer bemerkt, und dies um so mehr, als kurz nach ihrem Erscheinen sein Wiener Reisegefährte sich für einige Augenblicke einfand, heimlich mit den beiden Offizieren sprach und einzelne auf ihn fallende Blicke zeigten, daß von ihm die Rede sei. Er wollte, um dem widrigen Eindruck zu entgehen, sich eben entfernen, als mit Lärmen und Geräusch, offenbar sehr erregt, eine neue Gesellschaft den Platz betrat und am Tische neben Welland, gegenüber dem der Offiziere, Platz nahm. Es warenFumagalli, der Ungar Bassitsch, dessen Hand fortwährend in der Brusttasche spielte, Lepicq, ein französischer Fechtmeister, zwei andere lombardische Flüchtlinge, Budoli und Cugini, und der Pole Sczukowski. Aller Blicke hafteten sogleich auf den beiden Oesterreichern und Fumagalli gellte ein wildes Lachen auf, indem er Bassisch auf die Schulter schlug und offen auf den Baron wies. »Per bacco amico, da haben wir unser Vöglein von vorgestern! Jetzt kann ich Revange nehmen!« – Die Offiziere hatten Besonnenheit genug, die offenbare Beleidigung nicht zu bemerken, und unterhielten sich leise, während die Angekommenen ringsum die Stühle besetzen, so daß kein Ausgang offen blieb, und Welland rasch zu dem in der Nähe befindlichen Wirth des Café's, Signor Paulo, trat und ihm einige Worte zuflüsterte.

»Bassa manelka!« fluchte Bassitsch. »Grogk hierher! Rasch!«

Der Arzt aber nahete sich der Gesellschaft und suchte durch [70] ein geschicktes Manöver die Mitte zwischen den beiden Tischen zu decken.

»Zum Teufel, Doctor,« schnob der ersichtlich schon angetrunkene Ungar, »gehen Sie mir da aus dem Wege, Sie geniren mich im Anblick der verfluchten Röcke, die wir an der Theiß und Donau manch liebes Mal geklopft haben. Ein Kossuth! und der Teufel hole die deutschen Tyrannenknechte!«

Der Wirth, der das Verlangte gebracht, war am Tische der beiden Marine-Offiziere vorübergegangen, und sich dort ein Geschäft machend, flüsterte er ihnen zu:

»Meine Herren, ich rathe Ihnen dringend, sich zu entfernen, es ist hier nicht geheuer für Sie und ich stehe für Nichts.«

Eine kurze und leise Berathung zwischen den jungen Leuten folgte, dann standen Beide rasch auf und versuchten fortzugehen. Welland hatte in diesem Augenblicke ihnen den Rücken zugekehrt und war bemüht, Bassitsch, der ihm der Gefährlichste schien, zu beschäftigen. Er gewahrte deshalb nicht, wie das schwarze Auge des Italieners Fumagalli jeder Bewegung des Aspiranten folgte, gleich dem Blick der Schlange, mit dem sie die ängstlichen Windungen ihres Opfers belauert. Fumagalli hielt den Fuß weit vorgestreckt, so daß er damit den Ausgang zwischen den Stühlen versperrte. Der Baron von Hackelberg war voran; obschon er die offenbare Herausforderung des Lombarden erkannte, hatte er Geistesgegenwart genug, seine Ruhe zu bewahren, faßte mit der Linken an die Mütze und sagte höflich:

»Signor, erlauben Sie, daß wir passiren!«

»Zur Hölle!« gellte die Stimme des Lombarden, der wie ein Raubthier emporsprang und sich auf den Offizier warf. Einen hellen schlanken Blitz sahen die Umsitzenden zucken und sich zwei Mal in die linke Brust des jungen Mannes vergraben, daß die Mordfaust gegen die Uniform stieß. Der Baron taumelte, wie von dem Stoß außer Haltung gebracht, zurück an das Geländer, dann faßte er es mit beiden Händen, stieß einen einzigen lauten, kreischenden Schrei aus und schwang sich mit krampfhaftem Sprung hinüber in's Wasser, das ihn spurlos verschlang. Zugleich waren die umsitzenden Flüchtlinge, wie als hätten sie auf dies Mordsignal gewartet, aufgesprungen und stürzten sich mit ihren schweren Stöcken und Dolchen aus den Lieutenant von Auerhammer, ehe dieser noch im Stande war, sein Seitengewehr zu ziehen. Mehrere Hiebe [71] über den Kopf warfen ihn zu Boden, drei Dolchstöße verwundeten ihn, zum Glück nur leicht. Wie ein Rasender rang Bassitsch mit dem deutschen Arzt, der im Innersten empört um Hülfe gegen die Mörder rief. Zu zweien Malen rang der Ungar die Rechte los und schoß jedes Mal ein Pistol gegen den schon am Boden liegenden Offizier ab, zu dessen Beistand jetzt einige Caffeegäste herbei geeilt waren, die mit erhobenen Stühlen und was zur Hand war, die wüthenden Mörder zurücktrieben. Aber die Bemühungen Welland's machten den Schuß unsicher, und nur die zweite Kugel streifte leicht den Verwundeten.

»Zum Teufel mit Euch!« tobte Bassitsch; »Ihr seid auch ein deutscher Verräther, der unsre Feinde schützt!«

»Seid Ihr toll, Signor Dottore?« knirschte Fumagalli und riß den Arzt zurück. »Wer ein Freund der Freiheit ist, steht zu uns, nicht zu Jenen!«

Welland stieß ihn von sich. »Meuchelmörder! Wenn das Euer Kampf für die Freiheit ist, wünschte ich Euch nie gesehen zu haben. Fliehet, da es noch Zelt ist!«

In der That drängte eine immer größere Menge herbei; die blutige That hatte das bessere Gefühl des Publikums wach gerufen und Drohungen gegen die Mörder ließen sich hören. Vor der Ueberzahl zogen sich diese zurück, und die blutigen Waffen schwingend, jubelnd über die gräßliche That, zerstreuten sich auf der Marina, während Welland und zwei Smyrnaer Kaufleute den Verwundeten rasch in eine Barke trugen und hinaus in's Meer rudern ließen, um ihn so vor einem neuen Angriff zu retten. Hier auf der See verband der Arzt die Wunden des Offiziers und brachte ihn aus der Ohnmacht zum Leben zurück. Dankbar drückte der junge Mann ihm die Hand und wurde dann von den Kaufleuten zugleich mit der Kunde des Mordes nach dem Schiffe gebracht, indeß Welland in einem anderen Nachen nach dem Ufer zurückkehrte. Dort hatten unterdeß die Nachsuchungen nach der Leiche des jungen Barons von Hackelberg begonnen. Der österreichische General-Consul mit den Khawassen des Consulats und der gesamten bewaffneten Dienerschaft war herbeigeeilt, bald darauf traf ein Boot mit Marinesoldaten vom »Hussar« ein und die Nachforschungen nach dem Unglücklichen dauerten bis spät in die Nacht, aber erfolglos. Erst am anderen Mittag gelang es, seine Leiche zu finden. Sie lag genau auf demselben Fleck auf dem [72] Meeresgründe, an welchem er sich im Todeskampfe in's Wasser geworfen, mit den Händen fest an die Steine des Grundes geklammert. Der zweite Stich des Mörders hatte das Herz durchschnitten.

Zwei Tage darauf wurde die Leiche beerdigt; die Mannschaft der Brigg und das Personal des österreichischen General-Consulats folgten. Von den anderen Consuln, denen allen Anzeige und Einladung zugegangen war, hatten nur der sardinische und der preußische, letzterer aus einer jüdischen Familie stammend und in den Jahren 1849 und 50 ein gewandter Agent des Minister-Präsidenten, Muth und Ehre genug, zu folgen.

Am Abend des Mordes und während der nächsten Tage durchzogen die Banden der Flüchtlinge triumphirend und herausfordernd die Straßen in der Nähe des österreichischen Consulats und drohten, dieses zu stürmen, so daß ein Commando der Marinemannschaft darin Posten nehmen mußte.

Als Welland, an's Ufer zurückgekehrt, nach der nahen Behausung eilte, fand er dort bereits den Knaben Mauro seiner harren, und eilig trat er mit ihm den Weg zu dem Freunde nach dem Versteck des Räubers an. Er begann zu begreifen, daß auf diesem Boden und in diesem Kampf der entfesselten Leidenschaften das Leben des Einzelnen ein werthloses, kaum beachtetes Ding sei, das nicht das Gesetz, sondern die eigene Kraft schützen müsse. Unter banger Besorgniß, auch dort, wohin er ging, Schlimmes zu finden, nahete er durch die Cypressen der Friedhöfe den mächtigen, aus den Schatten des Abends sich erhebenden Ruinen.

Fußnoten

1 Besika-Bai.

2 Der türkische Gouverneur einer Stadt.

3 Die Landwehr.

Die Doppelgänger
[73] Die Doppelgänger.

In den glänzenden Salons der Fürsten Lieven, dieses weiblichen Talleyrand's der letzten Jahre, in der Straße Saint Florentin 2, bewegte sich die glänzende Versammlung in jener ungenirten Weise, der höchsten Circles von Paris. Es war der Abend allgemeinen Empfangs, und was die Weltstadt an Notabilitäten der Administration und Diplomatie, der Kunst, der Wissenschaft und der Börse, so wie von Fremden bot, begegnete sich auf diesen Parkets mit den Lions und Lionnes der Mode. Die Salons der Fürstin hatten in dieser Zeit ihre wichtige politische Bedeutung; denn alle Parteien fühlten sich hier gewissermaßen auf neutralem Felde, und bei der immer ernster sich gestaltenden Spannung zwischen den Höfen von Frankreich, England und Rußland bot sich hier eine Gelegenheit zu Besprechungen und Verhandlungen, die weniger für den offiziellen diplomatischen Verkehr geeignet, doch oft tief einschneidend und von weithin tragender Wichtigkeit waren. Die Fürstin, ganz geschaffen für die politische Intrigue, wußte mit dem ihr eigenen Tact die feindlichen Parteien zu beschäftigen und aus all' dem bunten und wechselnden Verkehr ihre Vortheile zu ziehen.

Jeder Fremde von durch Geburt, Rang, Reichthum oder Ruf ausgezeichneter Lebensstellung, der zu jener Zeit in Paris war, weiß, daß zugleich diese Soireen die reichhaltigsten und angenehmsten an geselligen Vergnügungen waren, die man finden konnte, und daß neben der politischen Intrigue hier manches geheimnißvolle und interessante Band der Herzen sich knüpfte, manches Rendezvous hinter dem Rücken des im Nebenzimmer verkehrenden Gatten oder der wachsamen Familie gegeben wurde. Bei den in dieser Beziehung [74] ohnehin laxen Sitten und Begriffen der pariser Gesellschaft, die nur auf gewisse äußere Gesetze der Schicklichkeit basirt ist, sind die Versammlungen der vornehmen Kreise oft der Kuppler für Verbindungen und Speculationen jeder Art.

In einem mit grünem Damast ausgeschlagenen, nur durch die erhobene Portiere von diesem getrennten Nebencabinet des großen Salons, in dem getanzt wurde, saßen auf einer üppigen Causeuse zwei Männer. Der Eine von ihnen, einige Jahre älter als der Andere und etwa sechs- bis achtundzwanzig zählend, trug die prächtig-phantasische Uniform eines Capitains der Garde-Zuaven, jenes Elitecorps aus den gewandtesten und verwegensten Kriegern Algeriens. Sein Gesicht war das männlich-schöne, muthige eines ächten französischen Soldaten mit Zügen, die jene Aristokratie der Geburt zeigen, welche Namen und Wappen nur bestätigen, nicht verleihen können. Auf der breiten Brust mit der silbergestickten blauen Jade prangte das Ritterkreuz der Ehrenlegion, von dem Janin unter Louis Philipp einst schrieb: Il est une honte, de l'avoir et de ne l'avoir, das seitdem aber wieder neue Würde gewonnen. Neben ihm, mit dem Lorgnon vor dem Auge, saß einer jener hocharistokratischen Flaneurs in den Modecirkeln von Paris, denen ihr vornehmer Name und ihre elegante Toilette trotz ihrer ruinirten Verhältnisse überall Eintritt verschafft, ja die mit einer scharfen und witzigen Zunge begabt, als Chronik des Tages überall willkommen oder gefürchtet sind. Am Spieltisch eben so zu Hause wie im Boudoir der Damen, an der Tafel des Ministers wie in den galanten Soireen der demi monde leben diese Männer ein rechenschaftsloses Leben des Genusses, das entweder an einem Degenstich im Gehölz von Boulogne oder an einer Pistolenkugel endet, die falsche Wechsel und den Arrestbrief des Gläubigers quittirt. Zuweilen auch, denn mit dem alten Namen voll legitimistischer Bedeutung verbindet sich oft Talent, Geist und Herz, reißt ein unerwarteter Schlag sie aus diesem Leben luxuriösen Müßigganges und wirft sie in eine Bahn, wo alle Eigenschaften des glänzenden französischen Geistes sich ehrenvoll entwickeln.

Alfred de Sazé, einer der Modekönige des Tages, gehörte zu den Leuten, denen es nicht an diesen höheren und besseren Eigenschaften fehlte, die aber nur wie Lichtblicke auftauschen aus dem tödtenden Firniß seiner modernen Erziehung.

Am anderen Ende der Causeuse, auf einen Sessel gestützt, [75] lehnte ein noch sehr junger Mann in russischer Uniform, dessen eigenthümlicher, wunderschön geformter Kopf sofort auffiel, während sein Auge unruhig und zerstreut umherschweifte und er nur hin und wieder auf die pikanten Plaudereien seines Nachbars zu hören schien. Braunes Haar in wirren Locken umgab ein Gesicht, das in kühnem Oval vorspringend eine überaus schöne leichte Beugung der Nase zeigte, während dunkle hochgezogene Brauen das glänzende Auge einrahmten. Die eigenthümlichste Schönheit dieses Gesichts bildeten jedoch Mund und Kinn, der erstere, von einer halb aufgeworfenen Oberlippe bedeckt, die in ihrer Mitte das glänzende Weiß der Zähne durchschimmern ließ; das Kinn, von kräftiger runder Contour und von jenem seltenen und stets einen energischen unbeugsamen Charakter voll mächtiger Gefühle oder Leidenschaften verrathenden Schnitt, welcher nicht im scharfen Winkel gegen den Hals zurücktritt, sondern bei dem die Linie des Halses am Vorderkinn selbst ihren Anfang zu nehmen scheint und gleichsam gewölbt nach der Brust zu sich herabsenkt. Das Gesicht, von jenem durchsichtig rothen Teint gefärbt, den man Blutteint zu nennen pflegt und der z.B. in jüngeren Jahren das ähnliche Antlitz der Königin Victoria auszeichnete, war zu auffallend, um je wieder vergessen zu werden, und hatte bei dem Mangel jeden Bartes zugleich ein Aussehen, das den Beschauer an stolze Frauenschönheit erinnerte.

»Sie sind aber auch der unaufmerksamste Zuhörer, den man sich denken kann, Fürst,« sagte lachend der Lion zu dem eben beschriebenen jungen Mann. »Seit einer halben Stunde bin ich bemüht, mit einem Pinsel, der dreist mit Hogart oder Cruickshank wetteifern kann, Ihnen die Silhouetten der werthen Gäste Ihrer noch wertheren Frau Tante zu geben. Was ich Ihnen da erzähle, würde das Glück eines Memoirenschreibers machen und von unseren Feuilletonisten verschlungen werden, aber Sie sind und bleiben zerstreut und scheinen selbst den Vicomte angesteckt zu haben. Er betrachtet Sie mit Blicken, als wären Sie die Fürstin, Ihre schöne Schwester, der er bekanntlich stark den Hof und die sich eben, wie ich sehe, von Oberst Wassilkowitsch zum Contretanz führen läßt.«

Er unterbrach sich lachend und sah die beiden Nachbarn neckend an.

»Ah, meine Herren, hab' ich endlich den rechten Punkt getroffen? – Sie sind ja Beide ganz roth und erregt. Wäre es [76] wahr, Fürst, daß Sie eifersüchtig sind auf Ihre Schwester wie ein Türke? und Sie, Mèricourt, kann dies starre lauernde Gesicht, das ich,valga me Dios! wahrhaftig auch nicht liebe, einen berühmten Krieger, wie Sie, so leicht in Harnisch bringen?«

Der Capitain legte ihm die Hand auf den Arm.

»Keine Scherze, de Sazé,« sagte er ernst, »der Gegenstand ist zu hoch dazu.«

»Bon! So wende ich mich zu einem geeigneteren Bilde. Sehen Sie, Fürst, dort jene lange hagere Gestalt mit der hohen fabelhaft weißen Cravatte? Daß es Einer unserer neuen Herzensalliirten ist, ein Exemplar, das uns Azincourt und Waterloo, Malplaquet und St. Helena vergessen machen soll, brauche ich nicht erst zu sagen. Man wittert den reisenden Briten auf hundert Schritt. Der Mann – Lord Scherkliffe, Parlamentsmitglied und Besitzer einiger solider Grafschaften – macht jetzt Aufsehen in unserer guten Stadt Paris, und wenn er das glattrasirte Kinn in die Loge der italienischen Oper steckt, wenden alle Damen die Gläser nach ihm. Wissen Sie, warum? Er ist ein Othello ganz neuer Art. Lord Scherkliffe ist einer der ersten Gemäldekenner unserer Zeit und beschäftigte vor etwa fünf Jahren einen jungen Maler in Rom, einen Italiener, der bereits durch seine Bilder auf allen Ausstellungen einen bedeutenden Namen erworben hatte. Der gute Lord besaß neben seinen Millionen eine blonde Lady, der aber der römische Künstler besser gefiel, als der langweilige Bildernarr, ihr Gemahl. Erst nach mehreren Monaten überzeugte sich dieser, daß er auch hier den Narren gespielt, empfahl sich höflich seinem Protegé, dem Maler, und reiste mit der verliebten Dame nach Hause, wo er sie manierlich ihren Eltern ablieferte, nachdem er ihr die in Rom gemachte Entdeckung mitgetheilt. Dann ging er auf Reisen und besuchte Deutschland, Rußland, Italien, und sammelte überall zu enormen Preisen Gemälde. Mit einem ganzen Wagen voll kam er nach Rom, besuchte seinen alten Freund und kaufte alten Freund und kaufte ihm die neuesten Werke seines Pinsels ab. Kaum war er im Besitz derselben, so verlangte er Genugthuung für seine Hahnreischaft und forderte den Erstaunten auf Pistolen. Man schlug sich, und mit dem ersten Schuß lähmte der Engländer dem Künstler den linken Arm. Nach einem halben Jahre kam er wieder und bestand auf einem zweiten Duell. Der Künstler mußte sich fügen und die Kugel des beleidigten Eheherrn traf sein rechtes Handgelenk, so [77] daß die Hand amputirt werden mußte. Als die Kur glücklich vorüber war, erschien der Lord am Krankenbett seines Feindes und sagte ihm gelassen: ›Ich habe jetzt meine Rache befriedigt. Sie sind als Künstler zu einem lebendigen Tode verdammt.‹ – ›Sie irren sich,‹ entgegnete der Unglückliche; ›meine Werke werden Ihre Bosheit überleben. Der Ruhm meiner Madonna in Paris, meiner Auferstehung in der Gallerie von Petersburg und zahlreicher anderer Werke vermögen Sie nicht zu vernichten. Ich kann nicht mehr malen, aber meine Bilder werden meinen Namen lebendig erhalten.‹ – Der Lord zeigte ihm ein Papier. ›Ist diese Liste Ihrer Bilder vollständig?‹ – Mit Staunen bejahte der Künstler. – ›So bin ich im Besitz aller Ihrer Werke, selbst die Skizzen habe ich nicht vergessen. Es hat mit viel Mühe gemacht und viel Geld gekostet, aber ich habe meinen Zweck erreicht. Wollen Sie mich nach Hause begleiten, um sich zu überzeugen? mein Wagen wartet.‹ – Der Unglückliche begriff und bat um Gnade. – ›Sie haben meinen ehelichen Frieden gestört, ich vernichte den Ihren,‹ sagte Scherkliffe eisig. ›Sie sollen das Gefühl mit sich umherschleppen, daß keine Spur Ihres Namens und Ihres Talents auf der Welt zurückbleibt.‹ – Nach einer Stunde brachte ein Diener dem Verstümmelten eine große Urne voll Asche, – sie enthielt Alles, was von seinen Werken auf der Welt übrig war.«

»Das ist teuflisch!« rief der Capitain.

»Ein Mann, der zu hassen und zu lieben versteht!« versetzte der junge Russe.

»Halt, mein Fürst!« plauderte Sazé weiter, »das verstehen wir wahrhaftig auch, nur auf andere Weise. Sehen Sie dort Marschall St. Arnaud? Die Fama bezeichnet ihn bereits als Commandeuer en chef, wenn Ihre Maje Majestät unsern kleinen Neffen des großen Onkels im Invalidendom zum Aeußersten zwingt. Der liebe Marschall scheint eine neue Intrigue des Prinzen zu wittern, der gern für seine Reputation einige nothwendige erste Lorbeeren pflücken möchte, und hofft ihr hier auf die Spur zu kommen. Wissen Sie, daß dieser unser lieber General vor kaum Jahresfrist seinem Busenfreund den Säbel durch den gestoßen hat, bloß weil dieser ihn bei Madame, seiner Frau, in zarter Situation getrossen und aus dem Hause geworfen hatte?«

Méricourt lachte.

»Sie sind die boshafteste Zunge, die mir noch vorgekommen [78] Sazé,« sagte er. »Ich darf die Ehre der Armee durch Sie nicht so gefährden lassen.«

»Eh bien, mein lieber Vicomte, ich bin nicht schwierig. Gehen wir von der Armee zur Diplomatie über. Unser getreuer Verehrer der Rachel ist freilich nicht hier und intriguirt jenseits des Kanals, aber ich kann Ihnen Ersatz geben. Sehen Sie da den Herrn der eben mit Persigny spricht, Oberst Fleury geht gerade an ihm vorüber. Nun wohl! Der liebe Graf hat kürzlich sein diplomatische Probestück abgelegt und wird sicher Carriére machen. Sie kennen Madame Fontaille, unsere allerliebste Soubrette? Nicht? Auch gut; sie ist die Schönheit des Tages und unsere Börsenkönige ruiniren sich um sie. Der Graf ließ sich ihr im Zwischenakt der großen Oper vorstellen und bat um Erlaubniß, am nächsten Abend eine Tasse Thee bei ihr tête à tête trinken zu dürfen. Madame antwortete ungenirt: ›Ich nehme zu einer Tasse Thee ein Pfund Zucker, aber von dem, der zehntausend Francs das Pfund kostet. So theuren Zucker möchte ich Ihnen freilich nicht umsonst geben und mir doch auch nicht von Ihnen bezahlen lassen. Mir fällt ein Ausweg bei! Bringen Sie die zehntausend Francs in Banknoten mit und wir werden mit diesen die Flamme unter dem Theekessel heizen. Dann beweisen wir Beide gleiche Uneigennützigkeit.‹ – Der angehende Diplomat findet im Augenblick keinen passenden Rückzug und sagt zu, erzählt aber die Sache einigen Freunden, die diesen Thee allzu gezuckert finden. Ich selbst sagte ihm: Madame die zehntausend Francs geben, es ist theuer, aber es passirt! Sie verbrennen, das wäre Tollheit! Sie richten damit Ihre Carrière zu Grunde, denn kein Minister des Aeußern wird einen Narren zu Ambassadeur machen! – Am anderen Abend begab sich der liebe Graf, mit dem Päckchen wohlgezählter Banknoten richtig zu der Schauspielerin. Man plaudert und erwartet den Thee. ›Sie bestehen also auf dem Autodafée?‹ – ›Gewiß und hier sind die Bankbillets.‹ – Der Graf übergiebt ihr zehn ächte Billets zu tausend Francs. Madame griff fieberhaft danach. ›Nicht wahr, es ist doch schade darum?‹ – ›Ei, so verbrennen Sie sie nicht.‹ – ›Nein, es ist ausgemach, wir bleiben bei unserem Progamm!‹ und sie legt das Päckchen auf einen Tisch, der mit hunderterlei Nippsachen bedeckt ist. Der künftige Vertreter des Kaiserreichs spielt plaudernd mit diesen Kleinigkeiten, nimmt Eines und das Andere in die Hand und im Augenblick als [79] man den Thee bringt, ist die Escamotage, oder Prestidigitaton wie Houdin sagt, geschickt ausgeführt. Die Flamme des Weingeistes leckt mit ihrer blauen Zunge nach dem versprochenen Opfer; Madame ist äußerst erregt und lebendig, tanzt von einem Ort zum andern, erfaßt endlich das Päckchen, schwingt sich im Kreis umher und im Hui – wirft sie ein anderes in die Flamme, die sogleich die leichten Blätter verzehrt; das Pseudopäckchen aber ist geschickt in einer vorsichtig zwischen Blumen zurechtgestellten Vase verschwunden. – Kaum hört sie nach Mitternacht den Wagen des Glücklichen fortrollen, so eilt zu dem Versteckt, das die geretteten zehntausend Francs bergen soll und zieht hervor – ein Päckchen jener den Banknoten so zierlich nachgeahmten Adreßkarten! – Es heißt, die Dame habe bittere Rache geschworen, Monsieur le Comte aber ist, wie Sie sehen, auf dem besten Wege.«

Méricourt und Fürst Iwan lachten.

»Der Graf ist kein Gentleman,« sagte der Letztere. »Man täuscht ein Weib nicht um solche Bagatelle.«

»Pah! Bagatelle!« entgegnete lustig Sazé. »Das man Fürst Oczakoff sagen, der seine Silber-und Goldminen im Ural besitzt und auf seinen Steppenländern die Bauern nach Tausenden zählt, aber nicht wir Franzosen, die höchstens im Börsenspiel noch Millionaire werden können. Doch da ist die Quadrille zu Ende, lassen Sie näher treten.«

Die drei jungen Männer erhoben sich und traten an den Eingangbogen zum Salon, durch den eben eine Dame am Arm ihres Tänzers hereinrauschte. Es war die Fürstin, Iwanowna Oczakoff, die Zwillingsschwester des vorhin Beschriebenen. Das Spiel der Natur hatte eine wahrhaft fabelhafte Aehnlichkeit zwischen beiden Geschwistern erzeugt. Nicht nur Wuchs und Gesicht, selbst Stimme und Minenspiel waren an den beiden zusammen erzogenen schönen Erscheinungen ganz dasselbe ja, man versicherte, daß diese Aehnlichkeit sich auf die kleinsten Details des Lebens, bis auf die Handschrift ausdehnte. Nur ein zarterer Alt-Accord unterschied die Stimme, das lange, üppige Lockenhaar, auf dem ein goldgestickter smyrniotischer Fez schwebte, den Kopf der jungen Fürstin von dem ihres Bruders. In den Augen der Dame lag der ganze that- und willenskräftige und dennoch hingebende Charakter ihres Bruders. Eine köstliche Robe von grünem Moirée hob die volle [80] Gestalt der nordischen Schönheit, die seit vier Monaten die junge Aristokratie von Paris zu ihren Füßen sah.

Es war in der That wohlthuend in dieser kalten pikanten Modewelt, in diesem Wogen herzloser Berechnung, politischer Intrigue und ehrgeiziger Gedanken, die aufrichtige Liebe und Herzlichkeit zu sehen, mit welcher das junge Mädchen den Arm ihres Begleiters verließ und auf den geliebten Bruder zueilte.

»Warum nicht beim Tanz, Iwan?« fragte sie zärtlich. »Sie machen sich eines Vergehens schuldig, meine Herren, indem Sie meinen Bruder von einem Vergnügen abhalten, das er sonst leidenschaftlich liebte. Aber freilich, seit einiger Zeit scheint er für alles Vergnügen ganz verloren, und ich weiß wirklich nicht, ob die hohe Politik oder welcher Dämon sonst ihn mir ganz verwandelt hat.«

»Apoll und Diana müssen doch durch Etwas unterschieden sein, gnädigste Fürstin,« sagte Sazé galant; »aber Sie haben Recht, auch mir ist heute seine Zerstreutheit aufgefallen. Wenn man die Königin der Schönheit als Schwester besitzt, so hat man nicht das Recht, sich selbst und seinen Launen anzugehören.«

»Marquis, Sie sind und bleiben der unnütze Schwätzer. Aber meine schwesterliche Liebe scheint Sie Alle in einer interessanten Unterhaltung gestört zu haben, denn auch der Herr Capitain spielt den Ernsten und ist nicht einmal so galant, mich an das Versprechen zu erinnern, das ich ihm gegeben.«

Der Offizier blickte sie an, ein rascher verstohlener Wink des Arges bedeutete ihn und er entgegnete mit einer Verbeugung:

»Ma Princesse thun mir Unrecht, Sie wissen, daß Sie keinen aufmerksameren Sclaven als mich haben.«

Iwanowna, den Arm in den ihres Bruders geschlungen, der mit ihrem Begleiter sprach, lächelte schelmisch.

»Ich will es für diesmal glauben, obschon der tapfere Zuavenführer und Löwentödter sich den Rang von einem nordischen Barbaren, wie Ihr Frankreich uns zu nennen beliebt, hat ablaufen lassen. Aber ich übe Großmuth und habe den nächsten Tanz für Sie aufbewahrt, wenn nicht Iwan etwa sein Vorrecht geltend machen will.«

»Ich tanze heute nicht, Iwanuschka,« sagte der Bruder zärtlich, »Du mußt mich dispensiren.«

»Da sehen Sie, thut der leidige jüngste Attaché nicht wirklich, [81] als hätte er das Gleichgewicht Europa's auf seinen zwanzigjährigen Schultern zu tragen? – Doch à propos, meine Herren, kann mir Einer von Ihnen Auskunft geben, wer der würdige Palikare ist, der heute im Salon meiner werthen Tante Aufsehen macht?«

»Wenn Sie als Belohnung Ihrem unterthänigsten Verehrer die Quadrille nach meinem Freund Méricourt versprechen wollen, Fürstin,« meinte Sazé, »so verrathe ich Ihnen das diplomatische Geheimniß seiner Vergangenheit.«

»Geschwind, geschwind; Sie sehen ja, ich sterbe vor Neugier.«

»Bemerken Sie wohl, gnädigste Fürstin,« plauderte der junge Mann, »daß Commandant Kalergis den Feß sorgfältig über das linke Ohr gezogen und deshalb trotz seiner französischen Sympathieen das griechische Costüm trägt. Seine jetzigen Alliirten, die Türken, schnitten das Ohr ihm ab, als er den Todten spielte nach der Schlacht am Pyräus, und das übriggebliebene kostet ihm baare 12,000 Piaster Lösegeld. Aber er hat die Summe reichlich wieder eingebracht in verschiedenen Münzsorten. Denn schon 1843, als Herr Kalergis von der Emeute des 15. September nach Hause zurückkehrte, hatte sich die russische Gesinnung, mit der das Haus Ihres Gesandten Katakasi verließ, in eine englische verwandelt. Er hatte wohl begriffen, daß er seine Rolle schlecht gespielt; der Zweck der Emeute gegen König Otto war verfehlt, die Rubel waren eingesteckt, es handelte sich jetzt darum, sich für englische Pfunde zu verkaufen. Großbritannien machte ihn zum Militair-Obercommandanten von Athen, aber der 4. August jagte ihn schmachvoll davon. Als der Lord-Ober-Commissar ihm später den kleinen Vorschuß von 10,000 Thalern nicht bewilligen wollte, um Coletti's Regierung zu stürzen, warf er sich Frankreich in die Arme. Man sagt, daß der Kaiser große Pläne mit ihm vor hat. Gegenwärtig hat er seinen Sohn hierher gebracht, den der Kaiser auf seine Kosten erziehen läßt.«

»Ein echter Grieche, – feil jedem Gebot!« sagte Méricourt.

»Entschuldigen Sie, Capitain,« bemerkte Wassilkowitsch; »Herr Kalergis ist ein Landsmann unserer schönen Freundin. Er ist Russe von Geburt, aus Taganrog, wo seine Mutter noch lebt. Seine erste Erziehung erhielt er in Petersburg, wo ihm noch reiche Verwandte, theils als Kaufleute, theils im kaiserlichen Dienst, [82] wohnen. Erst im Jahre 1821, beim Ausbruch der Erhebung, kam er nach Griechenland.«

»Also politischer Marodeur; jedenfalls verspricht der Charakter noch viel für die Zukunft.«

»Und der Herr im Fez mit dem großen Stern des Christusordens auf der Brust, mit dem Herr Kalergis eben spricht, wer ist das?«

»O, Sie irren, mein Lieber,« sagte de Sazé; »das ist nicht der Christusorden, sondern ein unbekanntes Gestirn aus dem Firmament von Tausend und Einer Nacht. Haben Sie denn aus unserm Constitutionel noch nicht von Leo, dem Prinzen von Armenien, dem von Rußland schnöde beraubten Thronerben des halben Vorder-Asiens, gehört? – Da sehen Sie die mysteriöse Person in Natura vor sich. Der Prinz von Korikos, défenseur de l'Eglise d'Orient, wie er sich in den Journalen nennen läßt, hat kürzlich in London eine etwas scandalöse Affaire gehabt, und die Rücksichtslosigkeit der Queens-Bench hat ihn bewogen, London mit seiner Abreise zu strafen. Ich weiß wirklich nicht, – wenn es nicht Herr Kalergis sein sollte, – wer die Unverschämtheit gehabt haben kann, diesen Herrn hier im Salon Ihrer Fürstin Tante vorzustellen, nachdem er so offenkundig etwas starke Proclamationen gegen Ihren Czaren und Ihre Regierung durch alle Welt verbreitet hat.«

Die ersten Streiche des Orchesters erklangen und machten dem Gespräche ein Ende; Méricourt bot der schönen Fürstin den Arm, sie in den Salon zu führen, während Sazé forteilte, noch eine Tänzerin in dem Kreis der Damen zu finden. Fürst Iwan und der Oberst blieben zurück.

Der Letztere war eine jener hageren Gestalten, die eben durch ihre Magerkeit groß erscheinen. Er zählte einige vierzig Jahre, sah aber wie ein Fünfziger aus; spärlicher, nur durch die Kunst der Toilette gefärbter Haarwuchs über der hoch-kahlen Stirn, ein graues, oft in's Grünliche spielendes Auge und ein aufgeworfener Mund über massivem glänzendem Gebiß machten den Eindruck lauernder Ruhe bei einem brutal-sinnlichen Charakter. Die Uniform war mit Orden beladen, da Graf Wassilkowitsch, zugleich durch Reichthum ausgezeichnet, zu verschiedenen politischen Missionen gebraucht worden. Er war einer der Begleiter des Fürsten Woronzoff, der zu dieser Zeit – im letzten Stadium vor dem Ausbruch des Zwiespalts – nach Paris gekommen war.

[83] Die beiden Russen standen am Eingang des Salons und schauten der Quadrille zu, Beide dasselbe Paar, wiewohl mit sehr verschiedenen Blicken und Gefühlen, verfolgend. Während Iwan träumerisch an der graziösen Schönheit der Schwester sich weidete, hing das Auge des Obersten verzehrend an der üppig-schönen Gestalt und wurde zum kalten Giftstrahl, wenn es sich auf ihren Tänzer wandte und die lebhafte Unterhaltung beobachtete, die Beide pflogen. Endlich kehrte er sich zu seinem Gefährten und sagte mit jener Höflichkeit, unter welcher oft der Hohn schlecht verborgen ist:

»Auf mein Wort, Fürst, ein herrliches Paar! Es wird den Kaiser, unsern Herrn, freuen, zu hören, daß die Fürstin Oczakoff dazu beiträgt, die Bande wieder fester zu knüpfen, deren Zerreißen uns in diesem Augenblicke eben nicht ganz angenehm wäre.«

»Wie meinen Sie das, mein Herr?« fragte, sich rasch nach ihm wendend, der junge Mann.

»Ei, mein Lieber, ich meine, was die ganze Welt spricht, daß unser französischer Freund auf dem besten Wege ist, Ihren Landsleuten in der Gunst Ihrer schönen Schwester den Rang abzugewinnen, ja, man behauptet, man dürfe der französischen Kaiserstadt bereits zur Gewinnung einer unserer ersten Erbinnen gratuliren. Der Vicomte soll ein Liebling des Kaisers sein.«

»Die Hand meiner Schwester ist kein Gegenstand der Politik,« sagte kurz und rauh der Fürst. »Die Fürstin Iwanowna Oczakoff wird nie ihr Herz einem Franzosen schenken.«

Wassilkowitsch lachte.

»Da scheint sie nicht den Geschmack ihres Bruders zu theilen. Herr von Méricourt erzählt wenigstens viel von der Vergötterung, die Fürst Iwan einer interessanten Grisette des Marais zu Theil werden läßt.«

Eine dunkle Röthe überflog das Gesicht des jungen Mannes, als er plötzlich so unerwartet sein innerstes sorgfältig bewahrtes Geheimniß dem Spott Fremder Preis gegeben sah. »Das ist erl – –« Der Fürst recollirte sich im eisigen Bild seines Gegners. »Das ist nicht möglich! Der Vicomte ist ein Ehrenmann!«

»Das kann er immerhin sein und doch den künftigen Schwager gern vor einer Mesalliance bewahren oder wenigstens der schönen Schwester sich dienstbar zeigen wollen, die, wie man sagt, eine gewisse Herrschaft über den Zwillingsbruder ausübt, bloß weil [84] sie die Erstgeborene ist. Doch ohne Scherz, Fürst, lassen Sie uns offen reden, ich bin Ihr Landsmann und uns verbinden gleiche Interessen gegen diese Fremden. Sie werden auf Ihren Wegen belauert.«

Der junge Mann faßte krampfhaft seinen Arm. »Beweise, Graf, Beweise!«

»Ei, die sollen Sie haben! Sie erinnern sich, Fürst, der letzten Soiree, die Herr von Kisseleff am Dienstag dem Fürsten Woronzoff und Herrn von Persigny gab. Ich war zufällig und ungesehen Zeuge des Auftrags, den Ihre schöne Schwester an Herrn von Méricourt ertheilte, Sie zu beobachten und zu erforschen, woher seit Kurzem Ihre seltsame Gemüthstimmung komme und was Ihre häufigen heimlichen Abwesenheiten zu bedeuten haben, deren Zweck Sie so sorgfältig zu verbergen suchen. Sie können denken, Fürst Iwan, daß ein so galanter Verehrer, wie dieser Franzose, mit Vergnügen Alles versprach und Wort gehalten hat.«

»Pest!«

»Erinnern Sie sich vorgestern nicht eines Ganges durch die Rue Montmartre zur Ecke der Straße Saint Joseph?«

»Sie haben Recht, ich begegnete dem Vicomte und vermochte mich kaum von seiner verwünschten Höflichkeit loszumachen.«

»Nun wohl, Fürst, Herr von Méricourt kennt die elegante Einrichtung des zweiten Stockes im Hause Nr. 10 der Rue Joseph sehr wohl und weiß, wer der vornehme Fremde ist, der die hübsche, nur – wie der Vicomte sagt – allzu leichtfertige Bewohnerin unterhält und Tag und Nacht bei ihr ist. Ich hörte ihn vor hin gegen Sazé darüber spötteln, ehe Sie erschienen. Blicken Sie hin und sehen Sie, wie angelegentlich und eifrig der Franzose sich mit Ihrer schönen Schwester unterhält. Ich wette tausend Imperials, daß er eben seinen Bericht abstattet.«

Der junge Mann erröthete und erbleichte abwechselnd vor innerer Aufregung. Der schöne und üppig geformte Mund zuckte. »Der Spion soll mir büßen!«

»Wissen Sie, was man sogar behauptet, Fürst? Sie sollen mit Ihrer kleinen Grisette verkleidet den bal mabille, ja sogar die grande chaumière frequentiren und ein flotter Tänzer dort sein.«

Diesmal war der Schlag zu arg, ein dunkler Purpur überzog das schöne Gesicht des jungen Mannes und der Zorn wich der Schaam; er schlug die Augen zu Boden.

[85] »Ei was,« lachte der Oberst, »wäre es wirklich wahr, Jugend muß austoben und es wäre ein Geniestreich, in den sich kein Unberufener zu mengen hat. Kommen Sie, Iwan, die Quadrille geht zu Ende und wir würden nur mit unserer Migraine die Conversation stören.«

Er nahm ihn am Arm und führte ihn durch einen Seitenausgang in die Nebenzimmer. An einem Büffet nahmen sie Champagner und traten dann auf des Grafen Vorschlag zum Spieltisch im benachbarten Salon. – – –

Die schöne Fürstin hatte keine Ahnung von dem Gift, das eben in des geliebten Bruders Ohr ausgegossen wurde. Dennoch bezog sich auch ihre Unterhaltung während der wechselnden Touren des Tanzes auf denselben Gegenstand. Das Verhältniß zwischen der Fürstin und dem tapferen Capitain war ein ganz anderes, als es die giftigen Worte des Russen angedeutet. Der Vicomte gehörte allerdings zu den eifrigsten Anbetern der nordischen Schönheit und wurde durch ihre Achtung und ihr Vertrauen ausgezeichnet vor der zahlreichen Schaar der Bewerber. Darauf hatte sich jedoch die Gunst der Fürstin bis jetzt beschränkt und wenn sein dunkles auf ihr ruhendes Auge, oder ein unbewachtes, aber tiefgefühltes Wort ihr auch längst verrathen hatten, daß seiner Huldidigung eine wahre Liebe zum Grunde liege, daß er um sie werbe als den schönsten Preis des Lebens, so hatte doch das fragende Wort noch nicht seine Lippe überschritten, keine ernsteres Zeichen ihm die wohl selbst noch unklaren Gefühle ihres eigenen Herzens kund gethan. Doch verstanden sich Beide, wie sich kräftige und hohe Seelen immer verstehen.

»Haben Sie Gelegenheit gehabt, meine Bitte zu erfüllen, Herr von Méricourt?« fragte die Fürstin. »Sie verzeihen meiner Besorgniß, aber sie ist in den letzten Tagen nur noch vermehrt worden. Sie selbst haben gesehen, wie verändert der Fürst sich zeigt und nur mit großer Mühe konnte ich ihn bestimmen, mich heute zu begleiten.«

»Vergeben Sie, Fürstin,« erwiederte der Offizier, »wenn ich leider noch wenig Fortschritte in Ihrem Auftrag gemacht habe. Daß es an meinem Eifer nicht gelegen, werden Sie ohne meine Versicherung wissen. Aber der Fürst, Ihr Bruder, sonst so offen und zugänglich, ist nicht bloß für seine liebenswürdige Schwester, sondern auch für seine aufrichtigen Freunde jetzt ein verschlossenes [86] Buch. Vergebens machte ich ihm meinen Besuch, er war nicht zu Hause, und als ich ihm vor einigen Tagen in der Straße Montmartre zu Fuß begegnete und ihn zu einer vertraulichen Unterredung zu bewegen suchte, ließ er mich fast merken, daß ich ihm lästig sei und entfernte sich so bald als möglich von mir.«

»Und wissen Sie, wohin er ging? So viel ich gehört habe, ist der Stadttheil kein solcher, wo mein Bruder Geschäfte oder Freunde hat?«

»Dies ist allerdings möglich, doch kann ich der schönen Besorgten auch darüber keine Auskunft geben, da ich natürlich mit meinen Fragen nicht indiscret sein wollte und sogleich meinen Weg fortsetzte.«

»Hegen Sie denn gar keine Vermuthung, Vicomte, was diese häufige Abwesenheit, diese stets allein unternommenen Gänge zu bedeuten haben? Selbst dem treuen Wassili, der ihn von Jugend auf nie verlassen, hat er streng verboten, ihm zu folgen und ihm befohlen, sein Ausbleiben mir so viel als möglich zu verschweigen.«

Der Capitain lächelte.

»Ich glaube, Fürstin Iwanowna hegt allzugroße Besorgnisse. Paris ist der Ort so mancherlei Zerstreuungen und es wäre leicht möglich, daß irgend eine Liaison das lebenswarme und empfängliche Herz des Fürsten gefesselt hätte.«

»Aber warum denn dies geheimnißvolle, ihn aufreibende Treiben? Ich bin natürlich nicht seine Gouvernante und maaße mir nicht an, in das Thun Ihrer Männerwelt zu dringen. Doch wenn er der Schwester gegenüber auch schweigt, warum gegen seine Freunde? Ich habe mir sagen lassen, daß in solchen Herzensangelegenheiten die Herren nur allzu offenherzig gegen einander sind.«

»Das mag bei jenen Thorheiten der Fall sein, Fürstin, welche die Modewelt galante Verbindungen nennt, aber nie bei einer ernsten und wahren Neigung des Herzens. Es sollte mir leid thun, wenn eine solche schon sich seines jungen Gemüths bemächtigt hätte, denn bei seinem energischen und feurigen Charakter würde er sich ihr mit ganzer Seele hingeben. Und wie schwer eine solche selbst das erprobte Mannesherz verwunden, welche Schmerzen sie auf starke Seelen legen kann, das empfinde ich selbst zu tief, um mei nen jungen Freund nicht davor bewahrt zu wünschen.«

Ein rascher wie fragender Aufschlag ihres schönen Auges traf jenes des Capitains, das mit Innigkeit auf dem schönen Mädchen [87] haftete. Eine leichte Röthe überflog Wangen und Stirn – – die Wogen des Tanzes unterbrachen das Gespräch.

Als der Vicomte sie zur Gruppe zurückführte, die sich um die Dame des Hauses gebildet und de Sazé nahte, die Fürstin an ihr Versprechen zu mahnen, neigte sie sich vertraulich zu ihm und bat:

»Versuchen Sie noch einmal heute Ihr Heil bei Iwan und sorgen Sie wenigstens für seine Zerstreuung. Die Gesellschaft, in der wir ihn vorhin verlassen, – und ich sehe Beide nicht mehr an dem vorigen Platz, – ist keine, die ich für ihn liebe. Gehen Sie, Vicomte, und denken Sie, daß ein Ritter der Ruhe seiner Dame alle Dienste leisten muß.«

Ein anmuthiger Wink des Fächers verabschiedete ihn; er ging, den Fürsten aufzusuchen, während Iwanowna sich dem Damenkreise anschloß. – –

Der nächste Contretanz war vorüber, am Arm ihres Tänzers de Sazé durchging die Fürstin den zum blühenden Garten umgewandelten Corridor, welcher die vorderen Salons mit dem hinteren Flügel verband. Plötzlich stockte der zierliche Fuß, kaum vermochte sie, die Hand erhebend, ihrem sie mit Galanterieen überschüttenden Cavalier zuzuflüstern: »Marquis, sehen Sie – um Gottes willen, was ist vorgegangen?«

Auf sie Beide zu, durch den Eingang, welcher zum Spielzimmer führte, kam der Zuaven-Capitain. Sein männlich schönes Antlitz war dunkel geröthet, das Auge blitzte, doch zeigte die ganze Gestalt eine ernste ruhige Fassung. Wenige Schritte hinter ihm aus einer Gruppe von Herren, welche sich um die Thür versammelten, folgte Fürst Iwan am Arme des Obersten, der ihn fest zurückhielt. Das Gesicht des jungen Russen zeigte jene Wachsbleiche, die leidenschaftliche Charaktere im Augenblick der höchsten Erregung zu befallen pflegt. Sein Auge irrte scheu umher, offenbar war er mit sich selbst unzufrieden, wenn auch der fest gekniffene Mund seine Entschlossenheit bekundete. Nur der Oberst bewahrte seine gemessene Haltung und ein boshafter Blick leuchtete aus seinen Augen, als er die Begegnung mit der Dame bemerkte, bei der die Herren an der Thür sich sofort in's Zimmer zurückzogen.

Sazé begriff im Augenblick, daß etwas von Wichtigkeit vorgefallen und führte die Fürstin zu einem der Sitze, die unter Rosen- und Camelienbüschen versteckt zu Lauben gestaltet waren. Der [88] Capitain trat auf ihn zu und während er mit einer Verbeugung die Dame begrüßte und sein Auge sichtlich das ihre vermied, das fragend und ängstlich auf ihm ruhte, sagte er mit fester Beherrschung der Stimme:

»Gestatten Sie, Durchlaucht, daß ich Ihnen für einen Augenblick Ihren Cavalier entführe, ich habe ihm nur eine kurze Bitte vorzutragen, und er ist sogleich wieder zu Ihren Befehlen.«

Der Fürst war herangekommen und trat zu seiner Schwester.

»Geniren Sie sich nicht, Herr von Sazé,« sagte er hochmüthig, »ich werde Sie bei meiner Schwester ersetzen.«

Er bot ihr den Arm, die junge Fürstin jedoch beachtete die Geberde nicht, sondern wandte sich zu den beiden Franzosen.

»Da der Zweck unseres Ganges erfüllt ist und ich meinen Bruder gefunden habe,« sprach sie verbindlich zu de Sazé, »so wären Sie allerdings Ihrer Ritterschaft ledig, Herr Marquis. Ich habe dagegen noch die Verpflichtung, Ihrem Freunde zu danken, der zuerst meinen Auftrag übernommen hat, und bitte ihn, mich zu der Fürstin, meiner Tante, zurückzuführen. Sie müssen mit seinem Vertrauen sich schon bis dahin gedulden.«

Damit legte sie die seine Hand auf den Arm des Vicomte und ging mit ihm voran. Sazé folgte und begriff rasch die Aufgabe, die ihm geworden, indem er das Paar von den beiden nachfolgenden Herren trennte. Dennoch waren sie zu nah, als daß die Fürstin eine Frage an ihren Begleiter hätte thun können. Aber das nervöse Zittern ihres Armes fühlte er in dem seinen und den leisen Druck, mit dem sie sich auf ihn stützte. Nur als sie durch den Eingang des Salons schritten und das Gedränge der Anwesenden sie für einige Augenblicke von den Folgenden schied, schlug Iwanowna rasch das Auge empor und flüsterte hastig:

»Was ist geschehen, Vicomte? ich muß Alles wissen, ich bin zu jeder Stunde für Sie morgen zu sprechen!«

Méricourt aber neigte sich wie dankend zu ihr nieder und entgegnete mit tiefbewegter Stimme:

»Leben Sie wohl, Fürstin, mein Traum ist vorüber.«

Einen Moment lang preßte er ihren Arm an seine Brust, dann zog er sich mit einer Verbeugung zurück und grüßte im Vorübergehen höflich und gemessen die beiden Russen. Die Fürstin sah, wie er auf dem Wege durch den Saal Sazé's Arm nahm [89] und mit ihm am Ausgang verschwand. Als sie sich beklommenen Herzens umwandte, bemerkte sie den höhnisch lauernden Blick des Grafen Wassilkowitsch auf sich ruhen.

Kaum eine Viertelstunde später ertönte am Portal der Ruf nach der Equipage der Fürstin Oczakoff. Fürst Iwan war schon vorher aus der Soiree verschwunden und allein nach Hause zurückgekehrt, um den Fragen der Schwester auszuweichen.


Es war in einer für die pariser Aristokratie noch frühen Stunde des nächsten Morgens, als in dem von dem Fürsten bewohnten Hôtel der Allée des Veuves vor der jungen, in weißem Morgenkleide auf der Bergère ihres eleganten Toilettenzimmers ruhenden Fürstin der Diener ihres Bruders, der Leibeigene Wassili, stand, herbeigerufen von seiner SchwesterAnnuschka, dem russischen Kammermädchen der Fürstin. Beide Geschwister, der Bruder um fünf, die Schwester um drei Jahre älter als das Zwillingspaar, das mit ihnen die Milch derselben Mutter getrunken, ein in Rußland noch überaus heilig gehaltenes Band, hatten demselben von Jugend auf gedient und dadurch eine entsprechende Erziehung genossen. Mit der aufopferndsten Treue hingen die Beiden an den fürstlichen Geschwistern.

Wassili, der Leibeigene, war ein hochgewachsener kräftiger Mann, wie sie das Innere von Rußland so häufig hervorbringt. In seinem markigen festen Gesicht spiegelte sich Zuverlässigkeit und entschlossene Hingebung. Hinter der Fürstin, ihm gegenüber, stand seine Schwester, hübsch und blauäugig, die langen blonden Zöpfe um den Kopf gewickelt, indem sie ihn mit lebhaften Geberden zur Rede antrieb, die er nur unwillig zu stehen schien.

»Also Dein Herr ist die ganze Nacht nicht zu Bett gewesen?«

»Nein, Mütterchen.«

»Und was hat er gethan während der Zeit?«

»Ich weiß es nicht, Mütterchen.«

»Glaube ihm nicht, dem schlechten Menschen, Durchlaucht,« mengte sich Annuschka in das Gespräch. »Er wäre ein schlechter Diener, und das ist Wassili nicht, wenn er sähe, daß sein Herr unruhig, und seine Augen hätten ihn nicht auf jedem Schritt verfolgt. Er will nicht sprechen, Durchlaucht, er hat mich schon früher [90] gescholten, wenn ich ihn in Deinem Auftrage fragte, und meint, das hieße seinen Herrn verrathen.«

Wassili schoß einen ärgerlichen Blick auf die Schwester, schwieg aber verstockt. Die Fürstin richtete sich auf.

»Höre, Wassili,« sagte sie ernst, »ich würde nicht in meines Bruders Geheimnisse zu dringen suchen, wenn es nicht sein eigenes Wohl gälte. Es ist Wichtiges vorgefallen, Du mußt mir Rede stehen und darfst bei allen Heiligen nicht das Geringste verheimlichen. Ich befehle Dir also, ich, Deine Herrin, mir zu sagen, was Iwan bis zum Morgen gethan hat.«

»Er hat mich zu Bett geschickt.«

»Aber Du hast gelauscht?«

Wassili kraute sich verlegen in den dichten Haaren.

»Er schrieb, Mütterchen,« sagte er endlich, »der Herr hat viel geschrieben.«

»Und dann?«

»Dann ist er unruhig umhergegangen und ...« Er zögerte.

»Wirst Du reden, Wassili!« fuhr ihn die Schwester an; »siehst Du nicht, wie Du die Herrin bekümmerst?«

»Ja, Annuschka,« sagte ausweichend der Russe, »ich kann doch bei meinem Schutzheiligen nicht dafür, daß der Fürst seine Pistolen aus dem Schrank genommen hat. Ich versichere Dich, er schloß sie richtig in seinen Schreibtisch ein, nachdem er sie lange betrachtet hatte.«

Die Fürstin winkte mit der Hand.

»Genug, genug! – Ist der Fürst jetzt allein?«

»Er war es, Mütterchen, aber – –«

»Was?«

»Ich sollte sagen, er schlafe noch, wenn Du nach ihm fragst, und dann, er sei ausgegangen.«

»Hat er Dir sonst einen Befehl gegeben?«

»Ja, Mütterchen. Der Herr erwartet Besuch, und ich soll ihn sogleich in das Zimmer führen, wo die vielen Bücher stehen.«

Die Fürstin erhob sich.

»Geh' auf Deinen Posten, Wassili, und achte sorgfältig auf Alles, was geschieht und wer aus- und ein geht bei meinem Bruder. Ich lade die Schuld auf Dein Haupt, wenn das Geringste vorgeht, das ich nicht sofort erfahre.«

Sie warf einen leichten Mantel um die Schultern, während [91] Wassili, von der Schwester zur Thür gewinkt, mit dem demüthigen, aber in seiner Einfachheit schönen Gruß der niederen Russen verschwand. Dann verließ sie durch eine andere Thür das Zimmer.

Die Fürstin nahm ihren Weg zu den Gemächern ihres Bruders, die, durch den gemeinschaftlichen Salon und die Nebenzimmer von den ihren getrennt, nach dem Garten hinauslagen. Eine kleine Tapetenthür, welche direkt in das Toilettzimmer des Fürsten führte und zur Unterhaltung des unbelästigten Verkehrs zwischen Bruder und Schwester bisher gedient hatte, fand Iwanowna jetzt von Innen verschlossen. Im Begriff, auf einem anderen Wege durch das eben von Wassili bezeichnete Zimmer zu gehen, hörte sie fremde Stimmen von Außen und sprang rasch hinter die Portiere eines angrenzenden Kabinets, deren Schnuren sie löste.

Die Falten bewegten sich noch, als Wassili mit einem Herrn eintrat. Die Fürstin erkannte durch die Oeffnung des Vorhanges den Marquis de Sazé, was ihre Befürchtungen bestätigte und sie ihren Platz behaupten ließ.

Wassili ging, den Besuch zu melden, und augenblicklich erschien der Fürst und nöthigte seinen Gast, Platz zu nehmen. Er sah überwacht und blaß aus, beherrschte aber vollkommen seine Mienen.

»Sie werden errathen, Durchlaucht,« eröffnete der Marquis die Unterhaltung, sobald der Diener sich entfernt hatte, »in welcher unangenehmen Angelegenheit ich Ihnen so zeitig meinen Besuch aufdränge. Diese Zeilen des Herrn Capitain de Méricourt ertheilen mir unbeschränkte Vollmacht.«

Der Fürst lehnte mit einer Handbewegung höflich die Durchsicht ab und verbeugte sich zustimmend.

»Ich muß Ihnen gestehen, Fürst,« fuhr de Sazé fort, »ich begreife eigentlich das Vorgefallene nicht, und mein Freund, der Vicomte, eben so wenig. Wollen Sie sich herablassen, uns einige Erläuterungen zu geben, so wird sich das Mißverständniß gewiß aufklären, und Sie werden als Mann von Ehre nicht anstehen, meinem Freunde in Gegenwart eines der Zeugen der Beleidigung Ihre Entschuldigung zu machen.«

»Ich bedaure, Herr von Sazé,« sagte der Fürst.

Doch der Andere unterbrach ihn:

»Einen Augenblick noch, Durchlaucht, ehe Sie Ihre unwiderrufliche Meinung aussprechen. Sie wissen, daß es nicht Sitte der Franzosen ist, in einem Ehrenstreit die Hand zu bieten, und [92] namentlich eine solche Beleidigung, wie dem Capitain widerfahren, anders als durch Blut zu sühnen. Ich bitte, würdigen Sie also das wackere Benehmen Ihres Gegners, der in Berücksichtigung der bisherigen Verhältnisse mit jeder billigen Erklärung zufrieden sein will.«

Der Fürst entgegnete steif und frostig:

»Obschon noch sehr jung, mein Herr, bin ich doch vollständig mit den Gesetzen eines Edelmannes vertraut und würde gerade in Berücksichtigung der Verhältnisse dem Herrn Vicomte nicht zumuthen, mit einer Entschuldigung zufrieden zu sein, die ich ohnehin nicht zu machen gesonnen bin. Darf ich Sie um Ihre weiteren Aufträge bemühen?«

»Ich habe die Ehre, Ihnen die Forderung des Capitains de Méricourt zu überbringen.«

»Ich bin zum ersten Male in Paris und mit Ihren Gewohnheiten daher noch einigermaßen unbekannt. So viel ich weiß, pflegt man dergleichen Angelegenheiten rasch abzumachen?«

»Gewöhnlich ehe die nächste Sonne untergeht; sollten Sie jedoch Zeit wünschen ...«

Der junge Mann richtete sich steif empor.

»Ich bitte, Herr Marquis!«

»Also heute, eine Stunde vor Sonnenuntergang. Ihre Waffen?«

»Natürlich Pistolen, ich verstehe mich nur wenig auf Ihre Degen.«

»Ich werde die Ehre haben, mit Ihrem Secundanten das Weitere zu ordnen. Wollen Sie mir Ihre Befehle deshalb ertheilen?«

»Sie sind sehr freundlich, Herr Marquis. GrafWassilkowitsch hat in Erwartung eines solchen Besuchs meine Vertretung bereits übernommen und wird die Ehre haben, Sie in seiner Wohnung zu empfangen.«

»So bleibt mir nur noch, mich Ihnen zu empfehlen, Durchlaucht. Leben Sie wohl; ich bedaure, diesmal sagen zu müssen, à revoir!«

Der Fürst zwang sich, zu lachen.

»Unter Freunden, Marquis, sollte man sich dergleichen Bedauern eigentlich übel nehmen. Wollen Sie nicht eine Cigarre? – Sie wissen, ich führe echte Manilla.«

[93] Der Marquis nahm die gebotene Cigarre und steckte sie in Brand, Fürst Iwan folgte seinem Beispiele und geleitete ihn nach einigen gleichgültig geplauderten Worten bis in's Vorzimmer. Als er hierauf rasch in sein Kabinet zurückgekehrt war und Wassili ihm wenige Augenblicke nachher folgen wollte, fand er in der Mitte des Zimmers die Fürstin, bleich, die Hand auf das klopfende Herz gedrückt. Sie hob den Finger drohend in die Höhe.

»Bei Deinem Leben, Wassili, keinen Laut, daß Du mich hier gesehen!«

Damit verschwand sie.


Capitain Méricourt bewohnte den Garten-Pavillon hinter dem Hause seines Schwagers in der Rue Avenue de Bourdonnaye, wenn er sich in Paris aufhielt. Ein Vorzimmer, ein kleiner Salon, mit Waffen aller Art und Jagdtrophäen, darunter mehreren riesigen Löwenhäuten, geschmückt, und zwei Kabinets nebst einem Gemache für den arabischen und französischen Diener des Vicomte, bildeten das Gelaß dieses Hauses, in dessen unmittelbarer Nähe eine Gartenpforte durch die Mauer nach einer kleinen Seitenstraße führte und so den Bewohnern des Pavillons den ungenirten Ein- und Ausgang gewährte.

Es war kaum eine Stunde nach dem obigen Rencontre, als ein Fiaker in der Seitenstraße vor dem Zugang des Gartens hielt und zwei tief verschleierte Frauen ausstiegen. Die Eine von ihnen läutete auf das Zeichen der Andern die Glocke und nach kurzem Harren öffnete Mulei, der junge arabische Diener des Capitains, die Pforte. Als er zwei Frauen vor sich sah, verneigte er sich nach maurischer Sitte und nöthigte sie, einzutreten.

»Ist Capitain de Méricourt zu sprechen?« fragte die Zweite der Verschleierten, anscheinend die Gebieterin.

»Der Bey befindet sich in seinem Zimmer, Herrin. Wen befiehlst Du, daß ich ihm verkünden soll?«

»Sage Deinem Herrn,« erwiderte die Verschleierte, »daß eine Dame ihn in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen wünschte, die keinen Aufschub gestattet. Ich würde ihm nur wenige Minuten rauben.«

Der Maure verneigte sich nochmals mit über die Brust gekreuzten Händen und bat die Frauen, ihm in das Vorzimmer zu [94] folgen. Dann verschwand er hinter dem schweren persischen Teppich, kehrte aber schon nach wenigen Augenblicken zurück und nöthigte die Fremden in den Salon. Beide traten ein.

Das Gemach bildete ein nur mittelgroßes Achteck und empfing sein Licht von der Kuppel, von der ein schöner Bronceleuchter herabhing. Löwen- und Pantherfelle bildeten die Teppiche vor den orientalischen Divans, welche die vier Seitenwände einnahmen, die nicht durch Thüren unterbrochen waren. Prächtige orientalische Waffen, von der langen Luntenflinte des Arabers bis zum kostbaren Handjar von tunesischem Stahl, die Keule des Ashanten und der lange Bogen der Dayaks, mit dem wallenden Burnus und dem verschlungenen Turban des Kabylen, Antilopenhörner und Büsche von Straußfedern, die Schädelketten der Bewohner von Bornu mit mächtigen Elephantenzähnen, dazwischen Gruppen prachtvoller moderner und antiker europäischer Waffen, türkische Sättel und Zaumzeug mit prächtigen Teppichen und zahllosen fremdländischen Geräthschaften bildeten in einzelnen Gruppen-Decorationen an den Wänden den eigenthümlichen Schmuck des Gemachs. Auf den Tischen zur Seite standen und lagen zwischen Schaalen und tunesischen Kunsterzeugnissen türkische Pfeifen, Schibuks und Nargilehs in buntem Gemisch.

Nach wenigen Augenblicken trat der Capitain aus dem Nebengemach ein. Ein weites orientalisches Gewand von weißer Wolle diente ihm zum Morgenrock und fiel, von einem mit Gold durchwirkten tunesischen Shawl um die Hüfte gehalten, über die faltigen Beinkleider von Purpurwolle, während ein Burnus von gleichfalls weißer Farbe mit Gold durchwirkt um seine Schultern hing. Das weite faltige Costüm kleidete die Heldengestalt des Offiziers und den kräftigen männlich schönen Kopf bewundernswerth.

»Entschuldigen Sie, meine Damen,« sagte der Vicomte höflich, indem er sie einlud, Platz zu nehmen, »daß ich Sie noch in Morgen-Toilette empfange, ich wollte Sie jedoch nicht warten lassen und stehe deshalb zu Befehl.«

Die Eine der beiden Frauen hob den dichten schwarzen Schleier, der ihr Gesicht verhüllte.

»Die Fürstin! – Mein Gott – Sie hier?«

Iwanowna wandte sich zu ihrer Begleiterin.

»Verlaß uns auf einige Augenblicke, Annuschka, ich stehe unter dem Schutz der Ehre des Herrn Vicomte.«

[95] Die Milchschwester der Fürstin verschwand in das Vorgemach.

Méricourt ergriff die Hand der Dame und führte sie zum Divan. Die seine zitterte lebhaft, die Röthe hoher Erregung lag auf seinem schönen Gesicht.

»So viel Glück und so viel Schmerz in einem Moment, Fürstin, es ist zu viel, selbst für eine Männerbrust.«

Das Antlitz des jungen Mädchens war bleich, aber eine aufopfernde feste Entschlossenheit lag in jeder Miene, selbst ihre Stimme zitterte nicht.

»Sie wissen, Vicomte, warum ich komme.«

Der Franzose beugte sich mit schmerzlichem Lächeln auf ihre Hand, die er gefaßt hielt.

»Sie werden sich noch heute mit Iwan, meinem Bruder, schlagen?«

Eine leichte Neigung des gesenkten Hauptes gab ihr die Antwort.

»Méricourt, Sie werden es nicht thun, – um meinetwillen.«

»Es ist unmöglich, Fürstin, mein Leben steht zu Ihren Diensten, nicht meine Ehre als Edelmann. Ihr Bruder verweigert jede Erklärung.«

»Ich weiß es, ich war ungesehen Zeuge seiner Unterredung mit Herrn de Sazé. Sagen Sie mir – wie kam es dahin?«

»Bei meiner Ehre, Fürstin,« sagte der Offizier aufathmend und seinen Blick zu dem Mädchen erhebend, »ich bin schuldlos daran, ich weiß es selbst nicht, und daß mir noch auf Erden das Glück zu Theil geworden, Ihnen mündlich das sagen zu dürfen, was Sie morgen durch den kalten Buchstaben meiner Abschiedsworte an Sie erfahren hätten, – das erfüllt den geheimsten Wunsch meines Herzens. Ein böser Dämon muß Ihren Bruder regiert haben. Seine Worte, seine Beleidigungen sind mir unerklärlich. Ich fand ihn mit dem Obersten beim Spieltisch und geselle mich zu ihm. Der Fürst war offenbar sehr aufgeregt und als ich ihn fragte, ob ich ihn am Morgen zu einem Spazierritt abholen dürfe, wie wir früher verabredet, entgegnete er heftig: er werde allein reiten, er brauche weder einen Vormund, noch – –«

»Sprechen Sie!«

»– noch einen Spion!«

»Mein Gott!«

»Ich war im ersten Augenblicke so bestürzt, daß mir fast die [96] Fassung fehlte. Einige Gesichter wandten sich gegen uns – man weiß, Fürstin, daß ich keine Memme bin und bei Beleidigungen ruhig bleiben darf. Ihr Bild, Iwanowna, stand vor mir. – ›Sie reden irre, Fürst,‹ sagte ich und faßte seinen Arm, ›Sie haben mich wahrscheinlich nicht verstanden. Kommen Sie, lassen Sie uns plaudern.‹ – Ihr Bruder riß sich los. ›Ich habe Sie sehr wohl verstanden, mein Herr,‹ sagte er barsch, ›und wenn Sie meine Worte nicht verstehen wollen, so werden Sie vielleicht Das verstehen.‹ – Fürstin, er – –«

»Zu Ende, zu Ende!«

»Er hob die Hand gegen mich, einen Moment zwar nur, aber – er hob die Hand!«

Der Capitain war bleich geworden bei der Erzählung.

»Der Unglückliche!«

Diesmal war es die Dame, die das Haupt vor dem Manne in unsäglichem Schmerz beugte.

Der Capitain schwieg, das Gefühl der schweren Beleidigung machte dem innigen Mitleiden Platz bei dem Blick auf das erschütterte Mädchen.

»Ich wiederhole Ihnen, Fürstin,« sagte er endlich, »ich weiß noch immer nicht, was dieses Benehmen Ihres Bruders hervorgerufen hat, nur ein Mißverständniß oder eine Verleumdung kann die Veranlassung sein, doch leider ist die Sache nicht mehr zu ändern. Sie kennen selbst das Weitere.«

»Das ist Wassilkowitsch's Werk!« rief die Fürstin; »jetzt ist mir Alles klar und mein Widerwille vor diesem Manne hat mich nicht betrogen. Ich weiß, Vicomte, wie edel, wie großmüthig Sie gehandelt haben! Ich weiß, daß nach den Gesetzen der Ehre unter Militairs eine solche Beleidigung nur durch den Tod des Beleidigers gesühnt werden kann, und dennoch haben Sie dem Unglücklichen die Hand zur Sühne geboten und nur seine Entschuldigung verlangt, Sie, der tapfere Offizier, der Spiegel stolzen Rufs für alle Soldaten ...«

»Ich bin es nicht mehr, Fürstin,« unterbrach sie Méricourt. »Heute Morgen habe ich Herrn von Saint Arnaud meine Entlassung eingereicht.«

»Wie, Sie haben – –«

»Es war nöthig, Fürstin, der Offizier konnte jene Sühne unmöglich bieten. – Es war Ihr Bruder, Iwanowna!«

[97] »Und dennoch Alles vergeblich, – ich kenne seinen eisernen Sinn von Kindheit auf, er würde sich eher zerreißen lassen, als durch eine Entschuldigung selbst das erkannte Unrecht gut machen.«

Sie hatte sich erhoben und ging leidenschaftlich im Salon umher.

Der Vicomte schwieg und folgte ihr mit trauerndem Blick.

Plötzlich blieb die Fürstin vor ihm stehen, ihre großen Augen voll und klar auf ihn gerichtet.

»Das Duell darf nicht vor sich gehen, es darf nicht! – Er ist mein einziger Bruder, der Letzte aus dem Hause der Oczakoff, einer der neun Familien, die von Ruriks Stamme sind, edler selbst als die Romanoffs. Ich darf ihn nicht sterben lassen! – Eugen,« es war das erste Mal, daß sie ihn bei diesem Namen nannte und es durchzuckte den jungen Mann wie ein electrischer Strahl, – »Eugen, werden Sie zum Engel des Erbarmens an uns, wie Sie bereits zum Helden geworden sind. Fliehen Sie das Duell – weigern Sie dem Thoren, ihn zu strafen, kommen Sie, fliehen Sie mit mir. – Eugen, ich liebe Sie, und jeder Athemzug meines Lebens soll Ihrem Glück gewidmet sein!«

Der junge Offizier sank vor ihr nieder, er preßte stöhnend im bittern Kampf ihre zarten Hände auf sein brennendes Gesicht.

»Sie verlassen Ihr Frankreich,« fuhr Iwanowna fort, »Sie gehen mit mir in das herrliche Land, wo mildere, süßere Lüfte wehen, als hier, wo der Oleander blüht und die Orange sich in den blauen Fluthen des Meeres spiegelt. Nach Taurien folgen Sie mir – nicht blos der Kaiser hat dort seine erhabene Phantasie, das Paradies Orianda, – an den Felsenvorsprüngen der Yaila-Alpen prangen noch viele Stätten eben so herrlich, eben so schön, von deren Klippenhöhe vielleicht Iphigenia einst hinüberschaute zum fernen Vaterlande, wo Orestes die Schwester von der grausen Pflicht befreite. O, mein Freund, werfen Sie es von sich das Vorurtheil dieser sogenannten Civilisation, die von Ihnen verlangt, das Blut Ihres Bruders zu vergießen, des einzigen Wesens, was gleich Ihnen mir theuer ist – –«

Der Vicomte hatte sich emporgerichtet, auf der ehernen Stirn stand der eherne Männerentschluß.

»Sein Sie ruhig, Iwanowna, diese Hand wird nicht geröthet sein von dem Blute Ihres Bruders!«

»Sie gehen mit mir, Sie opfern mir Alles, Alles, Eugen?«

[98] »Ich gebe Ihnen Alles, was ich habe, Iwanowna, nur Eines bewahren Sie mir, das ist, den unbefleckten Namen der Méricourt, den Namen meines Vaters. Es giebt noch ein anderes Mittel, – bei meiner Liebe zu Ihnen, Ihr Bruder wird unverletzt von dannen gehen!«

Die Fürstin stürzte auf ihn zu.

»Was sinnen Sie? – Das ist Mord an Ihnen selbst! Meinen Sie denn, daß der thörichte Knabe Ihren Edelmuth würdigen wird? Sein Leben wäre Ihr Tod – geht das Duell vor sich, so oder so – sind wir auf ewig getrennt.«

Der Capitain wandte sich ab.

»Es ist kein anderer Weg – Sie haben einen Namen zu vertheidigen, Iwanowna, auch der meiner Väter ist mir heilig und darf nicht entehrt werden, selbst um den himmlischen Preis nicht, den Sie mir gezeigt haben.«

Sie warf sich schluchzend am Divan nieder; er setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand in die seine.

»Warum trauern, Iwanowna,« sagte er freundlich, »nachdem Sie mich so unaussprechlich glücklich gemacht? Warum trauern, daß uns ein persönliches Mißgeschick trennt, wo uns das Geschick der Völker in jedem Augenblick unwiderruflich zu trennen drohte. – Denken Sie, wie unendlich leichter es mir sein wird, jetzt der Kugel Ihres erbitterten Bruders die Brust zu bieten für Sie, als wenn das eherne Geschick der Schlachten uns gegenüber gestellt und die kalte Berechnung der Politik Ihres Kaisers und seiner Nesselrode's und Kisseleff's den Freund dem Freunde, den Bruder dem Bruder den Stahl in's Herz stoßen hieße!«

Die Worte, die Namen, schienen die Fürstin berührt zu haben, – einen Augenblick schwieg sie wie nachdenkend, dann raffte sie sich rasch empor. Sie schien ihre volle, eine kurze Zeit von der doppelten Aufregung gestörte Energie wiederzugewinnen.

»Wann soll das unglückliche Duell vor sich gehen?«

»So viel ich weiß, gegen Abend, – um sechs Uhr.«

»Eugen, wollen Sie mir eine Bitte erfüllen?« sie hob die Hände gegen ihn.

»Jede, die sich mit meiner Ehre verträgt.«

»Sie ist auch die meine und wird unverletzt aus Allem hervorgehen.« Sie drängte ihn freundlich zum Seitentisch, auf dem das Schreib-Necessaire stand. »Schreiben Sie an Herrn de Sazé, [99] nur einige Zeilen, daß das Duell erst morgen früh um dieselbe Stunde stattfinden könne, – nehmen Sie irgend einen Vorwand – die Ordnung Ihrer Angelegenheiten –«

»Aber ich darf nicht – ich kann nicht – Sie sinnen eine List ...«

»Bei dem Grabe meiner Mutter, ich sinne Nichts gegen Ihre Ehre! Ist das Leben zweier Menschen nicht einen kurzen Aufschub von zwölf Stunden werth? – Galt Ihnen das Geständniß meiner Liebe so wenig?«

Er reichte ihr die Hand.

»Es ist unnöthig, daß ich schreibe, – der Marquis hat versprochen, in einer halben Stunde hier zu sein und ich gebe Ihnen mein Wort, daß Ihr Wille erfüllt werden soll, daß Arrangement wird sich leicht treffen oder ändern lassen, ohne aufzufallen. – Fürstin, ich ahne Ihren Grund – Sie wollen Ihren Bruder bewegen – möge Gott seinem Engel zu dem Werke des Friedens helfen. Ich werde glücklich sein, diese Lösung von Ihrer Hand annehmen zu können.«

Sie sah ihm trübe lächelnd in die heiterer gewordenen Augen.

»Meinen Dank, mein Freund, meinen innigen ewigen Dank! – und jetzt – mein Lebewohl!«

Sie wandte sich rasch nach der Thür, er eilte ihr nach, aber sie selbst kehrte sich an dieser noch einmal zu ihm. Ihre Hände faßten die seinen – ihre Augen hafteten auf den seinen, Minuten lang, innig und zärtlich, und doch wie unter dem Flor einer tiefen Traurigkeit. Er zog sie näher, – unwillkürlich – im stummen Glück – ruhten ihre Lippen einen Moment auf den seinen voll und heiß – dann rauschte die Portiere hinter ihr zusammen – sie war verschwunden!

Der Vicomte trat in's Seitenzimmer, die theure Gestalt noch ein Mal zu sehen; eben eilte sie mit Annuschka, von dem Araber begleitet, durch die Pforte – im nächsten Augenblick rollte der Wagen davon. –

Als der Fiaker in die Rue de Grenelle gebogen war, befahl Annuschka dem Kutscher:

»Nach der Faubourg St. Honoré 33, Hotel der russischen Gesandten.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Fürst Iwan, – durch ein Billet des Grafen Wassilkowitsch [100] von der veränderten Bestimmung des Rendezvous in Kenntniß gesetzt, – hatte eben seinen gewöhnlichen Besuch im Palais und Büreau der Gesandtschaft gemacht und wollte sich entfernen, als Herr von Kisseleff, der damalige Vertreter Rußlands in Paris, ihn in sein Kabinet rufen ließ. Etwas beunruhigt folgte er dem Boten, sah sich aber in seiner Besorgniß getäuscht, da der Gesandte ihn auf's Freundlichste empfing, mit keiner Sylbe ein Kenntniß des vorgefallenen Zwistes an den Tag legte und ihn einlud, mit ihm en deux zu speisen, da mehrere geheime Depeschen zu erledigen wären, wegen deren er für die nächsten Stunden seiner Hülfe in Anspruch nehmen müsse.

Im Ganzen war es dem jungen Mann nicht unlieb, einen Vorwand zu finden, der ihm erlaubte, nicht in sein Hotel zurückzukehren und so den Fragen der Schwester auszuweichen. Vor Abend hatte er ohnehin keine Bestimmung über seine Zeit getroffen, und die Stunden vor einem Duell allein zu verbringen, ist eben für Keinen angenehm. So fügte er sich also gern und die Arbeit zerstreute ihn. Aber Stunde auf Stunde verrann, der Gesandte, der von Zeit zu Zeit das Kabinet verließ und ihn bei der Arbeit einschloß, häufte immer neue Manuscripte vor ihm, und die Zeit nahete, zu der er versprochen hatte, an einer anderen Stelle zu sein.

Abgespannt und ärgerlich warf er endlich die Papiere zur Seite. Die Depeschen waren vollendet und er nahm seinen Hut, um sich zu entfernen. Die Uhr im Kabinet zeigte eben halb Zehn, als Herr von Kisseleff wieder eintrat und die letzten Unterschriften vollzog.

»Ich muß Sie noch einen Augenblick bemühen, Fürst,« sagte er artig; »die Secretaire haben bereits das Hotel verlassen und ich bitte Sie, die Papiere zu couvertiren.«

Der Fürst gehorchte. Der Gesandte legte noch eine eigenhändige Depesche dazu und das Briefpacket wurde fertig gemacht. Herr von Kisseleff schellte.

»Ist der Wagen bereit?« fragte er den eintretenden Jäger.

»Zu Befehl, Excellenz.«

Der Diener trat ab.

»Jetzt, Fürst, muß ich Sie darauf aufmerksam ma chen, daß diese Depeschen, wie Sie sich selbst überzeugt haben, von der höchsten Wichtigkeit sind. Den Telegraphen können wir in dieser [101] Angelegenheit nicht benutzen, die Gründe liegen auf der Hand. Sie werden daher auf Ihr Ehrenwort dieses Paket nicht von Ihrer Seite lassen, bis Sie es dem Herrn Staatskanzler selbst übergeben haben.«

»Wie? ich – –?«

»Allerdings, Sie selbst. Ich bin genöthigt, Sie damit als Courier nach Petersburg zu schicken, da ich augenblicklich Niemand weiter zur Disposition habe, dem ich so wichtige Interessen anvertrauen könnte. Sie werden mit dem Zug um eilf Uhr nach Brüssel abreisen.«

»Aber Excellenz – das ist unmöglich! Ich bin nicht im Geringsten vorbereitet.«

»Das ist unnöthig, – es ist Alles gethan; die Fürstin, Ihre Schwester, hat für Alles gesorgt und wird Sie begleiten.«

Er öffnete die Seitenthür, Iwanowna trat ein im Reisekleide.

Dem jungen Manne schwirrte und dunkelte es vor den Augen. Das Blut schoß in Strömen ihm zum Kopf, er fühlte, daß er überlistet worden.

»Ich werde Paris nicht verlassen, mein Herr! Ich habe morgen früh eine Ehrenverpflichtung und will nicht das Spielwerk einer Intrigue sein, die ich durchschaue.«

Iwanowna eilte auf den Bruder zu, sie hing sich an seinen Hals.

»Iwan, bedenke, was Du thust!«

Der Gesandte trat dicht an ihn heran.

»Fürst Oczakoff, ich befehle Ihnen im Namen des Kaisers, ohne Widerrede zu gehorchen. Sie werden auf der Stelle abreisen. Denken Sie an Sibirien!«

Der junge Mann knirschte. Er wand sich in den umschlingenden Armen der Schwester.

Herr von Kisseleff legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in freundlicherem Tone:

»Es ist unbedingt nöthig, daß Sie reisen, Fürst, um Ihrer selbst willen. Ich weiß Alles; Sie haben eine bittere Uebereilung begangen und wollen dieselbe durch ein Verbrechen wieder gut machen. Der Kaiser würde Ihnen nie verzeihen, wenn in diesem kritischen Augenblick, wo Alles auf dem Spiele steht, Ihre thörichte Heftigkeit einen Eclat mit dem französischen Kabinet herbeiführte. Ihre Ehre und Ihr Name müssen gewahrt werden, und deshalb zwinge ich Sie im Namen des Kaisers, abzureisen. Ihr Secundant [102] hat bereits Stubenarrest; ich selbst werde Ihre Entschuldigung und Rechtfertigung bei Ihrem ehrenwerthen Gegner übernehmen.«

Der Fürst beugte das Haupt. Er sah, daß ihm jeder Ausweg abgeschnitten war und er sich fügen müsse.

»Ich werde reisen, hätte aber von Euer Excellenz mehr Rücksicht erwartet.«

»Sie sind ein thörichter junger Mensch,« sagte der Gesandte achselzuckend. »Danken Sie der Aufopferung Ihrer schönen Schwester, daß Sie mit so vieler Rücksicht behandelt und aus jeder Ihrer unwürdigen Stellung hier mit Ehren gezogen werden.« Er hob warnend den Finger »Uebrigens könnten Sie leider bald Gelegenheit erhalten, Ihre Rauflust vielleicht selbst an Ihrem heutigen Gegner, den ich achte und schätze, auf einem würdigeren Felde zu kühlen.«

»Haben Euer Excellenz noch Etwas zu befehlen oder bin ich entlassen?«

»Nichts weiter. Ich habe Ihr Ehrenwort, daß Fürst Oczakoff diese Depeschen richtig und ohne Zeitverlust in Petersburg abliefern wird?«

»Mein Ehrenwort!«

»Fürstin! Sie sind mir Zeuge und Bürge für Ihren Herrn Bruder. Ich wollte Sie erst selbst zum Bahnhof begleiten, verlasse mich aber ganz auf Sie.«

»Die Ehre meines Bruders ist die meine. Leben Sie wohl, mein Herr, und genehmigen Sie nochmals meinen innigen Dank.«

»Auf glückliche Reise also, Fürst, und ohne Groll. Ich muß Sie verlassen, denn ich habe Berichte zu empfangen. Es ist etwas Wichtiges vorgegangen; man hat heute Abend ein Attentat auf den Kaiser Napoleon entdeckt und es sollen viele Verhaftungen in der komischen Oper vorgekommen sein. – Leben Sie wohl!«

Er reichte Beiden die Hand, die Fürst Iwan schweigend und zögernd annahm, und geleitete sie bis zum Vorsaal. Diener des Fürsten standen hier bereit, im Hofe des Palais harrte eine Chaise.

»Wir finden unseren Reisewagen bereits auf dem Bahnhofe, Iwan,« sagte die Fürstin freundlich; »Wassili und Annuschka werden uns allein begleiten, die Anderen folgen.«

Der Fürst verharrte noch immer in mürrischem Schweigen, [103] während der Wagen durch die Straßen rollte. Plötzlich als er auf den Place de la Madeleine bog, faßte er die Hand seiner Schwester.

»Iwanowna,« sagte er zärtlich, »ich habe mich in den Willen des Gesandten und in Deinen Wunsch gefügt, und ich schwöre Dir, willig abzureisen, ohne einen Versuch in Betreff des Ehrenhandels zu machen, den Dein Scharfsinn und Deine Liebe entdeckt und verhindert hat. Aber ich habe eine Bitte an Dich, von deren Erfüllung mein Leben abhängt.«

»So habe Vertrauen zu mir; Du weißt, wie das meine nur in dem Deinen besteht.«

Der Fürst zeigte seine Uhr.

»Es ist zehn Uhr,« sagte er; »um Eilf geht der Zug. Wir haben noch eine volle Stunde Frist. Gieb sie mir – ich kann nicht scheiden von Paris, ohne eine an dere Verpflichtung gelöst, ohne Jemand, wenn auch nur einen einzigen Augenblick, gesprochen zu haben, der mich zu dieser Stunde bereits erwartet.«

»Iwan, Du hintergehst mich!«

»Bei dem Grabe unserer Mutter – nein! Aber ich schwöre Dir eben so, daß keine Macht der Welt mich lebendig aus Paris bringt, wenn Du mir diese Bitte verweigerst. Schwester – ich will – ich muß sie noch ein Mal sehen!«

Die Fürstin schaute ihn an – ihr Herz gedachte der eigenen Liebe, die sie vielleicht auf Nimmerwiedersehen verlassen.

»Wann wirst Du am Bahnhof sein?«

»Eine Viertelstunde vor der Abfahrt. Bei der Unbeflecktheit unseres Namens! ich vertraue Dir diese Papiere an, Du kennst ihre Wichtigkeit und was sie mich kosten. Und jetzt – jede Minute ist verloren. – Dank, Iwanowna, tausendfachen Dank. Du rettest mich vor Verzweiflung.«

Er rief den Kutscher, der Wagen hielt, Iwan öffnete den Schlag.

Die Fürstin hielt ihn zurück.

»Noch einen Augenblick! Iwan, Du gehst nur zu einer Dame?«

»Bei meiner Seligkeit! Meine Ehre ist Dir und dem Gesandten verpfändet.«

Er verschwand im Gedränge an der Kreuzung der Straßen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[104] Auf dem Nordbahnhof wogte das Leben und Treiben der Reisenden, der Commissionaire, Beamten und Packträger.

Die große Uhr am Hauptgebäude hatte drei Viertel auf Eilf geschlagen. Die Fürstin saß im Coupé mit Annuschka, Wassili stand am Schlage, alle Drei schauten aufmerksam nach den Eingängen, mit jedem anrollenden Wagen den Fürsten erwartend.

Die Glocke läutete zum ersten Male. Es war zehn Minuten vor Eilf.

Das schöne Gesicht der Fürstin begann sich zu verfinstern, in der kleinen Falte zwischen den Brauen, im Strahl des Auges lag der Unwille, gepaart mit der ängstlichen Besorgniß.

Wassili und Annuschka bemühten sich, diese durch allerlei Vermuthungen zu zerstreuen.

Wagen auf Wagen rollte heran – keiner brachte den Fürsten. Die Minuten schienen mit Windeseile zu entfliehen.

Es litt die Fürstin nicht länger im Waggon, – sie trat auf den Perron; die Uhr in ihrer Hand zitterte vor der innern Aufregung.

Drei Minuten vor Eilf!

Eine eisige Entschlossenheit, jener Zug unendlicher Willenskraft, der um den herrlichen Mund lag, verbreitete sich über das ganze Gesicht. Sie winkte Wassili heran und legte die Hand auf seine Schulter.

»Höre wohl an, was ich Dir sage. Es handelt sich um Tod und Leben, – um die Ehre der Oczakoff! – Ich kann nicht glauben, daß Fürst Iwan sein Wort gebrochen – ich kenne ihn, sein Wort ist ihm heiliger, als das Leben. Kommt er nicht, so muß ein unvorhergesehener Zufall, ein Unglück geschehen sein. Der Zug geht ab, ich mit ihm. Das Wort und die Ehre der Oczakoff müssen rein bleiben im Vaterlande!«

Ihr Busen hob sich keuchend, sie rang mit der Erregung – Wassili, der leibeigene Milchbruder, horchte schweigend den Worten.

»Hier ist meine Börse, Wassili – für's Erste genug. Du bleibst hier und weichst nicht aus Paris, bis Du Iwan ermittelt und gefunden. Ich kenne Dich, Wassili, und weiß, daß sein Leben das Deine ist. Sage ihm, er solle rasch und heimlich folgen, ich hätte unterdeß seine Ehre gewahrt. Kein Wort im [105] Hotel, Wassili, von dem Verschwinden des Fürsten – bei Deinem Leben! bei dem Leben Deiner Schwester: Iwan ist abgereist mit mir!«

Die Glocke erklang zum dritten Male – kein Iwan zu sehen! – sie sprang in den Waggon, – mit gekreuzten Armen stand der Diener vor der Thür, die der Conducteur eben schloß.

»Lebe wohl! Treu und verschwiegen!«

– Dahin brauste der Zug! – –

Die Blutbrüder
[106] Die Blutbrüder.

Unterhalb Ragusa, wo Richard Löwenherz auf der Rückkehr aus Palästina landete, um österreichische Treue zu erfahren, – wo Dalmatien im prachtvollen Golf von Cattaro endet, hat der Kaiserstaat im Wiener Congreß eine schmale Küstenstrecke bis zur Bucht von Antivari sich vorzubehalten verstanden, die ein tapfres, in der neueren Geschichte vielgenanntes Heldenvolk – die Montenegriner oder Czernagorzen – von der natürlichen Gränze seiner Berge, dem adriatischen Meere, trennt. Die Politik der europäischen Staaten hat damit ein Volk, das seit vier Jahrhunderten den Kampf gegen den Halbmond führt, isolirt und von seiner zeitgemäßen Entwickelung abgeschnitten: – sein Heldenthum, seinen in dieser Zeit der Verflachung und des Eigennutzes spartanisch erhabenen Charakter vermochte sie ihm nicht zu nehmen, und Oesterreich selbst unterlag noch vor wenigen Jahren im Kampfe gegen das kleine Bergvolk.

Czernagora, – das Land der schwarzen Berge, – Montenegro in der Sprache der Italiener und der Diplomatie, bildet mit der Berda das kleine, kaum 80–90 Quadratmeilen große, Berg- und Felsengebiet, das zwischen der Herzogewina im Norden, Bosnien im Osten, Albanien und dem Paschalik von Scutari im Süden, hundert Angriffen der Türken siegreich widerstanden hat und schon seit dem Jahre 1703 als gänzlich von der Pforte losgerissener unabhängiger Freistaat zu betrachten ist. So nahe den sogenannten civilisirten Staaten Europa's, ist dies Volk doch in Sitten, Denken und Fühlen ein ganz anderes, verschiedenes. Nur das corsische ähnelte ihm, ehe die französischen Präfecturen es um seine Eigenthümlichkeit und Selbstständigkeit betrogen haben.

[107] Die Bevölkerung von Czernagora, Uskoken – die Geächteten, – wie sie sich mit Stolz nannten und noch nennen, stammt von den flüchtigen Serben, die dem Blutbade von Kossowo und auf dem Amselfelde entronnen, mit dem Sultan Amurath I. am 5. Juni 1389 das große serbische Reich vernichtete. Seitdem sind die schwarzen Berge der Zufluchtsort aller kühnen Flüchtlinge aus Bosnien, Serbien, Albanien, und nicht blos der gemißhandelte Rajah, dessen rächende Hand den tyrannischen Unterdrücker erschlug, auch der abenteuernde Moslem selbst, der für seinen Kopf oder seine Freiheit fürchtet, flüchtet hierher und findet Schutz und Aufnahme. So ergänzt sich diese kühne Bevölkerung, fortwährend decimirt durch ihre inneren und äußeren Kämpfe, durch ihre Blutrache und ihre Privatfehden, immer wieder durch neuen Zuwachs aus den kühnsten und kräftigsten Elementen des Slaventhums. Der Nationalzug, das historische Erbe des Volkes, ist der nie ruhende, fortglühende Haß gegen den Halbmond; seine Historie, welche seine Piesmen 1 besingen, besteht in den Schlachten und Kämpfen mit diesem. Iwo der Schwarze, von dem das Land den Namen führt, schlug schon 1450 den furchtbaren Mohamed II. bei Keinowska und erbaute den Hauptort des Landes, Cetinje. Von jener Zeit ab dienten die Czernagorzen dem Norden Italiens als Damm gegen die Eroberungen des damals so furchtbaren und gefürchteten Halbmondes. Mit ihrer sicilianischen Vesper, der schrecklichen Blutnacht zu Weihnacht des Jahres 1703 unter dem Vladiken Danilo Petrowitsch Nieguschi, in der alle Moslems im Lande erschlagen wurden, befreiten sie sich von dem Zeichen der Abhängigkeit, dem Haradsch oder Kopfgeld. Seitdem wüthete der gegenseitige Kampf fast ununterbrochen fort. Der Aufruf Czar Peters des Großen an die orientalischen Christen zur Theilnahme am Kriege gegen den Sultan machte das Volk zuerst in Europa bekannt. Die Czernagorzen allein hatten damals den Muth, sich zu erheben, und das Heer des Seraskiers Achmed Pascha, an 50,000 Mann stark, wurde von den tapferen Bergbewohnern bei Czarew-Laz geschlagen. Von jener Zeit her schreibt [108] sich der russische Einfluß und die Sympathie für das Czarenreich in Montenegro. Seitdem auch suchte und erhielt derVladika, das geistliche und politische Oberhaupt des Landes, seine Bischofsweihe in Petersburg.

Zwei Jahre nach der eben erwähnten Niederlage überzog Kiuprili Pascha mit 120,000 Mann das Land und verwüstete es mit Feuer und Schwert, indem er verrätherisch den selbstgebotenen Frieden brach und die übergebenen Geißeln mordete. 1727 rächten die Krieger der Berge diesen Verrath durch den Sieg über Tschengitschbeck. Am 25. November 1756 schlug der Vladika Wassili Petrowitsch den Wessier von Bosnien in den Pässen von Brod. – Die französische Republik wurde nach den Siegen in Egypten über die Türken von allen Griechen-Sclaven als Befreier begrüßt; als aber Napoleon I. mit dem Sultan ein Bündniß schloß, sahen sich auch die Czernagorzen in ihren Hoffnungen getäuscht und wandten sich auf's Neue zu Rußland. Dem petersburger Vertrage zum Trotz übergaben die Einwohner von Cattaro ihre Stadt dem russischen Admiral Seniawin; mit russischen Hülfstruppen belagerten die Czernagorzen General Lauriston in Ragusa, erlitten aber hier eine Niederlage. 1813 eroberten sie Budva und am andern Tage, den 12. September, Troitza durch Sturm von den Franzosen, und obschon im Frühjahr 1814 Kaiser Alexander, in treuloser Diplomatie vergessend und opfernd die Dienste und Ansprüche seiner tapfern Bundesgenossen, ihren Hafen Cattaro an Oesterreich abtrat, wollten sie doch von dem alten Schutzherrn nicht weichen, bis die letzte Patrone verschossen war.

Im Jahre 1820, als der durch seine Grausamkeit berüchtigte Wessier Dschelaluddin auf's Neue einen Versuch machte, das Bergland zu unterjochen, errang Vladika Peter I. einen vollständigen Sieg. Dieser und sein ihm folgender Neffe, Peter II., der 1830 in Petersburg zum Bischof geweiht wurde und des Großwessiers Mehmed Reschid regelmäßige Truppen – 7000 Mann – mit 800 Bergkriegern schlug, sind die Regeneratoren Czernagora's und haben Bedeutendes für sein Emporblühen und seine Kräftigung gethan. 1840 und 41 erfochten die Montenegriner wiederum zahlreiche Siege gegen den berüchtigten Wessier der Herzogewina, Ali, dann beschränkte sich der Kampf auf die gewöhnlichen nie rastenden Gränzfehden, bis zur Zeit unserer Geschichte der Serdar von Bosnien, Omer Pascha, von Norden [109] und Osten, Osmann, der Pascha von Skadar (Scutari), von Süden aus gegen sie zu Felde zog.

Das Land ist in vier Nahien oder Bezirke eingetheilt: Czernitza, Lieschanska, Rietschka und Katunska-Nahia; der letztere ist der nördlichst gelegene. Jeder dieser Bezirke oder Grafschaften umfaßt eine Anzahl Plemen oder Stämme, deren das ganze Volk vierundzwanzig zählt. Hierzu kommt noch das Gebiet der Verdas, der sieben Berge, welche Montenegro umgeben, und deren Bewohner mit dem Freistaat verbündet sind. Jeder der Stämme besteht aus Familien oder Brüderschaften, Brastwo, die eine Gemeinde bilden, deren Glieder sich alle unter einander als Verwandte betrachten. Der Vladika, das geistliche Oberhaupt, seit hundert Jahren aus dem Stamme Njegosch, regiert mit einem Senat von Cetinje aus das Land, und zwar selbstständig, nachdem Peter II. die neben dem Vladikat bestandene Einrichtung eines Gobernatore oder Regenten in Civildingen abgeschafft und die Familie Radonitsch, in der das Amt erblich war, vertrieben hat.

Nach dem Tode Peters II. trat sein zum Nachfolger von ihm erwählter Neffe Danilo Petrowitsch Njegosch Ende Februar 1852 die gewöhnliche Reise nach Petersburg an, angeblich um die Weihe als Bischof sich ertheilen zu lassen. Doch schon von Wien aus that er dem Senat kund, daß er der geistlichen Würde zu entsagen und die Meinung des Volks darüber zu hören wünsche, um dann die Ermächtigung des Czaren zu suchen. Die zum 21. Mai nach Cetinje einberufene Volksversammlung sprach sich einstimmig für die vorgeschlagene Trennung der weltlichen von der kirchlichen Macht und für die Vererbung der Fürstenwürde im Mannesstamme des Hauses Njegosch aus, und Fürst Danilo ließ nach seiner Rückkehr in Cetinje dem versammelten Volke ein Schreiben des Czaren Nikolaus vorlesen, in welchem dieser, als Oberhaupt der griechischen Kirche, Danilo Petrowitsch zur Annahme der weltlichen Fürstenwürde und zur selbstständigen Ernennung des Bischofs ermächtigte, der in Zukunft der Kirche in Montenegro vorstehen sollte. Dies offene Eingreifen des Czaren, das Montenegro fast als eine russische Provinz erscheinen ließ, reizte die Pforte zum Einschreiten, die immer noch nicht die thatsächliche Unabhängigkeit des kleinen Freistaats anerkannt hatte und die Montenegriner nie anders als Rebellen betrachtete, die [110] nur die Unzugänglichkeit ihres Gebiets und die geringe Macht der Pascha's vor Unterjochung schützte. Die Pforte zog unter Omer Pascha in Bosnien Truppen zusammen, um die Montenegriner zum Gehorsam zu bringen. Fürst Danilo kam ihr zuvor; er züchtigte mit 1000 Kriegern den abgefallenen Stamm Piperi; 30 Czernagorzen aus dem Stamme Ceklin überfielen am 11. November die kleine türkische FestungZabljak und nahmen sie. So entspann sich der Krieg.

Fürst Danilo räumte zwar, auf Anrathen Oesterreichs, am 25. December wieder die gewonnene Veste und zog sich in die Gränzen seines Landes zurück, aber die Pforte, die vor Kurzem die ewig revoltirenden Begs Bosniens und der Herzegowina durch Ströme von Blut unter der eisernen Zuchtruthe Omer's zum Gehorsam gebracht hatte, wollte die Gelegenheit nicht versäumen, das unabhängige Montenegro zu unterjochen, und seine Truppen schlossen es von allen Seiten ein. Eine Proclamation des Serdars drohte die völlige Ausrottung aller Bewohner und seine Taktiki's (regelmäßige Truppen) und Arnauten schienen die Drohung alsbald wahr machen zu wollen und begingen die scheußlichsten Grausamkeiten gegen Frauen, Kinder und Hilflose. Im kleineren Kriege blieben freilich die leicht beweglichen, mit allen Schluchten und Schlupfwinkeln ihres Gebirges vertrauten Montenegriner überall Sieger und brachten den Türken nicht unerhebliche Verluste bei. Am 10. Januar griffen die Türken die Distrikte Piwa und Zupa an; in der Nacht zum 16. brachen die Montenegriner in das türkische Lager ein und Fürst Danilo drängte am 18. den Feind aus dem Zetathal wieder zurück. Dagegen erstürmten am 19. die Türken das befestigte Haus des Wojewoden Jakob Wujatich von Grahowo und nahmen ihn mit vierzig Gefährten gefangen, und Omer Pascha eroberte das tapfer vertheidigte Dorf Martinis unweit Spus am 24. und bedrohte Cetinje. Doch schon am 27. wandte sich wieder das Kriegsglück. Die Bergvölker schlugen die Moslems bei Limajani, widerstanden dem Sturme Selim Pascha's auf die Dörfer Boljevice, Limajani und Sotonica am 5. Februar und auf das Dorf Gedinje in der Czernitza Nahia am 16. Das Lager Omer's selbst war in der Nacht zum 9. bei der Brücke von Uzicki Most in der Nahia Bielopavelska vom Fürsten mit 3000 Kriegern überfallen und das türkische Heer mit großem Verlust in wilder Flucht bis Spuz [111] zurückgejagt worden, und die Türken mußten sich nach Lesine zurückziehen und am 25. Februar gänzlich Montenegro räumen, da Oesterreich an der serbischen Gränze Truppen zusammenzog und durch seinen außerordentlichen Gesandten, Feldmarschall-Lieutenant Grafen Leiningen in Constantinopel, von Rußland unterstützt, die Einstellung des Krieges, strenge Untersuchung der Beschwerden der bosnischen Christen und die Entfernung der ungarischen Flüchtlinge aus Omer Pascha's Heer forderte. Die Pforte mußte nachgeben und Graf Leiningen verließ am 14. mit der verlangten Note Constantinopel.

Zugleich begann die Differenz mit Rußland in der Frage der heiligen Stätten; der Czar stellte seine Forderungen, Fürst Mentschikoff traf damit am 28. Februar am Bosporus ein und bald war die Pforte in der Nothwendigkeit, ihre Streitkräfte an andere Punkte verlegen zu müssen. Am 24. Mai ertheilte Omer Pascha in Scutari dem türkischen Heere den Befehl zum Aufbruch nach der Donau und nur drei Bataillone verblieben im Paschalik und wurden nach Scutari, Podgoriza und Antivari vertheilt. Fürst Danilo hatte sich, um durch ein näheres Schutzbündniß seine Macht zu stärken und verschiedene Veranlassungen zu Gränzstreitigkeiten zu beseitigen, am 25. April nach Wien begeben und war nach einem überaus freundlichen Empfang am 7. Mai nach Cetinje zurückgekehrt. Bald darauf auch verbreitete sich die Nachricht, daß ein russischer Emissair, der OberstBerger, in Montenegro eingetroffen sei, und während die Angelegenheiten in Constantinopel sich immer drohender verwickelten und bald zum offenen Bruch führten, wuchs in allen griechisch-slavischen Provinzen die Gährung unter der christlichen Bevölkerung immer höher und mächtiger, und auch an den Gränzen Czernagora's brach trotz der bestimmten Befehle des Fürsten Danilo der kleine Plänklerkieg mit seinen gegenseitigen Raub- und Abenteuerzügen auf's Neue aus.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wo der prächtige felsenumgürtete See von Skadar (Scutari) sich hinabzieht gegen das gleichnamige Bollwerk des türkischen Albaniens, noch jenseits der von den Montenegrinern in Besitz genommenen Inseln Sanct Nicolaus, Stavena und Morakowitsch, liegt ein Felseneiland, wild und rauh, wie die Gebirge der Czernitza selbst, gleichsam als Vorposten gegen die türkische Veste, häufig von einzelnen Streiftrupps der unruhigen Bergbewohner besucht, theils [112] um hier auf den Oko's 2 die schmackhafte Ukljeva zu fangen, theils um von hier aus ihre ewigen Gegner, die Türken, zu beobachten.

Ein köstlicher milder Juli-Abend lag auf den blitzenden Wellen des schönen See's, die der scharfe Wind aus den Schluchten des Sutorman von Süden her in leichte Bewegung setzte. Unter einer schroff am See emporsteigenden Klippe, geschützt durch einen mächtigen Felsblock vor dem Luftzug und den Späherblicken, lagerte eine bunte Gruppe, aus fünf Personen bestehend, um ein kleines Feuer, an dem ein Holzspieß mit den schmackhaften Weißfischen des See's briet, während die zu der Gruppe gehörende Frau das Castradina, das Lieblingsgericht der Czernagorzen aus geräuchertem Fleisch auf serbische Art bereitete. Hoch oben auf dem Felsen, nach der gewöhnlichen Sitte seines Volkes auf Wachtposten, lag eine sechste Gestalt in den zottigen braunen Mantel des Hochlands gehüllt, Auge und Flinte gegen die Seite von Skadar gekehrt und auf der weiten Fläche des See's jedes kreuzende Boot, ja selbst die dahin streifende die Wellen berührende Möwe bespähend.

Das Haupt der Gruppe am Felsen war ein Greis von wahrhaft furchtbarem Aussehen. Das weißwollene Hemd, Hals und Brust offen lassend und in der Mitte von einem Gürtel zusammengehalten, in dem eine lange Pistole hing und der säbelgleiche Handjar mit schwer von Silber beschlagenem wohl einen Fuß langen Griff steckte, umschloß einen Körper von wahrhaft riesigen Formen. Um die Schultern von kolossaler Breite hing die Struka, der braune zottige bis über die Hüften reichende Mantel der Czernagora. Das Bein war zur Hälfte von einem kurzen türkischen Beinkleide bedeckt, während an den Füßen die Opanka befestigt war, jene leichte elastische Sandale, die sich vorzüglich eignet, um Berge hinan zu klimmen und von Fels zu Fels wie der Gemsenjäger zu springen. Das Charakteristische an der Figur des Alten zeigte der mächtige Kopf, der auf diesem Riesenleibe saß. Der Scheitel war halb kahl bis auf die Mitte des Schädels, nicht durch den Mangel an Haaren, sondern nach der Sitte des Volks rasirt, [113] denn rechts und links und von der hinteren Hälfte fiel mähnenartig ein starks graues Haar in langen Strängen und Flechten auf den Stiernacken herunter und vereinigte sich um Mund und Kinn mit einem gleichen rauhen Bart, den der Alte von Zeit zu Zeit wohlgefällig strich. Stirn und Gesicht bildeten dazu ein förmliches Gewebe von Runzeln, Falten und Narben, aus dem über der langen schnabelartig gebogenen Nase ein dunkles rastloses Auge mit einem Glanz und einem unstäten Ausdruck funkelte, der häufig etwas Wahnwitziges an sich trug. Das andere Auge war erblindet, von einem Schlag ausgelaufen, und die leere Höhlung erhöhte das Unheimliche des Gesichts, das durch einen breiten Mund mit glänzenden wolfsartigen Zähnen gleichfalls nicht gewann. Dies Haupt war von der beim Volke eingebürgerten Kopfbedeckung beschattet, dem tücherumwundenen Fez, der dadurch die Form eines Turbans gewinnt. Die furchtbarste Beigabe des Gesichts aber war ein im Rauch gleich den Köpfen der Neuseeländer getrocknetes Menschenhaupt, das in seiner ganzen Scheußlichkeit an einer starken durch den Schädel gezogenen Schnur gleich einem Amulet oder einer Zierrath um den Hals und auf der Brust des Alten hing. Hinter dem Greise am Felsen lehnte seine lange am Schaft reich mit Silber beschlagene Flinte von alterthümlicher Form.

Der übrige Theil der Gesellschaft bestand aus einem neben ihm sitzenden jungen Mann von 20 bis 21 Jahren, von edler klassischer Gesichtsbildung in einfacher griechischer Tracht; einem türkischen Arnauten im malerischen, nur bei dem Individuum stark mitgenommenen, ja zerlumpten rothen Costüm des Volksstammes der Gueguen; und in einem jungen Burschen von etwa 14 bis 15 Jahren, der gleichfalls die Kleidung der Czernagorzen trug und dessen Züge eine unverkennbare Aehnlichkeit mit denen des Alten hatten. Dasselbe, nur gemildert zu den Formen wirklichen Reizes, war bei der jungen Frau der Fall, die sich mit der Zubereitung des Mahles beschäftigte. Ueber den lang herabfallenden mit Bändern durchflochtenen Zöpfen lag zierlich das weiße italienische Kopftuch mit dem herunterhängenden Schleier, dem Zeichen der Zeichen der verheiratheten Frau. Ein eng und faltenreich um den Hals schließendes Hemd mit weiten bunt gestickten Aermeln, die Schürze von rother Wolle, darüber das Ueberkleid ohne Aermel von weißem Tuch mit blauen Schnüren geziert, vorn offen, Brust und Schürze mit dem am Gürtel hängenden Einschlagmesser frei lassend, Socken und [114] Sandalen an den Füßen, bildeten ihren charakteristischen nicht unzierlichen Anzug.

»So sagst Du also, Beg,« setzte der Arnaut das Gespräch fort, »daß der Christensultan in Moskwa das schwarze Hochland frei machen wird von den Gläubigen?«

»Du redest, wie es ein Moslem versteht, KhanHassan Lekitsch,« entgegnete der Greis. »Die Kinder der Czernitza sind nie die Sclaven des weißen Czaren 3 in Stambul gewesen, seit Iwo's meines Ahnherrn, Zeiten, der unter Obod's 4 Trümmern am Busen der schwarzäugigen Wila's 5 schläft, die über ihn wachen und ihn dereinst auferwecken werden, sobald es Gottes Wille ist, seinen geliebten CzernagorzenCattaro und das blaue Meer wiederzugeben. Dann wird der unsterbliche Held wiederum an die Spitze seines Volkes treten und die Schwabi 6 vertreiben, gleich wie er die Bekenner des Halbmondes von unseren Bergen vertrieben hat.«

»Aber Beg, Du weißt, daß ich selbst zu den Gläubigen gehöre.«

»Was kümmert das Iwo, den Einäugigen?« sagte der Greis in heiliger Einfalt. »Bist Du nicht unser Gastfreund und hast von unserm Brote gegessen? Was kümmert mich Dein Glaube, Khan, wenn Du Treue hältst dem Volke der Czernagora.«

»Du sprichst es, Beg, und es muß wahr sein. Aber sage mir, wie ist es mit dem Volk der Moskowiten?«

»Höre mich, Khan Hassan, und merke auf meine Worte, denn solche hat mit der Pope Petrowitsch gesagt. In Stambul, das Deinem weißen Czaren gehört, steht eine mächtige Kirche, von den Heiligen des Himmels gebaut und darin viele heilige Dinge, die gehörte den Christen, unsern Brüdern. Aber der weiße Czar hat sie ihnen geraubt und läßt jene den Haradsch zahlen und viele schwere Steuern. Er schlägt die Männer und hält sie mit dem Antlitz in's Feuer, bis sie ihm sagen, wo sie ihr Geld verborgen halten, und den Weibern und Mädchen schneidet er das Gewand [115] über dem Knie ab und giebt sie seinen Kriegern zur Beute, also daß er jeden Stamm der Rajahbrüder vertilgen will von dem Erdboden. Darob ergrimmte der schwarze Czar, unser Vater in Moskau, und er hat seine Krieger marschiren lassen in das Land unserer Väter an dem großen Strom, an dem der Heiduck wohnt und der Serbe und der Bulgare, daß der Serdar, unser Feind, eilig unsere Berge hat meiden müssen und gegen den neuen Feind ziehen. Der schwarze Czar aber, welcher uns so befreit hat, er verkündet uns, daß er unsere Rechte mit denen unserer Griechenbrüder zugleich vertheidigen und den Sultan aus Stambul wieder verjagen wird weit über's Meer in's Land, woher seine Väter gekommen sind.«

»Aber der Vladika hat Frieden gemacht mit dem Sultan,« entgegnete hartnäckig der Türke, »und ich habe gehört, daß er ein Verbot an alle Plemen erließ, die Wassen zu erheben.«

»Du redest Thorheit, Khan! Kann denn die Welle der Moratscha rückwärts fließen? Kann der schwarze Kalogeri 7 seinen Kindern verbieten, nicht für den Czaren in Moskau zu kämpfen, nachdem er selbst die Weihe von seiner Hand empfangen hat? Wisse, Khan, ich habe selbst in Cetinje auf dem Markt den Wojwoden gesehen, den der schwarze Czar an seine Junaks 8 in Czernagora geschickt hat, um sie zum Kampfe zu laden. Sie nennen ihn den Oberst Berger, und dieses Kreuz hab' ich von seiner eigenen Hand erhalten.«

Er zeigte ihm eine der russischen Denkmünzen, wie deren viele an die tapferen Krieger des Hochlandes vertheilt werden und die er am Halse neben dem Schädel trug.

»Meinst Du,« fuhr der Greis fort und sein eines Auge leuchtete wild, »daß Beg Iwo Martino witsch in seiner Jugend umsonst Troitza gestürmt und den Helden Campaniole mit seiner Kugel erlegt habe, oder daß er gegen den grausamen Dschelaluddin vor dreiunddreißig Wintern gefochten und die Taktiki's des Mehemed bei den Kula's von Martinitsch getödtet habe, um in seinen alten Tagen von Gott, dem großen Würger 9, auf seinem Lager [116] gefunden zu werden? Sieh dieses Haupt auf meiner Brust, es gehörte einst dem Pascha des verfluchten Podgoritza, Namik-Halil, und seit einundzwanzig Jahren trag' ich den Todfeind an meinem Halse, der mein erstes Weib und meine Kinder in's Feuer des Kula's meines Stammes warf. Meinst Du, daß ein Uskoke, der also haßt, je den Säbel ruhen lassen wird gegen den Türken? Hab' ich nicht mitgefochten wieder bei Martinitsch, als uns in diesem Jahre der Würger von Bosnien, Omer Pascha, mit Krieg überzog? War ich nicht dabei, als wir in der Mordnacht von Plamenzi den Moslem aus seinem Lager schlugen, und hat mein Schwiegersohn, Gabriel der Zagartschane 10, nicht gefochten und gelitten mit dem tapferen Wojwoden von Grahowo, dessen Seele die Heiligen gnädig sein mögen, und schmachtet jetzt dort hinter den Wällen des blutigen Skadar?«

Er schaute grimmig umher, wie als suche er nach Einem, der den Widerspruch wage. Die Frau, von seinen letzten Worten erregt, brach in eine leidenschaftliche Klage aus.

»Warum sahen meine Augen den Tag, da Gabriel, mein tapferer Gatte, in die Hände des Selim Pascha fiel, nachdem Gott ihn aus der Hand des grausamen Derwish hat entkommen lassen? Wohl sehe ich neben mir den Blutbruder meines theuren Herrn, der an seiner Seite gestritten und mit ihm gefangen gelegen, aber Nicolas Grivas der Mainote sitzt ruhig hier im sichern Schatten der Felsen, indeß Gabriel Zagartschani im Thurme von Skadar modert, aus dem uns Hassan der Moslem allein die erste Kunde gebracht hat.«

Der junge Mann in griechischer Tracht, der bisher stumm und melancholisch brütend neben dem alten Beg gelegen hatte, fuhr empor bei dem bittern Spott und eine dunkle Röthe übergoß sein schönes offenes Gesicht.

»Was redest Du, Weib?« sagte er heftig. »Habe ich nicht mein Blut vergossen, wie Dein Gatte, mein Freund, am Tage [117] des Kampfes? Hab' ich nicht Hunger und Kälte getragen mit ihm, und als wir in's Türkenlager brachen, gefochten an seiner Seite?«

»Das hast Du, Nicolas Grivas, – aber ich sehe Dich nicht liegen auf dem Schlachtfelde, wundenbedeckt, zur Vertheidigung Deines Bruders! ich sehe Dich nicht, gefesselt gleich ihm, in dem moderathmenden Kerker von Skadar! Ich frage Dich nur, wo ist der Bruder, mit dem Du den Blutbund beschworen, und siehe, Du kannst mir nicht antworten: Frau, da ist er, oder ich bringe Dir mindestens das Haupt dessen, der ihn erschlagen hat!«

Grivas rückte unruhig hin und her.

»Du thust mir Unrecht, Stephana, und weißt sehr wohl, daß ich mein Blut willig opfern würde für den Freund. Mein Bruder Andreas Caraiskakis hat wahrlich keinen Feigling in Euer Land geschickt, daß er Euch beistehen sollte mit seinen geringen Kenntnissen und seiner jungen Hand im Kampfe gegen den Sultan. Kann ich dafür, daß das Gewühl des Ueberfalls mich in dem Dunkel der Nacht vom Freunde trennte und ich fern war, als er im Eifer der Verfolgung verwundet wurde und von den treulosen Albanesen nach Scutari gebracht ward? Bin ich nicht mit Lebensgefahr sofort in die Höhle des Löwen gegangen, als Hassan Khan uns die erste Nachricht von dem Leben unseres Freundes gebracht hatte, um zu suchen, wie ich ihn retten könne, und bin ich nicht bereit, in einer Stunde auf's Neue das Werk zu wagen?«

Die Frau legte freundlich ihre Hand auf seine Schulter.

»Zürne nicht, Nicolas Grivas, über den Schmerz eines Weibes. Ich weiß, Du bist ein Junak, ein Tapferer, die Helden meines Volkes rühmen den Knaben der Juganen 11, der zu uns kam, mit uns für den Krieg zu streiten. Aber Du hast nicht das Auge der Adler von Czernagora, das auch im Dunkeln den Bultbruder bewacht. Auch ist es trübe und matt, seit Du von Skadar wiedergekehrt bist zu uns, als läge ein mächtiges Leiden auf Deinem Herzen. Dennoch vertraust Du uns nicht und mischest Deinen Kummer nicht mit dem meinen.«

Der Grieche stützte finster das Haupt in die Hand und schwieg. Des Weibes Blicke ruhten aufmerksam auf ihm, aber sie wagte nicht, weiter zu fragen, bis Hassan der Arnaut, der mit unendlicher [118] Seelenruhe alle Schmähungen auf seine Glaubensgenossen mit angehört hatte, den Rauch seiner Pfeife von sich blies und die Vermuthung aussprach:

»Ich meine, der Giaur hat in die blauen Augen der Houri's von Scutari geschaut und sein Herz ist getroffen worden gleich dem Reh der Wälder. Bei Allah, die Weiber in meiner Heimath sind schön, und viele von ihnen haben den bösen Blick, der niemals den wieder verläßt, den er ein Mal getroffen hat. Nimmer hätte ich das Land gemieden, wenn mich nicht der Zorn übermannt hätte, daß ich den Aga Mehemet zu Tode schlug.«

In Grivas Wangen stieg verräterisch das Blut während der gemächlichen Rede des Arnauten, indem er Aller Blicke auf sich gerichtet fühlte.

»Ei wohl, Khan,« sagte Stephan, »Du magst Recht haben, und wenn der junge Junasch wirklich einer Taube begegnet ist, die sein Herz gerührt hat, ei, so mag er das Recht der Otmitza 12 üben, wenn er glücklich heimkehrt, und sich die Braut holen.«

Der Alte schaute sie finster von der Seite an.

»Die Otmitza hat schon Unheil genug gebracht, denn sie führte den Sohn des Geschlechts, mit dem wir in Blutrache leben, in unsere Brastwo 13. Bei den Gebeinen des heiligen Märtyrers Basilius in Ostrog 14, ich weiß nicht einmal, ob ich Recht daran thue, zuzugeben, daß dieser junge Mensch, mein Gastfreund, in den Rachen des Wolfes geht, bloß um einen Mann zu retten, dessen Blut der Familie Martinowitsch eigentlich verfallen ist und längst hätte von uns vergossen werden müssen.«

»Vater,« rief die Frau entsetzt, »was redest Du da? Du sprichst von Deinem Eidam, dem Gatten Deines Kindes!«

Der Greis starrte vor sich hin, die fixe Idee seines Familienhasses schien in ihm wieder aufzusteigen und seinen Geist zu verdüstern.

»Was Kind!« murmelte er vor sich hin. »Die Blutrache hat seit hundert Jahren zwischen dem Geschlecht der Zagartschani und der Martinowitsch Zahn um Zahn genommen, so will es das [119] alte Gesetz, und der Vater Deines Mannes hat unsern Djewer 15 zuletzt erschlagen, ohne daß sein Blut bis jetzt gerochen ist.«

»Aber es ist das Blutgeld gezahlt und der Streit ist ausgeglichen, als mich Gabriel heimlich davongeführt und Ihr auf des Popen Bitte dann Eure Einwilligung zur Heirath gabt und Gabriel zum Schwiegersohn nahmt.«

»Blut ist Blut,« sagte der Alte, »und der Schatten des Vetters hat mich manch liebe Nacht gemahnt, wenn die Wila's draußen auf der Livada 16 tanzten und der Vampyr umherging mit den blutigen Augen vor der Hahnenkräh. Iwo ist alt und hat einen Eid gethan, nur das Blut der Moslems noch zu vergießen, aber er hat einen Knaben, in dessen Adern das schwarze Blut der Familie rollt, und er wird die Pflicht seines Stammes nicht vergessen.«

Der junge Mann, sein Sohn, der bisher geschwiegen und nur auf jedes Wort aus dem Munde der Aelteren gelauscht hatte, richtete sich funkelnden Auges vom Boden empor.

»Befiehl, Vater Iwo, und Bogdan wird gehorchen, gält' es auch das Blut seines nächsten Freundes.«

Er zog wie betheuernd den Yatagan in seinem Gürtel halb aus der Scheide, doch die Schwester, wild erregt von der herzlosen Blutgier, die zur Sühnung einer alten Familienfehde selbst das Leben des eigenen Verwandten bedrohen konnte, sprang wie ein Blitz auf die Flinte des Alten zu und schwang die schwere Waffe gleich einem Rohr um das Haupt.

»Seid Ihr Wölfe aus dem Epyrus,« zürnte sie, »oder die grausamen Tiger des todten Wüthrichs von Janina 17, daß Ihr das eigene Blut schlachten wollt, statt es zu retten aus Türkenhand? – Bei allen Heiligen im Himmel, wer mir an den Gatten will, der hat es zuvor mit mir zu thun, und er wird sehen, ob die Tochter der freien Berge die Waffe zu führen versteht!«

Grivas war aufgesprungen.

»Gebt Euch zufrieden, Stephana, Vater und Bruder haben es so schlimm nicht gemeint, und es ist nur der alte böse Geist, der zuweilen über den tapferen Sinn des Begs kommt. Du [120] weißt, daß Keiner eiliger war, als er zur Tscheta 18, da uns die Kunde kam von Deinem Gatten.«

Der Alte strich sich wohlgefällig lachend den Bart.

»So gefällst Du mir, Kind, ich erkenne mein Blut in Dir wieder und weiß, daß das Weiß seinem Manne anhängen muß. Aber spute Dich jetzt, wenn die Sonne sinkt hinter die Berge, und wenn die Dämmerung naht, muß der Grieche im Kahn sein, um zeitig in Skadar zu landen.«

Die Frau stellte die hölzerne Schüssel mit der Castradina vor sie hin und Alle setzten sich um das Mahl und stillten ihren Appetit. Dann löste der junge Martinowitsch die Schildwacht auf dem Felsen ab, um dem Gefährten, einem Vetter der Familie, gleichfalls sein Theil zukommen zu lassen.

Während dessen beriethen die Männer den gefährlichen Zug des jungen Griechen zur Befreiung seines Freundes, mit dem er vor dem Heldenkampf von Grahowo die uralte Sitte der Blutbrüderschaft eingegangen war, ein Band, das zwei Männer zu jeder Aufopferung und Hingebung verpflichtet. Die Blutbrüderschaft wird nach den Gebräuchen des Volkes entweder für's Leben oder für eine gewisse Zeit, z.B. für die Dauer eines Krieges oder einer Fehde, geschlossen. Während dieser verlassen sich dann die so Verbundenen keinen Augenblick, Gefahr und Ruhe, Speise und Noth theilen sie gemeinschaftlich. Ein Lager umfängt sie, Schulter an Schulter stehen sie im Kampf, und nur der – gewöhnlich aber gemeinschaftliche – Tod scheidet den Einen vom Andern und legt dem Ueberlebenden die heilige Pflicht auf, den gefallenen Bruder blutig zu rächen und für seine Hinterlassenen, wenn er Familie hat, zu sorgen. Unauslöschbare Schmach trifft den, der seinen Blutbruder in der Gefahr verläßt oder, ohne ihn gerächt zu haben, aus dem Kampfe allein zurückkehrt.

In ähnlichem Fall war Nicolas Grivas, der jüngere Stiefbruder der beiden Caraiskakis, gewesen. Die heldenmüthige Vertheidigung des befestigten Hauses des Wojwoden Jakob Wujatich von Grahowo gegen die Türken unter Dervish Pascha ist durch die Zeitungen bekannt. Am 19. Januar erstürmten die Türken das Haus, und der tapfere Wojwode fiel, nachdem er noch eine Felsengrotte lange gehalten und nur auf die drohende Gefahr der [121] bereits begonnenen Unterminirung unter dem Versprechen ehrlicher Kriegsgefangenschaft die Waffen streckte, mit vierzig Gefährten – darunter Grivas und sein Blutbruder Gabriel, der Schwiegersohn des berühmten Beg Martinowitsch – in die Hände der Türken. Aber die Moslems, treulos und grausam wie in allen diesen Kriegen gegen die Montenegriner, hielten das gegebene Wort schlecht und unterwarfen die Gefangenen den furchtbarsten Leiden. An Pfähle gebunden, der Kleider größtentheils beraubt und bei dem Mangel an Lebensmitteln im Lager selbst oft die nothdürftigste Nahrung entbehrend, mußten sie die kalten Wintertage und Nächte zubringen. Der Brand trat bei Vielen alsbald zu den Wunden und endete ihre Leiden. Es ist historisch, daß einem Bruder des Wojwoden das Bein abfror. Der Wojwode selbst starb im März an den Folgen der erlittenen Behandlung. In einer Nacht war es jedoch vier der Gefangenen, darunter den beiden Freunden, gelungen, während eines furchtbaren Unwetters zu entfliehen und sie gelangten durch das österreichische Gebiet glücklich zu den Ihren, wo ihnen jedoch nur kurze Erholung gegönnt war; denn der Kampf wüthete auf allen Seiten und sie nahmen alsbald wieder Theil an demselben und rächten die Leiden ihrer Gefangenschaft bei dem siegreichen nächtlichen Ueberfall an der Brücke Uzicki Most und bei Frutack, wo die Türken über 500 Gefangene, 400 Todte und eine große Beute mit der Kriegskasse selbst verloren. Im Gedräng des Kampfes waren hier jedoch die Freunde von einander gekommen, und Gabriel der Zagartschane, von seiner heimischen Pleme in der Katunska-Nahia also genannt, fiel auf der eifrigen Verfolgung der Feinde nach Spuz, am Bein verwundet, in ihre Hände und wurde von dem Heere auf dem Rückzug nach Scutari mitgeschleppt, während seine Waffengefährten glaubten, daß er im Kampfe geblieben. Grivas, dessen Suchen nach der Leiche des Freundes vergeblich gewesen, brachte die traurige Kunde seiner Frau, die während des Zuges nach Grahowo zu ihrer Familie in der Nahia Rietschka zurückgekehrt war. Nur der Ruf der bewiesenen Tapferkeit und Aufopferung schützte den jungen Griechen hier vor Schmach, da er ohne sichtbare Beweise vom Tode des Blutbruders und der für ihn geübten Rache heimgekehrt war. Dennoch sah er sich überall von mißachtenden Blicken angeschaut und kehrte bald zurück nach Cetinje, wo er im Stabe des Fürsten mit seinen auf der Militairschule zu Athen erworbenen Kenntnissen schon früher [122] Hilfe geleistet. Plötzlich, gegen das Ende des Monats Juni, rief ihn eine Botschaft der Wittwe des Freundes zurück nach der im unwirthbarsten Gebirge belegenen Kula 19 des alten Martinowitsch. Zu seinem freudigen Staunen vernahm er hier die Nachricht, daß ein aus Scutari wegen eines begangenen Todtschlags geflüchteter Arnaut der Familie, um sich bei ihr die Gastfreundschaft zu sichern, die Kunde gebracht hatte, daß Gabriel am Leben und unter den Gefangenen in Scutari sei. Die Familie hatte alsbald die heilige Pflicht geübt, dem Blutbruder als dem Nächstverpflichteten Kunde zu senden, und Grivas war sogleich bereit, das Werk der Befreiung zu wagen. Eine Tscheta aus den engeren Mitgliedern der Familie wurde hinab zum See von Skadar beschlossen und man lagerte bereits seit acht Tagen auf einer der von den Montenegrinern den Türken entrissenen Inseln des prächtigen Gewässers. Von hier aus hatte der junge Grivas bereits ein Mal sich nach Scutari gewagt, um das Terrain zu recognosciren, denn offenbar konnte hier zur Befreiung des Gefangenen nur List, nicht Gewalt helfen.

In der That war es ihm auch durch die Andeutungen, die der Arnaut und der Beg ihm gegeben, gelungen, sich über das Gefängniß des Freundes zu orientiren, und glücklich kehrte er wieder zu den Genossen zurück, um mit ihrer Hilfe die Befreiung selbst zu versuchen. –

Nachdem das Mahl eingenommen, waren die Vorbereitungen zur Abfahrt des verwegenen Abenteurers, der auch dies Mal die Fahrt allein unternehmen sollte, bald getroffen. Unter der Fustanelle 20 trug er einen langen, mit Knoten und Haken versehenen Strick um den Leib, ein Feile und ein scharfes Messer in den Gamaschen der Füße eingeknüpft, im Gürtel die gewöhnlichen Waffen der Albanesen. Während der einäugige Greis mit dem Moslem hinunter ging zum Ufer, den schmalen Kahn vom Segelboot zu lösen, in dem die Gesellschaft gekommen war, trat Stephana zu dem jungen Mann.

»Der heilige Johannes schütze und segne Deine Fahrt und Dein Unternehmen, Nicolas Grivas,« sagte sie feierlich. »Gern [123] möchte ich an Deiner Seite stehen, und wahrlich, ich wollte Dir kein schlechter Beistand sein im Augenblick der Gefahr, aber ich fühle, meine Gegenwart könnte Alles verderben. Doch hilft List und Muth oft nicht allein, wirksamer als Kugel und Stahl ist das gelbe Metall. Hier, Freund meines Gatten, nimm, was mein davon ist. Ohne den Theuren nützt mir der Schmuck Nichts; gewinne ich ihn wieder, so ist er mein bester Schmuck. Nimm!«

Sie drang ihm eine jener Schnuren von zusammengereihten kleinen Goldmünzen auf, welche die slavischen Frauen so häufig zum Schmuck des Hauptes benutzen und in die Haare flechten. Grivas fühlte die Wichtigkeit der Gabe für seinen Zweck und nahm sie dankend.

»Noch Eines frage ich Dich,« fuhr Stephana fort und legte freundlich die Hand auf seine Schulter. »Vertraue mir, der Frau, was Dich sichtlich drückt, seit Du von Skadar zurückgekehrt bist. Hast Du Etwas Schlimmes von Gabriel, meinem Gatten, erfahren, oder ist die Vermuthung des Khan wahr und hat die Liebe Dein Herz getroffen?«

Der junge Mann bedeckte die Augen mit der Hand. »Liebe, Stephana? ich weiß es nicht, aber wenn es die Liebe ist, so muß sie etwas Schreckliches sein. O, daß ich Dir diese Augen beschreiben könnte, die ich nur ein einzig Mal geschaut und die sich für ewig glühend in mein Gehirn gebohrt haben, daß ich nicht mehr fühlen und denken kann. Kennst Du die grauenvolle Sage Deiner Heimath vom Vampyr, Frau, der im Mondlicht bleich umherstreift und sich an die Herzen der Lebenden sangt, jeden Blutstropfen unersättlich verschlingend? So saugt allnächtlich dies Bild mit den glühenden Augen an meinem Herzen. Stephana – ich liebe – einen Vampyr!«

Die junge Frau schlug das Kreuz. »Um der Heiligen willen, Mann, fasse Dich – Du redest ruchlosen Wahnwitz!«

»Wahnwitzig möcht' ich werden, und der Wahnwitz hätte mich gen Skadar getrieben, auch wenn die Pflicht gegen den Freund mich nicht dahin geführt!«

Der Ruf des Alten ertönte vom Ufer herauf – der Nachen war bereit, die Sonne im Untergehen.

»Bete für mich – bete für meine arme Seele! Nur der Himmel kann retten, die den Unterirdischen verfallen sind!«

[124] Wenige Worte noch mit den Gefährten, und die kräftigen Ruderschläge entfernten ihn vom Ufer.


Es war nach Mitternacht, im Silberglanz des Mondes, als Nicolas Grivas eine halbe Stunde entfernt von den Wällen von Scutari, östlich vom Hafen der Festung, unter wildem Felsgestein und Gebüsch nach angestrengtem Rudern landete und den Nachen, so gut es die Gelegenheit bot, dort verbarg. Dann ging er eine Strecke landein, suchte sich einen vor den schädlichen Mondstrahlen geschützten Platz und legte sich nieder zum Schlaf. Mit Sonnenaufgang war er munter, nahte sich vorsichtig der Stadt und schlenderte dann mit den zahlreichen Gruppen der albanesischen Landleute und Arbeiter sorglos durch das geöffnete Thor.

In einem der türkischen Caffeehäuser in der Nähe der Befestigungen des Hafens, in denen, wie er von Hassan wußte, Andreas gefangen saß, nahm er sein Morgenbrot und verweilte, bis ein regeres Treiben die Straßen belebte.

Die rothe Tracht der Gueguen oder Myrditen mit dem Waffen-Arsenal im Gürtel, oder dem malerischen Harnisch, der an die Ritterzeiten und die Tscherkessen erinnert; die Toja der Toxiden mit dem Waffenrock, dem Gürtel und den Sandalen aus der Römerzeit, während der schlanke, erhabene Wuchs ihrer Frauen, das rein griechische Profil und die großen, blauen, seelenvollen Augen unter den lang herabhängenden, blonden oder kastanienbraunen Haaren ein Bild klassischer Schönheit giebt; die Frau von den Ufern der Drinna, die Flinte auf der Schulter, den Handjar im Gürtel und den Korb mit den Früchten oder Geflügel, die sie zu Markte bringt, auf dem Kopf; dazwischen die kleine, dunkle Gestalt desJapis aus den Schluchten und Felsen am adriatischen Meere; die Männer von Suli mit dem Adlerblick und der stolz emporgetragenen Stirn; der türkische Soldat des Nizam in seiner dunkelblauen unkleidsamen Tracht mit dem flachen Fez; der geschäftige Grieche und Jude und dazwischen der gravitätische Moslem, – alle diese hundert bunten Gestalten mit dem den Griechen-Slaven eigenen lebhaften Drängen und Schreien gaben ein überaus lebendiges buntes Bild, durch das sich Grivas zum Khan des Maltesers Girolamo drängte, in dem, nahe am [125] Bazar gelegen, die Müssiggänger der Festung, die Fremden und die Offiziere der Besatzung zu verkehren pflegen. Gegenüber dem Khan war der Aufgang zur Citadelle, in deren Ringmauern sich die Gebäude des Paschalik befanden. Nicolas nahm vor dem Khan einen Sitz ein, und statt mit einem oder dem Anderen ein seine Zwecke vielleicht förderndes Gespräch anzuknüpfen, schaute er unverwandt nach dem Thor der Citadelle, an dem die Wachen müßig lehnten.

So hatte er bereits zwei Stunden gesessen, als durch das Thor zwei Frauen in türkischer Kleidung die Festung verließen, die Gestalt in den verhüllenden Feredschi 21 verborgen, während das Haupt unter dem weißen Schleier, Yaschmack genannt, verschwand, den, aus einem langen Streifen Mousselin bestehend, die muhamedanischen Frauen, sobald sie ihre Gemächer verlassen, um den Kopf wickeln und unter dem Kinn befestigen, so daß er das ganze Gesicht verbirgt und nur einen etwa drei Finger breiten Streifen für die Augen frei läßt. An der grünen Farbe des Mantels war leicht zu erkennen, daß die Eine die Herrin, die Andere eine Sclavin war. Die Gestalt der Ersteren erschien trotz der verhüllenden Kleidung groß und stolz und hatte nicht den durch die doppelten Pantoffeln gewöhnlich hervorgebrachten schleppenden und unsicheren Gang. Die Dame trug vielmehr unter den weiten türkischen Beinkleidern rothe mit Gold gestickte Stiefel, und jede ihrer Bewegungen zeigte eine bei den Orientalen ungewohnte Rastlosigkeit und Energie. Die beiden Frauen gingen allein, aber deshalb nicht unbegleitet. Ein seltsamer und schauerlicher Gefährte bewachte jeden ihrer Schritte, – ein gezähmter Wolf, der gleich einem Hunde, die rothe lechzende Zunge aus dem Rachen hängend, neben ihnen her trottete.

Die Erscheinung war zu auffallend, um unbemerkt vorüber zu gehen, und obschon der Grieche eben nur Augen für sie hatte, konnte er doch wahrnehmen, wie die Besucher des Caffeehauses sich von ihr unterhielten, und mehrmals hörte er den Namen Fatinitza aussprechen. Er hatte sich vom Sitz erhoben, als er die beiden Frauen bemerkt, und stand dicht an der Straße, die sie vorüberführte. Schon von Weitem hatte ihn in dieser Stellung [126] der Blick der Türkin getroffen, der mit einem seltsamen verzehrenden Ausdruck auf ihm haften blieb. Starr und ruhig, lag doch eine wahrhaft unheimliche Gluth im Hintergrunde dieses schwarzen Auges, das sich förmlich an ihn festzusaugen schien. Seine ganze Kraft und Selbstständigkeit schien unter dem Ausdruck dieses Blickes zu schwinden, und dennoch vermochte er nicht, den seinen davon abzuziehen.

Wenn das unheimliche Auge dieser Frau wirklich eine Freude auszudrücken vermochte, so zeigte sie sich bei dem Erblicken des jungen Griechen. Man sah durch die Oeffnung des Schleiers den sichtbaren schmalen Theil des bleichen Gesichts lebhaft erröthen und ihre Hand ließ unwillkürlich den Zipfel des Mantels fahren, der zurückfallend eine der Tracht der Mirditen ähnliche Kleidung zeigte, in deren Gürtel ein leichter Handjar und eine zierliche Pistole von französischer Arbeit steckten. Der Mantel verhüllte sie im Augenblick wieder, und nur ein leises Neigen des Kopfes, als sie dicht an ihm vorüberging, und der Ausdruck des Auges zeigten dem nach orientalischer Sitte stumm und ehrerbietig grüßenden jungen Manne, daß er wiedererkannt sei. Starr und lange schaute er nach, als die beiden Frauen im Zugang des Bazars verschwanden, ohne daß er zu folgen wagte.

»Bei Allah!« sagte eine Stimme hinter ihm, »Du bist ein kühner Christ, daß Du Dich unterfängst, der Wölfin von Skadar so keck in die Augen zu schauen. Nur wenige der Moslems wagen, die Tochter Selim's zu begrüßen.«

Als Grivas sich umschaute, sah er einen greifen türkischen Kaufmann in ärmlicher Kleidung vor sich, der ihm jedoch bekannt schien, denn er begrüßte ihn alsbald und lud ihn ein, neben ihm Platz zu nehmen.

»Kennst Du die Frau, Ali Martinowitsch,« redete er ihn an, »so sage mir, wer sie ist.«

Der Alte schüttelte den Kopf.

»Laß Dich warnen, Jupane,« entgegnete er, »daß Du nicht in die Klauen dieser Wölfin fällst. Es istFatinitza, die einzige Tochter des Selim Pascha, der in Skadar gebietet, von einer Mirditin ihm geboren und der Apfel seines Auges. Aber ihr leibhaftiger Vater ist der Scheitan 22, denn sie liebt das Blut,[127] gleich der Wölfin, die sie selbst in den Schluchten des Sutorman aus dem Nest geholt und gezähmt hat. Schon viele der jungen Männer, schön und kühn wie Du, haben ihr Ende gefunden durch diese Frau, und Niemand weiß, wo ihre Gebeine bleichen. Man sagt Böses und Geheimnißvolles von ihr, das die Lippe nicht wieder zu erzählen wagt. Es sollte mir leid thun um Dich, der mir das Zeichen des Begs, meines Blutsfreundes, gebracht hat.«

In der That gehörte der Moslem zu dem Stamm des alten Czernagorzen. Als Stanischa, der Sohn Iwo's des Schwarzen, nach der abenteuerlichen Vermählung mit der Tochter des Dogen von Venedig und seiner Rache an dem schönen Wojwoden Djuro – wie sie die Piesmen so romantisch erzählen – zu den Moslems floh und zum Islam übertrat, waren ihm viele Tapfere seiner Heimath gefolgt. Obschon seitdem eine bittere Feindschaft zwischen den Nachkommen der Abtrünnigen und den christlichen Czernagorzen herrschte, hätte doch Keiner aus der Familie Buschatli – diesen Namen führen die Nachkommen Stanischa's in Skadar, wo dieser von den Moslems als Pascha eingesetzt worden, – einen der alten Blutsfreunde des Hochgebirges an einen Türken verrathen. Es bestand und besteht vielmehr eine gewisse, man könnte sagen Gastfreundschaft, die sie verpflichtet, in privaten und Familien-Dingen sich gegenseitig zu Dienst zu sein, unbeschadet der allgemeinen Feindschaft. So besaß auch der Beg in dem alten Kaufmann einen Stammverwandten und häufig schon hatten Beide in den gegenseitigen Kriegen sich Dienste erwiesen. An ihn hatte der Alte daher schon bei der ersten Fahrt nach Skadar den jungen Griechen gewiesen, und der Kaufmann hatte ihm versprochen, auf Grund der Mittheilungen Hassan's weitere Nachforschungen und Vorbereitungen zu treffen.

Nicolas Grivas gedachte der ihm obliegenden Pflichten und ermannte sich aus seinem Brüten.

»Fürchte Nichts,« sagte er zu dem Alten, »dieses Auge machte nur einen betäubenden Eindruck auf mich, gerade wie das erste Mal, als ich es umherstreifend in der Vorstadt der Gärten 23 im Schatten der Kastanienbäume auf mich gerichtet sah und ihm [128] unwillkürlich folgen mußte, bis die Thore des Kastells mir den Weg versperrten. Ich bin ein Mann und hier, um den Blutbruder zu retten. Hast Du erforscht, was ich Dir aufgetragen und wie eine Botschaft zu dem Freunde gelangen kann?«

Der alte Mann bejahte, forderte aber den Griechen auf, ihm nach seinem Hause zu folgen, da hier ihr Gespräch leicht belauscht werden könne. Nicolas schien sich zwar nur ungern von dem Platze zu trennen und die Rückkehr der Frauen aus dem Bazar abwarten zu wollen, Ali aber, der den scharfen Blick der Türkin scheute und nicht im Gespräch mit dem von ihr bemerkten Fremdling betroffen sein mochte, drang auf ihre Entfernung, und so folgte ihm der junge Mann durch die engen Straßen bis zu einem kleinen Häuschen, in dem die Familie des Alten wohnte. Hier theilte derselbe ihm mit, daß ihre ersten Nachrichten richtig und der gefangene Czernagorze in einem Kerker des alten Thurmes eingeschlossen sei, der als vorspringendes Werk der Citadelle seine dicken Mauern in die Wasser des Sees tauchte. Gabriel war von seinen Wunden zwar gänzlich wieder hergestellt, wurde aber streng bewacht und litt Entbehrungen aller Art. Das hatte Ali von einem der Kerkerdiener erfahren, den er als der Bestechung offenbar zugänglich schilderte. Seine eigene Armuth hatte ihm jedoch nicht gestattet, diese zu versuchen, und er stellte nun Grivas das Weitere anheim. Mit Dank erkannte jetzt dieser den Werth der Gabe Stephana's, und indem er sie dem ehrlichen Gastfreund einhändigte, bat er ihn, sein Heil alsbald damit bei dem Gefängnißwärter zu versuchen. Der Alte verließ ihn, indem er ihm auf's Dringendste anbefahl, nicht aus dem Hause zu gehen und durch sein Umherstreifen keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Nach zwei Stunden kam er wieder; er hatte den Mann gefunden und dieser war bereit, für die Schnur der Goldmünzen dem Gefangenen zur Flucht zu helfen. Doch gab es nur eine Weise, diese auszuführen, da die Ausgänge der Citadelle selbst stets von Wachen besetzt und gefährlich zu passiren waren. Der Kerker des Czernagorzen lag im dritten Stockwerke des Thurmes, das Fenster war deshalb nur leicht vergittert und der Mann hatte es übernommen, dem Gefangenen Feile und Strick zu bringen, um sich mit deren Hilfe durch die nach dem See zu schauende Fensteröffnung zu retten. Nicolas sollte mit einem Kahn sich um [129] die zwölfte Stunde der Nacht in der Nähe des Thurmes halten und den Flüchtling aufnehmen. Die ganze Nacht blieb ihnen dann, sich in Sicherheit zu bringen.

Grivas entledigte sich der scharfen Feile, die er im Leder der Gamaschen trug, und des Strickes um seine Hüften, und der Alte trug Beides gleich verborgen zu dem Helfer, der die Hälfte der besprochenen Belohnung im Voraus empfangen hatte und den Rest erhalten sollte, nachdem er seine Aufgabe erfüllt. Gegen Abend sollte Nicolas die Stadt verlassen, wie er gekommen war, und im Schatten der Nacht mit seinem Kahn dem Thurme nahen, um zur bestimmten Stunde bereit zu sein. Weitere Hilfe vermochte ihm der Gastfreund unmöglich zu leisten, und das Folgende blieb dem Muth und Glück der beiden Blutbrüder überlassen.

Es war gegen Abend, als Nicolas Grivas von dem Gastfreund Abschied nahm, um die Stadt vor dem Schluß der Thore zu verlassen und sein Unternehmen zu beginnen. Mit seinen besten Segenswünschen entließ ihn der Moslem, der jedoch nicht wagte, in seiner Begleitung weiter sich sehen zu lassen. Der Grieche wandte sich zum Thor; aber unwillkürlich zog es ihn noch ein Mal hin in die Nähe der Unheimlichen, die so eigenthümlichen Einfluß auf ihn zu üben begann. Er ging nach Ghirolamo's Khan und setzte sich wiederum dort nieder, nach den Mauern starrend, welche die seltsame Erscheinung bargen, die man die »Wölfin von Skadar« nannte.

Plötzlich entstand ein Lärmen in seiner Nähe. Ein Tschokadar 24 war in Streit mit einem Albanesen gerathen, im nächsten Augenblick blitzten, wie dies bei solchen Scenen gewöhnlich ist, die Handjar's, und ehe Nicolas den Platz verlassen konnte, sah er sich mitten in den Knäuel gerissen und in den Streit verwickelt. Tschauschi's 25 sprangen herbei, und nach kurzem Gezänk ward er ergriffen und mit zwei andern der Gäste zum Thor der Citadelle geschleppt, wo ihnen die Hände gefesselt wurden. In Begleitung ihres Anklägers, des Tschokadars, wurden sie alsbald vor den Pascha geführt.

Durch den Hof, der die Zenanah – die Wohnung der Frauen – von den öffentlichen Gebäuden trennte, gelangten die [130] Gefangenen über mehrere Stufen in die Halle, wo Selim-Bey, der Pascha von Albanien, saß. Die Halle selbst bot ein seltsames Gemisch orientalisch-üppiger Ausstattung mit dem rohen Mangel des Kriegerlebens, da der Bey ein tapferer Soldat war und sich bereits in seiner Jugend in dem Kriege gegen die Kurden ausgezeichnet hatte. Später bekleidete er mehrere hohe Stellen in Epirus und Macedonien, und seit der Verbannung des rebellischen Mustapha's, des letzten Pascha's aus der Familie Butschali im Jahre 1833, das Paschalik von Scutari, wo die fast ununterbrochene Fehde mit den unruhigen Nachbarn seine kriegerischen Talente und seine Thätigkeit in Bewegung hielt. Die seidenen Kissen der Divans wechselten als Sitzte mit gegerbten Wolfs- und Bärenhäuten oder den einfachen Kordgeflechten ab; zwischen den zahlreichen Dienern und Müßiggängern aller Art strichen Soldaten des Nizam umher, oder saßen rauhe Krieger der umwohnenden arnautischen Stämme, mit denen der Pascha einen regen Verkehr unterhielt.

Es war die Stunde des Abendgebets und der Muezzim hatte vom Minaret herab den Ezan 26 eben ertönen lassen. Alle Moslems verrichteten andächtig ihr Gebet, während die Christen gleichgültig zusahen und kaum ihr Gespräch unterbrachen. Es ist dies die Zeit, nach welcher ein Muselmann selten noch ein Geschäft vornimmt, sondern sich gemächlich in die innern Gemächer seines Hauses zurückzieht. Als daher die drei Gefangenen vor den Bey gebracht wurden, befahl er anfangs, sie bis zum andern Morgen auf der Wache zu behalten und sie dann ihm oder dem Mollah 27 vorzuführen. Nicolas Grivas jedoch, dem es galt, um jeden Preis sich wieder frei zu sehen, rief laut die Gerechtigkeit des Pascha's an und erklärte, den Schutz des griechischen Consuls für die ungerechte Haft in Anspruch nehmen zu wollen.

In diesem Augenblick öffnete sich im Hintergrunde der Halle neben dem Sitz des Bey's eine Thür, und die verhüllte Gestalt einer Frau, von dem zahmen Wolfe begleitet, trat ein und setzte sich auf ein Kissen hinter dem Pascha. Nicolas erkannte sofort Fatinitza. Obschon es im Orient etwas Ungewöhnliches ist, daß[131] sich Frauen in die Berathungen und Gesellschaft der Männer drängen, schien die Gegenwart des jungen Mädchens hier doch nicht aufzufallen. In der That war man gewöhnt, sie bei jeder Gelegenheit – selbst unter den Mühseligkeiten der Feldzüge und im wüsten Treiben des Lagers – an der Seite ihres Vaters zu sehen, und theils die den Frauen mehr Freiheit gestattenden Gebräuche der slavisch-griechischen Weststämme, als jene der wirklichen Orientalen, theils die unbegränzte Nachsicht und Liebe, die der Bey für dieses sein einziges Kind bei jeder Gelegenheit an den Tag legte, hatten jede Schranke für das Thun und Lassen des Mädchens aufgehoben. Ihr unbezwinglicher Eigenwille, der dämonische Charakter, der ihr innewohnte und aus dem dunklen Auge hervorbrach, regierten das Haus ihres Vaters und hatten längst jeden Zwang abgestreift.

Zu den Füßen Fatinitza's legte sich der Wolf und leckte mit seiner glühenden Zunge ihre Hand. Eine seltsame bedrückende Stimmung schien sich mit ihrer Anwesenheit über die ganze Versammlung verbreitet zu haben.

Der Pascha rief die Wachen zurück, welche die drei Verhafteten wieder fortführen wollten, und wendete sich zu dem Griechen.

»Du hast es eilig, junger Mann, meine Gerechtigkeit anzurufen,« sagte er ernst. »Wer bist Du?«

Der Grieche wollte mit seinem Namen antworten, als er den Finger des Mädchens erhoben und auf die Stelle gelegt sah, wo der Schleier ihre Lippen bedeckte.

Er verstand das Zeichen und sagte daher, ohne seinen Namen zu nennen, daß er ein griechischer Unterthan und auf einer Reise gen Ragusa nach Scutari gekommen und hier verhaftet worden sei, ohne daß er wisse, warum.

»Wo ist der Kläger?« fragte der Pascha, »und wessen sind diese drei Männer beschuldigt?«

Der Tschokadar trat vor und verbeugte sich vor seinem Herrn.

»Hoheit,« sagte er unterwürfig, »Dein Knecht war in dem Caffeehause des italienischen Wirths vor den Thoren Deines Hauses, als ich plötzlich eine Hand in der Tasche meiner Jacke fühlte und, danach fassend, gewahrte, daß mir ein Beutel mit fünfzig Piastern 28 entwendet worden. Dieser albanesische Dieb stand dicht bei mir [132] und kein Anderer konnte es gethan haben. Ich ergriff den Mann, indem ich ihm sagte, ich wolle die Gräber seiner Väter verunreinigen, wenn er mir mein Geld nicht zurückgeben würde, er aber zog seinen Handjar und bedrohte mich.«

»Bak alum 29!« bemerkte der Bey, sich den Bart streichend. »Habt Ihr das Geld bei dem Manne gefunden?«

»Allah bila versin 30!« rief der Ankläger, verächtlich den Zipfel seiner Jacke schüttelnd. »Das sind Leute, Hoheit, welche die ganze Welt in dem Winkel ihres Auges tragen! Er ist kein Esel, Hoheit, wenn auch sein Vater und seine Mutter solche waren. Ich habe deutlich gesehen, wie er den Beutel seinen beiden Helfershelfern dort zugesteckt hat.«

»Haif, haif 31! Was sagt Ihr dazu?«

Der Erste der Angeschuldigten, ein Albanese aus dem Küstenlande, spuckte verächtlich aus.

»Er ist der Sohn einer Hündin und lügt wie ein Hund! Ich habe diese Männer nie gesehen, und die Hand soll verdorren, die ich nach dem Eigenthum eines Rechtgläubigen ausstrecke.«

Der Zweite war ein Grieche aus der Stadt selbst. Er berief sich auf seine Bekanntschaft mit vielen der Anwesenden und meinte, der Tschokadar müsse sich in der Person geirrt haben, als er ihn beschuldigte. Er bot Bürgschaft an und bat, daß man ihn untersuchen möge.

Der Pascha wandte sein Auge auf Grivas.

»Und Du? Was für Koth wirst Du uns zu essen geben?«

»Der Mann hat sich versehen, oder er ist ein Narr,« antwortete der Grieche kühn, »Ich verlange, Hoheit, daß Du ihn bestrafst für seine Frechheit, unschuldige Leute anzuklagen.«

»Allah bilir 32! Du redest hohe Worte; aber ein Pascha ist kein Esel, der sich von jedem hergelaufenen Dschaur 33 betrügen läßt. Untersucht seine Kleidung und seht zu, ob Ihr den Beutel bei ihm findet.«

Die Khawassen fielen über den jungen Mann her, der im [133] Gefühl seiner Unschuld sich willig der Untersuchung darbot. Zu seinem großen Staunen und Schreck jedoch brachte der Tschokadar selbst, der bei dem Durchsuchen sehr diensteifrig half, den Beutel alsbald aus den Falten seines Gürtels zum Vorschein und hielt den Fund mit lautem Geschrei in die Höhe, während die Türken ringsum in den Lieblingsruf: Allah kerim! (Gott ist groß), ausbrachen.

»Was sprichst Du nun, Sohn einer ungläubigen Hündin?« zürnte der Pascha. »Bringt ihn hinaus in den Hof und gebt ihm fünfzig Stockstreiche zur Strafe für seine Frechheit!«

Der Grieche war Anfangs sprachlos gewesen über den so unerwarteten Beweis, der sich gegen ihn gefunden. Dann, als er das rasche und schmachvolle Urtheil vernahm, kehrte seine Besonnenheit zurück und er vertheidigte sich mit aller Lebhaftigkeit seiner Nation gegen den Verdacht, indem er anführte, es müsse ihm im Gedränge des Streites der ihm unbekannte Dieb den Beutel heimlich eingesteckt haben, wenn nicht der Ankläger selbst etwa aus Bosheit dies bei der Durchsuchung gethan habe. Ein eigenthümlicher spöttischer Strahl in dem Auge Fatinitza's, den er während seiner Worte auffing, bestärkte seinen letzteren Verdacht.

Als daher der Pascha, ohne seiner Widerrede viel zu achten, nochmals das Zeichen zu seiner Fortführung gab, wehrte er die Khawassen mit Gewalt zurück, sprang auf den Pascha zu und rief:

»So wahr Du ein Krieger bist, Selim-Bey, halte ein und untersuche die Wahrheit, oder laß mich lieber tödten, als solche Schmach erdulden. Ich bin ...«

Wiederum, mit Blitzesschnelle, sah er das Türkenmädchen das frühere Zeichen wiederholen. Zugleich neigte sie sich zu dem Ohre ihres Vaters und flüsterte ihm einige Worte zu. Der alte Selim neigte zustimmend das Haupt.

»Awret der! 34« sprach er, »aber ihr Rath ist gut. Kannst Du einen Bürgen stellen in dieser Stadt, der Dich kennt, Christ?«

Grivas dachte an den alten Kaufmann, aber zugleich fiel ihm ein, daß er durch dessen Nennung leicht ein weiteres Nachforschen und eine Entdeckung herbeiführen könnte, die den alten Mann in Ungelegenheit und Gefahr bringen mußte. Er verneinte.

Der Türkin schien dies unerwartet zu kommen. Wieder wandte [134] sie sich zu dem Pascha und flüsterte ihm in's Ohr. Der Bey nickte.

»Es kann etwas Wahres unter dem Unrath sein, den Du sprichst, Grieche.« sagte er dann. »Wir wollen die Sache morgen weiter untersuchen. Bis dahin, da Du keinen Bürgen stellen kannst, mußt Du im Gefängniß bleiben. Geht! – Diesen beiden unreinen Thieren aber,« er deutete auf die zwei anderen Gefangenen, »gebt eine Tracht Schläge, weil sie uns nach dem Gebet belästigt haben und werft sie vor das Thor. Fort!«

Eine entschiedene Handbewegung ließ die Wachen sich schnell der Gefangenen bemächtigen und vergeblich war alles Protestiren des Griechen; er wurde mit den Anderen hinausgezerrt. Nur als er am Eingang noch ein Mal den Blick zurück wandte, sah er Fatinitza zum dritten Male wie beruhigend das Zeichen machen.

Während die Wachen ihn über den Hof führten, kam der Tschokadar, sein Ankläger, ihnen nach und änderte mit einem überbrachten Befehl ihre Richtung. Ihr Weg wandte sich nun in die Gebäude längs des See's und durch einen gewölbten Gang wurde der Gefangene in eine ziemlich geräumige Zelle gebracht, deren stark vergittertes Fenster auf die Gewässer sah. Durch dasselbe erblickte Grivas auch rechts zur Seite den in die Fluthen vorspringenden Thurm, auf dessen Höhe das Gefängniß des Freundes war, zu dessen Rettung er hierher gekommen. Eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich seiner Seele, als er bedachte, wie sein Unstern, oder diesmal vielmehr die eigene Schuld ihn nöthigte, den Blutbruder auf's Neue ohne Hilfe in der Todesgefahr zu lassen und Nichts für seine Rettung thun zu können. Seine Phantasie malte ihm das Bild des Czernagorzen vor, wie er zwischen Himmel und Erde über den dunklen Fluthen hing, vergeblich nach dem Waffengefährten durch die Nacht spähend. Sie malte ihm Stephana's lauten Vorwurf, die verächtliche Geberde des greisen Häuptlings, die Schande, die ein tapferes Volk auf seinen Namen häufte, – und das Alles um den Blick eines Weibes, das mit dämonischer Natur alle seine Seelenkräfte gefesselt hielt, ohne daß er noch ein Wort mit ihr gewechselt, wie der Blick der Schlange den Vogel gebannt halten soll in seinen Zauberkreis, daß er nicht die rettenden Schwingen zu regen vermag, bis der tödtende Zahn ihn erreicht.

Vergeblich krampfte er in die eisernen Stäbe der Fensteröffnung, [135] – das feste Metall aus den riesig dicken Mauern zu reißen, hätte es der Kraft eines Giganten bedurft; selbst wenn er die Feile noch besessen, die er dem Freunde gesandt, hätte die Arbeit einer Nacht nicht hingereicht, die dicken Stäbe zu durchbrechen. Verzweifelnd warf er sich auf das Holzgestell, das an einer Wand zum Lager diente, und brütete über seinem Schmerz, mit tausend Verwünschungen sich und die Verlockung beladend, während draußen die Nacht immer tiefer und dunkler über See und Berge sank.

So mochte er stundenlang gelegen haben, als er aus seinem Schmerz durch einen Lichtstrahl erweckt ward, der an der gegenüber liegenden Wand seines Kerkers sich brach. Erstaunt richtete er sich empor und bemerkte, daß der Strahl aus einer kleinen etwa handbreiten Oeffnung in der Wand über seinem Lager kam. Zugleich fühlte er seine Sinne befangen durch einen warmen wohlriechenden Duft, der durch jene Oeffnung zu quellen schien und seinen Kerker erfüllte.

Er stieg auf die Holzwand, sein Auge reichte gerade an die fensterartige, mit einem feinen Drahtgitter verschlossene Oeffnung und seine Blicke umfaßten trunken und verzehrend das ungeahnte Schauspiel, das sich ihnen bot.

Der Raum, den sie überflogen, bildete ein mit Marmorfließen ausgelegtes Badezimmer, jene üppige Anstalt des Orients, die eine wollüstige Neugebärung der Körper ist und aus dessen Pflege einen Cultus schafft. In der Mitte des Fußbodens war ein kleines Bassin mit warmen, wohlriechenden Wässern gefüllt, welchen die Aphrodite dieses Ortes eben entstiegen zu sein schien. In einer Nische, auf einem Marmorbett, von feinen linnenen Tüchern halb verhüllt, in dieser Verhüllung tausend Reize verrathend und entdeckend, lag die Herrin der Gemächer, Fatinitza, die Wölfin von Skadar, bedient von fast ganz entkleideten schwarzen Mädchen, die ihre Glieder salbten und rieben, und auf Haupt und Busen den Strahl des warmen, weichen Wassers sich ergießen ließen, während Andere das üppige rabenschwarze Haar kämmten und trockneten, oder mit weichem wollenem Gewebe Brust und Arme frottirten. Das Haupt zurückgebeugt, den Mund über den glänzend weißen Zähnen halb erschlossen, die dunklen dämonischen Augen nur in jener schmalen Spalte geöffnet, aus der Verlangen und Sehnsucht zu lauschen pflegt, lag das Mädchen in den Händen ihrer Frauen. Zum zweiten Male sah der Jüngling unverhüllt dies Antlitz, das [136] einen so gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Das Oval desselben war in jenem vorspringenden Bogen gewölbt, welcher dem Antlitz etwas Adler- oder Geierartiges zu geben pflegt. Dennoch war jeder ihrer Züge einzeln zart und rein. Unter der fast schnabelförmig gebogenen Nase mit den weitaufgeschlagenen Nüstern, den Zeichen ungezähmter Leidenschaft, öffnete sich ein überaus zierlich und willenskräftig geschwungener Mund. Schief gesenkte starke Brauen, wie bei dem Wolf und Fuchs, senkten sich von den Schläfen zur Nasenwurzel, und so seltsam und unheimlich der Ausdruck dieses Kopfes an sich war, so lag doch ein eigenthümlicher fesselnder Zauber in ihm, eine medusengleiche erstarrende und zugleich entflammende Gewalt. Ueppig schlanke Glieder von jener matten, bräunlich weißen Porzellanfarbe, die manchen Brünetten, namentlich den Maurinnen, eigen ist, trugen diesen Kopf und die hundert Wendungen und Bewegungen, welche die Sclavinnen im üppigen Spiel diesem wollustathmenden Körper gaben, enthüllten mit jedem Augenblick neue Reize vor den gefesselten Augen des Jünglings.

Seine Schläfe glühten, seine Pulse klopften in wil dem Schlage, und gährend in der unsäglichen ungestillten Brausekraft der frischen Jugend tobte das Blut durch seine schwellenden Adern. Der Odem in seiner Brust schien zu stocken, das eigene Leben still zu stehen und sich in den Augen allein concentrirt zu haben. So stand und starrte er lange, er merkte es kaum, daß das verlockende Bild sich änderte und verschwand, daß Dunkel wieder die Geburtsstätte so verzehrenden Reizes verhüllte; nur die hohe, unbeschreiblich herrliche Gestalt, der halb aufgeschlagene Blick, der, als die Herrin unter dem den Ausgang verhüllenden Teppich verschwand, verlangend, fragend, verheißend die Stelle streifte, an der sein trunkenes Auge ruhte, blieb in seinem Gedächtniß. Was kümmert den Trunkenen die Welt rings umher? Erst als an der Pforte seines Kerkers ein Schlüssel rasselte, als der helle Strahl einer Blendlaterne durch die geöffnete Thür fiel, erwachte er aus diesen Träumen und sah ein Mohrenmädchen vor sich stehen, das ehrerbietig den Salem 35 gab und ihm zu folgen winkte.

»Wohin?«

Die Schwarze schüttelte das Haupt und legte den Finger auf ihre Lippen – Nicolas erbebte bei dem Zeichen.

[137] »Nicht von der Stelle gehe ich, bis ich weiß, wohin Du mich führst!«

Das Mädchen bemühte sich, zu sprechen, – ein stammelnder unheimlicher Laut zeigte ihm, daß sie stumm. Aber ihre Geberden sprachen lebendig, wie sie auf das Herz deutete, weit, wie empfangend, die Arme öffnete und dann die Hände flehend und bittend ihm entgegen faltete.

Ihm dunkelte und glühte es ahnend vor den Augen und Sinnen, das Blut wollte seine Kehle ersticken – halb bewußtlos winkte er »Voran!« und mit leisen, kaum hörbaren Tritten schlich das Paar durch die Gänge der Feste. Ein Schnauben und Sträuben erhob sich, wo sie stehen blieben. Im Schein der Lampe sah der Grieche den Wolf quer vor der Thür gelagert, ihn mit seinen rothen Feneraugen unheimlich anstarrend. Die Sclavin zog ihn bei Seite und öffnete die Thür.

»Da hinein!« winkte ihr Finger.

Der junge Mann betrat halb taumelnd das Gemach – hinter ihm schloß sich die Pforte.

Um ihn her war eine halbe Dämmerung. Er sah sich in einem orientalisch ausgestatteten Gemach von halb ovaler Rundung, dessen hohe Jalousieen hinaus nach dem See zu gehen schienen, denn durch die halb geöffneten hörte er die Wellen rauschen. An den Wänden hingen Waffen im bunten Gemisch, zur Jagd wie zum Kriege. Durch den halb erhobenen Teppich eines breiten Bogens in der Seitenwand strömte das matte Licht, welches das Vorgemach erhellte. Er stand still, er faßte mit beiden Händen nach dem klopfenden Herzen – er wagte kaum zu athmen – und deutlich durch die geheimnißvolle duftschwangere Stille klang ihm das Plätschern der Wellen.

»Dschel 36

Mit einem Sprunge, wie der entfesselte Tiger nach seiner Beute, war er auf den leisen Ruf am Zugang des Gemachs und schlug den Teppich zurück.

Da lag es vor ihm – weiß und üppig in seinen rothen Draperieen, über die das Milchglas einer Ampel an silbernen Ketten ein weiches milderndes Licht goß, während das wohlriechende Oel ihrer Flamme das Gemach mit wollüstigen Düften durchzog. [138] Auf einem Tische von Rosenholz zur Seite glänzten und blitzten in silbernen und goldenen Schaalen cyprischer Wein, die duftenden Confitüren von Chios, die herrlichen Früchte des Orients.

»Dschel!«

Vor ihm, vor seinen Augen, auf einem breiten Divan, von weichen Wolfsfellen überdeckt, lag eine Gestalt, in die langen Falten eines großen Feredschi von der weißen zarten Wolle der Thibetziege gehüllt, das Haupt auf den sich aus der Decke hervorstehlenden Arm gestützt, die unwiderstehlichen Augen auf ihn gerichtet.

Er stürzte zu ihren Füßen nieder.

»Bana bak ai gusum! Ai dschänum, stambul 37!« bat in tiefen Gutturaltönen die Stimme der Türkin.

Der Jüngling begrub sein Gesicht in die weichen Falten des Mantels, seine Lippen glühten auf den Wellenlinien dieser Formen. Durch sein weiches lockendes Haar spielte die Hand des Türkenmädchens, kosend, verführend. Ihre Augen bohrten sich in die seinen, als sie sein Haupt zurückbog, – sein Gehirn schien zu brennen unter diesen verzehrenden aussaugenden Strahlen.

»Böser Christ, warum hast Du Fatinitza so lange harren lassen? Hat das Heben ihres Schleiers Dir nicht damals schon verkündet, als sie Dir zuerst begegnete im Haine der Gärten, daß sie Dein war vom ersten Augenblick? – Mußte ich Dich erst fesseln und führen lassen vor das Antlitz des Bey, meines Vaters, und Dich werfen in den Kerker, um Dich in süße Liebesarme zu holen? Uriel, der Engel der Finsterniß, schwebte über der Wölfin von Skadar, so lange ihr Junges fern blieb von der liebenden Brust.«

Ein Strom von Feuer brannte in ihrem Kuß auf seinen Lippen, er breitete die Arme aus nach dem süßen, dämonischen Weibe – –

Da klang es in dem Nebengemach hell und scharf, – eine französische Uhr, ein Geschenk ihres Vaters, schlug die Stunde vor Mitternacht, und wie ein eisiger Strahl fuhr die Mahnung durch die Seele des Jünglings.

»Habe Erbarmen mit mir! Bei dem Kreuz des Herrn, laß mich heute frei!«

»Was kümmert mich Dein trügendes Zeichen!« lockte wiederum [139] die sonore schmeichelnde Stimme; »was kümmert uns Dein Gott! Hat nicht der Engel der Nacht eben die süße Stunde des geheimnißvollen Lebens der Geister verkündet, wo sich die sonst Getrennten zusammenfinden? Warum denn stößt Du mich von Dir, o Christ, warum willst Du nicht trinken Lippe auf Lippe, Liebe in Liebe, was Fatinitza Dir bietet?«

Er hatte das Antlitz verhüllt, vor seinem Geiste stand noch ein Mal das bleiche Bild des Blutbruders, hangend zwischen Himmel und Erde in seiner Todesnoth, oder kämpfend mit den dunklen Wässern des Sees.

»Weib, ich liebe Dich, ich vergehe in Dir! Aber bei der Barmherzigkeit Deines eigenen Himmels, laß mich fort in dieser Stunde, und mein Leben soll Dir gehören. Ich muß, ich muß!«

»Dschel!«

Er warf sich vor ihr nieder auf die Knie.

»Hilf Du selbst mir aus diesem Zauber, der mich umstrickt. Löse Du selbst mich aus diesen Banden, die meine Sinne hier gefesselt halten? Gieb mir das Mittel, hinaus zu gelangen aus diesen Mauern, und dann – – Er ruft! – Er ruft!«

Wie ein lang gezogener schneidender Ton schien aus weiter Ferne ein pfeifender Laut hereinzudringen durch die Oeffnung der Jalousieen..

Die Augen schließend, riß er sich los aus den umstrickenden Armen, und empor, dem Ausgange zustürzend, der hinaus führte auf den schmalen Gitterbalkon, hängend über den Tiefen des Sees.

Mit einem Sprunge, wie die Löwin, der man ihr Junges raubt, war die Mirditin empor und warf sich ihm entgegen quer vor den Ausgang, die Hände zu ihm emporgestreckt, das glühende Auge wild auf das seine gebannt. Weithin war die verhüllende Decke geschleudert – wie sie dem Bade entstiegen – in allem Geheimniß des himmlischen Leibes lag sie vor ihm.

Seine Sinne dunkelten – das Gedächtniß, – jede Erinnerung der Männerbrust schwand – nur seine Augen lebten noch –

Und der starre dämonische Strahl der ihren schien sich aufzulösen in weiche schmelzende Akkorde, der drohende Tigerblick wurde zum sanften, schmachtenden, lockenden Frauenauge, und wiederum zischte es sehnsüchtig, betäubend durch die rothen gehobenen Lippen:

»Dschel! Dschel!«

[140] Da beugte er sich nieder und hob die reizende Gestalt des Weibes empor wie leichten Flaum und drückte sie an die keuchende Brust und trug sie auf seinen Armen zurück zum weichen üppigen Lager.

Ihre Hände umschlangen ihn, fest, unauflöslich, wie für Leben und Ewigkeit, und zogen ihn nieder – –

Ueber die Wellen des Skadarsees strich klagend der Windeshauch aus den Schluchten des Sutorman – am Thurme von Skadar zwischen Himmel und Wässern stieg an den Knoten des schwankenden Seils ein bleicher Mann herab und lauschte durch die Nacht nach dem Hilfe verkündenden Zeichen des Freundes! –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Fußnoten

1 Die Heldengedichte und Volkslieder, oft von den Helden, die sie feiern, selbst verfaßt. Sie pflanzten sich im Volke fort und sind jetzt meist in dem seit etwa fünfundzwanzig Jahren erscheinenden Staatskalender von Cetinje: Grlitza (Turteltaube) abgedruckt.

2 Warme Quellen des See's. Man findet hier die obengenannten kleinen Fische oft in solcher Menge, namentlich gegen den Winter, daß, wenn man das Ruder in eine solche Fischbank hineinsenkt, dasselbe aufrecht stehen bleibt.

3 Benennung für den Sultan.

4 Eine im Türkenkrieg zerstörte Veste an der Mündung des Czernojewitsch.

5 Christliche Nymphen, Schutzgeister des serbischen Volkes.

6 Die Deutschen.

7 Die frühere Benennung des Vladika von der schwarzen geistlichen Kleidung, die er den griechischen Mönchen (Kalogeri) ähnlich trug.

8 Junak – ein Tapferer.

9 Der Tod außer der Schlacht wird von diesen Tapferen als das größte Unglück betrachtet; die Verwandten sagen von einem Kranken, der eines natürlichen Todes starb, er sei von Gott, dem großen Mörder, getödtet worden (od boga, starok kronika). Der größte Schimpf, den man gegen einen Montenegriner ausstoßen kann, ist in den einfachen Worten enthalten: »Ich kenne die Deinigen, alle Deine Vorfahren sind in ihrem Bette gestorben.«

10 Eine der neun Plemen (Stämme) der Katunska-Nahia.

11 Bewohner des Südens.

12 des Weiberraubes.

13 Brüderschaft, Gemeinde.

14 Eines der drei Klöster von Czernagora, im jetzigen Kriege von den Türken unter Skender-Beg (Graf Jelinski) erstürmt und geplündert.

15 Vetter.

16 Wiese.

17 Ali Tebelin, der berühmte Pascha von Janina.

18 Streifzug.

19 Kula, befestigter Thurm.

20 Der von den Griechen und Arnauten getragene hemdartige Rock, der vom Gürtel bis auf die Kniee fällt und aus einer Menge künstlich zusammengefalteter Leinenstücke besteht.

21 Der deckenartige weite Mantel, den die türkischen Frauen tragen. Er ist von leichtem einfarbigem Zeug und gleicht einem großen Tuch.

22 Der Teufel.

23 Die südliche Vorstadt Scutari's, an deren Außenseite sich eine Reihe Batterieen befindet, wärend sie durch eine Krümmung des Flusses und eine kleine Ebene von der Stadt selbst getrennt ist.

24 Diener; ihre Zahl richtet sich nach dem Range ihres Gebieters.

25 Polizeidiener.

26 Ruf zum Gebet.

27 Kadi, Mollah: türkische Richter; Kadi-askar, der Oberrichter; Mufti, ein Rechtsgelehrter.

28 Ein türkischer Piaster = 20 Pfennigen.

29 Wir werden sehen.

30 Gott sende ihm Unglück!

31 Schande, Schande!

32 Gott allein weiß es.

33 Ungläubige.

34 Es ist ein Weib!

35 Gruß.

36 Komm!

37 Sieh mich an, Licht meiner Augen, o Du meine Seele!

Die Wölfin von Skadar
[141] Die Wölfin von Skadar.

– – – –

Das leichte Geräusch brechenden Holzes störte die Stille der Nacht – aber nicht die schweren Athemzüge der Schlummernden.

– – –

Dann wieder Alles lauschende Stille.

Sein Haupt ruhte an ihrer schwellenden Brust. Der halb geöffnete Mund des schlafenden Weibes mit den spitzen weißen Zähnen schien noch Triumph zu athmen über den errungenen Sieg. Zwischen den Brauen in der scharf geschnittenen Falte lag die ganze Leidenschaftlichkeit ihrer Seele. – –

Ein Schatten glitt unter dem Teppich hervor – wiederum eine lange Pause – dann legte sich eine kalte Hand auf die glühende Stirn des Griechen.

Eine unwillige Bewegung der Störung – die Lippen murmelten den Namen »Fatinitza«, dann schlief er weiter.

Eine zweite Berührung erweckte ihn. Träumerisch schlug er die Augen empor, in jener schwelgenden Ermattung des Genusses.

Vor ihm stand Gabriel der Zagartschane!

Er wollte emporfahren, die dunkle Gluth der Schaam, des gebrochenen Männereides überfluthete sein Gesicht – doch ernst und schweigend winkte der Czernagorze ihm Vorsicht, auf die lockende Genossin seines Lagers deutend. Dann trat er zurück in das Vorgemach, leise, unhörbar, wie er gekommen, und winkte dem Freunde zu folgen.

Es gelang Nicolas, sich langsam aus den umschlingenden Armen der Türkin zu winden und vom Lager herabzugleiten auf den Boden, ohne daß seine Bewegungen sie erweckten. Einige [142] Augenblicke darauf huschte er in das Nebengemach, wo der Flüchtling stand und aus dem Arsenal an der Wand sich vorsichtig prüfend bewaffnete. Ein Blick zeigte dem Griechen, wie der Kühne hier herein gelangt. Die Jalousie des schmalen Altans war geöffnet, die verdeckenden leichten Gitterstäbe waren an einer Stelle gebrochen.

Der Czernagorze wandte sich zu ihm.

»Zum zweiten Male ist der Ruf des Blutbruders in der Stunde der Gefahr vergeblich nach dem Genossen erklungen; zum zweiten Male fehlte Nicolas Grivas, als Andreas der Zagartschane seiner Hilfe bedurfte. Wird er auch zum dritten Male seine Stimme nicht hören, wird er seinen Kampf theilen um Leben und Freiheit, oder will er ruhen in den Armen der Liebe und den Freund allein sein Heil versuchen lassen?«

Der Jüngling beugte sich beschämt.

»Verdamme mich nicht, Gabriel, meine Seele war umnachtet, mein Wille gelähmt. Ich theile mit Dir Tod und Leben!«

»Wohl! ich danke Dir für die rettende Feile und das Seil, die Du mir gesendet. Aber es war um ein Stockwerk zu kurz und vergeblich schaute ich mich um nach der versprochenen Hilfe. Da lenkten die freundlichen Wila's mein Auge auf diesen Altan, und indem ich mich am Seil hin und her schwang gleich dem Vogel in der Luft, wie ich oft als Knabe gethan, wenn ich die Felsennester der Möwen ihrer Brut beraubt, gelang es mir, die Stäbe zu erreichen und Fuß zu fassen. Das Uebrige weißt Du. Hast Du Deinen Kahn in der Nähe?«

»Ich war gefangen wie Du, heute Abend durch meine Unvorsichtigkeit. Nur die undurchdringlichen Mauern des Kerkers konnten mich fern von Dir halten. Der rettende Kahn liegt mindestens eine halbe Stunde weit außerhalb der Stadt unter den Felsen.«

»Dann giebt es nur einen Weg für uns. Wir müssen schwimmend aus dem Bereich der Festung zu entkommen suchen. Bist Du bereit?«

»Ich bin's!«

»Diese schweren Waffen nützen uns Nichts,« flüsterte der vorsichtige Krieger, »laß uns von uns legen, was uns hindert. Suche wie ich einen leichten Yatagan und birg ihn in Deinem Gürtel.«

Indem der Grieche nach der bezeichneten Waffe faßte, stieß er an eine zweite, und diese fiel klirrend zu Boden.

[143] Erschrocken blickten Beide empor – der Teppich vor dem Zugang des Schlafgemachs wurde zur Seite gerissen, in demselben, wie der Tiger zum Angriff bereit, kauerte das nackende Weib, die gluthsprühenden Augen auf die Freunde gerichtet.

»Verräther!«

Der einzige Laut zischte durch ihre Lippen; mit einem Sprunge warf sie sich nach der Thür, aber der Czernagorze stürzte ihr zuvor und umfaßte mit aller Kraft ihren Leib. Ein wildes Ringen begann zwischen den Beiden, eine übermenschliche Stärke und Geschmeidigkeit schien die Muskeln und Glieder dieser Frau zu stählen, gleich einem Proteus wand sie sich in dem starken Männerarm und rang Brust gegen Brust. Aber kein Laut, kein Ruf der Hilfe entschlüpfte ihren Lippen, nur der keuchende Athem, der zischende Ton der Wuth begleitete diesen Kampf.

An der Thür jedoch scharrte und kratzte es wüthend und immer wüthender. Das grimmige Raubthier witterte die Gefahr, den Kampf seiner Gebieterin, und versuchte, ihr zum Beistand zu eilen.

»Mach' ein Ende! komm zu Hilfe! ich vermag diesen Teufel in Weibergestalt nicht länger zu bändigen.«

Zwei Mal hatte Nicolas Grivas den Stahl für den Blutbruder erhoben gegen das dämonische Weib, das eben noch an seinem Herzen gelegen, – zwei Mal traf ihn mitten in der Furie des Ringens ein kalter verächtlicher Strahl ihres Auges – und Hand und Waffe sanken machtlos nieder. Da, wie ein Ausweg des Himmels, fiel sein Auge auf einen zur Seite am Boden liegenden persischen Shawl, und im Nu hatte er ihn aufgerafft und schlang ihn um Kopf und Schultern des Mädchens. Gabriel hob sie zugleich empor, im nächsten Augenblick hatte er sie auf das eben verlassene Lager geworfen und keuchend umschlangen Beide die wild sträubenden Glieder mit Tüchern und Decken, wie die Hand sie erreichen konnte, und zogen die Knoten um sie fest. Auch jetzt noch entfloh kein Schrei ihrem Munde, nur das Athmen der Wuth vernahmen sie durch das dicke Gewebe des den Kopf umhüllenden Shawls.

Aber draußen am Eingange des Gemaches tobte und wüthete es fort, mit gewaltiger Kraft sprang der Wolf an der Thür empor und stieß ein klagendes Geheul aus, daß es weit durch die Räume des alten Gemäuers scholl.

[144] Gabriel riß den Freund mit sich fort, der zitternd auf das Werk seiner Hände schaute, die gebundene verhüllte Gestalt, die jetzt ruhig und bewegungslos, gleich als erkenne sie das Nutzlose jedes weiteren Sträubens, auf den Kissen lag.

»Sie stirbt! sie erstickt!«

Doch der Czernagorze drängte ihn zum Altan.

»Was kümmert uns ein Weiberleben! Hinunter! Hörst Du nicht, daß von dieser Bestie Geheul schon die halbe Feste in Allarm ist? Mir nach, Blutbruder, und die Heiligen seien uns gnädig!«

An der Pforte donnerten Waffen und Hände, – unter den gewichtigen Schlägen sprangen die Riegel – –

Mit weitgestrecktem Sprunge warf sich der Czernagorze vom durchbrochenen Altan hinab in die dunkle Fluth, im nächsten Augenblick folgte ihm der Grieche.

– – –

Als Beide emportauchten, glänzte heller Lichtschein von der Oeffnung des Balkons über die Fläche des Wassers – im Umwenden glaubte der Jüngling Gestalten darauf zu sehen, darunter einen weißen fliegenden Mantel, einen Moment nachher blitzte ein Schuß, die Kugel fuhr über ihnen hin in's Wasser.

»Nieder!« rief der Czernagorze ihm zu, »halte Dich rechts!« Und die Schwimmer sanken auf's Neue fast auf den Grund und strichen weit aus.

Als sie Luft zu schöpfen nochmals emportauchten, waren sie außer dem Bereich der augenblicklichen Gefahr, aber weit entfernt davon, gerettet zu sein. Die Richtung, die sie zu nehmen gezwungen worden, führte sie hinaus in den See. In den verlassenen Festungswerken wurde es lebendig, Lichter bewegten sich an den Oeffnungen hin und her, ehe sie noch zehn Minuten weiter getrieben waren, auch am Strande, und ein Kanonenschuß donnerte über die Fläche des Wassers, Allarm rufend und die Schildwachen zur Aufmerksamkeit mahnend.

Mit allen Kräften griffen die beiden rüstigen Schwimmer aus, denn sie wußten, daß jede Minute Verlust war, und daß es um Tod und Leben gälte, so rasch als möglich über den Rayon der Festungsmauern hinaus zu gelangen, ehe sie auf dem Wasser verfolgt werden könnten, und den verborgenen Kahn zu erreichen.

Aber die Kleider, deren sie sich nicht hatten entledigen können, [145] zogen immer schwerer und schwerer und hinderten ihre Anstrengungen, und die Kräfte des Czernagorzen waren durch die Entbehrungen der Haft geschwächt. Rüstiger schwamm der junge Grieche, an der See geboren und Herr des Elements, und ermunterte den Freund zu neuen Anstrengungen.

Doch weit rechts noch lag das rettende Ufer und kaum noch war Zuflucht dort zu hoffen, denn in kurzen Zwischenpausen dröhnten die Allarmschüsse fort.

Gabriel war ermattet.

»Rette Dich selbst, Blutbruder, und grüße Stephana und die schwarzen Berge!«

Er sank; aber der Grieche war hinter ihm d'rein und hob ihn empor.

»Bei der gebenedeieten Mutter Gottes von Ostrog,« flehte er, »verliere den Muth nicht, Hilfe ist nahe – ich höre Stimmen!«

Und gleichsam als Antwort auf den Scheidegruß des tapfern Czernagorzen hallte sein Name durch die Nacht über die Wellen, und hinterdrein klang der Schlachtruf der Familie Martinowitsch, ihr heilig' Erbtheil seit der Mordnacht der Weihnachten von 1703: Sve Oslobod 1!

»Hier Czernagora!« tönte der Gegenruf des Griechen, wie er sich aus den Wellen hob. Triumph! Rettung! Durch die Nacht strich ein weißes Segel daher – ein jubelnder Schrei klang vom dunklen Bord, – Arme streckten sich nach ihnen aus – das waren Freunde.

Am Steuer stand der alte Beg, Hassan und der Vetter arbeiteten wie rasend an den Rudern – Stephana's, Bogdan's Arme streckten sich den Schwimmenden entgegen.

»Muth!«

In der nächsten Minute hob Nicolas den erschöpften Freund über den Rand des Bootes in die Arme seines Weibes und warf sich selbst ihm nach.

»Wendet! Fort!«

Erschöpft lagen die Beiden auf dem Boden des rettenden Fahrzeuges, das unter dem kräftigen Druck des Alten sich von der Festung ab- und den Bergen zuwandte.

[146] Stephana's Angst und Ungeduld hatte die Hilfe gebracht, indem sie den alten Beg bewog, mit dem Boote während der Nacht sich den Festungswerken zu nähern, statt an der bestimmten Bucht des östlichen Ufers des Kahns mit den glücklich Entkommenen zu harren. Als der erste Allarmschuß über den See donnerte, wußte die Familie, daß die Flucht vollzogen, und der kühne Eifer trieb sie vorwärts, die eigene Gefahr verachtend.

So war die Hilfe im glücklichen Augenblick erschienen.

Die Czernagorzenfrau bedeckte den Gatten mit ihren Küssen. Im schwarzen Hochland sind die Weiber treu und voll aufopfernder Liebe. Obschon sie wegen ihrer wunderbaren Thatkraft von ihren Männern zu den schwersten Arbeiten gebraucht werden, erleidet ihre Stellung dadurch doch keine Erniedrigung, und die Frau ist in moralischer Hinsicht keinesweges bloß das Spielzeug des Mannes, wie dies nur zu oft in civilisirten Ländern der Fall ist. In Czernagora ist das Weib wahrhaft unverletzbar; Fleiß, Keuschheit und Muth sind die drei schönen Tugenden, die sie zieren. Darum vertraut sie sich auch ohne Bedenken selbst dem Fremden, in der Gewißheit, daß er sich keine Unziemlichkeit gegen sie erlauben werde. Wagte er es dennoch, ihre Schaamhaftigkeit zu verletzen, so würde der Tod des einen oder des anderen Theils die gewisse Folge davon sein. Ein czernagorzisches Mädchen liebt nur in der Aussicht auf Heirath, den treulosen Verführer aber trifft der Tod.

Diese heilig bewahrte Schaam und Sitte des Volkes wird das Furchtbare der nachfolgenden Scenen charakterisiren.

Ueber dem Wiedergewonnenen hinweg reichte Stephana dem Griechen die Hand und konnte nicht enden in lobpreisenden Dankesworten für seine That. Auch der alte Beg und die Andern bezeugten ihm Dank und Achtung für die bewiesene Aufopferung und Treue, und mehr als ein Mal drohte das Gefühl bitterer Schaam ihn zu überwältigen. Das war um so lastender der Fall, als der alte Glaware 2 den Hergang der Flucht zu wissen verlangte, und Gabriel, der sich an der Brust des treuen Weibes erholt hatte, eilig das Wort ergriff, den Freund aus der Verlegenheit zu ziehen, und der Familie kurz erzählte, wie Nicolas ihm Feile und Strick gesandt hatte, wie er verhindert worden sei, mit dem Kahne zu seinem Beistande zu erscheinen, und nun mit ihm [147] zusammen schwimmend die Flucht versucht habe, daß diese aber durch einen Zufall zu früh entdeckt worden und ihre Verfolgung nach sich gezogen.

Die Berathung, wie dieser am besten zu entgehen, nahm jetzt Aller Aufmerksamkeit in Anspruch. Der alte Beg war der Ansicht, daß sie jeder Gefahr glücklich entgangen seien, da der Pascha von Scutari schwerlich um der Flucht eines einzelnen Gefangenen willen viel Aufhebens machen und außergewöhnliche Mittel zur Verfolgung in Bewegung setzen würde. Gabriel und Nicolas jedoch schauten einander bedenklich an und waren der Meinung, man dürfe keine Anstrengung versäumen, um so rasch als möglich die czernagorzischen Ufer zu gewinnen. Ohne den Namen der Wölfin von Skadar auszusprechen, wußte der Grieche doch seine Besorgniß auch Stephana mitzutheilen, und sie gewann um so mehr Begründung, als die Gesellschaft bald darauf von der Höhe des Thurmes, dessen Kerkern Jene so glücklich entronnen waren, ein mächtiges Feuerzeichen emporlodern sah, ein Signal, das sonst gewöhnlich nur bei den Kriegsüberfällen üblich war, um den verschiedenen Posten entlang der Seeufer die Anwesenheit des Feindes zu melden. In Zeit von einer halben Stunde stammten links nach Antivari hin und rechts gegen das Hochgebirge bereits mehrere ähnliche Feuer an den beiden Ufern und verkündeten die Aufmerksamkeit in den verschiedenen Kastells.

Der See von Skadar hat eine Länge von nahe an sieben Meilen bei einer wechselnden Breite von etwa zwei. Nur das nördliche und nordwestliche Ende, an dem sich die Moratscha und der Czernojewitsch in den See ergießen, wird von Czernagora selbst begränzt, und zwar im Norden von der Rietschka Nahia, im Nordwesten von der Czernitza Nahia. Die nördlich gelegenen Inseln gehören, wie bereits erwähnt, zwar zum Gebiet von Montenegro, sind aber nur zu Zeiten, namentlich während des Fischfanges, bewohnt. Man beschloß daher, die rechte Seite des Sees zu halten und die Ufer der Rietschka zu gewinnen, der heimischen Nahia des Alten, wo sein Ruf im Augenblick die Männer der zunächst wohnenden Plemen im Fall der Bedrohung herbeiführen konnte.

Nachdem man dies gethan, wurden die Wachen bestimmt, um stets mit erneueten Kräften an den Rudern arbeiten zu können. Der alte Beg erklärte, das Steuer nicht verlassen zu wollen, – seine eisernen Muskeln widerstanden jeder Anstrengung.

[148] Die erste der Wachen hielten der Grieche, Hassan Lekitsch der Arnaut und der Vetter, Iowan genannt. Die beiden Letzteren waren an den Rudern beschäftigt, der Erste hielt das Seil des Segels, das sich noch immer lustig im beginnenden Morgenwinde blähte. Es mochte jetzt zwei Uhr nach Mitternacht, oder die vierzehnte Stunde des Tages, wie man auch hier nach italienischer Sitte rechnet, sein, und über die Bergspitzen begann der erste Schein der Dämmerung zu brechen, während noch die tiefen Schatten der Nacht über dem See lagen.

Der Einäugige summte leise in jener unangenehmen monotonen Sangesweise der griechischen und orientalischen Stämme die Piesme vor sich hin, welche den Zug des Czernojewitsch Iwo zum Dogen des großen Venedigs und die Hochzeit des falschen Stanischa, des schönen Wojwoden von Dulcigno, Obrenowo Djuro, mit der Tochter der Inselstadt meldet, wie die Rache des echten Bräutigams und seine Flucht nach Schabljack.

Grivas dagegen träumte von der schrecklichen Scene, der er entronnen. Vor seinen geschlossenen Augen stand mit dem flammenden, verächtlichen, rachesprühenden Blick die Wölfin von Skadar. Dazwischen kehrte in seine Erinnerung das schwelgende Bild ihres Reizes zurück, und er beugte, im Innern vernichtet und von widerstreitenden Gefühlen zerrissen, das Haupt.

Die zweistündige Wache mochte zu Ende sein, – die Sonne war bereits aufgegangen und ihre Strahlen brachen durch die Schluchten der im Osten sich emporstreckenden Bergkämme, als Hassan den Hellenen aus seinem Hinbrüten weckte und ihm einen Wink gab, sich umzuschauen.

»Blicke mein griechischer Bruder nach der Seite, wo die Sonne sich in's Meer senkt, und sage mir, was er über den leichten Nebeln sieht, die dort noch das Ufer verhüllen. Der junge Falke der Maina hat scharfe Augen!«

Grivas schaute angestrengt nach der angedeuteten Stelle.

»Das ist sicherlich ein dunkler Rauch, welcher sich über die Nebel bewegt. Sollten wir so nah' einer der Inseln sein und dort Beistand finden?«

»Mein Bruder täuscht sich. Siehst Du nicht, daß der Rauch sich bewegt?«

»Was habt Ihr? Nach was späht Ihr aus?« unterbrach sie der Beg.

[149] »Birschik jok 3! wir werden nur verfolgt,« entgegnete gleichmüthig der Arnaut. »Der Bey hat jenes höllische Schiff uns nachgesandt, das der Scheitan erfunden und das allein läuft, ohne Segel und Ruder.«

»Du meinst ein Dampfschiff?«

»Ne apalum, was kann ich thun? Der Bey hat von den Franken seit dem Kriege das Schiff machen lassen, und er hat Leute, die es führen.«

In der That war in dem letzten Kriege die Nothwendigkeit rascher Verkehrsemittel immer dringender an den Tag getreten, und die türkische Regierung hatte auf die Vorstellungen Omer Pascha's eines der kleinen eisernen Lustdampfboote, welche zwischen dem Bosporus und Constantinopel fahren, nach Dulcigno gesandt, wo es von französischen Maschinisten auseinander genommen und die Bojana aufwärts bis Scutari transportirt, dort aber wieder zusammengesetzt worden war. Den Czernagorzen war zwar die Beschaffenheit und Schnelle der Dampfschiffe nicht mehr unbekannt, da sie von der Höhe ihrer Berge fast täglich dieselben die schöne Adria durchziehen sehen können, doch war eben der türkische Dampfer auf dem nördlichen Theil des Sees noch zu wenig benutzt worden, um ihnen weitere Besorgniß einzuflößen, und der Grieche hatte bei der aufgeregten Stimmung seines Gemüths wenig oder gar nicht auf die Anwesenheit des Schiffes zwischen den Festungswerken von Scutari geachtet.

Jetzt wurde ihm jedoch die Gefahr, die sie bedrohte, im Augenblick klar und er setzte sie dem alten Krieger deutlich und rasch auseinander. Während Gabriel und Stephana, die Arm in Arm im Vordertheil des Bootes schliefen, und der junge Martinowitsch geweckt wurden, verzogen sich die letzten Nebel und man erblickte deutlich den Dampfer in Entfernung von kaum noch einer Meile in südwestlicher Richtung hinter den Flüchtenden, doch offenbar seinen Cours am westlichen Ufer entlang haltend.

Grivas und Gabriel begriffen sehr wohl, daß man bei der Entdeckung der Vorbereitungen zu ihrer Flucht auch überzeugt gewesen sein würde, selbst wenn man dasselbe später nicht bemerkt haben sollte, daß ein Fahrzeug der Flüchtigen in der Nähe harre, und daß ihre Flucht demnach zu Wasser fortgesetzt werde. Wäre [150] es den Beiden gelungen, in der beabsichtigten Weise um Mitternacht zu entkommen, so konnte die Flucht nicht vor dem nächsten Morgen bemerkt werden, und dann waren sie außer dem Bereich jeder Verfolgung.

Jetzt war es freilich anders. Die Richtung des Dampfers, der offenbar mit voller Kraft fuhr, zeigte die Absicht, die Flüchtigen, wenn sie sich nach der Czernitza Nahia gewandt haben sollten, vorher zu erreichen, oder im entgegengesetzten Fall sie von diesem näher belegenen Ufer Montenegros abzuschneiden und nach der andern Seite, dem türkischen Gebiet, zu drängen.

Offenbar konnte man in dieser Entfernung noch nicht das kleine Boot bemerkt haben und es galt, dies wo möglich zu verhindern. Eine kurze Berathung folgte, ob man das leicht verrathende Segel einziehen und sich nur auf die Kraft der Ruder verlassen, oder den noch immer günstigen Morgenwind benutzen sollte. Beides war gefährlich, denn kaum die Hälfte des Weges war zurückgelegt. Der Beg entschied sich für die weitere Benutzung des Segels, da ohnehin die erste der zu Montenegro gehörenden Inseln, Stavena, bereits vor ihnen lag und man hoffen durfte, an ihrer Wetterseite der Beobachtung des Feindes zu entgehen. Alle halfen an den Rudern und bald schoß das Boot unter den Felsenufern der Insel dahin.

Der Beg wandte das Steuer noch mehr nach Osten und so gelang es ihnen, anscheinend unbemerkt nach weitern zwei Stunden des Ruderns, während dessen der Morgenwind erstorben war und man das Segel eingezogen hatte, die zweite der Inseln, Sanct Nicolaus, anscheinend unbemerkt zu erreichen. Das Dampfschiff war unterdeß weit heraufgekommen und hatte den Fahrstrich des Bootes bereits überholt, hielt sich aber immer noch am jenseitigen Ufer. Hier unfern der nördlichen Spitze der Insel, in einer kleinen ziemlich geschützten Felsbucht beschloß der Beg, Halt zu machen und den Tag zu verbringen; denn da sich über die Insel hinaus der See bedeutend verengt, wäre es fast nicht möglich gewesen, der Aufmerksamkeit der Verfolger ferner zu entgehen, während wenn diese, wie zu erwarten stand, ihren Weg fortsetzten, die Flüchtlinge ganz ungestört hier sich verborgen halten und das schützende Dunkel der Nacht abwarten konnten.

Das Boot lag gesichert in der Felsenbucht, in seinem Innern ruhten die Männer von der Anstrengung des Morgens und der [151] sich steigernden Hitze des Tages. So vergingen mehrere Stunden, ohne daß sie belästigt wurden. Bogdan, zuerst als Späher auf eine der Felsspitzen geschickt, hatte berichtet, daß das Dampfboot hinter der letzten der Felseninseln, Morakowitsch, verschwunden sei. Das hohe Ufer verhinderte ihn, zu bemerken, daß der Dampfer, nachdem er einer Barke begegnet war, von der er die Kunde erhielt, daß kein Boot aus dieser Seite des Sees entkommen sein konnte, an der letzten Insel hielt und Bewaffnete aussetzte, um dieselbe nach den Flüchtlingen zu untersuchen.

Gabriel hatte jetzt die Wache und war an's Ufer gestiegen; die Gesellschaft saß nach ihrem einfachen Mahl, aus der trocknen Castradina und Maiskuchen bestehend, noch immer im Kahn, um jeden Augenblick bereit zu sein. Nur der alte Beg hatte seltsamer Weise den Antheil an der Speise von sich gewiesen, er saß still in sich gekehrt, mit starrem Blick, gleich als habe er ein zweites Gesicht, und summte wieder leise die Piesmen seines Stammes vor sich hin, deren so manche die Thaten seiner eignen Jugend feierten. Plötzlich fuhren Alle empor bei dem nahen Knall eines Schusses. Wenige Angenblicke darauf stürzte in kühnen Sprüngen von Fels zu Fels Gabriel bleich und blutend zur Bucht, noch ehe seine Stimme sie erreichen konnte, zur Flucht winkend. Im Nu war Alles in Bewegung, das Boot abgestoßen und dem Eingang zugetrieben. Hier, wo die Ufer zusammentraten, sprang Gabriel in das Fahrzeug.

»Fort, fort, um aller Märtyrer willen, die Ungläubigen sind uns auf der Spur! Sie sind zurückgekehrt und durchsuchen die Insel; ein Trupp hat mich entdeckt, als ich nach dem Schiff spähte.«

Mit erneuter Kraft warfen sich Alle auf die Ruder, auch Gabriel, dem die Kugel nur leicht die linke Hüfte gestreift hatte. Das Boot flog in das freie Gewässer, aber ein wildes Jauchzen, der Knall vieler Gewehre verkündeten ihnen, daß sie auch bereits entdeckt worden.

Während der rasenden Arbeit sich umschauend, erblickte Grivas auf der Höhe der Felsen die Verfolger, drohend die Gewehre durch die Luft schwingend, deren Kugeln die Flüchtlinge nicht mehr erreichen konnten; unter den Gestalten der Männer den wehenden Feredschi einer Frau. Ihr ausgestreckter Arm deutete nach der Küste, ihre Befehle jagten die Arnauten nach allen Seiten.

[152] Fatinitza, die Wölfin von Skadar, Fatinitza die Rächerin, war auf ihrer Spur!

Die Lage der Verfolgten war noch immer keine so verzweifelte, als es im ersten Augenblick geschienen hatte. Durch den Zeitverlust, den ihre Gegner nothwendig beim Wiedereinschiffen auf den Dampfer und das Herumbringen desselben um die Ausbuchtungen der Insel erleiden mußten, war ihnen ein bedeutender Vorsprung gesichert. Ueberdies ist dieser Theil des Sees wegen der vielen aus dem Grunde sich erheben den Felsen und Klippen schwieriger für größere Schiffe zu befahren. So gelang es den Verfolgten denn wirklich, die Ostseite der dritten Insel zu erreichen, während die Türken, denen die Schwierigkeiten des Fahrwassers gleichfalls bekannt waren, an der Westseite des langgestreckten Eilands hinfuhren, um an dessen Spitze im freien Wasser den Czernagorzen den Weg zu verlegen.

Ueber die Felsen der Insel hin konnten die Verfolgten die Rauchsäule des Schiffes bereits in gleicher Linie mit ihrem Boot streichen sehen, als der alte Glaware das Steuer wandte und quer über den Seearm nach einem Vorgebirge des östlichen Ufers abhielt. Auf seinen Wink strengten Alle ihre Kräfte an den Rudern auf's Neue an und das Boot flog über die Wellen. Die Entfernung der Insel vom Ufer betrug hier eine starke halbe Meile. Während das Dampfboot etwa in gleicher Entfernung um die Nordspitze der Insel bog und die weitere Flucht nach der noch anderthalb Meilen entfernten Mündung des Czernojewitsch – dem sichernden Ufer der Rietschka Nahia – versperrte, war das Boot der Czernagorzen bereits auf Büchsenschußweite am Ufer und näherte sich einer Einbuchtung, als aus dem Gestein des Ufers plötzlich leichte Rauchwolken emporkräuselten und Schüsse ihnen entgegenblitzten. Zwischen den Felsen zeigten sich die weißen Pferde der Albanesen, Posten erschienen auf den Vorsprüngen.

»Das Segel auf!« befahl der Beg, dessen eines Auge in dieser von Minute zu Minute sich mehrenden Gefahr wieder kühn und fest umherblitzte. »Gelingt es uns, das Vorgebirge zu umfahren, ehe jenes dem Teufel verschriebene Schiff heran kommt, so gewinnen wir das Ufer. Diese Kinder des schwarzen Hundes sollen die freien Söhne der Berge nicht fangen, denn um auf jene Seite des Vorsprungs zu gelangen, brauchen sie Zeit.«

[153] Die Moslems auf dem Dampfschiffe begriffen zwar das Manöver der Flüchtlinge, doch war es ihnen nicht möglich, vor diesen das Vorgebirge zu erreichen, und nach einer rasenden Anstrengung von etwa zehn Minuten schoß das Boot gesichert zwischen den Klippen der nördlichen Seite hin, um sich eine bequeme Landungsstelle zu suchen, während ohne Resultat mehrere Karonadenschüsse vom Bord des Dampfers nach ihnen abgefeuert wurden.

Als das Boot das Ufer berührte, das noch von keiner Wache des Feindes besetzt war, sprangen Alle eilig heraus, das Fahrzeug seinem Schicksale überlassend und eilten nun, ihre Waffen mit sich nehmend, in die Schluchten der Zenta.

Jowan, dem diese Gegend von früheren Fischerfahrten bekannt war, machte hier den Führer. Sie waren ungefähr eine Viertelmeile diesseits der kleinen Feste Zabljak gelandet, die in den Kriegen zwischen Montenegro und den Türken von Alters her eine so bedeutende Rolle gespielt und auch zu Anfang des letzten Krieges von den Czernagorzen wieder genommen und beim Abzug am 25. December zerstört worden war.

Seit dem geschlossenen Frieden hatte man zwar versucht, die Befestigungswerke wieder herzustellen, doch war dies erst zum geringen Theil gelungen und nur ein kleiner Posten hielt sie besetzt, so daß man hoffen durfte, ohne Gefährdung sie zu umgehen, wenn nicht vorher schon der Befehl zu ihrer Verfolgung dort eingetroffen. Von der nächsten Höhe, die sie gewonnen, sahen sie jedoch, daß das Dampfschiff jetzt seinen Lauf nach der halbzerstörten Feste genommen und sie beinahe erreicht hatte. Es galt demnach, sich tiefer in das Gebirge zu werfen, um auf dem Umweg das von Zabljak noch eine starke Meile entfernte Gebiet von Montenegro nach Ueberschreitung der Ziewna zu gewinnen.

Es war bereits hoch am Nachmittag, als sie hier die Fortsetzung ihrer Flucht begannen und in die Berge östlich von Fabljak drangen, so viel als möglich die Richtung nach Norden beibehaltend, um sich ihrem Ziel zu nähern. Aber ihre Vorsicht und ihr Muth waren vergeblich, denn die Furie, die auf ihren Fersen war, verstand zu wohl ihren Vortheil, um ihnen Zeit und Raum zum Durchbruch zu gönnen, und fand in einer vor wenigen Tagen von Podgoritza her in die kleine Feste eingerückten Reiterabtheilung neue Hilfe. Der Offizier ihres Vaters, welcher mit einem Haufen wilder Albanesen sie auf dem Dampfer begleitet hatte, war ihrem [154] Willen blindlings gehorsam, und ehe eine Viertelstunde nach der Landung vergangen war, flogen ihre Boten bereits nach den Reiterposten, welche durch die schnellen Sendboten des Paschas von Skadar her entlang der ganzen Küste des Sees noch während der Nacht und des Morgens zum Fange der Flüchtigen aufgeboten worden waren, und deren nächster jenseits des Vorgebirges bereits die Czernagorzen an der Landung verhindert hatte. Zugleich brach ein starker Hause aus der Feste auf, um das Ufer der Ziewna und Moratscha zu besetzen und so den Füchtigen den Weg abzuschneiden.

Die Folgen zeigten sich bald. Als der kleine Trupp der Czernagorzen gegen Abend, von dem Beg geführt, aus den Bergen brach, um den ersten Fluß zu überschreiten, wurden sie vom Ufer her mit Flintenschüssen empfangen, und selbst die tollkühne Tapferkeit des greisen Führers mußte die Uebermacht der Gegner anerkennen und ihr weichen. Unter einer alten Steineiche sammelten sich die Sieben und hielten Berathung, während immer drohender das Netz der Verfolger sich um sie zusammenzog.

»Die Stunde ist gekommen,« sprach feierlich der alte Glaware, »da wir Bog, dem großen Würger, gehorchen müssen. Wir wollen kämpfen und sterben, wie unsere Väter gethan. Das Haus Iwo's wird untergehen in diesen Bergen.«

»Du redest weise und recht, Vater,« sagte Gabriel, »aber bedenke, ob es nicht möglich ist, uns hier auf irgend einem festen Punkt zu halten, bis uns Hilfe käme von unsern Stammverwandten. Der erste Flintenschuß eines Moslems weckt hundert Mal das Echo an den schwarzen Felsen von Czernagora.«

Der Alte schwieg brütend.

»Weiter hinauf im Gebirg,« sprach Jowan, »steht die Kula, die früher einem Gliede der Gradjani gehörte, das in's Niederland gezogen war. Wenn wir sie erreichen, können wir einem Angriff widerstehen. Nur den Boten gilt es zu unseren Brüdern zu finden.«

Der Greis blickte ihn finster an. »Willst Du den Glawaren der Martinowitsch lehren, was er auf diesem Felde zu thun hat, das sein Fuß hundert Mal im Kampfe durchmessen, ehe Du den eigenen Namen lallen konntest? Was geschehen soll ist beschlossen. Höret!«

Alle drängten sich um ihn.

Der Einäugige nahm den schrecklichen Mumienkopf von seinem [155] Halse und betrachtete ihn. »Namik Halil, mein Todfeind, ich sende Dich jetzt, um das Blut derer zu retten, die Du im Leben gehaßt und verfolgt hast, denn unversöhnlich ist die Rache der Martinowitsch. – Gabriel, mein Sohn durch den Leib meiner Tochter, nimm Abschied von Deinem Weibe, denn sie und das Kind« – er deutete auf Bogdan – »werden den Gang wagen, um die Krieger der Rietschka zu wecken mit der Botschaft ihres alten Führers.«

»Vater!« baten Stephana und der Jüngling erschrocken.

»Still! die Kinder der schwarzen Berge wissen zu gehorchen, wenn der Glaware ihres Hauses spricht. Ihr Beide werdet Euch hier unter dem Felsen verbergen, bis der Schatten der Nacht hereinbricht. Dann werden die Feinde fern sein auf unserer Spur und Ihr könnt ungehindert davon schleichen. Du, Bogdan, eilst zu den Kula's der Lubotini und Kozieri und rufst sie zu den Waffen; Du, Stephana, bringst dies Haupt zu den Wohnungen unserer Brüder, der Gradjanen 4, an den Ufern der Czernojewitsch und sagst ihnen, Iwo Martinowitsch sende es zum Zeichen, daß er des Knalls ihrer Flinten benöthigt sei in der Stunde der Gefahr. Die Frauen wandern frei durch diese Berge, selbst der Moslem ehrt ihr Recht, und die Gefahr ist gering für Dich. Wäre es auch anders – Du bist aus dem Blut meines Stammes. Sagt den Männern der schwarzen Berge, in der verlassenen Kula des Popowitsch Gradjani würden sie uns finden, mit unserm schnellen Blei die Ungläubigen zu Boden streckend. Wenn Ihr Euch eilt, kann die Hilfe zur Stelle sein, ehe die Sonne ihren Strahl über die Berge der Zenta auf die grünen Wellen des Sees wirft. Ich habe gesprochen! Die Wila's mögen Euch und uns gnädig sein!«

Alle wußten, daß gegen die Entscheidung des Beg keine Einrede galt. Auch war der Auftrag, der den Beiden geworden und bei dem vielleicht dessen selbst unbewußt der Glaware von dem geheimen Wunsch mit geleitet sein mochte, sein Blut und seinen Namen zu erhalten, offenbar weniger gefährlich, als die Aufgabe, [156] die den Männern blieb. Stephana, das grausenvolle Sendzeichen des Vaters in ihre Schürze bergend, und der junge Bogdan knieeten vor dem Familienhaupt nieder, seine Hand küssend; der Greis machte in jener eigenthümlichen Weise der griechischen Völker mit seinem linken Daumen segnend das Zeichen des Kreuzes über sie und entfernte sich rasch. Stephana warf sich an die Brust des nur eben wieder gewonnenen Gatten und schien sich kaum von ihm losreißen zu können. Aber die drängende Gefahr gewährte hier keine Zeit und die Czernagorzenfrau wußte deren Werth zu schätzen. Noch im Arm ihres Mannes reichte sie dem Griechen die Hand und bat ihn, den Geliebten nicht zu verlassen. Dann verschwand sie rasch mit dem Bruder in eine ginsterbedeckte Felsenspalte, während die Männer dem Beg nacheilten.

Schweigend setzten diese einige Zeit ihren Weg fort, absichtlich an einer geeigneten Stelle sich einem im Thale unten bemerkten Posten der Verfolger zeigend, was von diesem mit einigen nutzlosen Schüssen beantwortet wurde. Nach einer weiteren halben Stunde gelangten sie aus eine sich in leichter Abdachung nach Süden senkende Vergebene, zum Theil mit Gebüsch und wilden Kastanienbäumen besetzt, auf der, an eine schützende hohe Felswand gelehnt, die halbzerstörte Kula stand, die sie zu ihrem Zufluchtsort erwählt hatten. Dieselbe war ein viereckiges thurmartiges Gemäuer von Kalksteinen, in der Hauptmauer noch wohl erhalten und nur das obere Stockwerk mit dem Gebälk eingestürzt. Kein Feind war zu sehen, und rasch nahmen sie von der Ruine Besitz, häuften Schutt und Balken vor den Zugang und machten die schmalen Fensteröffnungen in den dicken Mauern für die Vertheidigung frei. Der Platz bot für kühne und standhafte Männer einen nicht üblen Zufluchtsort, und Alle empfanden dies, als sie nach rasch vollendeter Arbeit sich um den Häuptling am Boden lagerten und nochmals ihre Waffen untersuchten, während Jowan an einer der Schießscharten scharfen Auges Wache hielt über die Umgebung.

Die Sonne begann bereits hinter den jenseitigen Bergspitzen zu verschwinden, als der Czernagorze das Zeichen gab, daß die Feinde nahten. Im Augenblick waren alle Fünf auf ihrem Posten, alle mit den langen Flinten des Hochlands bewaffnet, da Bogdan die seine, als am raschen Lauf ihn hindernd, an Gabriel gegeben hatte. Ein ziemlich starker Trupp berittener Arnauten sprengte [157] die Bergebene herauf und machte etwa zwei Büchsenschüsse von dem Gemäuer Halt. Offenbar glaubten die Türken, daß sie auf der Spur ihrer Gegner seien, denn sie prüften sorgfältig die ganze Fläche, jedes Gesträuch, jedes Felsenversteck durchspähend und bald nahte ein kleiner Haufe den Ruinen der Kula, mißtrauisch die Verrammelung des Zugangs betrachtend, die Waffen zum augenblicklichen Gebrauch in Händen.

Der greise Beg ließ sie bis auf etwa sechszig Schritt herankommen, dann stieß er mit seiner donnernden Stimme den gefürchteten Schlachtruf seiner Familie aus und gab Feuer. Gabriel, Grivas, Jowan und auch der Arnaut Hassan folgten seinem Beispiele, und drei der Reiter stürzten von den Pferden, während die Andern erschrocken Kehrt machten und davon sprengten, der Eine gleichfalls verwundet im Sattel schwankend. In wenigen Augenblicken waren unter dem tobenden Allahruf die Türken außerhalb der Schußweite unter den Kastanienbäumen versammelt, die Pferde wurden gekuppelt und angebunden, während zwei der Reiter mit der Kunde davon jagten, daß die Flüchtigen gefunden seien, und der Führer der Schaar vertheilte seine Leute über die Fläche, von allen Seiten das Gebäude im weiten Halbkreise umgebend.

Während die kurze Dämmerung, die im Süden Tag und Nacht scheidet, hereinbrach, begann das Gefecht, und die Schüsse der Plänkler knatterten munter gegen die Oeffnungen des Gemäuers, aus dem hin und wieder ein Schuß aus den langen Flinten der Czernagorzen antwortete, wenn Einer oder der Andere der Moslems unvorsichtig sich zu weit vorwagte. Der Schein des Vollmonds, der den ersten Theil der Nacht erhellte, zeigte klar alle Gegenstände rings umher. Plötzlich übertönte ein wilder Jubelruf der zurückgebliebenen Türken das einzelne Knallen der Flinten. An der Spitze eines zweiten Trupps heran jagte eine Frau im weiten, weiß durch die Nachtluft flatternden Mantel, den Schleier um das Haupt gewunden, die Büchse in der Hand, im Gürtel Pistolen und Handjar, – vor dem weißen Araber her in mächtigen Sprüngen mit gesträubtem Haar der Wolf, ihr Begleiter.

Um das Pferd der kühnen Reiterin sammelte sich die Schaar, Befehle flogen von ihren Lippen nach rechts und links, in drei Haufen theilte sich der wohl an fünfzig Mann starke Trupp, und langsam, lautlos rückten sie jetzt von drei Seiten gegen den Thurm.

[158] »Bei Allah!« sagte Hassan zu den Kampfgefährten, »wir werden einen schweren Stand haben. Kennt Ihr den Teufel in Weibergestalt, der sie zum Angriff führt? Es ist Fatinitza, die Wölfin von Skadar, von der das Volk erzählt, daß sie das Blut ihrer Feinde trinkt. Es ist unser Kismet 5, hier zu sterben.«

Der alte Beg grinste in teuflischem Hohnlachen.

»Ist es die Wölfin von Skadar, so will ich sie fällen, wie das Thier, dessen Namen sie führt!«

Die Flinte lag an seiner Wange, der Finger berührte den Drücker, doch vergebens schnappte der Hahn auf die Pfanne, das Gewehr versagte, – zum ersten Male seit langen Jahren.

Der Greis setzte es erstaunt und abergläubisch zu Boden.

»Bei Bog, dem großen Würger, – sie ist gefeht.«

»Ich sagte es Euch vorher, Beg Iwo! Sie hat den bösen Blick und keine Menschenhand kann sie verletzen. – Aber zur Wehr, Männer; die Krieger des Halbmonds sind über Euch und Allah will es, daß ich gegen die eigenen Brüder fechten soll.«

Der Moslem erfüllte wacker die Pflicht des Gastfreundes. Seine Flinte war die erste, die knallte und einen seiner früheren Kameraden zu Boden streckte. Der Einäugige, Nicolas, Gabriel und Jowan empfingen die auf ein Zeichen der schönen Megäre gegen den Bau Heranstürzenden mit einer Salve. Jede Kugel fand ihren Mann, aber über die Leiber der Fallenden sprangen mit wildem Geschrei die Albanesen vorwärts und das Handgemenge begann an jeder Oeffnung der Mauer. Pistolenschüsse, die Hiebe der Yatagans und der Säbel klangen hin und her; an den engen Oeffnungen der Fenster mit leichter Mühe von Jowan und dem Lekitsch – Khan zurückgeschlagen, drängte sich der Hauptangriff zur weitklaffenden Oeffnung der ehemaligen Thür. Ueber die Balken, Steine und Brandtrümmer versuchten die blutigen Arnauten in's Innere zu dringen, in ihrer Mitte, Allen voran, keine Gefahr scheuend, Fatinitza, während das Geheul des Wolfes grimmig durch das Toben des Gemenges scholl.

»Sve Oslobod!« klang der Kampfruf des Alten, dessen gewichtige Hiebe, wo sie niederfielen, Tod und Verderben brachten, da – als seine Faust mit der schweren Waffe wieder erhoben, warf sich das Mädchen ihm entgegen, ihr dämonisches Auge traf [159] das seine und ihr Handjarhieb seine Stirn, daß er blutig zurücktaumelte.

»Maschallah! Der Sieg ist unser!«

Aber eine Hand erfaßte ihren Arm, als sie hereinspringen wollte in den vertheidigten Raum – eine zweite umschlang ihren Leib, Auge blitzte in Auge, der funkelnde Blick des Weibes und das finstre Auge des Mannes, mit dem sie ihr Lager getheilt, – und weit hin mit gewaltigem Stoß schleuderte er über die Trümmer hinweg die Geliebte, daß ihr Körper den Boden maß und heulend der Wolf sich auf die Gefallene stürzte.

Die rasche That des Griechen entschied den Sieg; die Arnauten ließen bestürzt ab von dem Sturm und eilten zu der Gebieterin, die sie forttrugen; die Schüsse der Czernagorzen, die Luft und Zeit gewannen, jagten die Letzten davon.

Eine Pause schien auf den blutigen Kampf zu folgen. Alle Vertheidiger des Thurms mit Ausnahme des Moslem waren verwundet und verbanden jetzt die leichten Verletzungen, so gut es gehen wollte, sich der auf den Charakter und die Sitte ihrer Gegner gegründeten Hoffnung hingebend, daß das Mißlingen des ersten Anlaufs ihnen für lange Zeit Ruhe schaffen würde, in der die Hilfe erscheinen konnte. Auch drüben unter dem über Schußweite entfernten Haufen der Verfolger war es still, man sah nur, wie sie Holz an verschiedenen Stellen zusammenschleppten, um Feuer ringsum anzuzünden, damit bei dem frühen Untergang des Mondes im Schatten der Nacht ihre Beute nicht entweichen, oder im blutigen Ueberfall ihnen unbemerkt nahen könne.

Nur das Stöhnen, die Seufzer der Verwundeten, die zu schwer verletzt worden, um sich von der blutigen Stätte des Kampfes fortschleppen zu können, unterbrach die Stille um die Ruinen.

Der alte Beg, die treue Flinte zwischen den Beinen, saß auf einem Stein; das Mondlicht, durch eine der Oeffnungen hereinbrechend, überglänzte das narbenbedeckte wilde Antlitz. Der Hieb Fatinitza's war durch den dicken Bund des Turbans gebrochen worden und hatte nur schräg seine Stirn getroffen, von der unter der umgelegten Binde dicke Blutstropfen hervorquollen und das Gesicht durchfurchten, ohne daß er sich die Mühe gab, sie zu trocknen. Sein eines Auge, von dem überstandenen Kampfe entflammt, blitzte feurig umher.

»Bei den Gebeinen der heiligen Märtyrer von Ostrog, wir [160] haben diese Hunde zurückgejagt, wie unsre Väter am Berge Perjnick 6 den stolzen Seraskier jagten drei Sonnen lang. Die Wila's würden uns sicher zum Sieg verhelfen, wenn der böse Geist nicht das Weib unter sie geführt hätte mit dem schlimmen Blick. Mir ahnet Böses, Khan Hassan Lekitsch!«

»Ich spucke auf diese Weiber!« sagte der Moslem verächtlich. »Möge daß Grab ihrer Mütter besudelt werden, sie haben einem Manne noch nie Gutes gebracht. Es ist unser Schicksal, Beg.«

»Du irrst, Khan,« meinte der Glaware, »nur die Frauen mit dem bösen Blick bringen Unheil, die guten haben uns die Wila's zum Segen gegeben und wir ehren die Mutter unserer Kinder. Die Ungläubigen freilich geben ihnen nur halbe Seelen. Reiche mir das große Horn, Zagartschane, das meine ist leer und die Waffen müssen bereit sein.«

»Was meinst Du, Vater?«

»Das Horn, das große Horn mit dem Pulver, das Bogdan Dir gegeben hat, der es trug,« sagte der Alte ungeduldig.

»Um Gott, – Bogdan hat mir Nichts gegeben, – ich habe das Horn nicht!«

Der Greis sprang empor. – »Das Horn! das Horn!« rief er wild. »Unser Leben hängt von dem Pulver ab!«

Alle suchten ängstlich umher und befragten sich gegenseitig – das Stierhorn mit dem Pulvervorrath des Alten fehlte, – Bogdan, der es getragen, hatte in der Eile der Trennung vergessen, es mit der Flinte an Gabriel zu geben. Die Männer, die noch vor wenigen Minuten dem wilden Feinde kühn in das Weiße des Auges geschaut, sahen sich erbleichend an – es ist etwas Furchtbares selbst für den Tapfersten, in der Stunde der Gefahr sich der Waffe beraubt zu sehen.

»Wie viel Pulver haben wir noch?«

Man sah nach – zwei der Flinten, die Gabriel's und Jowan's, waren noch geladen, auch ein Pistol enthielt noch den Schuß – die Pulverflaschen des Griechen und des Moslems waren leer.

Der Beg stützte finster das Haupt in die Hand.

[161] »Mein eigen Blut ist mein Verderben, – der greise Adler der schwarzen Berge hat die Krallen verloren, er ist ein Kind in der Hand seiner Feinde!«

Und wie antwortend hoch über ihnen klang ein Rabenschrei durch die Luft und das Echo des Felsens trug ihn nieder.

Der Beg und Gabriel richteten sich empor, ihre Augen schienen das Dunkel durchbohren zu wollen, die Nerven ihres Gehörs gespannt, wie sie, dem Wilde gleich, das den Jäger wittert, durch die Nacht lauschten.

Und wieder – aber leiser und näher klang der Schrei des Raben.

Gabriel warf sich an die Brust des Freundes, der alte Primore 7 schwang jubelnd die Flinte um das Haupt.

»Stephana! das ist Stephana – das treue Weib! – Sie haben unsere Noth errathen, sie bringt uns das Pulver!«

Da krachte in der Nähe ein Schuß – wildes Geschrei auf allen Seiten – über die Berghalde flog eine weiße Gestalt in rasendem Lauf nach den Schatten des Thurmes zu – an dem Eingange harrten die Freunde und rissen mit blutenden Fingern Balken und Steine zur Seite.

»Stephana!«

»Gabriel!«

Aber aus den Schatten rings umher, gleich Gespenstern, tauchten die dunklen Gestalten der Albanesen auf allen Seiten empor, zwischen ihr und den rettenden Mauern, – ein wilder verzweifelter Schrei, und in den rohen Armen der Männer wand sich die treue Czernagorzenfrau.

»Hinaus! Rettet mein Weib!«

Ueber die eigene Verschanzung empor klimmten die Verfolgten. Ihnen entgegen donnerte eine Salve der Türken – weit aus breitete der wackere Hassan Lekitsch die Arme und drehte sich rund um sich selbst, ehe er zu Boden stürzte.

»Kismet! – Lebt wohl Ihr Brüder – die Houri's des Paradieses winken mir!« – so starb er.

Der Beg riß Gabriel und den Griechen zurück.

»Ein Weib für fünf Männer – und ob es der eigene Saamen ist, das Hochland bedarf seiner Krieger!«

[162] Er warf sich vor die Oeffnung, die Anderen zurückwehrend. Gabriel verhüllte das Gesicht, vor Schmerz wild aufstöhnend. –

Stephana, das treue Weib, das den Freunden das zurückgelassene Pulver bringen wollte und das Dunkel des untergehenden Mondes abgelauert hatte, wurde auf den Armen der Moslems zurückgeschleppt zu den Füßen der Wölfin von Skadar. In ihrem Gewande fand man das Pulverhorn, das sie in die Hände der Feinde geliefert.

»Wer bist Du, Weib?«

»Stephana Zagartschana, des Mannes Frau, den Ihr schmählich gefesselt hieltet in Skadar.«

»So bist Du das Weib des Flüchtigen, der meinem Vater entronnen?«

»Du sagst es, blutige Bula 8. Der Mund einer Czernagorzenfrau redet nimmer Lüge.«

»Und Dein Mann befindet sich in jenem Thurme mit dem Schändlichen, dessen Verrath ihn befreit hat?«

»Geh' hin und frage selbst.«

»Spiele nicht mit der Wölfin von Skadar, Weib, denn wisse. Dein Schicksal ist ein schlimmes und Dein Blut wird büßen für das, was Jene gethan. Keiner darf athmen, der sagen mag, er hätte Fatinitza's Schmach gesehen. Was wolltest Du bei den Verlorenen?«

»Die Tochter des Iwo Martinowitsch, des großen Beg der Rietschka, fürchtet den Tod nicht. Sie gehört zum Gatten und Vater in der Stunde der Gefahr.«

Ein wilder Jubelruf brach im Kreise der Arnauten aus, als sie hörten, daß der berühmte Krieger des Hochlands in ihrer Gewalt sei. Trotz der furchtbaren Lage, in der sie sich befand, schwellte Stolz die Brust der edlen Czernagorzenfrau, als sie diese Anerkennung für den Ruf ihres Vaters vernahm.

Einer der Albanesen zeigte das Pulverhorn, das man bei der Gefangenen gefunden.

»Bei dem Propheten, Herrin, ich glaube, daß diese Tochter eines Hundes den Männern dies Pulver bringen wollte, woran es den unreinen Thieren von jeher gefehlt hat. Allah bilir, Gott allein weiß es.«

[163] »Geht und schaut in die Mündung der Flinten meiner Tapfern, sie werden Euch Antwort geben,« entgegnete die Czernagorzin kühn. »Aber eilt Euch, denn die Söhne der schwarzen Berge nahen, um ihren großen Beg zu suchen und hörten seinen Ruf nach den Kriegern.«

Die finstre Falte zwischen den Brauen des Türkenmädchens zog sich dunkler und drohender. »Dann ist es Zeit, daß Dein Schicksal erfüllt werde. Bindet das Weib!«

Mehrere der Arnauten warfen sich auf die Unglückliche und schnürten ihre Arme zusammen.

»Mein Pferd!«

Der Schimmel stampfte unter ihrem Druck. Am Sattel sprang lechzend der Wolf in die Höhe.

»Zu den Waffen, Tapfere von Skadar! Nehmt die Brände, daß sie leuchten zu dem Fest, das wir Jenen bereiten wollen, auf daß man erzählen möge von Fatinitza's Rache, so lange die schwarzen Berge stehen. Bringt das Weib.«

Fatinitza voran nahte sich der Zug der Kula, aus der vier Männer ihm bleich und finster entgegenstarrten.

Etwa sechszig bis siebenzig Schritt von dem Thurm entfernt stand ein junger, weitästiger Kastanienbaum. Vor ihm befahl die Türkin die mitgebrachten Brände zusammen zu werfen, daß die Flammen hoch aufloderten und einen weiten Lichtschein umherwarfen, in welchem den Männern im Thurm keine Einzelnheit der furchtbaren Scene entgehen konnte.

»Schnürt sie an den Baum, das Antlitz den Rebellen zu!«

Der Befehl ward vollzogen.

»Reißt ihr die Kleider ab, – geschändet soll sie vor Euch stehen! – Wie ich es vor Jenem stand!« setzte die zuckende Lippe leise hinzu.

»Barmherzigkeit, Du bist ein Weib!« Es war die einzige Bitte, die dem Munde der unglücklichen Frau sich entwand. – Barmherzigkeit? – Bei dem Löwen der Wüste, bei dem Tiger der Dschungeln suche Barmherzigkeit, nicht bei den Männern Albaniens.

Gleich Bestien warfen sie sich auf die Czernagorzin und rissen und schnitten die Gewänder herunter, daß der keusche Leib unverhüllt vor den rohen höhnenden Blicken der Männer stand. Die Wölfin von Skadar trieb das Pferd bis dicht zu der entehrten [164] unglücklichen Frau und schaute mit finsterem Blick auf sie nieder. Dann streckte sie drohend die Hand nach der Kula.

Da blitzte und krachte ein Schuß aus dem dunklen Gemäuer.

– – –

In der Kula standen die Männer starren Auges, den Blick unverwandt auf den herankommenden Zug gerichtet, die Faust um die treue Flinte geklammert, als wollten die Finger sich in das Eisen krampfen. Nur das tiefe Stöhnen des unglücklichen Gatten unterbrach die unheimliche Stille.

»Das Pulver! das Pulver!« murmelte der Greis vor sich hin.

Man sah Stephana an den Baum schnüren; die Flamme zu ihren Füßen ließ deutlich jeden ihrer Züge erkennen, fast den Strahl ihres Auges, wie er Hilfe suchte bei den nahen Freunden.

Jetzt warfen die Arnauten sich auf ihr Opfer.

»Sie morden sie – hinaus, ihr zu Hilfe!« raste der Zagartschane, doch nochmals riß die Hand des Greises ihn zurück.

»Noch nicht – sie schänden nur das Blut der Martinowitsch.« Seine Stimme war hohl, fast klanglos.

Gabriel taumelte.

»Verdammniß über den Teufel in Weibergestalt! Fahre zur Hölle!«

Seine Flinte lag an der Wange, der Schuß knallte, – doch noch schneller als sein Finger am Drücker war die Hand des Griechen, die den Lauf in die Höhe schlug.

»Halt ein! Du tödtest sie

Die Kugel schrillte hoch durch die Luft.

War es Stephana, war es Fatinitza, die Nicolas Grivas mit den Worten und der That meinte – nur Gott weiß es.

»Fluch Dir und ihr Blut über Dich! Zerrissen sei das Band des unseren!«

Gabriel warf die Flinte zu Boden und wandte sich mit einer erhabenen Geberde der Verachtung von dem bisherigen Freunde. –

Nur ein Schuß noch blieb in der Hand der Verfolgten. Der alte Beg streckte die Rechte nach der Flinte aus, die Jowan hielt:

»Gieb!«

– – –

Die Arnauten waren auseinander gestoben bei dem Schuß der waffenlos Geglaubten. Nur Fatinitza hielt mit eherner Ruhe.

[165] »Seit wann haben die Tapferen von Skadar Furcht vor dem Blei der schwarzen Hunde? – Hierher, Abdallah!«

Der Mohr, den sie gerufen, nahte dem Pferde. Er empfing ihre Befehle und fletschte in teuflischer Bosheit die thierischen Züge, indem er langsam das Messer aus seinem Gürtel zog und zu der Gefesselten trat, deren Auge zum Himmel erhoben war, deren Lippen ein Gebet zum Allmächtigen sprachen.

»Dschidelim! Eile Dich! ...«

Ein wilder Schmerzensschrei riß sich trotz der heldenmüthigen Entschlossenheit von den Lippen der Aermsten – –

– – –

»Vater! – Sie martern mein Weib zu Tode!«

Der Alte schauerte – sein Auge starrte wie in einer Vision, die seinen Geist zu umnachten begann.

»Die Engel im Himmel werden dem Blute Iwo's beistehen in seinem Märtyrerthum. Einer der Moskowiten, mit denen ich bei Ragusa focht, war im Lande gewesen, fern über der großen See, und erzählte, wie da die gefangenen Krieger gemartert werden von ihren Feinden und doch ihr Triumphlied singen unter den Schmerzen des Todes. Ist die Christenfrau aus Iwo's Stamm weniger muthig als die Heiden der Wälder über der Salzsee?«

»Es ist ein Weib – laß mich hinaus, Vater –«

»Zurück, Knabe, und vernimm das Todtenlied der Martinowitsch!«

Und mit lauter eintöniger Stimme begann der Greis das Heldenlied: Sve Oslobod. –

– – – – –

»Giftige Nattern säugte der Busen des Czernagorzenweibes, so möge er weiter die Bestien der Wildniß nähren! D'rauf, Scheitan!«

Der schwarze Henker warf das blutrauchende Fleisch der abgeschnittenen Brust dem lechzenden Wolfe hin und senkte mit teuflischen Vergnügen das Messer zum zweiten Male in den Leib der Märtyrerin 9!

»Vater! Gabriel! – Um der ewigen Barmherzigkeit willen, den Tod!«

[166] Und wieder krachte ein Schuß – der letzte der Czernagorzen! – aber diesmal taumelte der schwarze Mörder zu Boden und das Haupt der Gemarterten fiel auf die Schulter nieder – im Tode brechend dankte ihr Auge noch hinüber nach der Kula: dieselbe Kugel hatte Henker und Opfer durchbohrt. –

Auf das Bollwerk des Thurmzuganges sprang die riesige Gestalt des einäugigen Greises, wahnwitzig schwang seine Hand die noch rauchende Flinte um das Haupt.

»Hierher, blutige Mörder von Skadar! Hierher, feige Söhne des falschen Propheten! Die Männer der schwarzen Berge rufen nach Euch!«

Und Fatinitza warf ihr Roß gegen die Kula.

»Zum Kampf! Allah il Allah! zum Kampf!«

Von allen Seiten klang das furchtbare Angriffsgeschrei und die Schaar stürmte gegen die kleine Heldenzahl, Schüsse knallten, Waffen blitzten, Stöhnen der Wuth und des Schmerzes, über die Steine und Balken klommen die Albanesen; hinein in's dichteste Gewühl stürzte sich der Zagartschane – wie sein Schatten hinter ihm drein Nicolas Grivas, während am Eingang des Thurmes der grimmige Beg und Jowan Martinowitsch den Helden- und Todeskampf kämpften und von unzähligen Wunden durchbohrt, sterbend noch mit dem Blick voll unauslöschlichen Hasses den siegenden Feind bedrohten. Zwei Mal hatte Grivas sich vor den zürnenden Freund geworfen und den Todesstreich von ihm abgewehrt, jedes Mal wandte der Zagartschane sich nach einer andern Seite, Beide die Mörderin zu erreichen strebend. Mit wildem Jubel schwangen die Albanesen schon in ihrem Rücken das abgeschnittene Haupt des Beg auf einer Flintenspitze, – unwillkürlich wich das trotzige Weib vor den wüthenden Rächern zurück, den Zügel des Rosses anziehend; an Grivas Hals warf sich die Wölfin, aber ein Handjarstoß zerschnitt ihr den blutigen Rachen und Kehle, – da durchbohrte aus nächster Nähe ein Schuß die Brust Gabriels, daß ein dunkler Blutstrom mit dem Athemzug aus seinem Munde quoll. Ueber dem Stürzenden schwang Nicolas den blitzenden Stahl:

»Dies Mal, Blutbruder, löse ich den Eid!« und sein Hieb spaltete den Schädel eines Arnauten, der sich auf den sterbenden Freund warf.

[167] »Lebendig, lebendig fangt ihn!« kreischte die Stimme Fatinitza's und ihre Geberde jagte die Zaudernden dem Kämpfer entgegen.

Da trachten neue Schüsse in geringer Entfernung. Durch die Nebel des Morgengrauens brachen von der Bergseite her dunkle Gestalten, – die Czernagorzen, die Junaks der Rietschka Nahia, – eine kräftige, militairische Figur im grauen russischen Capot in ihrer Mitte ertheilte Befehle – Oberst Berger, den Bogdan in der nächsten Brastwo 10 mit mehreren Begleitern umherstreifend gefunden.

»Vater Iwo! Gabriel! die Kinder der schwarzen Berge kommen!« tönte ermuthigend die Stimme des Jünglings durch das Kampfgewühl und das wüste Geschrei der von allen Seiten flüchtenden Albanesen.

Zu spät!

Ein schwerer Kolbenschlag traf von hinten des Griechen Haupt und warf ihn, aus zehn Wunden blutend, zu Boden über den todten Freund. Das Blut der Blutbrüder vermischte sich – der heilige Eid war gesühnt – sein brechendes Auge traf die Mörderin.

»Das Kreuz! das Kreuz! – Gabriel – Vater – Stephana, wo seid Ihr?«

Die Wölfin von Skadar sprang vom Roß. Mit übermenschlicher Kraft hob sie den blutenden Körper quer auf den Sattelknopf des Pferdes und schwang sich wieder hinauf. Im Druck der spitzen Steigbügel hob sich der Renner mit der doppelten Last zum Sprunge und seine Hufe warfen die Flüchtenden zur Seite.

Weit aus griff der Schimmel. Von den Schüssen der Czernagorzen umdonnert, den blutigen Körper des seiner Liebe Verfallenen auf Sattel und Arm, sprengte das Türkenmädchen durch den Pulverdampf.

In den wallenden Nebeln des Morgenlichts verschwand der flatternde Mantel.

Hinter ihr aber hielt der Tod seine reiche rächende Ernte!

Fußnoten

1 Ganz befreit! – Zugleich der Name der Piesme, welche jene That besingt.

2 Familienoberhaupt.

3 Es ist Nichts!

4 Die Nahia von Glubotina oder Rietschka – Nahia, der mittlere Theil von Czernagora, der an der Mündung des Czernojewitsch und der Moratscha das nördliche Ufer des Skadar-Sees begränzt und die wildesten Berggegenden enthält, zählt fünf Stämme: die Lubotini, die Kozieri, die Zeklini, die Dobarski und die Gradjani. Das Thal der Moratscha zwischen Zabljack bis Podgoritza heißt die Zenta.

5 Schicksal.

6 Czarew-Laz (des Kaisers Abhang), wo 1712 ein Heer von 50,000 Mann unter Achmed Pascha von den Kriegern der schwarzen Berge fast gänzlich vernichtet wurde.

7 Benenuung aller serbischen Stämme der Küstenländer.

8 Türkenfrau.

9 Dergleichen Abscheulichkeiten sind – historisch – leider noch im letzten Kriege vorgekommen. Wir erzählen – die Feder versagt fast den Dienst – Thatsachen!

10 Gemeinde.

Lorette und Grisette
[168] Lorette und Grisette.

Wir haben Fürst Iwan auf dem Place de la Madeleine am Abend des 5. Juli verlassen, indem er der Fürstin, seiner Schwester, seine Ehre verpfändete, noch vor eilf Uhr auf dem Nordbahnhof zu sein.

Aus den finsteren blutgetränkten Bergen Czernagora's führe ich darum den Leser zurück in das bunte, glänzende, vergoldete Leben der modernen Weltstadt – nach Paris.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In einer jener Straßen, welche die Rue Montmartre mit der Rue Montorgueil und Poissonnière verbinden, in der Rue St. Josef No. 10, enthielt der zweite Stock eine kleine, aus einem Vorzimmer, Salon und Schlafgemach mit einer Mädchenkammer bestehende Wohnung, die mit einer gewissen überladenen Eleganz und jenem Luxus eingerichtet war, welcher mehr als alles Andere beweist, daß der Besitzer oder die Besitzerin nicht in der Gewohnheit des Reichthums geboren sind, und daß es ihnen an jenem guten Geschmack fehlt, der das Erbtheil der Geburt oder der Erziehung ist, und das Gold des Luxus mit der Noblesse der Einfachheit zu verbinden versteht. Verschiedenartige und überzahlreiche Möbel, vielfarbige Teppiche, Spiegel, Kunstgegenstände und Nippsachen ohne Auswahl füllten den Salon, in dem in diesem Augenblicke zwei Frauen sich befanden, beide jung, beide schön, beide Kinder des Pariser Lebens, Tagfalter der Jugend, wie sie dahin flattern von Lust zu Lust, von Blüthe zu Blüthe, bis der schöne Farbenstaub der Flügel verwischt und verschwunden ist und sie untergehen und verschwinden in den Wogen jenes Lebens voll [169] Sorglosigkeit, Leichtsinn und Vergnügen, das zum Ersatz täglich tausend neue Schmetterlinge gleich ihnen entpuppt.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten herrschte doch viel Abweichendes, Verschiedenes im Wesen der beiden Frauen.

Im damastbekleideten üppig weichen Fauteuil ruhte eine Frau von hoher junonischer Gestalt, etwa zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Jahre zählend, blond, von jener Farbe, die man cendré nennt, der Teint dem entsprechend sein und leicht geröthet. In dieser Mattigkeit der Farbe und der Augen lag dennoch eine gewisse Genußsucht, eine Unbezähmbarkeit des Verlangens, die sich auch in der Bildung des Kopfes an den Organen der Selbstliebe und der Eitelkeit ausprägte. Damit ganz eigenthümlich verbunden schien die Empfindung für das Seltsame, Wunderbare und das im Bau des Kinns ausgesprochene Vermögen einer raschen Entschlossenheit, das mit der gewöhnlichen lethargischen Genußliebe der Schönen einen seltsamen Contrast bildete. Ein schweres Faltenkleid von Rosa Moirée mit schwarzen Spitzen garnirt, und ein weißer nachlässig im Sitzen zusammengedrückter halber Dominomantel von weißer Wolle umhüllten die schöne Gestalt. Die seinbehandschuhte Hand, über welcher mehrere kostbare Bracelets den schönen Knöchel umschlossen, spielte mit einer halben Sammetmaske und dem Fächer.

Zu ihren Füßen auf einem gestickten Tabouret hockte in halb possierlicher und doch allerliebst graziöser Stellung ein junges Mädchen von höchstens achtzehn Jahren im eleganten doch sehr legere getragenen Kostüm der Débardeurs, während ein dunkler Herrendomino auf dem Sopha zur Seite lag. Die Kleine, gleichfalls noch ohne Maske, qualmte aus den frischen, überaus keck und heiter aufgeworfenen Lippen eine spanische Cigarre, deren Dampf ihre große Gefährtin von Zeit zu Zeit widerwillig mit den Federn des Fächers zurückwehte. Es war ein lustiges keckes Leben in dem zierlichen Gesichtchen, Laune und Eigenwille in den braunen Augen, dabei das Organ des Mitgefühls und der Anhänglichkeit in der Rundung des Hinterkopfs stark ausgeprägt.

»Dein Cavalier bleibt lange, Nini« sagte nachlässig die Große. »Es wird eilf Uhr, bevor wir nach demJardin Mabille kommen!«

»N'import! was machen wir uns daraus! Wir bleiben desto länger. Weißt Du, Celeste, Du bist recht thöricht, daß Du [170] immer die Vornehme spielst und so zeitig fortgehst. Man muß das Vergnügen bis auf den Grund studiren.«

Die Lorette warf ihrer Freundin durch die matt geöffneten Augenlider einen halb verächtlichen Blick zu, gleich als wolle sie sagen: Thörichtes Kind, was weißt Du! – Der auf ganz andere Neigungen schließen lassende Mund aber sprach:

»Das verstehst Du nicht, das ist nicht Sitte in der bessern Gesellschaft, und ich ärgere mich jedes Mal über Dein ungenirtes Wesen, wenn wir zusammen an öffentlichen Orten erscheinen.«

»Bah! Warum gehst Du da mit uns? Freilich ist's noch nicht lange und erst seit Dir Dein Protecteur untreu geworden. Weißt Du, Celeste, ich habe schon gedacht, Du hättest Dich seit den acht Tagen, daß Du mich wieder besuchst, nur darum zu mir gefunden, um mir Jean zu entführen.«

Wiederum traf ein ähnlicher Blick die Kleine.

»Meinst Du denn, wenn mir's Ernst wäre, ich würde es nicht zu Stande bringen?«

»O, Jean ist treu, er liebt mich wirklich; es ist nicht eine so von Euren kleinen Liaisons, die Ihr so gern die vornehmen Damen spielen wollt und es doch nicht seid. – Man hat bei unserer Liebe noch ein Herz.«

»Beruhige Dich, Mignonne, sei überzeugt, dazu liebe ich Dich zu sehr aus der Zeit, da wir Beide noch Kinder waren. Ich freute mich aufrichtig, als ich Dich wiederfand, auch bin ich nicht undankbar – und Du weißt –«

»Ah bah, schweige von der Kleinigkeit; Jean giebt mir ja genug, warum sollte man einer Freundin nicht helfen! Weißt Du, Celeste, es ist eigentlich recht schade, daß Du schlecht geworden bist; mein Bruder François liebte Dich so sehr und Du hättest eine brave Frau werden können.«

Das seine Gesicht der Lorette schien eine Wachsbleiche anzunehmen bei der Erinnerung, dann flog mit einem leisen Seufzer eine helle Röthe über Stirn und Wangen und die Hand drückte krampfhaft den Fächer.

»Erinnere mich nicht daran, er war meine einzige Liebe. Aber was können wir armen Frauen thun – die Armuth ist so drückend und die Arbeit so schwer. Als ich Herrn de Sazé kennen lernte – –

Ah! das ist Dein erster Verführer, nicht wahr? Mein [171] Bruder hat ihm auch schwere Rache gelobt. Du hast wohl seit den fünf Jahren gar Viele gehabt, Celeste?«

»Du bist eine Närrin!«

»Es muß komisch sein,« meinte Nini ganz naiv, »so viele Männer zu lieben, Einen nach dem Andern oder Alle auf ein Mal. Ich könnte es wahrhaftig nicht; mir macht der Eine schon genug Kopfzerbrechens.«

»Hat er Dir denn noch immer seinen wahren Namen nicht gesagt?«

»Er heißt Jean und ist, glaub' ich, aus Polen. Mon Dieu, was weiß ich, wo das abscheuliche Land liegt! Ich habe immer gedacht, er müßte so ein falscher Prinz oder so ein verkappter Californier sein, weil er sich gar so wenig aus dem Golde macht. Er liebt seine kleine Nini, was will ich mehr?«

»Du verdientest, daß man ihn Dir entführte, so einfältig bist Du. Seit drei Monaten hast Du diesen Crösus nun in Deinen Fesseln und noch nicht einmal eine eigene Equipage oder eine Kammerfrau.«

Nini lachte wie toll, daß sie fast vom Tabouret fiel und die Cigarette verlor.

»Ich eine Kammerfrau! Bist Du nicht gescheut? Was sollte ich mit einer Kammerfrau thun? das gehört für Damen wie Du. – Nein, mein Schatz, die Portiere genügt mir, und mit der kann ich ungenirt plaudern, wie mir der Schnabel gewachsen ist, vor so einer zierlichen Demoiselle aber würde ich mich geniren und wüßte wahrhaftig nicht, ob sie die Herrin oder ich. Aber was willst Du? Bin ich nicht schön und sein eingerichtet? Ist nicht dies Alles mein, die ich doch eigentlich nur eine kleine Nähterin war, und kannst Du etwas Hübscheres und Reicheres sehen, als diesen Salon? He?«

Celeste zuckte mitleidig die Achseln.

»Du könntest drei damit ausstatten, und es würde drei Mal besser aussehen.«

»O, glaube nur,« meinte Nini hochmüthig, »Jean kauft mir Alles, was ich will. Ich habe auch schon an so ein kleines Pferdchen gedacht und einen hübschen zierlichen Tilboury mit einem Knirps von Jockey oder Mohrenbalg so hinten d'rauf, aber Jean meint, das passe sich nicht für mich, und wenn ich einen Wagen hätte, würde ich den ganzen Tag auf der Straße umherkutschiren [172] und nicht mehr für ihn zu Hause sein. Wenn wir nach den Boulevard – Theatern gehen, oder in's Freie vor der Barriere, oder zum Ball, ei, da giebt's ja Wagen genug in Paris.«

»Wie aber ist's, Nini –« sie sprach das Folgende mit einiger Ueberwindung aus – »wenn François, Dein Bruder, zurückkehrt? Was wirst Du ihm sagen über das begonnene Leben?«

Dem leicht erregten Mädchen traten ein Paar Thränen in die hellen Augen.

»Das ist freilich böse, aber – warum hat er mich verlassen! Ich liebe François sehr, aber man kann doch nicht ewig in seinem Dachstübchen verkümmern? – Und hungern kann man doch erst gar nicht, wenn man auch noch so wenig ißt. Du weißt ja, Celeste, wie glücklich und bescheiden wir waren, als unsere Eltern neben einander wohnten im Faubourg Antoine, und wir alle Sonntag zusammen spazieren gingen, Du und François und ich, das närrische Kind. Auch noch aus der englischen Fabrik kam François immer nach Hause, bloß um Dich zu sehen, bis vor fünf Jahren – Du erinnerst Dich –«

»Ich weiß, ich weiß!«

»Als François im März nach England ging, gab er mir hundertfünfzig Franken, und damit und mit meiner Näherei hätte ich gewiß gelangt, obschon ich mich recht stattlich herausgeputzt hatte, wenn ich nicht so einfältig gewesen wäre, das schöne Geld in fünf blanken Louis, die ich noch hatte, immer mit mir umherzutragen. Ich habe Dir's ja erzählt, wie man mir's gestohlen hat am ersten schönen Sonntag im April, als das Gedränge des Abends auf den Boulevards so groß war, und wie mich Jean da weinend fand und mich ansprach und tröstete. Eh bien, seitdem kennen wir uns, ich habe, wie die Vögel, mein altes Nest in der Antoine verlassen und Jean hat mich hierher gebracht, und als ich Dich vor acht Tagen im Jardin des plantes traf, da ich gerade die närrischen Bären fütterte, und Du Dich der kleinen Nini erinnertest, ei, da war ich ganz glücklich, denn mit Dir, Celeste, kann ich doch von so Vielem plaudern, was ich selbst Jean nicht sagen mag, obschon er nicht müde wird, mich anzuhören und immer sagt, ich wäre seine Plaudertasche.«

Die ältere Freundin wiegte schmerzlich sinnend den Kopf.

»Ich glaube Dir, er liebt Dich von Herzen – doch wie hätte Treue und Neigung bei Männern Bestand. Nur der Genuß ist [173] das einzige Sichere, und den gilt es festzuhalten. Du wirst noch manche schlimme Erfahrung machen, Kind! Was soll aus Dir werden, Dein Starost oder Graf, was er nun sein mag, kann Dich doch nicht ewig lieben?«

»Rede nicht so, was kümmert uns die Zukunft, die ist noch weit! – Jean hat mir gesagt, er solle eine Prinzessin heiratchen, aber er wolle nicht und werde mich lieben, so lange er lebe. Wer will ihn auch zwingen; bah! da kennst Du ihn schlecht. Wenn's uns in Paris nicht mehr gefällt, ei so gehen wir auf Reisen, er hat mir's versprochen, und weißt Du, Celeste, ich nehme Dich mit. Aber wo bleibt der schlechte Mensch, weiß Gott, es ist ja gleich halb Eilf und schon vor einer Stunde sollten wir auf dem Wege sein.«

Die Thür wurde aufgerissen, bleich und hastig, vom raschen Lauf aufgeregt, stürzte ein junger Mann in's Zimmer, – Iwan, der Fürst. Mit einem Sprung war das Mädchen an seinem Halse.

»Böser Jean, Du sollst nicht einen einzigen Kuß erhalten. So lange uns warten zu lassen und den ganzen lieben Tag nicht ein einziges Lebenszeichen von sich zu geben. Ich habe mich wahrhaftig geängstigt um Dich, böser Mensch, und wollte es nur vor Celeste nicht zeigen. Gleich geh' und küsse ihr die Hand für Dein unartiges Ausbleiben.«

Der Fürst schob sie liebevoll zurück, nachdem er sie auf die Stirn geküßt, dann warf er sich erschöpft auf das nächste Sopha. Celeste war aufgestanden und sah überrascht sein aufgeregtes Wesen, auch Nini, die sich auf seinen Schooß gesetzt hatte und ihm die Haare aus dem Gesicht strich, bemerkte jetzt seine Zerstreuung.

»Was fehlt Dir, mein Freund, Du bist so seltsam? – Willst Du den Domino nicht nehmen, es ist hohe Zeit«

»Du wirst allein gehen müssen, Nini, ich kann Dich nicht begleiten.«

»Fi donc, was sind das für Dummheiten? Willst Du mich foppen?«

Der junge Mann drückte sie an sich.

»Gewiß nicht! Aber ich kann Dich nicht nur nicht begleiten, Nini: wir müssen uns auch trennen, – ich fürchte, auf lange Zeit, – ich verreise.«

Das Mädchen wurde leichenblaß und fuhr mit den Händen nach dem Herzen. Erst jetzt fühlte sie, wie theuer ihr der war, den sie bisher wie einen gewöhnlichen Liebhaber betrachtet hatte.

[174] »Jean, ich bitte Dich, mache mir nicht unnütze Angst!«

Sie faltete stehend die Hände.

Geberde und Worte waren so einfach aufrichtig, so überzeugend bei dem sonst nur Scherz und Lachen kennenden Mädchen, daß der Fürst sie in seine Arme riß und sie ungestüm und lange an sein Herz gedrückt hielt.

»Nini! theures liebes Mädchen, liebst Du mich wirklich so innig, daß mein Scheiden Dir solchen Schmerz machen würde?«

Ihr zierlicher Kopf lag an seiner Brust, sie schaute ihn schluchzend an.

»Jean! – Verlaß mich nicht!«

Sie preßte den Mund an sein Ohr und flüsterte erröthend, zitternd ein süßes Wort ihn zu.

Liebe, Glück, Verzweiflung wogten in der Brust des jungen Mannes, wie er die Geliebte umschlungen hielt. Die Außenwelt um sie her war verschwunden – sie bemerkten nicht einmal, daß sie nicht allein waren, denn Celeste war – die unerwartete Scene ehrend – zwischen die seidenen Vorhänge des Fensters getreten.

Da weckte die prächtige Bronce-Uhr auf dem Kamin die Liebenden. Sie schlug Halb.

Der Fürst raffte sich empor und mit Gewalt aus den Armen des jungen Mädchens.

»Höre mich, Nini, und ich bitte Sie, Madame, einen Augenblick für diese arme Kleine, die zu aufgeregt und unerfahren ist, mir Ihre Aufmerksamkeit zu widmen.«

Celeste trat näher.

»Ich weiß, Sie sind ihre Freundin schon aus der früheren Jugend. Darf ich hoffen, eine aufrichtige?«

»Meine Hand darauf. Sprechen Sie!«

»Ein ganz unerwartetes, dringendes Geschäft zwingt mich, – vielleicht zum Glück für uns Beide, – auf der Stelle abzureisen, so daß selbst Dispositionen, die ich für einen anderen drohenderen Fall bereits getroffen hatte, unnütz werden. Bei Gott dem Allmächtigen, ich liebe das Mädchen unaussprechlich, und werde sie nie und nimmer verlassen um meines eigenen Glückes willen. Aber ich weiß nicht, ob ich für lange Zeit oder je werbe nach Frankreich zurückkehren können.«

Nini schluchzte an seiner Brust.

»Beruhige Dich, Kind. Liebst Du mich wie ich Dich, so [175] wird Nichts uns trennen. Hier in dieser Brieftasche sind einstweilen ungefähr zehntausend Franken in Bankscheinen, – ich habe augenblicklich nicht mehr bei mir, doch wird es vorläufig reichen. Nehmen Sie, Madame, für dieses theure Mädchen. Fort muß ich – die Zeit drängt und jeder Augenblick« – sein Blick flog nach dem Zifferblatt der Uhr – »ist kostbar. Von der ersten Station aus, wo ich einen kurzen Halt mache, wirst Du meine weiteren Bestimmungen erhalten. Willst Du mir dann folgen in meine Heimath?«

»Kannst Du fragen? – Bist Du nicht das Einzige, was ich auf der Welt habe?«

»Ick bin reich, Gott sei Dank, zum ersten Male empfinde ich dessen Wohlthat. Du wirst mir folgen und jede Freude, jeden Genuß theilen, den die Welt bietet. Sie, Madame, können Sie sich entschließen, Paris zu verlassen und dieses Mädchen zu begleiten, so bitte ich Sie darum, Sie werden mir willkommen sein und können auf meine volle Dankbarkeit rechnen. – Und jetzt, Nini, laß uns scheiden – die Augenblicke fliegen! Der Fiaker, der vor der Thür wartet, wird kaum noch Frist haben, mich zur rechten Zeit zum Bahnhof zu führen.«

Er umarmte das weinende trostlose Mädchen.

Celeste legte die Hand auf seinen Arm.

»Ich zweifle durchaus nicht an Ihren Worten und an Ihrer Redlichkeit, mein Herr, aber bedenken Sie, daß dies Kind weiter keine Garantie hat als Ihr Wort. Sie kennt nicht einmal Ihren Namen.«

»Höre sie nicht, Jean; was kümmert mich, wer Du bist, wenn Du mich nicht mehr lieben würdest. Ich vertraue Dir aus vollem Herzen!«

»Dank, tausend Dank, und Sie, Madame, glauben Sie, daß nur der Wunsch, mir ungetrübt mein Glück zu erhalten, mich den Schleier des Geheimnisses über unser Verhältniß werfen ließ. Mein Name ...«

Die Uhr schlug drei Viertel.

»Um Gotteswillen, laß mich fort! Meine Ehre ist verpfändet, die Ehre meines Hauses! Leb' wohl, leb' wohl!«

Er drückte stürmisch heiß einen Kuß auf die Lippen des Mädchens und eilte in's Vorzimmer. Nini stürzte ihm nach, ihn noch einmal umschlingend.

»Jean, verlaß mich nicht! Nimm mich mit Dir!«

[176] »Madame, Barmherzigkeit! helfen Sie mir, ich muß fort, ich muß!«

Er legte sie in ihre Arme und stürzte nach der Thür – sie wurde von Außen geöffnet, – eine kräftige Männergestalt mit Blouse und braunem Calabreserhut trat hastig ein. Ein Blick auf die Gruppe genügte; der Fremde stieß den Fürsten unsanft zurück und schloß die Thür hinter sich von Innen ab.

»Ich sehe, ich bin hier recht. Einen Augenblick, mein Herr; wir haben mit einander zu reden!«

Zwei leichte Schreie des Staunens und des Schreckens mischten sich mit einander:

»François!«

»Ah, Sie hier, Madame! Sehr gut; in solcher Gesellschaft brauche ich freilich nicht länger zu zweifeln, was aus meiner Schwester geworden ist.«

Celeste gab keine Antwort.

Der Fürst trat auf den Fremden zu.

»Sie sind Herr François Bourdon, der Bruder dieses jungen Mädchens, das vor Schreck und Schmerz dort halb ohnmächtig liegt. Ich bedaure aufrichtig, daß der Augenblick so ungünstig zu einer Erklärung ist, aber Ihre Schwester und Madame Celeste werden Ihnen das Nöthige sagen. Ich bitte, lassen Sie mich vorüber.«

Der Arbeiter – jener junge stattliche Mann, dem wir im zweiten Kapitel in der Versammlung der Unsichtbaren als Bote nach London schon ein Mal begegnet sind – lachte höhnisch auf:

»Haben Sie's so sehr eilig diesmal, mein Herr?«

»Ich muß – ich muß! ...«

»Ich auch, denn auf meinen Fersen, Herr, ist die kaiserliche Polizei, auf den Ihren nur der Bruder eines verführten Mädchens, und dennoch nehme ich mir Zeit, die Ehre meiner Schwester zu rächen. Zurück!«

Mit kräftiger Faust warf er den jungen Mann, der sich mit Gewalt an ihm vorüberdrängen wollte, zurück bis in die Mitte des Zimmers.

»Was unterstehen Sie sich, Herr!«

»Unterstehen? Meinen denn die vornehmen Herren noch immer nach den Lectionen von 1793 und 1830, daß das Blut [177] des Arbeiters weniger roth durch seine Adern pulse, als das ihre? daß seine Ehre das Spiel werk ihrer Lüste sei?«

Nini warf sich zu den Füßen des Zürnenden und umschlang ihn.

»Bruder, Du thust Unrecht.«

»Du hast wohlgethan, Täubchen, daß Du mir aus dem Wege gegangen bist – erst heute Abend auf dem Opernplatz vor dem verunglückten Spaß erfuhr ich durch einen Zettel Derer, die Alles wissen, Deine neue Residenz! Ein ehrlicher Arbeiter kann nur eine ehrliche Schwester brauchen – ich habe an Der da« – er wies nach Celeste, die bleich und aufgeregt zur Seite stand – »genug der Erfahrungen gemacht. Fort, Metze, mit Dir hab' ich nicht zu reden, nur mit Jenem.«

»Sie entehren sich und Ihre Schwester; sie ist meine Geliebte, wenn Sie darauf bestehen, mein Weib. Aber meine Geduld ist zu Ende – geben Sie Raum!«

»Zurück! Meinen Sie, einen leichtgläubigen Narren vor sich zu haben?«

In dem Fürsten kochte die ausbrechende Wuth, Angst, Verzweiflung – seine Ehre war vernichtet – sein heiliges Wort gebrochen.

»Um der Barmherzigkeit willen, Platz ...«

Die Uhr auf dem Kamin hob aus und der erste Schlag der Stunde klang hell aus dem Salon.

Die Zeit achtet nicht auf die Wünsche, die Leidenschaften der Menschen, kalt und unabänderlich wie das Schicksal schreitet sie ihren gemessenen Gang.

Der helle herzlose Schlag der Uhr fuhr wie ein glühendes Eisen durch sein Gehirn – Alles verloren – Ehre – Ruf – Glück –

Wie ein Tiger sprang er auf den Mann los, dessen Dazwischenkunft ihm Alles geraubt – ein dröhnender Faustschlag, der an seine Stirn von der muskelstarken Hand des Arbeiters schmetterte – und weit hin auf den Boden rollte der vornehme Herr, der Fürst, der Gebieter von tausend Seelen, kein Glied rührte sich an ihm.

»Allmächtiger Gott, Du hast ihn erschlagen!«

»Retten Sie sich, fliehen Sie, François!«

Der Arbeiter stand starr und blaß, auf seiner Stirn perlte kalter Schweiß, und er betrachtete wie verwirrt seine Hand.

[178] »Fliehen Sie, François, ich beschwöre Sie bei Ihrer einstigen Liebe zu mir!«

»Es ist vergebens – die Polizei ist hinter mir – ein Complott gegen den Kaiser, das in der komischen Oper zum Ausbruch kommen sollte – man hat viele meiner Kameraden verhaftet und verfolgt die Entkommenen. Ich sah, daß ich bereits beobachtet wurde, als ich das Haus betrat.«

Celeste sprang an's Fenster.

»Eine Menge Leute vor der Thür – Soldaten!«

»Er lebt! er lebt!« tönte dazwischen der jubelnde Ruf des Mädchens. »Celeste – François – helft mir!«

Nini, die nach der traurigen Katastrophe sich nur mit dem Geliebten beschäftigt hatte, versuchte ihn emporzurichten, François sprang herbei, ihr zu helfen und setzte ihn auf einen Stuhl. Der Fürst erholte sich, er athmete tief und schwer, und seine Augen waren starr, ohne Ausdruck vor sich hin gerichtet.

»Eilf Uhr! – Der Dampfzug geht fort!« – eintönig wiederholte der Mund mehrere Male die Worte.

Celeste hatte die Thür zur Treppenflur geöffnet und lauschte, jetzt sprang sie eilig zurück.

»Man kommt – ich glaube, man untersucht die Zimmer des ersten Stocks. Um Gottes willen, ist kein Ausweg?«

Ihre Blicke flogen suchend umher, während sie die Thür verriegelte. Ihre Entschlossenheit schien ihr jetzt einen rettenden Gedanken einzugeben.

»Rasch, François, Ihren Hut, die Blouse herunter!«

Fast willenlos gehorchte ihr der junge Mann.

»Mein Herr, haben Sie wenigstens den Edelmuth, den Bruder Ihrer Geliebten zu retten. Sie selbst werden sich leicht befreien. Ihren Rock, Ihren Rock!«

Sie zerrte den Fürsten empor, – er blieb ruhig, bewegungslos stehen – seine Augen starrten bewußtlos umher.

»Eilf Uhr! – Der Dampfzug geht ab!«

»Nini, um Gottes willen, hilf, Du rettest den Bruder und sicherst Dir den Geliebten. Geschwind, Mädchen, geschwind!«

Der Fürst ließ sich widerstandslos den Rock ausziehen, den sie François zuwarf, und sich mit der Blouse bekleiden.

»Rasch, rasch in den Salon, den Domino um, die Maske in die Hand, ich höre sie auf der Treppe!«

[179] Sie riß dem Fürsten das Halstuch ab.

Nini hatte begriffen, – sie ahnte das Schreckliche noch nicht, und in der Hoffnung, den Geliebten sich zu sichern, flog sie mit weiblichem Instinct dem Bruder zur Hand. Im Nu war die einfache Verkleidung geschehen, der Domino auf seinen Schultern, der Hut auf seinem Kopf.

Celeste drückte den Calabreser auf den des Fürsten.

»Gott sei Dank! – Nun, mein Herr, gilt es, sich kurze Zeit zu verstellen!«

»Eilf Uhr! – Der Dampfzug geht ab!«

Celeste erhob ein lautes Geschrei und sprang an die Thür.

»Hilfe! Hilfe!«

Gewehrkolben stießen auf den Flur.

»Im Namen des Kaisers, öffnen Sie!«

Die Lorette riß die Thür auf.

»Hierher! hierher! Kommen Sie uns zu Hilfe, meine Herren, ein fremder Mann ist mit Gewalt hier eingedrungen – der Mensch will uns morden oder bestehlen.«

Der Polizei – Commissair trat ein, hinter ihm Polizeidiener, Wache. In der Mitte des Zimmers stand der Fürst, noch immer regungslos, gleich als wisse und fühle er nicht, was um ihn her vorging. Im Zugang des Salons stand Nini in ihrem Masken-Costüm, dahinter im Schatten François, Beide blaß, stumm – der entschlossenen Freundin Alles überlassend.

Der Commissair wandte sich zu einem seiner Begleiter.

»Ist es dieser?« er wies auf den Fürsten.

»Certainement! ich kenne ihn an der grünen Blouse und dem Hut. Lassen Sie ihn verhaften.«

»Mein Herr, Sie sind mein Arrestant, folgen Sie ohne Widerstand. Meine Damen, ich sehe, Sie sind sehr unangenehm auf dem Wege zu einem vergnügten Abend überrascht worden. Entschuldigen Sie meine Pflicht.«

»O, mein Herr, wir sind Ihnen vielen Dank schuldig, – der Schreck und die Angst waren groß – wir hatten zwar den Schutz unseres Cavaliers – aber –«

»Ich verstehe,« sagte der Beamte galant und discret mit einer leichten Verbeugung nach dem Salon. »Meine Pflicht zwang mich jedoch, jede Rücksicht bei Seite zu setzen. Es hat heute Abend bei der Wiedereröffnung der Opéra comique ein höchst verabscheuungswürdiges [180] Attentat gegen Seine Majestät den Kaiser unternommen werden sollen, dem jedoch die Behörden glücklich auf die Spur gekommen sind. Bei den Verhaftungen in der Straße Marivaux entkamen mehrere Personen, unter Anderen dieser Mann. Nochmals also meine Entschuldigung und viel Amüsement. – Allons!«

»Eilf Uhr – der Bahnzug geht ab!« –

»Was sollen die Albernheiten? – für Bicêtre 1 können Sie Ihre Manöver später machen. Mich täuschen Sie nicht. Marsch!«

Ein leiser Schauer schien durch die Glieder des Fürsten zu laufen, als er von zwei Agenten an den Armen gefaßt und fortgeführt wurde. Er folgte willenlos, – sein starres Auge wandte sich nicht einmal zur Seite, – unter der Thür hörten die Zurückbleibenden nochmals seine Stimme:

»Eilf Uhr – der Zug geht ab!« –

– – –

Als die Lorette von der Geleitung des Commissairs erschöpft, aufgeregt zurückkehrte, lag Nini ohnmächtig im Arm ihres Bruders.

Fußnoten

1 Ein großes pariser Armenhaus, zugleich Irrenanstalt für Männer.

Die Massacre auf Chios
[181] Die Massacre auf Chios.

Der Mond warf seinen klaren durchsichtigen Schein auf Berg und Meer. Dasselbe silberbleiche Licht erhellte die Ruinen des genuesischen Forts auf der Höhe des Pagus von Smyrna, das seinen kalten herzlosen Strahl auf das Märthyrerthum Stephana's in den Bergen der Zenta warf.

Wo die Ruinen sich nach dem Meer zu öffnen, das mit seinem ewig schwellenden Busen in jenem Silberschein unruhig zu träumen schien, lag die Bande des Räubers gelagert, der Smyrna beherrschte: auf einer Marmorquader Gregor Caraiskakis; an seine Knie gelehnt, trauernd aber vertrauend zu ihm emporblickend Diona, in deren reichen, nur von einer Spange zusammengehaltenem Rabenhaar die Hand des Bruders spielte. Vor ihnen der Kameelführer und Welland, der treue Freund. Nur wenige Schritte davon schürte Mauro ein kleines thönernes Kohlenbecken, aus dem er von Zeit zu Zeit seinem Oheim oder dem Doctor eine glimmende Kohle reichte, mit der sie ihren Schibuk 1 in Brand erhielten. Es ist eine der Liebhabereien der Orientalen, häufig Holzkohlen für ihren Pfeifenkopf zu nehmen, gleich wie die Europäer wiederholt ihre Cigarren anzünden, und Jeder trägt daher im Gürtel eine besondere Kohlenzange in der Scheide bei sich.

Etwas weiter, rings um die Gruppe, aber doch im Bereich des Gesprächs, lagerten die Genossen des Räubers.

Welland hatte bei seiner Ankunft Besseres gefunden, als er nach den Vorgängen der Nacht und den Mittheilungen des Freundes [182] hoffen durfte. Eine schwere Beichte des Mädchens hatte stattgefunden, aus der sie jedoch weniger schuldig, als es geschienen, hervorgegangen war. Sie hielt sich für Sir Maubridge's Gattin und nur als solche war sie ihm gefolgt, nachdem in der Nacht vor der Flucht der britische Viceconsul eine Art von Ceremonie vorgenommen, die ihr Liebhaber für genügend und bindend erklärte, und die das Mädchen in ihrer Unbekanntschaft mit den europäischen Gebräuchen und von Leidenschaft verblendet, gleichfalls dafür ansah. Bei der Kenntniß, die Gregor bereits von dem Charakter und Treiben des Beamten erlangt hatte, tauchte freilich sofort der Argwohn in ihm auf, daß die Schwester nur das Spiel eines unwürdigen Betrugs gewesen sein könne, und er beschloß mit dem Freunde, sich vorerst darüber Gewißheit zu verschaffen und wo möglich Sir Maubridge selbst zur Rede zu stellen. Der Ceremonie, die, wie Diona ihm mittheilte, einfach nur in Vorlesung und Unterzeichnung einiger in der ihr unbekannten englischen Sprache abgefaßten Papiere und in dem Tausch von Ringen bestanden, hatte außer dem Schreiber des Consuls nur ein alter Matrose, derselbe, den Mauro in der Villa so rechtzeitig aus dem Fenster stürzte, bei gewohnt. Auf die Versicherung Gregor's, sich friedlich und ohne Haß an ihren Gatten wenden und nur die öffentliche Anerkennung ihrer Ehe erzwingen zu wollen, hatte sie ihm vertraut, daß sie Beide am Morgen mit der Felucke nach Tenedos oder Dardanelli hatten abgehen wollen, um dort einige Zeit zu verweilen, da Maubridge Freunde und einen Bruder auf der englischen Flotte hatte. Die Nachricht von dem Tode ihrer Mutter warf einen trüben Schleier über die neuen Hoffnungen der jungen Frau und träumend und stumm, aber vertrauend auf den Bruder, saß sie an dessen Knie und horchte nur wenig auf das Gespräch der Männer, an den geliebten Verführer denkend, von dem Mauro die Kunde gebracht hatte, daß er nach einer Fahrt nach Smyrna am Morgen, wirklich am Nachmittag mit der Felucke abgesegelt sei. Der Consul hatte sich noch am Vormittag zu dem Pascha begeben, um energische Reclamationen wegen des Ueberfalls und des Niederbrennens seines Landhauses zu erheben und Jan Katarchi wußte durch seine Spione, daß Ali Pascha sofort Befehle ertheilt, Streifzüge gegen die Räuber zu unternehmen. Doch Jan spottete derselben, da er einestheils selbst unter den Khawassen des Paschaliks gute Freunde zählte, theile sie im schlimmsten Fall nicht zu fürchten brauchte. In der[183] That war die Schaar, die damals die Polizeimannschaft von Smyrna bildete, nicht viel besser als die Räuberbande selbst, mit Ausnahme der Khawassen der Consulate, die ernste tapfere Männer sind; jedenfalls war sie zerlumpter und schlechter bewaffnet und disciplinirt als die Räuber und der Khawass-Baschi 2 keineswegs sehr geneigt, sich mit der gefährlichen Jagd auf den kühnen Kameeltreiber stark zu befassen. –

Die Gruppe an den Ruinen des Forts im Mondlicht gewann durch das schöne Bild der jungen Griechin einen besonderen Reiz. Unter der reichen in den unterirdischen Gewölben des Forts nutzlos zusammengehäuften Beute hatten sich genug weibliche Kleidungsstücke gefunden, um Diona die Mittel zu geben, vollständig in jenem schönen malerischen Costüm zu erscheinen, das die griechischen Frauen und Mädchen, die noch nicht die französische Mode nachgeäfft haben, so wundervoll kleidet. Diona bot den vollen Typus der griechischen Schönheit, einer viel andern, als wir Abendländer gewohnt sind in der Phantasie uns zu malen. Noch war sie jung genug, um nicht jene weichliche Ueberfülle zu besitzen, welche die griechischen Frauen über zwanzig Jahre fast durchgängig auszeichnet, und die nach orientalischer Sitte als schön gilt. Dagegen hatte ihr Alter – 18 Jahre, während unter diesem milden Himmel oft schon Mädchen von zwölf und dreizehn Jahren heirathen, – ihre Formen gerundet und Wellenlinien über den schönen Körper gegossen, die dem ursprünglich seinem und schlankem Wuchs von Mittelgröße einen noch verführerischeren Reiz verliehen. Das Gesicht von rundovaler Form zeigte jenen wunderschönen weißen und zarten Teint, der den Töchtern der Cycladen eigen ist, gehoben durch zarte und künstliche Röthe der Wangen, welche nicht wie bei der Toilette des Occidents durch mehr oder weniger feine Schminke, sondern durch Einreibung eines Mittels in die seinen Poren der Haut, die man durch das Ausreißen der kleinen Härchen öffnet, hervorgebracht wird, und die wochen-und monatelang ihre zarte Farbe behält, ohne der Erneuerung zu bedürfen. Augen von der wollüstig schläfernden Mandelform, aus deren Lidern zwischen den schwarzgefärbten Wimpern ein dunkler Augapfel hervorstrahlt, während ein feiner schwarzer Strich unter der Wimper des unteren Lides die Größe und den Glanz des Auges erhöht; – schön und hochgeschwungene [184] ebenholzfarbene Brauen unter einer mittelhohen freien Stirn; eine nicht gebogen, sondern grade in antiker Linie mit einer leichten Wölbung in der Mitte und voller gerundeter Spitze und starken Flügeln sich senkende Nase und ein etwas großer aber durch die herrlichsten korallenartigen Lippen eingerahmter Mund mit einem vollen runden Kinn – das ist der Typus der griechischen Frauen der Inseln und war die Schönheit Diona's. Die Toilette der orientalischen Frauen, die gewöhnlich nur zum Abend gemacht wird, erfordert fast noch mehr Zeit und Sorgfalt, als die der Schönen von Paris und Wien. Leider wird der zierliche und reiche griechische Anzug bei den Frauen Athens und Smyrna's meist schon durch das französische Costüm vordrängt, wo aber die nationale Tracht beibehalten ist, da erscheint sie reizend und höchst kleidsam. Die Frauen Smyrna's, – meist klein von Gestalt, von einem blaßgelben Teint mit unheimlich funkelnden, beweglichen, schwarzen Augen, die für große Schönheit gelten, auf den Europäer aber den Eindruck des Rattenauges machen, sind bei ihrer Verheirathung mit letzterm gewöhnlich das Verderben des Mannes. Von jener Putz- und Gefallsucht, die eine Smyrniotin beherrscht, giebt selbst die Löwin der pariser Salons kaum eine Idee. Alles was sie an andern Frauen von Schmuck und Kleidern sieht, erregt ihren Neid, und sie peinigt den Mann um noch Schöneres, das – einmal getragen – allen Reiz für sie verliert. Dazu ist sie als Frau eigensinnig, launisch, träge und in Müßiggang den Tag hinbringend, bis zur Abendzeit, wo sie in voller Toilette sich an die Thür des Hauses setzt und Besuche annimmt oder macht; und so tugendhaft sie als Mädchen ist, so selten bleibt sie es nach ihrer Verheirathung. Bei dem geringsten Widerstand gegen die oft unerträglichen Launen der eingeborenen Frau hat der europäische Gatte den ganzen Schwarm ihrer werthen Verwandtschaft bis in's zehnte Glied auf dem Hals, und er kann, braucht er sein Hausrecht, von Glück sagen, wenn er zuletzt ohne einige Messerstiche oder Pistolenkugeln davonkommt. – Unter den Verhältnissen und bei den Sitten des Orients sind die moslemitischen Frauen, bei allen sonstigen üblen Eigenschaften dem Manne eine weit bessere und geeignetere Genossin, als die christlichen.

Diona trug über dem langen seidenen Gewand von gelber Farbe die reich mit Gold gestickte offene Aermelweste, welche einen so schönen Schmuck und Theil des griechischen Costüms bildet, [185] während das, gewöhnlich von einem jener herrlichen smyrniotischen Fez's oder der längern griechischen Troddelmütze bedeckte Haupthaar frei um das schöne Gesicht wallte.

Die Männer waren in einem ernsten Gespräche begriffen. Welland hatte die Vorgänge des Tages in Smyrna mitgetheilt und die Rede sich nun auf die politischen Verhältnisse und Ereignisse überhaupt gerichtet, die den Orient und Occident zu erschüttern drohten, und auf beiden Seiten mächtige Rüstungen und Vorbereitungen aller Art hervorriefen. Constantinopel ward in diesem Augenblick noch der Centralpunkt der diplomatischen Agitationen, und von hier aus spannen sich die Fäden der Intrigue und Gegenintrigue, deren Auslaufen und Entscheidung nur Wenige noch berechnen konnten.

Caraiskakis, durch sein abenteuerndes umherziehendes Leben und die Vorgänge der letzten Zeit nur wenig und unvollständig über den Stand der Angelegenheiten unterrichtet, hatte den Freund um einen kurzen Umriß gebeten, und dieser gab ihm denselben. Wir sind genöthigt, ihn zu wiederholen, um den Leser vom Beginn unserer Darstellung und jener Recapitulation im Dom der Invaliden zu Paris auf die Zeit weiter zu führen, in welcher die gegenwärtigen Scenen spielen, – also bis zu Ende des Juni 1853. Wir geben hier im Allgemeinen die Historie der Angelegenheiten und ihre Entwickelung, wie sie sich aus den öffentlichen Vorgängen und den diplomatischen Aktenstücken dem Auge Europa's dargestellt hat und darstellen mußte, den tieferen Einblick in die Veranlassungen, in die Zwecke und den Gang für die weitere Ausführung unserer Scenen in Constantinopel selbst vorbehaltend.

Man hatte in Wien frohlockt, daß der Czar die Forderungen Oesterreichs in der montenegrinischen Frage so kräftig unterstützte, sah aber jetzt, daß das petersburger Kabinet damit einen viel wichtigeren Schlag in Constantinopel vorbereitet hatte. Rußland, das seit Katharina II. mit mehr oder weniger kurzen Unterbrechungen einen überwiegenden Einfluß in Constantinopel ausgeübt hatte, sah seit einiger Zeit denselben bedeutend geschmälert und bedroht, indem in dem Divan immer mehr französische und englische Sympathieen – offenbar auch in Folge des erweiterten socialen Verkehrs und der Erziehung junger Orientalen in Paris und London so wie des Eindringens der liberalen und demokratischen Ideen des Westens – sich geltend machten. Auch materiell hatten England und Frankreich [186] durch die Vermehrung von Consulaten, neue Handelsverbindungen etc. in der Türkei einen festern Fuß gefaßt, und bedrohten von hier aus die russische Macht. Die Frage wegen der politischen Flüchlinge nach dem ungarischen Kriege war durch Englands Einfluß gegen Rußland entschieden worden. Die türkischen Verhältnisse selbst waren kaum länger haltbar ohne eine durchgreifende Reorganisation und Aenderung, das fühlten und sahen mehr noch als die europäischen Höfe die einsichtsvolleren Orientalen selbst, und an solchen fehlte es keineswegs. Denn der Einfluß, welchen alle Staaten Europa's nach und nach sich in der Türkei erworben, theils durch die Tractate, theils durch ihre Machtstellung und Handlungen eigener Machtvollkommenheit, war der Art, daß von einer Souverainetät der Pforte fast gar nicht mehr die Rede blieb, und deren Schatten einzig durch die Rivalität der occidentalischen Staaten bewahrt wurde. Die immer stärker hervortretende Entmannung des Islams in Europa hatte die frühere bedeutende und gefährliche aggressive Macht der Türkei nach Außen längst aufgehoben, und jene oben erwähnten internen Verhältnisse lassen das, dem Kaiser Nicolaus zugeschriebene, eigentlich aber schon vom Hofe Katharina's stammende und auch von Napoleon I. gebrauchte Bild von »kranken Mann« sehr der Wahrheit entsprechend erscheinen. Die von Frankreich genommene Aggressive durch den Streit um die heiligen Stätten 3 drohte eine eben solche Wendung zu nehmen, wie die Flüchtlingsfrage. Rußland durfte die Interessen der griechischen Christen unter keinen Umständen im Stiche lassen, wenn es nicht die für seine traditionellen und historischen Pläne so nothwendigen Sympathieen derselben aufgeben wollte, und so war es zu einem herausfordernden Auftreten und einem Beginn des Streites gezwungen, den es offenbar erst für ein Jahrzehend später bestimmt hatte und zu dem es noch keineswegs durch seine inneren Einrichtungen, Eisenbahnen, Marine etc. vorbereitet war. Dennoch hatte man sich in Petersburg [187] dem Glauben hingegeben, daß die russische Machtstellung im europäischen Staatenverband und sein bisheriger dominirender Einfluß auf Mittel-Europa hinreichen würden, ernste Conflicte zu vermeiden. Dazu kam der blinde Glaube an die Unmöglichkeit einer politischen Alliance Englands und Frankreichs. Kaiser Nicolaus, einer der ehernsten Charactere der Weltgeschichte, rechnete Völker und Länder zu sehr als Zahlen von seinem erhabenen Standpunkt aus und trug den tieferen Erscheinungen und Characteren der Gegenwart zu wenig Rechnung.

Fürst Mentschikoff, der russische Marineminister, war am 28. Februar in Constantinopel eingetroffen und hatte einen feierlichen Einzug unter dem Jubel der griechischen Bevölkerung gehalten, dir in der Initiative Rußlands eine neue Aera ihrer Jahrhunderte lang bewahrten Hoffnungen und Wünsche aufblühen sah. Unter den niederen Klassen der Griechen hatte sich faktisch das Gerücht verbreitet, der Fürst werde mit den Griechen von Constantinopel das nächste Osterfest in der Sophien-Kirche, – diesem ehemaligen Palladium des griechischen Christenthums – feiern. Es ist Thatsache und durch zahlreiche Beweise dargethan, daß dieser Glaube und die Aufregung unter der griechischen Bevölkerung nicht allein in Constantinopel, sondern auch in Smyrna und Kleinasien hauptsächlich durch die revolutionaire Propaganda, durch die politischen Flüchtlinge, genährt und verbreitet wurden.

Der starre Charakter des Fürsten war zur Führung intriguenvoller diplomatischer Verhandlungen, in denen die orientalischen Staatsmänner den feinsten Diplomaten des Westens überragen, wenig geeignet und wir haben bereits zu Anfang unseres Werkes angedeutet, welchem Einfluß es gelungen war, gerade dieser, dem Charakter des Kaisers so ähnlichen Individualität die Betrauung mit dieser schwierigen Mission zuzuwenden. Der Fürst hatte sich geweigert, dem Minister des Auswärtigen, Fuad Effendi, der Etikette gemäß, seinen Besuch zu machen, mit der Erklärung, daß Rußland gerade besondere Beschwerdegründe gegen diesen ihm persönlich feindlichen Minister habe, welcher auch die Verhandlungen wegen der Auslieferung der ungarischen und polnischen Flüchtlinge geleitet hatte. Die Pforte zeigte dem energischen Auftreten des Fürsten gegenüber sofort ihre Nachgiebigkeit durch die Enthebung Fuad Effendi's von seinem Portefeuille. Getäuscht durch dieses Resultat ging der Fürst weiter. Der vorgeschobene Beschwerdepunkt: [188] der Krieg gegen Montenegro, war bereits durch die österreichische Intervention beseitigt – es blieb also nur die Frage wegen der heiligen Stätten, hauptsächlich über den Besitz der Schlüssel zum heiligen Grabe, welchen sowohl die Lateiner (Katholiken) wie die Griechen in Anspruch nahmen.

Die Unterhandlungen wurden auf das ausdrückliche Verlangen des Divans unter Zuziehung des Vertreters von Frankreich gepflogen, die Reclamationen des Fürsten in den Noten vom 19. und 22. März und 19. April, in welchen er die Rechte der griechischen Kirche den Lateinern gegenüber in dieser Angelegenheit gewahrt verlangte, durch Erlaß eines Fermans erledigt, welcher die Rechte der Griechen gegen alle Uebergriffe der Katholiken sichern, zugleich aber diesen – also den Franzosen – die neuerdings durch Capitulationen erworbenen Rechte unverletzt erhalten sollte.

Frankreich hatte bei der ersten Nachricht von der Sendung des Fürsten Mentschikoff seine Mittelmeer – Flotte nach den griechischen Gewässern gesandt, der englische Admiral Dundas sich geweigert, auf die gleiche Requisition des britischen Vertreters in Constantinopel, Oberst Rosen, dasselbe zu thun.

Die Frage wegen der heiligen Stätten schien geregelt, war es aber nichts weniger als das, denn Fürst Mentschikoff verlangte jetzt zugleich Bürgschaft gegen künftige Verletzungen der eingegangenen Verträge, und zwar in Form einer förmlichen Verpflichtung in seiner Note vom 5. Mai, auf die er Antwort binnen fünf Tagen forderte. Dies war der Wendepunkt, an dem auf's Neue das Spiel der politischen Intriguen begann. Die Hauptforderung Rußlands ging darauf hinaus, daß die Pforte in einem besondern Sened (Protokoll) der griechischen Kirche in der ganzen Ausdehnung ihres Gebiets alle von Alters her besessenen Rechte, Privilegien und Immunitäten unverändert auf der Grundlage des bestehenden Status quo gewährleisten solle, und daß die griechische Kirche berechtigt sei, alle den begünstigtsten christlichen Nationen eingeräumten Vorrechte auch für sich in Anspruch zu nehmen.

Durch die Gewährung dieser Forderung hätte der Czar das Recht erhalten, als Protektor der orientalischen Kirche, also der griechischen Unterthanen des Sultans sich bei allen entstehenden Streitigkeiten derselben mit der türkischen Regierung zum Schiedsrichter aufzuwerfen.

Das war gewissermaßen eine vollständige Abhängigkeit von [189] Rußland, obschon auf der andern Seite nicht zu läugnen stand, daß die griechische Kirche und Bevölkerung in der Türkei dringend einer Befreiung und eines energischen Schutzes ihrer Rechte bedurften.

Unterm 10. Mai beantwortete der Divan ablehnend dieses Verlangen als Eingriff in die Souverainetätsrechte des Sultans, die geringeren angeschlossenen Forderungen bewilligend. Zugleich trat durch den Einfluß des seit dem 5. April in Constantinopel wieder eingetretenen britischen Gesandten Lord Stradfort de Redcliffe eine Veränderung des türkischen Ministeriums im britischen Sinn ein. Der bisherige Großvezier Mehemet Ali wurde Kriegsminister, Rifaat Pascha Minister – Präsident und Reschid Pascha trat an die Spitze des Auswärtigen.

Fürst Mentschikoff antwortete am 11. Mai auf die türkische Note und kündigte, als die neuen Verhandlungen kein Resultat herbeiführten, am 18. an, daß er seine officiellen Verbindungen mit der Pforte abbrechen müsse, weil man für Sicherung verbriefter und unbestreitbarer Rechte, und anstatt die Abhilfe gerechter Beschwerden ernstlich zu leisten, ihn nur mit leeren Ausflüchten hinhalte 4.

Fürst Mentschikoff zog sich nach dieser Mittheilung vom 18. Mai an Bord des bei Bojukdere ankernden Dampfschiffes zurück, das ihn nach Odessa bringen sollte, setzte aber noch die privaten Unterhandlungen fort. Da die Pforte jetzt hartnäckig alle Modalitäten des Ultimatums zurückwies, verließ der Fürst am 21. Mai mit dem russischen Gesandtschafts-Personal Constantinopel, wo nur die Handelskanzlei zurückblieb.

Die türkische Regierung zeigte unterm 20. Mai den Vertretern der vier Großmächte an, daß sie sich gezwungen sähe, gegen [190] die großen Rüstungen Rußlands an der Gränze der Donaufürstenthümer offen ihre Gegenanstalten zu treffen.

Der russische Minister des Auswärtigen, Reichskanzler Graf Resselrode, schickte im nochmals eine Note an Reschid Pascha, in welcher er die Annahme der früher gestellten Bedingungen binnen acht Tagen forderte, widrigenfalls Rußland die Donaufürstenthümer besetzen würde, erklärte jedoch dabei, daß diese Besetzung eben nur als Pfandnahme und nicht als Kriegserklärung zu betrachten sei.

Das Protectorat der Donaufürstenthümer berechtigte übrigens Rußland nach dem Vertrage von Baltaliman nur zu einer gemeinsamen Besetzung derselben mit der Türkei im Fall innerer Unruhen.

Eine durch die Bemühungen der Vertreter Preußens und Oesterreichs ziemlich gemäßigte Note des Divan, in der man sich bereit erklärte, einen besonderen Gesandten nach Petersburg zu schicken, lehnte diese Forderung nochmals unterm 10. Juni ab.

Am 14. Juni war der neue österreichische Gesandte, Baron von Bruck, in Constantinopel eingetroffen; die Sendung des Grafen Gyulai nach Petersburg sollte zugleich dort die Versöhnung vermitteln. Frankreich und England, die nach der Einleitung des Conflicts zwischen Petersburg und der Pforte sich deräußeren Einmischung fern gehalten hatten, riefen jetzt ihre Flotten in die Nähe von Constantinopel, und dieselben warfen am 15. Juni in der Besika – Bai am Eingang der Dardanellen Anker. Die Gesandten erhielten jetzt öffentlich Vollmacht, im Fall einer Kriegserklärung des Sultans gegen Rußland die Flotten nach Constantinopel zu rufen.

Zugleich hatte jener diplomatische Notenwechsel zwischen den Kabinetten von Petersburg, Paris, London, Berlin und Wien begonnen, durch welchen die streitenden Parteien die Schuld der Zwistigkeiten und deren weitere Folgen sich gegenseitig aufzuwälzen versuchten. –

Dies war die Uebersicht, die Welland dem Freunde mittheilte, da er sich, obschon bereits im März von Paris abgereist, doch bei seinem zweimonatlichen, durch eine Krankheit veranlaßten Aufenthalt in der Schweiz und Oberitalien fortwährend von dem Gang der politischen Angelegenheiten in Kenntniß erhalten hatte.

»Mir scheint, Freund,« sagte er zum Schluß, »der redliche Wille einer Versöhnung und Ausgleichung ist auf keiner Seite [191] sonderlich groß und der Zwischeninteressen, die in dem Streit spielen, scheinen so viele, daß eine friedliche Lösung kaum zu denken ist. Es scheint gegenwärtig allein das Ziel der Betheiligten, vor den Augen der Welt die Schuld des Angriffs und des bevorstehenden Krieges Einer auf den Andern zu werfen. In Frankreich, ja selbst in Deutschland, hält man den Krieg für unvermeidlich und erwartet jeden Augenblick den Ausbruch. Es ist offenbar, daß wir auf einem unterwühlten Boden stehen, und Niemand kann sagen, nach welcher Seite die Wagschaale sich senken, wo das gezogene Schwert rasten wird. Alle Verhältnisse scheinen sich umgekehrt zu haben, Freunde stehen sich feindlich einander gegenüber, alte Feinde haben den Groll im Busen verschlossen und machen gemeinsame Sache, – willenlos folgt der Einzelne, Unbedeutende diesem Wogenschlag der Völker, glücklich, wenn er aus der kommenden Zerstörung sich selbst und das, was ihm theuer ist, in einen sicheren Port retten wird. Ich fürchte, Freund, auch unser Schicksal wird uns in das volle Wogengebraus hinaus werfen.«

»Ja wohl haben Sie Recht, daß alle Verhältnisse verkehrt und aus den Fugen gerückt sind in diesem Streit!« entgegnete mit Bitterkeit der Grieche. »Steht nicht das allerchristlichste Frankreich, das streng protestantische England neben dem ewigen Erbfeind des Kreuzes, um drei Millionen Türken das Recht wahren zu helfen, zehn Millionen Christen zu unterdrücken, zu tyrannisiren, sie aller historischen und menschlichen Rechte zu berauben? Zu wem soll das Volk der Griechen vertrauend aufsehen, zu England und Frankreich, die für ihre Theilnahme an Navarin mein armes Vaterland zu Grunde richten? die, Sieger über unsere Tyrannen, ihnen den größten Theil des Volkes, dessen Freiheitskampf ganz Europa damals zujauchzte, wieder unter die Sohlen warfen? – Macht denn der wiener Vertrag die Weltgeschichte und die Rechte und die Historie der Völker, oder gab es ein byzantinisches Reich, das Jahrhunderte Europa voran blühte, und dessen Verderben die westlichen Staaten durch die Kreuzzüge herauf beschworen, während sie es dann hilflos in die Hand der Feinde des Kreuzes fallen ließen?!«

»Ich glaube schwerlich, Freund, daß Sie es besser haben würden unter dem Scepter oder der Knute Rußlands, als Ihre Väter es unter der Peitsche des Moslems hatten. Sie wünschen die Wiedergewinnung und Erhebung Ihrer Nationalität. Wohl! [192] aber Rußland, Ihr Beschützer, ist doch gewiß gerade der Staat, der eine fremde Nationalität am wenigsten achten würde, der Staat, der in seinen eisernen Armen jedes fremde selbstständige Leben zu unterdrücken, zu tyrannisiren droht. Wo anders her stammt die Furcht und der Haß Europa's und jedes Einzelnen vor diesem Koloß? Blicken Sie hin nach Polen –«

»Meinen Sie denn,« unterbrach ihn der Grieche, »daß mein Volk auch nur den Gedanken in sich trägt, ein Theil des russischen Reiches zu werden? Keinem Hellenen kommt die Idee! Frei wollen wir sein auf unserer eigenen Erde, die getränkt ist mit tausend großen Erinnerungen der Vorzeit, Herren unseres eigenen Landes, das zur Wüste geworden, dessen Kirchen zerstört, dessen Kinder geschändet und geschlachtet sind von einer Handvoll Ungläubiger. Das Kreuz soll herrschen in der alten Hauptstadt unseres Landes, die einst zwei Welttheilen Gesetze vorgeschrieben, so gut wie Ihr Rom, unsere heilige Kirche gereinigt werden von der Schmach des falschen Götzendienstes!«

Sein Auge flammte, seine Hand war erhoben, als er von der Unterdrückung seines Vaterlandes, von den Hoffnungen sprach, welche die Brust jedes Hellenen schwellen. Auch Diona, die Tochter Griechenlands, schaute, auf den Knieen liegend, mit gerötheten Wangen und feurigen Augen empor zu dem Bruder.

Der Räuber hatte sich aufgerichtet aus seiner trägen Stellung.

»Höre mich, Franke,« sagte er mit seiner tiefen Stimme. »Ich bin nicht gelehrt wie Du und mein Sohn hier aus edlem Geschlecht; ich bin ein geringer Mann aus dem Lande meiner Väter, ein Dieb und Mörder, und verstehe Nichts von dem, was die Könige des Frankenlandes sprechen und wollen. Aber sie sind Staub in den Augen des großen Czaren, der stets unser Freund war, wie sie Staub sind in den unsern. Wem sollen wir trauen, auf wen sollen wir hoffen, wenn nicht auf ihn, dessen Glaube der unsere ist, der der ewige Feind unserer Tyrannen gewesen und sie bekämpft hat? Sollen wir vertrauen auf den Bruder, der sich uns bewährt und uns geschützt hat, oder auf den Fremdling, der unserer höhnt und spottet, die Früchte unseres Fleißes an sich reißt und mit unsern Unterdrückern gemeinschaftliche Sache macht?«

»Da hören Sie die Stimme des Volkes,« sagte Gregor; »wie dieser denken und sprechen Tausende, ja Millionen.«

[193] »Aber was wollen Sie gegen die Uebermacht? Jeder Versuch zu Rußlands Gunsten würde Ihren Landsleuten unter türkischer Herrschaft nicht allein das Joch schwerer auflegen, sondern auch die Westmächte zwingen, ihnen allen Schutz zu entziehen. Ganz Europa sieht die Parteinahme derselben gegen Rußland als eine Demonstration der Cultur und Civilisation gegen die Principien der Unterdrückung und Willkür an, die der östliche Koloß bisher geübt hat und immer weiter ausdehnen möchte. Die Politik der Staaten Europa's muß die Herrschaft der Pforte ungeschmälert aufrecht erhalten.«

»Die Politik?« rief mit Empörung der Grieche. »Sie haben Recht, dies herzlose Wort zu gebrauchen, das einst den Namen Europa's mit Schmach auf den Blättern der Geschichte beladen wird. Diese Staaten und Könige nennen sich die christlichen, die Vertheidiger und Beschützer der Kirche – und sie dulden, daß ein christliches Volk die Fesseln der Moslems trägt! Hatte Spanien ein größeres Recht denn wir, als es ein gesittetes kunstthätiges Volk über das scheidende Meer im Namen des Kreuzes zurückwarf? zog der Pole Sobieski nach Wien bloß zur Rettung der Kaiserstadt oder für den Sieg des Christenglaubens? Schmach über die Nationen des christlichen Europa's, die Missionen auf Missionen zu den fernen Heiden senden und für ihre christlichen Brüder im eigenen Erdtheil kein Gefühl haben! Schmach endlich über Ihre Liberalen und Republikaner, die Revolutionen proklamiren in Ländern, die sich wohl fühlen unterm Schutz der Ordnung und des Gesetzes, und für die Befreiung eines Brudervolks von den Ketten hundertfach ärgerer Sclaverei, als je Rußland oder Oesterreich einem Lande auferlegt hat, kein Wort, keine Waffe haben, ja, die diese Waffen noch Denen zu leihen sich drängen, welche die Fesseln dieses geknechteten Volkes für weitere Jahrhunderte schmieden wollen!«

»Unterm Schutz Frankreichs und Englands wird die Civilisation und das Recht des Einzelnen auch hier den Sieg gewinnen, schon hat der Divan sich zu bedeutenden Verbesserungen entschließen müssen und eine neue bessere Aera blüht auch für die christliche Bevölkerung der Türkei empor.«

Caraiskakis legte die Hand auf seinen Arm.

»Glauben Sie wirklich, daß es Versöhnung geben kann zwischen dem Opfer und seinem Henker? daß ein Volk, das solche Leiden [194] getragen, so Ungeheures erduldet hat, wie das meine, je den Unterdrücker ehren und lieben lernen wird? Meinen Sie, daß es ein Vergessen zu geben vermag zwischen einem Hellenen und einem Bekenner des Propheten? – Dann, Welland, dann haben Sie nie erfahren, was wir gelitten, dann haben Sie nie bedacht, daß seit Jahrhunderten das Blut des Vaters den Sohn, die Schmach der Schwester den Bruder, das Gewimmer der gemordeten Säuglinge die Mütter zum ewigen unauslöschlichen Haß entflammt hat und mein Volk entflammen wird, so lange noch der Name Moslem das Land jenseits dieses trennenden Meeres entehren wird. Ihre Zeitungen, Ihre Fürsten, Ihre Völker haben vergessen, was vor kaum dreißig Jahren auf jenen Bergen, auf jenen Inseln geschehen – aber wir vergaßen es nicht, die wir in den Strömen des vergossenen Blutes geboren und mit der Verzweiflung gesäugt worden sind. Ich ward es, Welland, ich, der Sohn des unglücklichen Chios, und wollen Sie eine Geschichte hören, die Sie lehren mag, die Gefühle und Erinnerungen meines Volkes besser zu beurtheilen, wohlan, hier ist der Mann, der sie Ihnen geben wird: Janos!«

»Mein Sohn, Du hast gut gesprochen, und wenn Du willst, daß ich die Geschichte Deiner eigenen Kindheit aus meiner Jugend zurückrufe in mein Gedächtniß und in meinen Mund, so soll sie dieser Franke hören.«

»Auch uns gieb sie, Mann, auch uns, Gregor und Diona, den Kindern der Frau, die Dein Heldenmuth gerettet.«

Der – wir wollen ihn in diesem Augenblick trotz seines Handwerks so nennen – der Palikare richtete sich auf und setzte sich auf einen nahe liegenden Stein; um ihn her näher heran drängte sich der ganze Kreis. Als Janos zu seiner Erzählung 5 [195] das Wort nahm, war in seiner Rede und in seinen Geberden etwas Poetisches, Schwungvolles, das auch den niedersten Ständen des Südens eigen zu sein pflegt und jedes Element des Gemeinen, Unbehilflichen beseitigt, das uns so oft unter den niedern Volksklassen im Norden anwidert.

»Euer Vater, meine Kinder,« begann der Räuber, »war ein wohlhabender Mann auf der Insel Chios und trieb Handel mit Mastix 6 nach Constantinopel. Chios war damals ein blühendes Land, ein Garten Gottes, reich gesegnet mit Fruchtbarkeit und Schönheit. Was unser Himmel bietet, fand man auf der Insel, der Hafen von Kastron war gefüllt mit Schiffen aller Nationen, und hundertzwanzigtausend thätige, wenn mit der türkischen Herrschaft und ihrer Willkür auch nicht zufriedene, so doch ruhige und fleißige Menschen bewohnten die Insel. Das kam, weil von Constantinopel selbst uns Schutz und Schirm gegen die Tyrannei wurde, unter der unsere Brüder auf den Cycladen und dem Festlande seufzten, denn Chios gehörte Fatme Sultana, der Schwester des Großherrn, als Eigenthum, und sie bezog jährlich nicht weniger denn zwölfhundert Beutel 7 von unserer Insel, die den Mastix erzeugt wie kein anderer Ort in der Levante. Wie bald sollten wir Jene beneiden lernen!

Ich war in Ipsara geboren, aber schon als Knabe in das Haus Deines Vaters gekommen und hatte ihn auf vielen Reisen nach Athen, selbst nach Triest und Constantinopel begleitet. Der Name Deines Vaters war geachtet und er zählte zu den Patrioten, die über dem Gewinn des Handels und dem Klange des Goldes nicht vergaßen, daß der Besitz ihrer Habe, ja ihrer Familie und ihres Lebens nur Schein und von der Willkür des Muselmannes abhängig war, daß unser heiliger Gottesdienst nur gegen schwere Geschenke an die Machthaber geduldet wurde und [196] jedes Rechts entbehrte, daß die Ehre unserer Frauen und Töchter das Spiel der Lüste unserer Herren blieb und der Moslem verächtlich vor dem eingebornen Sohne des Landes ausspie und ihn Giaur nannte, wenn er demüthig an ihm vorüberging. Wir waren elender, als das von Gott verfluchte Volk der Erde ist!

Es bestand damals – und man hat mir erzählt, daß er seit mehr als hundert Jahren unter meinem Volke bestanden – ein geheimnißvoller Bund, Elpis 8 genannt, der über das Festland und alle Inseln, ja weit hinein nach Asien und über Byzanz hinaus ging und alle Besseren, Tugendhaften und Tapferen unseres Volkes in seinen Reihen zählte. Wo die tausend Felseninseln wie Sterne auf dem blauen Meere schwimmen, da giebt es kleine Eilande, unzugängliche Berge, auf die sich freie Männer geflüchtet haben und wohin noch nie der Fuß eines Moslems ungestraft gekommen ist. Hier ist die Wiege der griechischen Freiheit, und aus diesen Felsenbuchten, in deren Schutz die Häupter der Elpis sich alle vier Jahre zu versammeln pflegen, ging der ewige Krieg aus, den, von den Franken verlassen, unser Volk wenigstens im Einzelnen seit Jahrhunderten gegen die Ungläubigen geführt hat. Frei wie der Palikare auf den Bergen Livadien's und des Taygetos war der Capitano, der auf seiner schwarzen Felucke mit kühnen Männern das Aspri Thalassa 9 durchstrich und leicht, wie die Schwalbe die Lüfte durchzieht, hinauf bis zum weißen Lemnos zog oder vor dem Golf von Saloniki kreuzte, und überall den schwerfälligen Moslem, den habgierigen Franken überfiel und besiegte.

Dein Vater, Gregor, gehörte seit Jahren der Elpis an, und als die Stunde gekommen war, wo auf dem Festlande die Fahne des Kreuzes gegen den unerträglichen blutigen Druck erhoben werden sollte, eilte er dahin. Wundert Euch nicht, daß ich, ein schlichter Kameeltreiber, so genau die Geschichte meines Landes kenne, aber die Namen, die ich nenne, sind mit Blut in die Tage meiner Jugend geschrieben. Vom Norden, vom großen Czar aus Moskau her kam auch damals der Ruf unserer Freiheit. Fürst Ypsilanti zog in das Land ein, das an dem großen Strome liegt, [197] der uns von unsern russischen Brüdern scheidet 10, aber die heilige Schaar 11 fiel unter der türkischen Uebermacht, und der Großherr in Constantinopel schwor bei seinem Barte, Alles zu vertilgen, was Grieche hieß in diesem Lande 12. Auch zu uns kam die Kunde, wie man in Constantinopel, in Smyrna und Salonichi alle Kirchen zerstört, wie man unser Volk beraubt und gemartert, unseren ehrwürdigen Erzbischof, den heiligen Gregorius 13, ermordet hatte. Da entbrannte in den Herzen unseres Volkes die heilige Flamme und überall schlug das Feuerzeichen der Freiheit empor! Von Achaja aus tönte der erste Ruf, und als der Erzbischof von Patras 14 das Kreuz aufrichtete, da klang es wieder in Aetolien, wie in Attika, Akarnanien und Livadien; auf Spezzia, Ipsara und Hydra, auf Samos wie im Epirus und Thessalien, wo die tapferen Sulioten und Agraphen sich mit dem Löwen von Janina 15 verbanden, der längst schon am türkischen Joche gezerrt. Der alte Held Kolokotroni zog mit seinen Klephten daher, der edle Nikitas, Petros Mauromichalis, der Bey der Marina! Mit Wonne hörten wir jede Kunde, die Schiff um Schiff uns brachte, aber Chios wagte es nicht, laut in den allgemeinen Jubelruf einzustimmen, denn Vehid Pascha der Gouverneur hatte Zehn der angesehensten Chioten nach Constantinopel als Geißeln geschickt und nahm jetzt [198] aus jedem Dorfe zwei Primaten 16 und warf sie in die Kerker von Kastrone, um sich gegen einen Aufstand zu sichern.

Dein Vater, Gregor, war, zeitig gewarnt, auf den Ruf Maurokordatos', seines Freundes, der auch aus Chios stammte, nach Attika geeilt. Mich, ich war damals achtzehn Jahre alt, ließ er bei seiner Familie zurück, denn Deine Mutter trug Dich noch an der Brust und selbst Dein Bruder Andreas zählte erst vier Jahre. In dem Landhause Deiner Familie, an der Bucht von Volisso, glaubte er sie vor allen Stürmen geschützt und ich mußte ihm auf das Kreuz schwören, sie nie zu verlassen.«

Gregor reichte dem alten Diener seiner Familie die Hand.

»Vater Michael,« sagte er weich, »und die Mutter, die jetzt Beide im Himmel sind, bezeugen dort Oben, wie treu Du Wort gehalten.«

Janos küßte die Hand und führ in seiner Erzählung fort.

»Die guten Tage für Chios waren vorüber. Veli Pascha und seine Aga's machten sich die Erbitterung des Divans gegen das griechische Volk zu Nutze und begannen Unterdrückungen und Erpressungen, die bald allen Grausamkeiten die Waage hielten, welche unsere Brüder auf dem Festlande je erduldet hatten. Den noch widerstanden die Bewohner von Chios dem Ruf, der täglich von Samos und Ipsara her erging, zu den Waffen zu greifen und sich dem allgemeinen Kampfe anzuschließen; denn in den Kerkern von Kastrone lagen ihre Väter und Brüder, hundertundzwanzig an der Zahl, darunter die sieben Bischöfe unserer Insel, und jede Familie zitterte bei dem Gedanken an das Schicksal, was die theuren Häupter in der Gewalt unserer Tyrannen beim geringsten Zeichen des Widerstandes bedrohte.

Aber Gott und die Heiligen hatten es anders bestimmt, ihr Geschick sollte von Außen her entschieden werden. Fürst Logotheti 17 und General Burnia landeten am 25. März 18 mit zweitausend Samioten auf Chios und pflanzten mit Gewalt das Kreuz der Freiheit auf der Insel auf. Wie unser Aller Herz ihnen entgegen schlug! dennoch wagten nur sehr Wenige, sich ihnen anzuschließen, [199] das ganze Land, alle Dörfer waren thatsächlich, als nach achtzehn Tagen das grause Unheil auf uns einbrach, noch unbewaffnet.

Die Samioten griffen Kastrone an und erschlugen hundertundfünfzig Türken im Gefecht. Vely Pascha mit den Seinen flüchtete in das Kastell und wurde hier belagert.

Das Verderben aber war nahe. Bald erscholl die Nachricht von der Annäherung des grausamen Kapudan Pascha mit der türkischen Flotte. Allgemeines Schrecken verbreitete sich, und wer da konnte, flüchtete sich. Am 12. April schiffte der Kapudan mit 15,000 Mann von Tschesme nach der Insel über, die Schiffe von Ipsara und Hydra kappten die Anker und flohen, zwölftausend Bewohner der Insel mit ihnen. Sieben der Schiffe fielen in die Hände der Türken und wurden mit den Unglücklichen versenkt, – ihr Loos war glücklich gegen das der Zurückgebliebenen.

Ein allgemeines Entsetzen hielt diese befangen und unthätig, während hätten sie sich mit den Samioten verbunden – sie mit sicherem Erfolg der Macht der Türken Trotz geboten haben würden. Doch man verließ sich auf das Versprechen des österreichischen und französischen Consuls, die mit dem Kapudan Pascha unterhandelt und die Zusage allgemeiner Amnestie überbracht hatten, wenn man alle Waffen ausliefere. Dies geschah; nur Wenige hielten sich mit Logotheti und Burnia in den Batterieen von Turloti, und dort entbrannte ein heißer Kampf am 12. und 13. April. Alle Gegenwehr war vergeblich, die Schanzen wurden erstürmt, die Führer retteten sich durch die Flucht, während der Ueberrest der tapferen Schaar sich in das Kloster Yamon warf und Schritt um Schritt, Blut um Blut jeden Fußbreit gegen die anstürmenden Schaaren vertheidigte. Sie wußten ihr Schicksal, und während die Kirche von Turloti in Flammen aufging, während die Türken bereits die Gräber aufrissen und die Leichen verstümmelten, fiel einer der Helden nach dem andern, kämpfend in den Trümmern des Klosters – Keiner entkam – mein einziger Bruder war unter den Todten.«

Der Erzähler schlug ein Kreuz zum Gedächtniß des Gefallenen, andächtig folgten die übrigen Griechen, dann fuhr er fort:

»Am 14. war auf der ganzen Insel kein Widerstand mehr und nun begann eine Zeit voll Mord und Entsetzen, wie wohl noch keine gewesen ist unter den Völkern der Erde. Schaaren [200] von asiatischen Mördern und Räubern, unzählig wie Heuschreckenwolken, strömten von Tschesme und Smyrna her über die unglückliche Insel, die der Wüthrich jedem Schrecken preisgegeben. Sechs volle Tage lang dauerte das Morden. Gräuel, wie sie die Hölle nicht erfindet, wurden hier ausgeübt; nicht das Kind an der Brust, nicht der wankende Greis verschont. Schon am anderen Tage gingen vier Maulesel mit Köpfen und Ohren beladen nach Smyrna ab 19. Mögen nimmer meine Augen das Schreckliche wiedersehen, was sie da erblickt! Frauen und Jungfrauen wurden von den Henkern öffentlich geschändet und dann grausam verstümmelt und gemordet. Ich sah Frauen, denen die Brüste abgeschnitten waren, entmannte Männer, Kinder, denen man die Zunge, die Nasen, die Ohren abgeschnitten. Aber Alles, was hier geschah, überbot die Grausamkeit des Kapudan selbst. Auf seinem Schiffe, ›die Siegesfahne‹ geheißen, hatte er eine besondere Folterkammer eingerichtet, um durch die grausamsten Martern das Geständniß verborgener Schätze zu erzwingen, oder sich an den Qualen der Armen zu weiden. Ich selbst sollte diese Stätte des Teufels in Menschengestalt kennen lernen!

Am 19. waren bereits von 65 Dörfern, welche die Insel zählte, 49 fast spurlos von der Erde vertilgt, darunter 20 Mastixdörfer. Vergebens bemühete sich der französische Consul Digeon, ein früherer Offizier, wenigstens einige zu retten. Hinter seinem Rücken begannen die aufgestellten Schutzwachen auf's Neue das Werk der Zerstörung.

Am 13., nach der Erstürmung von Turloti, war auf der Flotte der Würger ein großes Fest. Ein französisches Linienschiff lief mit wehender Flagge ein; es trug den Herrn de la Meillerie, den Befehlshaber der französischen Seemacht in diesen Gewässern, und das unglückliche Chios hoffte von seinem Erscheinen Schutz und Hilfe. Aber der Franke – merke es, Herr! – kam, um den Kapudan Pascha zu besuchen, ihm Glück zu wünschen zum Siege über die Meuterer, und während das unschuldige Blut in Strömen am Lande zum Himmel aufdampfte, überhäuften der Franke und der Türke einander mit Höflichkeiten, und das Geschenk einer reich mit Diamanten besetzten Dose ließ den Franzosen das Herz und die Augen verschließen vor dem Jammer seiner [201] christlichen Brüder. Fluch ihm und seinem Gedächtniß! Fluch seinem gleißnerischen Volke!«

Der wilde Ausbruch des Hasses, der aus den Augen des Griechen sprühte, ließ Welland erbeben. Diona faßte die Hand des Mannes.

»Und Du, Janos, wo bliebst Du? was geschah mit unserer Mutter?«

»Als das Morden am 14. begann und wir in unserer entfernten Wohnstätte die erste Kunde davon erhielten, suchte ich eilig ein Schiff, aber alle hatten, wie ich bereits erzählt, von Kastron aus die Flucht ergriffen. – In den Felsenschluchten des Berges Hyas, auf dem der große Sänger unseres Volkes, Homeros, geboren 20, war mir ein Versteck bekannt. Dahin – unter die Trümmer eines alten Götzentempels unserer Väter, der weit hinaus schaut auf's blaue Meer – führte ich Mutter und Kinder und verbarg sie vor den Augen unserer Henker. Acht lange schreckliche Tage brachten wir da zu, während deren einige wenige glückliche Flüchtlinge sich zu uns gesellten. Da, als ich die Deinen nicht mehr allein und verlassen sah, litt es mich nicht länger in den Bergen, wo wir von fern den Brand unserer Häuser und Gärten schauten, ich trat zu Eurer Mutter und bat sie, mir zu gestatten, nach Kastron zu gehen, um dort zu forschen und nach Hilfe auszusehen. Nur schwer gab sie die Erlaubniß, aber unsere Noth war groß und ich mußte fort.

Ich ging durch das Gebirge und nahte mich Kastron. Die Spuren, die ich auf meinem Wege fand, habe ich Euch bereits beschrieben. In einem Hause, das allein an einem Bergabhange stand, fand ich zwei der Henker, – sie schliefen, berauscht von dem ihnen verbotenen Chioswein, neben den Leichen der gemordeten friedlichen Bewohner, neben den entstellten Leichen zweier Mädchen, die sie geschändet. Ich erschlug Beide im Schlaf – es war das erste Blut, das ich vergoß, und wahrlich, nicht solches, das ich je bereut habe! – In der Kleidung, mit den Waffen eines der Erschlagenen ging ich weiter und kam nach Kastron.

[202] Es war am Morgen des 23. April. Das Morden und Brennen in der Stadt und den nächsten Dörfern hatte einigermaßen aufgehört, kaum stand in den Letzteren noch ein Haus außer denen der Consule. Die Teufel waren vom Blut übersättigt, und was noch lebte, das trieb man jetzt in Haufen zusammen und zu den Schiffen, um als Sclaven nach dem Festlande geschafft zu werden. Aber Vehid Pascha hatte sich noch ein besonderes Fest vorbehalten; es galt den hundertundzwanzig Geißeln, die in seinen Kerkern schmachteten – darunter sechsundachtzig Primaten und sieben Bischöfe, die Anderen angesehene Kaufleute des Landes. Fünfunddreißig von ihnen, darunter zwei Brüder Maurocordatos mit ihren jungen Söhnen, Knaben noch, wurden nach dem Schiffe des Kapudan Pascha geschleppt; die Uebrigen hing man am Morgen an den Mauern des Schlosses von Kastron auf, und als es den Henkern zu langsam ging, stürzte man sie herab und zerschmetterte ihre Glieder mit Keulenschlägen.

Ich schlich in der öden Stadt unter Trümmern und Leichen umher – als ich Zeuge ward einer That, die mir noch das Blut im Herzen erstarrt. Unter einem Haufen von Unglücklichen, die gleich dem Vieh von einem der Mastirdörfer herbeigetrieben wurden, erkannte ich die Frau und die Tochter eines Mannes, in dessen Hause ich oft gewesen war, an dessen Tisch ich oft gesessen hatte. Aphanasia, das Mädchen, war schön, sie zählte sechszehn Sommer und blühte wie die Rose ihrer Gärten. Ich trug lange schon die Liebe zu ihr im Herzen, aber ihr Vater war reich und ich ein armer Diener – so schwieg ich. Jetzt fand ich sie wieder, arm und elend, des Nothdürftigsten beraubt, das ihre junge Schönheit deckte. Ich kam dazu, wie der Araber, dessen Beute sie war, sie eben an einen Türken verhandelte, der 300 Piaster dafür geboten. Ein unglücklicher Augenblick feigen Zögerns, um mich selbst nicht zu verrathen – er war ihr Verderben. Mit Gold war ich reichlich versehen, denn Eure Mutter hatte mir eine Summe zur Gewinnung eines Schiffes gegeben, und der Gürtel der erschlagenen Mörder enthielt eine große Zahl goldener Zechinen, die Frucht ihres Raubes. Ich trat hinzu, indem ich Aphanasia ein Zeichen gab, mich nicht zu kennen, und bot dem Aegypter 3000 Piaster statt jener Dreihundert. Die Augen des Schurken funkelten vor Freude über den Gewinn, aber der Türke erklärte, daß sein Handel bereits abgeschlossen gewesen, ehe ich mein Gebot gethan, und [203] wollte das Mädchen davonführen. Da warf ihm, ergrimmt über den entzogenen Gewinn, der Mohr die Kaufsumme vor die Füße, und ehe ich es hindern konnte, riß er die Pistole von seinem Gürtel und schoß das Mädchen durch die Brust 21. Ihr sterbender Blick fiel auf mich, der ich erstarrt stand vor der schändlichen That, dann flog mein Handjar aus der Scheide und schlug den Mörder zu Boden. Aber mein Schmerzensruf, meine Flüche hatten mich verrathen. ›Ein Gjaur! tödtet den Christenhund!‹ scholl es um mich her, und kaum vermochte meine Wuth mir Bahn zu brechen durch die sich mehrenden Verfolger. Ich entkam, wer mühte sich lange in dieser Zeit nach dem Einzelnen, wo der Opfer so viele zur Hand waren!

Ich entkam, indem ich mich in einer der nächsten Gassen dem mir entgegenkommenden Zuge anschloß, welcher die fünfunddreißig Kaufleute aus den Gefängnissen des Kastells zum Schiff des Kapudan Pascha schleppte. Ein Aga befahl mir, mit Hand anzulegen an die Gefangenen; ich mußte gehorchen, um mich nicht zu verrathen, so kam ich auf das Schiff selbst und war Zeuge jener Thaten, deren Gedächtniß noch mein Blut in den Adern gerinnen macht.

Im Mitteldeck des großen Schiffes war ein Raum abgeschlagen, an dessen Ende ein Divan stand, auf dem der Kapudan, von seinen Offizieren umgeben, ruhte. Ein großes Kohlenbecken in der Mitte glühte die Eisen und Zangen, ringsum an den Holzwänden hingen Werkzeuge, wie nur die Hölle sie ausgedacht, Stachelpeitschen, eiserne Keulen, Schraubenringe, welche die Gelenke zu Brei quetschten, – ich vermag nicht Alles zu nennen noch aufzuzählen. Einer nach dem Andern der Gefangenen wurde hineingeführt, und der Geruch verbrannten Fleisches, das Geheul und Röcheln der Gemarterten drang furchtbar zu uns heraus, daß selbst manches Antlitz der an Mord und Blut gewöhnten Wächter zu erbleichen schien. Endlich als zum vierten Mal das Todesröcheln verstummte, wies der Aga auf mich und zwei Genossen und hieß uns, die beiden Gefangenen, die wir an Stricken geführt, hineinbringen. Es war ein Maurokordatos – ein Greis von siebenzig Jahren, – mit seinem Enkel, einem Knaben. Ich hatte ihn oft früher gesehen bei meinem Herrn.

[204] Als wir den Verschlag betraten – Herr, ich war selbst mehr todt als lebendig und hätte in dem Augenblick gern mein Leben gegeben, um die Gräuel nicht zu sehen, – stürzten die beiden Henker – es waren, höre es, Franke! ein Malteser und ein nubischer Sclave, Diener des Kapudan! – eben die verstümmelten Reste des letzten Opfers durch die Stückpforte in's Meer. Zitternd nahten die Beiden dem Furchtbaren und warfen sich nieder vor ihm auf die Kniee, um Erbarmen flehend. Es war herzzerreißend, sinneverwirrend, die Bitten des Greises um Gnade für das Kind zu hören. Der Kapudan – ruhig auf seinem Lager ausgestreckt, das Nargileh zwischen den Lippen, frug den Greis, ob er hunderttausend Piaster als Lösegeld sofort herbeischaffen könne? – Ich wußte, die Familie hatte das Zehnfache in ihrem Vermögen gehabt, – aber wo jetzt, nach dem Raub und der Plünderung ihrer Habe, während sie aus dem Kerker kamen, der sie länger als ein Jahr umschlossen, – die große Summe schaffen? Die Augen des Greises irrten wie wahnwitzig umher, – überall nur Blutdurst, Grausamkeit – nirgends Hilfe. Ich sehe ihn noch, wie er auf den Wink des Pascha's zu Boden geworfen und ihm Maaß auf Maaß des bittern Seewassers durch einen Trichter in den Mund gefüllt wurde, indeß man ihm die Nase zuhielt 22, bis der Leib aufschwoll zu entsetzlichem Umfang. Dann warfen die Henker sich auf ihn und preßten und traten den Greis – – was male ich Euch die Scheußlichkeiten, die meine Augen sahen! Als ich den gellenden Jammerruf des Knaben hörte, der von unseren Blicken entmannt ward, konnte ich es nicht länger ertragen, ich drängte mich hinaus auf die Gefahr, selbst das Opfer zu werden; aber die Augen der Würger waren mit der Todesqual ihrer Opfer beschäftigt – man achtete meiner nicht.

Als ich auf dem Deck den sonnig blauen Himmel wieder sah, der sich so herrlich über Meer und Land wölbte, da war das Gelöbniß heiliger, blutiger Rache mein erster Gedanke, mein heiliger Schwur, – und ich habe ihn gehalten; – denn diese meine rechte Hand war es, die den Tiger mit seiner Brut zwei Monden darauf gen Himmel sprengte!«

Der Räuber schwieg wie erschöpft von den furchtbaren Erinnerungen seiner Jugend; – Welland hatte sein Haupt verhüllt [205] bei der Beschreibung dieser Gräuel, aus seinen und Diona's Augen flossen Thränen. Nur Gregor blickte finster und flammend umher und auf die Türkenstadt zu seinen Füßen.

»Mein Vater rächte das Ungeheure mit Dir! Michael Caraiskakis war bei der großen Sühne, die die Heldenschaar des Kanaris dem blutgetränkten Chios brachte.«

Wohl, Knabe, aber meine Hand war es, der man die Ehre gab, die rächende Flamme zu zünden. – Höret drum weiter.

Auf einem der Boote, die fortwährend zwischen der aus vierzig Segeln bestehenden Flotte und dem Lande kreuzten, entkam ich glücklich wieder zur Stadt. Die »Siegesfahne« zählte eilfhundert Mann Besatzung, zahllose andere Banden verkehrten fortwährend dort, wer sollte mich auch in dem Gewühl entdecken, da ich gut türkisch sprach? So blieb ich bei den Moslems, bis der Abend kam, – dann trennte ich mich von ihnen und schlich nach dem Ort, wo am Morgen Aphanasia ermordet worden. Ich fand sie wirklich unter andern Leichen und auf meinen Schultern trug ich den theuren Körper fort und begrub ihn unter einem Feigenbaum. Dann eilte ich zurück in's Gebirge und am zweiten Morgen war ich wieder bei Deiner Mutter und schloß Euch Knaben mit Dankesthränen in meine Arme, daß die Heiligen mir gestattet, Euch zu retten.

Noch zehn Tage lang blieben wir in unserm Versteck, uns kümmerlich von Früchten und der Milch der in die Berge verlaufenen Ziegen nährend, denn wir wagten kein Feuer anzuzünden, aus Furcht, uns zu verrathen.

Am Morgen des eilften Tages endlich sahen wir ein Schiff in der Nähe kreuzen, dessen Flagge nicht den Halbmond mit den Sternen trug.

Von den erhabenen Trümmern des Tempels aus gaben wir Zeichen, indem wir unsere Kleider an Stangen banden und zum ersten Mal Feuer anmachten, um durch den Rauch ihre Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Es glückte – wir sahen bald ein Boot abstoßen und ich eilte hinab zum Ufer, die Nahenden zu prüfen, ob Rettung von ihnen zu hoffen sei. Heilige des Himmels, der Erste, der den Boden betrat, war Dein Vater, Gregor!

Wie soll ich Euch die Freude des Wiedersehens erzählen, als Michael Caraiskakis die Seinen unverletzt an's Herz drückte. [206] Ich schlich davon unter die Trümmer und weinte. Die meinem Herzen gleich theuer gewesen, war im Himmel!

Das Schiff war die österreichische Brig »Venetia«. Auf die erste Nachricht von der Ankunft der Türken auf Chios hatte sich Caraiskakis aufgemacht zur Rettung der Seinen. Auf Samos schon hörte er die Kunde von der Verwüstung der Insel und gab die Familie verloren. Dennoch wollte er wenigstens die Insel betreten, und es gelang ihm, mit seinem Freunde, dem Capitano Valsamachi, der dem Blutbad von Turloti entronnen, auf dem österreichischen Schiff zusammenzutreffen und dessen Führer zu vermögen sie nach Chios und Ipsara zu bringen. In Volisso war er an's Land gestiegen und hatte hier Alles verwüstet, aber nirgends Spuren der Seinen gefunden. Viele Flüchtlinge, die sich gleich uns in den Felsenklüften verborgen, hatten bereits glücklich das Schiff erreicht, das seit mehreren Tagen um die Insel kreuzte, und als wir sein Deck betraten, fanden wir neue Scenen der Klage und des Jammers, aber auch die zum Himmel geballte Faust, den Schwur blutiger ewiger Rache an den Mördern. Selbst das Auge der Frauen und Kinder glühte in ihrem Durst, als ich die Gräuel erzählte, deren Zeuge ich in Kastron gewesen war.

Nach Ipsara ging unser Lauf, wo sich die entkommenen Patrioten der Inseln, wo sich die Rächer des Frevels versammelten. Dort hörten wir täglich neue Kunde von dem, was auf Chios geschehen und noch geschah und jede Botschaft schürte das Feuer in unseren Herzen.

Der Kapudan Pascha hatte endlich unterm 13. Mai um die Insel nicht ganz zu entvölkern, durch einen Ferman verboten, noch weiter Sclaven auszuführen, das Verbot aber rief nur neue Schreckensthaten hervor. Die Moslems, die die Christenkinder nicht verkaufen konnten, stürzten sie in's Meer. Fünftausend Kinder im zarten Alter wurden an den Bäumen aufgehängt, ersäuft und von den Felsen und Häusern herabgestürzt. In Tschesme 23) band man sie zu fünfzig und sechszig mit Stricken zusammen und stürzte sie in's Meer. Selbst die geldgierigen Smyrnioten fühlten Erbarmen mit dem Elend und kauften so viel sie vermochten. Tausende und aber Tausende der Bewohner waren in [207] die Sclaverei geschleppt, zwei hundert der angesehensten Geschlechter der Insel ausgerottet worden 24. – Bald drang auch die Kunde zu uns, daß am 20. des Maimonds in Constantinopel jene zehn Geißeln enthauptet worden, die Vehid Pascha schon vor Jahresfrist dorthin gesandt.

»Wie ein Feuerbrand war die Nachricht von den Gräuelthaten auf Chios über Meer und Land geflogen, und wo die Fahne des heiligen Kampfes aus Gleichgültigkeit gegen die gewohnten Leiden oder aus feiger Besorgniß noch nicht erhoben worden, da schlug jetzt die Lohe der Rache für das Ungeheuere Verderben bringend den Frevlern in die Höhe. Ein Schrei des Entsetzens und der Wuth erscholl, so weit die griechische Zunge reicht. Der Kapudan Pascha, der die Verantwortung in Constantinopel fürchten mochte, daß er das Eigenthum der Sultana so gänzlich zerstört, sandte auf einem englischen Schiffe Botschaft nach Samos und ließ den Aufgestandenen Vergebung und Sicherheit anbieten, wenn sie die Waffen niederlegen und unter das türkische Joch zurückkehren wollten. Hörst Du es, Franke, Inglesi waren es, die diese Botschaft der Schmach überbrachten und die tapfern Samioten überreden wollten. – Mit Hohn und Grimm wurden sie zurückgewiesen. Von Hydra, Pharos und Spezzia hinauf zu Ipsara und Skyros, der Brautkammer des großen Achill, scholl ein Ruf empor zu den Wolken: Freiheit oder Tod!

Und der Tag der heiligen Rache kam.

Kanaris der Held führte sein blutiges Morgenroth herauf. Mit einer Fregatte und fünf andern Fahrzeugen erschien er am 10. Juni vor Ipsara und warf Anker. Ein ernster Rath wurde gehalten unter den Führern des Geschwaders und der Geflüchteten. Dein Vater, Gregor, war einer der Ersten im Rath und saß neben ihm, der die Schiffe der Moslems wie Spreu durch die Meere fegte.

Die große That ward beschlossen!

Am Abend desselben Tages rief mich Dein Vater und befahl mir, ihm zu folgen. Er führte mich in ein Haus, in dem ich [208] viele Männer versammelt fand, mir bekannte und unbekannte, es waren die Brüder der Elpis, die Mitglieder jenes Bundes in der Hetärie, dessen Eid lautet ...«

Gregor unterbrach ihn. »Das sind Dinge, Janos, die nicht für das Ohr des Franken taugen, auch wenn er unser Bruder ist. Vollende Deine Erzählung.«

Der Räuber schaute erschrocken und aufmerksam seinen jüngern Landsmann an, eine kaum merkliche rasche Bewegung, ein flüchtiges Kreuzen über die Stelle des Herzens belehrte ihn, – er erwiederte das Zeichen und fuhr fort: »Genug! die Söhne der Elpis waren Tapfere, die geschworen, vor keiner Gefahr zu weichen, wo es galt, die Freiheit des griechischen Volks zu erkämpfen oder zu rächen. An diesem Abend schlug Dein Vater mich, den armen Diener, zur Aufnahme in den Bund vor, indem er erzählte, was ich auf Chios erlebt, und ich leistete den Eid, den ich treu gehalten, wenn auch lange Jahre seitdem ihn mit der Gleichgültigkeit des einförmigen Lebens verwischt hatten, bis auf's Neue das Unrecht und die Tyrannei mich emporrüttelten und den rächenden Stahl mir in die Hand gaben. Dann theilte er mir mit, daß am dritten Tage ein Versuch gegen die Flotte des Kapudan unternommen werden sollte, die im Hafen von Tschesme ankerte, und daß Freiwillige aufgefordert worden, dem Tode in's Auge zu schauen. Obschon kaum ein Entrinnen bei dem Wagniß zu hoffen stand, hatten sich am andern Morgen doch bereits zweihundert Männer gemeldet; das Loos wählte Achtundvierzig aus. Michael Caraiskakis und Janos der Ipsarote waren unter ihnen; dem Ersten übertrug Canaris die Leitung der Expedition, ich begleitete ihn.

Von dem Augenblick an, da das Unternehmen bestimmt war, durfte keine Seele mehr bei Todesstrafe die Insel verlassen. Während die Achtundvierzig durch Beichte und Gebet sich vorbereiteten und ihre Waffen in Stand setzten, arbeitete Tag und Nacht die Bevölkerung des Hafens an der Herstellung der Brander. Am dritten Tage waren sie fertig; drei Schiffe, von der Spitze des Mastes bis zum Kiel mit Pech und Theer getränkt, leichtes Werg um Spieren und Taue gewunden, der ganze Schiffsraum eine wandelnde Hölle von Schwefel, Pulver und Feuerstoffen, die nur des belebenden Funkens harrte. Die österreichische Brigg war bei uns geblieben; ihr wackerer Capitain, empört von den geschauten [209] und vernommenen Gräueln, hatte uns seine Hilfe zugesagt und versprochen, die Mannschaft aufzunehmen, wenn sie sich retten könne. Zu dem Ende führte jeder Brander ein großes Boot mit sich.

Es war am Abend, als Alles zum Auslaufen bereit war und der fromme Bischof der Insel mit seinen Diakonen am Gestade erschien, uns den heiligen Leib des Herrn zu reichen und seinen Segen zu spenden. Auf den Knieen lagen die Hunderte und hörten das Wort des frommen Greises, dann, ehe wir die Hostie nahmen, schworen wir Alle auf sie einen heiligen Eid, unsere gemordeten Brüder zu rächen oder nimmer zurückzukehren vor das Antlitz eines Menschen. Die Menge umdrängte uns, als wir zum Schiff gingen. An der Rechten Deines Vaters ging der Seeheld Canaris, ihm die letzten Anweisungen gebend, an seiner Linken Eure Mutter, Dich, Gregor, auf dem Arm, Andreas an der Hand. Es war ein Heldenweib, und keine Thräne, kein Laut der Klage machte das Herz des Gatten schwer. Noch eine Umarmung, Canaris reichte Jedem die Hand, und die Boote führten uns zu den Schiffen, deren Segel bald lustig der Wind blähte. Durch die Nacht, durch die Wogen rauschte das Verderben gen Tschesme.

Uns voran ging die Venetia, wir selbst führten die österreichische Flagge und Papiere, die uns als mit Taback beladen auswiesen, so gingen wir vor Thimania vor Anker, während die Brigg näher nach Tschesme zu kreuzte, wo das türkische Geschwader an derselben Stelle ankerte, an der, wie Dein Vater mir sagte, unter der Moskowiten – Kaiserin Katharina der griechische Capitain Lampros die ganze Flotte der Moslems verbrannt hatte.

Zwei Tage lagen wir vor Thimania, der dritte war der 19. Juni, der Vorabend des Bairamsfestes, das die Türken mit Gelag und Jubel zu feiern pflegen. So war es auch diesmal. Als der Abend auf See und Land fank, kappten wir die Anker und liefen auf Tschesme zu. Schon in weiter Ferne konnten wir den Jubel hören, der von den Schiffen durch die Nacht drang, die Feuer schauen, die am Ufer brannten.

Das Schiff, auf dem Dein Vater selbst das Steuer führte, war mit zwanzig Mann besetzt, die übrige Mannschaft auf die beiden andern vertheilt. Die strengsten Befehle waren gegeben. Jeder stand auf seinem Posten.

Am Eingang des Hafens wurden die Segel eingezogen, so [210] lagen wir, wie der Tiger auf seine Beute lauert, bis nach und nach auf den türkischen Schiffen Alles verstummt war. Es war zwei Uhr nach Mitternacht, als eine Rakete von unserm Schiff das Zeichen zum Angriff gab. In wenig Minuten flatterten alle Segel im Winde und die drei Schiffe fuhren grade auf die Flotte hinein. Zugleich wurde das am weitesten links in Brand gesteckt und die feurige Lohe, an dem Tauwerk emporleckend, flammte hoch auf gegen den Nachthimmel.

Es war ein furchtbar schönes Schauspiel, als wir das brenende, flammende Schiff auf die dunklen Massen vor uns einstürmen sahen. Während ringsum sich der Lärm der Gefahr erhob, Trommeln wirbelten, der Ruf der Führer die trunkene wüste Mannschaft weckte und wildes Geschrei von Bord zu Bord scholl, fuhr das Boot an uns vorüber, das die Mannschaft des entzündeten Branders trug. Sie hatten meiner Meinung nach zu früh gezündet, ehe sie mitten zwischen den Schiffen waren, sonst hätte das Verderben noch riesiger sein müssen. Jetzt gab Caraiskakis das Signal für das zweite Schiff, und in wenig Augenblicken flammte seine Feuersbrunst empor und der Brander trieb mitten zwischen zwei Linienschiffen, die in kurzer Zeit von seinen Flammen erfaßt waren. Das Geheul, das Geschrei war furchtbar und überdröhnte den Donner der von allen Seiten gelösten Schüsse. Die Schiffe hieben die Ankertaue durch und suchten das Meer zu gewinnen, eines das andere mit vollen Lagen begrüßend, wenn man sich gefährdend zu nahe kam. Vier Linienschiffe standen in vollen Flammen, eben so mehrere kleine Fahrzeuge. Eine der brennenden türkischen Galeeren wurde von der ›Siegesfahne‹ mit einer einzigen Salve in den Grund gebohrt, als das brennende Fahrzeug dem Admiralschiff zu nahe kam.

Das aber war die Beute, die wir uns ausgesucht. Wie der Dieb in der Nacht waren wir im Dunkel herangekommen, dicht an der linken Batterie des Schiffes, ehe man uns bemerkte und anrief. Caraiskakis stand am Steuer, ich seines Winkes gewärtig mit der brennenden Lunte an der Hauptluke, die Mannschaft mit Haken und Seilen im Tauwerk. So fuhren wir auf, und im Nu waren die Enterhaken in dem Strickwerk des Feindes, die Taue geknüpft und eine Kette geworfen und am Bugspriet befestigt, daß wir unauflöslich an dem großen Koloß hingen. Zugleich flammte der Haufen Maisstroh empor, den ich in den Luken und[211] unter den Wänden des Schiffes aufgethürmt hatte. Wie ein Blitzstrahl leckte die Flamme empor und lief an den Tauen und Segeln in die Höhe, daß bald Alles ein Feuerbogen war. Die Verwirrung, das Geschrei auf dem Schiff des Kapudana waren furchtbar. Er selbst war ein tapferer Mann, wenn auch ein Teufel in seiner Grausamkeit. Ich sah ihn auf der Puppe seines Schiffes stehen, wie er unerschrocken Befehle ertheilte und die Rasenden, in Furcht Verzweifelnden an trieb, die beiden Schiffe zu lösen. Caraiskakis und die Mannschaft waren bereits im Boot und riefen mir zu durch den Höllenlärm ihnen zu folgen, aber ich vermochte es nicht, mein Auge, mein Herz schien gebannt an das furchtbare Schauspiel, das sich rings um mich entwickelte. Zwei Mal hob ich das Pistol und zwei Mal traf meine Kugel die Offiziere, die sich an unsern Bord gewagt, um einen Versuch zum Absteuern der Schiffe zu machen. Dann sprang ich zur hintern Luke, von der ein Zünder gelegt war bis hinunter zur Pulverkammer. Ich schien mir selbst mehr einer der höllischen Dämonen, denn ein Mensch. Auf dem Schiff der Moslems wuchs die Verzweiflung mit jeder Minute, Viele sprangen in das Meer, um sich zu retten, Andere, darunter der Kapudan selbst mit eigener Hand suchten die Boote auf's Wasser zu bringen; jede Disciplin, jeder Gehorsam waren geschwunden, – was da auf dem Schiff athmete, und es sollen ihrer, mit den Fremden zum Fest, zweitausend zweihundert und sechs und achtzig Seelen gewesen sein, dachte nur an die eigene Rettung.

Da schien der Augenblick gekommen und meine Hand hielt ohne zu zucken, den Feuerbrand an die Leitung, die zum Pulver führte, dann sprang ich auf der andern Seite des Schiffes über Bord und versank in's Meer. Noch ehe ich wieder empor kam, hörte ich ein dumpfes Dröhnen über meinem Haupte, und als ich auftauchte aus den Wellen, da stob und regnete es um mich her aus den Lüften, Flammen und Balken, Trümmer, brennende Segelstücke und zerbrochene Spieren. Wie durch ein Wunder entkam ich der Gefahr, und um mich blickend, sah ich das Admiralschiff, jetzt ein großer unrettbarer Flammenberg.

Ich wußte die Richtung unseres Bootes und schwamm darauf zu, aber es kümmerte mich wirklich wenig, ob ich es erreichte oder nicht, so stolz war ich in dem Gefühl der vollbrachten Rache. Doch die Hand der Heiligen war über mir – bald stieß ich auf[212] die Freunde, die mit Angst meiner harrten und schon, mich verloren gebend, davon fahren wollten; nur Caraiskakis, mein Herr, war dem Drängen nicht gewichen. Erschöpft warf ich mich auf den Boden nieder und sah nach dem in immer furchtbarerer Herrlichkeit sich entfaltenden Schauspiel zurück, während wir eilig entflohen. Unnütze Eil' – Niemand dachte an unsere Verfolgung, Jeder hatte mit sich selbst genug zu thun. Nach allen Seiten stoben die Schiffe auseinander, wie den Pestkranken die fünf Flammensäulen fürchtend, welche die Nacht zum Tage erhellten. Auf zwei Linienschiffen- gelang es zwar, den Brand zu löschen, zwei andere aber brannten bis zum Spiegel nieder, nachdem man die Pulverkammer unter Wasser gesetzt. Rechts und links, nach allen Seiten donnerten die Kanonen der brennenden Schiffe, die sich von selbst entluden, und bildeten nicht die geringste Gefahr für die Flotte. Wir waren bereits am Ausgange des Hafens und näherten uns der Brigg, die uns erwartete, als ein Krachen die Luft zerriß, ärger denn zehn Donner. Das Meer schien sich in Flammenwogen gen Himmel zu wälzen – das Admiralschiff des Kapudana mit all' seinen geraubten Schätzen, mit den Hunderten blutgetränkter Mörder war in die Luft geflogen!

Das Zischen der Brände, der durch die Luft fliegenden Gegenstände, der Erzmassen, die bis weit in's Meer hinaus niederfielen, und die tiefe unheimliche Stille der Nacht, die urplötzlich darauf folgte – war grauenvoll. Wir Alle ließen die Ruder fallen, schlugen ein Kreuz und beteten, dann aber brach einstimmig ein wilder rasender Schrei durch die Luft, aus der tiefsten Tiefe der Brust und jubelnd wurde er von den Genossen beantwortet, die bereits am Bord der Venetia unserer harrten.

Der Kapudan schien das Schiff erst kurz vor dem Auffliegen verlassen zu haben, als es unrettbar sich zeigte. Ein brennender Balken hatte das Boot getroffen und zertrümmert, das ihn zum Ufer führte; seine Leute brachten ihn schwimmend dahin und legten ihn unter einem Felsen nieder – eine lebendige Leiche, denn seine Glieder waren halb verkohlt! Dort starb er, ohne von der Stelle gebracht werden zu können, am zweiten Tage unter den furchtbarsten Schmerzen. Von der ganzen Besatzung der Siegesfahne retteten kaum Zweihundert das Leben.

Gott ist gerecht!«

Eine tiefe Stille war rings umher, als der Kameeltreiber [213] seine furchtbare Erzählung schloß. Der Räuber, der Bandit war vergessen – nur der Held, der Palikare stand vor ihnen, dessen Hand Chios gerächt.

Das eben ist das Eigenthümliche des griechischen Volkes, die erhabene Opferung, das antike Heldenthum für die Freiheit, bei der tiefen sittlichen Versunkenheit seiner Lebensgewohnheiten und seines Thuns und Treibens! feurige glühende Diamantenstrahlen unter dem verächtlichen Schmutz der Falschheit, des Lasters und der Gemeinheit.

Welland erhob sich und drückte schweigend dem Freund und dem Räuber die Hand – dann schied er, von Mauro und einem der Männer zurückbegleitet. Wie anders trat ihm hier die Idee der Revolution, der Erhebung des Volks zum Kampf für die Freiheit entgegen, als dies früher im Vaterlande der Fall gewesen! – Ein unheimlich beschämendes Gefühl überkam ihn bei der Erinnerung.


Doctor Welland hatte mehrfache Gründe, die Entwickelung der Costa – Angelegenheit abzuwarten und wollte unter allen Umständen seinen Weg nach Constantinopel nicht fortsetzen, ohne nochmals den Versuch gemacht zu haben, denselben zu sprechen.

Da Gregor bei dem, was er beschlossen, der Hilfe des Freundes bedurfte, verschob er gleichfalls die Verfolgung des Briten bis zur gemeinschaftlichen Abreise, die nach dem Rache des mit allen smyrnaer Verhältnissen so wohl vertrauten Räubers mit einem der vielfach kreuzenden griechischen Handelsschiffe geschehen sollte.

Die Vorgänge in Smyrna hatten unterdeß ihren weiteren historisch merkwürdigen Verlauf genommen. Die mehrfachen Klagen der Consuls und Gesandten bei dem Divan über die Unthätigkeit und Unfähigkeit des gegenwärtigen Gouverneurs von Smyrna, Ali Pascha, hatten in Constantinopel endlich Früchte getragen, und die Nachricht seiner Absetzung traf in Smyrna ein, vorangehend seinem Nachfolger Ismael Pascha, der den Ruf eines energischen, zuverlässigen und wortgetreuen Mannes genoß. Das Ende des laufenden Gouvernements sollte aber noch durch verschiedene Akte der gränzenlosen Schwäche und Apathie bezeichnet werben, welche, verbunden mit Tyrannei und Willkür, die Regierung der türkischen Provinzen charakterisiert.

[214] Die Namen der Mörder des jungen Hackelberg waren bereits am anderen Morgen in ganz Smyrna bekannt; mehrere Tage gingen sie frei und triumphirend mit ihren Genossen durch die Straßen, und als endlich der General-Consul von Weckbecker so weit sich vor den persönlichen Gefahren gesichert hatte, um die Pflichten seines Amtes erfüllen zu können und von Ali Pascha die Verhaftung der Mörder verlangte, war Fumagalli verschwunden, von Bassitsch aber verlautete, daß er in Diensten des englischen Predigers Louis sich befinde. Der erste Dragoman des Pascha begab sich daher zur Verhaftung des Ungars zum englischen Consul, der ihm auch den freien Zutritt in das Haus des Predigers Louis gestattete. Dieser erklärte jedoch nach vielfach versuchten Ausreden, daß sein Diener allerdings noch bei ihm sei, aber vorgebe, unter amerikanischem Schutze zu stehen, er könne ihn also nur dem amerikanischen Consul ausliefern. Anstatt sich nun unter allen Umständen des Meuchelmörders zu versichern, begab sich der Dragoman zum amerikanischen Consul, der unbedingt Bassitsch für einen amerikanischen Bürger erklärte, endlich aber nach vielem Hin- und Herreden seinen Kanzler Griffith zur vorläufigen Verhaftung des Mannes mit zum Prediger Louis sandte. Dort erhielten sie die Mitteilung, Bassitsch kleide sich eben um; als man aber dessen Zimmer öffnete, war es leer. Herr Louis behauptete, das Verschwinden sei ihm unerklärlich und höchst wunderbar, der Kanzler Griffith stimmte hierin ein, und der türkische Dragoman zog sich im stolzen Bewußtsein seiner Pflichterfüllung zu rück.

Auf gleiche Weise entgingen alle Betheiligten der Strafe. Fumagalli und Bassitsch suchten auf der amerikanischen Corvette Aufnahme und Ueberfahrt nach, Capitain Ingraham ließ ihnen jedoch sagen, sein Schiff sei nicht für Meuchelmörder eingerichtet. Es war ein englisches Handelsschiff, die »British Queen,« das sich zu ihrer Aufnahme bereit erklärte und sie vorläufig nach England führte.

Die österreichische Brigg »Hussar« war unterdeß durch die Ankunft einer Galeotte verstärkt worden, die sofort Befehl erhielt, sich neben die Brigg zu legen. Die drei Schiffe ankerten gegenüber dem preußischen und österreichischen Consulat in der Entfernung von ungefähr 800–1000 Schritt vom Lande.

Am Morgen des 2. Juli – es war ein Sonnabend –[215] bemerkte man plötzlich besondere Vorbereitungen auf den Schiffen und vom amerikanischen Consulat aus verbreitete sich die Nachricht, daß es zwischen ihnen zum Kampf kommen werde. Eine große Menschenmenge versammelte sich sofort am Ufer und hundert Gerüchte kreuzten sich. Von dem Kanzler Griffith erfuhr endlich Welland Folgendes.

In Folge einer am Abend von Constantinopel zugleich mit der offiziellen Bestätigung der Absetzung Ali Pascha's eingetroffenen Ordre der amerikanischen Gesandtschaft hatte Capitain Ingraham dem Commandanten des Hussar mittelst einer Note angezeigt, daß er die sofortige Auslieferung des amerikanischen Bürgers Costa verlangen oder ihn mit Gewalt holen solle. Die Antwort des Majors Schwarz war die eines ächten Soldaten: Sein amerikanischer Kamerad möge das Holen versuchen, das Nichtabgeben sei seine Sache, es sei denn, daß ihm hierüber Ordres seiner Vorgesetzten zugingen.

In Folge dieser Antwort sah man alsbald die Schiffe sich zum Kampf fertig machen.

Die Corvette zählte ein Drittheil Kanonen und Mannschaft mehr, als die beiden österreichischen Schiffe, die Uebermacht war also auf ihrer Seite und Major Schwarz traf demgemäß seine Anstalten. Er legte sich möglichst nahe dem Feind und setzte seine Mannschaft in Bereitschaft, sofort bei dem ersten Kanonenschuß zu entern. Zugleich ließ er den Gefangenen aus seiner Haft holen und erklärte ihm mit männlichem Bedauern, daß er genöthigt sei, sein Schicksal an das des Schiffes zu knüpfen. Costa wurde auf dem Mitteldeck an den Mast gebunden und eine doppelte Wache an seine Seite gestellt, die den strengen Befehl erhielt, sobald ein Amerikaner den Bord des österreichischen Schiffes betreten werde, dem Ungar eine Kugel durch den Kopf zu schießen.

Die Amerikaner, welche einsahen, daß es einen Kampf auf Leben und Tod gälte, da Major Schwarz zugleich erklärt hatte, daß er im Fall des Unterliegens sein Schiff in die Luft sprengen werde, fertigten ihre Testamente aus und sandten sie durch ein Boot an das Land.

Hier wurden unterdeß die Verhandlungen eifrig betrieben. Der amerikanische Consul hatte dem General – Consul von Weckbecker ein Ultimatum überbracht, welches die Entscheidung auf vier Uhr Nachmittags aussetzte. Diese Frist benutzte der preußische[216] Consul, um zu dem türkischen Gouverneur zu eilen und hier einen energischen Protest gegen die in einem neutralen Hafen unerhörte und gegen alles Völkerrecht verstoßende Handlung der Amerikaner einzulegen, welche die nahe belegenen Theile der Stadt und die Consulate mit bedeutender Gefahr bedrohte. Ali Pascha that, als höre er jetzt erst von dem ganzen Vorgang, und schlug vor, bei dem amerikanischen Consul zu protestiren und ihn für alle Folgen verantwortlich zu machen. Erst als ihm entschieden erklärt wurde, daß es seine Pflicht sei, in dem eigenen Hafen dergleichen nicht zu dulden und bewaffnet zu interveniren, erklärte er sich bereit, denjenigen Theil zu schützen, welcher sich unter die Kanonen des Kastells legen würde.

Mehrere der Consule traten jetzt zusammen und Herr von Weckbecker willigte darein, um unnützem Blutvergießen und der Gefahr für die Stadt vorzubeugen, daß bis zur Erledigung des Competenzconflicts durch die beiderseitigen Regierungen Costa dem französischen General-Consulat übergeben werde, das sich zu seiner Detention innerhalb des französischen Lazareths bereit erklärte. Um drei Uhr Nachmittags wurde die Convention unterzeichnet, um vier Uhr ward Costa ausgeschifft und nach dem französischen, von hohen Mauern umgebenen Lazareth gebracht. Eine ungeheure Menschenmenge hatte sich am Ufer und in den Straßen versammelt und begrüßte sein Erscheinen mit lautem Jubel, die Flüchtlinge schienen halb wahnwitzig in ihren Exclamationen und Freudenbezeugungen. Am selben Abend fand man in einer Straße die Leiche des Schankwirths Andrea, von vielen Dolchstichen durchbohrt.

Nach zwei Tagen war die Haft Costa's bereits eine sehr milde und es gelang Welland, durch Vermittelung des amerikanischen Consuls eine längere Unterredung mit dem Ungar zu haben, in Folge deren er den Freunden auf dem Pagus mittheilte, daß er zur Abreise bereit sei.

Am 6. Juli führte sie eine griechische Barkasse nach Tenedos und Dardanelli.

Fußnoten

1 Lange Rohrpfeife von Weichsel- oder Jasminholz. Nargileh ist die biegsame Wasserpfeife.

2 Hauptmann der Polizeisoldaten, Khawassen.

3 Die heiligen Stätten sind Kirchen (9 an der Zahl), welche an den Orten, wo die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben Christi vorgefallen, erbaut wurden. Der Streit über den Besitz derselben zwischen der römischen und griechischen Kirche, die von Frankreich und Rußland vertreten werden, ist sehr alt. Die von Frankreich beanspruchen Anrechte datiren von einer im 16. Jahrhundert zwischen Franz I. und Soliman dem Großen abgeschlossenen Capitulation, von dem Hattischeriff von 1690 und der Capitulation von 1740; die der griechischen Kirche gründen sich auf andere Dokumente.

4 Die Schlußerklärung seiner Note, die wegen der darauf basirten späteren Kriegsereignisse wichtig ist, lautet: »Daß die Verweigerung einer Bürgschaft für die griechisch-russische Kirche der kaiserlichen Regierung in Zukunft die Pflicht auferlege, sie in ihrer eigenen Macht zu suchen, und daß der Kaiser jede Verletzung des Status quo der griechischen Kirche als eine Verletzung des Geistes und des Buchstabens der bestehenden Verträge und als eine feindselige Handlung gegen Rußland betrachten werde, welche Sr. Majestät die Pflicht auferlege, zu Mitteln zu greifen, die er in seiner beständigen Sorge für die Stabilität des türkischen Reiches und in seiner aufrichtigen Freundschaft für Se. Majestät den Sultan und dessen erhabenen Vater stets gewünscht habe, vermeiden zu können.«

5 Möge der Leser nicht etwa in der Wahl der nachfolgenden Erzählung eine Parteilichkeit, eine Absicht und Tendenz erblicken. Der weitere Verlauf des Buches wird ihm zeigen, wie weit der Verfasser von jeder einseitigen Auffassung und Parteinahme entfernt ist und wie er seine Aufgabe darin gefunden hat, nach beiden Seiten einen tiefen Blick auf die Höhen und Tiefen zu gewähren. Er hat die hohe Pflicht, Wahrheit zu geben, Thatsachen, welche die Erscheinungen der Gegenwart erläutern, und die Erzählung, die hier vorliegt, ist eine solche Thatsache, ein Stück Historie, das die gegenseitige Stellung der beiden Völker genügend charakterisiren und erläutern kann. Wer zweifelt an den Details, der lese die englischen und französischen Zeitungsberichte vom Frühjahr 1822, und er wird die Wahrheit bestätigt finden. – Auf der eben beendeten großen Kunstaustellung in Paris hat ein mit der goldenen Medaille gekröntes großes Bild von Delacroix die Schrecken dieser Scenen, »Die Massacre von Chios,« mit entsetzender Schilderung in das Gedächtniß des Publikums zurückgerufen.

D.V .

6 Das Harz der Mastixbäume, das, mit Zucker versetzt, die beliebteste und in großen Quantitäten consumirte Näscherei der türkischen Frauen bildet. Auf Chios werden überhaupt die feinsten und beliebtesten Confitüren des Orients gefertigt und in den Handel gebracht, z.B. eingemachte Rosenblätter, Geranium, Weichseln, Limonen, Cedern, Quitten etc.

7 Silber, ungefähr 60,000 Thlr. Ein Beutel Gold gegenwärtig 10,000 Thlr.

8 Elpis, die Hoffnung, eine Abtheilung der großen Verbrüderung der Hetärie, welche sich über alle griechisch – slavischen Völkerschaften erstreckte und hauptsächlich die Erhebung von 1821 vorbereitete.

9 Der neugriechische Name für das Aegeische Meer.

10 Er meint die Donau. Fürst Alexander Ypsilanti, der in der russischen Armee als General – Major diente, überschritt auf den Ruf seiner Landsleute mit einigen hundert Mann am 6. März 1821 den Pruth und erhob die Fahne des Aufstandes in der Moldau und Walachei.

11 Im Treffen bei Dragachan (19. Juni).

12 Es ist Thatsache, daß der Divan damals damit umging, die ganze griechische Nationalität zu vernichten. Das energische Auftreten des russischen Gesandten Grafen Stroganoff, der am 31. Juli die diplomatischen Verbindungen aufhob und mit der Drohung eines Krieges nach Odessa abreiste, unterbrach allein dies Vertilgungssystem, das bereits die furchtbarsten Grausamkeiten hervorgerufen hatte. Erst Mitte des Jahres erlangten die europäischen Gesandten, namentlich Lord Strangford, daß dem Morden Einhalt gethan und die Muselmänner entwaffnet wurden.

13 Das Oberhaupt der orientalischen Kirche wurde am Osterfeiertage in seinem Festgewande vor der Hauptpforte seiner Kirche aufgeknüpft.

14 In den ersten Tagen des April.

15 Ali Pascha von Janina, der später von dem Pascha von Morea, Churschid Achmed, durch Verrath besiegt und erwürgt wurde.

16 Ortsvorstände.

17 Er wurde im Juni von der neugebildeten Regierung in Morea deswegen verbannt.

18 1822.

19 Historisch, wie überhaupt alle hier folgenden Angaben.

20 Auch Chios streitet um den Ruhm, die Geburtsstätte Homer's zu sein. Außerdem waren der tragische Dichter Jon, der zur Zeit des macedonischen Philipp lebende Geschichtsschreiber Theopompus, der Sophist Theokrit und der Arzt Metrodorus Eingeborene von Chios.

21 Eine historische Scene unter den tausend ähnlichen jener furchtbaren Metzelei.

22 Eine – historisch – vielfach vorgekommene Marter!

23 Ein auf dem asiatischen Ufer liegender nur durch eine Meerenge von Chios getrennter Hafen.

24 Der Smyrna'er Spectateur oriental vom 24. Mai meldet, daß bis zum 20. Mai schon dreißigtausend Weiber und Kinder als Sclaven zollamtlich ausgeführt waren. – Es ist Thatsache, daß von einer wohlhabenden Bevölkerung von 120000 Seelen etwaneunhundert auf Chios zurückblieben.

Die Flotten
[217] Die Flotten.

Troja! – welche Erinnerungen, welche Jahrtausend alte Historie knüpfen sich an diesen Namen! Wo ist der gebildete Mensch Europa's, aus dessen Jugendstudien nicht jene sagenumgürtete Welt herüberklingt, der götterbevölkerte Olymp, die Peloponiden, Agamemnon, des Atreus Sohn, der lanzenschwingende zornige Held; – Aias der Telamonier;Nestor, das dritte Geschlecht der Menschen mit seiner Weisheit beherrschend; – Diomedes, den Kampf mit den Göttern nicht scheuend; – Odysseus mit seinen wunderbaren Fahrten, und endlich der schnellfüßige Achill, unwiderstehlich in der Schlacht und furchtlos im Rath, unbändig in seinem Zorn, mit dem er Patroklos, den geliebten Jüngling, rettet, und zärtlich in der Liebe zur schönen Sclavin Briseïs und der göttlichen Mutter, der Nereide.

Und dort am meerumgürteten Strande das hohe Ilion selbst, – der mächtige Gipfel des Ida, auf demParis die schöne Griechin gewann und Aeneas das Geschlecht der Dardaner beherrschte. Priamos, Hekuba, Kassandra die Unheilverkündende und der Liebling Apollo's, der männerwürgende furchtbare Hektor, wie er in banger Ahnung von Andromache scheidet zum Kampf mit dem Peliden! Sind das nicht Namen und Erinnerungen, die jede Phantasie bewegen?

Doch nicht allein die Erinnerungen des gebildeten Europäers sind es, die diese jetzt öde Stätte bevölkern: dem ganzen Volke der Hellenen sind die Gesänge seines großen Dichters wohl bekannt, und der niedere Grieche der Inseln, der Matrose, der auf der Tartane das Meer durchstreift, naht mit Ehrfurcht jener Stelle und fühlt sich in seinem Elend stolz auf die Namen der großen Vorfahren.

[218] Die Bucht von Troja – in der Zeitgeschichte bekannt unter dem Namen der Besika-Bai – liegt 1 nordöstlich gegenüber der Insel Tenedos, sich in weitem Bogen in das kleinasiatische Ufer hineinziehend. Ein Hafen auf der Westseite der hohen und felsigen Insel wird als derjenige bezeichnet, in dem sich die griechischen Schiffe nach ihrem Abzug verbargen, um nach des Odysseus gelungener List im Dunkel der Nacht zurückzukehren.

Die Meerenge zwischen Tenedos und dem asiatischen Ufer ist an den schmälsten Stellen etwa eine halbe deutsche Meile breit. Die Nordostseite der Bai wird von einem breiten Landvorsprung gebildet, dessen nördliches Ufer den Eingang der Dardanellen beherrscht. Von der hier gelegenen kleinen, mit starken Festungswerken versehenen Stadt Dardanelli erreicht das Auge noch die Bai.

Alexandria Troas, von den Türken Eski Stambul genannt, liegt südlich an der großen Bucht und bietet noch, zum Theil mit einem Eichwald bedeckt, eine interessante und reiche Trümmerwelt. Hunderte von Säulen sind in allen Richtungen zerstreut um den alten Hafen, eine Reihe davon steht unter Wasser und schäumend bricht sich die Brandung an ihnen. Ungefähr zweitausend Schritt vom Meere ab erheben sich noch die großartigen Trümmer und schönen Bogen eines Gebäudes, das die Schiffer den Palast des Priamus zu nennen pflegen. Das alte Troja ist nordöstlich von der Bucht landeinwärts gelegen, im Thal des Skamander (Mendere). Nur wenige Erdwälle und künstliche Hügel geben dem Alterthumsforscher hier einen Halt. Das Ufer ist am Meeresstrande flach und sanft aufsteigend. Dann folgen waldige Anhöhen, die zu einem Amphitheater von Bergen emporsteigend, unter denen der schneebedeckte Gipfel des Ida, das Thal des alten Skamander umkreisen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wiederum lag, von Westen gekommen, eine Kriegsflotte auf den blauen Wellen der Trojabai, – nicht jene zwölfhundert Schiffe, die einst von den ionischen und ägeischen Küsten die griechischen Helden hierhergeführt, sondern die riesigen hölzernen Rosse Alt-Englands, der Stolz des stolzen Großbritanniens, die kühn emporstrebende Seemacht Frankreichs, die alte Rivalin zu überflügeln drohend. Kinder eines andern Jahrtausends, einer neuen Zeit im[219] Schaffen und Denken! Die riesigen Kolosse mit den drei- und vierfach übereinander starrenden Reihen von Feuerschlünden, bewegt durch die dämonische Kraft des Dampfes oder der wallenden Segel, boten sicher einen andern Anblick als die griechischen Schiffe vor fast dreitausend Jahren, doch Land und Meer und Himmel und Felsen waren noch dieselben wie damals, als sie die Achaïer getragen und des Protesilaos Blut zuerst den Sand des trojanischen Ufers färbte.

Am 23. Juni erschien die englische Flotte auf die Ordre des britischen Gesandten in Constantinopel, Lord Stratford de Redcliffe, unter Vice-AdmiralDundas am Eingang der Dardanellen und warf in der Besika-Bai Anker. Sie bestand aus zwei Dreideckern, vier Zweideckern, einer Segelfregatte und vier Dampffregatten, nebst einigen kleinen Schiffen. – Bald darauf erschien auch die französische Flotte unter Vice-Admiral La Susse und legte sich im Halbkreis neben die englische. Sie zählte acht Linienschiffe, darunter die prachtvollen, das englische Schiff Sanspareil weit überragenden Schraubendampfer Napoleon und Charlemagne, und fünf Dampffregatten.

Das Verhältniß war damals zwischen beiden Flotten durchaus kein sehr freundschaftliches und versprach wenig für die vielgepriesene »entende cordiale«. La Susse war ein bitterer Gegner der Engländer und nur deshalb später auf dem Ankerplatz erschienen, um die englischen Schiffe bei ihrer Ankunft nicht begrüßen zu müssen. Die Stellung der beiden Admirale hatte bereits zu mehreren Verwickelungen und zur Abberufung von La Susse geführt, dessen Dienstzeit abgelaufen war. In seine Stelle ward zum Commandanten des Geschwaders der Seepräfect von Toulon, Vice-Admiral Hamelin, ernannt.

Auf der Rhede von Brest wurde bereits ein zweites großes Geschwader unter Vice-Admiral Bruat ausgerüstet, gleichwie die Engländer in Spithead mit Anstrengung thätig waren.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Schiffe lagen in drei großen Gruppen am Ufer der Bai entlang vor ihren Ankern. Einige Fregatten und kleinere Schiffe kreuzten durch die Bucht, um unter der leichten Brise ein Segelmanöver zu machen.

Wir führen den Leser an Bord einer der erstern, der englischen Fregatte Niger.

[220] Die Mannschaft der Wache war in voller Thätigkeit beim Manövriren, denn der erste Lieutenant verstand sie in Athem zu halten und hatte Augen für jeden Fehler. – Während er auf dem Gangweg auf- und abschritt, Takelwerk und Segel im Auge, lehnte Capitain Warburne an der Gallerie des Hinterdecks in der Nähe des Steuers mit einem Herrn in feiner Civilkleidung.

Warburne war ein alter Offizier, der seine Midshipmanzeit noch im napoleonischen Kriege gedient und langsam durch eigenes Verdienst ohne Empfehlung und Protection seinen mühsamen Weg gemacht hatte. Mit dem Aerger eines alten Seemannes schaute er auf die Neuerungen und Verbesserungen, die die Zeit gebracht und die alle seine Gewohnheiten über den Haufen zu werfen drohten. Vor Allem waren ihm die Vorzüge des Dampfes ein Gegenstand ewigen Grolls, und die Sicherheit eines Segelschiffes ein Lieblingsthema seines Gespräches. Der Geist des Commandirenden hatte sich so zu sagen auf die ganze Mannschaft verbreitet, und kaum konnte es ein eigensinnigeres gröberes Schiffsvolk in der ganzen Flotte geben, sobald es mit den Mannschaften der Dampfschiffe zusammenkam.

»Sehen Sie die französischen Halunken an,« sagte der Capitain ärgerlich, »reiten sie nicht auf ihren Ankern, als hätten sie ganz Alt-England schon in der Tasche? Ich begreife das Ministerium nicht, wie man uns hierherschicken kann, um mit diesen Crapauds unnütz in der Sonne zu braten.«

»Sie sind ärgerlich, Warburne, aber Sie thun Unrecht, die französische Flotte zu tadeln. Ich habe mich bei den Bootfahrten überzeugt, sie befindet sich in einem vortrefflichen Zustande, den ich unseren eigenen Schiffen wohl wünschte. Es ist eine Schmach für England, daß unsere Flotte offenbar gegen die französische zurücksteht.«

»Ha, pfeifen Sie auch auf dem Winde, Maubridge,« meinte grämlich der alte Seemann. »Der Teufel hole die Froschfresser mitsammt ihren Kohlenschiffen. Alle Ehre und Reputation auf dem Meere geht zu Grunde, seit der verdammte Dampf auf blauem Wasser regiert, wie er sich auf dem Lande mausig macht. Gott verdamm' meine Augen, ich glaubte, ich hätte etwas Besseres an Ihnen erzogen, als einen Bewunderer der schwarzen Rauchfänge. Was ist es für eine Kunst noch, ein Schiff zu regieren, seit unten im Bauch der schmutzigste Maschinist den Capitain spielen kann! [221] Aber die Welt ändert sich; seit Sie Ihren Bruder beerbt haben und im Unterhause sitzen, sind Sie so närrisch wie die Andern. – Dampfschiffe statt der ehrlichen Leinwand und die Franzosen seitlängs von uns, ohne daß wir eine ehrliche Breitseite mit ihnen tauschen dürfen, Sie werden's erleben, das bringt der Flagge mit dem Doppelkreuz kein Glück.«

Maubridge – der Mann in Civil war der Baronet, dessen Bekanntschaft wir im Landhause zu Bournabat beim Angriff der Räuber gemacht haben – lachte.

»Sie sind und bleiben der Alte, Warburne,« sagte er, »und werden sich nie in die Forderungen der Gegenwart schicken, obschon Sie deren Nutzen einleuchtend vor Augen sehen. Passen Sie auf, es dauert nicht lange mehr, so wird Ihre alte Fregatte abgezahlt und kommt als Wachtschiff nach Plymouth oder Spithead. Wir sind viel zu weit hinter den Franzosen zurückgeblieben in der langen Friedenszeit und sie haben uns in Zahl und Einrichtung der Dampfschiffe überflügelt, gerade wie die Amerikaner.«

»Ja, ja, ich seh's, die alten Eichenbalken, die so lange die britische Flagge durch alle Meere zum Siege getragen und gefürchtet gemacht haben, werden aus Halbsold gesetzt. Alles soll Eisen sein, Alles mit übermäßiger Geschwindigkeit gehen, – nur die Beförderung eines ehrlichen Mannes geht den Schneckengang. Es ist keine Dankbarkeit mehr in der Welt, und das rächt sich.«

»Ei, Warburne, Sie thun wieder Unrecht. Sehen Sie nicht in mir das Gegentheil? – Hab' ich nicht gleichfalls meinen jüngeren Bruder in Ihre Obhut gegeben, um einen tüchtigen Seemann aus ihm zu bilden, und bin ich nicht schon seit drei Wochen Ihr Gast und langweile mich mit Ihnen hier, bloß um Ihnen meine alte Anhänglichkeit zu zeigen, nachdem ich in Smyrna schon so viele Zeit verloren habe?«

Der Capitain schielte ihn von der Seite an.

»Hm! Der alte Adams – den ich wegen der Einkäufe in Smyrna zurückließ – erzählt ganz kuriose Dinge von der Weise, wie Sie Ihre Zeit verloren haben, und daß Sie wohl thaten, die Sicherheit eines britischen Kriegsschiffs zu suchen. Hören Sie, Maubridge, ich habe Sie noch immer lieb, weil Sie ein braver Bursche waren, der im Sturm seinen Mann stand, d'rum warne ich Sie, hüten Sie sich vor den Weiberröcken, sie sind eben so [222] falsch wie die Franzosen und haben noch keinem Manne Gutes gebracht.«

»Sie sind ein alter Hageprunk, Warburne, und Adams ist ein Schwätzer, der sich von einem Knaben, so hoch, hors de combat setzen ließ. Aber sehen Sie, wie jener französische Dampfer auf uns zukommt, es ist, als ob der Bursche uns verhöhnen wollte mit seiner Beweglichkeit.«

Warburne schaute nach der Flotte zurück. Eine der kleineren französischen Dampffregatten hatte ihren Ankergrund verlassen und strich gleich einem Schwan stattlich hinter ihrem Spiegel durch die Wellen.

»Master Hunter!«

Der erste Lieutenant kam nach Hinten.

»Sir!«

»Lassen Sie gefälligst das Schiff umlegen und nach Tenedos hinüber halten. Wir wollen dem französischen Maulaffen da nicht den Spaß machen, uns in ein Wettfahren mit ihm einzulassen.«

»Sehr wohl, Sir!«

Der Lieutenant gab den Befehl an den Offizier der Wache und das Schiff nahm seinen veränderten Cours im rechten Winkel von seinem bisherigen Lauf und schob nach der Insel zu. – –

Am Vorderkastell standen in mehreren Gruppen die Matrosen, die zu den abgelösten Wachen gehörten, und schauten über die Brüstungen hinaus auf die manövrirenden Schiffe oder hinauf zu den Segeln, die sich im frischen Landwind blähten. Die Brise, die durch das Felsenthor der Dardanellen bläst, ist oft so stark und anhaltend, daß kein Segelschiff den Eingang gewinnen kann und häufig hunderte von Fahrzeugen Wochen lang vor der Meerenge liegen bleiben müssen, um auf das Umsetzen oder Aufhören des Nordwindes zu warten.

Die Matrosen waren fast durchgängig von jener Bullenbeißerfigur, die den Seeleuten Alt-Englands eigen ist. Man erkannte deutlich jedoch jene Figuren, welche aus einem andern Lebensberuf durch Zufall oder das schmachvolle Recht der Pressung darunter gerathen waren, obschon es ein eigenthümlicher Zug der Briten ist, daß mindestens zwei Drittheile dieser Unglücklichen nach kurzer Zeit schon mit ihrem Loose sich ausgesöhnt zeigen, alle frühern Verhältnisse vergessen und oft die besten Seeleute werden.

[223] Die Hände in den Hosentaschen, ging die vierschrötige Gestalt des Deckmeisters Adams von einem Gangweg zum andern, mit forschendem Blick ringsum die Ordnung prüfend.

»Herunter von dem Hühnerkasten, Sir, wenn's beliebt, Master Hunter sieht eben hierher. Warte, Hundesohn, kannst Du Deine schmutzigen Pfoten nicht wo anders hin tragen?«

Ein Hieb mit einem Tauende aus dem Vorrath der weiten Tasche nach einem unglücklichen Schiffsjungen, der mit einem Eimer vorüberhuschte, begleitete die Worte. Die erste Anrede war jedoch an drei junge Männer gerichtet, die auf einem der Vorderdeck-Hühnerkasten hockend, über Hängemattenwandung hinausschauten.

»Sei nicht so bärbeißig, Alter, wir werden Deinem Kasten kein Loch in den Rumpf stoßen. Schau', Gosset, wie sie daher kommt! Ist es nicht eine Schande, daß wir in diesem alten wurmstichigen Segelboot umherkrebsen müssen, wie ein Hummer am Lande?«

»Es ist unverantwortlich von der Krone Großbritannien, daß eine Tischgesellschaft so gescheuter und stattlicher Mid's 2, wie die ganze Flotte sie nicht zählt, noch immer verurtheilt ist, Raen spleißen, die Stagen reffen, Top- und Vortopsegel ansetzen zu lassen, den ganzen Tag einem ersten Lieutenant zu Diensten zu sein, je nachdem's ihm einfällt, unter doppelt oder einfach gerefften Linnen zu segeln, kurz auf einem Segelschiff zu dienen. Hol' der Teufel all' die Arbeit.«

Der Deckmeister rollte grimmig das Prüntjen aus einer Backe in die andere und spritzte seinen Groll mit der eklen Flüssigkeit durch die nächste Stückpforte.

»Mit Verlaub, Sir, wollen Sie jetzt von meinem Kasten herunter oder nicht? Aus Ihnen wird im Leben kein ordentlicher Seemann werden, Master Gosset, sonst würden Sie nicht solches Wischiwaschi über ein Schiff zu Markte bringen, das hundert solche Leute aufwiegt wie Sie und Master Frank.«

Die Midshipman räumten lachend den Kasten. Es waren drei junge Burschen von 14 bis 17 Jahren, von denen der Eine große Aehnlichkeit in den Zügen mit Sir Maubridge auf dem Hinterkastell wies. Der Zweite, Gosset, war ein ziemlich schmächtiger Knabe von affenartiger Beweglichkeit, während der Dritte und[224] Aelteste eine kräftige Figur mit einem ziemlich gemeinen stupiden Gesicht zeigte.

»Segel und Dampf ist die schwache Seite von Meister Adam's, grade wie beim Capitain selbst,« höhnte Gosset. »Ich wette, nur unser erster Lieutenant ist meiner Ansicht und verwünscht diesen alten Segelkasten, weil er ihn schon zwei Mal bei der Beförderung im Stich gelassen hat. Ich quittire den Dienst, wenn man den Niger nicht bald abtakelt.«

»Vorläufig werden Sie hinunter gehen und das Verdeck räumen, Sie junger Halunke,« sagte eine strenge Stimme hinter ihm. Es war der erste Lieutenant, der unbemerkt nach vorn gekommen. »Kümmern Sie sich um Ihre eigene Carriere, die Sie höchstens in den Mastkorb führen wird, und danken Sie Gott, daß man einen so spindelbeinigen affengesichtigen Burschen auf Ihrer Majestät Fregatte in Dienst genommen hat. Hinunter auf's Mitteldeck, wer nicht den Dienst von Ihnen hat.«

Die Midshipman tauchten eilig durch die Luke, denn Master Hunter verstand keinen Spaß. Auch die Matrosen rings umher drückten sich ihm aus dem Wege, oder nahmen irgend eine Beschäftigung vor. Der dritte Lieutenant, welcher die Wache hatte, rapportirte vier Glocken. Der erste Lieutenant ging nach hinten und that das Nämliche, und der Capitain befahl, zum Essen zu pfeifen. Der Befehl lief auf gleiche Weise zum Hochbootsmann und der Ruf: »Alle Mann zum Essen!« erscholl durch die Luken.

Es ist dies eines der buntesten Bilder selbst auf einem englischen Schiffe. Die Tischgesellschaften sammeln sich und nehmen ihre Plätze ein, um Heerd und Küche drängen sich die Maate, die für jede die Portionen in Empfang zu nehmen haben und die schwarzen Gehilfen des Kochs haben alle Hände voll zu thun. Der Stewart der zweiten Kajüte läuft eilig hin und her, um den Tisch der Offiziere zu besorgen, während der des Capitains höflich seine Einladung für die Tafel desselben macht, die um 3 Uhr beginnt.

»Wer ißt heute noch beim Capitain?« fragte der Zahlmeister den Eilenben.

»Der zweite Lieutenant, Sir, und Master Duncombe, der Doctor. Auch der junge Maubridge.«

»Schön! bringen Sie dem Capitain meinen Empfehl und ich würde erscheinen.«

[225] Am Bord eines Schiffes weigert man sich selten, die Einladung eines Capitains anzunehmen.

Auf dem Hinterdeck trat der erste Lieutenant zu seinem Vorgesetzten.

»Der Dampfer hat gleichfalls gewendet, Sir, und scheint uns absichtlich folgen zu wollen. Es ist die ›Veloce‹, Sir.«

»Lassen Sie die Mannschaft ihr Essen nehmen, aber die Mittelwache in Thätigkeit bleiben. Aendern Sie gefälligst von Zeit zu Zeit den Cours und vermeiden Sie einen Segelstrich mit dem Franzosen. Es ist offenbar, daß der Narr uns seine Schnelligkeit zeigen will.«

Der erste Lieutenant tippte an den Hut und ging, um das Commando an den zweiten Lieutenant zu übergeben, der die Mittelwache hatte. Capitain Warburne spazierte mit seinem Gast auf dem Deck weiter umher.

Die »Veloce 3« schoß unterdeß näher heran, stattlich und leicht, wie ein Schwan durch die Wellen streift, einer jener schönen zierlichen Bauten, die selbst das Auge eines britischen Seemannes entzücken mögen. Es ist bekannt genug, daß zu Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts die englische Marine ihre besten Schiffe den siegreichen Gefechten mit der französischen Marine verdankte.

Dicht unterm Spiegel des Niger wendete der Dampfer und schoß an seinem Backbord vorüber, so daß alle auf den Decks befindlichen Gruppen gegenseitig vollständig gesehen werden konnten.

Wir haben die englische Fregatte bereits beschrieben; versetzen wir uns einige Augenblicke vor der Begegnung auf das Hinterdeck des französischen Dampfers.

Alle, die beim Beginn des großen Krieges die Gelegenheit hatten, die britischen und französischen Kriegsschiffe zu besuchen, sind erstaunt gewesen über den großen Unterschied, der sich auf den Schiffen beider Nationen bemerklich machte, und den überwiegend vortheilhaften Eindruck, welchen die französische Marine gewährte. Während Offiziere und Schiffsvolk auf den britischen Schiffen fast durchgängig etwas Steifes oder Plumpes, ja Brutales an sich haben, und in dieser Art sich der ganze Dienst [226] kamaschenartig regelt und abspinnt, erscheint auf den französischen Schiffen Alles bei strenger Regelung und Ordnung frisch, frei und beweglich. Es herrscht statt des drohenden Gespenstes der neunschwänzigen Katze, welche noch immer und allein das Thier im britischen Matrosen zähmen kann, ein natürlicher Geist anständiger Ordnung und Disciplin unter den französischen Seeleuten, der der Individualität eines Jeden vollen Spielraum läßt. Leben und Heiterkeit, ein Scherz, ein Spaß mitten im regen Diensteifer, kurz ein gewisses point d'honneur, das nicht bloß im Bulldoggenmuth besteht, herrscht auf dem Vorderdeck eines französischen Kriegsschiffs.

Noch greller tritt der Unterschied in den beiderseitigen Offizier-Corps und in dem Verhältniß der Vorgesetzten zu den Untergebenen hervor. Wenn man Gentleman's suchen will, so möge man sie auf dem Deck der französischen Schiffe suchen, vom jüngsten Aspiranten bis zum Capitain ist es Jeder unbestritten. Ohne der Achtung und dem Range Etwas zu vergeben, herrscht zwischen den Offizieren des Schiffes ein überaus freundlicher und kameradschaftlicher Ton. Bei den zahlreichen Ausflügen mit den Dampfern nach Constantinopel, wie später, als die Flotten im Bosporus ankerten, sah man die älteren und jüngsten Offiziere stets in Gesellschaft, Arm in Arm, heiter und plaudernd und überall leicht Bekanntschaft machend, während die Engländer impertinent und abgeschlossen sich zeigten und das Schiffsvolk, jeder Ausschweifung hingegeben, sich so roh und brutal gegen die Bevölkerung benahm, daß häufig blutige Händel daraus entstanden. Während die englischen Schiffe am Bosporus lagen, wurden thatsächlich, auf Befehl des Seraskiers, alle Abende und Morgen die betrunkenen Matrosen von den türkischen Wachen auf den Gassen aufgesammelt und in Böten am Bord der nächsten Schiffe abgeliefert. Wir finden später einige Scenen dieses Treibens. – –

Auf dem Hinter- und Vorderdeck der Veloce waren Sonnenzelte ausgespannt, unter deren Schutz Offiziere und Mannschaft in zahlreichen Gruppen versammelt waren. Der Capitain, ein Mann von einigen dreißig Jahren, unterhielt ein Gespräch mit zwei Fremden, von denen der Eine die griechische Kleidung trug.

»Als wir uns in Paris trafen, Doctor,« sagte er lachend und blies den Rauch der Papiercigarre in die Luft, »hätten wir Beide schwerlich geglaubt, daß unser nächstes Wiedersehen am [227] Grabe des Achilles stattfinden werde. Der Kaiser hat uns seitdem tüchtig umhergeschickt und man scheint mir auch hier Adjutantendienste bei der Flotte aufbürden zu wollen. Wäre eine Vacanz auf meinem Schiff und hätten wir hier nicht einen so lieben alten Freund, der vortrefflich mit unserem innern und äußern Menschen umzugehen weiß,« – er reichte freundlich dem unfern mit mehreren Offizieren sich unterhaltenden Schiffsarzt die Hand – »so ließe ich Sie wahrhaftig nicht wieder fort, am wenigsten zu dem schlimmen Geschäft, das Sie vorhaben.«

»Der Mensch kommt und geht, Capitain, Sie wissen das am besten,« sagte Welland, denn er und Caraiskakis waren es, die wir am Bord der Veloce wiedertreffen. »Freilich möchte es schön sein, diese herrlichen Gewässer auf dem Schiff eines Freundes zu durchstreifen, wenn auch die Freundschaft oder Ihre Güte sich nur aus der Bekanntschaft im Café Carozza herschreibt, das wir Beide besuchten, während Sie im Marine-Ministerium antichambrirten. Doch freute ich mich aufrichtig, Capitain, als ich in Dardanelli die Namen der ankernden Schiffe erfuhr und darunter den des Ihren, nicht bloß weil ich Unterstützung von Ihnen in dem Zweck, der mich hierher führt, hoffte, sondern auch weil es mir Vergnügen machte, Sie wiederzusehen.«

»Merci! ich wünschte, ich könnte meine Freundschaft Ihnen nur energischer beweisen, als durch diese Kreuz- und Querfahrt hinter einem alten englischen Segelschiff. Doch Sie wissen bereits, Doctor, die Ordres der Admiralität sind sehr streng und wir müssen Alles vermeiden, was irgend Veranlassung geben könnte, die entente cordiale auch im Kleinen zu stören.«

»Ich würde unter keinen Umständen auch weiter Ihren Beistand annehmen, Capitain Fontain. Sie haben schon mehr als genug gethan, indem Sie uns Ihren allgemeinen Schutz gewähren. Ich kann mir nicht denken, daß wir gezwungen werden sollten, uns wirklich um Schutz an die französische Ehrenhaftigkeit zu wenden, worauf ich als Bürger Frankreichs dann nicht ohne Anspruch bin.«

»Und auf meine Ehre, Sie sollen ihn finden, und sollt' es mein Patent kosten! – Da sind wir unterm Spiegel der Fregatte. Monsieur Chaleron, haben Sie die Güte, steuerbord wenden zu lassen und an der Fregatte zu stoppen.«

Der zweite Lieutenant eilte die Treppe über der Maschine hinauf.

[228] »A dorit! – Halt!«

Die Fregatte schob langsam am Steuerbord des Niger entlang.

Der französische Capitain stand mit dem Sprachrohr in der Hand auf den Hängemattengittern.

»Bon jour, Herr Kamerad! Ist's Ihnen gefällig, beizulegen? ich habe Besuch für Sie an Bord.«

Capitain Warburne salutirte eben nicht besonders freundlich den Gruß.

»Zu Diensten, Herr Capitain! Braßt die Segel! Steuer umlegen!«

Die Fregatte hielt in ihrem Lauf, während vom französischen Dampfer bereits ein Boot heruntergelassen wurde.

»Monsieur Bertaudin, Sie werden diese Herren begleiten und mit meinem Boot auf ihre weiteren Befehle warten. Adieu, Doctor; ich hoffe, Sie zum Diner wieder an Bord zu sehen.«

Welland und Caraiskakis, von dem Aspiranten geleitet, bestiegen das Boot und schoben ab, während sich der Dampfer durch einige Raddrehungen weiter von dem Engländer zurücklegte. Nach einigen Ruderschlägen waren sie seitlängs der englischen Fregatte und stiegen die Schiffswand empor.

»Sir, ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen. Darf ich um Auskunft bitten, ob Baronet Maubridge sich an Bord Ihrer Fregatte befindet?«

»Zu Befehl!«

»Sie würden uns sehr verbinden, Sir, wollten Sie die Güte haben, ihm diese Karte zu schicken und ihm sagen zu lassen, daß wir um eine Unterredung bäten.«

Master Hunter lud die Fremden ein, näher zu treten, und schickte den nächsten Midshipman mit dem Auftrage an den Capitain.

»Der Besuch gilt Ihnen, Maubridge,« sagte dieser. »Wollen Sie sich meiner Kajüte bedienen, so lassen Sie die Herren dahin führen.«

Der Baronet hatte die Karte des Doctors gesehen.

»Ich kenne den Herrn nicht, – wenn Sie erlauben, empfange ich den Besuch hier.«

»Wie Sie wollen. Führen Sie die Herren hierher.«

Einige Augenblicke darauf betraten Welland und der Grieche das Hinterdeck. Der Capitain lud sie ein, auf den umherstehenden [229] Schiffestühlen Platz zu nehmen, und trat an das Bollwerk zurück.

»Darf ich Sie bitten, mein Herr, mir zu sagen, was mir die Ehre verschafft ...?«

»Wir kommen, Sie um einige Auskunft in Angelegenheiten Ihrer Gemahlin, Lady Maubridge, zu bitten,« sagte Welland laut genug, um von dem Capitain und den Leuten am Steuer gehört zu werden.

»Meiner Gemahlin, Sir? – Sie irren wohl!« Die Stirn des Baronet färbte sich dunkelroth.

»O nein, Sir; ich meine Lady Diona Maubridge, geborene Grivas.«

Der Baronet suchte gewaltsam seiner Verwirrung Herr zu werden.

»Ich wiederhole Ihnen, daß Sie sich irren; doch bitte ich, mir zu sagen, was oder welches Recht Sie zu der Anfrage veranlaßt.«

»Sogleich, Sir. Mein Auftrag besteht darin, Sie im Namen der Lady Maubridge um die Aushändigung des Ehecontracts oder einer vidimirten Abschrift zu bitten.«

Der Engländer schwieg einige Augenblicke.

»Ich muß Ihnen wiederholen, daß Sie sich in Betreff einer Lady Maubridge täuschen. Ich bin nicht verheirathet.«

Der Grieche machte eine heftige Bewegung, doch Welland legte die Hand auf seinen Arm.

»Sie haben mir versprochen, mir die Angelegenheit zu überlassen.« – Er wandte sich wieder zu dem Baronet. »Wir waren einigermaßen auf diese Antwort gefaßt. Doch erlauben Sie mir eine andere Frage. Sie kannten unzweifelhaft eine junge Dame im Hause des Kaufmanns Andriarchos in Smyrna, Diona Grivas.«

»Ja wohl, mein Herr.«

»Was ist aus ihr geworden?«

»Diese Frage ist wirklich seltsam, doch muß ich gestehen, daß Sie mich selbst verbinden würden, wenn Sie mir über ihr Schicksal und ihren Aufenthalt Auskunft geben könnten.«

»Die Dame wurde in der Nacht des 23. Juni aus dem Landhause des englischen Vice-Consuls in Burnabat und aus Ihrem Schutz entführt, Sir Maubridge.«

[230] »Sie sind sehr gut unterrichtet, mein Herr. Um es kurz zu machen, sind Sie etwa der Sendbote des Banditen, der in meine Wohnung einbrach, und kommen Sie, um irgend ein Lösegeld für das junge Mädchen zu fordern?«

»Für Lady Maubridge, Sir. Diesmal inen Sie; wir waren es selbst, welche die Dame entführten.«

»Wie, Sir?«

»Ja wohl. Die Dame befindet sich gegenwärtig unter unserm Schutz, und in ihrer Vertretung kommen wir hierher, um Sie über das Schicksal derselben zu beruhigen und die weiteren Verhandlungen mit Ihnen zu führen.«

»Ich bin nicht gewohnt, mit den Genossen von Dieben und Mördern zu verhandeln. Danken Sie Gott, daß ich Sie nicht auf der Stelle wegen eines Angriffs auf britisches Eigenthum und des Mordes britischer Unterthanen verhaften lasse. Sie stehen auf diesem Schiff auf britischem Boden.«

»Und unter'm Schutz eines guten Freundes da drüben.« Der Doctor wies kalt nach dem französischen Dampfer. »Was das Recht auf die Dame anbetrifft, so hat Sir Maubridge das Beispiel der Entführung gegeben, und mein Freund, Herr Gregor Caraiskakis, der Stiefbruder der Dame, konnte damals noch nicht wissen, daß Sie dieselbe bereits zu Ihrer rechtmäßigen Gemahlin gemacht hatten.«

Der Baronet hatte jetzt seine volle Ruhe wiedergewonnen. Um seinen Mund zeigte sich ein kalter hochmüthiger Zug, der von Zeit zu Zeit sein sonst schönes Gesicht entstellte.

»Ah! also eine der gewöhnlichen Familienpressereien, von denen ich in Smyrna so Manches gehört! Nun wohl, meine Herren, ich gestehe, daß ich einen thörichten Streich gemacht habe. Ihr Himmel ist heiß, aber dergleichen läßt sich hier leicht in Ordnung bringen. Was verlangen Sie für die Dame, die mich einige Zeit mit ihrer Gunst beehrt hat und von der ich nur bedaure, daß sie sich so früh schon von mir getrennt hat.«

»Sir!«

»Nun ja, Sie werden denn doch nicht glauben, daß Sie von einer wirklichen Lady Maubridge sprechen. Ich bin zu jedem Ersatz bereit.«

»Sie läugnen, daß Sie das junge Mädchen unter dem Versprechen der Ehe entführt haben? daß eine Trauung oder eine [231] diese ersetzende Ceremonie im englischen Consulat stattgefunden hat und Diona Grivas Ihre rechtmäßige Gemahlin ist?«

»Was vorgefallen, Sir, darüber werde ich Ihnen keine Rechenschaft geben. Das aber mögen Sie und dieser Herr, der wahrscheinlich kein Englisch versteht und daher die Rolle des schweigenden Bruders spielt, wissen, daß ich den Anspruch auf den Namen meiner Gattin zurückweise und sie in ihrem eigenen Interesse wohl thun wird, eine so tolle Idee nicht weiter zu verfolgen.«

»Sie weigern also bestimmt die Anerkennung.«

»Ich werde mich nicht so lächerlich machen, darauf weiter einzugehen; haben Sie Beweise, so legen Sie Ihre Klage bei dem britischen Gesandten ein. Und nun, meine Herren ...«

»Einen Augenblick noch,« sagte der Grieche, indem er auf ihn zutrat. »Sie irrten, wenn Sie glaubten, ich verstände Ihre Sprache nicht. Ich hoffe, daß Sie eben so gut die Sprache eines Mannes von Ehre verstehen werden, der Ihnen sagt, daß Baronet Maubridge wie ein ehrloser Schurke gegen ein schutzloses Mädchen gehandelt hat!«

»Sir!«

»Die Willkür und das Unrecht, welche Ihre Nation dem griechischen Volk anthut, müssen wir leider tragen, aber Gott sei Dank, noch ist der Einzelne im Stande, das angethane Unrecht zu rächen. Ich werde Sie zwingen, meiner Schwester den Namen zu geben, der ihr gebührt.«

»Bah!«

»Bestimmen Sie Zeit und Waffen!«

»Ich schlage mich mit einem griechischen Banditen nur bei einem Angriff und Ueberfall, Sie wissen das.«

»Wohl, so nehmen Sie dies als Angriff ...« er hob die Hand zum Schlage, doch Maubridge kam ihm zuvor und faßte den Arm.

»Halt da – keine Beleidigung, für die ich Sie todtschießen müßte; es sollte mir leid thun. Dieser Herr wird wahrscheinlich Ihr Secundant sein.«

»Ich bin es.«

»Wohl. Der meine wird Sie noch heute aufsuchen. Wo findet er Sie?«

»Ich werde ihn in Tenedos im griechischen Kaffeehause am Hafen von der nächsten Stunde aberwar ten.«

[232] »Well! Auf Wiedersehen.«

Er wandte sich kalt und hochmüthig um und trat zu dem Capitain, der ein stummer Zeuge der ganzen Unterredung gewesen war, indeß die beiden Freunde ihr Boot anriefen und sich entfernten.

»Sie sehen, Warburne, es ist Aussicht da, daß Sie auch Ihren zweiten Midshipman zu Gunsten einer erledigten Baronetschaft verlieren. Lassen Sie uns zu Tische gehen.«

»Sie werden doch nicht toll genug sein, sich mit dem griechischen Landstreicher zu schlagen?«

»Es wird nichts Anderes übrig bleiben, da er sich unter den Schutz unserer guten Freunde, der Franzosen, begeben zu haben scheint, und ich diesen doch unmöglich sagen lassen kann, auf Ihrem Schiff wären ein Paar Pistolenschüsse geweigert worden. Sie werden mir einen Ihrer Offiziere leihen, Warburne, denn ich muß nun schon die Sache zu Ende bringen.«

»Gott verdamm', ich hab' es Ihnen gleich gesagt, es kommt nichts Gescheutes heraus, wo ein Weiberrock im Spiel ist. Unter uns gesagt, mein Junge, scheinen Sie in der Geschichte auch nicht besonders viel Recht zu haben.«

»Nicht das geringste,« sagte der Baronet ruhig, »es ist auch sehr leicht möglich, daß ich ganz anders gehandelt haben würde, wenn die Narren mir nicht hätten Zwang anthun wollen. Die Kleine ist verteufelt hübsch und ich würde Aufsehen mit ihr in London gemacht haben. – Doch sprechen wir nicht mehr davon, – die Burschen müssen ihre Lection haben.«

Der Stewart des Capitains meldete zum zweiten Mal, daß angerichtet sei.


Wo der Skamander aus dem weiten Bergthal tritt, in dessen Hintergrund der große Hügel liegt, den man das Grab des Achilles nennt, und sich durch die Ebene des Ufers zum Meer schlängelt, während der Hitze des Sommers oft kaum so groß, daß er einen Kahn zu tragen vermag, liegen im Myrthengebüsch einige jener Säulentrümmer, die am südlichen Ende der Bucht sich noch so massenhaft zeigen. Hierher, um nicht zu weit entfernt von Dardanelli zu sein, hatte der Arzt das Rendezvous für den nächsten Morgen bestimmt.

[233] Als die Freunde in der besprochenen frühen Stunde dort mit ihrer Barke eintrafen, fanden sie bereits den Baronet mit dem zweiten Lieutenant des Niger vor, der ihm zum Secundanten diente. Der alte Matrose Adams hatte sie mit einem Genossen hierher gerudert und betrachtete mit Neugier die Kommenden, da Maubridge ihm mitgetheilt, daß sie unter ihren Angreifern in Burnabat gewesen waren.

Der Baronet, theilnahmlos für die weitern Verhandlungen, belustigte sich mit Pistolenschießen, wobei der Deckmeister die Aufgabe hatte, die Waffen zu laden. In dem Baronet, von dessen Character wir noch wenig gesprochen haben, lag eine seltsame Mischung von Eigenschaften, wie sie in der britischen Nationalität häufig vorkommen. An und für sich edelherzig und warmfühlend, war er mit jener Vorliebe für das Seltsame, Ungewöhnliche ziemlich reichlich begabt, die seine Landsleute so häufig zu den Excentrics führt, die in ihrer Ausartung in's Abgeschmackte ihnen den seltsamen Ruf durch die ganze Welt verschafft haben. Damit verband sich jedoch ein unbändiger Starrsinn, ein Eigenwille, der jede fremde Einwirkung von Außen, selbst bei der Erkenntniß des Bessern, beharrlich zurückwies, und eine Caprice, die durch Hindernisse wach gerufen, kein Mittel scheute, ihren Zweck durchzusetzen. Zu dem Allen gesellte sich jene gewisse Kälte und scheinbare Gleichgültigkeit, die den Briten der höhern Stände durch die Erziehung eingeimpft zu werden pflegt.

Welland trat zu dem Baronet.

»Sir,« sagte er ernst, »erlauben Sie mir noch ein Mal, Sie daran zu erinnern, daß Ihre Handlungsweise die Ehre einer Familie trifft, deren Name und Abkunft sich sicher mit der jedes englischen Pairs messen kann. Aber sie trifft und bricht auch ein Herz, das in wahrer uneigennütziger Liebe an Ihnen zu hängen scheint, und das Sie nicht das Opfer einer Handlung werden lassen dürfen, von der wir nicht wissen, ob sie Täuschung, ob sie Wahrheit war. Diona, Ihre Gattin nach göttlichem Recht, hat mir diese Zeilen an Sie gegeben und das Versprechen abgenommen, dieselben in Ihre Hand zu legen. Ich hätte es bereits gestern gethan, wenn die Umstände es erlaubt.«

Der Baronet nahm das Blatt, erbrach und las es. Es schien nur wenige Zeilen zu enthalten, die indeß einen großen Eindruck auf ihn machten. Seine schöne hohe Stirn färbte [234] sich wieder, wie bei der ersten Begegnung auf dem Schiff, mit fliegender Röthe, und er wandte sich hastig zu dem Deutschen:

»Wo ist Diona, kann ich sie sehen?«

»Sie werden es erfahren, Sir, sobald Sie meinem Freunde jenes Papier ausgeliefert haben, das im Consulat von Smyrna unterzeichnet wurde, oder uns die Erklärung auf Ihr Ehrenwort abgeben, daß Sie die Rechte Ihrer Gattin anerkennen wollen.«

Der Baronet biß sich in die Lippen.

»Sie täuschen sich in mir und haben selbst Ihr Spiel verdorben. Diona hätte mich besser kennen sollen. Wir wollen die Sache beenden, wegen deren wir uns hierher bemüht haben, erlauben Sie nur, daß ich die Pistole entlade. Adams, auf!«

Der Deckmeister warf eine Citrone in die Höhe, während sie in der Luft schwebte, hob der Baronet blitzschnell die Pistole und schoß. Die Frucht stob auseinander.

Welland blickte unwillig auf das prahlerische Spiel, und doch zog sich sein Herz krampfhaft zusammen bei dem Gedanken, daß das Leben des Freundes, der im vollen Recht die Ehre seiner Familie vertheidigte, der sichern Kugel des herzlosen Mannes verfallen sei. Er wandte sich zu dem Offizier, um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Dies war bald geschehen, man wählte ein Paar Schiffspistolen und maß die Entfernung, fünfzehn Schritt, Jeder sollte das Recht haben, nach Belieben zu schießen.

Als Welland den Freund auf seine Stelle geleitete, drückte dieser ihm herzlich die Hand.

»Sollte der Himmel gegen mich sein und mir ein Unglück passiren, so werden Sie Diona nicht verlassen und sofort an meine Brüder nach Athen schreiben. Die Adressen kennen Sie, und nun mit Gott!«

Maubridge fixirte ruhig den Griechen, es war, als wäre er seines Sieges gewiß. Der Lieutenant gab das Zeichen, einige Schritte ging Caraiskakis vor, dann schoß er.

Schiffspistolen sind eine unzuverlässige Waffe. Die wohlgezielte Kugel streifte den linken Aermel des Baronets und einige Blutstropfen quollen aus dem Rock.

»Schade um den Schuß!« sagte der Brite spöttisch. »Jetzt ist die Reihe an mir, doch zuvor hören Sie einige Worte.«

Gregor stand finster vor sich blickend da, er antwortete nicht.

[235] »Wollen Sie mir den Aufenthalt Ihrer Schwester nennen und mich das Weitere mit ihr allein verhandeln lassen?«

»Nein!«

»Ueberlegen Sie wohl, ich lasse mir nicht trotzen und schulde Ihnen die Revange für Burnabat.«

»Schießen Sie, Sir! Wenn ich zehn Leben hätte, würde ich sie an Ihre Verfolgung setzen und nicht von Ihrer Spur weichen.«

»Dann müssen wir freilich dazu thun, Sie daran zu hindern.«

Die Pistole hob sich rasch, ein Blitz zuckte, ein Knall, und Caraiskakis drehte sich um sich selbst, ehe er fiel.

»Sie haben ihn ermordet!«

»Keineswegs, ich müßte denn so schlecht schießen, wie mein Gegner. Richten Sie ihn auf, die Kugel sitzt in der linken Hüfte und wird Ihren Freund wohl zwei Monat von meinem Wege abhalten. Das genügt.«

Welland beschäftigte sich mit dem Verwundeten und fand es, wie der Baronet in seiner kalten Ruhe gesagt. Er öffnete dem Freunde die Kleider und legte einen vorläufigen Verband an. Gregor kam dabei wieder zu sich und schaute ihm fragend in's Gesicht.

»Beruhigen Sie sich, ich stehe Ihnen für die Kur mit aller meiner Kunst.«

Maubridge trat heran.

»Es thut mir leid um Sie, aber Sie zwangen mich. Wollen Sie jetzt – wo Sie selbst der Hilfe bedürfen, meine Bitte erfüllen und mir den Aufenthalt Ihrer Schwester nennen?«

Caraiskakis machte eine heftige abwehrende Bewegung.

»Sir, stören Sie meinen Freund nicht, der Verband kann leicht aufbrechen und der neue Blutverlust würde ihm schaden.«

»Kann ich sonst Etwas für Sie thun? Mein Boot steht zu Ihrer Disposition.«

Eine abwehrende Bewegung.

»So leben Sie wohl und warnen Sie Ihren Freund, sich nicht in meinen Weg zu drängen. Kommen Sie, Malcolm.«

Er verbeugte sich höflich und ging nach seinem Boot, in dem Beide den Fluß eine Strecke weit hinabfuhren. Adams, der alte Matrose, ruderte sie mit seinen Gefährten stillschweigend fort, Maubridge saß in Gedanken, den Kopf in die Hand gestützt. Endlich schaute er auf.

[236] »Nun, Alter, Du hast noch nicht einmal ein Wort für mich, daß ich so gut davongekommen? Ist das Deine alte Anhänglichkeit?«

Der Seemann schüttelte den Kopf.

»Ich habe Sie gekannt und Sie jedes Tau, jede Spiere am Bord kennen gelehrt, als Sie ein Bürschchen, lange nicht so groß, wie Ihr Bruder, waren. Aber schon damals waren Sie ein störrisches Blut. Was haben Sie nun davon, den Bruder niederzuschießen, nachdem Sie die Schwester unglücklich gemacht? Sie wissen selbst, daß er in seinem vollen Recht war.«

Der Baronet zog die Stirn zusammen und legte seine Hand auf die Schulter des Matrosen.

»Du bist ein Thor und kennst mich noch eben so wenig, wie alle Andern. Aber einen Dienst mußt Du mir dennoch erzeigen. Rudert hinter jenen Felsenvorsprungs und laßt uns dort aussteigen. Wir werden den Weg über das Land zu Fuß machen.«

Das Boot schoß in das Versteck. Als eine Viertelstunde darauf der Kaik vorüberfuhr, welcher den Verwundeten und seinen besorgten Freund trug, folgte das Boot des Kriegsschiffs ihm unbemerkt in einiger Entfernung die Küste entlang bis nach Dardanelli.

Hier hatten die Drei im Hause eines griechischen Kaufmanns ein Unterkommen gefunden, der mit der Familie Grivas verwandt war. Diona warf sich wehklagend auf den Bruder und benetzte ihn mit ihren Thränen. Nur schwer vermochte sie Welland durch die Versicherung zu beruhigen, daß keinerlei Gefahr vorhanden, sei.

Beide theilten sich nun in die Pflege des Bruders, doch war es Welland auffallend, daß die Griechin von Tage zu Tage schwermüthiger wurde, und in sich versunken, den Zustand des Kranken wenig beachtete. Ja, er traf sie ein Mal, als sie weinend und aufgeregt ein Papier las, das sie bei seinem Eintreten eilig verbarg.

Er wollte den Freund nicht beunruhigen, dessen Genesung, nachdem die Kugel aus dem Knochen geholt worden, langsam vorschritt, und schwieg deshalb.

Seine Briefe hatte er zum Theil nach Constantinopel vorausgeschickt. Zwei Wochen waren vergangen, als ihm plötzlich von dort ein Fremder, der mit dem Dampfschiff gekommen, ein Schreiben brachte. Es enthielt nur wenige Worte, aber mit dem geheimnißvollen Zeichen, dessen Unterthan er war.

Der Brief befahl ihm, mit dem ersten abgehenden Dampfschiff in Constantinopel einzutreffen und machte ihm Vorwürfe [237] wegen seiner Versäumniß. Welland empfand selbst, daß das längere Verweilen in Dardanelli zwecklos war, und nachdem er sich mit dem Freunde besprochen, für diesen den Schutz des französischen Consuls und des Capitains der Veloce gewonnen, schied er von den Geschwistern. Sobald Gregor ganz hergestellt war, wollte er ihm nach Constantinopel folgen. –

Drei Tage darauf war Diona spurlos verschwunden. Caraiskakis, noch an das Lager gefesselt, bot vergeblich alles Mögliche auf, sie zu entdecken. Selbst das Einschreiten der französischen Offiziere hatte keinen Erfolg, denn Capitain Warburne wies nach, daß sein Gast bereits lange vor des Doctors Abreise sein Schiff verlassen hatte.

Die Ungeduld, der bittere Aerger verschlimmerten auf's Neue den Zustand Gregor's und banden ihn an's Krankenlager, so daß er nicht einmal dem Freunde Nachricht zu geben vermochte.

Fußnoten

1 Auf den meisten Karten falsch oder gar nicht eingezeichnet.

2 Midshipman's.

3 Wir wählen für das Schiff absichtlich einen falschen Namen.

D.V .

Guckkastenbilder
1. Berlin
I. Berlin.

Die Madrilena rauschte; Sie warf das süße entzückende Bein dem Publikum entgegen, das in Logen und Parket, auf Gallerie und im Proscenium in einen gelinden Wahnsinn gerieth, sich im »Brava« heiser schrie und sich die Hände wund klatschte. Blumen flogen in Masse rechts und links aus den Theaterlogen, obschon eine arge kritische Zunge die unhöfliche Bemerkung machte, daß dieselben Kränze und Bouquets schon nach dem El Ole figurirt hätten. Das war jedoch pure Verleumdung, denn der Berliner Rentier und Banquier ist vollkommen im Stande, wo es auf seine Liebhabereien und seinen Enthusiasmus ankommt, es sich auch Etwas kosten zu lassen.

Die Kammerfrau sprang zu, den weichen warmen Hermelin um die Schultern der Tänzerin zu hängen.

»Die Blumen! die Blumen?« sagte diese hastig; »rechts das Bouquet!« Dann floh sie in ihre Garderobe.

Bald darauf erschien die Duegna mit den Blumen. Die Senjora, ehe sie noch sich des Costüms entledigte, siel sogleich über dieselben her und riß die zierlichen Bouquets auseinander, daß die Blüthen umher flogen.

»Wieder Täuschung!« sagte sie, ärgerlich mit dem Fuße stampfend; »ich sah ihn doch in der Prosceniumsloge und bemerkte ausdrücklich, wie er mir das Bouquet warf. O, diese Männer!«

»Es war unvorsichtig von Dir, Kind, daß Du die zweihundert Thaler beim Juwelier darauf zahltest. Ich warnte Dich gleich.«

[239] »Bah! das verstehst Du nicht. Diese Männer in ihrem kalten eisigen Lande sind bloße Zahlen, sie rechnen in der Liebe; es ist nicht wie bei uns, wo der Caballero sein Letztes opfert für das Vergnügen seiner Geliebten. Fünfhundert Thaler wären ihm gewiß zu viel gewesen, so zahlte ich dem Juwelier zweihundert im Voraus.«

»Es ist aber nun bereits zwei Tage, daß er den Schmuck gekauft hat.«

»Und seitdem ließ er sich nicht sehen. – Höre, ich muß wissen, wer die Dame ist, die mit ihm in der Loge war. Sie hatte den Schirm vorgezogen, so daß ich sie nicht genau erkennen konnte. Geh' auf die Bühne und frage, Sennor Asher kennt ja alle Welt. Ich werde mich allein entkleiden.«

Die Dienerin, von der Ungeduldigen fortgetrieben, verschwand. Ehe der neue Akt begann, kehrte sie zurück; das schlaue Gesicht verrieth eine eigenthümliche Verlegenheit.

»Nun! bringst Du Nachricht?«

»Es ist seine Frau, Senjora!«

»Diantre! – Dann konnte er nicht. Was hast Du noch? ich sehe Dir's an; sprich!«

»War der Schmuck nicht von Smaragden? Ohrgehänge in Glockenform und eine Breche in Perlen?«

»Ja, ja; was soll's? Du sahst ihn ja!«

»Dann, mein Kind, trägt die Dame selbst den Schmuck.«

Die Tänzerin fuhr empor, als hätte sie eine Natter gestochen. Sie warf den langen Mantel über das noch nicht befestigte Kleid und sprang aus der Garderobe. Der Inspicient hatte bereits das Zeichen zur Räumung der Bühne gegeben.

»Monsieur Asher!«

Der Regisseur mit seiner bekannten Coulanz gegen die Damenwelt flog herbei.

»Einen Augenblicken, ich bitten Sie.« Sie war schon vorn am Vorhang und schaute eine Minute lang durch das Guckloch nach der Prosceniumsloge rechts. »Es seind gut. Lassen Sie vorfahren, ich will nach Hause.«

Hinter ihr rauschte der Vorhang in die Höhe und eine der leichten jovialen Fadaisen, durch welche die Friedrich-Wilhelmsstädtische Bühne seit der Reaction ihren glänzenden Ruf gemacht hat, begann. Das launische Publikum, das eben noch dem Aufgebot [240] alles Anmuthigen im Sinnenreiz enthusiastisch gehuldigt, jubelte jetzt schon eben so laut der unübertrefflich trocknen und doch so gemüthlichen Komik seines Lieblings Weirauch zu, der zuerst verstanden hat, der Schärfe des Berliner Witzes ein doch lokales Gewand von Humor umzuhangen.

»Sennora haben heute wieder ausgezeichnete Triumphe gefeiert; es war ein kostbarer Abend.«

»Vous vous trompez, Monsieur! non précieux, mais dispendieux. – Bon soir!«

Der Wagen rollte davon. –

Im Hotel Unter den Linden sprangen die wohlgeschulten Kellner mit den Armleuchtern voran die Treppe hinauf zu den drei eleganten Pieçen, welche die Senjora bewohnte.

»Befehlen die gnädige Frau zu soupiren?«

»Nein! – Thee!«

»Ein Herr wartet schon seit längerer Zeit auf die gnädige Frau und bittet um Erlaubniß, noch seine Aufwartung machen zu dürfen.«

»Ich empfange Niemand, wenn ich getanzt. Morgen.«

»Dann soll ich die Ehre haben, der gnädigen Frau dies Billet zu übergeben.«

In ihrem Boudoir warf die Tänzerin erschöpft Mantel und Capuchon von sich und setzte sich auf das Sopha.

»Willst Du den Brief nicht wenigstens öffnen?«

»Gieb! eine gewöhnliche Karte; diese Herren glauben, es bedürfe nur ihres Namens, der so steif und unbeholfen klingt, daß man ihn nicht aussprechen kann.«

Sie hatte das Couvert dabei erbrochen, – es lag allerdings nur eine einfache Karte darin, aber ein Blick darauf hatte sie schnell aufmerksam gemacht und sie zog den silbernen Leuchter herbei, um genauer darauf zu sehen.

»Vraiment! Da hätte ich bald eine Dummheit begangen! Geschwind, Ines, schelle!«

Der Kellner erschien.

»Ist der Herr noch unten?«

»Ja wohl, gnädige Frau.«

»Ich ließe bitten, in den Salon zu treten. Bestellen Sie ein Souper zu drei Personen und serviren Sie dann zwei Couverts ...«

[241] Die Senjora warf sich mit Hilfe der Kammerfrau schnell in eine dunkle spanische Robe, ordnete einige Augenblicke das noch mit Blumen geschmückte Haar und warf die Spitzenmantille kokett um den schönen Nacken; dann trat sie in den anstoßenden Salon.

Der Herr erwartete sie bereits hier. Eine nicht große feste Gestalt, tief in den Dreißigen, von militairischer Haltung und etwas insolentem brüskem Wesen, das großes Selbstvertrauen verrieth. Ein starker, wohlgepflegter blonder Bart füllte und umgab den unteren Theil des Gesichts; in den grauen Augen blitzte eine gewisse kalte Energie und Selbstsucht. Der Fremde trug elegante Civilkleidung, im Knopfloch das schleswig-holsteinsche Kreuz.

»Herr Major von ...........?«

»Ich habe die Ehre, mich als dieser vorzustellen, Madame. Entschuldigen Sie meinen späten Besuch; doch war ich bereits zwei Mal gestern hier, ohne das Vergnügen zu haben, die Senjora antreffen zu können. Madame sind von der hiesigen kunstliebenden Welt so in Anspruch genommen, daß gewiß jeder Ihrer Augenblicke besetzt ist, und ich freute mich, im Hotel zu hören, daß Sie für heute Abend keine Einladung angenommen.«

»Ach ja, ich darf über meine Aufnahme in Berlin nicht klagen, man fetirt mich und ich habe zahlreiche Freunde gefunden.«

»Leider nur nicht in den Kreisen, in denen man es wünschte. Ihr erstes Auftreten, Madame, gab den Ausschlag. Sie haben einen großen Kreis von Verehrern, aber in einer andern Sphäre, als in welcher Diejenigen es beabsichtigten und hofften, – von denen Sie wissen.«

Die Spanierin erröthete leicht und beugte zustimmend den Kopf.

»Aber es ist nicht meine Schuld; man ist hier so prüde und ich glaubte wenigstens das Feld behaupten zu müssen, Herr Major.«

»Sie haben auch vollkommen recht gehandelt, Madame. Man hatte nur ein falsches Calcul gemacht, man kennt und würdigt Berlin zu wenig. Die norddeutsche Aristokratie, die preußische Armee sind anderer Natur, als man gehofft hat, – ich widersprach sogleich, aber man wollte den Versuch doch machen. Das preußische Offizier-Corps, die Armee insbesondere ist ein in sich abgeschlossenes Ganze, dessen einzelne Glieder keine Individualitäten bilden, den Leidenschaften und der Verführung offen. Hier ist zu sehr die Person vom Soldaten getrennt. Der junge Mann kann vielleicht Fehler und Thorheiten begehen, und es kommen deren [242] genug vor, aber dieselben werden nie auf den militärischen Geist Einfluß haben. Da kann nicht eine gewöhnliche sinnliche Verlockung Bresche machen in die Phalanx, sondern nur eine große, anregende, verführende Idee, welche Spaltung in den Gemüthern und Ansichten hervorbringt. In dieser Beziehung sind bereits die nöthigen Vorschläge gemacht.«

»Ich verstehe Sie nicht, mein Herr, – es fehlt doch nicht an Offizieren und vornehmen Herren unter meinen Verehrern.«

»Ich weiß, ich weiß! Aber das ist Nichts, – junge Elegants, die der Mode huldigen und das Extravagante lieben, aber nie Ihnen Einfluß auf ihre blinden Gesinnungen gestatten werden. Auch die nordische Aristokratie ist zu exclusiv für solche persönliche Verführungen. Der jüngere Theil gehört ohnehin größtentheils dem Militairstande, und die Aelteren, die von Bedeutung sind, haben eine Tradition und zu viel kaltes Blut, um einer Tänzerin zu Füßen zu liegen. Die Verhältnisse selbst haben Sie, Madame, auf den Boden geführt, wo allein Sie in Berlin glänzen und herrschen können, zu unserer blasirten Finanzwelt, der Eitelkeit der Börse und dem Enthusiasmus des pflastertretenden Rentiers.«

»Senjor, ich begreife nicht ...«

Der Major lachte leise.

»Sein Sie nicht böse, ich will Ihnen keineswegs Ihre Triumphe schmälern. Sie sind das Entzücken aller wichtigen Leute, die in Berlin den Ton angeben, bis hin und wieder einmal ein ernster Wellenschlag der Zeit ihre Meinung auf die gehörige Nullität reduzirt. Diese süßen Formen, diese nie geschauten Hüftenkünste verzücken eine Klasse bis in den dritten Himmel, welche in Berlin allmächtig geworden und in allen Branchen dominirt, die selbst den Pietismus von seinem Throne gedrängt hat, ich meine das vergoldete und vergesellschaftete Judenthum. Aber das gehört ohnehin zum Liberalismus und zur Opposition, so lange es keine Opfer und keine Gefahr gilt. Sind Sie nicht auch das Entzücken der Kritik, so weit es eine solche in Berlin giebt? Freilich ist das, mit wenigen isolirten Ausnahmen, die jämmerlichste Gesellschaft, die existiren kann, und jedes Anspruchs auf Beachtung baar. Aber alle diese Triumphe, Madame, so schmeichelhaft und angenehm sie auch für Sie sind, nützen unseren Zwecken Nichts und werden – so viel ich diesen Enthusiasmus veranschlagen kann – auch nur schlecht Ihre Kasse und Ihre Toilette füllen.«

[243] Die Spanierin zuckte verächtlich mit dem Munde.

»Ich habe mir allerdings Anderes von Berlin vorgestellt. Bouquets! Bouquets! Denken Sie, daß neulich ein – vornehmer Herr sich zum Souper einlud und für sein Couvert einen Fünfzig-Thalerschein zurückließ!«

Sie gedachte der Niederlage, die sie noch am Abend erlitten.

»Ich kenne die berliner Renommagen, man verschwendet hier nur mit Worten. Wenn ich Ihnen rathen darf, Madame, gehen Sie nach Wien, nach Prag, nach Pesth – da ist ein glücklicherer Boden, als die norddeutschen Residenzen. Freilich haben sich seit Achtundvierzig dort auch die Verhältnisse geändert, aber es ist noch immer reiche Empfänglichkeit da von Oben herab. So tapfer die Armee ist, so ist sie doch aus zu vielen Ingredienzien zusammengesetzt, um in den Personen nicht zugänglich zu sein. Es giebt unabhängig von ihr einen lebenslustigen Adel. Sie werden, wo Sie hier Verehrung und Huldigung fanden, dort Begeisterung und Aufopferung haben und Männer finden, die Leidenschaft genug besitzen, sich zu ruiniren. Ihr Ruf ist jetzt begründet und Ihnen vorangegangen.«

Die Tänzerin wiegte schlau das Haupt.

»Ich habe bereits meinem Agenten Auftrag gegeben, für mich in Wien und Pesth abzuschließen. In acht Tagen trete ich auf.«

»Ah schön! ich sehe, wir verstehen uns. Ich werde dafür sorgen, daß Sie in Wien Empfehlungen vorfinden, die Ihnen mehr nützen, als die hiesigen. A propos! Sie zählen doch noch hier zu Ihren Verehrern den jungen Baron H ..... und Herrn von M ....?«

»Die Herren machen mir ihren Besuch und sind alle Abend im Theater, – aber sie sind so jung ...«

»Es handelt sich nur um eine Gefälligkeit. Auch interessiren sie mich weniger, als ihre Väter und Verwandten, die, wie Sie vielleicht wissen, besondere Stellungen bei Hofe haben. Ich besitze da zwei Schützlinge, zwei arme Bedienten, die unverschuldet außer Brot gekommen sind und neue Condition in vornehmen Häusern suchen. In den Familien der gedachten Herren sollen nun zwei Dienerstellen vacant sein; Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie meine Schützlinge wie zufällig Ihren Verehrern, Jedem einen, empfehlen wollten.«

Der Major hatte seinen Wunsch mit möglichster Gleichgültigkeit [244] hingeworfen, der schlauen Tänzerin jedoch entging es nicht, daß das gerade die Pointe seines Besuches war, und um sich für die früheren kleinen Zweifel in die Macht ihrer Reize zu rächen, schaute sie ihm fest in's Gesicht und fragte:

»Ist dies ein Auftrag der unbekannten Beschützer, denen ich zu gehorchen habe, Senior?«

Der Major biß sich auf die Lippen.

»Sie haben aus dem Zeichen aus meiner Karte gesehen, daß ich nicht aus Galanterie Ihnen meinen Besuch mache, Madame; weiter wird mir dies in Ihren Augen Vollmacht geben« – er nahm aus seiner Brieftasche ein seines schwarzes Kreuz von jener Form, dir wir bereits mehrfach erwähnt haben, mit fünf Silberstiften geziert – »und ich bitte Sie daher, das, was ich Ihnen vorhin in Bezug auf Wien und Pesth sagte, als aus gleicher Quelle kommend anzusehen. In Betreff der beiden Diener werden Sie die Empfehlung so wie zufällig bei den bezeichneten Herren anbringen; Sie werden sagen, diese Leute wären dienstlos, Sie hätten im Hotel davon sprechen hören und dieselben hätten bei Ihnen in Dienst treten wollen, oder was Ihr Witz Ihnen sonst eingiebt. Morgen früh werden sich beide Diener bei Ihnen vorstellen; mit guten Attesten sind sie reichlich versehen, so daß sie Ihrer Empfehlung Ehre machen werden. Und nun, Madame, erlauben Sie mir, Ihnen das Vergnügen auszudrücken, bei dieser Gelegenheit die persönliche Bekanntschaft der gefeierten Schönheit des Tages gemacht zu haben und mich Ihnen zu empfehlen.«

»Wie, Senjor, Sie wollen schon fort? ich hoffte, Sie würden mir die Ehre erzeigen, mit mir zu soupiren.«

»Ich weiß das Glück zu schätzen, Madame, aber meine Geschäfte nehmen mich noch in Anspruch. Ich hoffe, Sie wiederzusehen; ist es nicht hier, doch später an einem anderen Ort Ihrer Triumphe. Leben Sie wohl, Senjora.«

Er empfahl sich, und während die schöne Spanierin sich nachsinnend in die Ecke ihres Sopha's kauerte, schritt er rasch die Linden entlang, unter denen noch reges fröhliches Leben herrschte, nach dem Brandenburger Thore zu. –

Nachdem der Major seinen Weg durch verschiedene Straßen und Hintergassen genommen und vielleicht dreifach gemacht hatte, wie als wolle er jeder Beobachtung entgehen, blieb er vor einer niedern Gartenmauer stehen, zog einen Schlüssel hervor und öffnete [245] die schlecht verwahrte Hinterthür. Dann schritt er durch die hohen Laubgänge und Parkanlagen bis in die Nähe des Vorderhauses, eines mächtigen stolzen Gebäudes von aristokratischem Typus, das sich vor ihm in die Nachtluft erhob. Aus dem großen Fenster des ersten Stockwerks im Seitenflügel, dem einzigen, das nach dem Garten heraussah, schimmerte durch die Gardinen ein ruhiges Licht. Nach aufmerksamem Umherlauschen und Schauen pfiff der Major leise aber scharf einige Takte und sogleich erschien der Schatten einer weiblichen Gestalt an dem offenen Fenster, die Vorhänge wurden fortgezogen und eine Dame lehnte sich heraus.

»Bist Du es, Ferdinand? Ist Alles sicher?«

»Wenn Du oben unbehindert bist, so komm.«

Einige Augenblicke darauf verschwand das Licht, aus dem Fenster rollte, die dunkle Epheubekleidung der Mauer entlang, eine kurze Strickleiter von schwarzer Seide herunter, und die Dame schwang sich kühn und mit der Sicherheit der Gewohnheit über die Fensterbrüstung und stieg auf den schwanken Schlingen herunter, wo sie der Erwartende in seinen Armen auffing und mit einem Kuß begrüßte.

»Ich glaubte schon, Du würdest nicht kommen, Ferdinand,« sagte die junge Dame, eine hohe schlanke Figur im dunklen Capuchon und in ein weites kostbares Shawltuch gehüllt; »es war so spät und ich hatte mich längst freigemacht.«

»Es ist eilf Uhr vorbei, Marie, und ich habe Dir oft schon gesagt, daß die frühe Stunde uns leicht verderblich werden kann. Ueberdies hatte ich dringende Abhaltung. Doch nun komm'.«

Er verbarg vorsichtig das Ende der Strickleiter in den Epheuranken und führte dann die Dame, die sich zärtlich an ihn schmiegte, weiter hinein in die dunklen Bosquets des Gartens bis zu einer Bank unter hohen Ulmen und Kastanien, wo er sie niedersitzen ließ.

»Wie, werden wir heute nicht zu unserm kleinen Engel gehen, Du versprachst es mir doch das letzte Mal, Ferdinand?«

»Du sollst ihn sehen, gewiß, Marie, aber ich wiederhole Dir, es ist noch zu früh, die Straßen sind noch zu belebt. Ueberdies habe ich Einiges mit Dir zu sprechen. Höre mich ruhig an, ich bitte Dich, Marie.«

Sie setzte sich dicht an ihn, Hand in Hand, den andern Arm um ihn geschlungen und blickte ihm zärtlich in das harte stolze Auge. –

[246] »Du weißt, Marie, und wir haben es hundert Mal besprochen, daß unter den jetzigen Verhältnissen keine Aussicht und Hoffnung für uns ist. Das Glück hat uns besonders wohlgewollt, daß wir vor dem Auge Deines Vaters und Bruders Deine Schwangerschaft zu verbergen vermochten, ihre häufige Abwesenheit und Dein Aufenthalt auf dem Lande halfen uns dazu Du verlangtest, daß das Kind in Deine Nähe komme, und es ist geschehen. Aber was soll weiter werden? Du weißt, daß ich nicht einmal Zutritt in Deiner stolzen Familie habe, meiner offen ausgesprochenen Ansichten und meines Bruchs mit dem Herzog wegen.«

»Hast Du nicht meine Liebe, Ferdinand? Warum auch bist Du, der doch selbst von Adel, ein solcher Gegner aller seiner Rechte und Interessen, ein Vertheidiger des Pöbels und seiner Zügellosigkeit? Mein Gott, wie kannst Du mit solchen Leuten umgehen, die auf zehn Schritt nach dem Handwerk riechen, zu dem sie geboren sind!«

Der Major schien widrig berührt.

»Laß uns nicht mehr streiten, Marie, über Dinge, über die wir uns doch nie einigen werden. Es ist leider eine traurige Wahrheit, daß die Lection von Achtundvierzig und Neunundvierzig in Berlin nur dazu genutzt hat, den Adel vorsichtiger im Aeußern, aber desto exclusiver und hochmüthiger unter sich zu machen, und im Bürgerstand die Zahl der Heuchler zu vermehren. Gehe hin und frage, welcher Dank denn den sogenannten Getreuen geworden ist, und ob sie nicht überall zurückgedrängt sind von der speculativen Geheimerathsdemotratie? – Männern wie ich kann man freilich die beiden Jahre nicht vergessen und ich will sie auch nicht vergessen haben, denn sie sind das Feld meiner und unser Aller Zukunft. Aber diese untergeordnete Lage, diese Unthätigkeit ertrage ich nicht länger. Die Wogen der Zeit brausen vom Sturm bewegt und ein kühner Pilot kann da sein Schiff an's Ziel steuern. Den Mann ohne Dienst und Ruf würden die Deinen mit Hohn zurückweisen, dem General, dem Mann von Macht und Bedeutung, wird die stolzeste Familie dieses Preußens, das vielleicht an der Schwelle seiner bittersten Demüthigung steht, Frau und Kind nicht zu verweigern wagen.«

»Was sinnst Du, Ferdinand, was beabsichtigst Du?«

»Laß das, frage mich nicht, ehe ein halbes Jahr vergeht, wirst Du wissen, was ich meine. Diesen Winter noch bleibe ich in [247] Berlin, das Frühjahr schon führt mich zu einem meiner Kraft entsprechenden Wirkungskreis. Ich wollte Dich überhaupt nur auf die Trennung vorbereiten, da sie möglicher Weise über Nacht kommen kann. Doch es ist Zeit jetzt, daß wir aufbrechen, die Straßen sind ruhig, komm'.«

Er hüllte sie sorgsam in das weite Tuch und führte sie durch das Pförtchen aus dem Garten. Durch die einsamen Wege an den Stadtmauern entlang und den Thiergarten gelangten sie in die neuen Stadttheile jenseits der Spree, nach dem Neuen und Oranienburger Thor hin. Hier in einer der Querstraßen blieben sie vor einem ansehnlichen Hause stehen, und der Major klopfte an ein Fenster des Kellergeschosses, in dem Alles dunkel und still war. Aber er klopfte lange vergeblich, Nichts rührte sich, nur ein heiserer Kinderhusten und ein stilles Weinen drang von Zeit zu Zeit hervor und erfüllte jedes Mal die Dame mit Schauern.

»Muth, Marie, Du mußt einige Augenblicke hier verweilen, das Weib in offenbar nicht zu Hause, aber ich weiß, wo sie zu finden ist. Stelle Dich hier in den Schatten des Thürvorsprungs, gleich bin ich wieder bei Dir.«

»Kann ich Dich nicht besser begleiten?«

»Nein,« sagte er hart, »das ist Nichts für Dich!«

Im Grunde war es freundlich von ihm gemeint, er wollte der Armen einen ihr Mutterherz mit den bängsten Besorgnissen erfüllenden Anblick ersparen. Er verließ sie darum rasch und ging um die nächste Ecke und rasch eine weitere Querstraße entlang, bis ihm aus dem Sousterrain eines kleinen Hauses in wüster Lärmen, untermischt mit den Tönen einer Ziehharmonika und einer kratzenden Geige, entgegenklang, welche eine beliebte Polka in überraschem Takt abspielten. Es war eine jener Kneipen, wie es in den Vorstädten, ja selbst in den innern Stadttheilen Berlins unter den zahllosen Kellerboutiken noch viele giebt, und die von der Hefe des Volkes für ihre Festlichkeiten und Orgien benutzt werden, ohne daß die Polizei dergleichen eben der Gelegenheitsursachen wegen gänzlich zu verhindern vermag.

In der Nähe fand der Major den Nachtwächter auf einer Thürschwelle sitzen und nach der Musik hinhorchen.

»Da geht's lustig her, Herr; das Volk wird Einen bis zum Morgen in Athem halten!«

»Wollt Ihr ein Trinkgeld verdienen, Mann?«

[248] »Warum das nicht, Herr, der Magistrat bezahlt ohnehin knapp und hier hat Jedermann seinen Hausschlüssel.«

»So seht nach, ob in jener Kneipe sich eine Frau Müllendorfer befindet aus der .... straße, und bittet sie, einen Augenblick heraus zu kommen. Ich weiß, sie geht häufig hierher.«

»Ach, die Engelmacherin? versteht sich, ist die drinnen. Die ist Stammgast.«

»Wie nennt Ihr sie?«

»Nun, die Engelmacherin, Herr. In's Gesicht mag ich sie freilich nicht so heißen, denn das Weibsstück hat eine gottvergessene Zunge, aber das ganze Viertel kennt sie unter dem Namen und der Himmel weiß es, ich glaube, sie verdient ihn. Die Charité da drüben liefert im Vergleich nicht so viel Leichen zum Gottesacker, als die Müllendorfer; aber die Kinderhecke bei ihr wird nicht leer.«

Der Major schauderte und winkte stillschweigend den Wächter hinunter. Dieser ging und als bald darauf der Tanz aufhörte, öffnete sich die Kellerthür und ein großes Frauenzimmer keuchte die Stufen herauf und schaute sich mit einigen lästerlichen Redensarten um, wer sie um diese Zeit wohl in ihrem Vergnügen störe.

Es war, wie erwähnt, eine Frau von großer, ziemlich robuster Statur und wohlgenährt, etwa vierzig Jahre alt. Sie war mit einem grünen Merinokleide und darüber kreuzweis gebunden einem alten gelbseidenen Shawl, bekleidet, auf dem Kopfe trug sie stark in Unordnung und schief sitzend eine Tüllhaube mit hochrothem fliegendem Bande, doch hing das Haar unordentlich darunter her, überhaupt hatte der ganze Anzug ein wüstes zerzaustes Ansehen. Dieser Charakter sprach sich auch in dem Gesicht des Weibes aus, das gemein und sinnlich vom Tanz und starken Getränken erhitzt, eine fast kupferne Farbe zeigte.

»Tausend Schwerenoth, wat is denn des für ene Jeschichte, des man nich e Mal in der Nacht sein Bisken Vergnügen haben kann,« sagte das Weib in niederm Dialekt, sich von der Stirn den Schweiß trocknend, »schreien die verfl ..... Beesters schon wieder, daß die Nachbarschaft rebellersch wird! – Na wart't, ich will sie ...«

Die ernste Stimme des Majors unterbrach ihr widriges Keifen.

»Ich wollte Sie auf einen Augenblick sprechen, Frau Müllendorfer. Es ist eine Dame bei mir, die Ihr Pflegekind zu sehen [249] wünscht, und wir haben nur spät am Abend Zeit, darum ließ ich Sie von dem Ort herausrufen, wo Sie mir selbst sagten, daß ich Sie in solchen Fällen finden würde.«

Das Weib erkannte den Redner schnell und änderte im Nu ihr Benehmen zu einer kriechenden Freundlichkeit, die um so widriger war, als sie dazwischen nicht ganz den Rausch zu verbergen vermochte, der sie bereite halb erfaßt hatte.

»Ach, der gnädige Herr,« sagte sie mit einem tiefen Knix. »Bitte recht sehr, ick stehe gleich zu Diensten. Glauben Sie ja nicht, daß ick den lieben Engel drum vernachlässigt hätte, i Gott bewahre, der liegt gut eingepackt in seiner Wiege ganz aparte von den andern. Sie wissen, gnädiger Herr, unsereins muß doch auch manchmal en Vergnügen haben, wenn man so kümmerlich sich durch die Welt schlägt, und die lange Guste, meine Nichte, hält heute Hochzeit, das S ..... hat richtig noch Eenen erwischt.«

So schwatzend, lief sie mit manchem Fehltritt neben dem Herrn her bis zu ihrer Wohnung, wo der Major die zitternde Geliebte aus ihrem Versteck holte und an seinen Arm nahm.

»Vorsicht, Marie, ich bitte Dich und halte Dein Gesicht verhüllt. Du trägst doch den Schleier unter dem Capuchon?«

Sie preßte, in Aufregung zitternd, bejahend seinen Arm.

»Gleich, gnädige Frau, gleich sollen Sie das allerliebste Krabbelchen sehen. Kommen Sie nur mich nach, ich will gleich Licht machen.«

Die Frau hatte die Hausthür aufgeschlossen und zog das Paar in den dunklen Flur, von wo ein zweiter Eingang zu ihrer Kellerwohnung hinunterging. Nach einigem Umhertappen und mehreren halbleisen, zwischen den höflichen Redensarten gemurmelten Verwünschungen gelang es ihr, Licht zu machen. Der Major und die junge Dame befanden sich in einem Keller, dessen vorderer Raum zum Grünzeug- und Gemüse-Laden diente. Fässer, Bütten und Körbe standen in wüster Unordnung umher, im Hintergrund einige zerbrochene Möbeln und ein großer Waschkorb, aus dem jenes Husten und Wimmern herkam. Die Dame wollte unwillkürlich dahin, doch das Weib trat ihr mit der angezündeten Oellampe in den Weg.

»Oh, nich dahin, gnädiges Madamken, das ist nur en armer Balg, die Mutter ist en Dienstmädken, die sich gleich wieder vermiethen mußte. Es hat en Bisken die Masern, und wenn des [250] kleene Jeschöpf druf geht, na lieber Gott, es is ooch keen so großes Unglücke. Ick kriege bloß anderthalb Dhaler für den Wurm alle Monate und da is freilich nich viel zu machen.«

»Mein Kind! mein Kind!«

»Sein Sie ganz ruhig, Gnädige, darum hab' ick eben das Wurm hier abgesperrt, daß er nur die andern nich ansticht. Kommen Sie hier herein – stoßen Sie nich!«

Sie öffnete eine Seitenthür, die zu einer niedrigen, aber ziemlich geräumigen Kellerstube führte, ganz im Geschmack dieser Klasse aufgeputzt. An der gegenüber liegenden Wand stand ein großes breites Himmelbett, in dem ein etwa eilfjähriges Mädchen schlafend lag, die Tochter der Frau. Rechts zwischen den Fenstern die Kommode mit den Gläsern und Kaffeetassen auf der aus bunten Zeugcareaus genähten Decke, an der Hinterwand der Kleiderschrank und ein großer, bequemer und weichgepolsterter Sorgenstuhl vor dem Tisch. In der Ecke hinter der Thür endlich war eine Art von Pritsche oder kurzem breitem Bett, mit alten Decken, einigen schlechten Bettstücken und dergleichen gefüllt, und hier lagen, als der Lichtschein darauf fiel, nicht weniger als fünf Kinder von dem zartesten Alter von kaum einigen Wochen an bis zu etwa drei bis vier Jahren; dürftige kleine Gesichtchen, denen das Elend und der Mangel an wahrer Pflege aus den hohlen Augen und den magern nackten Gliederchen sah, als der Schein des Lichtes, das ihre Versorgerin jetzt angezündet und auf den Tisch gestellt hatte, durch die Schatten des niedern, dumpfen und ungesunden Gemaches auf sie fiel.

Neben dem Himmelbett an der Wand stand eine Wiege von Kiefernholz, rothbraun gebeizt, deren Betten von etwas reinlicherem Ansehen waren, als das allgemeine Lager der unglücklichen Früchte leichtsinniger Stunden oder trauriger Verhältnisse. Ein Rohrgeflecht mit alter Leinwand überzogen, überspannte das Kopfende der Wiege.

Auf diese, vom mütterlichen Instinkt getrieben, stürzte die junge Dame zu und warf sich vor ihr auf die Kniee. Ein junges, etwa fünf Monate altes Kind mit einem Engelgesichtchen lag schlafend darin. Der Major war ihr gefolgt, auch das Weib mit der Lampe, deren Schein sie mit der Hand verhüllte, während sie ihn in gemeiner Neugier immer so zu wenden suchte, daß er das Gesicht der durch Kapuze und Schleier Verhüllten treffen sollte. –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[251] Wir müssen einige Augenblicke in der Erzählung inne halten, um wenige Worte dem traurigen Verhältniß im Allgemeinen zu widmen, das sie uns vorgeführt hat.

Es giebt in Berlin eine ganze Klasse von Frauen der unteren Stände, die den Namen »Haltefrauen« führen und ihren Lebensunterhalt dann finden, daß sie mit obrigkeitlicher Genehmigung verlassene Kinder vom zartesten Alter, oft von ihrer Geburt an, gegen ein Entgelt in Pflege nehmen. Diese Kinder sind entweder solche, welche die Armenpflege der Commune die Pflicht hat, unterzubringen, oder jene armen Geschöpfe, deren erstes Lächeln an die Welt mit Thränen begrüßt wird, Kinder der Ueppigkeit, der Verführung, des Augenblicks, der Schuld und der Liebe, – arme kleine Wesen, deren Dasein nach kurzem Rausch meist mit unsäglicher Angst, mit unbeschreiblichen Schmerzen und Demüthigungen erkauft wird, – arme zarte Kinder, die von der Natur den gleichen heiligen Anspruch an die Sorge und Pflege der Mutter haben, und von der bürgerlichen Gesellschaft doch mit Gewalt von der Brust dieser Mutter gerissen werden zu einem Kampf – sie, die Unmündigen, Kraftlosen – um Leben und Dasein mit der Barmherzigkeit oder vielmehr der Unbarmherzigkeit und dem Eigennutz Fremder.

Es ist unvermeidlich, – wir wollen nicht sagen natürlich, daß in einer Stadt von fast einer halben Million Einwohnern, in der namentlich Massen junger unverheiratheter und noch heirathsunfähiger Personen zusammengedrängt sind, die unehelichen Kinder sehr zahlreich sind. In Berlin die Schuld auf eines oder das andere Geschlecht zu werfen, ist sehr schwer, die Verführung ist offenbar groß, aber auch die Raffinerie von der anderen Seite war bei der früheren, jetzt geänderten Gesetzgebung ein förmliches Gewerbe. Dennoch ließ sich noch immer zur Ehre der menschlichen Gesellschaft und der allgemeinen Moralität annehmen, daß mindestens die Hälfte dieser armen unschuldigen Wesen die Frucht unbewachter wirklicher Neigung und schwacher, nicht grade verbrecherischer Stunden ist. – In vielen Fällen erlauben es, ist das Unglück geschehen, die Verhältnisse und Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft nun einmal nicht, daß die armen Kleinen die Pflege der Mütter genießen. Gehören diese den höheren Ständen, – und der Fall ist hier öfter, als die Welt erfährt, – so suchen sie eben den geschehenen Fehltritt aus alle Weise zu verbergen und das Kind von seiner [252] Geburt an außer dem Kreise ihres gewöhnlichen Lebens zu halten. Gehören sie den unteren Klassen, Nähterinnen, Dienstmädchen, die von ihrer Hände Arbeit leben, denen die Zeit das tägliche Brot ist, so sind diese schon um ihrer selbst und des Kindes willen gezwungen, dasselbe sofort in fremde Hände zu geben, um nur möglichst schnell zum Erwerb wieder zurückkehren zu können.

Wir haben bereits erwähnt, daß eine große Anzahl von Frauen sich mit der Aufnahme und Haltung dieser Kinder beschäftigt. – Auch mit der Pflege – mit der Aufziehung? –

Es giebt unstreitig unter diesen Frauen viele brave, rechtliche, die ihre Armuth redlich mit den übernommenen Pfleglingen theilen, die nach besten Kräften und Wissen ihre Pflichten lösen. Aber auch die Beste unter ihnen ist noch immer keine Mutter, und führen wir die Sache auf die Grundidee zurück, so ist diese doch immer die Speculation: jene Frauen wollen und müssen sich und ihre Familien von diesen Pfleglingen ernähren. Was diesen entzogen wird, kommt ihnen zu Gute. Haben sie – wie meist der Fall, – noch Nebenbeschäftigungen, so können sie sich unmöglich so um die Kleinen kümmern, wie deren Wohlfahrt es verlangt; ist es nicht der Fall, so leben sie eben speciell nur von ihnen, und die Vergütigungen, die für den Unterhalt gezahlt werden – 3, ja bis 11/2 Thaler monatlich, – sind spärlich genug, um schon für die Bedürfnisse des Kindes nicht hinzureichen. Kinder, für die über drei Thaler gezahlt wird, werden schon als sogenannte »fette Kinder« betrachtet und den Inhaberinnen viel beneidet.

Ueber den Trunkenen und den Kindern wacht ein Engel, daß sie zu keinem Schaden kommen! – so lautet das Sprüchwort und der Glauben des Volkes. Und in Wahrheit wachen die Engel des Herrn über der Kinderwelt mit besonderem Schutz, wie wäre es sonst möglich, daß auch nur der zehnte Theil jener Kleinen, die der sorgfältigsten elterlichen Aufmerksamkeit genießen, groß wüchse, wie viel mehr jener Armen, die von ihrer Geburt aus dem Zufall, ja der Feindseligkeit Preis gegeben sind.

Die Kinder sind die Lieblinge Gottes!

Doch die natürlichen Gesetze, nach denen Zeit und Leben geregelt sind, haben ihren unveränderten Lauf. So ist denn die Zahl der Kinder auch, die aus Mangel an Pflege und Liebe in ihrer zartesten Jugend zu Grunde gehen, nach den statistischen Uebersichten der Todesfälle sehr bedeutend, wenn freilich auch die wahre Ursache [253] nur selten zu Tage kommt. Die Behörde thut das Mögliche, strenge Instructionen schreiben den Haltefrauen vor, wie die armen Kleinen abzuwarten sind, welche und wie viel Nahrung sie zu erhalten haben. Die Aufsicht der Behörde selbst kann freilich nur eine geringe sein und hier kommt das segensreiche Wirken mildthätiger Vereine zu Hilfe, die sich aus menschenfreundlichen Frauen zu dem Zweck der Beaufsichtigung der Halte- und Pflegekinder gebildet haben.

Mit dem besten Willen, mit der größten Aufopferung jedoch können auch diese den Zweck nicht genügend erfüllen.

Auch wenn die eigenen häuslichen Pflichten die fortwährende Controlle erlauben, liegt in dieser selbst schon die Veranlassung, dagegen zu kämpfen. Wer die menschliche Natur kennt, wird wissen, daß der Niedere jede Aufsicht, die der Höhere über ihn übt, als ein Mißtrauen, als einen Eingriff in seine natürlichen Rechte, als eine Feindseligkeit betrachtet, geeignet, ihn zu verderben. Er wird sie erschweren, sich ihr entziehen auf jede mögliche Weise und geht dies nicht, sie täuschen. Wir brauchen die Nutzanwendung nicht zu machen.

Trotz aller Vorsicht der Obrigkeit, trotz aller privaten Wohlthätigkeit und Menschenliebe, sind bei den gegenwärtigen Einrichtungen in Betreff der Aufziehung verlassener und hilfsbedürftiger Säuglinge und Kinder Scheußlichkeiten in Menge vorgekommen und kommen noch vor, die das Blut im Herzen erstarren machen!

Es ist bekannt in ganz Berlin, daß es unter den Frauen, die aus der Aufnahme dieser Kinder ein Gewerbe machen, viele gab, die den Namen »Engelmacherin« allgemein führten, weil – die Kinder, die ihnen übergeben wurden, nach kurzer Zeit zu Engeln wurden, das heißt starben. Man konnte mit positiver Gewißheit darauf rechnen, daß binnen kurzer Zeit die Kleinen todt waren. Diese Weiber hatten förmlichen Ruf da, wo man sich eines unglücklichen Kindes entledigen wollte.

Sollen wir zur Schmach der menschlichen Gesellschaft glauben, daß es wirklich Eltern gab, welche auf diesen Ruf speculirten? – – –

Wir wollen einen Schleier darüber ziehen, und dennoch klingen uns Reden in den Ohren, die – –

Wahr aber ist, daß solche Weiber jahrelang ungestört ihr schändliches Handwerk betrieben, daß sie sich – mit dem offenkundigen [254] Ruf – jedem offiziellen Verdachte, jeder Untersuchung und Bestrafung zu entziehen wußten. Wer bringt Dergleichen zur Anzeige, wer beschwert sich über den Hungertod eines armen namenlosen Kindes? – Die Eltern, denen es eine Last, die es zu der Engelmacherin brachten?

Aerzte und Sachverständige haben uns schaurige Fälle in die ser Beziehung mitgetheilt. – Eine einzige dieser grauen machte in nicht vollen neun Monaten »sieben Engel.«

In neuester Zeit ist die Sache vielfach von den Aerzten wieder angeregt worden, ihr Einschreiten, ihre Denunciationen haben die Theilnahme auf's Neue darauf hingewandt und gezeigt, daß eben noch immer Entsetzliches auf diesem Gebiete zu beklagen ist.

Ein Criminalprozeß, der ganz kürzlich gegen eine dieser Haltefrauen verhandelt worden, hat einen tiefen schrecklichen Einblick in die Rohheit solcher Charactere, in das furchtbare Elend und die entsetzlichen Qualen gewährt, denen mitunter die armen hilflosen Wesen ausgesetzt sind. Das Obductionsprotokoll über den Befund einer solchen ausgegrabenen Kinderleiche war wahrhaft haarsträubend. Zu den äußeren Mißhandlungen, die den zum Scelett abgemagerten Körper in ihren Spuren bedeckten, war der förmliche Hungertod, der Tod wegen Entziehung der nöthigen Nahrung und ungenügender Beschaffenheit derselben constatirt.

Welche Leiden muß das arme kleine hilflose Wesen ausgestanden haben? Wie viele mögen ihm vorangegangen sein?

Die Kindesmörderin, welche die unglückliche That im Wahnsinn der Erregung, der Angst, im unzurechnungsfähigen Augenblick vollbracht, muß sie büßen mit langjähriger schwerer Zuchthausstrafe.

Für den überlegten langsamen Mord der Engelmacherinnen hat das Gesetz nur verhältnismäßig eine sehr geringe Strafe.

Wir schreiben diese Betrachtung in einer Zeit, wo die Theurung überhand genommen, wo die Preise fast aller Lebensmittel sich verdoppelt haben. Die Pflegegelder sind dieselben niedern geblieben – muß da nicht selbst bei redlichem Willen die eigene Noth den Pfleglingen das Nöthigste beschneiden? Wie viel mehr wird es von den Herzlosen geschehen, die kein Gewissen haben für die, deren einzige Klage nur das dumpfe Wimmern des Elends, des Hungers ist!

Wäre es nicht möglich, diese armen, von ihrer Geburt verstoßenen [255] hilflosen Geschöpfe zu schützen, ihre Mütter in eine Lage zu bringen, in der sie den begangenen Fehltritt leichter verbergen, in der sie die Existenz ihres Kindes sichern können?

Die Säuglingskrippen thun unendlich viel Gutes und sind schützende Engel für viele Kinder. Aber sie schlitzen eben nur das eheliche Kind des Armen vor den Gefahren, denen es die Verhältnisse der Familie aussetzen.

Wir meinen das: Findelhaus!

Warum scheut man sich in Berlin so vor diesem Wort und vor dieser offenbar menschenfreundlichen Einrichtung?

Wir haben gehört, daß bedeutende Summen und Vermächtnisse für die Gründung einer solchen Einrichtung seit vielen Jahren vorhanden sind, daß aber deren Ausführung an einer gegengefaßten Meinung noch immer gescheitert ist. Man glaubt in der Gründung des Findelhauses eine Beförderung der Unmoralität zu sehen, die einer christlichen Regierung nicht geziemt.

Es ist dies ein tiefer und hoher Grund, und wir verkennen keineswegs seine religiöse Bedeutung, wie seine materielle Wahrheit.

Die Leichtigkeit, sich der Last des Kindes zu entledigen, wird Viele dazu führen, sich der heiligen Pflicht zu entziehen.

Aber ist bei solchen Müttern das Findelhaus für die Neugebornen nicht die Rettung?

Giebt es nicht das Gewissen?

Giebt es nicht die öffentliche Meinung, die selbst in ihrer Ausartung, in der Klatschsucht, den Nächsten und seine Handlungen bewacht?

Man hat sich zu etwas weit weniger Gerechtfertigtem, weit Unmoralischerem, Unchristlicherem entschließen müssen. Man hat dem Thierischen in der menschlichen Natur die Concession gemacht, die Bordelle wieder zu eröffnen. Nach unserer Meinung sind diese in ihrer jetzigen Einrichtung nur Beförderungsmittel der Liederlichkeit und der Vergeudung und stiften keineswegs den sanitätlichen Nutzen, den man von ihnen erwartet und rühmt. Der bessere Gesundheitszustand der Hauptstadt, die Beschränkung der Syphilis ist durch die zugleich eingetretene schärfere Aufsicht der Behörde auf gewisse Zustände der bürgerlichen Gesellschaft, durch die Aufhebung der Kneipenmamsells, der zuchtlosesten Prostitution, durch die Beschränkung der vagabondirenden Liederlichkeit, keinesweges [256] durch die Bordelle herbeigeführt, über deren Verwerflichkeit wir mit den stärksten Eiferern vollkommen einverstanden sind.

Welche Aehnlichkeit aber hat das Findelhaus mit diesen Oertern der Schande, die man doch geglaubt hat, den Uebelständen einer großen Stadt schuldig zu sein?

Das Findelhaus ist eine Anstalt der Barmherzigkeit, die die Schuldlosen vor den Folgen der Schuld rettet.

Sollte man deswegen die Rettungseinrichtungen gegen Feuersgefahr nicht schaffen und vervollkommnen, Versicherungsanstalten nicht gründen, weil man fürchtet, die Leute werden nun weit weniger vorsichtig mit Feuer und Licht umgehen, indem sie wissen, daß bei einem Unglück sie doch nicht so leicht verloren sind?

Die hundert wohlthätigen und barmherzigen Anstalten der Versorgung von Kranken, Schwachen, Greisen und Armen, die Waisenhäuser und Erziehungsinstitute für die der Eltern Beraubten – sind sie etwas Anderes als Findelhäuser für die Unglücklichen und Hilfsbedürftigen?

Das Findelhaus ist die Waisenanstalt der Säuglinge!

Wir wollen die endliche Einrichtung nicht im Interesse der Mütter für ein gutes erhabenes Werk empfehlen – obschon auch hier die Schwäche der menschlichen Natur viel Berechtigung hätte, obschon gar manche Rettung damit vollbracht, gar manches Verbrechen verhindert würde; nein – wir mahnen daran im Interesse der unschuldigen hilflosen Kinder, für die keine andere noch so sorgsame Einrichtung diese Anstalt der Barmherzigkeit und des Schutzes ersetzen kann.

In Paris, Wien, London, fast in allen großen Städten bestehen längst solche Anstalten und haben sich überall als segensreich und gut bewährt. Auch Berlin zählt seit Kurzem eine ähnliche, private, und die Unterstützung der Behörden, deren sie sich zu erfreuen hat, zeigt, wie sehr man die Zweckmäßigkeit derselben anerkennt. Aber sie ist eben nur für die Fehler der Wohlhabenden und kann nicht den erhabenen Charakter tragen, den ein öffentliches Institut der Barmherzigkeit haben würde. –

Berlin besitzt gegenwärtig an der Spitze der entsprechenden Behörde einen Mann von scharfer durchdringender Einsicht für gesellschaftliche Uebelstände und einem Organisationstalent, wie uns kein zweites je bekannt geworden. Energie vereint sich in ihm [257] mit Eifer und Hingebung, und er besitzt die Macht in dem höchsten Vertrauen, das ihm geworden. Berlin und der Staat verdanken ihm bereite Einrichtungen, die seinem Wirken dauernde Anerkennung sichern werden, welche Hindernisse auch Unverstand und philiströser Schlendrian seinem Schaffen entgegenstellen. Das Gute und Zweckmäßige bricht sich noch immer seine Bahn. Sollte der hohe Beamte, den wir meinen, nicht auch seinen scharfen Blick, seine Thatkraft auf diese Einrichtung wenden wollen? Indem er die Gründung eines solchen Hauses der Barmherzigkeit gegen die seit langen Jahren ihm entgegenstehenden Hindernisse durchsetzte, würde er sich ein Denkmal schaffen, das seinem Namen hundertfachen Segen gebeugter Herzen und jener Hilflosen sichern würde, von denen Christus gesagt hat: Lasset sie zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Dame hob behutsam das schlafende Kind aus dem Bettchen und preßte es an ihre Brust.

»Sehen Sie nur, Gnädige, was der Kleine für Bäckschen hat, roth wie Aepfelchen. Ja, ja, die Kinder haben's bei der Müllerdorfern gut. Schöne Nahrung und Reinlichkeit. Ick sage Ihnen, es geht Nichts über die Reinlichkeit.«

Sie hätschelte mit widerlicher Freundlichkeit das Kind, obschon die Mutter, die sich damit auf einen Stuhl gesetzt, sich ekelnd vor dem Branntweinodem abwandte, den das Weib ausströmte. Davon erwachte das Kind, schlug die Augen auf und fing an zu schreien. Nach wenigen Minuten antworteten im Chor die andern, die unter den Lumpen des allgemeinen Bettes zusammengepackt lagen.

»Werdet Ihr still sein, Ihr Bälger! Wart', das ist der Schreihals, die Mine – das Ding ist drei Jahr und wie ein Einjähriges. Na wart', laßt mich hinkommen. – Entschuldigen Sie, Gnädige, es sind nur gewöhnlicher Leute Kinder und eene Magistrats-Waisenkrabbe. Ick werde sie aber gleich zur Ruhe bringen.«

Damit nahm sie vom Tisch eine große Saugflasche, die mit Milch gefüllt schien, und hielt sie den jüngsten Kindern vor, die begierig daran sogen und sogleich wieder in tiefen Schlaf verfielen. Weder der Major, noch die mit ihrem Kinde zärtlich beschäftigte Dame bemerkten die Stöße und Knüffe, welche die beiden größeren [258] der erwachten Kinder von dem Weibe erhielten und wie sie sich heimlich wieder in Schlaf weinten.

Die junge Mutter ging mit dem beruhigten Kleinen durch die Stube auf und nieder und legte es dann zurück in sein Bettechen. Zufällig siel ihr Auge auf die Milchflasche, und ehe es noch die Frau hindern konnte, nahm sie dieselbe in die Hand, zog den Pfropfen heraus und goß einige Tropfen aus die Hand. Ein widerwärtiger Dunst quoll ihr aus der geöffneten Flasche entgegen, wie von saurer verdorbener Milch, mit scharfem Alkohol geschwängert.

»Um Gott, Frau, was haben Sie da? was ist das für Milch? Ferdinand, ich bitte Dich!«

Der Major nahm ihr die Flasche aus der Hand und probirte einige Tropfen.

»Da ist ja Branntwein darunter, Frau!?«

»Nu freilich, een Tröpschen; was schad'ts denn? die Kinder schlafen dann desto besser. Es ist halt nur für die Nachtruh'.«

»Aber Frau, Sie werden doch einem kaum entwöhnten Säugling nicht das schändliche Getränk geben?«

»I Gott bewahre, Gnädige, das ist nur da für die gemeinen Krabben, die sonst gar nicht stille zu kriegen sind. Das Engelchen schläft ganz von selber und kriegt die allerfrischeste Milch, wie sie nur der Charlottenburger Milchmann früh bringt. Der Kleine könnt's bei Ihnen selber nicht so gut haben, wie bei mir.«

Die Verlegenheit des Weibes, das rothe Gesicht des Kindes hätten freilich bei einer erfahrenen Mutter böse Zweifel gegen die Ableugnung erweckt. Die junge Dame warf sich in die Arme des Mannes.

»Führe mich fort, Ferdinand; diese Lust, dies Alles erstickt mich. O, wie bin ich so gränzenlos unglücklich!«

Der Major gab der Frau Geld und befahl ihr auf das Strengste an, dem Kinde nur die reinste Nahrung zu reichen, und sagte, daß er alle Woche einen Arzt hierher senden werde, um sich von dem Zustande desselben zu überzeugen. Das Weib betheuerte und versprach alles Mögliche, und geleitete so das Paar durch den Hausflur zurück auf die Straße. Dam – allein – schlug sie verächtlich ein Schnippchen hinter ihnen drein, steckte dem Kinde in der Wiege wie zum Trotz die entsetzliche Flasche in den Mund, und als sie den nächtlichen Besuch weit genug entfernt glaubte, löschte sie rasch die Lampe und eilte auf's Neue zu ihrem Gelage, [259] ohne das kranke wimmernde Kind im Vorderkeller auch nur eines Gedankens zu würdigen. –

Leise weinend schritt indeß die junge Mutter neben dem Major her, der vergeblich sie zu beruhigen und zu trösten suchte.

»Du hast es selbst gewollt, Marie; das Kind war auf dem Lande gut aufgehoben bei der armen Frau, aber Du bestandest darauf, es in Deiner Nähe zu haben, um es wenigstens hin und wieder sehen zu können. Ich habe mich nach verschiedenen Haltefrauen erkundigt, aber man rühmte mir diese immer noch als eine der zuverlässigeren. Bei vielen andern waren wir auch weniger vor Entdeckung sicher. Ueberdies bürgt uns der eigene Vortheil dieser Person dafür, daß sie dem Kinde die möglichste Sorgfalt widmet; Du hörtest selbst, daß es ihr ›bestes‹ ist. An andern Orten ist es vielleicht noch schlimmer aufgehoben.«

Aller Trost nutzte Nichts; er mußte ihr versprechen, sobald als möglich für das Kind einen andern bessern Ort zu ermitteln, es wieder auf das Land zurückzubringen, indem sie lieber darauf verzichten wolle, es zu sehen. Der Major versprach Alles, nur um die Erregte zu beruhigen. So brachte er sie wieder zurück zu dem Garten und nach weiteren Verabredungen für die nächste Zusammenkunft, wozu Gelegenheit ihnen durch die obwaltenden Verhältnisse nur sehr selten gegönnt war, bis zu dem Hause.

»Und nun leb' wohl, Marie, sei stark und muthig, wir werden sicher noch alle Hindernisse besiegen; vertraue auf meine Kraft, nur mache Dich los von den Vorurtheilen, die Dich noch mit hundert Banden gefesselt halten. – Zum Henker,« unterbrach er sich, indem er mit der Hand im Epheugeländer umhersuchte, »wo steckt denn die Leiter?«

»Sie wird nicht nöthig sein,« sagte eine tiefe Stimme hinter ihnen; »ich werde die Comtesse, meine Tochter, auf einem passenderen Wege nach ihrem Zimmer geleiten.«

Das Paar fuhr wie vom Blitzstrahl getroffen auseinander. Zwischen ihnen stand ruhig und gemessen ein großer stattlicher Mann mit breiter Brust und grauen Haaren. Das Sternenlicht der Sommernacht ließ freilich die Züge nicht erkennen, aber Jedes der Beiden wußte, wen es vor sich hatte.

Der Major faßte sich alsbald, während die junge Dame halb ohnmächtig an der Wand lehnte.

»Herr Graf,« sagte er, »es ist eine peinliche Situation, in [260] der ich Ihnen in diesem Augenblick gegenüberstehen muß. Erlauben Sie, daß ich Ihnen morgen früh eine Rechtfertigung gebe, wie sie unter Männern von Ehre nöthig ist.«

»Bemühen Sie sich nicht, mein Herr – der Zufall und Schlaflosigkeit haben mich hinter die nächtlichen Promenaden dieser jungen Dame gebracht, und ich werde sie künftig zu verhindern wissen, eben so wie alle unpassenden Liebschaften. Weiter weiß ich Nichts und will Nichts wissen. Gute Nacht, mein Herr.«

»Herr Graf, ich bitte Sie – hören Sie mich an ...«

»Mein Herr, zwingen Sie mich nicht, die Bedienten durch meinen Ruf zu wecken. Mit Leuten Ihrer Art und Ihrer Gesinnung hat ein Edelmann von unbeflecktem Namen Nichts zu thun. Ich sollte meinen, zum galanten Verführer wären Sie doch schon zu alt. Es ist also die Speculation! – Dieser Garten aber und dieses leichtsinnige Mädchen sind noch mein Eigenthum, und Gott sei Dank gelten hier noch nicht die Gesetze der Herren Communisten und Weltverbesserer. – Entfernen Sie sich, ich befehle es, und lassen Sie sich nicht wieder in dieser Umgebung blicken.«

Er faßte die Comtesse hart am Arm und führte sie fort nach dem Hofraum. – Der Major schlug sich wild vor die Stirn und drohete mit der Faust nach dem Hause. Dann ging er rasch in die Büsche des Gartens.


Zur selben Zeit ungefähr, als der Fremde, den wir unter dem Titel »Major« nach der Bezeichnung auf seiner Visitenkarte eingeführt haben, die spanische Tänzerin verließ, fand eine andere für das Schicksal Europa's und den Gang unserer Darstellung bedeutsamere Unterredung statt.

In dem großen Empfangzimmer eines Hotels der sogenannten Diplomatenstraße von Berlin saß an dem Tisch ein Mann von einigen fünfzig Jahren und ziemlich kleiner, wenig auffallender Statur mit legerer, leicht gebeugter Haltung, in einem geschriebenen Memoire lesend und zuweilen mit dem Bleistift einzelne Stellen darin bezeichnend. In dem ziemlich faltenreichen, fast viereckigen Gesicht lag eine gewisse Lethargie, dabei ein Ausdruck von vieler Gutmüthigkeit, doch zuweilen flog es über die Züge, als säße [261] leiser jovialer Spott darin, wie der Schalk im Nacken. Die hohe volle Stirn verkündete den ruhigen Denker und Beobachter. Das Merkwürdigste an dem Kopf waren die Augen eben in ihrer Verborgenheit. Unter matt, fast schläfrig gehobenen Augenlidern, mit häufigem Zwinkern, gleich als könnten sie das Licht nicht vertragen, oder wären angegriffen von dem Staub der Aktenstube, verschwänden sie fast ganz hinter der Brille, als wollten sie unter dem Schutz der Gläser nur beobachten und wieder beobachten. Es lag über der ganzen Persönlichkeit eine unendliche Ruhe, ein Zusehen, ein Abwarten, eine Zähigkeit, die einen vollendeten, in sich abgeschlossenen Charakter bildeten.

In der That entsprach das bedeutsame öffentliche Leben und in Preußens Geschichte so wichtige Wirken des Mannes ganz seiner Persönlichkeit. Es war der Fabius cunctator der modernen Politik und Diplomatie, jener Staatsmann, dessen merkwürdigen zähen Eigenschaften und unverwüstlicher Ruhe unterm Schutz seines erhabenen Monarchen Preußen seit fünf Jahren die glückliche Leitung seines Staatsschiffes durch eine Unzahl von Klippen und Brandungen und die schwierigsten innern und äußern Situationen verdankt. Nicht mit jener eisernen Consequenz erhabener Charactere, aber mit einer Zähigkeit und Ausdauer, die zuletzt immer ihren Weg macht, wenn sie auch im Augenblick biegsam und nachgebend erscheint, verfolgte seine Politik ihr Ziel. Von allen Parteien angefeindet, von Oben und Unten angegriffen, zahllose Anfeindungen und wenn nicht Niederlagen, so doch Triumphe seiner Gegner erleidend, ist er der Erste, welcher sie anerkennt und seinen Rückzug nimmt, und dennoch hat er am Schluß noch immer seine Zwecke erreicht, seine Feinde und Freunde aus dem Felde gedrängt und seine – wir wollen nicht sagen »Macht« – aber seine Nützlichkeit und Unentbehrlichkeit befestigt. Wenn auch nicht ohne Vorurtheile, so doch ohne Leidenschaften ist er unbedingt der glücklichste und an Erfolgen reichste Diplomat seiner Feit, und wäre wahrscheinlich ihr größter Staatsmann, wenn er zu seinen Eigenschaften noch das eigenthümliche Talent großer Männer zählte: raschen und glücklichen Scharfblick in Beurtheilung und Wahl der Personen und deshalb stets gut bedient zu sein.

Der im Vorzimmer Wache haltende alte Kanzleidiener öffnete jetzt die Thür und meldete leise einen Besuch. Der hohe Beamte verließ seinen Sessel, drehte vorsichtig die Lampe auf dem Tisch [262] um, so daß ihr Licht jetzt nach dem Sopha fiel, und ging dem Eintretenden bis an die Thür entgegen, die er sorgfältig hinter ihm schloß.

»Nehmen Sie Platz Herr Baron! ich habe Ihr Billet heute Mittag erhalten und Sie erwartet. Wir werden ungestört sein.«

Der Eingetretene war eine hohe schlanke Gestalt mit blassem feinem Gesicht und auffallend breitgewölbter Stirn, in der Mitte der dreißiger Jahre. Er sprach das Deutsch langsam, sein und ruhig, nur wenn die Unterhaltung lebhafter wurde oder es ihm auf eine subtile Wendung anzukommen schien, bediente er sich im Gespräch der französischen Sprache.

»Euer Excellenz sind sehr freundlich,« sagte er, indem er auf die Einladung des Wirthes auf dem Sopha Platz nahm. »Erlauben Sie, daß ich nochmals erwähne – um jeden Zweifel über den Character unserer Unterredung zu beseitigen, – daß ich dieselbe von Euer Excellenz nur als eine private und persönliche erbeten habe, um Ihre Ansichten und Ihren Rath zu hören, bevor ich morgen die Ehre habe, Ihnen offiziell die neueste von meinem Kabinet eingetroffene Note zu überreichen.«

»Unsere Unterredung soll also bloß eine rein private, bedeutungslose sein, von der ich Seiner Majestät dem Könige keinen Bericht zu erstatten brauche?«

Der Andere zögerte.

»Das nicht ganz, – Sie mißverstehen mich, Exzellenz. Ich wünsche Ihnen auch – nicht offiziell – aber unter der Hand – einige Mittheilungen und Vorschläge zu machen, deren weitere amtliche Kundgebung natürlich von Ihrem Entgegenkommen abhängen würde. Auch bin ich beauftragt, in gleicher Weise die Ansichten Ihres Gouvernements über gewisse Eventualitäten der Zukunst zu erfragen.«

Ein leises diplomatisches Lächeln glitt über das Gesicht des Kleinen.

»Da Sie unserer Unterredung weder einen offiziellen, noch rein unterhaltenden Character zugestehen wollen, Herr Baron, so müssen wir sie vielleicht eine ›offiziöse‹ nennen. Das ist ja wohl der Ausdruck, den die Neue Preußische Zeitung, Ihre Freundin, dafür erfunden hat.«

Der Baron verbeugte sich zustimmend.

[263] »Gestatten mir Euer Excellenz zunächst einen kurzen Rückblick auf die letzten diplomatischen Verhandlungen, der uns um so rascher auf den zu nehmenden Standpunkt führen wird, als Euer Excellenz gewiß bereits wissen oder vermuthet haben, daß die Note, welche ich morgen die Ehre haben werde, Ihnen zu überreichen, die Antwort des Herrn Reichskanzlers auf die alle Chancen der friedlichen Ausgleichung auf's Neue bedrohenden Amendationen des Divans zu der vereinbarten und unsererseits angenommenen Note der wiener Conferenz enthält.«

»Ich bin mit dieser Art der Verhandlung ganz einverstanden, Herr Baron, und bitte Sie, bis auf den beklagenswerthen, und auch von Seiner Majestät dem Könige tief bedauerten Schritt des Einmarsches Ihrer Armee in die Donaufürstenthümer am 3. Juli zurückzugehen. Sie kennen bereits meine Ansicht, daß dieser Schritt, zu dem sich Ihre Regierung hat hinreißen lassen, mir keineswegs durch die bestehenden Verträge gerechtfertigt scheint, und daß ich in ihm das Hinderniß aller gütlichen Ausgleichung und die nothwendige Ursache kriegerischer Verwickelungen sehe.«

»Aber, mein Gott, was wollen Sie, das geschehen soll? Eine Macht wie Rußland konnte sich doch von einem so untergeordneten lebensunfähigen Staat wie die Türkei in ihren gerechten Forderungen nicht Trotz bieten und die gemachte Androhung unausgeführt lassen? Und nun, da die Besetzung geschehen, wird der Kaiser, mein Herr, doch unmöglich seiner politischen Ehre so viel vergeben, um seine Truppen den Rückzug antreten zu lassen, ohne daß die Gewähr seiner Forderungen gesichert ist? – Die geringe Zahl der Truppen, welche den Pruth überschritten haben, bürgt Europa dafür, daß es sich nur um eine Pfandnahme, nicht um ein militairisches Vorgehen gegen die Türkei handelt.«

»Sie vergessen, Herr Baron, daß die politische Ehre eine Sache ist, die sehr vielfacher Deutung unterliegt. Vielleicht erinnern Sie sich, daß Preußen, von dem Sie jetzt die Unmöglichkeit einer solchen Anschauung verlangen, vor nicht langer Zeit in der Lage war, auf den dringenden Rath einer befreundeten Macht, – ich will es nicht anders nennen – in, seine innern deutschen Interessen betreffenden, Streitigkeiten zwei Mal einen militairischen Rückzug aus seinen avancirten Stellungen nehmen zu müssen. Ich meine Schleswig-Holstein und Cassel, und wenn ich nicht sehr irre, wurde uns hier auf der nämlichen Stelle klar gemacht, daß die [264] politische Ehre durch ein solches Rückgehen keineswegs eine Einbuße erleiden könne.«

Der Baron erröthete stark, antwortete jedoch nicht auf den Fechterstreich, den er erlitten, sondern nahm sofort die Darstellung der diplomatischen Verhandlungen auf.

»Die Pfandnahme der Donaufürstenthümer hatte in Constantinopel einen Aufstand der Kriegspartei und die kurze Aenderung des Ministeriums Reschid zur Folge, ein Beweis, wie wenig die alttürkische – im Stillen immer herrschende – Partei zu einer billigen Nachgiebigkeit geneigt ist. Die Vermittelung der Gesandten bei Seiner Hoheit dem Sultan hat zwar die sofortige Wiedereinsetzung des Großveziers und Reschid Pascha's zur Folge gehabt, indeß glaube ich, daß es den Vertretern von Frankreich und England mehr darum zu thun gewesen ist, den gesicherten Einfluß sich zu bewahren, als den Krieg zu verhindern; denn wir wissen sehr wohl, daß das Kabinet der Tuilerien bereits unterm 13. Juli das englische Gouvernement aufgefordert hat, sich über das weitere Agiren der Flotten zu verständigen, wenn die Vermittelung nicht zu Stande käme. Dahin zielt auch die Note der französischen Regierung vom 15., welche uns das Recht der Besetzung streitig macht, und der Pforte daraus dasjenige vindicirt, den beiden Mächten die Passage der Dardanellen zu gestatten. Auch das englische Kabinet antwortete in gleicher Weise unserer Circular-Depesche vom 2. Juli. Während hierauf die Gesandten der vier Großmächte in Constantinopel darüber verhandelten, den Protest der Pforte gegen unser Einrücken in die Fürstenthümer uns mundrecht zu machen, und die Pforte den von Lord Stratfort redigirten Noten-Entwurf am 23. Juli annahm, hatte am selben Tage der Minister des Auswärtigen in Wien, Graf Buol, die Repräsentanten Preußens, Englands und Frankreichs bei sich vereinigt, um in Wien selbst einen Ausgleichungsvorschlag zu vereinbaren, dem die frühere französische Note zur Grundlage diente.«

»Es war ein unglückliches Zusammentreffen, daß beide Vorschläge gleichzeitig concurrirten.«

»So sehe auch ich es an, Excellenz. Graf Buol fügte der französischen Note zwei Verbesserungen bei, deren eine die Erklärung der Pforte enthält, den Vertrag von Kainardji treu beobachten zu wollen. Der englische Gesandte setzte hierbei die unnütze Aenderung durch, daß dem ganz klar lautenden Vertrage von [265] Kainardji von uns nicht eine beliebige Auslegung gegeben werden dürfe.«

»Ich weiß nicht, Herr Baron, ob diese Einschaltung so unnöthig war,« unterbrach ihn der Minister; »wenigstens hat die Folge gezeigt, daß gerade die Auslegung den streitigen Punkt abgab. Jedenfalls war das preußische Gouvernement ganz mit dem Vorschlage des Herrn Grafen Buol einverstanden, den unterdeß von Constantinopel eingegangenen Noten-Entwurf zurückzubehalten und den der wiener Konferenz zur Annahme zu empfehlen.«

»Die Feststellung desselben erfolgte am 31.; Oberst von Ruff ging mit einem eigenhändigen Schreiben Seiner Majestät des Kaisers Franz Joseph nach Constantinopel, um dem Sultan die Annahme des Vermittelungsvorschlages auf das Dringendste zu empfehlen, und die Regierungen von England, Frankreich und Preußen – wir wollen vorläufig an die Aufrichtigkeit der beiden ersten glauben – instruirten ihre Gesandten bei beiden Kabineten, alle Bemühungen darauf zu richten, daß die Note acceptirt werde.«

»Graf Nesselrode benachrichtigte bereits am 3. August unsern Gesandten in Wien, daß Seine Majestät der Kaiser die wiener Note angenommen habe, und die Depesche vom 6. brachte die ausführliche Erklärung über diese Annahme unter der Voraussetzung, daß die Pforte sie auch unverändert acceptire. Wenn nicht, konnte sich Rußland, das sich der Annahme nur zur Beschwichtigung der Besorgnisse Europa's unterworfen hatte, nicht weiter für gebunden halten. Sie werden mir zugestehen, Exzellenz, daß hier die Sachlage und die Verpflichtung ganz einfach und klar ist. Die vier Großmächte stellen – unabhängig von den streitenden Parteien – die für den Frieden Europa's und die Lösung des Zwistes von ihnen nothwendig gehaltenen Punkte eines Abkommens fest. Rußland acceptirt dieselben ohne Abänderung und fügt sich dadurch dem Beschluß seiner bisherigen Verbündeten. Diesen fällt hierdurch die ganz natürliche Verpflichtung anheim, auch nach der andern Seite hin die Unveränderlichkeit ihres eigenen Werkes zu vertreten.«

»Das ist richtig, Herr Baron; es ist nur zu bedauern, daß während der Verhandlungen Rußland die Pforte auf's Neue durch Maßregeln reizte, die man höchstens in einem feindlichen eroberten Lande anwendet. Ich meine den Befehl Ihres Oberkommandirenden in den Fürstenthümern an die Hospodaren, die Verbindung [266] mit Constantinopel und ihrem rechtmäßigen Souverain abzubrechen und den Tribut zurückzubehalten.«

»Ich glaube, daß dies Zwischenfälle sind, die auf die allgemeine politische Rechtsfrage keinen Einfluß haben. – Am 11. August traf die Nachricht in Constantinopel ein, daß Rußland die Wiener Note angenommen habe. Hier, Excellenz, – ich rede nicht von Preußen – scheint mir die Aufrichtigkeit der vermittelnden Mächte ihr Ende zu haben.«

»Ich verstehe Sie nicht, Herr Baron. Nach dem Bericht unseres Gesandten in Constantinopel hat Lord Stratford am 13. eine Conferenz mit Reschid Pascha gehabt, in welcher er dringend von diesem verlangte, den Vorschlag der vier Mächte sich zu eigen zu machen, obschon derselbe erklärte, es seien mehrere bedenkliche Punkte darin, die sich der Annahme entgegen stellen würden. Am 14. wurde der Vorschlag vor den türkischen Ministerrath gebracht und verworfen, selbst wenn er amendirt würde. Lord Stratford, die nochmalige Ablehnung zu vermeiden, sandte bei dem auf's Neue am 15. gehaltenen Ministerrath einen Vorschlag an Reschid, die Pforte solle die Note annehmen, indem sie sich reservire, zu ihren Gunsten die bedenklichen Stellen auszulegen und ihre Interpretation der Beistimmung der vier Mächte unterbreite, die so den Sinn der wiener Note sicherstellen würden. Der Vorschlag wurde nach vieler Mühe angenommen.«

»Aber diese Amendationen geben dem ganzen wiener Entwurf eine neue Fassung.«

»Das ich nicht wüßte, Herr Baron. Die Bedenken der Pforte gründen sich auf drei Punkte. Zunächst soll der Passus über die thätige Sorgfalt des Kaisers von Rußland für die griechischen Christen in der Türkei zu der Auslegung Raum geben, als ob die Sultane nur in Folge dieser thätigen Sorgfalt der griechischen Kirche Rechte und Freiheiten gegeben hätten, und damit Rußland einen Vorwand zur weiteren Einmischung bieten. Danach glaubt die Pforte, daß der Passus über den Vertrag von Kutschuk-Kainardji die Fragen in Betreff der religiösen Privilegien in einer Weise hineinmenge, die durch jenen Vertrag gar nicht erfordert werde und die Souverainetät der Pforte bedrohe. – Endlich verlangt die Pforte, daß in dem Passus über die Gleichstellung der griechischen Kirche mit den anderen Riten ausdrücklich ausgesprochen werde: daß dies insoweit gemeint sei, als ihre Unterthanen zu diesen [267] anderen Riten gehören. Mir scheint, Herr Baron, daß namentlich die beiden letzten Verlaugen ganz gerechtfertigt sind.«

»Aber das ändert die ganze Lage und Deutung unserer Forderung. Wir wollen nicht die Gleichstellung der griechischen Christen mit dem Zustande anderer christlicher Secten, die Unterthanen des Sultans sind, was längst gesichert ist, sondern mit den christlichen Culten unter fremdem Schutz, mit den christlichen Unterthanen fremder Mächte in der Türkei.«

»Zu viel auf ein Mal zu erlangen, Herr Baron, möchte zunächst eine gefährliche Sache sein. Mir scheint, daß eine solche Auslegung die griechisch-christlichen Unterthanen des Sultans zunächst unter ein Protektorat Seiner Majestät des Kaisers von Rußland dringen würde, das sie in facto aufhören läßt, Unterthanen der Pforte zu sein.«

Der Andere schwieg, er fühlte, daß er sich eine voreilige Blöße gegeben hatte.

»Ueberdies,« fuhr sein Gegner fort, »sind die Verhältnisse der christlichen Confessionen leider auch in anderen – in christlichen – Staaten noch immer nicht so geregelt und befreit, daß man ganz berechtigt erscheint, einem nichtchristlichen Souverain aus den obwaltenden Verhältnissen einen Vorwurf zu machen. Ich beklage gewiß tief die Leiden der Christen in der Türkei, aber ich weiß nicht, ob sie ärger sind, als z.B. die Verfolgungen der Katholiken und Protestanten, welche man noch in der neuesten Zeit christlichen Staaten zum Vorwurf gemacht hat, ohne daß eine Rechtfertigung erfolgt ist.«

Der Diplomat biß sich auf die Lippen.

»Euer Excellenz scheinen gegen die Redlichkeit unserer Absichten eingenommen,« sagte er nach kurzer Pause. »Was ich vorhin von den Rechten der griechisch-christlichen Unterthanen der Pforte äußerte, ist natürlich nur das wünschenswerthe Ziel einer Emancipation der orientalischen Christenheit überhaupt, welche zu erreichen doch wohl die Schlußaufgabe aller civilisirten Staaten ist.«

»Sie irren, Herr Baron, wenn Sie mir das geringste Vorurtheil in dieser Beziehung zuschreiben. Ich habe allerdings unter'm 28. vorigen Monats unseren Gesandten in Petersburg dahin instruirt, auf alle Weise bei Ihrem Kabinet die türkischen Vorschläge zu befürworten, aber nur weil ich darin durchaus keine Beeinträchtigung Rußlands sehen kann.«

[268] »Aber selbst Graf Buol hat offen diese Aenderungen der Pforte bedauert, da sie unnütz und mehr Wortveränderungen sind. Ich muß Euer Excellenz darauf aufmerksam machen, daß diese neuen Hindernisse weniger von der Pforte ausgegangen, als von den beiden Vertretern Frankreichs und Englands im Stillen angeregt und in den Weg geworfen worden sind. Wir sind auf das Beste unterrichtet und wissen, daß Master Alison, der erste Secretair der englischen Gesandtschaft, während dieser ganzen Verhandlungen in dem Hotel der Pforte sein Büreau aufgeschlagen hatte und dem Divan die Antworten und Ausflüchte ausarbeitete.«

»Das weiß ich nicht,« sagte der Minister trocken, »meine geheime Polizei erstreckt sich nicht bis Constantinopel.«

»Der Beweis dafür ist die doppelseitige Stellung, die England und Frankreich sofort angenommen haben. Letzteres drang bereits darauf, daß wenn unsere Armee nicht bis zum 1. October über den Pruth zurückgezogen sei, – unter den schwebenden Verhandlungen eine Sache der Unmöglichkeit! – die Flotten die Dardanellen passiren sollten, während öffentlich beide Kabinete ihren Gesandten in Constantinopel schreiben, daß sie die Erwiderung der Pforte nur mit größter Mißbilligung hätten aufnehmen können und Alles aufzubieten sei, daß die einfache Annahme der Note erfolge. Auf der anderen Seite verlangt man in Petersburg die Annahme der Abänderungen. Dies ist kein redliches Verfahren und kann nur neue Verwickelungen herbeiführen.«

»So weit ich übersehe, Herr Baron, sind wir jetzt auf dem Punkt angelangt, in dem sich die Verhandlungen befinden und auf dem ich Ihre neueren Eröffnungen erwarten darf.«

»So ist es. Ich mag Euer Excellenz nicht verhehlen, daß der Kaiser, mein Herr, keineswegs gewillt ist, auch nur einen Schritt über die Position hinauszugehen, die er durch wahrhaft erhabene Nachgiebigkeit in der Annahme der wiener Note eingenommen. Jede weitere Concession wäre eine Schwäche. Die an Baron Meyendorf in Wien gerichtete Depesche vom 7. September, die ich morgen die Ehre haben werde, Euer Excellenz in Abschrift zu überreichen, erklärt ganz bestimmt, daß Rußland es mit seiner Würde unvereinbar halten müsse, nachdem es ohne Veränderung und Zusätze den Vorschlag der vier Mächte acceptirt, nunmehr den Forderungen der Pforte sich fügen zu sollen. Das Kabinet von St. Petersburg verharrt übrigens bei seiner früheren Zusage, daß [269] wenn ein türkischer Gesandter die unveränderte Note überbringt, die Donaufürstenthümer alsbald geräumt werden sollen.«

»Ich fürchtete das.«

»Die Interpretation meiner Regierung ist, wie ich wiederhole, folgende. Die wiener Note ist nicht Rußlands Werk, sondern das Werk der vier Mächte England, Frankreich, Preußen und Oesterreich. An ihnen ist es nicht allein, in Constantinopel ihrem Werke, das sie mit der Unabhängigkeit und Souverainetät der Pforte vereinbar gefunden, Achtung, oder besser gesagt, Gehorsam zu verschaffen, sondern auch Sache jeder einzelnen Macht ist es, die Mitcontrahenten zur Erfüllung dieses Vertrages anzuhalten und sich im Weigerungsfall auf die Seite Rußland's zu stellen.«

»Ich muß gestehen, Herr Baron, daß bis hierhin Ihre Regierung in vollem Recht ist und ich zweifle nicht, daß in Folge der Antwort Seiner Majestät des Kaisers mein königlicher Gebieter mir ganz bestimmte Erklärungen in Constantinopel, Paris und London befehlen wird.«

»So dürfen wir nöthigenfalls auf ein Defensiv-Bündniß mit Preußen und Oesterreich rechnen und die weiteren Einleitungen dazu treffen?«

»Einen Augenblick, Herr Baron. Ist die kaiserliche Ablehnung der türkischen Amendationen Alles, was Sie mir morgen zu übergeben haben?«

Der Diplomat stutzte.

»Zu dienen, Excellenz; wie meinen Sie das?«

Der Minister legte schwer und ernst seine Hand auf das Memoire, in dem er vorher gelesen, und das noch umgekehrt auf dem Tische lag.

»Es ist mir da von unbekannter Hand ein Schriftstück zugegangen, das die Abschrift einer zweiten Depesche vom 7. September an Herrn von Meyendorf enthalten soll, in welcher Graf Nesselrode diesem eine genaue Kritik der Amendationen der Pforte und die Auslegung des russischen Kabinets zu jedem streitigen Passus giebt. Ich weiß nicht, Herr Baron, ob das Aktenstück echt und ob es Ihnen bekannt ist?« Er reichte ihm das Memoire 1.

[270] Das blasse Gesicht des Russen wurde womöglich noch durchsichtiger, er sprang, wie von einem elektrischen Funken getroffen, empor.

»Ein Verräther unter meinen Secretairen?«

Der Minister lud ihn mit einer vornehmen Handbewegung ein, sich wieder niederzulassen.

»Ich achte zu sehr die Rechte der fremden Gesandtschaften, mein Herr, um mich auf eine unpassende Weise in ihre Geheimnisse zu drängen. Diese Papiere sind mir vor zwei Stunden anonym zugegangen und ich stelle sie Ihnen zur Disposition, um zu beurtheilen, ob sie von einem Ihrer Untergebenen herrühren können, was ich jedoch bezweifle, da in letzterer Zeit mir mehrfach Winke und Mittheilungen von derselben Handschrift von ganz andern Orten aus zugekommen sind.«

»Ich kann,« fuhr er nach kurzer Pause fort, während welcher sein Besuch die äußere Ruhe wieder gewonnen hatte und in dem Manuscript blätterte, »von diesem, jedes officiellen Characters entbehrenden Schriftstück natürlich auch keine amtliche Notiz nehmen und es auch nicht Seiner Majestät dem König vorlegen, um auf die Allerhöchsten Entschließungen einzuwirken. Privatim aber gestehe ich Ihnen, Herr Baron, daß ich es allerdings für ächt, und sein Bekanntwerden ganz für geeignet halte, die bereits zweifelhafte Haltung der Kabinete von London und Paris in eine offene Lossagung von den wiener Beschlüssen zu verwandeln, wenigstens – ich will offen mit Ihnen übereinstimmen – die Gelegenheit dazu zu geben.«

»Und Preußen? – Wir sind der österreichischen Zustimmung sicher auch nach der Ueberreichung dieser zweiten Note.«

Wieder überflog ein leichter Zug von Spott das Gesicht des Kleineren.

»Dann gratulire ich Ihnen. – Preußen, Herr Baron, wird so lange ich die Ehre habe, an der Spitze seiner Verwaltung zu stehen, und so lange Seine Majestät der König mich würdigt, meinen Rath entgegen zu nehmen, – sich und Deutschland von einer thatsächlichen Betheiligung an der orientalischen Verwickelung und dem – ich glaube kaum noch zu vermeidenden – Kriege frei halten und nur eine zurathende, vermittelnde und abwartende Stellung einnehmen. Es ist mein festes Bestreben, uns durch kein temporäres Bündniß in dieser Frage nach irgend einer Seite hin zu verpflichten.«

[271] »Da wir auf diesen Punkt der Offenheit gekommen sind, Excellenz, so erlauben Sie, daß ich unverhohlen meine Meinung über die Zukunft sage. Es liegt in den ganzen Ereignissen ein gewisser geheimnißvoller Faden, dessen Ursprung und Lauf ich nicht durchschauen kann, der aber offenbar consequent alle Vermittelungen und Ausgleichungen hindert und beide Theile immer weiter treibt. Daß die Absichten von England und Frankreich ganz wo anders hin zielen, als auf einen Schutz der Türkei gegen etwaige Uebergriffe unsererseits, ist wohl ganz Europa klar. Ich bin überzeugt, daß über kurz oder lang die beiden neuen Beschützer der Türkei um der öffentlichen Meinung willen von ihr ganz andere Concessionen für die christlichen Unterthanen und die Civilisation werden erzwingen müssen, als Rußland jetzt verlangt. Daß die Türkei einer vollständigen Reorganisation bedarf, um im europäischen Staatenbund fortbestehen zu können, ist von allen Seiten anerkannt. Man sucht uns nur das natürliche Recht der Avance streitig zu machen. Der sich vorbereitende Zusammenstoß ist ein Kampf des Westens gegen den Osten, wie er bereits mit einigen Variationen unter dem ersten Napoleon sich ereignet hat, und um so mehr dürfte es die Aufgabe der alten heiligen Alliance sein, fest auf der alten Basis zusammenzuhalten. Dies ist der Wunsch und die Erwartung meines kaiserlichen Herrn.«

Der Minister schwieg nachdenkend einige Augenblicke, dann sagte er ernst und würdig:

»Die Zukunft der Reiche und der Ausgang der Kämpfe, die sich vorbereiten, liegt in der Hand des allmächtigen Gottes. Jeder Staat hat seine erhabene Aufgabe, und der König, mein Herr, erkennt die Seine aus vollem christlichem Herzen und wohlgeprüftem Sinn. Die heilige Alliance ist eine mit dem Heldenblut der Völker besiegelte und erworbene Erbschaft, die durch Preußen nicht leichtsinnig gebrochen werden soll. Die persönliche Liebe des Königs, die Sympathieen eines großen Theils der besten Männer Preußens gehört Ihrem erhabenen Monarchen. Aber das Wohl und die Blüthe Preußens, seine eigenthümliche, selbst territoriale Stellung im europäischen Staatenbund, an der zum Theil Rußland selbst die Verschuldung trägt, müssen den Gedanken jeder Betheiligung an einem Kriege uns fern sein lassen, der – gerade heraus gesagt – nur um fremde, uns nicht direct berührende Interessen geführt wird. Seine Majestät der Kaiser hat Unrecht [272] gehabt in dem Hervorruf, er wird das Recht aus seiner Seite haben in der Fortführung. Preußen und Deutschland werden ihm den besten Dienst erweisen durch eine unbedingte Neutralität.«

»Rußland würde bedeutende Vortheile für ein Offensivbündniß gewähren. Die vollständige Oeffnung seiner Gränzen ...«

»Das ist ein Recht, das Deutschland ohnehin aus dem wiener Vertrage her beanspruchen könnte, wenn sich auch vom russischen Standpunkt die Vortheile der uns schädigenden Absperrung nicht verkennen lassen. Wenn für Preußen die Oeffnung der Ostgränzen einen Krieg aufgewogen hätte, würde es denselben früher begonnen haben.«

»Wir dürfen also wenigstens auf eine bewaffnete Neutralität im Fall eines Krieges rechnen? Bedenken Euer Excellenz, daß die westlichen Gränzen nicht gesichert sein würden. Der Kaiser Napoleon ist Ihr heimlicher Gegner so gut wie der unsere, und das Rheinland ist eine sehr zugängliche Position.«

»Wir werden uns die Rheinprovinz zu schützen wissen, Herr Baron, gegen etwaige Gelüste danach. Es ist vollkommen Zeit, daß Deutschland sich von jedem äußern Einfluß, jeder äußern Bedrohung emancipirt und endlich seine Gränzen festhält gegen alle fremden Dispositionen darüber. Das ist der ernste deutsche Wille Seiner Majestät des Königs und Seines erhabenen Verbündeten des Kaisers Franz Joseph.«

»Euer Excellenz werden doch nicht an die thörichten Behauptungen der französischen Zeitungen glauben ...?«

»Ich glaube in der Politik an Wenig, Herr Baron, am wenigsten an die Zeitungen. Ich weiß, daß das Kabinet von St. Petersburg unmöglich den Tuilerieen für die Zustimmung zu den russisch-türkischen Arrangements das linke Rheinufer zugesagt haben kann, wie es England Cypern und Egypten versprochen haben soll, – denn Kaiser Nicolaus ist ein Ehrenmann und die Sache wäre nicht nur moralisch schlecht, sondern auch politisch thöricht. Ich wiederhole Ihnen, dergleichen Geschwätz kümmert mich nicht.«

Der Diplomat kniff leicht die schmalen Lippen.

»Also eine bewaffnete Neutralität, wie Oesterreich sie bereits so gut wie zugesagt hat? Es könnte leicht geschehen, ja es ist [273] wahrscheinlich, daß man die Revolution zu Hilfe ruft. In London wird bekanntlich bereits ganz offen von den Flüchtlingscomité's gegen uns propagandirt. Polen und Ungarn sind noch immer offene Heerde, darum wäre es gut, im Vereine mit Oesterreich ...«

»Oesterreich, Herr Baron, ist nicht Deutschland. Oesterreich hat seine slavischen Staaten und Italien zu wahren. Es würde ein großer Mißgriff sein, uns durch eine Demonstration in Verwickelungen zu bringen und in große Kosten zu stürzen. Was die Revolution betrifft, so sein Sie unbesorgt, wir haben Lehrgeld gegeben, und Preußen wird sie auch an seinen polnischen Gränzen nicht dulden. Im Uebrigen: Neutralität, Herr Baron, Neutralität, begnügen Sie sich damit.«

Der Diplomat erhob sich.

»In jeder Beziehung. Excellenz, auch in der Presse?«

»Auch in der Presse, so viel es in der Macht der Regierung steht. Sie wissen, der König ist für eine anständig freie Discussion in den gesetzlichen Gränzen.«

»Ich frug und bat nur darum,« sagte der Diplomat mit feinem Lächeln, indem er ein Papier aus der Brusttasche zog, »weil auch mir da eine Art von Circular zugekommen, das an verschiedene Zeitungsredactionen die Freude ausspricht, mm endlich von dem Druck russischer Suprematie erlöst zu sein, und sie auffordert, ohne weitere Rücksicht der Stimme der öffentlichen Meinung Raum zu geben.«

Diesmal war es der Minister, welcher sich auf die Lippen biß.

»Das ist offenbar eine Dummheit, die höchstens von irgend einer mißverstehenden und tactlosen Voreiligkeit herrührt. Ich werde der Sache nachfragen. Im Uebrigen wissen Sie, Herr Baron, daß bei uns die Presse selbstständig ist und wir mit Absicht ein anerkanntes Regierungsorgan vermeiden. Sie werden daher auch Ihre Vertretung in der Presse selbst suchen müssen.«

»Wir überlassen dies dem Gefühl für das Recht. Leben Sie wohl, Excellenz, und nehmen Sie meinen Dank für die freundliche Aufnahme, die Sie mir diesen Abend gewährt haben. Wem auch nicht mit Erfüllung meiner Wünsche, so doch über Vieles beruhigt, verlasse ich Sie.«

»Auf officielles Wiedersehen morgen, Herr Baron,« sagte [274] lächelnd der höfliche Wirth, »und einen freundlichen Rath noch: lassen sie nie Worte meines verstorbenen Kollegen, des Fürsten Schwarzenberg, aus dem Gedächtniß. Sie werden wissen, welche ich meine. Ich empfehle mich.«

Die Thür des Vorzimmers, bis zu welcher er seinen Besuch begleitet, schloß sich.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Fußnoten

1 Die zweite russische Depesche vom 7. September, welche eine ziemlich weit gehende Auslegung und Deutung der Stipulationen der wiener Note in Form einer Kritik der türkischen Amendationen enthält, wurde der preußischen Regierung erst später, am 20. oder 21. September, offiziell bekannt.

2. Petersburg
II. Petersburg.

In einem mittelgroßen halb gewölbten Zimmer des kaiserlichen Winterpalastes, jenes erhabenen Prachtbaues, den der Befehl eines unumschränkten Gebieters in Jahresfrist aus der Asche neu hervorzauberte, brannte hinter einem hohen Schirm eine kleine Lampe, das Gemach nothdürftig erhellend. Die Ausstattung desselben war eine ziemlich einfache. Vor den beiden großen Fenstern, die nach der Newa hinausgingen, hingen schwere grün wollene Vorhänge, eben so vor den beiden Thüren. Zwei große Arbeitstische standen, der eine mitten im Zimmer. Dieser war mit Papieren und Mappen bedeckt, ein Seitenrepositorium enthielt eben dergleichen. Der zweite Tisch zeigte auf seiner breiten Platte ein kunstvoll gearbeitetes Schreibgeräth von occidyrtem Silber, Petschafte, Briefbeschwerer von seltsamem Material und ungewöhnlichen Formen, Einzelnes offenbar von großem historischem oder Kunstwerth, dazwischen ein Lesepult mit einer einfachen Perlenstickerei und eine kleine Standuhr. Ein Thermometer und ein Doppelkalender nach alter und neuer Rechnung hingen an dem vorspringenden Pfeiler neben einigen Papptafeln mit Listen und Notizen. Zwei offene Bücherschränke rechts und links zeigten eine Auswahl von Werken in französischer, englischer, deutscher, russischer und italienischer Sprache. Der Inhalt des ersten Schrankes gehörte der militairischen Literatur an, namentlich waren es Werke über das Geniewesen. Auch befanden sich darunter die Jahrgänge der preußischen Wehrzeitung, von der die beiden neuesten Nummern offen auf dem Tische lagen. Den zweiten Schrank füllten ernste und schönwissenschaftliche Schriften und einige lexicographische Werke.

[275] Neben dem zweiten Tisch stand ein langes, niederes, eisernes Rollbett von höchst einfacher Construction. Die Unterlage bildete eine Matratze von Maroquin mit Seegras gestopft, ein eben solches Kissen den Kopfpfühl.

An den Wänden hingen einige schöne große Gemälde geistlichen Inhalts, darunter eine Madonna von Murillo, und Portraits; auch zwei kleine Bleistiftzeichnungen in einfachen Rähmchen. Neben dem schriftenbedeckten Arbeitstisch befand sich an der Wand mir große Karte des russischen Reiches, gegenüber die von Europa. Eine große Ordnung und Regelmäßigkeit herrschte in der ganzen Einrichtung des Gemachs und verlieh ihr einen gewissen militairischen Charakter.

– – – –

Auf dem Rollbett, nur von einer wollenen Decke und einem Militairmantel verhüllt, lag ein Schlafender von fast riesiger Körperform.

Die breite kolossale Brust hob und senkte sich ruhig, das Antlitz war nach aufwärts gekehrt, ein Arm unter den Kopf gelegt. Eine hohe, glänzende, eherne Stirn, in der Mitte zwischen den Augenbrauen über der langen geraden Nase in einer ernsten halb drohenden Falte zusammengezogen. Das Gesicht lang und in vollem Oval, das Kinn stark und von großer Willenskraft, fest gerundet, der regelmäßige Mund, von einem militairischen Schnurrbart überschattet, ernst geschlossen. Die ganze Figur des Schlafenden schien wie aus Granit gehauen, so fest und straff war Alles daran. Es lag etwas Soldatisches, Starres, Titanenhaftes in ihr.

Der Zeiger der kleinen Uhr auf dem Tische wies auf 5 Uhr und zugleich ließ sich das scharfe kurze Rasseln eines Weckers hören. Bei dem ersten Tone desselben öffnete der Schlafende maschinenmäßig die Augen.

Diese Augen entsprachen dem Körper, dem ehernen Antlitz. Sie waren ruhig, fest, klar, groß und von jener Eigenthümlichkeit, daß, ohne einen bestimmten Ausdruck zu haben, ihr Blick doch durchdringend, durchbohrend, niederdrückend war, wie z.B. das Auge Friedrich's des Großen von Preußen.

Die Augen waren echt kaiserlich!

Es war auch der Kaiser, der eben erwachte.

Europa hat diesem erhabenen Charakter, diesem ehernen Bilde [276] unter den lebenden Herrschern, an dessen Sterblichkeit zu glauben man sich entwöhnt hatte, – viele nur schwere Vorwürfe an der Schwelle seines Jenseits gemacht; es ist viel Haß, viel Blut und viel Leiden auf diesen Hünen gewälzt worden. Der da Oden die Waagschale hält, richtet auch über die Könige und Kaiser der Erde, wie über den Paria, den Lepero und den Muschik. Aber das Gewicht, womit die Gewaltigen der Erde gewogen werden, ist ein anderes.

Wer viel gehabt und viel verleumdet wird, wird auch viel geliebt.

Kaiser Nicolaus ist geliebt worden, geliebt, wie man das Erhabene liebt.

Er war eine einsame mächtige Natur auf seinem Piedestal, und dieses Piedestal war der Thron des größten Reiches der civilisirten Erde. – –

Der Kaiser warf rasch Decke und Mantel von sich und kleidete sich an ohne Hilfe mit den Kleidern, die auf einem Stuhle vor seinem Bette lagen. Dann zündete er an der Lampe die Kerzen der silbernen Armleuchter an, deren je zwei auf jedem Tische standen.

Der Selbstherrscher des mächtigen Reiches that das Alles allein; er bewahrte bis in das Kleinste herab, so viel es sich mit seinem erhabenen Range vertrug, die militairischen Gewohnheiten.

Dann trat er einige Augenblicke an das Fenster und schaute die weite Perspective hinab. Die frühe Morgenstunde des Spät-Septembers hüllte unter der nordischen Breite noch Alles in Dunkel, das an tausend Stellen durch die Gasflammen unterbrochen wurde, die sich in dem Wasser des breiten Stromes spiegelten.

Der Kaiser setzte sich hierauf an den ersten Arbeitstisch und begann, einen Stoß Papiere durchzusehen. Diese mächtige Natur bewahrte eine immense Arbeitskraft, die durch die strengste Regelung der Beschäftigung und der Zeit vermehrt wurde. Für gewöhnlich stand der Monarch um halb sieben Uhr auf, nahm schon während seiner kurzen Toilette verschiedene Meldungen und Rapporte an, machte dann einen Gang durch das ganze Palais bis zur Wiege seiner Enkel und blieb bis um acht Uhr in seinem Kabinet. Von acht bis neun Uhr machte er stets, und wo er sich auch befand, Sommer und Winter, einen Spaziergang in freier Luft. Um neun Uhr empfing er regelmäßig den Kriegsminister [277] Fürst Dolgorucki, auf den er großes Vertrauen setzte. Der Fürst ist derselbe, welcher bei der bekannten, durch fast komische Mißverständnisse und Vorspiegelungen weniger Rädelsführer hervorgerufenen Militair-Emeute gleich nach der Thronbesteigung (am 24. December 1825) als Capitain die treue Wache im Hofe des Winterpalastes kommandirte, welcher der Kaiser den siebenjährigen Thronfolger anvertraute, ehe er kühn und allein den Rebellen entgegentrat.

Um zehn Uhr pflegte der Kaiser sich für kurze Zeit zur Kaiserin und seiner Familie zu begeben; nie ließ er aber auch dort einen angemeldeten Minister oder eine befohlene Person warten. Wenn gegen zwei Uhr alle Geschäfte im Palais beendet waren, fuhr er in seiner einspännigen Droschke oder im Schlitten aus und besuchte dabei drei bis vier Anstalten der verschiedensten Art. Um vier Uhr speiste er im kleinen Familienkreise, zu dem nur wenige Auserwählte zugezogen wurden. Der Kaiser aß stark, trank aber sehr mäßig. Selbst die Abendstunden waren meist den Staatsgeschäften gewidmet; wenn er im Salon der Kaiserin oder der Großfürstinnen erschien, sprach er wenig und nahm selten an der allgemeinen Unterhaltung Theil. In sein Kabinet zurückgekehrt, arbeitete er wieder und begab sich selten zur Ruhe, wenn noch irgend ein Bericht zu erledigen war. Oft stand er des Nachts auf, verließ allein das Winterpalais und stattete irgend einem Institut, namentlich den Cadettenhäusern, einen Besuch ab. Sein erster Blick galt dann stets dem Thermometer, der die vorgeschriebenen 14 Grad zeigen mußte, und seine Untersuchungen erstreckten sich bis in's Detail.

Der Kaiser hielt sich nach seinen eigenen Worten stets »im Dienst« und nur in Peterhof gestattete er sich auch in der Kleidung einige Abweichungen von der sonst streng ordonanzmäßigen Uniform und Haltung. Auch im strengsten Winter trug der Monarch nur den einfachen Offiziermantel, nie einen Pelz.

Mit dem Beginn der orientalischen Verwickelungen vermehrte sich die Thätigkeit des Kaisers und er gönnte sich noch weniger Erholungen wie früher. Er stand fast zwei Stunden früher als sonst des Morgens auf, um zu arbeiten, und empfing von sechs Uhr ab die Vorträge der Minister und Adjutanten, um später für die militairischen Geschäfte, die Besichtigungen etc. frei zu sein. Eine auffallende Aufregung und Rastlosigkeit hatte sich seines [278] ganzen Wesens bemächtigt und man sah, wie tief ihn der Gegenstand und das Scheitern vieler Erwartungen und gehegten Ansichten berührte.

– – – –

Nachdem der Monarch den Stoß von Papieren, welche vor ihm lagen, durchgesehen und die Unterschriften vollzogen hatte, sah er auf die Uhr, die halb Sechs zeigte, und nach einer der Notiztafeln über dem Schreibtisch.

»Mittwoch – das ist Nesselrode's Tag, da habe ich noch Zeit, er kommt erst um sieben Uhr.«

Damit erhob er sich, holte aus dem Ankleidekabinet, zu dem eine Tapetenthür führte, Mantel und Helm und verließ leise das Zimmer.

Das Vorgemach war erhellt, zwei Pagen saßen dann und schliefen in den Lehnstühlen. Am Tisch wachte der diensthabende Kammerdiener und las; er erhob sich rasch, als er die Thür gehen hörte.

»Ei sieh, Menger,« sagte der Kaiser, »bist Du wach? Geh' hinein und ordne das Kabinet; um Sieben bin ich zurück.«

Er schritt hindurch nach dem äußern Vorzimmer, in welchem während der Nacht ein Offizier der Schloßwache seinen Aufenthalt hatte, um außergewöhnliche Meldungen entgegen zu nehmen.

Es war an dem Morgen ein Lieutenant von der Preobraczenski'schen Garde, diesem Lieblingscorps des Kaisers, das ihn einst gegen die Empörer vertheidigt hatte. Der noch sehr junge Mann war auf dem Stuhl vor dem Tisch, an dem er die abendlichen Wachrapporte eingetragen, die der Kaiser sich alle Morgen vorlegen ließ, eingeschlafen; sein Kopf ruhete auf dem aufgestützten Arm. Es mußte erst spät geschehen sein, denn eine Depesche, die auf dem Tische lag, zeigte den Präsentationsvermerk einer späten Stunde. Vor ihm lag ein halb vollendeter Brief, über dem ihn offenbar die Müdigkeit überrascht hatte, – die Feder war seiner Hand entfallen.

Der Kaiser, dessen Schritt der dicke Teppich des Fußbodens unhörbar machte, nahete sich leise dem Tisch.

»Sie haben gestern Morgen scharf exercirt,« sagte er wie entschuldigend und bog sich über den Schlafenden, die Depesche zu nehmen. Sein Blick fiel aus den Brief und auf seinen Namen. Er nahm vorsichtig das Blatt in die Hand und las.

[279] Der Brief war an die Mutter des jungen Mannes gerichtet, die in dem Gouvernement Nischnei-Nowgorod wohnte und die Wittwe eines früheren Offiziers war. Der Sohn, in dem Kadettenhause erzogen, schrieb ihr, wie er hoffe, daß der Krieg ihm Gelegenheit zur Auszeichnung geben werde, mit der er dem geliebten Kaiser für die Wohlthaten danken könne, die er ihm durch seine Erziehung erzeigt habe. Er beklagte kindlich, daß er sie, die er seit zehn Jahren nicht wiedergesehen habe, nicht zuvor noch ein Mal umarmen dürfe, aber selbst wenn er – was sehr unwahrscheinlich, – Urlaub erhalten könne, sei es unmöglich, da die Entfernung so weit und er ohne Vermögen nur durch die strengste Sparsamkeit die kostspielige Stellung bei der Garde bewahren könne, in die ihn der Zufall und die guten Zeugnisse im Cadettenhause gebracht.

Das Adlerauge des Monarchen hatte in wenigen Augenblicken den Brief überflogen und ruhte wie nachdenkend auf dem Schläfer. Dann nahm er vorsichtig die Feder, schrieb einige Worte unter den Brief und legte denselben wieder an seine vorige Stelle.

Mit leichten Schritten, ohne daß der Schläfer erwachte, verließ er das Gemach. Draußen auf dem Corridor standen zwei Grenadiere des Regiments gleich Statuen auf ihrem Posten. Der Kaiser nickte ihnen zu und schritt die breite Treppe hinab, die in den Vorhof führt. Einen Augenblick blieb er sinnend an der großen, mit drei Kreuzen geschmückten Steinplatte stehen, welche die Stelle bezeichnet, auf der er an jenem blutigen 26. December den Grenadieren den Naslednik (Thronfolger) übergab. Dann hüllte er sich in den Mantel und verließ den Bereich des Palastes.

Es war noch zu früh, als daß die Isworstschiks (Droschkenführer), deren sich der Kaiser bei seinen Besuchen häufig bediente, bereits auf den Halteplätzen sein konnten, und der Monarch ging daher rasch zu Fuß weiter, die Alexander-Newskoi-Perspective hinauf. Es war sechs Uhr, als er das Corps – wie die Cadettenhäuser und Militair-Erziehungs-Anstalten genannt werden – erreichte, dessen Besuch er beabsichtigt hatte, die Zeit, um welche die jungen Soldaten regelmäßig Winter und Sommer aufstehen müssen. Die Wache schlug eben die Reveille, als der Kaiser das Thor passirte und sofort nach einem der großen Speisesäle sich begab. Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht von der Ankunft des Kaisers durch alle Gänge des weitläufigen Gebäudes, und ehe die fünf Minuten, [280] welche er bei solchen Gelegenheiten, wie bei Audienzen der Verspätung einräumte, vergangen waren, wirbelten im Hofraum die Trommeln zum Antreten, und der Gouverneur der Anstalt, Obristlieutenant Moradowitsch, begrüßte den Monarchen in dem Saal.

»Die Offiziere, welche vor drei Tagen das Examen bestanden haben, sollen heute das Corps verlassen und in die Garnisonen abgehen?«

»Zu Befehl, Sire.«

»Gut. Ich will sie vorher sehen. Später habe ich keine Zeit. Komm.«

Er ging voran nach dem Hof. Der Gouverneur und die den Unterricht ertheilenden Offiziere, welche sich vor dem Saale aufgestellt hatten, folgten ihm.

Auf dem Hofe standen compagnieenweise in ihren Hausuniformen die jungen Leute, welche ihre Erziehung in der kaiserlichen Anstalt genossen, um von dieser aus in die Armee zu treten. Da der Kaiser auf eine möglichst gründliche Ausbildung für den Dienst und hohe Klassen hielt, in denen das Avancement bis zum Lieutenant erfolgen konnte, auch den allzu frühen Eintritt in den activen Dienst nicht liebte, so war das Alter der Cadetten sehr verschieden.

Die Offiziere traten an ihre Abtheilungen, der Kaiser ging musternd an den Fronten vorüber. Das Tageslicht war bereits vollständig eingetreten.

»Laß die neuen Offiziere und Fähnriche vortreten.«

Der Gouverneur ertheilte den Befehl; einundzwanzig Jünglinge traten aus den Reihen und stellten sich vor dem Monarchen auf. Zwei derselben, die an der Spitze standen, waren die Aeltesten und schienen bereits das zwanzigste Jahr erreicht oder überschritten zu haben.

»Die Zeugnisse!«

Der Obristlieutenant präsentirte sie und der Kaiser nahm sie ihm einzeln ab, wie er nach der Reihe die jungen Leute musterte. Gleich bei dem ersten blieb er stehen und betrachtete ihn mit durchdringendem Blick, den der Jüngling fest und unverrückt aushielt.

Es war ein junger Mann von hoher, schlanker Figur, mit blassem, klassisch geschnittenem Gesicht von energischem Ausdruck; das Auge dunkel und feurig, sonst in seinem Wesen einfach und anspruchslos.

[281] »Wir kennen uns. Du bist Djemala-Din, der Sohn des Imam Schamyl?«

»Ja, Sire!« 1

»Dein Vater hat mir in diesem Sommer viel zu schaffen gemacht. Ich wünschte, er wäre so gut russisch wie Du Ich habe Dich lange warten lassen mit einer Offizierstelle, aber ich wollte, daß Du tüchtig ausgebildet würdest, damit es hafte, was Du gelernt hast. Es freut mich, daß Deine Zeugnisse sämtlich gut lauten. Du hast Dir, wie ich sehe, selbst das Uhlanencorps gewählt und gehst nach Polen?«

»Mit Ihrer Erlaubniß, Sire!«

»Schön. Du wirst immer an mir einen Freund finden und ich habe für Deine Ausrüstung bereits gesorgt. In Warschau melde Dich sogleich beim Fürsten Statthalter, er wird Dir das Nöthige mittheilen. Nimm die beiden Pferde, die Du dort findest, als Geschenk von mir und halte Dich brav. Ich habe die Augen auf Dich gerichtet.«

Er reichte ihm die Hand, und als der junge Mann sich tief gerührt darüber beugte, küßte er ihn auf die Stirn.

»Sire! welche auch meine Zukunft sein möge, ich werde nie Ihrer Güte vergessen.«

Er trat zurück in die Reihe seiner Gefährten. Der forschende Blick des Kaisers traf seinen Nachbar und er sah aufmerksam das Zeugniß durch, das der Gouverneur ihm reichte.

Der junge Mann war eine mittelgroße gedrungene Gestalt mit intelligentem Gesicht, aber einem starken Zug von Trotz und Eigenwillen um den Mund.

»Ein Ocholskoi? ein guter Name, aber viel schlimmes Blut in dem Geschlecht. Du bist zwei Jahre länger in dem Corps geblieben, junger Mensch, als Deine Fähigkeiten nöthig machten. Warum?«

»Man hat mir die Erlaubniß zum Examen verweigert, Euer Majestät.«

[282] »Ich sehe es. Du bist zehn Mal in einem Jahre wegen Ungehorsam und Widerspenstigkeit bestraft. Wie ist's mit ihm, Moradowitsch?«

»Er ist einer der besten Zöglinge des Corps, Majestät,« sagte der Gouverneur entschuldigend, »aber er ist schwer zu bändigen.«

»Ich werde es übernehmen,« entgegnete der Czar. »Gehorsam, unbedingter Gehorsam ist das Erste, was ein Soldat lernen muß. Ohne blindes Gehorchen kein Befehl. Ich habe gehört, Du machst Verse, freie Verse, die Du drucken läßt. Das ist keine Beschäftigung für einen Soldaten. Denke an Lermontof 2. Ist bereits über um verfügt?«

»Er wird bei den Felddragonern eintreten.«

»Halt da. Lassen Sie die Bestimmung andern. Er soll zu Bodisco gehen nach Bomarsund, und wenn er dort zwei Jahre sich tadelfrei geführt und Gehorsam gelernt hat, mag er in das bestimmte Corps eintreten.«

Eine fahle Blässe überzog das Gesicht des jungen Mannes. Die Alandsinseln gelten in der russischen Armee für eine Strafcolonie, gefürchteter als die Verbannung nach dem Kaukasus. Er trat unwillkürlich einen Schritt zurück in die Reihe.

»Halt!«

Der Verbannte stand wie eine Mauer.

Der Kaiser küßte auch ihn auf die Stirn.

»So, – nun tritt zurück und lerne gehorchen!«

Er controllirte eben so sorgfältig die Zeugnisse der übrigen Neunzehn, lobte und tadelte. Als er dann an der Colonne der Cadetten vorüberging, trat plötzlich einer derselben, fast noch ein Knabe, mit schönem, blondgelocktem Haar und offenem, Zutrauen erregendem Gesicht vor und beugte ein Knie. Der Kaiser blieb freundlich stehen und sagte zu dem jungen Mann:

»Steh' auf, Kind; was willst Du von mir?«

»Euer Majestät danken für das Glück, daß ich meinen Großvater umarmen durfte, und ...«

»Wie heißest Du, mein Sohn? wer ist Dein Großvater?«

»Graf Lubomirski, Euer Majestät. Euer Majestät haben den alten Mann begnadigt und er befindet sich hier.«

[283] Der Czar runzelte leicht die Stirn; er liebte es nicht, an Verurtheilungen oder Begnadigungen erinnert zu werden.

»Es ist brav von Dir, daß Du die Deinen liebst. – Aber Du wolltest noch Etwas?«

»Ich wollte Euer Majestät um die Gnade bitten, daß ich den Feldzug gegen die Türken mitmachen darf. Ich möchte Euer Majestät so gern meine Dankbarkeit und meine Treue bezeigen.«

Der Kaiser lächelte, so weit in dies eherne Gesicht Lächeln treten konnte, und klopfte den Knaben auf den Kopf.

»Wie steht's mit ihm, Moradowilsch?«

»Er ist ein fleißiger und talentvoller Schüler, Sire, aber erst sechszehn Jahre.«

»Nun, so warte noch ein Jahr, die Sache ist noch lange nicht zu Ende für Dich und mich. Dann sollst Du als Junker eintreten. – Adieu, Kinder, gehabt Euch wohl, es wird Zeit für mich.«

Die Trommeln rasselten, der Kaiser salutirte und verließ den Hof. Am Ausgang lehnte er mit einer strengen Handbewegung jede weitere Begleitung ab und schritt allein auf die Straße hinaus eine kurze Strecke, bis ihm ein Isworstschick mit dem leeren Gespann entgegenkam. Er winkte ihm, umzukehren und warf sich in das offene Gefähr.

»Na domo!« (Nach Hause!) sagte er zerstreut.

Die Droschke flog davon und hielt in der Nähe des Winterpalastes. Befremdet stieg der Kaiser, der es ungern sah, wenn man ihn auf seinen frühen Ausgängen erkannte, aus und fragte den Kutscher:

»Kennst Du mich denn?«

Ein schlaues: »Nein, Väterchen!« war die Antwort.

»Aber ich habe meinen Geldbeutel vergessen!«

»Thut Nichts, Väterchen, Du bezahlst mich ein ander Mal!«

»Nein,« sagte der Kaiser, »ich mache keine Schulden. Warte hier.«

Er verschwand in dem Hofe des Palastes und der Kutscher, der den Kaiser sehr wohl erkannt hatte, hielt geduldig sein Pferd an. Eine kurze Weile darauf brachte ihm ein Offizier aus dem Palaste drei Imperials. Das Gesicht des Kutschers, als er mit dem reichen Fahrgeld davongaloppirte, konnte nicht froher und glücklicher sein, als das des Offiziers, welcher ihm das Gold gebracht. Es war derselbe, welcher im Vorzimmer des Kaisers über [284] dem Briefe eingeschlafen war. Als er erschrocken durch die zufallende Thür aufwachte, fand er unter demselben die Worte 3:


»Vorzeiger hat zwei Monat Urlaub und aus der Kaiserlichen Chatoullen-Kasse 500 Silberrubel zu erheben.

Nicolaus.«


Als der Czar zurückkehrte, warf sich der junge Offizier ihm zu Füßen. Der hohe Herr aber sandte ihn mit jenem Geschenk zu dem Isworstschick. –

Es war fünf Minuten vor 7 Uhr, als der Kaiser sein Kabinet wieder betrat und Helm und Mantel ablegte. Der Kammerdiener brachte ihm das bereit gehaltene Frühstück. Während er dasselbe genoß, schlug die Uhr Sieben und zugleich wurde der Reichskanzler gemeldet.

Der Eintretende hat in der neuesten Zeitgeschichte eine so wichtige Rolle gespielt, daß wir seiner Persönlichkeit einige Zeilen widmen müssen.

Es war ein Greis von 75 Jahren, denn der Graf ist 1780 – als Kosmopolit auf einem englischen Schiff aus der Rhede von Lissabon – geboren, während sein Vater, aus der rheinisch-bergischen Familie der Grafen von Nesselrode-Ehreshoven stammend, dort russischer Gesandter war. Bei dem wiener Congreß machte sich der Graf zuerst in der politischen Welt bemerklich und galt auch für einen der schönsten Männer jener zahlreichen und glänzenden Versammlung. Noch zeigen sich die Spuren der ehemaligen Schönheit in dem ruhigen feinen Gesicht mit der hohen Greisenstirn. Selbst die hohe Gestalt war nur wenig gebeugt.

Der Kaiser bewies stets große Achtung und Rücksicht für den alten Staatsmann und legte sehr bedeutendes Gewicht auf seine Meinung. Er kam ihm auch diesmal beim Eintritt einige Schritte entgegen und lud ihn ein, sich an dem zweiten Tisch niederzulassen, aus dessen Platte der Minister das mitgebrachte, ziemlich umfangreiche Portefeuille öffnete.

»Ich bitte, Graf, gieb mir zuerst die auswärtigen Tagesberichte; welche Neuigkeiten? ich bin seit einiger Zeit begieriger darauf, als es sonst der Fall war.«

»Baron von Brunnow, Sire, hat auf meine Anweisung durch den Telegraphen am 15. Lord Clarendon officiell angefragt, [285] welchen Weg die englische Regierung nun einschlagen werde, nachdem ihr bekannt geworden, daß Euer Majestät die Vorschläge der Pforte abgelehnt haben. Am 16. sind dem englischen und dem französischen Kabinet durch unsere Gesandten unsere beiden Depeschen vom 7. mitgetheilt worden.«

»Und die Antwort?«

»Es liegt erst die des Herrn von Kisseleff vor, die gestern Abend eingetroffen. Der Gesandte hat von Brüssel aus in der geheimen Chiffre telegraphirt, also das Resultat nur im Geheimen erfahren. Hier ist die Depesche.«

»Lesen Sie, Graf.«

»Herr von Kisseleff meldet: Am 17. Depesche nach Wien, daß Frankreich nicht weiter zur Annahme der Note rathe, da unsere Kritik vom 7. anderen Sinn als die Westmächte unterlege.«

»Ein leerer Vorwand, nach dem man gesucht hat.«

»Der Gesandte meldet weiter: Vorschlag des Herrn Drouin nach London, wegen der Unruhen die Flotten nach Constantinopel zu berufen.«

»Wieder ein willkommener Vorwand! Und wie lauten die Nachrichten aus London?«

»Sire, es fehlen noch die Depeschen.«

»Sie könnten längst hier sein, wenn man eine Antwort gegeben hätte. Lord Clarendon wird sich besinnen, auf die neuen Wühlereien des Herrn Drouin de L'huys einzugehen.«

Der greise Staatsmann zuckte leicht die Achseln.

»Was denken Sie davon, Herr Graf?«

»Sire, Eurer Majestät Vorliebe für England behindert Ihren sonst so klaren politischen Blick. Wenn auch im Augenblick der Einfluß unseres Gegners Lord Palmerston beseitigt ist, bleibt England doch unverändert der geheime und bittere Gegner Rußlands und wird die Lockung nie vorbeigehen lassen, unsere Suprematie im Orient zu brechen.«

Der Kaiser schritt einige Male ungeduldig im Zimmer auf und ab.

»Dieses England! dieses England! – ich meinte es so aufrichtig mit ihm. Der Osten und das Meer gehörten uns Beiden ohne Eroberung, wenn es ehrlich gehandelt hätte.«

»Sire, ich habe Ihnen immer gesagt, Rußlands natürlicher Verbündeter ist Amerika. Ein Reich, das noch eine Zukunft hat, [286] muß sich nie mit einer Macht alliiren, die bereits auf dem Gipfel steht und nach den Gesetzen der Geschichte und der Natur nur die absteigende Linie vor sich hat.«

»Das hieße aber, sich mit der Revolution, mit der Demokratie verbinden, die ich hasse und bekämpfe.«

»Sire, der Constitutionalismus von England ist die permanente gefährliche Revolution, nicht Amerika, das nur damit kokettirt. Nach Euer Majestät Princip gäbe es dann kein loyaleres Bündniß als Frankreich.«

Der Kaiser schwieg einige Augenblicke.

»Was schreibt man aus Constantinopel?«

»Staatsrath Pisani berichtet über die revolutionaire Bewegung der Kriegspartei am 10. 4. Was er mittheilt, ist von Wichtigkeit und bestätigt meine Ansichten.«

»Geben Sie mir einen Auszug!«

»Schon seit Beginn des Monats machten sich in Constantinopel die Bewegungen der Kriegspartei auffallend bemerkbar. Die zweimalige Verwerfung der Wiener Note in dem Divan vom 14. und 15. August war offenbar ihr Werk. Euer Majestät wissen, daß der Schwager des Sultans, Mehemed Ali, an der Spitze dieser Partei steht und unser gefährlichster Gegner ist. Mehemed Ruschdi Pascha 5, Mahmud Pascha 6 und Hamik Pascha 7 sind seine Anhänger. Wenn auch bei Mehemed nicht, der offenbar von ehrgeizigen Spekulationen getrieben wird, so doch bei mehreren anderen Persönlichkeiten, hätte meiner Ansicht nach Fürst Mentschikoff die zwei Millionen Silberrubel, die er für dergleichen Zwecke mitnahm, weit nützlicher für die Interessen Eurer Majestät verwenden können, als daß er sie unberührt nach Odessa wieder zurückgebracht hat. Der tiefe Verfall der Türkei bedingt, daß in Constantinopel Alles für Geld feil ist.«

»Er ist ein Eisenkopf,« sagte der Kaiser, »und haßt die Türken.«

»Ein wichtiger Theil der kriegslustigen Partei waren von [287] Anfang an die Ulema's und Softa's 8. Es ist dies natürlich, da sie eigentlich den Ultramontanismus des Islam vertreten und für die eigene Existenz kämpfen. Euer Majestät wissen aus den früheren Berichten, daß Sultan Abdul Meschid aller Energie baar und ein Spielwerk in der Hand seiner Umgebungen ist. Um so mehr ist die geringe Diplomatie des Fürsten Mentschikoff zu beklagen. Reschid Pascha hat zwar die westmächtlichen Sympathieen, ist aber klug genug, einzusehen, daß der Türkei das unbeschränkte Bündniß mit Frankreich und England mehr Opfer kosten wird, als alle Forderungen des bisherigen diesseitigen Einflusses. Es lebt ein tiefes unabweisbares Gefühl in der türkischen Bevölkerung, daß eine gewaltsame Entscheidung zwischen der Herrschaft des Islam nur des Christenthums erfolgen müsse. Selbst die Friedensfreunde suchen sie nur hinauszuschieben.«

»Der unheilbar kranke Mann. Meine Großmutter 9 hat es schon gesagt.«

»Bereits seit Anfang des Monats hat man an verschiedenen Orten Constantinopels Anschläge gefunden, durch welche der Sultan aufgefordert wurde, die Fahne des Propheten gegen die Christen zu erheben, oder abzudanken. Die Softa's und Ulema's hielten geheime Versammlungen, und am 10. überreichte eine Deputation von ihnen, von einer großen Versammlung auf dem Atmeidan gesandt, dem Conseil eine Adresse an den Sultan, in welcher durch Sprüche aus dem Koran die Nothwendigkeit des Krieges dargethan wurde. Eine zweite Adresse forderte ihn auf, bis zum Beginn des Beiram, bis zum 15., seine Entscheidung abzugeben, oder dem Throne zu entsagen!«

»Ha! Advokaten, Pfaffen mich dort!«

[288] »Wir wissen ganz bestimmt, Sire, daß diese Bewegung im Stillen von Ruschdi und zwar im Auftrage von Mehemed Ali geleitet wurde. Sowohl Lord Redeliffe, als Herr de Latour wußten darum, denn nachdem sie auf Grund der bald und mit einem Dutzend Köpfe der Softa's gedämpften Emeute erklärt hatten, daß sie zum Schutz der Christen am Beiram einige Kriegsschiffe nach Constantinopel rufen würden, trafen ohne den Ferman, den der Sultan für die Flotten beharrlich verweigert, bereits am Morgen des 15. von den Geschwadern in der Besika-Bai zwei englische und zwei französische Dampffregatten ein. – Dies wäre ganz unmöglich gewesen, wenn dieselben nicht bereits vorher Anweisung gehabt hätten. Die englischfranzösische Absicht liegt daher klar am Tage.«

»Und der Beiram?«

»Die Prozession ist ruhig vorüber gegangen.«

Der Kaiser blieb am Tische des Grafen stehen und stützte die Hand darauf.

»So mögen sie es denn haben,« sagte er nach einer Pause; »man zwingt mich zum Kriege. Ist er ein Mal eröffnet, so ist sein Ende schwer zu übersehen, und eine innere Stimme sagt es mir, – ich werde dies Ende nicht erleben. Aber mein Rußland wird, und wenn halb Europa dagegen in die Schranken treten sollte, – es wird – es muß siegen! Ich habe es dafür stark gemacht.«

Er ging noch ein Mal gedankenvoll durch das Zimmer.

»Ich habe diesen Krieg nicht muthwillig oder eigensinnig hervorgerufen, bei Gott nicht! Aber ich und dieses Reich haben unsere Mission zu erfüllen. Diese Mission ist das Erbe meiner Väter, ein politisches und ein religiöses. Rußland ist der Damm gegen die Revolutionen, gegen die umstürzenden zerstörenden Ideen von Westen her; darum, um ihnen Trotz bieten zu können, mußte es stark und mächtig sein, und ich habe gethan, was an mir war, selbst auf Kosten des eigenen Herzens, vielleicht des Rechts, es kräftig in seinem Innern, gefürchtet nach Außen zu machen. Das schwarze Meer ist eine Lebensnothwendigkeit für Rußland, und um seiner Existenz und Zukunft willen kann und wird es nie dulden, daß am Bosporus ein anderer Einfluß dominirt. – Seine religiöse Mission, sein Erbe ist der Schutz unseres heiligen Glaubens im Süden und Osten. Eilf Millionen Christen sehen aus ihrer Noth, [289] aus der täglichen Bedrängniß vertrauend auf mich. – Ich habe das Werk meines Urgroßvaters Peter fortgesetzt, den Russen zum Bürger seines Landes zu machen und ihm seine Menschenrechte zu geben, – und ich sollte zögern, wo es gilt, unseren unterdrückten Glaubensgenossen zu helfen und endlich ihre Christenrechte zu sichern!?«

»Erinnern Sie sich, Sire, daß diese Absicht schon ein Mal an der Rivalität von Frankreich und England scheiterte.«

»Sie haben Recht, – ich war zu nachgiebig, man soll mich nicht mehr so finden, wenn man mich denn mit Gewalt herausfordern will.«

»Wie denken Euer Majestät über den Plan, den Vice-Admiral Nachimow vorgelegt hat?«

»Nein, Nesselrode, nein! Ich weiß, daß er den Erfolg mit einem Schlage sichern, den Sieg in unsere Hände geben und einen vielleicht langen und schweren Krieg vermeiden würde. Die russische Flotte von Sebastopol unerwartet in den Bosporus werfen, die Schlösser als Pfand besetzen und Constantinopel mit einer Armee im Schach halten – der Plan ist militairisch vortrefflich, aber – es geht nicht!«

»Sire – im Fall eines Krieges sichern Sie dadurch allein Ihre Flotte und die Herrschaft des Meeres.«

»Nein – nein! – Sebastopol wird meine Flotte schützen, man kann mich höchstens an den Küsten verwunden. Ich aber opferte damit meine ganze Vergangenheit, die bewiesen hat, daß ich kein Eroberer bin. Habe ich nicht im Frieden von Adrianopel, als die Türkei in meiner Hand war, alle Eroberungen zurückgegeben? Habe ich nicht die Beleidigung, die Persien mir angethan, mit dem Erlaß der Kriegsentschädigung vergolten? Haben meine Schiffe und meine Armee nicht den Sultan zwei Mal vor seinem rebellischen Vasallen gerettet? Wer, frage ich, hinderte mich im Jahre 1848, als alle Welt die Hände voll zu thun hatte, zu nehmen, was ich wollte? – Statt dessen brach ich die Revolution in Ungarn und rettete Oesterreich.«

Der Reichskanzler beugte sich, ohne ein Wort zu entgegnen, auf seine Papiere nieder.

»Ich weiß, was Sie sagen wollen; man hat mich vielfach gewarnt. Fürst Schwarzenberg soll mit Bezug auf Rußland noch kurz vor seinem Tode gesagt haben: Europa würde binnen wenig [290] Zeit über die Undankbarkeit Oesterreichs staunen, aber ich glaube daran nicht. Von Fritz, meinem Schwager, weiß ich, daß er es ehrlich meint mit Rußland, wenn ich auch nur passiven Beistand von dort erwarte. Die heilige Alliance, die Sie selbst mit schließen halfen, ist ein Erbe unserer Vorgänger, das uns heilig ist. Ich traue auf den Kaiser Franz Joseph, er ist ein junger Mann, der die Traditionen Oesterreichs nicht zu Schanden machen wird. Vertrauen erweckt Vertrauen! – Hier biete ich es!« – Der Kaiser nahm einen versiegelten Brief von seinem Tisch, der dort umgekehrt gelegen, und reichte ihn dem Kanzler. – »Ich schrieb um diese Nacht. Schicken Sie ihn sogleich mit einem Courier nach Olmütz ab, wo auch mein Schwager Wilhelm bereits eingetroffen sein wird. Es ist die Anzeige meines Besuchs im olmützer Lager. – Sie werden mich begleiten; wir reisen morgen nach Warschau ab.«

Der Graf legte den Brief in sein Portefeuille.

»Und nun, Batuschka 10,« sagte der Kaiser freundlich nur lehnte ihm die Hand auf die Schulter, »wie denkst Du über den Erfolg? Werden England und Frankreich im Fall eines Krieges wirklich auf den Kampfplatz gegen mich treten, wenn man meine Westgränzen durch Deutschland gesichert sieht?«

»Sire, ich habe bereits Eurer Majestät wiederholt meine Ueberzeugung ausgesprochen und durch Gründe belegt, daß die Verwickelung von Frankreich veranlaßt ist und nicht so weit getrieben sein würde, wenn man nicht von vorn herein die Absicht eines Krieges zwischen Eurer Majestät und England gehabt hätte. Ich bin noch immer der Ansicht, daß unsere Zeit noch nicht gekommen war, unsere Einrichtungen und Transportmittel sind noch nicht vorgeschritten genug, – mit einem Wort, Sire, wir sind nicht vorbereitet.«

»Dolgorucki steht für die Armee, ich kenne sie selbst genau und weiß, was Kronstadt und Sebastopol leisten können. Kleinmichel hat Zeit und Mittel gehabt, die Straßen im Süden genügend in Stand zu setzen, so daß der militairischen Communication kein Hinderniß im Wege steht, wenn wir auch noch keine Eisenbahn haben.«

»Die geringe Anzahl unserer Truppen in den Fürstenthümern [291] beunruhigt mich, Sire. Ist der Krieg unvermeidlich, so mußte man ihn mit voller Energie beginnen.«

»Aber ich habe Dir gezeigt, man macht mir die Pfandnahme ohnehin schon zum Vorwurf, selbst mein Schwager in Berlin. Eine Operationsarme würde unseren Gegnern nur Waffen in die Hände gegeben haben. Uebrigens ist Gortschakoff stark genug, dem Renegaten Omer die Spitze zu bieten.«

»Die französische Armee ist in vorzüglichem Stand und disponible. Die verschiedenen Lager sind nicht ohne weitergreifende Absichten gebildet. Wenn auch die englische Landmacht nicht in's Gewicht fällt, so kann das Bündniß doch binnen kurzer Frist eine sehr bedeutende Macht an den Bosporus werfen, die entente cordiale wird sich ergänzen und hat die Mittel in Händen.«

»Sie ist unerhört, diese unnatürliche Verbindung, gegen alle Tradition und Politik! Und es scheint Ernst damit zu werden.«

»Sire, ich glaube, ganz Europa hat sich in Napoleon III. verrechnet. Es ist offenbar, daß England hierbei sein Werkzeug ist. Er hat eine Erbschaft angetreten, dessen erste Artikel der Haß gegen England und Rußland sind, an denen sein Oheim unterging. Er hat vor diesem die Erfahrung und die Ruhe voraus. Ein einziges Wort, das ihm zur Zeit des Staatsstreiches entschlüpft ist, enthüllt seine Pläne und seinen Charakter.«

»Was meinen Sie?«

›Die Rache ist ein Gericht, das kalt genossen werden muß.‹ »Die Verbindung mit England in einem Kriege wird und muß die Schwäche desselben vor der ganzen Welt enthüllen. Frankreich, selbst geschlagen, wird der Sieger sein. Der Kampf zwischen England und Rußland kann durch die Schwächung beider Gegner nur sein Vortheil werden. In einem einzigen Calcül wird sich hoffentlich der Kaiser Napoleon irren, in der Spekulation, daß Oesterreich und Preußen sich in einem Kriege durch Theilnahme gegen uns gleichfalls schwächen werden. Diese Beiden, wenn sie fest bleiben gegen die Verlockung, konnten einst das Paroli bieten; denn glauben Euer Majestät, man wird versuchen, halb Europa in eine Revolution gegen uns zu verwickeln.«

»Wissen Sie, Nesselrode,« sagte der Kaiser vertraulich, »daß ich anfange, gewisse Vorschläge an Frankreich zu bereuen?«

»Die von Euer Majestät großem Ahnen überkommene Politik [292] und das Interesse Rußland's geboten den Versuch und gehen über jede andere Rücksicht.«

»Sie überzeugen mich, und dennoch kann ich noch immer nicht glauben, daß man zu einem Angriff gegen mich schreiten wird.«

»Ich wiederhole Eurer Majestät, der Angreifende hat den Vortheil. Es ist ein Krieg und eine Rache der Revolution gegen uns.«

»Europa, die Throne sollten das bedenken.«

»Leider ist auch in dieser Beziehung zu wenig vorbereitend geschehen. Euer Majestät sind nun einmal eingenommen gegen die Macht und Bedeutung der Presse.«

»Bah, ich verachte sie, es ist hohle Lüge und Declamation durch und durch. Nichts Zuverlässiges. Auf Ihren Wunsch habe ich ja zwanzigtausend Imperials für die Zwecke bewilligt, was wollen Sie noch mehr?«

»Sire, ich glaube, es war zu spät. Die Presse läßt sich in unserer Zeit wohl beeinflussen, aber nicht mehr kaufen. Wir haben Manches versäumt. Ich kann mich von dem Glauben nicht losmachen, daß Euer Majestät der altrussischen Partei zu schnell nachgegeben haben.«

»Wohl – so sei diese Reise der letzte Versuch, den Frieden zu sichern. Ich werde den Angriff abwarten, – und sie mögen zerschellen an Rußland's Kraft. – Sind weitere Depeschen und Nachrichten eingegangen?«

»Der ausführliche Bericht des Staatsraths Fonton über seine Reise durch Serbien liegt vor. Die Bevölkerung ist begeistert für Eure Majestät und das Auftreten Rußlands.«

»Das giebt Oesterreich einige Beschäftigung und sichert uns vor Ueberflügelung.«

»Oberst Berger befindet sich wieder in Cetinje. Sein Einfluß ist durch die Bemühungen des wiener Kabinets sehr beschrankt. Der Vladika hat neuerdings strenge Verfügungen gegen die Razzia's in das türkische Gebiet erlassen müssen. Im Volk selbst aber herrscht die Erbitterung fort und zeigt sich bei jeder Gelegenheit, namentlich seit einer seiner gefeiertsten Häuptlinge, der Beg Martinowitsch, von den Türken ermordet worden ist.«

»Wenn der russische Adler ruft, werden meine wackern Montenegriner nicht müßig sein. Es war ein großer Fehler am wiener Congreß, Montenegro zu isoliren und Corfu aufzugeben.«

[293] »Baron von Meyendorf meldet aus Wien, daß man dort die bestimmten Beweise habe, daß die Führer der revolutionairen Propaganda, namentlich Kossuth und Mazzini, mit der Kriegspartei des Divan in genauem Rapport stehen.«

»Das müßte man von Constantinopel aus wissen. Wir sind dort bei Weitem nicht mehr so gut bedient wie früher.«

»In Madrid ist das Ministerium Lersundi gefallen. Der Sieg der revolutionairen Partei bereitet sich vor.«

»Der Fluch des begangenen Unrechts. Es fehlt diesen Bourbonen an persönlichem Muth, ihr Alles in die Schranken zu werfen, sonst hätten längst die Dinge im Westen einen andern Gang genommen.«

»Der Kriegsminister wird Euer Majestät die Berichte des Fürsten Gortschakoff vorlegen, so wie den Rapport über den Zustand der Festen am kaukasischen Ufer.«

»Es ist bereits beschlossen, ich gebe sie auf.«

»Fürst Mentschikoff sendet Berichte aus Constantinopel. Der Rest der türkischen Truppen ist am 10. nach Varna abgegangen. Die türkisch-ägyptische Flotte liegt noch immer unverändert vor Beykos. Der spanische General Prim ist nach Schumla abgereist, nachdem er in Constantinopel spärliche Beachtung gefunden hat.«

»Der Don Quixote!«

»Am Libanon unter den Drusen sind neue Unruhen ausgebrochen, – ich habe unsere Agenten in Syrien instruiren lassen. An verschiedenen Stellen Rumeliens, z.B. in Saloniki, haben neue schändliche Mißhandlungen der christlichen Unterthanen ganz ungescheut stattgefunden. Aus Bulgarien ist eine Deputation in Constantinopel angekommen, welche über die Scheußlichkeiten der Baschi-Boschuks gegen die Bevölkerung Beschwerde führen soll.«

Der Kaiser lachte verächtlich.

»Gerechtigkeit und Schutz bei dem Moslem! – Täglich solche Erfahrungen und dies christliche Europa will mir nicht gestatten, Christen gegen ihre geborenen Henker zu schützen! – Haben Sie aus Athen Nachrichten?«

»Eine unbedeutende Veränderung im Ministerium. Das Ministerium der Justiz, das der Minister des Auswärtigen Pajkos bisher verwaltet, ist an den Professor Gilitza übergegangen. Der englische Gesandte tritt in animoser Weise gegen die Sympathieen [294] auf, die sich offen unter der Bevölkerung Athens und des Landes für uns zeigen.«

»Nichts Näheres? – Sie wissen, Graf, seine Macht ist Null, aber ich rechne viel aus die Sympathieen Griechenlands vor den Augen Europa's.«

»Ihre Majestät die Königin wiederholt unserm Gesandten die gegebenen Zusicherungen, doch ist Vorsicht nöthig und man klagt über die Intriguen dieses Herrn Kalergis, der eben aus Paris zurückgekehrt ist. – Alle Vorbereitungen sind getroffen, im Augenblick einer Kriegserklärung wird Major Caraiskakis sofort an der Gränze die Fahne des Kreuzes aufpflanzen und den Aufstand nach Epirus und Thessalien werfen. In Albanien von Montenegro aus wird sein Stiefbruder Grivas dasselbe thun. Es gährt überall im Lande und wird die Truppen in Süd-Rumelien zur Genüge beschäftigen.«

Die Uhr schlug Acht – mit dem letzten Schlage trat der diensthabende Adjutant in das Kabinet.

»Sind wir zu Ende, Herr Reichskanzler?«

»Ja, Sire!«

»Ah, guten Morgen, Mansuroff. Sie werden mich begleiten. Wer hat heute außer den Befohlenen um Audienz nachgesucht?«

»Fürst Iwan Oczakoff bittet um die Gnade, sich vor seiner Abreise beurlauben zu dürfen.«

»Ist er nicht dem Stabe des Fürsten Mentschikoff beibeordert?«

»Zu Befehl, Sire, doch hat er zuvor Urlaub, seine auf der Courierfahrt von Paris in Berlin erkrankte Schwester auf ihre Güter in der Krim zu bringen. Die Aerzte haben ihr den Aufenthalt im Süden verordnet.«

»Wer weiter?«

»Graf Lubomirski, den Eure Majestät vom Exil begnadigt haben, will Allerhöchstdenenselben seinen Dank zu Füßen legen.«

»Lubomirski? – Er hat einen braven Enkel, doch liebe ich die Begegnung mit alten Rebellen nicht; es ist genug, daß ich verzeihe. Es war ja wohl auf Ihre Empfehlung, Nesselrode?«

»Er ist ein alter Mann und hat uns in Paris mancherlei Dienste geleistet.«

»Genug; sagen Sie den Herren, ich nähme die Meldung für empfangen an, aber meine Zeit wäre heute allzubeschränkt. Herr [295] Reichskanzler, für morgen früh 6 Uhr. Der Großfürst Nicolas wird uns begleiten, von Warschau aus der Fürst Statthalter.«

»Sire, ich werde die Ehre haben, Eure Majestät auf der ersten Station zu erwarten. Ich beurlaube mich!«

»Adieu, Adieu! – Geben Sie mir den Helm, Mansuroff, kommen Sie!« – – –

Der Kaiser verließ das Kabinet. – – –

Wir werden es in einer schweren Stunde wieder betreten!

Fußnoten

1 Djemala-Din, der älteste Sohn Schamiy's, war von ihm im Jahre 1839 bei dem Sturme auf Achulgo, wo er selbst nur wie durch ein Wunder entkam, als ein kaum 7jähriger Knabe dem russischen Gouvernement als Geißel gestellt und er war seitdem auf kaiserliche Kosten in dem Cadetten-Corps erzogen worden. – Wir werden später Gelegenheit haben, sein ferneres Schicksal dem Leser vorzuführen.

2 Derselbe wurde wegen seines Gedichts auf Puschkin's Tod: »An Rußlands Schutzgeist,« als Soldat nach dem Kaukasus geschickt.

3 Historisch.

4 29. August alten Styls. Um die doppelten Bezeichnungen zu vermeiden, geben wir, auch wo die Scene in Rußland spielt, nur die Daten des neuen Kalenders, der mit dem älteren um 12 Tage divergirt.

5 Commandeur der Garden.

6 Großadmiral.

7 Handelsminister.

8 Der Koran – in arabischer Sprache geschrieben, aus welcher er nicht übersetzt werden darf, – ist nicht allein das religiöse, sondern auch das bürgerliche Gesetzbuch. Die Ulema's sind die Ausleger des Korans und bilden daher gleichsam eine Klasse religiöser Rechtsverständiger; Softa's heißen die Schüler und Studirenden. Das Haupt der Ulema's ist der Scheik ul Islam (gleichsam Justizminister). Unter ihm steht an der Spitze der Ulema's jeder Provinz ein Karaskier, der aber in Constantinopel residirt. Diese bilden einen Rath, an den sich der Sultan in wichtigen Dingen mit du Frage wendet, was der Koran entscheidet. Die Erklärung des Rathes heißt Fetva. – Der Rath hatte sich für den Krieg entschieden.

9 Katharina II.

10 Väterchen.

3. Wien
III. Wien.

Im Hofraum eines jener alten aristokratischen Palais, deren die Altstadt Wien in ihren krummen, mittelalterlichen Straßen noch so viele bewahrt hat, und welche die hohen Familien wie zu ihrem alten Geschlecht gehörig, sorgsam hegen, hielt ein reichgallonirter Stalldiener zwei prächtige, ungarische Pferde in schwerem Silbergeschirr mit rothseidenem Behang und Zügeln vor einen zierlichen Tilbury gespannt, dessen leichter graciöser Bau mindestens das englische Muster verrieth. Ein Jockey, in Grün und Silber gekleidet, stand daneben, während nicht weit davon ein Reitknecht zu Pferde mit einem schönen halbblütigen Reitpferde wartete.

Die Vortreppe des Mittelbaues kamen so eben ein Herr und eine Dame herunter; die Letztere, eine elegante Schönheit, etwa 24 Jahr, von seinen zierlichen Formen. Das länglich schmale, blasse Gesicht mit der seinen gebogenen Nase und den hoch geschwungenen, aber scharf gezeichneten, schwarzen Brauen über den feurigen Augen kündete den sarmatischen Ursprung. Ein tief nach den üppigen Haarflechten des Hinterkopfes zurückfallender, kleiner Damenhut, ein weiter weicher Kashmirshawl um das hoch am Hals hinaufgehende, dollmannartig geschnittene und verzierte Kleid bildeten eine sehr zierliche Tracht und hob den feinen, kaum die Mittelgröße erreichenden Wuchs. Eine große Lebendigkeit und Rastlosigkeit that sich in allen Bewegungen der Dame kund.

Ihr Begleiter trug die Interims-Uniform eines russischen Capitains mit dein Kasket. Er war ein großer, schlankgewachsener Mann von nahe an dreißig Jahren und ernster, denkender Gesichtsbildung. Seine Brust schmückte die Miniatüre dreier Orden, eines russischen, eines österreichischen und eines preußischen.

[296] »Da Ihr Onkel mich für die Spazierfahrt im Prater zu Ihrem Cavalier ernannt hat, schöne Gräfin,« sagte der Offizier, indem er die Dame auf den Sitz des Wagens hob und Zügel und Peitsche aus der Hand des Stallknechts nahm, »so erlauben Sie, daß ich Jockeydienste verrichte.«

»Nichts da, Capitain; lassen Sie Ihr Pferd meinetwegen folgen und setzen Sie sich zu mir. Ader von der Brücke ab verwalte ich selbst mein Amt und lasse mir durch Sie das gewohnte Vergnügen nickt schmälern. Sehen Sie, wie Ali und Miß Baba in die Zügel beißen, weil sie die gewohnte Hand vermissen.«

»Die Pferde sind in der That heute sehr unruhig,« sagte der Capitain, indem er sich auf den Sitz schwang und der Jockey hinten auf sprang; »es wird eine Männerhand erfordern, sie zu bändigen.«

Er nahm ihre Zügel zusammen und ein leichter Schmitz der Peitsche trieb sie vorwärts und aus dem Thorweg.

»Nehmen Sie sich in Acht,« lachte die Dame; »ich bin gestern und vorgestern nicht gefahren und meine Pferde sind heißblütig, wie die Söhne ihres Landes.«

Der Wagen bog in eine der Gassen, die nach dem Stephansplatz führen. Hoch und kühn streckte sich dieser schönste und berühmteste Dom Deutschlands in die blaue Luft. Nach dem rothen Thurmthor ging die Fahrt, während deren in den Straßen die Unterhaltung stockte, da die unbändigen Rosse alle Aufmerksamkeit des Führers in Anspruch nahmen; dann über die schöne Donaubrücke durch die Jägerzeile, aus der des Banus Croaten vor fünf Jahren die Rebellen Haus um Haus schlugen, nach dem Praterstern. Als sie am Neubau des Renz'schen Circus vorüber in's Freie gekommen, legte die Gräfin die Hand auf den Arm ihres Cavaliers.

»Halt da, Herr Capitain, hier endet Ihr Amt. Ist es Ihnen wirklich Ernst, meinen Jockey zu spielen, ei, so nehmen Sie seinen Platz ein und lassen Sie meinen Joan Ihr Pferd besteigen, der kleine Bursche reitet vortrefflich. Ich muß Raum haben für meine Zügelkünste.«

Der Capitain hielt an und schaute ihr einen Augenblick in die dunklen Augen, auf deren zauberhaftem Grund ihm hinter dem leichten Ton des Scherzes eine ernstere, verhaltene Stimmung zu begegnen schien. Dann übergab er galant Zügel und Peitsche, [297] schwang sich auf den Hintersitz und schickte den Jockey zu seinem nachfolgenden Reitknecht.

Die Peitsche pfiff durch die Luft, die muthigen Rosse schlugen aus, und im Galop bog das leichte Fuhrwerk in die große Prater-Allee.

Obschon in diesem Augenblick der Hof, alle höheren Militairs und ein großer Theil des vornehmen Adels und der Diplomatie sich im Lager von Olmütz befanden, wo eben der Besuch des Kaiser Nicolaus stattgefunden, – war doch, aus den Bädern zurückgekehrt, vornehme und reiche Welt genug in Wien, um die tägliche Praterfahrt glänzend zu machen. Es war der erste October, ein prachtvoller Herbsttag, und Equipagen aller Art, besetzt von Damen in jener elegant harmonischen Toilette, durch welche die Schönen Wiens berühmt sind, kreuzten sich in der breiten vierten Allee, die dem Corso der vornehmen Welt vorbehalten scheint. Dazwischen Reitergruppen oder einzelne Reiter auf schönen Pferden, durch die sich Wien gleichfalls auszeichnet. Während der Tilbury der Magyarin in raschem Trab oder im Galop des Gespanns dahin flog und die geschickte Hand der Führerin nach rechts und links ausbog oder im wilden Lauf die Vorfahrenden überholte, erwiederte sie zahlreiche Grüße, die ihr von allen Seiten wurden, und mancher den Capitain um die schöne Nachbarschaft beneidende Blick folgte dem Gefähr.

Unter den Begegnenden befand sich ein großer schöner Mann von militairischem Aussehen, in eleganter Civilkleidung, der den feurigen Rappen, den er ritt, kräftig im Zügel hielt. Das Gesicht trug die fest geschnittenen, italienischen Formen, mit dem wachsartigen Teint; um Mund und Nasenflügel lag ein eigenthümlich scharfer Zug. Er verbeugte sich tief vor der Gräfin, die sehr freundlich, aber mit einiger Verwirrung den Gruß erwiederte und zugleich die Pferde zu noch rascherem Laufe anfeuerte.

Der Capitain lehnte über die Wand des Vordersitzes.

»Sie treiben die Pferde zu stark, Gräfin; es ist Gefahr, daß sie durchgehen.«

Sie lächelte spöttisch.

»Wie kann der tapfere Besieger des Ungarnvolkes von Gefahr sprechen? – Doch Sie haben Recht, Ali und Baba haben ihre Schuldigkeit gethan und uns aus diesem Gassen und Begegnen geführt. Jetzt mögen sie Ruhe haben.«

[298] Damit bog sie in eine Seitenallee, die fast leer war.

Indem sie das schöne Gespann nachlässig im leichten Trabe voran gehen ließ, setzte sie sich bequem in die Ecke des Sitzes zurück.

»Darf man fragen, warum Capitain Meyendorf nicht, wie halb Wien, mit seinem Onkel, dein Ambassadeur, in dem glänzenden Lager von Olmütz sich befindet?«

Der Capitain erröthete leicht.

»Außer Ihrem demüthigen Diener scheinen doch auch andere Militairs und Verehrer der Schönheit in den Ringmauern Wiens zurückgeblieben, so daß mein Verweilen wohl nicht auffallen kann. Graf Pisani zum Beispiel, von der sardinischen Gesandtschaft, dem wir eben begegneten.«

Die Dame lächelte.

»Sie sind eifersüchtig, Capitain?«

»Nein – aber ich fürchte!«

»Für mich?«

»Ja!«

»Und was könnte wohl Ihre Besorgniß für die Gräfin Laszlo, die Nichte eines Esterhazy, rechtfertigen?«

Der Offizier bog sich noch weiter vor, gleich als sollten selbst die Bäume umher seine leisen Worte nicht hören.

»Gräfin Helene besucht häufig die Gesellschaften der Frau von Czezani – die auch Oberst Pisani frequentirt!«

»Was mehr, mein Herr?«

»Die wiener Polizei ist berühmt, doch, Gräfin, entgeht auch ihr so Mancherlei. Warum soll ich nicht aussprechen, was doch stadtbekannt ist, – daß man in unserm Gesandtschaftshotel besser unterrichtet ist, als selbst Herr von Bach. – Ich kenne die Berichte über jene Cirkel.«

»Ich hätte nie geglaubt, daß Capitain von Meyendorf sich mit politischer Spionerie beschäftigen könnte.«

Der Offizier schwieg tief verletzt und lehnte sich zurück. Sie sah, daß sie zu weit sich hatte hinreißen lassen und legte mit bezaubernder Freundlichkeit die Hand auf seinen Arm.

»Ich habe Unrecht – aber bedenken Sie selbst, welche tiefe Erbitterung diese fortwährende geheime Polizei unter meiner Nation erregen muß. Frau von Czezani ist meine Jugendfreundin.«

»Ich weiß es, und deshalb warne ich so dringend. Ich weiß, daß unter der Maske von Soiréen der eleganten Welt sich dort [299] offen und geheim zusammenfindet, was die Hauptstadt an unruhigen revolutionairen Geistern in ihren höheren Schichten birgt. Die glänzenden geselligen Unterhaltungen, unbeargwohnt von ganz Wien, decken geheime Zusammenkünfte in entlegenen Zimmern, und Pläne, die ihre Fäden nach Pesth, wie nach Prag und Mailand senden und ihren Ausgangspunkt in London, Turin und Paris haben. Von hier aus datirte das geheimnißvolle Komplot im Juni mit dem Vergiftungsversuch und den Verhaftungen in Schönbrunn, dessen Zusammenhang die Polizei vergeblich zu erforschen suchte. Und mit Schmerz muß ich es sagen, ratz Gräfin Helene, die Zierde Wiens und ihres Vaterlandes, diesem dunklen Treiben nicht fremd ist, es wenigstens kennt und billigt.«

Die schöne Wittwe war während dieser Enthüllung bleich geworden, ihre feingeschnittenen Lippen kniffen sich fest auf einander.

»Es ist wahr, – was soll ich es leugnen,« sagte sie endlich stolz; »ich weiß von jener Abscheulichkeit Nichts, aber ich werde gern eine Märtyrerin sein für mein Vaterland, wie so viele bessere Frauen gewesen sind unter der Staubruthe des Prangers, wie in dem Moder österreichischer Kerker. Glauben Sie wirklich, daß das Blut der Bathyani, das in meinen Adern fließt, vergessen kann, daß mein Verwandter den Galgen zierte, daß es vergessen kann, Ungarns Rechte und Freiheiten?«

»Aber Ihr Oheim, Ihre Vettern sind auch Ungarn und doch gute Oesterreicher wie tausend Andere.«

»Sie sind Diener und Anhänger des Kaiserhauses. Ich aber habe die Milch meines Landes getrunken und bin in ihm groß geworden. Doch das sind Anschauungen des Gefühls und der Entscheidung jedes Einzelnen. Um Vieles nicht möchte ich Kummer auf das weiße Haar meines Onkels bringen und danke Ihnen deshalb für Ihre Warnung. Ich werde in drei Tagen auf meine Güter am Maros gehen. Will Capitain Meyendorf einen Theil der Jagdzeit auf meinem Schloß Bisztra zubringen, das er kennt, so findet er dort – wenn auch nicht durchgängig angenehme – Gesellschaft und wird willkommen sein.«

Der Capitain schwieg einige Augenblicke.

»Ich verlasse Wien wahrscheinlich noch früher wie Sie, Gräfin.«

»Wie das?«

»Man erwartet jeden Augenblick von Constantinopel eine entscheidende Nachricht. Der Kaiser ist gestern, wie Sie wissen, nach [300] Warschau zurückgereist und wird sie dort in Empfang nehmen. Ist die Pforte wahnwitzig genug, die Kriegserklärung zu beschließen, so werde ich wahrscheinlich als Courier zum Fürsten Gortschakoff gehen müssen. Ohnehin ruft mich dann meine militairische Pflicht in die Reihen der Donau-Armee.«

»Wissen Sie, Capitain, daß ich Ihnen dort näher sein werde, als Sie glauben?«

»Wie meinen Sie das, Gräfin?«

»Von der Familie meiner Mutter habe ich zwei Güter am Schyl in der Nähe von Krajowa geerbt. Sie sehen daraus, daß ich schon als gute Unterthanin des Sultans, meines Oberherrn, Ihre Gegnerin sein muß. Ich denke, noch in diesem Herbst, spätestens im Frühjahr, meine Walachen zu besuchen.«

»Das dürfte doch leicht zu gefährlich sein. Sollte es wirklich geschehen, so würde es mir hoffentlich leicht werden, ein Kommando in jener Gegend zu erhalten, um zu Ihrem Schutz bereit zu sein.«

»Sie sind zu galant, Capitain,« lächelte die Gräfin mit leichter Coketterie; »ich kann kaum annehmen, daß meine kleine Person wirklich einen Anspruch auf Ihr Interesse hat.«

Der Offizier bog sich über den Sitz weit vor.

»Sollte Gräfin Helene in der That nicht wissen, welches Bild in diesem Herzen lebt, seit ich sie damals auf Schloß Bisztra am Lager Ihres kranken Gemahls zuerst erblickte?«

Die Gräfin schwieg – Zügel und Peitsche ruhten achtlos in ihrer feinen Hand.

»Es in eine eigenthümliche Gelegenheit, es auszusprechen.« fuhr der Capitain mit bewegtem Tone fort, »aber Sie wissen, dem Soldaten gehört der Augenblick. Seit jener Zeit, seit ich Sie sah, Helene, liebe ich Sie innig und fest, so lange dies Herz schlagen wird. Als Mann von Ehre darf ich jetzt keine Frage an Sie richten, da ich im Dienst und bei den drohenden Verhältnissen nicht Herr meiner Selbst bin; ichmöchte es nicht – weil ich in Kampf und Tod wenigstens die Hoffnung mit mir tragen will, in diesem stolzen Herzen ein Gedächtniß zu finden. – Aber sagen, sagen mußte ich es Ihnen, ehe ich scheide – und jetzt, Gräfin von Laszlo, wissen Sie, warum ich in Wien blieb.«

Eine lange Pause folgte dem inhaltschweren Geständniß; auf [301] Stirn und Wangen der schönen Magyarin zeigte die Röthe ihre innere Erregung. Ein Kampf schien in ihrer Seele vorzugehen.

»Ich muß und will Ihnen dennoch eine Antwort geben, Herr Capitain. – Wissen auch Sie, warum ich aus den Reihen der Equipagen in dir einsame Allee einbog?«

Er schaute sie fragend an. Ihr dunkles Auge war zu Boden geschlagen, – sie achtete es nicht, wie leicht die Zügel ihrer Hand entglitten.

»Ich glaubte, – ich wußte, daß Sie mir das sagen würden, was ich eben gehört.«

»Helene!«

»Halt, mein Freund! – Sie wissen, daß ich jung einen greisen Gatten erhielt, den ich kaum zwei Jahre lang als meinen Vater ehrte.«

»Ich habe ihn gesehen. Sie pflegten den Greis wie einen beliebten.«

»Familienverhältnisse ließen mich seine Gemahlin werden, – er sah den Ausgang der Erhebung unseres Landes voraus, den sichern Ruin unserer Familie vor Augen und wollte mich, die er als Kind geliebt, retten und mir eine Zukunft bereiten. Ich wurde die Erbin aller seiner Güter.«

»Gräfin!«

»Still! was kümmert es uns, ob diese reich oder gering sind, ob diese Hand eine ihres Goldes wegen so vielbegehrte ist! – Krankheit fesselte meinen Gemahl an sein Schloß während des ganzen Krieges, obschon er an dem Aufstand keinen Theil nahm und jeden Verkehr mit den Führern so viel als möglich vermied. Aber mein Herz flog mit unsern Fahnen, meine Seele war in den Schlachten, die mein Volk kämpfte, meine Thränen flossen mit seinem Blut und meine Pulse jubelten mit seinen Siegen!«

»Und ich, Ihr Feind!«

»Da kommen Sie, mit den Armeen des Czaren, die Ungarn auf's Neue in Fesseln schlugen. Sie, die fremde Nation brachten die Ketten, die den erwachten Riesen zu Boden warfen. Welche Gefühle meinen Sie, müßte die Tochter Ungarns für den fremden Unterdrücker haben?«

Er schwieg.

»Doch Sie sind Soldat, Sie der Einzelne, Willenlose. Als solcher waren Sie edel und gut, – ich danke Ihnen viel, vielleicht [302] Ehre und Leben, als Sie die Marodeurs unserer eigenen Armee, – den Auswurf der Zerstreuten, Geschlagenen, bei der Plünderung unseres Schlosses überraschten und zurückschlugen. Sie schützten uns gegen alle weiteren Gefahren.«

»Auch das war Soldatenpflicht.«

»Es waren zwei Bilder, die in meiner Erinnerung blieben, derselbe Gegenstand und doch so verschieden, der Feind und der Freund.«

»Und welchen von beiden sehen Sie jetzt?«

»Es wird darauf ankommen. – Ich werde meine Hand nur einem Freunde Ungarns geben, nie seinem Feinde.«

Wiederum unterbrach ein längeres Schweigen das Gespräch. Dann sprach er mit tiefem schwerem Ton:

»Ich bin Soldat – aber ich bin auch Royalist aus fester innerer Ueberzeugung. Ich werde stets dahin gehen, wohin mein Kaiser befiehlt.«

Sie athmete schwer, ihre Stimme zitterte.

»Die drohenden politischen Stürme werden, auch ohne unser Zuthun, in vielen Ländern Veränderungen hervorbringen, – wie ich hoffe, auch in meinem Vaterlande.«

»Täuschen Sie sich nicht mit solchen Erwartungen und, ich beschwöre Sie und will für diese Bitte jede Hoffnung opfern, – denken Sie an das Schicksal der Gräfin Teleky. Bricht der Krieg aus, so wird Oesterreich sicher mobil machen und seine flavischen Provinzen besetzen und niederhalten; denn es weiß sehr wohl, daß ihm hier die nächste Gefahr droht. Geben Sie einen Traum auf, der nur zum Verderben führt.«

Die Hände ruhten gefalten in ihrem Schooß, – so jagten die Pferde, die Zügel am Boden schleifend – sie merkte nicht, – er merkte nicht auf die Gefahr. –

»So leben Sie wohl – meine Gebete geleiten Sie in den Sturm der Schlacht!«

»Helene!«

Sie reichte ihm stumm die Hand, die er an seine Lippen preßte. – – –

Aus einem Seitenweg brachen im Galop drei Reiter, Graf Pisani unter ihnen. Die Pferde vor dem Tilbury der Gräfin scheuten zurück, – die haltende Hand fehlte, im rasenden Lauf brausten sie dahin.

[303] »Um Gott – die Zügel!«

Die Gräfin saß bleich, rathlos in der Ecke ihres Sitzes. Tief von dem seinen bog sich der Offizier und versuchte vergeblich die Zügel zu haschen, die unter den Rädern dahin schleiften, und sich in die Füße der Pferde schlingend, diese nur noch scheuer machten.

Der leichte Wagen flog von einer Seite zur andern – jeder Augenblick drohte ihn zu zerschellen. Gräfin Helene hielt sich mit Mühe fest auf dem Sitz. Die plötzliche Todesgefahr hatte die Schwäche des Weibes in ihre volle Macht eingesetzt.

»Allmächtiger Gott – wer hilft?«

»Halten Sie fest, Gräfin, – ich versuche Alles!«

Während des rasenden Laufes, doch mit besonnener Vorsicht, schwang sich der Offizier, nachdem er seinen Degen von sich geworfen, von seinem Platz an die Teile des Wagens nach dem Auftritt zum vordern Sitz, darauf Fuß fassend. Der Auftritt war kaum anderthalb Fuß hoch vom Boden, und so, mit der Hand sich am Wagen selbst festhaltend, versuchte er die Leine zu haschen. Die ersten Versuche mißglückten, dann gelang es ihm, die Zügel zu erfassen, aber verwickelt in das Geschirr, wie sie waren, und durch das Anspringen der Pferde erhielt er von ihnen einen so gewaltigen Ruck, daß er die Balance und den leichten Halt verlor und schwer zu Boden stürzte. Ein lauter Aufschrei der Gräfin gellte in seine Ohren, – einen dunklen Schatten sah er vorüberfliegen, während er, die Zügel nicht loslassend, mehrere Schritte fortgeschleift wurde, dann ein plötzlicher Ruck, daß der Wagen erzitterte, und die wilden Renner standen wie eine Mauer. Als er sich aus der augenblicklichen Betäubung emporraffte, hielt Graf Pisani auf seinem schäumenden Renner vor dem Gespann und dessen Kinnketten in seiner kräftigen Faust. Dann den herbeispringenden Gesellschaftern die weitere Bändigung der Pferde überlassend, sprang der Graf aus dem Sattel und eilte, die halb ohnmächtige Dame von ihrem Sitz zu erheben, worauf er sie halb schwebend zu einem nahen Ruhesitz unter den Bäumen der Allee trug.

»Gerettet, und durch mich!« sagte der Italiener mit Bedeutung. »Ein glücklicher Tag, der mir zugleich die Hoffnung giebt, Sie nochmals zu sehen, Gräfin. Es sind vor einer Stunde höchst [304] wichtige Nachrichten eingegangen – alle Vertrauten versammeln sich bei der Czezani.«

Sie vermochte, erregt, alle Pulse fliegend, ihm nicht zu antworten, kaum zu stammeln:

»Mein Begleiter – der Capitain« – –

»Ah, sorgen Sie nicht,« lachte spöttisch der Graf. »Ein Bischen Schmuz – das ist ja ihr Element. Ein Russe macht sich Nichts daraus und kommt immer wieder auf seine Füße.«

Er beschäftigte sich eifrig um sie, die mit Gewalt die Aufregung überwand und sich schnell erholte.

»Wir rechnen sicher auf Ihr Erscheinen, Gräfin, – es ist dringend, ich muß Sie sprechen.«

»Ich werde kommen. – Doch wo ist Herr von Meyendorf?«

Sie wandte umherblickend das schöne Haupt, – ihr Auge traf auf den Capitain, der kaum zwei Schritt von ihr stand, finster die Gruppe messend, beschmuzt vom Staub des Weges, den Uniformrock an mehreren Stellen zerrissen. –

Die Gräfin stand rasch auf und reichte ihm die Hand.

»Welcher Gefahr haben Sie sich um meinetwillen ausgesetzt, – Sie konnten sich tödten!« – Indem bemerkte sie dunkle Blutstropfen, die seine linke Manchette färbten und an der Hand herunterrollten. – »Mein Gott, Sie bluten – Sie sind schwer verletzt?«

»Nur unbedeutend – das scharfe Eisen ritzte mir den Arm. – Diesmal,« fügte er mit kaltem Lächeln hinzu, »blute ich wenigstens für Ungarn.«

»Es ist unser Handwerk,« sagte der Graf, »und der Herr Capitain achtet dessen um so weniger, als vielleicht russisches Blut bald in Strömen vergossen werden wird.«

»Vielleicht bietet sich auch die Gelegenheit, die Farbe des sardinischen zu erproben!«

»Ich hoffe,« entgegnete der Oberst stolz, »daß Seine Majestät, der König Victor Emanuel, uns diese durch seinen Beitritt zu den Westmächten gewähren wird.«

Die Gräfin unterbrach die bitteren Worte, die wie Pistolenkugeln herüber und hinüber flogen.

»Die Pferde sind beruhigt, Dank Ihrer muthigen Geschicklichkeit, Herr Oberst. – Ich glaube, ich kann ohne Gefahr meinen Sitz wieder einnehmen.«

[305] »Darf ich mir erlauben, meine Dienste anzubieten, da der Herr Capitain wahrscheinlich vorziehen wird, die Rückkehr seines Dieners mit neuen Kleidern aus der Stadt zu erwarten?«

»So wollen wir das gemeinschaftlich thun; ich bitte, Capitain, senden Sie rasch.«

»Es ist bereits geschehen,« sagte der Offizier, der seinem eben herbeigekommenen Reitknecht den Befehl gegeben und den Zügel seines Reitpferdes in die Hand genommen hatte. »Indeß bitte ich dringend, gnädigste Gräfin, sich meinetwegen nicht aufzuhalten. Ich werde im nächsten Café die Rückkehr meines Dieners erwarten und bedaure mir, daß der Unfall mich hindert, die mir vom Fürsten, Ihrem Oheim, übertragene und von mir schwer vernahlässigte Pflicht besser zu Ende zu führen. Der Herr Oberst wird sicher aufmerksamere Sorge tragen.«

Sie sah ihm erstaunt in das Auge, das kalt und gemessen dem ihren begegnete. Dann ging sie stolz nach dem Wagen, an dem die beiden Begleiter des Grafen noch hielten. Die Pferde hallen sich vollständig beruhigt, der Jockey stand an seinem Platz.

»Darf ich das Glück haben, den Rosselenker zu machen?«

»Nein,« sagte sie kurz abgestoßen, »ich will selbst fahren; man würde sonst glauben, ich hätte mich gefürchtet.«

»So erlauben Sie mindestens, daß wir Sie zu Pferde begleiten; unmöglich können wir Sie allein lassen.«

Sie nickte stumm und ließ sich auf den Sitz heben, wo sie die Zügel aus des Jockey's Hand empfing. Während die Cavaliere sich auf die Pferde schwangen, wandte sie sich noch ein Mal zu ihrem früheren Begleiter, der mit kalter Höflichkeit an der Seite des Wagens stand.

»Werde ich Sie noch sehen vor Ihrer Abreise?«

Ein eisiger Blick begegnete ihrem fast zärtlich fragenden Auge.

»Die Gräfin von Laszlo hat der Freunde so viele, die sie sehen und sprechen muß, daß ich ihre kostbare Zeit nicht beschränken darf.«

Der Wagen flog dahin, – er sah die Thräne nicht, die sie im stolzen Zorn zwischen den dunklen Wimpern zerdrückte.

Aber am Boden sah er es weiß schimmern, das Tuch der Gräfin, das ihr entfallen. Das hob er auf und preßte es an das heiße Gesicht und barg es auf dem tief verletzten Herzen. – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[306] In der Nähe des Palais beurlaubten sich die Reiter von der schönen Gräfin, und Oberst Pisani kehrte nach seiner Wohnung zurück. Als er dort ankam, fand er am Hausthor lehnen und auf ihn harren einen Mann von wildem kühnem Aussehen. Der Fremde mochte an zehn Jahr mehr als der Oberst zählen, der eben das vierzigste angetreten, doch zeigten nur wenig ergrauende Haare am Scheitel und in dem kräftigen Bart, der den untern Theil des Gesichts bedeckte, das beginnende Alter. Obschon der Mann in gewöhnlichen wenig auffallenden Kleidern steckte, schien doch sein ganzes Ich nicht hinein zu gehören, und hätte über dem funkelnden schwarzen Auge der bänderverzierte spitze Calabreser gesessen, wäre die breite gewölbte Brust statt von Rock und Weste von dem rothen silbergestickten Latz des römischen Banditen bedeckt gewesen, mit seinen Uhren, Ketten, Ringen und Amuletten beladen, – um den Leib die neapolitanische Binde geschlungen mit den Pistolen darin und den Stilets, – das hätte der passende Anzug geschienen für die sehnige mittelgroße Gestalt, die kräftigen Beine, die den Bergbewohner verriethen, und das ganze Wesen des Mannes, daß, die Flinte in der Faust, den Gegner auf Tod und Leben zu bedrohen schien.

»Ah, Signor, das nenn' ich pünktlich,« sagte der Sarde laut zu dem Fremden, indem er sich vom Pferde schwang. »Kommen Sie mit hinauf zu mir, damit wir unsern Handel abschließen.« Damit klopfte er das treffliche Roß kosend auf den Nacken. »Du hast mir heute einen großen Dienst erwiesen, Diavolo, der mich meinem Ziele um Vieles näher bringt, und sollst doppelte Ration haben zum Dank.«

Er übergab es dem Stallknecht und befahl ihm besondere Sorgsalt für das schöne Thier, dann lud er den Fremden nochmals ein, ihm zu folgen und führte ihn hinauf in sein Zimmer.

Dort warf er sich auf's Sopha, winkte seinem Begleiter, sich niederzulassen und änderte sofort den Charakter der Anrede.

»Nun, Sta Lucia,« sagte der Oberst, indem er ein Cigaretto nahm und dem Fremden die Büchse derselben zuschob, »ich habe, was Ihr braucht, ermittelt, und es wird gut sein, wenn Ihr Euch bereit haltet, morgen mit dem Frühzug nach Pesth abzureisen.«

»Warum, Signor Conte? – es gefällt mir recht gut hier, ich bin erst drei Tage in Wien und habe die Fahrt noch in den Knochen.«

[307] »Vorerst, mein Bester,« entgegnete der Graf, behaglich die Dampfwolke verfolgend, die er von sich blies, »taugt die wiener Luft nicht besonders für Leute Eures Schlages, die unter Garribaldi gefochten und außerdem so ein anderthalb Dutzend Personen ohne Absolution und Vollmacht aus der Welt spedirt haben, die Andern nicht gerechnet, die nachgekommen und von denen ich Nichts weiß. Wien ist ein heißes Pflaster und man liebt uns Italiener nicht gar zu sehr hier.«

»Ich bin Franzose, Signor!«

»Ah, ich vergaß. Das liebe Corsika ist ein französisches Departement und liefert Frankreich seine Kaiser und seine Banditen. Aber abgesehen davon möchte die Rückreise Euch sonst Schwierigkeiten machen, das nächste Dampfschiff, welches die Donau hinabfährt, dürfte wahrscheinlich das letzte sein.«

»Wie so?«

»Das werde ich Euch besser fünf Minuten vor der Abfahrt sagen. Genug, Eure Rückkehr nach Constantinopel hat Eile, denn es wird dort jetzt reichliche Beschäftigung geben. Hier ist zunächst die Auskunft, die das Comité in Constantinopel verlangt und wegen deren Ermittelung es Euch hierhersandte, da Ihr Euer Lebelang nicht hier gewesen, also kein Wiedererkennen zu fürchten hattet.«

»Darf ich fragen, Signor Conte, ob sich der Verdacht bestätigt hat?«

»Das kann ich Euch so bestimmt nicht sagen, und müßt Ihr selbst an Ort und Stelle durch Vergleichung, des Signalements ermitteln. Daß der capitano tedesco Robert Blum in dem bezeichneten Hause sich versteckt hielt und durch einen Bewohner desselben angezeigt wurde, steht fest. Der Mann ist später von Wien fortgezogen, weil er Verfolgungen fürchtete, und es ist richtig, daß er nach dem Orient gegangen sein soll. Der Name stimmt freilich nicht, aber das ist kein Hinderniß. Das möglichst genaue, hierbei befindliche Signalement wird entscheiden, ob die erhobene Anklage des Comité's begründet ist.«

»Giebt sie ein besonderes Kennzeichen an?«

»Eine starke Narbe an der linken Schläfe.«

»Per bacco! es ist unser Mann!«

»So sind wir fertig. Seid Ihr mit einem Anzug versehen, um Euch in eine Gesellschaft einführen zu können?«

»Der Teufel hole die verwünschten Kleider, in denen man [308] sich überall zu enge fühlt. Was ich auf dem Leibe trage ist Alles, was ich habe.«

»So ist hier Geld, Ihr werdet in jedem Kleidermagazin das Nöthige finden. Binnen einer Stunde müßt Ihr elegant equipirt bei mir sein, um mich an einen Ort zu begleiten, wo ich Euch als den Marchese Lucaboni vorstellen werde. Es ist möglich, daß man Eurer dort für Auskunft und Instruction in Betreff Constantinopels bedarf.«

Der Corse steckte das Geld ruhig in die Tasche, zündete sich ein neues Cigaretto an und empfahl sich.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ungefähr anderthalb Stunden nach der vorerzählten Scene rollte ein elegantes Coupé auf der Straße nach Hietzing, diesem von Villen und schönen Anlagen gebildeten, beliebten Sommeraufenthalt der Wiener. Obschon die Jahreszeit weit vorgeschritten, wohnten doch viele vornehme Familien noch hier und die schöne Herbstwitterung erlaubte selbst noch einen großen Theil der Abende im Freien zuzubringen.

Der Cirkel, welcher sich an zwei Abenden in der Woche in dem eleganten Landhause versammelte, das Frau von Czezani, eine geborene Ungarin, in Hietzing bewohnte, bildete eine interessante Gesellschaft aus den verschiedensten Kreisen der lebenslustigen Residenz, und man fand hier – so weit die Bäder- und Sommerreisen sie nicht entführt – Mitglieder der Aristokratie und Diplomatie, Koryphäen der Geschäftswelt, Fremde, Offiziere und Künstler. Ganz natürlich erschien es dabei, daß namentlich Ungarn das Haus ihrer Landsmännin besuchten. Ein Vorgarten schied die elegant erbaute Villa von der Straße und diente mit dein offenen Vestibüle und dem die ganze Mitte des Gebäudes einnehmenden Salon gewöhnlich zum Aufenthalt der Gesellschaft, so daß so zu sagen aller Verkehr öffentlich und vor den Augen des Publikums sich bewegte, und also um so weniger Aufmerksamkeit oder Verdacht erregen konnte. Rechts und links vom Salon befanden sich die Spielzimmer, hinter dem Hause schloß sich, wie gewöhnlich bei den Villen, ein ziemlich großer, mit modernen Anlagen gezierter Garten an. Einen Seitenflügel des Gebäudes bildete ein Gewächshaus, an dessen Ende ein großer gemauerter Pavillon stieß, für Sommer und Winter zum Bewohnen geeignet. Die Laubgänge und dunklen [309] Boskets des Gartens umschatteten ihn und verbargen auf diese Weise den äußern Zugang.

Die Gesellschaft war an diesem Abend bereits ziemlich zahlreich anwesend und hatte sich im Garten um eine fremde Schönheit gruppirt, deren Ruf ihr voran gegangen und die vor einigen Tagen in Wien eingetroffen und durch einen Empfehlungsbrief bei Frau von Czezani eingeführt war.

Es war die spanische Tänzerin, der wir bereits in Paris und Berlin begegnet sind.

Während ein Kreis von Verehrern um die Spanierin eine lebhafte Conversation unterhielt, promenirten einzelne Gruppen im Garten und Salon. Graf Pisani suchte die Dame des Hauses auf, der er laut seinen Begleiter als den Marchese Lucaboni präsentirte, worauf er es diesem überließ, sich so gut wie möglich zu unterhalten oder durchzuhelfen, und sich in der Gesellschaft verlor.

Er selbst ging durch den Salon nach dem hintern Garten, in dem verschiedene Paare promenirten. Sein scharfer Blick fand bald Personen heraus, die er suchte und er folgte zweien, die im eifrigen halbleisen Gespräch vertieft waren. Die eine war ein kleiner magerer Abbé mit fuchsartigem Gesicht und scharfen, stechenden Augen, Italiener wie der Graf; die andere war der Banquier, dessen Mission nach Wien im Rath der »Unsichtbaren« der Leser beigewohnt hat.

Als der Graf zu ihnen trat, geschah es an einer Stelle des Gartens, an der sie durch die freie Umgebung vor jedem Lauscherehre gesichert waren.

»Ich erwartete kaum, Sie schon hier zu finden, Baron,« sagte der Graf, »und glaubte Sie noch mit der Fluth der Geschäfte überhäuft, die diese wichtige Nachricht mit sich bringen mußte. Wie haben Sie Ihre Dispositionen getroffen?«

»Der Herr Abbé war so gütig, mir zu helfen, über dies waren alle Vorbereitungen getroffen. Um 7 Uhr ist mein erster Commis mit der Eisenbahn abgegangen und giebt in Brünn die Depeschen nach Berlin, Paris und London zur telegraphischen Beförderung auf. Man wird sie an allen drei Orten morgen mindestens zwei bis drei Stunden vor Eröffnung der Börsen haben, und die Geschäfte können vollständig vor deren Beginn abgemacht sein. Ein Milliönchen, Herr Graf, ein Milliönchen mindestens muß [310] selbst der Schlag eintragen, abgesehen von den Vortheilen für die Verbindung.«

Er rieb sich vergnügt die Hände.

»Aber warum gingen Sie nicht lieber selbst bis Brünn? Es wäre weit sicherer gewesen.«

»Der Baron,« meinte der Abbé, »muß nothwendig in Wien bleiben, seine Abreise hätte Verdacht erregen können, und er allein konnte die Speculation hier ausführen.«

»Glauben Sie hier noch zu reüssiren? Wie hoch rechnen Sie genau den Vorsprung unserer Nachricht?«

»Die Depesche ist darüber natürlich sehr unklar, indem sie ihren wahren Inhalt unter einer gleichgültigen Mittheilung verbergen mußte. Danach ist am 26. die Kriegserklärung im großen Rathe beschlossen worden. Nehmen wir an, daß der Tartar am 26. Mittags Constantinopel verlassen hat. Fünf bis sechs Tage braucht die Botschaft bis Belgrad. Der Pascha wird sie demnach heute Morgen erhalten und unserm Agenten ausgehändigt haben, der uns von Semlin aus die verabredete Actienzeichnung telegraphirt hat. Nach dem Uebereinkommen giebt Hussein Pascha die Depesche erst zwölf oder achtzehn Stunden nach der Ueberlieferung an uns an den österreichischen Consul ab, dies wird also erst morgen früh geschehen, und die offizielle Nachricht, die verschiedenen Verzögerungen mitgerechnet, nicht vor morgen Mittag hier eintreffen, wenigstens nicht bekannt werden. In jedem Fall haben wir an den drei andern Börsen die Avance, wahrscheinlich auch hier; denn man wird sie nicht eher veröffentlichen, als bis Bescheid von Olmütz eingetroffen 1

»Die Berechnung scheint mir allerdings richtig. Sind Ihre Depeschen nach auswärts auch der Art abgefaßt gewesen, lieber Baron, daß sie den Telegraphenbeamten unverständlich bleiben und arglos weiter befördert werden?«

»Vollständig. Als ich vor vierzehn Tagen zuletzt in Paris war, ist die genaue Verabredung getroffen. Die Zahlen der Course bilden die geheime Chiffre der Worte.«

»So müssen wir den Erfolg abwarten. Ich werde Sie jetzt verlassen, um durch unser Zusammenbleiben keinen Verdacht zu erregen. [311] Sobald die Gesellschaft sich etwas gelichtet und Sie die Zurückgebliebenen beschäftigt sehen, treffen wir uns wie gewöhnlich im Pavillon.«

Während er zurückkehrte in den Gesellschaftskreis, wandelte das Paar noch einige Male in den Gängen auf und ab.

»Wir wurden unterbrochen durch Pisani,« sagte der Abbé; »der Gewinn, die Habsucht regiert und füllt die Seele dieses Mannes. Auf die Befriedigung dieser Leidenschaft zielen alle seine Pläne. Nebenbei ist er ehrgeizig, schlau und namentlich kühn, – man muß dies anerkennen. – Der Plan also, den Sie mir entwarfen hat bereits die Zustimmungen in Paris erhalten?«

»Er ist in der vollen Ausführung begriffen. Gedenken Sie wohl. Der Credit und das baare Vermögen Europa's sind offenbar gegenwärtig in den Händen des Hauses Rothschild. Abgesehen davon, daß die Mitglieder desselben dem orthodoxen Judenthum angehören, also schon dadurch Feinde aller revolutionairen Prinzipien sind, dringt es die eigenthümliche Stellung, die sie in Europa einnehmen und welche die einer souverainen erblichen Macht ist, mit sich, daß sie nur in der Aufrechthaltung des monarchischen Systems ihre Sicherung und ihren Vortheil sehen.«

»Aber sie haben eben so gut mit Karl X. wie mit Louis Philipp und Louis Napoleon Geschäfte gemacht.«

»Ich sage auch, wohl zu merken, in der Aufrechthaltung des monarchischen Systems, nicht der Dynastieen. Diese sind ihnen gleichgültig. Die Monarchen aber sind ihr persönlicher Schutz, außerdem bietet das Königthum immer mehr Gelegenheit zur Influirung und Dominirung. Eine social revolutionaire Reform der Staaten würde auch sie sofort von ihrem goldenen Thron stoßen. Selbst wenn die Prinzipien allgemeiner Gleichheit und Theilung, die doch nur der Köder für die einfältige Menge sind, glücklich an ihnen vorübergingen, wäre es aus mit ihrer Herrschaft im Geschäftsleben.«

»Die Speculation würde über die einzelne Gelbmacht siegen.«

»So ist es. Die Rothschilds sind demnach streng conservativ und royalistisch, und werden dies Princip stets mit ihren colossalen Mitteln unterstützen. Es gilt nun, eine Macht ihnen gegenüber zu stellen, welche die ihre brechen kann. Das ist: das Kapital Aller gegen das Kapital des Einzelnen.«

»Ich verstehe Sie noch nicht ganz.«

[312] »Die Staaten, die Privaten besitzen noch immer mehr als das Hundertfache in reellen Werthen, was die Rothschilds doch zum größten Theil problematisch, das heißt im Credit der Papiere besitzen. Man versucht nun ein Unternehmen zu gründen, welches einen großen Theil dieser materiellen Werthe concentrirt; der Credit und die problematischen Werthe, die sich weiter daran knüpfen, werden dann ungeheuer sein. Mit diesen Mitteln in Händen wird man mit Erfolg gegen die Rothschilds kämpfen und sie endlich erdrücken.«

»Ich begreife das.«

»Man wird mit diesen beweglichen Mitteln, mit diesem Crédit mobilier, alle staatlichen und privaten Unternehmungen an sich bringen und sich zu deren Herren aufwerfen können. Die Eisenbahnen, die Banken, die Bergwerke müssen uns in die Hände fallen. Sie haben die Anfänge bereits hier in Wien gesehen. Das Institut ist ein freies bewegliches, es kann überall in's Leben treten, überall seine Speculationen verbreiten. Wir richten unser Augenmerk zunächst auf Frankreich, – in weiterer Folge auf Oesterreich und Spanien, weil das die in ihren Finanzen bedrängtesten Staaten sind und jede herbeischaffende Speculation begünstigen werden. In Paris hat das Unternehmen bereits festen Fuß gefaßt. Der Kaiser Napoleon hat viele tüchtige Regenteneigenschaften, aber er ist kein Finanzmann. Der beginnende Krieg wird enorme Summen und Anlehen absorbiren, die napoleonische Eitelkeit gegenüber dem andern Europa desgleichen.«

»Aber der directe Zweck für uns, die Erfolge für die Revolution?«

»Sie liegen auf der Hand, Abbé, und ich begreife nicht, wie ein Mann von Ihrem Scharfsinn sie nicht sofort übersieht. Zunächst der bedeutende Gewinn, den die Verbindung aus allen diesen Geschäften ziehen muß. Geld ist Macht. Das Pfand- und Eigenthumsrecht über die Institute und Nerven des öffentlichen Verkehrs ist von nicht zu übersehendem Einfluß. Das Wichtigste aber von Allem, was das Schicksal Europa's in die Hände der ›höchsten Gewalt‹ legt, das ist –«

»Nun?«

»Das ist der Staatsbankerutt, der allgemeine Bankerutt der Nationen, der jeden Augenblick in der Macht der Unternehmer liegt. Denken Sie die kolossalen socialen Folgen, welche [313] ein solcher unter den jetzigen Verhältnissen haben muß, selbst wenn er nur nach einer oder der andern Seite hin ausgeführt wird!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

An dem Treppenaufgang der Villa traf Graf Pisani auf die Wirthin des Hauses, etwas erregt mit dem Kammerdiener und der Zofe scheltend.

»So geht es im häuslichen Leben, Graf, immer Aerger und Verdruß.«

»Und was erzürnt Sie, schöne Frau?«

»Mein zweiter Diener ist schon vor mehr als zwei Stunden nach der Stadt geschickt, um Allerlei zu holen, und der Mensch läßt uns im Stich und kommt nicht wieder. Ich habe ihm heute Morgen den Dienst gekündigt, weil er mir ohnehin nicht gefällt, und nun trotzt er wahrscheinlich, weil ich auf seine dringenden Bitten und Vorstellungen nicht nachgab.«

»Ei, gnädige Frau, das sind kleine Unannehmlichkeiten, wie sie jeder Haushalt mit sich führt. Darf ich das Vergnügen haben, Sie zu begleiten?«

Die Gesellschaft hatte sich mit dem Abend zum Theil wieder entfernt, zum Theil in den Salon und die Spielzimmer zurückgezogen. Der Graf sah sich mit Frau von Czezani einige Augenblicke allein.

»Ist die Gräfin gekommen?«

»Vor einer Viertelstunde. Ich glaube, sie befindet sich bereits im Pavillon und erwartet Sie.«

»Ich darf doch sicher auf den versprochenen Beistand rechnen, schöne Frau? Die Ereignisse drängen sich jetzt, und ich habe heute Mittag einige Bemerkungen gemacht, die mir Besorgniß einflößen würden, wenn der Zufall mir nicht glücklich zu Hilfe gekommen wäre.«

»Verlassen Sie sich ganz auf mich. Ich folge ihr nach Schloß Bisztra, und wenn Sie uns dort besuchen, werden Sie sie für Ihre Absichten möglichst vorbereitet finden. – Doch sagen Sie um des Himmels willen, Graf, wer ist dieser Pseudo-Marchese, den Sie uns heute zugeführt? Denn daß Titel und Namen falsch sind, sieht man auf zehn Schritt, und ich fürchte mich wirklich stark zu compromittiren, so unheimlich scheint ihm in unserer Gesellschaft, und so unheimlich wird mir in der seinen.«

Pisani lachte.

[314] »Es ist ein gezähmter Wolf und nicht zu fürchten. Sie sehen in dem lieben Marchese ein vollkommenes Exemplar eines Corsen vor sich, der einige kleine Unannehmlichkeiten gehabt hat. Sta Lucia schwor, seinen unschuldig von den Geschworenen auf die Galeere geschickten Bruder an den achtzehn falschen Zeugen zu rächen, die seine Verürtheilung herbeiführten. Er hat Wort gehalten; dem Einen hat er, nachdem er sich mit der Polizei nach der ersten Affaire gründlich überworfen, eine Kugel in den Leib geschickt, den Andern die Augen ausgedrückt, noch Anderen furchtbare Verstümmelungen beigebracht. Ein Einziger war noch übrig, der Schuldigste von Allen, der Anstifter des Verbrechens, der in seinem Hause in Ajaccio sitzen blieb. Als er eines Sonntags zur Kirche ging, warf ihn am hellen Mittag ein Dolchstich auf der Schwelle der Kirche zu Boden. Sta Lucia durchschreitet ungefährdet wie der Engel des Todes die Menge, läuft nach dem Meere und besteigt im Angesicht der ganzen Bevölkerung wieder die Barke, die ihn hergebracht. Später schloß er sich der Truppe Garribaldi's an, wo ich um kennen lernte, und lebt jetzt in Constantinopel.«

»Aber mein Gott, – ich habe mein ganzes Silberzeug so offen stehen – er wird doch nicht –«

»Keine Besorgniß, schöne Wirthin. Unser Freund ist Bandit aus Liebhaberei, aber kein Spitzbube. Sie könnten Säcke Gold offen stehen haben, und er würde sie nicht anrühren. Doch ich eile zu unserer kleinen Gräfin, der die Zeit lang werden dürfte. Beschäftigen Sie möglichst alle Uneingeweihten.«

Er verließ die Dame und begab sich nach kurzem Verweilen in der Gesellschaft durch das Gewächshaus nach dem daran stoßenden Pavillon, der ein achteckiges Gemach bildete, in dem für allen Schein ein Spieltisch arrangirt war, während eine Ampel nur im Halblicht das Gemach erhellte und die Läden fest geschlossen waren.

Er fand die Gräfin Helene Laszlo dort im eifrigen Gespräch mit dem Banquier und seinem Begleiter und einem alten Herrn, dessen faltenreiches Gesicht den scharfen sarmatischen Schnitt trug, Haar und Bart aber die Schneefarbe des Greisenalters.

»Ich sehe,« sagte der Oberst zu der jungen Wittwe, »unsere Freunde sind mir bereits zuvorgekommen, und haben Sie von der wichtigen uns heute Nachmittag zugekommenen Nachricht unterrichtet. Am 26. ist in Constantinopel die Kriegserklärung beschlossen worden, sie wird natürlich sofort erfolgen und die Feindseligkeiten [315] an der Donau werden alsbald beginnen. Damit ist auch für uns die Zeit eines energischen Handelns gekommen. Erringt der Sirdar, was bei der Schwäche der Russen kaum zu bezweifeln ist, an der Donau Vortheile, so kann jeder Aufstandsversuch in Ungarn sich auf ihn lehnen, er wird ihm den Rücken decken.«

»Aber die Wunden meines Landes sind noch tief und schwer; so sehr ich es wünsche, glaube ich kaum, daß es schon wieder die Kraft haben wird, dem Feinde entgegen zu treten.«

»Ein Volk verliert nie die Kraft, für seine Freiheit zu kämpfen, und ob Ströme seines Bluts vergossen werden. Wie aus der Kadmus Saat wachsen aus dieser geharnischte Männer. Ich meine auch keineswegs, daß die Erhebung sogleich erfolgen soll. Es ist vorerst nur nöthig, daß das Volk, und namentlich im Süden, auf die Bedeutung des orientalischen Krieges, auf diese Gelegenheit, seine Freiheit zu erringen aufmerksam gemacht, und daß die Verbindung mit den Ungarn in Omer's Armee hergestellt wird. Für den erstern Zweck hat das Comité in London entsprechende Proclamationen bereits erlassen. Wir rechnen auf Sie, Gräfin, uns bei der Verbreitung in den Theißgegenden behilflich zu sein.«

»Ich habe bereits mit der Frau Gräfin das Nöthige verabredet,« unterbrach der alte Magyare. »An einem geeigneten Ort auf einem ihrer Güter wird eine Druckerei errichtet werden. Der Herr Abbé übernimmt es, für ein zuverlässiges Personal zu sorgen.«

»Sehr gut, Doctor, wir verlassen uns ganz darin auf Ihre alte Erfahrung. Was den zweiten Punkt anbetrifft, so wird man besondere Vorsicht wegen des verstärkten Gränzcordons anwenden müssen. Es handelt sich vor Allem um erste ausführliche Besprechungen.«

»Ich werde von Bisztra aus meine Güter in der kleinen Walachei bei Krajova besuchen. Hier kann die Verständigung leicht erfolgen.«

»Das ist der beste Plan. Wenn die Frau Gräfin ihre Einladung nicht zurücknimmt oder mich nicht dringende Geschäfte abhalten, werde ich schon Ende dieses Monats die Ehre haben, ihr meinen Besuch zu machen.«

»Mein Retter von heute kann nur willkommen sein.«

»Wissen Sie schon, Herr Graf, die Nachricht, die uns hier eben Doctor Todd aus dem Ministerium des Auswärtigen von Olmütz bringt?« fragte der Banquier.

[316] »Nun?«

»Kaiser Franz Joseph, statt morgen, wie bestimmt war, hierher zurückzukehren, reist mit Herrn von Buol nach Warschau; eine Zusammenkunft zwischen ihm, dem Kaiser Nicolaus und dem Könige von Preußen soll dort stattfinden.«

»Das ist neu und – gefährlich!«

»Ich hoffe nicht,« sagte der Abbé. »Es gilt nur eilig unsere Freunde in Constantinopel zu benachrichtigen, daß alles Mögliche aufgeboten werden muß, eine Verzögerung im Beginn der Feindseligkeiten zu verhindern. Ist der Krieg erst im Gange, so sind alle Vermittelungen unnütz.«

Während des Gesprächs war Frau von Czezani auf einige Augenblicke eingetreten.

»Zum Glück habe ich die Nothwendigkeit sicherer Botschaft vorausgesehen. Ich habe den Boten sogar mit hierhergebracht.«

»Ich wollte meine Freundin bitten,« sagte die Dame des Hauses, »mit mir nach dem Salon zurückzukehren, man hat bereits nach ihr gefragt, und Vorsicht ist nöthig.«

»Ich habe Ihnen Allen eine wichtige Mittheilung zu machen, die ich in der Aufregung des Gesprächs beinahe vergessen,« rief die junge Gräfin. »Wissen Sie, daß unsere Zusammenkünste verrathen sind, daß man weiß, was unsere Gesellschaften verbergen sollen, – daß ich selbst auf das Bestimmteste gewarnt worden bin?«

Alle traten unruhig näher, mehrere Gesichter, namentlich das der Wirthin, wurden bleich.

»Unmöglich! Woher wissen Sie das?«

Die Wangen der Gräfin färbte eine dunkle Röthe.

»Das ›Woher‹ ist mein Geheimniß. Ich kann Sie jedoch heilig versichern, daß dem so ist.«

»Aber wenn die Polizei eine Ahnung hätte, wurde man bereits eingeschritten sein.«

»Nicht die Regierung ist davon unterrichtet, wenigstens zur Zeit noch nicht, – andere Personen. Ich glaube, daß wir der Gefahr begegnen werden, wenn wir die heutige Zusammenkunft hier die letzte sein lassen. Ich reise in den nächsten Tagen und Frau von Czezani braucht nur die Empfangsabende aufzuheben und mir zu folgen.«

»Aber so geben Sie uns doch einen Fingerzeig, damit wir dem Verräther auf die Spur kommen können,« sagte der Abbé.

[317] Der Oberst zog die schwarzen Brauen zusammen. Der scharfe Zug um seinen Mund zeigte entschlossene Härte und Grausamkeit.

»Der Tod muß nothwendig seinen Mund verschließen.«

– Ein leises kurzes Aechzen scholl durch das Gemach – Alle sahen sich erschrocken und fragend an – dann schüttelte Jeder verneinend den Kopf.

Die Augen liefen umher, gleich als könnten sie entdecken, woher der Laut gekommen man lauschte nach den Fenstern – –

Da plötzlich wies der Abbé stumm mit dem Finger nach dem Kamin.

Eine hölzerne Vorsatzthür verdeckte das Innere. Das scharfe Auge des Priesters hatte eine kaum merkliche Bewegung des Holzes erfaßt.

Wie ein Tiger sprang der Oberst auf den Ort los und riß mit einem Griff die Thür heraus – – im Innern des Kamins hockte zusammengekrümmt ein Mensch, mit bleichem, erschrockenem Gesicht, in Bedientenlivree.

Die Hand des Grafen riß ihn heraus, mitten in's Zimmer. Dort fiel die Jammergestalt auf die Knie und streckte stehend die gefaltenen Hände empor – die Zunge schien ihm vor Schreck und Angst den Dienst zu versagen.

»Johann – mein Diener!«

Der Oberst erinnerte sich dessen, was er vorhin zufällig von dem Ausbleiben des Menschen gehört.

»Wie kommst Du hierher?«

»Ach, gnädige Frau, verzeihen Sie mir,« jammerte der Elende. »Bei allen Heiligen im Himmel, ich kam zufällig herein und versteckte mich, wie ich die Herren kommen hörte.«

Jeder fühlte, daß der Mensch log, – daß er der Spion war, welcher sie verrieth. Die beiden Damen zitterten und waren leichenblaß.

»Das lügst Du, Bursche!« sagte der Oberst mit kalter Ruhe. »Zunächst wollen wir Dir ein Mal etwas näher auf den Zahn fühlen und Deine Geständnisse hören, zuerst uns aber Deiner versichern. Baron, reichen Sie mir den Shawl dort her!«

»Gnädige Frau – Sie werden mich doch nicht ermorden lassen! – Ich will ja Alles gestehen! – Zu Hil ...«

Die feste Hand des alten Ungars preßte sich auf den Mund des Elenden, daß der Ruf in seiner Kehle erstickte. Zugleich [318] schnürte der Oberst ihm mit Hilfe des Abbé den Shawl um Arme und Leib. Dann zog er aus der Brusttasche ein feines glänzendes Stilet, dessen Klinge er vor den starrenden Augen des Unglücklicken auf dem Nagel des Daums probirte.

Gräfin Helene stürzte auf ihn zu und fiel ihm in den Arm.

»Allmächtiger Gott, Sie werden den Menschen doch nicht morden wollen?«

»Wenn es nöthig ist, schöne Gräfin, warum nicht? Jeder ist sich selbst der Nächste. Aber beruhigen Sie sich, dies Instrument soll ihn nur ein Wenig schrecken und die Wahrheit an's Licht bringen. Das ist jedoch keine Scene für Damennerven und ich bitte Sie, sich zu entfernen.«

»Nicht eher, als bis Sie mir Ihr Wort geben, kein Blut zu vergießen!«

»Auf mein Ehrenwort, – es soll kein Blut vergossen werden! Baron Riepére, ich sehe Sie zittern, wie diese Damen; reichen Sie der Frau Gräfin den Arm und führen Sie dieselbe zur Gesellschaft. – Ich bitte, nehmen Sie sich zusammen; unser Aller Freiheit und Leben steht auf dem Spiel.«

Der Banquier beeilte sich, dem halben Befehl Folge zu leisten; er war selbst so bleich, wie der ertappte Spion.

Als der Graf Frau von Czezani zur Thür geleitete, flüsterte er ihr zu:

»Schicken Sie mir sogleich Sta Luzia hierher und bringen Sie ihn selbst bis an die Thür.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nach einer kurzen Zeit kehrte die Dame zurück mit dem Pseudo-Marchese, den der Oberst in das Zimmer schob, dessen Thür er wieder schloß.

»Merken Sie auf und fassen Sie sich,« sagte er zu der Zitternden. »Wie ich vorhin hörte, weiß keiner Ihrer andern Leute, daß der Diener bereits zurückgekehrt ist?«

»Niemand hat ihn gesehen; sie schalten noch vorhin auf seine Saumseligkeit.«

»Wo schläft der Mensch?«

»Mit dem Kutscher zusammen über den Ställen.«

»Wenn ich nicht in der Lokalität irre, so führt am Eingang des Gewächshauses eine dunkle Treppe nach dem obern Stock. Läuft diese bis zum Boden und sind die Thüren offen?«

[319] »Ich glaube ja.«

»Dann gehen Sie zur Gesellschaft und suchen Sie den Diener und das Mädchen in den Zimmern zu beschäftigen. Hüten Sie die Gräfin; bedenken Sie, Freundin, es geht um Tod und Leben.«

Sie versprach Alles und eilte davon.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Auf dem Sopha im Pavillonzimmer lag ausgestreckt und festgebunden, ein Tuch in den Mund gedrückt, der Diener. – –

Er hatte gebeichtet, – man wußte, was man wissen wollte, daß bis jetzt nur Unbestimmtes verrathen worden und daß die Entdeckung von heute Abend sie gerettet hatte.

Am Kamin standen die drei Männer, – auf der andern Seite des Zimmers lehnte die kräftige Gestalt des Banditen in der Fensternische.

Die Drei wechselten nur wenige Worte, – Alle empfanden die schreckliche aber unabweisbare Nothwendigkeit.

Der Oberst trat zu dem Corfen; auch ihre Unterhaltung war kurz.

»Kein Blut und kein Zeichen von Gewalt?« sagte der Bandit. »Ei, ich weiß ein vortreffliches Mittel; ich habe es bei dem Schuft von altem Advokaten versucht, der meinem Bruder auf die Galeeren half. Am andern Morgen glaubte ganz Ajaccio, der Schlag habe ihn gerührt, bis ich's selbst erzählte. Verschaffen Sie mir nur ein Kissen, Signor Conte.«

Der Oberst schaute umher – auf der Lehne der Sopha's lag ein weiches gesticktes Daunenkissen.

»Genügt dieses?«

»Ich denke, ja. Nehmen Sie seine Füße in Acht.«

Der Unglückliche mit weitgeöffneten Augen sah die Mörder auf sich zukommen. Vergeblich waren seine Anstrengungen zu schreien und aus den Tüchern, mit denen er gebunden, sich emporzuwinden. Der Bandit stand jetzt vor ihm und legte ihn das ziemlich große Kissen auf das Gesicht. »Ich sehe, Signor, Sie sind ein Geistlicher,« sagte er zu dem Abbé, »ich bitte Sie, sprechen Sie ein Gebet für den Sünder.« Dann schlug er selbst in der furchtbaren Blasphemie seiner Erziehung und seiner Natur das Kreuz und setzte sich mit der ganzen Wucht seines schweren Körpers auf das Kissen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[320] Pisani und der Abbé traten, im Gespräch begriffen, aus dem Garten in den Salon. Der Letztere war ein wenig bleich, der Oberst ruhig, wie immer; der tiefe Zug von grausamer Energie um Nase und Mund war in die gewöhnliche Falte verschwunden.

An einem der Spieltische stand der Banquier und pointirte zerstreut, die Gräfin saß an dein Klavier, ohne zu spielen, und schien kaum die Worte zu hören, die zwei Herren der Gesellschaft an sie verschwendeten. Ihre Augen richteten sich furchtsam, fragend auf die Eintretenden, auch der Baron warf einen haftigen Blick voll Angst auf sie.

»Es wird kühl im Garten,« sagte unbefangen der Oberst, »und wir sind wahrlich nicht so vertieft in den schönen Abend, wie der Herr Marchese und ihr gelehrter Landsmann, gnädige Frau, um nicht die Behaglichkeit des Salons vorzuziehen. – Wie steht's, Baron, ist das Glück wie immer auf ihrer Seite?«

Er trat zu den Spieltischen.

»Diesmal droht es mich zu verlassen,« entgegnete der Banquier mit Bezug, »die Chancen wenden sich gegen mich.«

»Ei was, man muß bei jeder Bedrohung den Muth nicht verlieren. Männer wie wir lassen sich nicht sogleich einschüchtern von einer Ungunst der launischen Fortuna. Ihr Spiel steht am Ende auch gar nicht so schlecht.«

»Wollen Sie für mich eintreten?«

»Ich pointire nicht in Karten, ich überlasse nie mein Glück dem Zufall.«

»Und sind Sie denn Ihres Erfolges immer gewiß?«

»Ich habe ihn gesichert

Der Banquier athmete tief auf, die Worte wälzten eine Bergeslast von seiner Brust.

Gräfin Helene wurde noch bleicher als vorher. »Ich will nach Hause, mir ist nicht ganz wohl – der Schreck von heute Mittag hat mich doch mehr angegriffen, als ich dachte.«

Ihr Aufbruch veranlaßte weitere Folge. Der Oberst nahm die Gelegenheit wahr, sich dabei Frau von Czezani zu nähern, deren Augen ihn schon lange befragt hatten. »Gute Nacht, gnädige Frau, und – wenn Sie morgen zufällig Etwas vom Boden Ihres Hauses holen lassen, so versäumen Sie die sofortige Anzeige bei der Polizei nicht. Ich glaube, der thörichte Bursche hat sich in Verzweiflung über seine Dienstentlassung aufgehängt.«

Fußnoten

1 Die telegraphische Nachricht wurde in der That erst am 3. in London und Paris bekannt.

Am Bosporus
[321] Am Bosporus.

Wo jenes prachtvolle, seit Jahrtausenden berühmte Meeresbecken das Marmorameer – die Propontis der Alten – im Nordosten wieder seine Ufer zweier Welttheile näher zusammentreten läßt, liegen einige liebliche Eilande, die Prinzeninseln; – näher und näher drängt sich darüber hinaus Asien an Europa, und ein Golf bildet sich, aus dem zwischen hohen Bergwänden jene weltberühmte Straße, der Bosporus, über sechs deutsche Meilen lang sich nach dem Schwarzen Meere in zahlreichen Windungen streckt. – Rechts aus Asien hervor springt das Cap Chalcedon; gegenüber auf dem europäischen Ufer beginnt Stambul, als drohende Warte gleichsam dem Reisenden von dem Vorsprung des Ufers das berühmte »Schloß der Sieben Thürme« mit seinen blutigen Erinnerungen entgegenstreckend.

Das Meer scheint sich gleichsam hier in drei Arme zu theilen; nach Nordosten die Bosporusstraße, im Süden der weite Blick auf das offene Marmorameer, gegen Westen eine prächtige, zwischen zwei Vorgebirgen des europäischen Ufers sich eindrängende Meeresbucht, das Goldene Horn.

Auf dem Ufervorsprung zwischen diesem und der Buchtung des Marmorameeres liegt die Sieben- Hügel-Stadt des Ostens, Byzanz, – ConstantinopelStambul! – Die drei Namen umfassen ihre Geschichte.

Gegenüber auf der nördlichen Seite des goldenen Hornes, dessen Ufer sich hier schroffer und steiler emporheben und als die westliche Felswand des Bosporus zum schwarzen Meere fortlaufen, liegen die neueren, zum Theil von den Genuesen und Venetianern gegründeten Stadttheile: um die äußere Spitze Tophana, daran [322] stoßend am innern Ufer des HornesGalata, über beiden terrassenförmig auf der Berghöhe Pera, die Frankenstadt. An Galata schließt sich Tershana, mit dem großen Schiffsarsenal und den Werften, Chaskiöi, Piri-Bascha undSidlische, bis am Ende der Meeresbuchtung, den sogenannten süßen Wassern von Europa, wo sich einzelne Binnenflüßchen in den Meeresarm ergießen, die Vorstadt Kara Agatsch die Verbindung mit Stambul, der Türkenstadt, bildet.

Auf der Höhe des Berges umziehen die VorstädteCassim-Pascha und St. Demetri die Frankenstadt Pera. Stambul selbst wird außerhalb der großen verfallenen Ringmauer, die es noch aus der Griechenzeit her einschließt, von den Vorstädten Ejoub (zunächst am goldenen Horn) und Daoud-Pascha umgeben. Gegenüber dem Eingang des goldenen Horns auf dem asiatischen Ufer liegt in prächtiger, sanft ansteigender Terrasse Scutari, das gleichfalls als Vorstadt Constantinopels gilt. Als solche werden auch die fortlaufenden zusammenhängenden Ortschaften entlang der beiden Seiten des Bosporus angesehen, welche hauptsächlich durch die Paläste und Villen der vornehmen Türken und Europäer gebildet werden, zunächst auf dem europäischen Ufer: Funduklu, Dolmabaghdsche, Orta-Koi, Kura-Tschesme, Arnaud-Koi, Rumili-Hissar das berühmte Schloß von Europa, Baltaliman, Jeni-Kioi, Therapia und Buyukdere, während auf der asiatischen Seite an Scutari sich Beglerbeg, Koi, Kandili, Anatoli-Hissar das Schloß von Asien, Kandtische, Beykos und Unkiar-iskelessi anreihen.

Das ist die allgemeine Topographie jener Stätte auf Erden, die ein Paradies erscheint von Außen, Moder und Verwesung im Innern.

Doch das ist nur das Menschenwerk! Was Gott auf jenem Fleck seiner schönen Welt geschaffen, das ist ein unvergänglicher, strahlender Diamant im Kranz ihrer Herrlichkeiten.

Ein blauer durchsichtiger Himmel wölbt seinen ewig heiteren Bogen über die leicht bewegte Fluth, deren Ultramarin die Orientalen mit dem Namen Giök-su – das ist: Himmelswasser – getauft haben. Auf mehrere Meilen weit durchdringt das Auge diese klare, reine Luft so deutlich und sicher, wie in nordischen Landen kaum auf die Entfernung einer Viertelstunde die Gegenstände sich ihm zeigen. Am leicht aufsteigenden Berghange, der sich in sieben Hügel gruppirt, hebt sich die riesige Stadt, ein Meer von [323] achtzigtausend Häusern – Byzanz – Constantinopel – Stambul – mit jenen tausendjähriqen Erinnerungen des alten Thraciens, des mächtigen Römerreiches – der Kreuzzüge – des Jahrhunderte langen Kampfes der Komnenen und Paläologen gegen die asiatischen Horden, des Kreuzes gegen den Halbmond, des Christenreiches gegen die Moslems, für dessen Hilferuf das kirchenprahlerische Europa kein Ohr hatte; – mit jenen Erinnerungen an Ströme von Blut, an jene Siege des Halbmondes, der von hier aus Europa bedrängte und seine Noßschweife bis vor die Thore Wiens trug.

Welche Weltgeschichte thürmt sich vor der Phantasie mit jenen Häusermassen in den blauen Himmelsdom!

Und da links – über die Kiosks und Bleidächer von seltsamer Form, die zwischen Platanen und dunklen Cypressen von der Landspitze des Horns das Auge fesseln, über das Serail – eine Stadt in der Stadt – hinweg hebt sich auch ein Dom, riesig und mächtig, ein Meisterwerk von Menschenhänden, wie die Erde kein zweites hat: – des großen Justinian heiliger Gedanke an Gott, – die Sophien-Kirche – jetzt die Aja Sophia, eine türkische Moschee, über deren Gigantenkuppel von 180 Fuß Höhe und 115 Fuß Spannung hoch in die Luft ein riesiger Halbmond sich streckt, als Wahrzeichen, daß Europa ja nicht vergessen möge seiner feigen Herzlosigkeit, ja nicht vergessen möge, daß es hier den Christenglauben von dem Moslem mit Füßen treten ließ!

Aus dem Meer von Häusern, alle klein, alle eintönig in ihrer rothbraunen Farbe, tauchen Paläste und die bleiglänzenden Kuppeln der beiden Bazars und zahlloser Moscheen empor, schießen die schlanken säulengleichen Minarets in die Höhe, mit den schmalen Rundgängen und den grünen hohen Spitzen, wie tausend Fingerzeige nach Oben. Dazwischen wechselt das Grün der Platanen, das dunklere der Cypressen von den Gärten und weiten Kirchhöfen auf der Höhe der Berge: der riesige Palast der Hohen Pforte streckt seine lange Front auf dem einzigen freien Platz zwischen den Häuserreihen, der Thurm des Seraskiers, der Feuerthurm, von dessen Höhe Tag und Nacht Wächter die weite Stadt überschauen, um alsbald den Ausbruch der gefährdenden Flamme verkünden zu können, hebt sich wie eine Warte des romantischen Mittelalters in die Luft. Und drüben auf der andern Seite des goldenen Horns – Chrysokeras, wie die Griechen wegen seiner vortheilhaften [324] Lage und seines Reichthums an Fischen diesen schönsten aller Meeresarme nannten, – da wo die Mauer von Galata Pera abscheidet, hebt sich eine wirkliche Warte aus jener Zeit, der alte Genueser Thurm, mächtig und frei von dem Berge ab, zu gleichem Zweck dienend, wie der jüngere Gefährte am Seraskiat. Von der Spitze Beider weht die rothe Fahne mit dem weißen Halbmond und den weißen Sternen.

Das Bergufer auf der Nordseite des goldenen Horns steigt, wie erwähnt, steiler empor, als das der Türkenstadt, und hier kann man die Straßen und Gassen leichter verfolgen. Massive Gebäude sind hier häufiger, während bei den Türkenhäusern nur das Erdgeschoß von Mauerwerk, der Aufsatz aber von Holz ist. Die Paläste der Gesandten, darunter das große, nach der Seite von Tophana abfallende russische Gesandtschaftshotel zeichnen sich aus. Am Ufer des Bosporus liegt die große Geschützgießerei Tophana, von der der Stadttheil seinen Namen hat. – Zwischen dem europäischen und asiatischen Ufer, doch näher an Scutari, erhebt sich, eine kleine Felseninsel aus dem Meer wie Caub im Rhein, der Thurm des Leander mit seinem Wasserschloß. Scutari erscheint, selbst aus der Ferne gesehen, – das Meer ist hier eine halbe deutsche Meile breit, – weit freundlicher und lichter, als die europäische Stadt. Nach dem Marmorameer zu erstreckt sich dort dicht am Meeresstrand die neu erbaute kolossale Kaserne, weiß und roth angestrichen, die mehrere Regimenter fassen kann. Auf der Höhe des Berges Burgulu, an dessen Senkung sich die Stadt ausbreitet, dehnen sich die meilenlangen großen Friedhöfe aus, die größten des Orients, denn auch aus Stambul lassen sich viele Türken hier begraben, um in der heimathlichen Erde der Mutter der Völker, Asiens, zu ruhen. Darüber hinaus in der Ferne hebt der Olymp seine Schneegipfel am Horizont.

Drei große schöne Schiffbrücken führen über das goldene Horn, diesen prächtigen und größten Hafen der alten Welt. Jede enthält zwei Bogen zum Durchlaß der Schiffe, und die Meeresbucht ist so tief, daß selbst die größten Linienschiffe sie durchkreuzen und bis dicht an's Ufer anlegen können. Hunderte und aberhunderte großer Schiffe jeder Art wiegen sich auf den blauen Wellen dieses Hafens und am Eingang desselben, riesige Linienschiffe, Fregatten. Kriegsdampfer, dazwischen die Unzahl der Handelsfahrzeuge jeder Form aus allen Gegenden und Zonen der Erde, die Brigg [325] aus den Häfen der Ostsee, der Fregattschooner von New-York und New-Orleans, die italienische Barkasse und die Tartane der afrikanischen Küste, die Nacht und der Prahm, die Galeotte und die plumpe Sloop; der Handel und Verkehr der Erde scheint sich hier ein Rendezvous gegeben zu haben. Dazwischen brausen Dampfer eilig hin und her, legen in jeder halben Stunde an der Brücke an, um Passagiere einzunehmen für Scutari, den Bosporus, die Prinzeninseln, oder ankern stolz auf der Rhede, um die weite Fahrt nach den Küsten des schwarzen Meeres, nach dem sagenhaften Trapezunt, nach Smyrna, Saloniki, Alexandrien, Triest, Malta, Marseille und noch weiter hinaus nach den Kreideküsten von Alt-England zu machen. Tausende von Kaïks, diesen Schwalben des Bosporus, – leichte, schlanke, schmale, auf beiden Seiten spitze Boote, – so eng und leicht gebaut, daß sie gewöhnlich außer dem Fanarioten oder Moslem, der das Ruder führt, nur eine Person tragen, die auf dem Boden des zierlich mit Schnitzwerk und Teppich gezierten Fahrzeugs kauern muß, kreuzen und schießen in allen Richtungen umher mit wunderbarer Schnelligkeit, gleich leuchtenden bunten Pfeilen über die Fluth. Darin sitzt mit gekreuzten Beinen der Türke in weiter orientalischer Tracht, den Turban auf dem geschorenen Haupt, oder in dem neuen unkleidsamen blauen Rock mit dem Feß, – der fränkische Kaufmann oder neugierige Fremde, – der Armenier in seinem schwarzen fliegenden Talar, – die Hanum in ihren weißen Yaschmal und den bunten Feredschi gehüllt – Alles kreuzt geschäftig oder im müßigen Vergnügen von Ufer zu Ufer und in der Meeresstadt umher, deren Häuser und Straßen die Schiffe der Nationen bilden. Es soll dieser Kaïks über 80,000 in Constantinopel geben und der größte Theil derselben ist fortwährend in Bewegung. Die Großen und Reichen haben deren in Menge von den verschiedensten Größen mit reichen Vergoldungen; die zahlreichen Bootschuppen am Ufer des Hornes zwischen der Moschee der Sultanin Valide und dem Serail bergen einen großen Theil.

Ueber die Brücken und durch die Gassen zunächst dem Horn und den Bazars – Besestan in Constantinopel genannt – wogt fortwährend ein Gedräng von Menschen, wie kaum die belebtesten Straßen von London es bieten, unvergleichlich in seinem bunten, immer wechselnden Anblick. Die Völker des Morgen-und Abendlandes begegnen sich hier in ihrem nationalen Costüm; neben dem [326] Perser mit dem steifen, blauen Kaftan und der hohen spitzen Mütze von schwarzem Lammsfell der englische und französische Matrose; neben dem Derwisch in seinem zerlumpten wollenen Mantel mit der, einem umgestülpten Eimer gleichenden Kopfbedeckung von grauem Filz der fränkische Kaufmann oder Handwerker aus Pera; zur Seite des in seine braune Decke gehüllten Drusen und Kopten die hohe Figur des Tscherkessen, der Arnaut mit dem Arsenal von Waffen in seinem Gürtel, der Baschi-Bosuk aus den Wüsten Syriens oder von den arabischen Horden; der geschäftige Grieche, der Turkomane, der verachtete Jude; – das elegante pariser Frauenkostüm neben den faltenreichen Hüllen der türkischen Weiber; – schwarze Sclavinnen – Bettler mit den widrigsten Gebrechen, die ihr »Allah il Allah« murmelnd an den Seiten der Brücke sitzen und reichliche Gaben in ihr Schälchen empfangen; – die Saka's, die Wasser- und Limonadenverkäufer; – Händler mit Zuckerwaaren; – die Hamals, die auf gekrümmtem Rücken die schwersten Lasten befördern; – Eseltreiber mit ihren Thieren – dazwischen ein einzelner Reiter, ein Offizier oder Beamter der Pforte auf dem kleinen türkischen Pferde, die Pistolenhalftern und Schabracken mit breiten Goldborten überladen, rechts zur Seite des Pferdes der Träger der Waffen, der Mappe oder Tasche, in welcher die Schriften aufbewahrt werden; links an den Schwanz des Pferdes sich haltend ein anderer Tschokadar mit dem Tabacksbeutel und Schibuck seines Herrn im langen blauen Sack; – alle Abstufungen von Farben in den Gesichtern, alle Pracht bunter Gewänder, reicher Gold- und Silberstickerei auf den Gestalten: – das ist das Bild dieses bunten Lebens, Treibens und Drängens.

Dennoch bewegt sich die ungeheure, ewig ab- und zuströmende Masse wenn auch nicht stiller – denn es herrscht durchgängig durch die zahlreichen Ausrufer und die Handelsleute ein betäubender Lärmen, – doch weit sicherer und geordneter als bei uns. Kein Wagen, keine Equipage sprengt den Strom der Fußgänger auseinander, nur selten fährt langsam ein von einem oder zwei vor einander gespannten Pferden – in den Umgebungen der Stadt auch von Ochsen – gezogener Araba daher. Es ist dies ein im Rococcostyl des Abendlandes gebauter Wagen mit roth angestrichenem und reich vergoldetem Kasten von fast dreieckiger Form, die Spitze nach unten, der in Riemen zwischen hohen Rädern hängt oder fest aufsitzt, und in dem die Frauen der reichen und vornehmen [327] Türken mit einer oder zwei Sclavinnen durch die Straßen fahren, um ihrer Neugier zu fröhnen und die Läden zu beschauen. Ein Eunuch oder Sclave führt das Pferd und wahrt die ohnehin in den abscheulichen Jaschmal verhüllten Frauen vor jeder Berührung mit den Männern. –

Sobald man das Ufer betritt, schwindet alle Herrlichkeit des schönen Bildes und die Faulheit, Unordnung und der Schmuz des Orients bieten sich in ihrer vollen Widrigkeit dem Blick des Europäers.

Diese ganze ungeheure Stadt müßte ein Flammenmeer gleich Moskau werden, um dann neu und herrlich aus den Händen des gebildeten Europa's an diesen paradiesischen Berghöhen emporzusteigen! – Die jetzigen systematischen Brandstiftungen, welche in bestimmten Perioden die türkische Regierung ausüben soll, um zu einem zweckmäßigeren Neubau zu zwingen, genügen nicht und vermehren nur die traurige Unordnung durch den Anblick wüster Brandstätten, die Jahrzehende lang unbebaut bleiben.

Und dennoch fragen wir uns unwillkürlich, würde mit dieser Unordnung, diesem Gewirr, selbst diesem Schmuz im Eintausch gegen europäische Regelmäßigkeit nicht auch jene Poesie des Orients schwinden, jener mährchenhafte Duft von Elend und Glanz, von Tod und Ueppigkeit, von Traum und Wahrheit, von Blut und Blumen, von Fanatismus und Lethargie, Liebe und Sclaventhum, Henkern und Houri's, Helden und Bettlern?

Würde die Newskoi-Perspective und der Winterpalast an die Felsenufer des Bosporus besser passen, als die schlanken Minarets, von deren Höhe der Muezzim zum Gebete ruft, oder als die geheimnißvollen Mauern und Kuppeln des Serails? – –

Dennoch läßt sich das Widrige, das Enttäuschende im Anblick dieses Schmuzes, dieser Vernachlässigung nicht hinwegläugnen. Außer vor dem Arsenal Tershana und vor dem Hofe der Geschützgießerei in Tophana giebt es um das ganze so trefflich geeignete Ufer des goldenen Horns keine Spur eines so nothwendigen und schönen Quais, wie die europäischen Seestädte sie bieten. Wo das Schiff oder Boot an's Ufer legt, da tritt der Fuß in Schlamm oder Schmuz, jedes Gäßchen, jedes Haus läuft unmittelbar auf den Meeresstrand aus und nicht hundert Schritt kann man auf demselben entlang gehen. Die Straßen sind, wie überall im Orient, eng und krumm und meistens Gäßchen, in denen oft kaum ein Fußgänger dem andern ausweichen kann. Selbst in Pera und Galata [328] herrscht diese Bauart und die große Perastraße ist nur sechs Schritt breit. Die Straßen sind nur zun Theil, und das so jämmerlich, gepflastert, daß es die Unbequemlichkeit erhöht. In der Mitte läuft die Gosse – wo eine solche existirt. Die Stadttheile an der nördlichen Bergwand, also Galata, Tophana, Pera etc., laufen so steil in die Höhe, daß der Weg ein bloßes Steigen und Klimmen ist. Die Häuser sind hier meist von Stein gebaut, mit europäischen Einrichtungen, die indeß wenig dem Klima entsprechen; die Hôtels der Gesandtschaften sind große prächtige Gebäude, ohne doch den Stadttheil zu zieren, da sie in hohe Mauern eingeschlossen oder durch enge und finstre Stiegen und Gäßchen abgesondert sind. Die Perastraße bietet eine Menge europäische Läden, mit dem Kram gefüllt, der in Europa als zurückgelegte Waare betrachtet wird. Galata ist der Hauptplatz des Verkehrs, halb türkisch, halb fränkisch. Die Kaufleute und zahlreichen Banquiers haben hier ihre Läden und Gewölbe, ebenso der türkische Handwerker, der in offener Bude an der Straße sein Geschäft übt. Der Verkehr ist hier nach der Hornseite zu enorm.

Erreicht man über die erste Schiffbrücke das Ufer von Stambul, so tritt man alsbald in's volle türkische Leben. Ueber niedere Häuser, deren Wände vom Boden bis zum Dach mit Hühnerkörben gefüllt sind, ragen die Kuppeln und Minarets der Moschee der Sultanin Valide empor, und man vertieft sich in die zahllosen Gassen und Gäßchen, die zum großen Bazar, zum alten Serail, zum Palast der Pforte, zum Hippodrom, zur Suleimania 1 und der Zahl reicher Prachtbauten der andern Moscheen führen. Die Bauart der türkischen Privathäuser ist ziemlich dürftig, ein Viereck, das nach dem innern Hof oder Garten zu geöffnet ist, während nach der Strafe hin entweder die Hofmauer es ganz absondert oder doch nur Erker und wenige Fenster hinausgehen, die mit grünen Holzjalousieen oder vergoldeten Stäben vergittert und geschlossen sind. Das untere Stock ist von Steinen erbaut, die obern, höchstens zwei Etagen, gewöhnlich aber nur eine, sind von Holz und Fachwerk und laufen bei der großen Vorliebe der Türken für Balkons, Erker und Vorsprünge, in denen sie behaglich [329] sitzen können, die eine über die andere auf Balkenunterlagen hinaus. Der Anstrich des Hauses ist gewöhnlich rothbraun, das Dach flach, mit niedern Mauern oder Wänden umgeben, so daß die Familie ungesehen von den Nachbarn auf seiner Höhe sitzen kann.

Das große Serail – Serai Burnu – das in der Abgränzung der umgebenden Mauern einen Flächeninhalt wie etwa die innere Stadt Wien einnimmt, war der eigentliche Palast und Wohnsitz der ottomanischen Herrscher und der Schauplatz aller jener Revolutionen und Blutthaten, die so häufig die Thronfolge änderten. Dennoch sind der gegenwärtige Sultan und seine Söhne die direkten Abkömmlinge Ottoman's, des Gründers der Monarchie, und gehören demnach zu den ältesten Herrschergeschlechtern der Monarchieen. Der Vater Abdul Medschid's, der politische Reformator Mahmud II., der die Janitscharen opferte und das Tansimat gab, verlegte die Residenz aus dem Serail, das noch von dem Blute seines am 28. Juli 1808 ermordeten Bruders und Sultans rauchte, nach den Bosporus-Palästen, um mit den Erinnerungen zu brechen, die sich für sein Geschlecht an jene Mauern knüpften. Er erbaute das Palais von Tschiragan am Ufer des Bosporus, nahe der Stadt, in dem noch der gegenwärtige Sultan residirt, bis das neue, von ihm erbaute und unfern, noch näher den Vorstädten belegene Palais vollendet ist. Zahlreiche Kiosks und Schlösser auf beiden Seiten des Bosporus und seinen zauberischen Höhen dienen außerdem zum wechselnden Aufenthalt des Sultans. Das ganze europäische Ufer des Bosporus bis Bujukdere hin ist bedeckt von Palästen und Landhäusern, die theils den türkischen Großen, theils den Gesandten und reichen Kaufleuten Constantinopels gehören, wo dieselben zur Zeit des Frühjahrs, Sommers und Herbstes wohnen. Während die Vorderfront der Häuser und Villen die Wellen des Bosporus bespülen, strecken sich auf der Rückseite prächtige Gartenterrassen an der steilen Bergwand in die Höhe.

Es kann natürlich nicht die Absicht dieses Buches sein, eine umfassende und detaillirte Beschreibung Constantinopels zu geben, das durch den gegenwärtigen Krieg Europa erst nahe gerückt ist. Zahlreiche ältere und neuere Reisebeschreibungen liefern eine solche weit besser und ausführlicher. Der Autor hatte nur die Aufgabe, dem Leser zur Verständniß der Scenen und der Erzählung, die uns häufig in diesen Centralpunkt des großen Kampfes zurückführen [330] muß, eine allgemeine Topographie zu geben, die näheren örtlichen und Sitten-Schilderungen den einzelnen Gelegenheiten überlassend.

Nur über das Verhältniß der Frauen des Orients bleibt uns noch Einiges im Allgemeinen zu sagen. Die Lage derselben wird in Europa noch vielfach falsch aufgefaßt, und die vage Meinung der Menge glaubt jeden Moslem im Besitz eines kleinern oder größern Harems und die Frauen des Orients als gänzlich willenlose untergeordnete, dem Herrn des Hauses knechtisch gehorchende Wesen.

Dies ist keinesweges der Fall. Die meisten Staats-und Privatintriguen entspinnen sich im Harem und werden dort geleitet. Der Moslem, bis zum Sultan hinauf, steht so gut unter'm Pantoffel, wie der Abendländer, und die Macht und Freiheit der Frauen ist – wenn auch außer dem Hause ziemlich beschränkt – in dessen Innern eine sehr große. Die Dragomans und die Harems der Würdenträger sind die politischen Faiseurs des Orients.

Es ist dem Mohamedaner erlaubt, vier Frauen zu heirathen, und dieselben gelten als seine rechtmäßigen Gattinnen; die Zahl der Frauen des Sultans kam sich auf sieben belaufen, doch ist es selten, daß dieser wirklich auch nur mit einer die gesetzliche Ceremonie der Heirath vollzieht. Jeder Türke hat dagegen das Recht, so viele Sclavinnen zu halten, als er will und seine Verhältnisse erlauben 2. Dieselben sind dann die Dienerinnen seiner rechtmäßigen Frauen, wenn er solche hat, oder seine Odalisken, und während ihre Reize ihm gehören, – wozu jedoch ihre freie Einwilligung gehört, – haben sie keinerlei Rechte der Gattinnen.

[331] Die Geburt eines Kindes, gleichviel ob Knabe oder Mädchen, von ihrem Herrn macht die Sclavin und das Kind jedoch frei.

Dies ist einer der Gründe, weswegen trotz der erlaubten Vielweiberei und des übermäßigen Genusses des geschlechtlichen Umganges die Zahl der türkischen Bevölkerung so gering ist und von Jahr zu Jahr abnimmt.

Um dem durch die Fruchtbarkeit drohenden Verlust der Sclavinnen zu entgehen, existiren jene empörenden Geheimnisse der Harems, welche die Frucht im Mutterleibe ersticken, oder das Weib zu seiner erhabenen natürlichen Bestimmung unfähig machen.

Der allgemeine Gebrauch dieser schändlichen Mittel ist theils ein erzwungener, theils ein freiwilliger. Denn selbst die angetrauten Frauen scheuen sich dessen nicht, und in den Harems der Reichen wird er häufig als Mittel betrachtet, den Vorzug über die Nebenbuhlerinnen zu gewinnen, und gerade hierin liegt der zweite Grund zu jener Erschlaffung des osmanischen Geschlechts. Da dem Muselmann die Liebe nur ein sinnlicher Begriff ist, sucht die Frau oder Odaliske jedes Mittel auf, alle die Sinnlichkeit des Mannes fesselnden Reize so lange als möglich zu bewahren und benutzt eben dazu jene Mittel, sobald sie ihm ein Kind geboren hat. Daher kommt es, daß, während im christlichen Europa die Kinderzahl in den Familien eine durchschnittlich bedeutende, namentlich bei den unteren Ständen, ist, in der Türkei bei den Familien der mittleren und unteren Stände selten mehr als ein oder zwei Kinder gefunden werden. Selbst der Sultan besitzt nur zwölf Kinder.

Es ist eine in politischer und physischer Hinsicht anerkannte Thatsache, daß eine gänzliche Abschneidung der Zufuhr von Frauen aus Georgien und Circassien und die darauf basirte Regeneration des Blutes der Türkei den Lebensnerv ihrer gegenwärtigen Einrichtungen abschneiden würde. Daher jenes vorerwähnte russische Verbot.

Wir bedauern, auf diese Details eingehen zu müssen, indessen ist es für die Aufgabe der treuen Schilderung, die wir uns gestellt, unbedingt nothwendig. Wir nehmen daher dieses Recht und diese Entschuldigung auch für Scenen in Anspruch, die sonst das ästhetische und moralische Gefühl beleidigen würden.

Verschiedene Anordnungen des Korans beschränken die Gewalt über die Sclavinnen und Sclaven, deren Verhältniß übrigens in der Türkei mehr das von zur Familie gehörenden Hausdienern ist. [332] Ueberhaupt ist der Türke in seinem gewöhnlichen Leben, wenn nicht besondere Leidenschaften ihn erregen, milde und gerecht. Es kommt häufig vor, daß die Sclaven nach einer längeren oder kürzeren treuen Dienstzeit frei gelassen und von dem Herrn ausgestattet, ja, mit einer Tochter der Familie verheirathet werden. Viele der ersten türkischen Würdenträger selbst der Neuzeit waren und sind solche freigelassene Sclaven 3.

Der Moslem schenkt oder verheirathet oft eine seiner Sclavinnen seinem Sohne, doch darf sie in einem solchen Fall nicht des Vaters Concubine gewesen sein und wird durch die Heirath frei. Die durch den Umgang mit den Sclavinnen erzeugten Kinder werden als legitim betrachtet. Die Scheidung von einer Frau ist sehr leicht, obschon selten.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Herrschaft der rechtmäßigen Frau im Innern des Hauses eine eben so große ist, wie im kultivirten Europa, und sie duldet eben so wenig eine Nebenbuhlerin in ihrer Nähe. Daher ist denn auch das Recht zur Heirath von vier Frauen im Allgemeinen ein sehr problematisches und wird nur von Denen ausgeübt, die reich genug sind, ein großes Harem oder jeder der Frauen eine besondere Wohnung zu halten. Der Neid und die Eifersucht in den Harems ist überaus heftig und artet häufig in Tätlichkeiten, ja in geheime und offene Verbrechen aus.

Die Abgeschiedenheit der Frauen außer dem Hause ist noch immer sehr groß. Während im Haremlik 4 ihr Anzug und ihre Sitte eine übertrieben freie ist, obschon sie auch da nur vor dem Mann, den Kindern, den Eunuchen und Frauenbesuchen unverschleiert erscheinen, ist jeder Verkehr mit anderen Männern auf das Strengste verpönt. Seit der Regierung des vorigen Sultans haben sie zwar größtentheils die Freiheit des Ausgehens und Ausfahrens, und man sieht, wie erwähnt, in den Straßen und Läden Constantinopels Frauen in Menge, doch immer streng verhüllt und verschleiert, und kein Muselmann übertritt die Sitte und schaut ihnen, wie es bei uns geschieht, in das Gesicht. Selbst der Mann [333] würde es für unschicklich halten, wenn er seiner Frau, die ihm begegnet, durch ein Zeichen merken ließe, daß er sie erkannt. Daß bei der Langeweile des Harems und des orientalischen Lebens im weiblichen Geschlecht sich auch alle Schwächen ihrer freien situirten Schwestern oft in erhöhtem Grade geltend machen, und Eitelkeit und Sinnlichkeit sie sehr häufig zum Kokettiren mit fremden Männern und zum gefährlichen Eingehen von Liebeshändeln führen, ist natürlich. Dergleichen Verständnisse sind in Constantinopel gar nichts Seltenes, sowohl mit jungen türkischen Effendi's, als mit Franken. Die Eitelkeit der Frauen hat übrigens den garstigen Yaschmak, der früher nur die Augen frei ließ, bereits bis zur Nasenspitze herabgerückt, und wo sich die Gelegenheit findet, fällt derselbe bei den Jungen und Schönen oft noch tiefer. Die französischen Hilfstruppen haben in dieser Beziehung Wunder gethan.

Die Verhältnisse im Harem des Großherrn sind natürlich in vielen Beziehungen verschieden. Der Harem des gegenwärtigen Sultans bestand im Sommer 1853 aus etwa 700 Odalisken, den schönsten Sclavinnen aus verschiedenen Ländern, welche die im Frühjahr desselben Jahres verstorbene Sultana Valide zum großen Theil selbst gewählt. Alles, was an Schönheit und Reiz der weiblichen Formen, auf die der Asiate so viel giebt, sich in den verschiedenen Abstufungen der Farben findet, ist hier versammelt: die prächtige Büste der üppigen Georgierin mit den großen mandelförmigen Augen und den feingeschnittenen Brauen, die schlanke, ebenmäßige Figur der circassischen Schönheit, wie der volle Wuchs und der feine, zarte Teint der Frauen von den griechischen Inseln, bis zur Ebenholzfarbe und der großen apollinischen Gestalt der schwarzen Sclavin aus jenen Stämmen des Sennar und Darfur, die sich durch ihren ebenmäßigen Körperbau auszeichnen; die feine zierliche Gestalt der ächten Araberin mit ihrer blaßbraunen durchsichtigen Haut und den Rehaugen, und selbst die Europäerin, namentlich aus den südlichen Staaten, Italien, Spanien, Sicilien etc.; denn obschon die Geheimnisse des Harems ziemlich unzugänglich sind, verlautet doch gar Vieles daraus und es ist bekannt, daß der Harem des vorigen und des gegenwärtigen Sultans viele Europäerinnen enthalten. Die Frauen, die der Sultan aus der Zahl der Odalisken zur Theilung seines Lagers wählt, heißen Kadinen, und die erste derselben, die dem Padischah einen männlichen Erben schenkt, gilt als die Favorit-Sultana und ihr Einfluß ist sehr bedeutend. [334] Sobald ihr Sohn zur Regierung kommt, führt sie den Titel Sultanin Valide. – Der Sultan entläßt und wechselt übrigens, mit Ausnahme der Mütter seiner Kinder, seine Kadinen nach Belieben und häufig werden sie und die Odalisken mit Würdenträgern des Reichs vermählt, oder ihnen geschenkt. Das Salische Gesetz hat in der Türkei volle Geltung, denn die Thronfolge erbt nie auf die Töchter fort und nur in der männlichen Linie weiter. Ein furchtbarer Gebrauch in der regierenden Familie vom Stamme Osmans und ein Regierungsprincip ist es, daß weder die Brüder noch die Söhne des Sultans überhaupt Nachkommenschaft, ihre Schwestern aber mir weibliche haben dürfen. Die Söhne derselben werden sofort nach der Geburt erdrosselt.

Das ist auch eines der dunklen Geheimnisse der Harems!

Die Kadinen eines verstorbenen Sultans dürfen nicht wieder heirathen und werden nach dem Eski-Serai – dem alten Serail, in der Mitte von Stambul belegen, – gebracht; der Harem des regierenden Sultans bewohnt gegenwärtig den nördlichen Flügel des Palastes von Tschiragan und folgt seinem Herrn ganz oder zum Theil nach den verschiedenen Schlössern; in welchen er seinen Aufenthalt nimmt. Derselbe wird bei Weitem strenger überwacht, als der Harem eines Privatmannes. Die große Zahl von jugendlich kräftigen Frauen bleibt fortwährend in den Gemächern eingeschlossen und ihre einzige Erholung in frischer Luft ist, wenn – was höchstens drei bis vier Mal im Jahre geschieht – der Sultan die Erlaubniß giebt, daß sie die kaiserlichen Gärten von Dolmabagdsche betreten dürfen.

Diese – von hohen Mauern umgeben und jedem Auge, als dem der Eunuchen versperrt – sind dann der Schauplatz einer solchen Ausgelassenheit und eines so unbeschränkten tobenden Genusses der kurzen Freiheit, daß die europäischen Gärtner des Großherrn, wenn ihnen ein solcher Besuch angekündigt wird, sorgfältig alle Früchte und Blumen vorher entfernen, denn kaum ein Blatt bleibt ungebrochen von dem Muthwillen der entfesselten Lebenskraft. Außerdem besuchen zuweilen unter strenger und zahlreicher Bewachung der Eunuchen die Kadinen und Odalisken in kleinerer Zahl die süßen Gewässer von Asien und Europa, diese Lieblingsorte der Frauen von Stambul.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nenn man das erste der sieben Vorgebirge, die auf jedem [335] Ufer mit entsprechenden Buchten den Lauf des Bosporus bilden, auf der europäischen Seite – Tophana – das alte Metopon, hinter sich hat, fährt der Kaïk in die schöne Bucht von Dolmabagdsche ein, an dem Ufer entlang, an dem früher ein Altar des Ajax und der Tempel des Ptolemäus Philadelphus stand, dem die Lateiner göttliche Ehre erwiesen. Auf dieser Rhede, dem Pentecontoricon: der Rhede für die fünfzigruderigen Schiffe, ließ der Scythe Taurus auf dem Wege nach Creta seine Fahrzeuge ankern. Am Ufer liegt die Moschee Anni-Effendi und weiter hinauf am Ufer gegenüber der Stelle, wo er seine Flotten zu sammeln pflegte, um den Schrecken an die Küsten des mittelländischen Meeres zu tragen, steht das einfach malerische Denkmal Hairaddins Barbarossa's, des berühmtesten türkischen Seehelden.

Am Ufer streckt hier der Palast Tschiragan seine lange Fronte von Stein- und Holzbau mit Arabesken und Stuckaturen hin. An den höhern Mittelbau schließen sich zwei Flügel, die wiederum von vorspringenden Seitengebäuden flankirt werden. Ein schmaler Quai von schönen Marmorquadern, in den das Wasserthor für die Kaïks des Großherrn einmündet, scheidet das Palais von dem Spiegel des Bosporus, auf den nach beiden Seiten hin die Fenster und Erker des Gebäudes eine prächtige Aussicht haben. Der nördliche Seitenflügel enthält das Haremlik des Padischah; vergoldete Fenstergitter scheiden es von der Außenwelt und schützen es gegen zudringliche Blicke, während sie den neugierigen Augen der Frauen volle Freiheit lassen, umherzuschweifen. – –

Die Sonne neigte sich zum Untergang und der kühle Seewind strich vom Pontus her durch die Eugen des Bosporus. Die Fenster des Kiosks 5 im zweiten Stockwerk des Haremlik waren geöffnet und ließen die trotz der Herbstzeit warme angenehme Luft in das Gemach. Dasselbe bildete ein großes Quadrat, dem sich am untern Ende den Fenstern gegenüber ein ähnliches anschloß, dessen von feinen Hölzern getäfelter Fußboden jedoch eine Stufe tiefer lag, als der des obern Zimmers, und von diesem außerdem durch ein Geländer von Cedernholz geschieden war, das in der Mitte einen Durchgang ließ. Das obere Ende des so entstandenen großen Oblongums enthielt die Fenster, und zwar vier dicht an [336] einanderschließende auf jeder der drei Seiten, so daß eine Art von Glaspavillon gebildet wurde, aus welchem die Aussicht nach allen Seiten unbehindert war. Der erhöhte Obertheil des Raumes enthielt rund um die drei Wände einen etwa anderthalb Fuß hohen und vier Fuß breiten Divan von rothem Tuch, dessen Goldfransen auf den Boden niederhingen. Ueber den Fenstern lief durch das ganze Gemach ein Karnies, von dem faltenreiche Vorhänge von grüner, golddurchwirkter Seide, durch vergoldete Broncehalter aufgenommen, niederfielen. Ueber diesem Karnies lag eine zweite Reihe von Fenstern mit doppelten Scheiben von gefärbtem Glase und zwischen diesen und der Decke war die sonst einfach in weißgrauer Farbe gestrichene Wand mit Blumen, Früchten und Waffenarabesken gemalt. Die gleichfalls schön gemalte und verzierte Decke war in zwei Theile gesondert, von denen der über dem untern Raum niedriger und flacher war, als der erste. Einzelne Koffer und schön gemalte, vergoldete und ausgelegte Kisten von wohlriechendem Holz standen an den Seitenwänden des Untertheils, oder an dem Geländer, welches die beiden Räume schied. Im der Mitte des Vorgemachs sprudelte aus einem Marmorbecken fortwährend ein Fontainenstrahl, zuweilen von den Sclavinnen mit Rosen- oder Orangenwasser vermischt und einen starken Duft verbreitend. In der Ecke befand sich das Tandur, der in der Türkei gebräuchliche tragbare Heerd, aus einem Holzrahmen bestehend, in dem sich ein kupfernes Gefäß mit Holzkohlen befindet, theils für die alle Augenblicke sich wiederholende Kaffeebereitung, theils für das Anzünden der Schibuks und Nargilehs bestimmt.

Vor dem rechten Ecksitz an den Fenstern, dem Ehrenplatz in türkischen Gemächern, lag der Schilteh, – das dünne, viereckige Kissen, welches das Schaaffell des Turkomanenzeltes vorstellen soll, dem die Nation entsprossen.

Im Untertheil führten zwei mit schweren Teppichen verhangene Thüren aus der Querwand und eine eben solche aus der Seitenwand nach dem Gebäude hin in die Divan-Hane, die große Mittel-Halle des Hauses, welche den freien Zugang zu allen Gemächern bildet. Ausnahmsweise – da sonst in den türkischen Zimmern nur ein Eingang zu sein pflegt, – befand sich auf derselben Seite auch eine gleiche Thür im Obertheil.

Ein dicker persischer Teppich bedeckte den Fußboden desselben vor den Fenstern. Obschon viele Personen und Gruppen in dem [337] Gemach versammelt waren, blieb der Ehrensitz und sein nächster Umkreis doch frei.

Es befanden sich ungefähr zwanzig Frauen in dem Obertheil des Gemachs, während eine gleiche Anzahl von Dienerinnen den unteren in verschiedenen Beschäftigungen einnahm. Zwei Schwarze von unförmlich dicker Figur, unglückliche Geschöpfe, die für die Gebräuche des Despotismus schon als Kinder der Mannheit beraubt worden, in weiten orientalischen Kleidern von schreiend rother Farbe, standen an den beiden Eingangsthüren, theils um Wache, theils um Ordnung zu halten unter den oft sehr aufrührerischen Odalisken.

In der linken Ecke des Kiosk, dem Ehrenplatz gegenüber, schien sich die Hauptgruppe der drei versammelt zu haben, welche das Obertheil einnahmen. Auf den Kissen des Divans saßen zwei Frauen in überaus reicher Kleidung, während eine dritte auf der Decke vor ihnen kauerte, alle Drei im eifrigen, obschon leise geführten Gespräch. Zwei junge Wohrinnen, Mädchen von etwa 12–13 Jahren, bedienten sie, indem sie von Zeit zu Zeit mit einer silbernen Zange eine frische Kohle auf den duftenden Tabak von Schiraz legten, der im vergoldeten Kopf des Nargileh's brannte, dessen zierlich aus Gold- und Silberfäden gewundener Schlauch mit edelsteinbesetztem Mundstück aus dem in der Türkei so hochgeschätzten weißen Bernstein den Rauch durch das mit Rosenwasser gefüllte Krystallgefäß zu den Lippen der Damen führte. Häufig nahm dabei Eine oder die Andere derselben einen Löffel von dem süßen Eingemachten, das aus Rosenblättern, Mastix, Limonen und Weichseln bestehend, in vergoldeten Schaalen auf einem gleichen Präsentirbrett von den Sclavinnen ihnen gereicht wurde, und dessen häufiger Genuß, jedes Mal mit einem Schluck Wasser nächst dem Naschen des Zuckerwerks und dem Kaffee zu den Liebhabereien der türkischen Frauen gehört.

Die eine der Damen auf dem Divan war eine hohe und trotz des weichlichen Lebens ebenmäßige Figur, zwar über die Frauenjugend hinaus und anscheinend bereits im Anfang der dreißiger Jahre, aber keineswegs schon verblüht, was so häufig bei den orientalischen Frauen in einem Alter der Fall ist, dabei uns Nordländern erst vollkommen die Frauenschönheit zu entwickeln pflegt. Ihre Gesichtszüge zeigten den reinen klassischen Typus der kaukasischen Raçe, belebt durch ein feuriges Auge, aus dem Stolz [338] und Herrschsucht sprachen. Das dunkle Haupthaar war in zahllose Flechten gelegt, die, mit Goldmünzen und Perlen durchwunden, zu beiden Seiten des Gesichts und im Nacken herunterhingen, während ein gelbseidenes Tuch um den Scheitel geschlungen und dort mit großen Brillantnadeln festgehalten war. Eine dicke, drei Mal umgelegte Perlenschnur umgab den vollen, ebenmäßigen Hals und fiel auf den Busen herab, der von einer aus Goldstoff bestehenden Weste fast gänzlich entblößt gelassen wurde. Weite Beinkleider von Purpurseide aus Brussa, aus denen die nackten, auf den Zehen mit goldenen Ringen geschmückten Füße hervorsahen, indeß die gelben, kaum die Spitze bedeckenden Pantoffeln vom Divan geglitten waren, bildeten die untere Bekleidung. Auch die Arme waren fast bis an die Schulter entblößt, von der ein der Weste entsprechender offener Aermel von Goldstoff niederhing. Schwere Ohrgehänge von jenen großen Türkisen, die allein in den Minen von Nischagur in Indien gefunden werden, und eine Unzahl goldener Armbänder um beide Handknöchel vollendeten den Putz.

Eben so reich, obschon weniger frei, waren die beiden andern Damen, namentlich die zweite, gleichfalls auf dem Divan Sitzende gekleidet. Das reiche Geschmeide dieser überstrahlte sogar an Glanz und Werth bei Weitem den Schmuck der Erstern. Diamanten und Smaragden waren sowohl an ihrem turbanartigen Kopfputz, als an der Stickerei ihres dunkelrothen Mieders verschwendet, über welches ein mit schwarzem Pelz verbrämtes kaftanartiges Oberkleid von gelber Seide fiel. Die gestickten gelbledernen Socken an ihren Füßen, welche die Türkinnen statt der Strümpfe tragen, und die beiden Yaschmacks, welche neben ihnen lagen, der eine mit goldenen Sternen gestickt, bewiesen, daß die Beiden nicht in den Harem gehörten und nur zum Besuch dort waren. Die Zweite der Damen war eine türkische Schönheit von etwa 27 Jahren, deren männliche Züge stark an den verstorbenen Sultan Mahmud II. namentlich in den buschigen Augenbrauen und der vollen, kräftigen Bildung des Mundes und Kinnes erinnerten; – die dritte auf dem Teppich Kauernde dagegen mochte bereits an Vierzig zählen, und in ihrem Gesicht sprach sich ein hoher Grad von Verschlagenheit, Lust und Fähigkeit zur Intrigue aus.

Etwas entfernt von der Gruppe, nach der Seitenthür zu, die an der Balustrade des Obertheils zu den innern Gemächern führte, befand sich eine zahlreichere Gesellschaft von jungen und schönen [339] Frauen, im Genre der erst erwähnten Dame ähnlich üppig und wo möglich noch freier gekleidet, obschon nur zwei unter ihnen durch besondern Schmuck sich auszeichneten und dadurch dem kundigen Auge bewiesen, daß sie unter der Schaar der Odalisken zu Kadinen des Padischah sich durch die Macht ihrer Reize emporgeschwungen hatten. Alle hockten in den verschiedensten Stellungen und mit dem Ausdruck einer kindischen Neugier und Lüsternheit um den großen Kasten mit Schmuck- und Bijouteriesachen und Schönheitsmitteln, den eine Frau von demüthiger Haltung aber überaus gewandter Zunge, in der einfachen Kleidung einer orientalischen Jüdin, an dem gelben Zeichen auf der Brust und den dunklen Strumpfschuhen kenntlich, vor ihnen ausgekramt hatte. Der Handel war in vollem Gange und der Inhalt des Kastens wanderte Stück für Stück durch die an Fingerspitzen und Nägeln mit Hennah gefärbten Hände, während das wirre Geschnatter und Geschwätz der Beschauerinnen kaum das eigene Wort verstehen ließ.

Dieser Gruppe gegenüber auf der Ecke des Divans, welcher zum Ehrensitz fortlief, lehnte eine dritte, doch nur aus zwei Personen bestehend, beide der Typus einer auffallenden und doch sehr verschiedenartigen Schönheit, Herrin und Dienerin. Die Erste war ein junges Mädchen von kaum siebzehn Jahren, nicht nach gewöhnlicher türkischer Sitte auf dem Divan mit untergeschlagenen Füßen hockend, sondern halb liegend in die weichen Polster gelehnt. Ein zartes, blasses Antlitz von überaus schöner Form, von den im Orient so ungewöhnlichen aschblonden Haaren umgeben, die in einem reichen Lockenwald auf Hals und Brust fielen, erhielt durch die bei dieser Farbe eben so seltene Zierde schwarzer Augen, in denen eine gewisse melancholische Schwärmerei lag, einen wunderbaren Reiz. Die Züge dieses Gesichts waren edel, verständig und harmonisch, die Figur unter Mittelgröße, zart und schlank, und obschon die Schöne, die den Kopf in die rechte Hand gestützt, sinnend und theilnahmlos vor sich hin schaute, in orientalische Gewänder gekleidet war, hatte Alles an ihr doch den Typus einer Züchtigkeit und Schaam, der offenkundig der Kleidung der anderen Frauen fehlte. Vor ihr knieete, mit ihren Locken spielend und von Zeit zu Zeit ihr allerlei Erfrischungen anbietend, eine junge Mohrin von wahrhaft junonischem Wuchs und einem Ebenmaaß der Körperformen, der einem Bildhauer hätte zum Modell dienen können. Sie war in ein weißes Gewand gekleidet, das die dunkle Broncefarbe[340] noch mehr hervorhob, während breite goldene Reife den nackten Hals, die Anne und Knöchel zierten. Eine fast antike Kopfbildung bewies, daß sie zu einem der Stämme Abessyniens gehörte, die sich durch ihre Körperschönheit von allen Mohren so sehr auszeichnen, daß sie kaum zu den Negergeschlechtern gezählt werden dürfen. Einige Jahre älter als die Herrin auf dem Divan, schien sie mit einer wahrhaft mütterlichen Liebe an dieser zu hängen und für sie zu sorgen, denn selbst der lockende Anblick des reichen Schmucks, der auf der andern Seite ausgelegt wurde und das neugierige Zudrängen der Dienerinnen aus dem untern Raum vermochte sie höchstens, von Zeit zu Zeit die schöne Odaliske durch eine Bemerkung aus ihrem Nachsinnen zu stören und darauf aufmerksam zu machen.

Im untern Theil des Gemachs um den Springbrunnen waren in ihrem trägen Schlendrian mehrere Dienerinnen und schwarze und weiße Eunuchen beschäftigt, oder pflegten selbst des Käff, jenes dolce farniente der Moslems; denn im Orient besteht die Sitte, daß in einem nur einigermaßen zahlreichen Haushalt jeder Diener und jede Dienerin ein einzelnes bestimmtes Geschäft verrichtet und nie die Hand zu einem andern anlegt. Dazwischen gingen mit jenem unhörbaren Schritt und jener Ruhe, welche die asiatische Dienerschaft auszeichnet. Einzelne durch die Teppiche des Eingangs ab und zu.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

»Mashallah,« sagte die zweite Dame der Gruppe in der obern Ecke des Gemaches aufgeregt zu ihrer Gefährtin, »ist der Padischah, mein Bruder, ein Esel oder bist Du nicht die Sultana seines Harems und die Mutter des Thronerben, daß Du nicht die Macht haben solltest, einen Mann zu dem zu bewegen, was uns das Beste dünkt?«

»Ich küsse Deine Augen, Sultana Adilé,« entgegnete die Circassierin, »Allah und die Zuflucht der Welt 6 haben es gewollt, daß ich die erste Frau seines Herzens bin, aber Dein Bruder ist veränderlich und die Sonne seiner Gunst ist auf ein Geschöpf gefallen, von dem ich glaube, daß sie unsere Feindin ist.«

Die Augen der drei Frauen wandten sich bei dieser Erwähnung einen Moment lang auf die blonde Odaliske am Ende des [341] Divans, die in ihrem Träumen nicht bemerkte, daß von ihr die Rede war.

»Half! Half! 7 Eine verkehrte Stunde hat sie hierher und vor den Großherrn gebracht. Wir werden es Ali Pascha gedenken der sie ihm zum Geschenk gemacht hat. Sie ist offenbar eine Moskau 8. Aber ich müßte die Sultana nickt kennen, wenn ich glauben sollte, sie werde ohne ihre Erlaubniß eine Kadine werden und ihm ein Kind gebären.«

»Wallah! Haltet Ihr mich für eine turkomanische Kub? Ich habe Augen in meinen Kopf und sie sind offen.«

Ein rascher Blick verständigte Beide.

»Es ist gut. Doch laßt uns von dein Geschäft reden, um das Mehemed Ali Pascha, mein Mann, mich hierher gesandt.«

»Allah behüte Euch, Ihr redet Wahrheit, Sultana,« mengte sich die ältere Frau in die Unterhaltung, »und Mehemed Pascha ist der wahre Hort der Gläubigen. Hier ist das Schreiben meines Herrn, des Sirdar, eines so guten Moslems, wie nur je einer das Antlitz des Padischah geschaut hat, obgleich sein Vater und seine Mutter als Ungläubige verdammt sind. Omer meldet darin, daß er am zwanzigsten Tage des Muharem 9 den Krieg gegen die Ungläubigen beginnen wolle. Wir zählen heute den gesegneten Tag des siebzehnten, und es gilt vor Allem zu verhindern, daß der Sirdar keinen Gegenbefehl vom Schatten Gottes 10 erhalte.«

»Du weißt, was geschehen ist heute Morgen im Rath, Sultana?«

»Mashallah, was werde ich nicht? für was habe ich Augen und eine Zunge im Munde? Ist der Kapu Agassi 11 ein Mann, der auf die Stimme der Sultanin nicht zu hören wagt?«

»Die Inglis und Franken sind Leute, welche die ganze Welt in dem Winkel ihres Auges tragen und eine gespaltene Zunge haben. Sie haben den Padischah gebeten, daß er ihre großen Schiffe unter seine Obhut nehme und das Kaïk mit dem Rauch ist heute[342] nach Dardanelli gefahren, um sie zu holen. Sie sind Giaurs, aber sie sind mächtig.«

»Jock! Nichts! was sind sie in Rum 12? Der Padischah ist Alles.«

»Das ist es nicht, was uns den Stein der Sorge auf's Herz legt,« fuhr beharrlich die Gattin Mehemed's, dieses Hauptes der alttürkischen Partei fort. »Aber man hat auf das Verlangen der Christen im Divan heute berathen und beschlossen, daß Dein Mann o Khanum noch zögern solle, den rebellischen Vasallen in Moskau die Schärfe des Schwertes fühlen zu lassen.«

»Fluch über die Feiglinge,« sagte eifrig die Khanum; »die das gerathen sind Söhne eines Hundes, ihre Väter sind Hunde und ihre Mütter sind Hündinnen. Sie verunreinigen mit ihrem Athem den Ruhm des Großherrn.«

»Allah bilir, Gott allein weiß es!« stimmte die Schwester des Padischah bei. »Wer wird unsere Schulden an diese Armenier und Juden bezahlen, wenn es nicht zum Kriege kommt und unsere Männer Geld verdienen? Ai gusum, sieh mich an, Licht meiner Augen, Sultana Fatima, Du mußt es verhindern!«

Die Circassierin wiegte schlau den Kopf.

»Der Padischah ist unser Aller Herr. Wie kann ich thun, was Du sagst, ich bin Nichts als ein Weib.«

Die erste Khanum des türkischen Heerführers, eine frühere Dienerin des Palastes, durch deren IntriguenOmer hauptsächlich seine rasche Carriere gemacht hat, verstand jedoch in ihren Augen zu lesen.

»Allah erbarme sich! wo wäre unsere große Sultana, wenn Sie nicht für jede Gefahr ein Mittel hätte. Ich weiß, was ich weiß.«

»Wie viel Sonnen braucht ein Tartar 13, um zu Deinem Gatten zu kommen?«

»Der Sirdar ist in Rustschuk. In drei Tagen macht der Tartar den Weg, wenn die Balkanpässe offen sind.«

»Pek äji, sehr wohl. Wißt Ihr, ob die Botschaft schon abgesandt ist?«

»Was soll ich sagen? Mein Gatte Mehemed fürchtet es.«

[343] »Ein Mann ist ein blindes Thier; er sieht bosch, Nichts. Der Padischah hat sie in der Tasche behalten.«

»Adschaid! Wunderbar!«

Beide Frauen hoben die Hände in die Höhe.

»Ihr seid keine Eselinnen, Euer Witz ist gut; wißt Ihr warum?«

»Wir sind Staub unter Deinen Füßen,« liebedienerte die Khanum, »wir wissen Nichts.«

»Bak, seht.«

Ihr Finger wies wiederum auf die blonde Sclavin, die in dem Augenblick halb aufgerichtet aufmerksam auf die Jüdin schaute.

»Ne olda 14

»Wenn wir ihn fern von dieser halten können, wird auch die Botschaft gar nicht abgesendet werden. Wir brauchen nur zwei Tage Zeit. Hafiz sagt: Der Wille eines Mannes ist Wachs in der Hand des Weibes, das sein Lager theilt.«

Die Frau des Sirdars nickte verstehend.

»Wird der Herrscher der Gläubigen die Nacht in diesem Harem zubringen?«

»Ich glaube es. Es ist unsere Reihe und er hat mir seinen Besuch verkünden lassen.«

»Die Macht Deiner Reize ist groß, o Sultana, sie blühen wie die Rosen von Schiraz. Aber warum hast Du denn diese Schlange hier behalten?«

»Du redest Thorheit. Das böse Auge der Buhlerin hat den Padischah bezaubert, und wenn er sie nicht hier wüßte, würde er zu den andern Kadinen gegangen sein, oder zu ihr allein. Glaubst Du, daß Diese da mir schaden werden?« sie wies nach den beiden Frauen in der Gruppe um die Jüdin; »bah, sie sind der Hauch meines Odems!«

Die schlaue Circassierin hatte wohlberechnet die beiden jüngsten und schönsten Kadinen in ihre Umgebung gezogen und in die Abtheilung des Harems, die sie bewohnte. Ebenso hatte sie zu vermitteln gewußt, daß die junge blonde Odaliske, die erst seit Kurzem den Harem des Großherrn zierte, von diesem aber die auffallendsten Beweise großer Zuneigung erhielt, in ihrem Haremlik blieb.

»So wirb die Sultana selbst das Lager der Zuflucht der [344] Welt besteigen und seinen Willen einschläfern auf den Kissen ihres Busens?«

»Nicht ich, Effendi 15, auch Jene nicht, obschon ich ihnen vertrauen kann. Der Padischah soll eine Ueberraschung erhalten, die seinen Geist während der nächsten Tage in den siebenten Himmel des Propheten verseht. Hört!«

Sie klatschte zwei Mal stark in die Hände und augenblicklich näherte sich ihr aus dem Untertheil eine so widerwärtig scheußliche Figur, wie sie eben nur in dem Harem von Moslems geduldet werden kann, die eine ganz besondere Vorliebe für Verwachsene und Zwerge zeigen. Aus einem kleinen breiten Körper mit Säbelbeinen hockte ein unförmlicher kürbisartiger Kopf mit einem Munde, der förmlich das Gesicht in zwei Hälften schnitt. Aus den Augen leuchtete Bosheit und List und die rothe Kleidung bewies, daß er zu den Eunuchen des Harems gehörte, wie die Peitsche an seinem Gürtel, daß er einer der Aufseher über die Sclavinnen war.

Der Zwerg verbeugte sich tief vor der Sultana und blieb, die Hände über die Brust gekreuzt, in gebückter Stellung vor ihr stehen.

»Hast Du Nachricht für mich, Sohn eines Zwerges und einer Hündin?« fragte die Sultanin. »Ist Neues vorgefallen?«

»Ich küsse den Stand Deiner Sohlen; bosch, – es ist Nichts.«

»So können wir auf den Sir Kiatib 16 und seine Versicherung rechnen, daß der Ferman noch nicht abgesandt ist?«

»Bei meinen Augen, Herrin. Er lag zur Unterschrift des Padischah bereit, aber der heilige Scheik ul Islam 17 hat das Versprechen des Schatten Gottes, daß die Sache nochmals berathen werden solle. Der heilige Mann und der Saderel Azan 18 haben sich böse Worte gesagt.«

»Er ist unser Feind,« warf die Schwägerin der Sultana ein; »möge seine Leber schwarz werden.«

»Ist Alles geschehen, wie ich befohlen? Sind die Alme'n 19 [345] bereit und das Spiel? Haben die Weiber die Sclavin vorbereitet und sie gesalbt?«

»Möge das Licht Deiner Augen auf Deinen Sclaven fallen. Das Mädchen hat so eben das letzte Bad erhalten und ihre Schönheit strahlt, wie der Abendstern, neben der Sonne der Sultana.«

»Es ist gut. Laßt uns das Ende erwarten. Allah möge uns beistehen.«

Der durchdringende helle Klang zweier in einiger Entfernung zusammengeschlagenen Becken unterbrach das Gespräch.

»Der Padischah!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Während am Ende des Obertheils die Weiberintrigue im Interesse der alttürkischen Partei sich schürzte, um den Ausbruch des Krieges herbeizuführen, war unsern der Gruppe eine andere geheimnißvolle Scene vor sich gegangen.

Der Leser wird sich erinnern, daß in dem Augenblick, als die Favorita auf die blonde Odaliske deutete, diese mit aufmerksamerem Blick als bisher die Gruppe gegenüber zu betrachten begann, die sich um den Schmuckkasten der jüdischen Juwelenhändlerin drängte. Dir Ursache hiervon war diese selbst, indem sie in einem Augenblick, als zufällig das Auge des jungen Mädchens auf sie fiel, ein rasches Zeichen machte und den Zeigefinger der linken Hand auf die Lippen legte.

Die Odaliske wandte der Verkäuferin nun ihre volle Aufmerksamkeit zu, und als ein zweiter und deutlicher Wink der Augen ihr gezeigt, daß die Jüdin ihr Etwas mitzutheilen habe, aber vor den bewachenden Augen der Sultaninnen sich nicht selbst ihr zu nahen wage, erhob sie sich langsam und trat wie gleichfalls neugierig zu der Gruppe ihrer Gefährtinnen heran und nahm einen oder den andern der Gegenstände in die Hand. Die gewandte Jüdin ergriff sofort den Moment.

»Aï, Herrin,« sagte sie, indem ihr Blick die Odaliske bedeutete, aufzupassen; »der Gott Abrahams segne Eure Schönheit. Wollt Ihr nicht dieses Halsband versuchen? es sind reine Amethysten aus dem kalten Lande der Moskowiten, unserer Feinde, wo der Schnee das ganze Jahr lang auf der Erde liegt, obschon ich mir habe sagen lassen, daß die Sonne die Hälfte der Zeit [346] dort nicht untergeht und die andere Hälfte Nacht ist 20. Nehmt, Effendi, und prüft es an dem Elfenbein Eures Halses.«

Sie drängte der Odaliske das Halsband auf und diese fühlte zugleich, daß aus dem weiten Aermel der Jüdin ein anderer Gegenstand mit in ihre Hand glitt. Besonnen trat sie vor einen der großen Spiegel, die, meist Geschenke europäischer Fürsten, in prachtvollen Nahmen an der Wand des Kiosks ohne alle Regelmäßigkeit aufgehängt, eine Lebensnothwendigkeit für die eitlen und putzsüchtigen Haremsbewohnerinnen sind, und legte das Halsband wie prüfend um, indem sie geschickt dabei den zusammengerollten Streifen Pergament, den sie zugleich erhalten, in das süße Versteck aller Frauen, den Busen, gleiten ließ. Dann gab sie ablehnend den Schmuck wieder zurück und wandte sich nach ihrem Platz.

Noch ehe sie diesen erreicht, erscholl das Zeichen, welches den Besuch des Großherrn verkündete. Wie mit einem Zauberschlage änderte sich das Bild. Die Jüdin raffte ihre Sachen eilfertig zusammen, warf der Odaliske noch einen raschen bedeutsamen Blick zu und wurde von den Verschnittenen aus dem Gemach getrieben. Auch die erste Khanum Omer Pascha's schlug ihren Yaschmak um das Haupt und barg sich nach einigen rasch mit der Favoritin gewechselten Worten unter den Dienerinnen im Untertheil des Gemachs. Während die beiden Kadinen zu der Sultana traten, stellten sich die Odalisken in zwei Reihen entlang der Divans auf, die Hände über die Brust gekreuzt und die Augen zu Boden gesenkt, ebenso die Dienerinnen und Eunuchen im Untertheil.

In der Bewegung, die dieser Anordnung voranging, gelang es Mariam, der blonden Odaliske, den Zettel in der hohlen Hand zu lesen. Derselbe enthielt die Worte:

»An die Khanum Mariam. – Die Verschiebung des Angriffs um zehn Tage ist heute zwar im Divan auf den scheinbaren Rath des englischen Eltschie 21 beschlossen, heimlich aber drängt man den Sultan, die Absendung des Befehls zu verzögern. Erlange um jeden Preis seine Unterschrift und die Absendung des Fermans, womöglich noch in dieser Nacht, denn morgen wachen die Feinde. Im Namen des Gottes, den Du im Herzen verehrst. Die Sache ist wichtig.«

[347] Sie bog den Pergamentstreif zusammen und verbarg ihn in dem Gewande, denn der Zug des Sultans nahete, wie das Zusammenschlagen der silbernen Becken verkündete.

Einen Augenblick hielt er vor dem großen Eingang des Gemachs, während die mit entblößten Säbeln Wache haltenden Eunuchen den Vorhang zu beiden Seiten emporhielten.

Zunächst traten vier Itschoklans 22 – schon in ihrer Jugend verstümmelte Kinder – ein und schritten bis zu dem Aufgang des Obertheils vor. Ihnen folgte eine gleiche Anzahl schwarzer Eunuchen, die Becken schlagend, und darauf der Tschannador-Aga 23, den großen Pfauenwedel tragend, womit die Pagen dem Großherrn Kühlung zufächeln. Hinter ihm kamen die beiden Schwertträger des Sultans und dann dieser selbst auf den Arm des Kislar-Aga gestützt. Der Kapi-Aga (Agassi) oder das Oberhaupt der weißen Verschnittenen schloß den Zug, an der Spitze von vier mit blanken Säbeln bewaffneten circassischen Sclaven.

Der Großherr – Abdul-Medschid-Khan – zur Zeit unserer Erzählung im einunddreißigsten Jahre stehend 24 – war eine große Gestalt mit vollem fleischigem, aber blassem Gesicht, das zwar unverkennbar einen Zug von Gutmüthigkeit trägt, aber – offenbar von dem frühen Genuß der Haremsfreuden, zu denen ihn seine ehrgeizige Mutter verleitete – den Ausdruck des Schlaffen, Theilnahmlosen hat. Alles innere Leben scheint aus diesem Antlitz verschwunden, das durch die breite offene Stirn und die edle Form der Nase selbst schön zu nennen wäre, wenn das große dunkelbraune Auge mehr Feuer und nicht jenen melancholischen Blick der Seelenapathie zeigte. Es ist gewöhnlich zu Boden geschlagen, oder wenn es erhoben wird, starr und kalt; nur selten sprüht ein Blitz der Leidenschaft oder des Bewußtseins der Macht daraus hervor, und dann wird es dem scharfen wilden Auge seines großen Vaters ähnlich.

Der Sultan trug die halb europäische Kleidung: weiße Pantalons, darüber einen zugeknöpften indigoblauen Rock mit steifem Kragen und den rothen Feß, statt der gewöhnlichen schwarzen [348] lackirten Stiefeln 25 jedoch gelbe Pantoffeln. Die einzige Auszeichnung, die ihn schmückte, war ein mit großen Diamanten besetztes Brustschild, da wo der Rockkragen sich schloß. Alle seine Begleiter trugen gleichfalls den abscheulichen Feß, diese unkleidsame und zweckwidrige Tracht, welche die Reform des verstorbenen Sultans für die Civilbeamten und das Militair eingeführt hat. Mit dem letzten Janitscharen sank die malerische Kleidung der türkischen Krieger.

Als der Großherr über die Schwelle des untern Gemachs trat, fiel die Reihe der Dienerinnen und Eunuchen knieend zu Boden, mit der Stirn fast die Erde berührend, auch die Odalisken beugten sich tief und verharrten, Alle das »Selam Aleikum« 26 murmelnd, in dieser Stellung, bis der Sultan, der nie den Gruß eines Unterthanen erwiedern darf, durch ihre Reihe hin- und zu dem Ehrensitz in der Ecke geschritten war, auf dem er Platz nahm. Ein rascher kurzer Seitenblick, als er an Mariam vorüberging, der nicht blos von dieser, sondern auch von den beiden Sultaninnen sehr wohl bemerkt worden war, bewies, daß er trotz seiner äußern Gleichgültigkeit auf seine Umgebung achtete. –

Der jetzige Großherr hat, wie gesagt, in seinem Wesen keineswegs das Entschlossene, Gebietende des Despoten, was man wohl an dem unumschränkten Herrscher des Orients erwartet und was in den meisten Gliedern seiner Familie ausgeprägt war. Viel mehr liegt etwas Schüchternes, Unentschlossenes in seinem Wesen und er ist nicht einmal der Gebieter in seinem Harem. Die Erfahrungen seiner Jugend mögen daran schuld sein, zuerst der Druck seines despotischen, keinen Willen neben dem seinen duldenden Vaters, und die Erziehung nicht im Feldlager, sondern im Harem, in dessen Genüsse er bereits mit seinem dreizehnten Jahre eingeweiht wurde. Etwa anderthalb Jahre vor seinem Tode 27 schenkte ihm Sultan Mahmud eine wunderschöne Circassierin, zu welcher der Jüngling eine heftige Liebe faßte, die bald auch Folgen hatte. Wir haben oben bereits das unnatürliche Regierungsprinzip erwähnt, daß die Söhne und Brüder des Sultans bei seinen Lebzeiten keine Kinder haben dürfen. Die Circassierin weigerte sich, eines jener abscheulichen [349] Mittel anzuwenden, welches das Kind unter ihrem Herzen tödten sollte, und der Prinz konnte sich nicht entschließen, sie dazu zu zwingen. Er rechnete auf den Tod des Sultans, der sich bekanntlich dein Trunk ergeben und schon mehrere Anfälle des delirium tremens gehabt hatte, um dann als Herr und Gebieter die Sclavin und ihr Kind anzuerkennen. Bis dahin suchten Beide auf alle mögliche Weise die Schwangerschaft zu verbergen. Aber der Neid der Odalisken brachte sie an den Tag, und der Sultan stellte die grauenvolle Wahl, daß entweder das ungeborene Kind oder die Sclavin geopfert werden müsse. Die Geliebte des Prinzen weigerte auch jetzt noch standhaft das Verbrechen gegen die Natur, und als der junge Abdul zwei Abende darauf den Harem besuchte – war sie verschwunden: man hatte sie erdrosselt.

Vier Wochen nachher starb Sultan Mahmud am Delirium in seinem Kiosk auf den Höhen von Goksu am asiatischen Ufer des Bosporus.

Abdul Medschid gelangte mit sechszehn Jahren zum Sultanat, doch hatte er damit kaum den Herrn gewechselt, denn die Sultanin Valide, seine Mutter, und die Intriguen des alten Chosrew-Pascha hielten ihn unter ihrem Druck, bis zwischen Beiden selbst Feindschaft ausbrach. Auch nachher noch gönnte er seiner Mutter einen großen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte, bis sie im Frühjahr 1853 starb.

Kurz vorher, ehe sie erkrankte, hatte der Großherr von Ali Pascha, dem Gouverneur von Brussa, die Odaliske Mariam zum Geschenk erhalten und ihr alsbald eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, da sie seiner gemordeten ersten Geliebten auffallend ähnlich sein sollte. Dieser Vorzug hatte natürlich unter den Frauen des Harems bedeutende Aufregung und Eifersucht hervorgerufen und ihre Intriguen und die Herrschsucht der Mutter des Thronfolgers erschwerten den Umgang des Sultans mit seiner neuen Geliebten auf alle mögliche Weise. Man sah in ihr nicht nur die gefährliche Nebenbuhlerin um die persönliche Gunst des Sultans, sondern auch um den politischen Einfluß, und es ging das Gerücht im Harem, daß sie eine heimliche Christin und von der russischen Partei in den Harem gebracht sei. Wir haben bereits angedeutet, daß man einer Schwangerschaft zuvorgekommen war, da sie die Geburt eines Kindes den Sultaninnen mindestens gleichgestellt [350] hätte, während die Unfruchtbarkeit der Kadinen für eine Schmach gehalten wird und diese ohne Rechte nur in der Lage einer begünstigten Sclavin verbleiben läßt. Selbst der Wille und die Macht des Sultans vermochten sie kaum genügend gegen die Angriffe ihrer Feindinnen zu schützen.

Wir haben oben die eigenthümliche Schönheit der jungen Odaliske beschrieben. Sie war eine Mingrelierin von Geburt, mit ihrer Mutter – einer Russin – als Kind in die Hände kurdischer Räuber gefallen und später unter den Schutz Ali Pascha's gekommen, der sie dem Harem seines Gebieters bei passender Gelegenheit zum Geschenk machte. Näheres wußte und erfuhr man nicht von ihr, doch war es bald offenbar, daß sie dankbar für die Gunst des Großherrn diesem mit ganzem Herzen anhing und ihn hingebend liebte. –

Ein Schlag der Silberbecken, die während des Ganges durch das Gemach geschwiegen hatten, verkündete, daß der Großherr Platz genommen, und auf dies Zeichen erhoben Alle das Haupt und es bildete sich eine Gruppe um den Padischah. Die Favorit-Sultana und die Schwester des Großherrn nahmen auf Kissen am Boden an seiner Seite Platz und neben ihnen die beiden andern Kadinen, während die Odalisken jenseits der Fenster an den Wänden entlang auf dem Divan sich reihten. Neben den Kadinen nahmen der Kislar-Aga und der Kapu-Agassi ihre Stelle ein, während der Tschannador alsbald eine mit Edelsteinen reich verzierte Pfeife mit einem Rohr von Jasminholz, das mindestens sieben Fuß lang war, auf dem Mittelfinger der rechten Hand wiegend, feierlich heranschritt. Ein Offizier der Eunuchen setzte zugleich eine silberne runde Schaale im richtigen Augenmaaß auf den Boden, so daß, als der Tschannador den Kopf der Pfeife auf diesen Teller setzte und diese nun zierlich herumschwang, das Mundstück gerade zu den Lippen des Großherrn reichte. Ein anderer Offizier brachte in der silbernen Zange, welche die meisten Türken in einem Futteral am Gürtel tragen, aus dem Tandur die brennende Holzkohle für den Taback, und dann erst, als die Pfeife in Brand war und er mehrere Züge des duftigen Dampfes gethan, indeß die Offiziere rückwärts gehend nach dem Untertheil zurückschritten und dort mit gekreuzten Armen stehen blieben, wandte sich der Sultan zu seiner Schwester und der Sultana und begann das Gespräch mit der [351] üblichen Formel: Kosch dscheldin 28 und der Frage: Kiefiniz aji me: Ist Eure Laune gut?

Die Sonne war unterdeß am Horizont verschwunden, und dies ist die Zeit, wo die meisten Bekenner des Propheten die einzige oder wenigstens die Hauptmahlzeit des Tages zu sich nehmen. In den Gängen des Palastes erscholl zugleich der Ezan, der Ruf des Imaum's zum Gebet, und sofort knieete der Sultan mit dem Gesicht nach Mekka auf dem Teppich nieder, während alle Anwesenden sich zu Boden warfen, und verrichtete das Abendgebet. Erst als der Padischah wieder Platz genommen, erhoben sich die Andern. Alsbald wurde der Kaffee dem Sultan gebracht und während sich die Sultana Adilé verabschiedete und rückwärts schreitend von ihrer Schwägerin bis an die Thür der Frauengemächer geleitet, ihren kurzen Heimweg im Kaïl nach dem Harem Mehemed-Ali-Pascha's antrat, wurde das Gemach mit einer Unzahl von Wachskerzen erhellt, worauf die Baltahgies, die Köche des Harems, eintraten, und auf einem vor den Großherrn gestellten Tisch die zahlreichen Gerichte ordneten. Dieselben bestanden – wie stets, wenn der Großherr im Harem speist – aus türkischen Speisen, der Thorba oder Fischsuppe, Dolmas: Reis mit Fleischkugeln in Weinblätter gewickelt, Kaftas: farcirtem Fleisch, einem gebratenen Lamm in einem Berge von gekochtem Reis, und Halvas oder Zuckerfrüchten und Eingemachtem, von denen eine Unmasse kleiner silberner Schüsseln aufgesetzt wurden.

Der Padischah speiste allein, von den Pagen knieend bedient, da es nicht erlaubt ist, daß ein Mann und noch weniger eine Frau seine Mahlzeit theilt. Doch sandte er häufig durch einen Wink an die Pagen einer oder der andern der Frauen, darunter auch Mariam eine silberne Schaale mit eingemachten Früchten oder Leckereien. Während der Mahlzeit, die schweigend vollbracht wurde, verrichtete am Eingang des Obertheils die Massaldschi 29 ihr Amt, indem sie in halbem, eintönigen Gesang eines jener phantastischen Mährchen erzählte, deren Anhören in den Kaffeehäusern, auf den Straßen und in den Harems einer der größten Genüsse der Moslems ist. Die Erzählung, mit den ausschweifendsten Farben das Liebesglück schildernd, wurde fortgesetzt, während die Sultana dem[352] Großherrn aus einer goldenen Kanne Wasser über die Hände goß, indeß einer der Pagen knieend das Becken von gleichem Metall hielt, in dem der Padischah die vom Koran vorgeschriebenen Abwaschungen vollführte. Alsdann wurde mit gleichen Ceremonieen wie vor der Mahlzeit dem Gebieter der Kaffee und eine neue Pfeife gebracht 30.

Der »Herr der Welt« erlaubte jetzt durch seinen Wink den begünstigten Frauen, gleichfalls ihr Nargileh zu nehmen, da die Unterhaltungen des Abends beginnen sollten.

[353] Die Dienerinnen naheten sich ihren Gebieterinnen und Nursädih, die schwarze Sclavin Mariam's, that dasselbe. Diese Gelegenheit benutzte die Odaliske zu einem raschen Gespräch mit ihr.

»Ist Dein Bruder Jussuf, der Courier, im Palast?«

»Du sagst es, Herrin.«

»Wohl. Höre meine Worte. Laß ihn sich bereit halten zu einer Reise nach dem Lager des Sirdar. Er soll das schnellste Pferd nehmen, das ihm zu Gebote steht, und nicht rasten unterwegs.«

»Du kennst seine Schnelligkeit, o Khanum. Der Pfeil vom Bogen verfolgt seinen Weg nicht gerader denn er.«

»Der Padischah, mein Gebieter, wird mich zu seiner Kadina wählen an diesem gesegneten Abend, sein Auge sagte es mir. Nun merke auf. Zu welcher Stunde der Nacht es auch geschehe, daß ich Dich rufe, so sei zur Hand und laß Deinen Bruder den Fuß im Bügel halten.«

»Auf mein Haupt komme es.« – –

Die Favorit-Sultana klatschte in die Hände und eine Musik von Zithern und Triangel erschallte aus dem Untertheil des Gemachs. Mit ihren ersten Takten traten die Almen, die vor dem Padischah ihre Tänze aufführen sollten, herein. Die Sultana hatte für diesen Abend die jungen Mädchen – Kinder sollten wir sagen – gewählt, die von zartem Alter an im Harem für dessen Zwecke erzogen und ausgebildet werden. Wenn auch nicht im Serail des Großherrn, – wo dessen Person der alleinige Zweck und Mittelpunkt ist, um den sich Alles dreht – so doch in vielen andern Harems speculiren die Frauen förmlich in jungen Mädchen, die sie als Kinder ankaufen, erziehen und in verschiedenen Künsten unterrichten lassen, um sie dann, wenn sie mannbar geworden sind, oft mit großem Vortheil an alte Lüstlinge zu verhandeln.

Die Almen der Sultana waren Mädchen von 10–14 Jahren, ein Alter, wo unter diesem Himmelsstrich bereits die jungfräulichen Formen vollständig sich entwickeln. Sie betraten den obern Raum an der Barriere zwischen den Sitzen der Odalisken und stellten sich – sechs an der Zahl – in einem Halbkreis auf, worauf sie zugleich auf die Knie sanken und mit der Stirn zum Zeichen des Grußes den Boden berührten.

Das Costüm oder vielmehr die Ausstellung dieser jungen Geschöpfe war so lüstern und schaamlos, wie sie eben nur für die [354] Zwecke sinnlicher Aufregung dienen kann. Der obere Theil des Leibes von den Hüften aufwärts war gänzlich unbekleidet, Arme und Hals waren mit Goldspangen und Perlenschnüren umgeben, und nur die über die Brust gekreuzten Hände verbargen den emporschwellenden jugendlichen Busen. Eine Kappe von eigenthümlicher Form aus Goldbrokat bedeckte das Haupt, von dem wohl in zehn mit Perlen und Bändern durchwundenen Flechten und Zöpfen das Haar herunter hing. Türkische Beinkleider von rother Seide gingen bis zum Knie, von wo ab das Bein wieder nackt war, indeß der Fuß in goldgestickten niedern Schuhen von gleicher Farbe wie die Beinkleider steckte.

Nach dem eintönigen Takt der Musik begann hierauf der Tanz, indem sie drei lange Shawls von farbiger Seide zu allerlei Draperieen und Dekorirungen verschlangen, erst langsam – dann immer rascher und wilder bis zu den üppigsten Bewegungen der Flucht und der Hingebung. Die jungen kaum erschlossenen Körper wanden sich in Geberden und Stellungen des Verlangens und der Verführung einer Leidenschaft, die ihnen noch unbekannt war, während die nackten Glieder in hundert Bewegungen und Verschlingungen sich kreuzten.

Der Tanz dauerte wohl eine halbe Stunde, während der die Sultana die Blicke häufig auf das Antlitz des Großherrn beobachtend gerichtet hielt. Doch vergebens suchte sie den gewünschten Ausdruck – die Augen des Padischah blieben schlaff auf das gewohnte Schauspiel geheftet, es vermochte nicht seine Nerven zu erregen, und als jetzt nach einem Zeichen der Sultana, den Tanz zu enden, die Aelteste der Almen näher trat und knieend dem Padischah eine silberne Schaale vorhielt, warf er mit derselben Gleichgültigkeit einige Goldmünzen hinein. Mit Wuth und Erbitterung nahm die Favoritin wahr, daß dabei der Blick des Sultans immer wieder nach der Stelle sich wandte, wo Mariam auf dem Divan saß.

Auf ein zweites Zeichen der Sultana ließen jetzt die Eunuchen von der Decke des Unterraums einen straffgezogenen Leinwandvorhang fallen, die Lichter im obern Theil diesseits des Vorhangs wurden ausgelöscht und die Musik, verstärkt durch mehrere Tambourins und Handtrommeln, eröffnete eine neue Melodie.

Es folgte nunmehr in Form eines Schattenspiels eines jener scheußlichen Schauspiele, halb Pantomime, halb Dialog, die in Stambul die Stelle unserer Arlequinaden und Hanswurst-Theater [355] ersetzen. Die Hauptfigur derselben, Karagoïs genannt, ist eine Art komischer Don Juan oder frivoler Hanswurst, der in verschiedene Liebesabenteuer geräth, wobei namentlich Griechen und Griechinnen fungiren. Der Dialog wimmelt, wozu die türkische Sprache leicht Gelegenheit giebt, von den infamsten Zweideutigkeiten, die Actionen und Scenen aber sind der Art, daß die »Sittlichkeit« der europäischen Bordelle davor erröthen würde.

Diese Sorte von Schauspielen ist nicht allein unter dem Volk in Stambul eine der beliebtesten Unterhaltungen und findet öffentlich argen Entré statt, wobei ein großer Theil des Publikums aus Kindern besteht, sondern sie sind eben so ein gesuchtes Amüsement in den Harems der Reichen, und viele der Würdenträger halten sich besondere Darsteller. Namentlich erpicht sind die Frauen aus diese Schauspiele und es giebt für dieselben auch besondere öffentliche Theater, in denen sie in Gitterlogen sitzen.

Die Variationen derselben sind sehr mannigfaltig. Was die ausschweifendste, aller Schaam baare Phantasie erdenken kann, ist durchgängig der Gegenstand nicht nur der Worte, sondern der Action, um die physische Erschlaffung aufzustacheln. Unter solchen Verhältnissen wird es der Leser dem Autor erlassen, auf eine nähere Beschreibung des angedeuteten Schauspiels einzugehen.

Es hatte wohl eine Stunde gedauert, als der Padischah selbst das Zeichen zu seiner Beendigung gab. Die Schauspieler und der Vorhang verschwanden, die Kerzen wurden auf's Neue angezündet und Kaffee und Zuckerwerk gebracht.

Diesmal sah die Sultana ihre Arrangements von einem Erfolg begleitet. Die Stirn des Großherrn zeigte eine leichte Röthe, seine Augen hatten sich belebt, und als der Glanz der Lichter das Gemach wieder durchstrahlte, irrten sie über den Reizen seiner Odalisken umher und blieben dann auf Mariam, der Mingrelierin, mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit und Feuer haften, dessen Bedeutung nicht zu verkennen war und den das Mädchen mit gleicher Sehnsucht erwiederte.

Der Padischah machte eine Bewegung nach dem Kislar-Aga, zu dessen Vorrechten es gehört, der begünstigten Kadine oder Odaliske die ihr zugedachte Auszeichnung zu verkünden, als die Sultana dem Befehl zuvorkam und sich vor dem Großherrn auf die Knie warf.

»Möge das Licht der Welt,« sagte sie schmeichelnd, »seiner [356] Sclavin noch einige Augenblicke seiner kostbaren Zeit gewähren und seine Augen auf ein Geschenk werfen, das sie für ihn bereit hält.«

Der Sultan setzte sich wieder.

»Was ist es, o Khanum? Du weißt, daß ich der Mutter meines Sohnes ihr Recht nicht verweigere.«

Die Sultana verneigte sich. Als sie sich erhob, streifte ihr Blick mit dem Vorgefühl des Triumphes über die getäuschte Nebenbuhlerin hin, die mit einiger Beunruhigung auf den unerwarteten Zwischenvorgang sah. Dann klatschte sie zwei Mal in die Hände und alsbald öffnete sich der Vorhang der untern Seitenthür nochmals, und von zwei schwarzen Sclavinnen geführt, trat eine ganz in einen weiten Schleier und braunen Feredschi gehüllte weibliche Gestalt ein, die langsam – während ihre Begleiterinnen zurückblieben – die Stufe herauf und bis in die Mitte des Obertheils vorschritt, wo sie sich vor dem Sultan zur Erde verneigte und dann, in ihre Gewänder verhüllt, gleich einer Statue stehen blieb.

Erstaunt schaute der Großherr auf die ungewohnte Erscheinung und dann fragend auf die schlaue Sultana.

Diese zögerte – wie um die Neugier zu reizen – einen Augenblick, dann gab sie das zweite Zeichen.

Im Nu flogen die Gewänder und der Schleier zur Seite und ein reizendes Bild stand vor den Augen des Herrn.

Es war eine Tänzerin, halb europäisch, halb orientalisch gekleidet, in raffinirter Berechnung auf die Erregung der Sinne, – ein griechisches Mädchen von wunderbarer Schönheit, – Nausika, die geraubte Tochter des Räubers und Mörders Janos, des Kameeltreibers, die Tochter des blutigen Feindes der Moslems, dessen kühne That einst die Gräuel von Chios gerächt hatte!

Der Leser wird sich erinnern, daß der Musselim von Tschardak das sechszehnjährige Mädchen kurz vor ihrer Hochzeit aus dem Hause ihres abwesenden Vaters mit Gewalt geraubt hatte, um sie seinem Gönner, Mehemet Ali, in Stambul zum Geschenk zu machen, und daß dieser Raub es war, welcher Janos auf's Neue zum Krieg gegen die Moslems trieb und ihn zum Schrecken Smyrna's machte. Mehemet, dessen Haus die Schwester des Sultans streng beherrschte, hatte die reizende Sclavin durch seine Frau der Sultana für den Harem seines Schwagers übergeben lassen, und diese beschlossen, sich in der Sclavin eine Anhängerin und – beim Verblühen der eigenen Reize – ein Mittel zu schaffen, [357] auf die Sinne des Sultans zu wirken und seine Neigung in der Gewalt ihrer eigenen Interessen zu behalten.

Zugleich war sie klug genug, einzusehen, daß hier selbst bei aller Schönheit des Mädchens das Gewohnte nicht fesseln und reizen könne, da der Harem der schönen Frauen so viele barg, sondern daß es galt, einen außergewöhnlichen Eindruck auf die Sinne des Gebieters hervorzubringen. Sie fiel auf den Gedanken, die griechische Sclavin während ihrer Gewöhnung zu den Sitten des Harems durch einen italienischen Tänzer ausbilden zu lassen, und diesem war es gelungen, in der Frist eines Jahres aus dem bildsamen Mädchen eine üppige orientalische Pepita zu schaffen. Zugleich vergaß in den Lockungen des Ehrgeizes und Wohllebens die Griechin Familie, Glauben und Vaterland, gleich der ersten Liebe zu dem entrissenen Bräutigam, und während ihr Vater auf den Bergen Anatoliens mit blutiger Hand ihren Raub an den Bekennen, des Propheten rächte, war die Tochter bereits die gefügige Odaliske des Harems, die sinneberauschende Alme geworden, die – bisher sorgsam vor den Augen des Großherrn verborgen – heute ihr erstes Debüt machen sollte.

Mit der Raffinerie der Wollust war die junge Tänzerin gekleidet, verhüllend und entblößend – lockend und verheißend! Um das dunkelbraune, fessellos über den Nacken fallende Haar, worin lange Schnüre von kleinen Goldmünzen eingeflochten glänzten, war ein duftender Kranz von damascener Rosen geschlungen. Große blaue Augen unter dunklen Brauen und der üppig aufgeworfene Mund predigten Lüsternheit und Sinnenrausch. Die antik schöne Nase und das Oval des Gesichts mit seinem reizenden weiß und rothem Teint bildeten ein äußerst liebliches Bild des Kopfes, der auf schlankem Hals und üppig geformter Büste saß, die von einem weit bis zur Herzgrube ausgeschnittenem Mieder von drap d'argent gegen die legère orientalische Sitte zur schlanken Taille eingeschnürt war. Um die breiten beweglichen Hüften bauschte ein schwarzer spanischer Seidenrock, kaum bis zum Knie reichend, während aus der Hülle der zahlreichen weiten Unterkleider von weißem Spitzengrund die klassische Form des völlig nackten Beines sich hervorstahl, dessen zierlicher Fuß allein mit fleischfarbenen Seidenschuhen bekleidet war. Eben so von der Achsel ab, wo sie eine kurze schwarze Spitzendraperie einschloß, entblößt waren die Arme, an den Handgelenken mit breiten goldenen Bracelets geziert. Ein Strauß [358] frischer Blumen, Rosen und Camelien schmückte und schloß den Ausschnitt des Busens.

Die rechte Hand mit der Castagnette über das reizende Haupt erhoben, die linke stolz auf die breite Hüfte gestemmt, stand die Tänzerin in malerischer Stellung einige Augenblicke vor den erstaunten Augen des Großherrn. Dann erklangen die rauschenden Töne eines spanischen Tanzes, von Flöte und Violinen vorgetragen, die draußen im Divan-Hane, dem Vorzimmer, postirt waren, durch die Vorhänge der Thüren herein dringend, und im kecken Sprunge flog die Alme auf den Padischah zu, den einen Fuß aus der neidischen Hülle üppig-graciös den von den unerwarteten Reizen entflammten Augen entgegenwerfend. Dann in jenen Windungen und Geberden, die so reizend das wollüstige Verlangen und Empfinden des spanischen und italienischen Tanzes ausdrücken, – in denen der Oberkörper schmachtet und lockt, während von der Taille ab der untere Theil in glühendem Feuer sich zu erschöpfen scheint, oder in den Sprüngen bacchantischer Lust tobt und rast, – bald dem Padischah nahend, bald sich wieder von ihm nach dem frischen, aufregenden Takt der Musik entfernend, schien die Tänzerin alle Leidenschaften herauszufordern und ihr keckes Spiel mit ihnen zu treiben, bis zuletzt mit der endenden Musik sie in einer reizend lockenden Attitüde am Boden knieete.

Der Padischah war bei dem Ende des Tanzes empor gesprungen; seine sonst so theilnahmlosen Augen flammten mit verzehrendem Blick auf die schöne Erscheinung. Selbst die verachteten Halbmänner an seiner Seite schienen neu ermannte Wesen voll Verlangen und Erregung: – mit raschem Schritt – vom glühenden, Triumph strahlenden Blick der Sultana verfolgt – trat er auf die Knieende zu und hob das seidene Schnupftuch, um selbst mit eigener Hand das Amt des Kislar-Aga zu vollziehen und ihr Haupt damit zu bedecken, das Zeichen, daß die Wahl auf sie gefallen, an diesem Abend sein Lager zu theilen.

Da scholl ein schmerzlich gellender Schrei, wie aus zerrissenem Herzen grell durch das Gemach und fesselte seine Hand.

Auf dem Divan lag marmorbleich die schöne Gestalt Mariam's in Ohnmacht.

Während die Frauen mit Nursädih herbei eilten und sich um die Mingrelierin drängten, stand der Sultan einige Augenblicke stumm und unentschlossen, – sein Blick hatte die Geliebte erkannt, [359] – dann legte er die Hand wie sinnend an die Stirn, die Röthe verließ das Antlitz, die leidenschaftliche Gluth der sinnlichen Erregung das Auge, und er wandte sich, ohne weiter einen Blick auf sie zu wagen, von der verführerischen neuen Bereicherung seines Harems und trat zu der um Mariam beschäftigten Gruppe, die ihm scheu Platz machte. Es war, als fühlte die bleiche Odaliske seine Nähe; denn alsbald öffneten sich ihre Augen und ihr Blick wandte sich zärtlich und flehend auf den des Sultans, während sie ihm wie Schutz suchend die Arme entgegenstreckte. Der Großherr beugte sich zu ihr, flüsterte ihr einige Worte zu und legte der Erröthenden das Tuch auf das bleiche Gesicht.

Auf ein Zeichen des Tschannador schlugen sogleich die Silberbecken wieder zusammen, und der Kapu-Agassi umgab mit seinen Verschnittenen alsbald die Glückliche, der sofort ein grüner Feredschi über Kopf und Gestalt geworfen wurde, während der Großherr in Begleitung des Kislar-Aga und der Pagen sich nach der Thür wandte, die in der Seitenwand des Obertheils in die Schlafgemächer des Harems führt. Aber hier warf sich ihm die Favoritin, von den beiden andern Kadinen assistirt, in den Weg, wuthblitzenden Auges, die Adern der Stirn vor Zorn geschwollen.

»Haif! Will der Padischah ein Mann sein, und thut seinen Frauen die Schmach an, daß er auf das Geschrei einer Kuh von Kreuzträgerin hört? Mashallahl Er ist ein Lügner in seinen eigenen Bart und ein Weib in seinem Hause, nicht besser als dies Thier von einem Halbmann!« wobei sie verächtlich mit der Fläche der rechten Hand sich auf den linken Ellbogen schlug, das Zeichen der tiefsten Geringschätzung.

»Haif! Haif!« 31 schrieen dazu die andern Weiber, sich um ihre Verfechterin drängend und den Eunuchen die gespreizten Finger in das Gesicht streckend.

Der arme Sultan schien dergleichen Pantoffelauftritte gewöhnt, denn ohne ein Wort zu entgegnen, suchte er stillschweigend durch ein Manöver die barrikadirte Thür zu gewinnen, während der Kislar-Aga und sein Tschannador sich zwischen die wüthende Frau und ihren Herrn warfen. Aber diese Pflichterfüllung sollte ihnen schlecht bekommen, denn die Sultana war eine böse Segnerin und [360] die Schärfe ihrer Nägel so gut, wie die ihrer Zunge im ganzen Serail bekannt und gefürchtet.

»Bah!« schrie die Erbitterte, als der Aga, dessen Gesicht die blutigen Maale der bösen Finger zeigte, unwillkürlich nach dem Handjar im Gürtel griff und die Augen grimmig rollte; »was soll das heißen, Du ägyptisches Vieh? Meinst Du, ich fürchte mich vor einem Manne, der kein Mann ist? Wallah! der schlechteste Knecht ist besser als Du, und ich will dem Grabe Deines Vaters anthun, was ihm gebührt. Ist dies der Bluttrinker 32, oder ist er Deinesgleichen? für was bin ich seine Bujuk-Hanum 33, wenn er meine Sclavin verschmäht? Bana bak, sieh mich an, bin ich bosch, Nichts? Der Padischah ist eine blinde Kuh und seine Aga's sind Esel! Haiwan der, es sind Thiere!«

»Aman! Aman!« 34 schrieen die Weiber. »Allah bila versin!« 35

Die Eunuchen drängten jetzt mit Gewalt die Tobenden zurück, während es dem Sultan gelang, durch die Thür zu entwischen. Sein letztes Wort an den mißhandelten Aga war: »Awret der: Es ist ein Weib! Delhi der: Es sind Tolle!« Der hohe Beamte aber war mit dieser Entschuldigung wenig zufrieden, denn kaum war der Vorhang hinter seinem Gebieter wieder herabgefallen, als er seinem Zorn freien Lauf ließ, nach der Peitsche in seinem Gürtel griff und ohne Unterschied auf die tobenden Frauen losschlug, die alsbald das Feld räumten und sich eilig auf ihre Divans zurückflüchteten.

Mariam war unterdeß von den weißen Eunuchen der Eifersucht der Odalisken entzogen und hinausgeführt worden, um den alten Frauen übergeben zu werden, welche die Schönen für das Lager des Sultans »vorbereiten«, und die Beamten zogen sich nun eilig zurück, im Stillen über die Schwäche ihres Gebieters grollend. Zur wuthkeuchenden Sultana aber, die eben das griechische Mädchen, das ihr nahte, erbittert mit dem Fuße von sich stieß, eilte die Khanum des Sirdars tröstend und berathend herbei.

»Was nun, o Sultana?«

»Fluch über die Christin! Mögen ihre Augen verdorren und [361] meine Thorheit mir Unglück bringen, daß ich sie so lange geschont. Unser Plan ist ein Rauch, bosch! – Die hunderttausend Piaster,« setzte sie flüsternd zur Freundin hinzu, »die mir der Eltschie von Frangistan hat versprechen lassen, sind Wind. Ne apalum! was kann ich thun?«

Die intriguante Gattin des Sirdar sann nach.

»Mashallah!« sagte eine der Kadinen, »ich habe da einen Talisman bei der Moskowitin gefunden, als sie in Schwachheit lag und wir ihr helfen wollten. Was weiß ich? vielleicht ist es der Zauber, den sie gegen den Padischah anwendet.«

Sie brachte den Pergamentstreif zum Vorschein, den sie im Busen der Unglücklichen gefunden.

Die Khanum nahm ihn schnell und überflog die Schrift, da sie die Einzige war, die in der Versammlung lesen konnte.

»Allah kerim! Gott ist groß!« rief sie, »wir haben das Verderben der Moskau in dieser unserer Hand. Ich eile zu Fuad-Effendi, er ist ein schlauer Mann und wird uns rathen!«

Die lebhaft erregte Neugier der Odalisken mußte sich jedoch mit diesen Worten begnügen, denn nach einem kurzen heimlichen Gespräch mit der Sultana, das diese hoch zu erfreuen schien, verließ die Vertraute hastig den Harem. – – –

Kaum zehn Minuten darauf strich ihr Kaïk, von zwei Ruderern getrieben, eilig über die Fluthen des Bosporus und nahm seinen Weg stromaufwärts nach Kura-Tschesme, wo das Landhaus des Sirdars liegt. Anstatt aber dort anzuhalten, befahl sie plötzlich den Ruderern, quer über den Bosporus die für die kleinern Kaïks nicht ganz ungefährliche Fahrt zu machen und nach Kandili am asiatischen Ufer sich zu wenden. Hier hielt der Kaïk am Wasserthor einer einfachen, mehr im europäischen Geschmack erbauten Villa, und die Khanum schickte einen der Kaïkschi's in das Haus mit einer Botschaft für dessen Herrn.

Schon nach wenig Augenblicken erschien derselbe, ein Mann von etwa 30–35 Jahren, großer körperlicher Schönheit und höchst eleganten französischen Manieren. Es war Fuad-Effendi, der junge Staatsmann, der offenbar befähigt und bestimmt ist, in der Geschichte seines Vaterlandes noch eine hervorragende Rolle zu spielen, wie jetzt schon beim Beginn der orientalischen Verwickelung seine Stellung und Thätigkeit von Bedeutung war.

Schon früher, als Fuad seine Erziehung in den Salons von [362] Paris und auf den Missionen nach London, Madrid und Lissabon vollendete, richteten sich die Augen der europäischen Diplomaten auf sein Talent, und als er zuerst, damals Großreferendar des Divans, nach dem Ausbruch der Revolution in Bukarest und der Vertreibung des Fürsten Bibesco im Juni 1848 als Commissarius der Pforte in den Fürstenthümern auftrat, um, unterstützt durch das Besatzungsheer Omer Pascha's, die Fehler Soliman's wieder gut zu machen und zugleich der russischen Einmischung die Wage zu halten, entwickelte sich seine spätere Stellung. Weder den russischen Diplomaten 36, – welche die gleiche Mission erhalten, – noch den russischen Generälen 37 gelang es, mit der eleganten, schlangengleichen Gewandtheit Fuad-Effendi's in die Schranken zu treten, und die Brutalität Mentschikoff's, mit der er später diese Niederlage in Constantinopel selbst rächte, kann die Thatsache nicht verwischen. Von jener Zeit her, in welcher die Khanum den damaligen Muschir 38 begleitete und, da seine Frauen keineswegs die gewöhnliche orientalische Absperrung erlitten, den Großreferendar persönlich kennen lernte, schreibt sich die Verbindung desselben mit Omer Pascha, die indeß nur ein Bündniß zweier ehrgeiziger Gemüther ist, so lange ihre Zwecke zusammengehen.

Als später (1849) Fuad-Effendi als Gesandter nach Petersburg ging, während der Muschir selbst die Verwaltung der Fürstenthümer übernahm, lernte das petersburger Kabinet die volle Gefährlichkeit des jungen Diplomaten kennen, der die Lage seines Vaterlandes und die drohende Suprematie Rußlands sehr wohl zu würdigen verstand, und als später alle Versuche scheiterten, ihn in Constantinopel für die russischen Interessen zu gewinnen, er vielmehr einer der Hauptbeförderer des englischen und französischen Einflusses und zugleich Minister des Auswärtigen wurde, war seine Entfernung aus dem Cabinet eine der ersten Bedingungen, die Fürst Mentschikoff stellte und durchsetzte.

Fuad zog sich bei seinem Rücktritt nach Kandili zurück, wo er nahe genug dem Mittelpunkt der Intrigue war, um täglich in das Spiel eingreifen zu können.

[363] Dies war der Mann, der zu der Khanum an's Ufer trat, worauf diese das Boot verließ und Beide sich abseits eine kurze Zeit besprachen. Dann führte der Effendi die Dame höflich wieder zu ihrem Sitz zurück.

»Sei versichert,« sprach er zum Abschied, »ein Geschäft, das Fuad übernimmt, wird er auch zu Ende führen. Der Ferman soll beim Propheten Deinen Gatten, den Sirdar, nicht an dem Uebergang über die Donau hindern! Morgen erhältst Du Botschaft.«

Während der Kaïk der Dame seinen Weg nach dem europäischen Ufer zurücknahm, gab der frühere Minister der Dienerschaft seine Befehle und ehe zehn Minuten vergingen, flog er in einem vierrudrigen Boot mit der Schnelligkeit des Dampfers durch das Dunkel auf Stambul zu. – – –

Pera und die fränkische Bevölkerung hat zwei öffentliche Vergnügungsorte, wo sie im Freien die Kühle des Abends genießt. Der Eine ist die Promenade am kleinen Campo 39 zwischen Pera und Tershana, eine etwa 200 Schritt lange Art von holpriger Esplanade, 30 Schritt breit, auf der einen Seite durch ein eisernes Gitter von dem Begräbnißplatze geschieden, auf der andern von hohen steinernen Häusern begränzt, in deren Parterre einige Kaffeestuben und Conditoreien sind.

Hierhin wandelt Jahr aus Jahr ein jeden Abend der fränkische Kaufmann, der Fremde, der Beamte, und athmet nach des Tages Arbeit bei einer Tasse Kaffee, einem Glase Eis oder Limonade die erfrischende Abendluft ein. Alle Sprachen Europa's sind hier vertreten. Ueber die Cypressen des den Bergabhang deckenden Campo's hinweg erfaßt das Auge einen im Sternenlicht glitzernden Streifen des goldenen Horns und darüber hinaus das aufsteigende Häusermeer des westlichen Stambuls mit seinen Minarets und Kuppeln und den zahllosen Lichtern. Zur Zeit des Beirams gewährt das einen prachtvollen Anblick am Abend, da die Kuppeln der Moscheen, wie die Rundgänge der schlanken Nadeln gleichen Thürme dann mit Kränzen farbiger Lampen illuminirt sind.

Der andere Vergnügungsort ist ein Garten in der Verlängerung der Perastraße, auf dem Wege zum großen Campo, zwischen Häusern und Mauern versteckt und ziemlich europäisch eingerichtet. Hier findet man gegen ein kleines Entree ein nicht schlechtes Concert[364] von italienischen und deutschen Musikern. Trotz der verhältnißmäßig großen Zahl der Europäer in Pera und Galata ist der Garten doch nur sehr mäßig besucht.

In einer Laube desselben, dem Vortrag der Ouvertüre der Lucia lauschend, saßen drei Männer, in deren Einem wir Doctor Welland wiederfinden. Der Zweite war eine große aristokratische Gestalt von den Manieren eines Weltmannes, etwas Avantürier und gascognirend, aber interessant und überaus gewandt, der seiner Zelt in zwei Welttheilen und in den verschiedensten Verhältnissen vielbekannte BaronOelsner von Montmarquet. Ein ganzes Collier von Orden an seinem Frack unterstützte den etwas zweifelhaften Titel.

Der Dritte schien ein Italiener, obschon er in der Unterhaltung geläufig deutsch sprach, ein herausforderndes, etwas unverschämtes Gesicht, seit 4 bis 5 Jahren in Pera als Banquier und Geschäftsmann ansässig und überall zu finden. Eine breite Narbe am linken Schlaf zeichnete das Antlitz aus.

Mit beiden Personen war der Doctor durch Briefe, die er an sie überbracht, bekannt geworden und in häufigem Verkehr, da sein Leben in Constantinopel bisher ziemlich langweilig und beschäftigungslos gewesen war, eine Muße, die er zum Studium der zahlreichen historischen Merkwürdigkeiten, der türkischen Sprache und der türkischen Sitten benutzte. Er hatte sich zum Eintritt als Arzt bei der Armee in Bulgarien im Seraskiat gemeldet, doch durch allerlei Verzögerungen seine Anstellung bis jetzt hingehalten gesehen.

Das Treiben des Barons war für den Deutschen ziemlich räthselhaft, denn Jener schien mit allen Parteien in Constantinopel aus gleichem Fuß zu verkehren und von allen Vorgängen und Intriguen in der genauesten Kenntniß. Die bedeutenden Geldmittel, über die er offenbar disponirte, vermehrten diesen Einfluß, und selbst Welland hatte sich ihm nicht ganz zu entziehen vermocht; denn, nachdem er den Baron von einem jener leichten Uebel durch seinen ärztlichen Rath befreit hatte, die häufig im Orient sich einstellen und nur durch Vernachlässigung gefährlich werden, hatte der Genesene ihn mit Diensten überhäuft und war sichtbar bemüht, ihn an sich zu fesseln.

Paduani, der Dritte, gehörte als Lombarde zur liberalen Partei und zeigte seine Gesinnung mit einer gewissen Ostentation, die namentlich gegen Oesterreich Partei nahm. Dabei verkehrte [365] er viel mit den Führern, der Flüchtlinge und Emigrirten, die jetzt, von jeder Nation, Constantinopel zu überfüllen und einen ähnlichen Uebermuth an den Tag zu legen begannen, wie dies im Frühjahr und Sommer der Fall gewesen war. Offenbar trug dazu der Bruch des russischen und das Sinken des österreichischen Einflusses bei, während der französische und englische Schutz jetzt allgewaltig waren. Dennoch hatte Welland bald die Beobachtung gewacht, daß man dem Italiener nicht recht zu trauen schien. Da er jedoch mit den Personalverhältnissen in Constantinopel sehr vertraut war, hielt sich der Deutsche, der erhaltenen Instruktion gemäß, in Verbindung mit ihm.

Das Gespräch drehte sich, wie jetzt überall der Fall, im Kreise der großen Tagesfragen. Die Kriegserklärung war am 26. September im großen Rath der Pforte, aus 172 Mitgliedern bestehend, beschlossen worden. Kaiser Nicolaus hatte mit dem österreichischen Kaiser am 26. bis 28. eine Zusammenkunft im Lager von Olmütz gehabt, aus der unter Aegide des österreichischen Premiers ein neues Notenproject hervorgegangen war, das zwar das wiener Kabinet in Paris, London und Wien befürwortete, doch erwies sich die Zeit den Ausgleichungsvorschlägen keineswegs mehr günstig und die Forderungen und Gegenforderungen verwickelten sich immer mehr. Während die drei Monarchen der heiligen Allianz am 3. October noch eine Zusammenkunft in Warschau hielten, erließ der Sultan, von allen Seiten gedrängt, am 4. October – am 1. Muharem nach türkischer Zeitrechnung – ein Manifest an sein Land mit der Kriegserklärung gegen Rußland, und Omer Pascha richtete auf den Befehl der Regierung unterm 6. die Aufforderung an den Fürsten Gortschakoff, den Oberbefehlshaber der russischen Besatzungstruppen, die Fürstenthümer bis zum fünfzehnten Tage zu räumen, widrigenfalls die Feindseligkeiten eröffnet werden würden. Der Fürst erwiderte in sehr gemäßigter Weise, daß er keine Vollmacht habe, Krieg zu führen, Frieden zu schließen oder die Donaufürstenthümer zu räumen.

Während noch immer Friedensvorschläge sich von Constantinopel, Wien, Paris und London her kreuzten und so einer sich im andern aufhob, drangen die Gesandten der Westmächte in den Sultan, die Flotten aus der Besika-Bai in den Bosporus zu berufen, und erlangten endlich nach langem Sträuben des Großherrn am 15. den Ferman dazu. Admiral Dunbas, der Oberbefehlshaber [366] des englischen Geschwaders, hatte zugleich die Anweisung seiner Regierung erhalten, den Admiral in Sebastopol zu benachrichtigen, daß, wenn die russische Flotte ausliefe, um Truppen auf türkisches Gebiet zu bringen, oder irgend einen Akt offener Feindseligkeit gegen die Pforte zu begehen, er den Befehl habe, die Besitzungen des Sultans gegen jeden Angriff zu schützen.

Diese Ankündigung deutete bereits klar auf die Absichten der Westmächte hin, da der türkischen Flotte keineswegs eine Reciprocität auferlegt wurde und türkische Fahrzeuge fortwährend Kriegsmaterial und selbst Zuzüge an die tscherkessischen Küsten schafften.

Kaiser Nicolaus machte noch einen persönlichen Versuch, die deutschen Kabinette für seine Interessen zu gewinnen, und traf zu diesem Ende am 8. October in Saussouci ein, seinen erlauchten Gast und Schwager, den König von Preußen, dahin zurückbegleitend. Es war das letzte Mal, daß der mächtige Kaiser die fremde liebliche Stätte sah, von der er einst die Mutter seiner Kinder geholt hatte. Schon in der Nacht zum 10. trat er wieder die Rückreise nach Petersburg an. Der König von Preußen begleitete ihn – ein treuer Freund! – bis zum stettiner Bahnhof in Berlin – Augenzeugen berichten, daß er mit Thränen dort von dem Kaiser schied. Welche Gefühle mögen beide große Herzen bei jenem Abschied bewegt haben, wenn sie auch nicht ahnen konnten, daß es das letzte Schauen im Leben war! Zwei treue vielgeprüfte und vielbewährte Freunde auf hohen Thronen, die letzte Mahnung des königlichen Paters ehrend – hat nur das Grab ihr Bündniß gebrochen.

Unter dem Vielen, was das preußische Volk KönigFriedrich Wilhelm IV. schuldet, sind gewiß jene Tage in Sanssouci nicht das Kleinste. Dem Freunde, dem Schwager, den historischen Erinnerungen und dem eigenen Herzen gegenüber blieb der preußische König fest bei seinem Entschluß, sein Volk fern zu halten von dem sich bereitenden Kampfe, dessen Veranlassung er für keine gerechte hielt, so lange nicht die unumgängliche Nothwendigkeit ihm das Schwert in die Hand drängen würde. – Wenige wissen es – aber in den Herzen dieser Wenigen ist die Bewunderung desto tiefer eingegraben, – welche Kämpfe in jenen Tagen der König bestand, welche hohen Lockungen dem Hause Hohenzollern wurden und wie schwer der gerechte Sinn Friedrich Wilhelm's damals in die Wage der Völkerschicksale fiel! – Dagegen hat er eben so [367] treu sein Freundeswort gehalten und durch keine Drohung, kein Drängen von der andern Seite sich bewegen lassen, sich den Feinden anzuschließen. Preußens eherne Haltung hat offenbar Rußland gerettet! – –

Bereits am 17. hatten die Türken eine Insel auf der Donau zwischen Kalafat und Widdin besetzt, doch war noch keine Feindseligkeit erfolgt. Omer Pascha rechnete den 24. als den Ablauf der dem Fürsten Gortschakoff gesetzten Frist.

Am 20. beriefen Lord Stratford und Herr de Latour die Flotten nach Constantinopel. In diesem letzten Augenblick machte der österreichische Gesandte, Baron von Bruck, noch einen Versuch und drang auf Aufschub der Feindseligkeiten. Lord Stratford interessirte sich scheinbar dafür und in der That wurde im Divan durch den Einfluß der Friedenspartei der Aufschub um zehn Tage beschlossen und der Ferman an den Sirdar dem Sultan zur Unterzeichnung vorgelegt.

Für Rußland wäre dieser Aufschub von großer Wichtigkeit gewesen, da bei der verhältnißmäßig geringen Zahl des Besatzungsheers in den Fürstenthümern wichtige strategische Operationen und Vorbereitungen noch im Rückstand waren. – –

Während Welland mit Paduani über die am Tage vorher bei dem englischen Gesandten stattgefundene Conferenz der Vertreter der vier Großmächte sich unterhielt, hörte der Baron offenbar zerstreut und mit wichtigen anderen Gedanken beschäftigt der Unterhaltung zu und blickte häufig nach dem Eingang des Gartens. Auch Paduani schien verstimmt und nachdenkend und lenkte mehrmals das Gespräch auf Vorbedeutungen und Ahnungen. »Es ist heute ein Tag unangenehmer Erinnerungen für mich,« sagte er endlich, »und ich habe mich seit dem frühen Morgen mit einer seltsamen Unruhe getragen. Glauben Sie an Ahnungen, Doctor?«

»Im Allgemeinen nicht, – in einzelnen Fällen: Ja! Der Dänenprinz hat Recht, wenn er sagt, es ist Vieles zwischen Himmel und Erde, das wir nicht begreifen können. Ueberdies leben wir ja im Lande der Vorbestimmung und dürfen also an einer Ahnung derselben nicht zweifeln.«

»Ohne Winkelzüge – sagt Ihnen Ihre Erfahrung Ja oder Nein?«

»Ich lernte in Paris einen jungen Engländer kennen, Master Morton, Capitain bei der schottischen Garde. Er ist der jüngere [368] Sohn der berühmten schottischen Familie der Earls von Faulconbridge, in denen das zweite Gesicht seit Jahrhunderten sich vererbt haben soll. Es wiederholte sich auch bei seinem Vater. Im Jahre 1835 gegen Ende Novembers kam Lord Faulconbridge von London nach seinen Besitzungen in Schottland, wo seine Familie, darunter der Sohn, der mir die Thatsache mitgetheilt, ihn bereits erwartete. Als der vierspännige Reisewagen in die breite Ulmenallee einbog, die zum Schloßportal führte, sah der Lord dieses plötzlich mit Fackeln erleuchtet und eine Schaar Männer, welche in tiefer Trauer einen von der inneren Halle aus kommenden Leichenzug zu erwarten schien. Zum Tode erschrocken befahl er zu halten, aber schon war die Vision verflogen. Weder der Postillon noch die Diener hatten Etwas gesehen. Lady Faulconbridge suchte ihrem Gemahl das Ganze auszureden, aber am dritten Tage um die Stunde des Gesichts sank der Lord plötzlich zu Boden, als er sich mit den Seinigen eben zum Diner niederlassen wollte. Ein Nervenschlag hatte ihn getroffen. Capitain Morton war fest überzeugt, daß auch ihm sein Tod vorher verkündet werden würde.«

Paduani hatte den Kopf in die Hand gestützt. »Ihnen, Doctor, Ihnen – Ihre eigenen Erfahrungen?«

Der Arzt sann einige Augenblicke nach. »Zwei Erinnerungen aus meinem Leben sind es, welche mir jene unerklärlichen und doch unleugbaren Fäden nahe gebracht haben, durch welche der Mensch mit der Geisterwelt in Verbindung zu stehen scheint. Ich erzähle sie Ihnen wohl ein ander Mal.«

»Nein, jetzt, ich bitte Sie. Sie möchten sonst keine Zeit mehr dazu haben!«

Welland schaute den Italiener bei den seltsamen Worten aufmerksam an; das Gesicht desselben hatte eine aschbleiche Farbe angenommen, er befand sich offenbar in der größten Aufregung, der er mit aller Mühe Herr zu werden suchte. Der Arzt schüttelte den Kopf, doch folgte er seinem Wunsche.

»Ich war,« erzählte er, »ein junger Mensch von 16 Jahren, und in Breslau auf Schulen. Meine Eltern hatten mich bei einem Gelehrten in Pension gegeben, der in einem frühern Kloster an der Oder wohnte. Die älteste Tochter der Familie, Amalie, war eine Blondine mit herrlichen Locken, so schön, wie ich sie nie wieder im Leben gesehen, ein Madonnengesicht, die Stirn von breiten Goldflechten gleich einem Diadem eingefaßt, das erste und einzige [369] Weib, in das ich wahrhaft verliebt gewesen bin. Es war eine halb kindische Leidenschaft, denn das Mädchen war mehrere Jahre älter als ich und trug den Gram einer unglücklichen Liebe im Herzen. Ein junger interessanter Maler war von ihr durch die Eltern getrennt worden und bald darauf in räthselhafter Weise verschwunden – man glaubte an einen Selbstmord, später erwies sich, daß er im Duell gefallen und von den Secundanten in die Oder geworfen worden war. Ein einziges Andenken war dem Mädchen aus der Zeit ihres Umgangs geblieben, ihr eigenes von dem Geliebten entworfenes aber nicht beendetes Portrait, von dem auffallender Weise nur der Kranz der goldenen Haare vollendet war, während das Gesicht noch in der Scizzirung der ersten Anlage verschwamm. – Ich war etwa ein Jahr im Hause gewesen, als Amalie plötzlich an einer nervösen Krankheit starb, – ich fand sie bei meiner Rückkehr von den Ferien als Leiche im Sarg und war untröstlich. Am Abend vor dem Begräbniß, als ich sie noch ein Mal besuchte, schnitt ich ihr eine der breiten Flechten ihres schönen Haares ab, um dieselbe zum Andenken zu bewahren. Es war Mitternacht, als ich ruhelos bei einem Buch in meinem Zimmer, einer ehemaligen Klosterzelle, saß; hinter mir hing das vorhin beschriebene Bild an der Wand. Zufällig blickte ich vom Buch auf und in den großen Spiegel mir gegenüber. Da sah ich das Portrait sich darin spiegeln, aber – schrecklich! in veränderter Form: das klar ausgeprägte blasse Leichengesicht, wie ich es eben verlassen, dagegen mit kahlem, aller Haare beraubtem Scheitel! Ich hatte die Kraft, mich langsam umzuwenden nach dem Bild an der Wand und – dasselbe Todtengesicht ohne den Lockenschmuck starrte mich an. Mein Haar sträubte sich, ich glaubte eine Mahnung der Todten zu sehen, daß ich einen frevelhaften Raub an ihr begangen; denn selbst ihrem Geliebten hatte sie stets die Gabe ihrer Haare verweigert, aus die sie auffallend hielt. Ohne das Auge von der schrecklichen Erscheinung abwenden zu können, taumelte ich rückwärts zur Thür meines Zimmers und öffnete sie; – drüben über dem Gang hörte ich das Mädchen noch handthieren und rief dasselbe. Sie kam mit Licht, – ich bat sie, noch ein Mal mit mir zur Leiche zu gehen und – legte still die Flechte wieder in den Sarg, wohin sie gehörte. – Sie sehen,« sagte der Doctor nach einer kleinen Pause, »wohin die aufgeregte Phantasie führen kann.«

[370] Der Baron war während der Erzählung aufgestanden und nach dem Eingang des Gartens zu gegangen, wo er mit einem eben Eingetretenen eifrig sprach, der die Kleidung eines jüdischen Handelsmannes trug. Paduani hatte aufmerksam zugehört, doch schien ihn die Erzählung nicht zu befriedigen. »Und die andere, Doctor, die andere?«

»Der zweite Fall, ich muß es gestehen, ist mir selbst unerklärlicherer Natur und beweist mir allen Zweifeln gegenüber die Gabe des zweiten Gesichts bei gewissen Personen. Während meiner Studienzeit besuchte ich von Berlin aus Verwandte in Stendal, einer Stadt in der Nähe von Magdeburg. Eines Abends waren wir in Gesellschaft und man erwähnte einer Dame, die erwartet wurde, und die ich noch nie gesehen, da sie sich fast von allem Umgang zurückgezogen hatte und nur einer nicht auszuschlagenden Einladung diesmal gefolgt war. Es schien mit ihrer Person ein gewisses Geheimniß verknüpft, obschon Niemand recht mit der Sprache heraus wollte, die Meisten aber die Sache verspotteten. Endlich erschien die Dame, eine Frau, bereits im mittleren Alter, wahrscheinlich noch heute lebend, von blassem seinem Aussehen, ohne alles Auffallende, und die Gesellschaft nahm ihren gewöhnlichen Gang. Plötzlich, mein Auge war grade auf sie gerichtet, sah ich die Fremde unruhig und ängstlich werden. Sie versuchte offenbar dies Gefühl mit Gewalt zu unterdrücken, doch schien es ihr nicht möglich, denn sie entfernte sich bald darauf in ein Nebenzimmer und ließ von hier aus um Hut und Mantel bitten. Ich war grade in dem Zimmer anwesend, als Wirth und Wirthin in die Dame, eine Verwandte von ihnen, drangen, zu bleiben, oder ihnen wenigstens den Grund ihres raschen Weggehens zu sagen. Lange weigerte sie sich, endlich sagte sie zitternd und höchst aufgeregt:

›Sie kennen das unglückliche Geschenk, mit dem mich leider die Vorsehung ausgezeichnet und das mir schon so vielen Kummer und so viele Unannehmlichkeiten bereitet hat, daß ich mich lieber aus allen Kreisen zurückgezogen habe. Während ich vorhin unter den Fröhlichen saß, überfiel mich wieder diese schreckliche Gabe des doppelten Gesichts und ich sah ein Mitglied der Gesellschaft als Leiche vor mir auf dem Tische liegen!‹ –

Der Wirth des Hauses, etwas ungläubiger Natur und auch erst seit Kurzem im Ort, suchte ihr die Grille auszureden und lachte gradezu, als die Dame ihm auf sein Drängen endlich einen [371] Herrn, einen lebenskräftigen kerngesunden Hagestolzen von einigen vierzig Jahren als denjenigen bezeichnete, den sie als Leiche gesehen. Die Dame aber war nicht zu bewegen, wieder zur Gesellschaft zurückzukehren und ich bat daher um die Erlaubniß, sie nach Hause führen zu dürfen. Unterwegs suchte ich sie mit gleichgültigen Gesprächen zu zerstreuen, doch blieb sie still und traurig, und nahm an der Hausthür mit Thränen von mir Abschied.

›Sie werden leider erfahren, mein Herr,‹ sagte sie, ›daß ich mich nie täusche. Die traurige Erfahrung hat mich's schon zu oft gelehrt.‹ –

Als ich in die Gesellschaft zurückkehrte, fand ich, daß der Wirth nicht still geschwiegen, sondern von der Prophezeihung gesprochen hatte, und daß man sich allgemein bemühte, darüber zu lachen. Vor Allem war das bezeichnete Opfer der Ungläubigste und Heiterste. Man spielte ein Pfänderspiel und wirklich war bald in der allgemeinen Lust der unangenehme Auftritt vergessen. Da – nach ungefähr zwei Stunden, während ich eben wieder im Nebenzimmer plauderte, hörte ich plötzlich lauten Hilferuf, Gekreisch und Geschrei. Alles stürzte herbei – der Herr, den die Seherin bezeichnet, hatte frisch und gesund noch einen Augenblick vorher auf seinem Stuhl gesessen und sich nach der Gewohnheit Vieler dabei auf den Rückbeinen desselben hin- und hergewiegt, als er plötzlich das Gleichgewicht verlor und mit dem Stuhl hinten überschlug. Man legte eben in der ersten Angst den Körper auf den nämlichen Tisch, den die Dame bezeichnet: – er hatte im Zimmer den Hals gebrochen und war eine Leiche, ehe man ihn aufhob.«

»Ei, Doctor, was erzählen Sie da für Schauergeschichten,« sagte lachend der Baron, der wieder hinzugetreten war, »und ich glaube wahrhaftig, Herr Paduani läßt seine italienische Phantasie davon in Schrecken setzen. Doch kommen Sie einen Augenblick, Freund, ich möchte Sie um eine kleine medicinische Auskunft bitten.«

Er nahm den Arm des Doctors und führte ihn, offenbar sehr aufgeräumt durch eine empfangene Nachricht, in einem Spaziergang durch den Garten.

»Sie haben bereits von der infamen Sitte in diesem Lande gehört,« sagte er nach einem kurzen Bedenken, »den Lebenskeim oft im Mutterschooß zu tödten. Das geschieht nicht blos durch eigenes Verbrechen, sondern häufig auch durch fremde Bosheit. [372] Ist es möglich, in einem solchen Falle den Folgen des Verbrechens zu begegnen, sie aufzuheben und das Opfer wieder zur erhabenen Bestimmung des Weibes zu befähigen?«

»Die Angaben sind sehr allgemein,« sagte ernst der Arzt; »zunächst müßte man wissen, welche höllischen Mittel hier angewendet sind. Es würde nöthig sein, die Kranke zu sehen.«

»Das geht nicht,« erwiderte der Baron ziemlich barsch; »auch ist hier von keiner Kranken die Rede. Ich frage Sie blos, ob es in dieser Beziehung Gegengifte giebt? Im Orient, müssen Sie wissen, ist man Meister in der Giftmischerei, und unsere Haremsdamen könnten den Borgia's Etwas zu rathen aufgeben.«

»Die Natur ist unerschöpflich, Herr Baron,« sagte Welland, etwas verletzt von dem ungewohnten Ton, »und sie reproducirt ewig in ihren geheimnißvollen Werkstätten, deren wunderbarste der menschliche Körper ist. Die Erfahrung lehrt, daß selbst jene Unglücklichen, die in den Höhlen des Lasters sich feil bieten und bei denen jeder Keim der Mutterkraft längst erstickt scheint, bei geordnetem Leben mit der Zeit dieselbe wiedergewinnen. Ich glaube, daß die Zeit allein heilen kann – ein Gegengift aber ist nicht möglich, wenn man das Gift selbst nicht kennt. Ich würde mich nicht entschließen, ein solches zu geben, wenn ich nicht mindestens vorher die Person gesehen habe.«

»Das ist nicht möglich, ich wiederhole es.« Seine Stirn faltete sich mißmüthig. »Man muß sie aufgeben und auf andere Mittel denken,« murmelte er und reichte dem Arzt die Hand. »Leben Sie wohl, Doctor; ich habe eine Nachricht bekommen, die mir noch einige Geschäfte auflegt. Ich hoffe, wir sehen uns morgen. Bringen Sie den Italiener nach Hause, der Mann hat heute ein seltsames Wesen an sich.«

Damit schied er.

Als Welland zu der einsamen Laube zurückkehrte, fand er den Banquier mit starren Blicken vor sich hin in die Luft stierend, zuweilen mit der Hand wieder die Augen bedeckend, als wolle er einer äußern Erscheinung entfliehen.

»Sie hatten Recht, Doctor, mit Ihrer ersten Geschichte,« sagte er fröstelnd; »alle diese Bilder sind mir ein Spiel der aufgeregten Phantasie. – Und doch sehe ich ihn in diesem Augenblick so deutlich vor mir stehen, – schauen Sie,« er wies in die leere Luft, »mit dem ausgelaufenen Auge, wo die Kugel in den[373] Schädel gedrungen ist, und den zwei blutigen Wunden in der Brust – gerade wie sie ihn aus dem Glacis zur Morgue gebracht haben!«

Er bedeckte schaudernd wieder die Augen mit der Hand.

»Wen sehen Sie denn dort?« fragte forschend der Arzt.

»Wen? – wen anders als den Capitano Blum, den deutschen Revolutionsmann, von dem sie thörichter Weise sagen, daß ich ihn im Gefängniß verrathen hätte. Die Narren! als ob ich damals in Wien gewesen wäre. Ich heiße doch Paduani und nicht ...«

Er ermannte sich.

»Ich rede irre, Doctor, ich glaube, ich bekomme ein Fieber und werde Sie morgen um Ihren Rath bitten müssen.«

»Wollen Sie nicht lieber nach Hause gehen? ich werde Sie begleiten.«

»Nein, Signor, lassen Sie uns in frischer Luft bleiben, ich fühle, mir wird schon besser, es war ein böser Anfall, dem ich manchmal unterworfen bin und ich menge da tolles Zeug zusammen; achten Sie nicht darauf.«

In der That schien er sich zum Erstaunen des Arztes auch ganz wieder zu erholen, erwähnte mit keiner Sylbe mehr der wüsten Gedanken und nahm das frühere Gespräch über die politischen Ereignisse wieder auf. Nur schien er den Heimweg so lange als möglich zu verzögern, und Mitternacht war bereits nahe und der Garten längst menschenleer, als sie auf Welland's Erklärung, daß er nun die Ruhe suchen wolle, sich auf den Weg machten. Beide trugen die in Constantinopel nach Eintritt der Dunkelheit vorgeschriebene kleine Papierlaterne, da eine öffentliche Beleuchtung nicht existirt, und scheuchten auf ihrem, bis in die Nähe des englischen Gesandtschaftshotels zusammenführenden Wege häufig jene eigenthümlichen Straßenbewohner, die zahllosen Hunde, auf, die auf allen Straßen Constantinopels bei Tage und bei Nacht ihr Lager halten und die Sanitäts- und Reinigungspolizei der türkischen Hauptstadt bilden.

Paduani war jetzt ganz verändert und spottete selbst über seine frühere Erregung.

»Wissen Sie,« sagte er lachend zu Welland, während sie an dem Kreuzwege standen, der sie trennte, »was vorhin mir den tollen Spuk durch den Kopf jagte? Eine dumme Prophezeihung. Als ich heute Morgen eines Geschäftes wegen in St. Demetri [374] war, begegnete mir auf dem Campo eine alte bulgarische Zigeunerin und bettelte mich an. Ich hatte zufällig keine kleine Münze bei mir und wies sie etwas barsch ab. Da hob sie drohend ihre Krücke und schrie mir nach, Azraël, der Engel des Todes, wie die Moslems sagen, halte bereits seine Fittiche über mir und ehe der Tag um sei, werde ich Niemandem mehr eine Gabe reichen. Der Tag ist vorbei und – auf Wiedersehen morgen!«

Er reichte ihm die Hand und bog trällernd in die Seitenstraße, in der sein Haus sich befand. Welland, der in einer Pension an der Perastraße seine Wohnung aufgeschlagen hatte, setzte seinen Weg ruhig fort, doch war er noch keine zweihundert Schritt gegangen, als er plötzlich einen entfernten Hilferuf zu hören glaubte. Er hielt inne – ein zweiter lauterer Ruf erscholl und ließ ihm über die Richtung keinen Zweifel: er kam aus der Gegend, in der Paduani's Wohnung lag. Eilig – im Laufe die lästige Laterne von sich werfend – flog er zurück und rief nach der nicht sehr entfernt einquartierten türkischen Schaarwache. Am Eingang der Gasse, die zu Paduani's Haus führte und die er im Fluge erreicht hatte, kamen in vollem Rennen ihm zwei dunkle Gestalten entgegen. Er rief ihnen sein Halt zu, doch achtlos sprang der Erste an ihm vorüber, dem Zweiten warf er sich in den Weg und hielt ihn mit beiden Armen fest. »Diavolo!« fluchte eine wilde Stimme und eine riesige Kraft warf ihn zu Boden. Dennoch hielt er fest und klammerte sich, laut nach Hilfe rufend, an den Fremden. Die Klinge eines Dolches blitzte im Mondlicht hoch geschwungen über ihm und ehe er selbst zu einer Waffe greifen konnte, glaubte er sie niederfahren zu sehen auf seine unbeschützte Brust – da warf sich ein dunkler Körper zwischen ihn und die morddrohende Faust, eine Hand faßte dieselbe und rang mit ihr um die Waffe, während eine jugendliche Stimme neben ihm den Hilferuf schreiend wiederholte. Der Mörder, eine kräftige Gestalt, riß den Arm los, stieß den unbekannten Helfer zur Seite und sprang an der Gruppe der herbeikommenden Schaarwache vorüber, deren schwere eisenbeschlagene Stöcke auf dem Steinpflaster rasselten. Ein Pistolenschuß knallte hinter ihm drein, aber die Kugel schlug neben ihm hin in die Häuserwand und er setzte unbehindert seine Flucht fort, alsbald in den Quergäßchen, die nach Tophana hinunter führen, verschwindend.

[375] Unterdeß richtete der fremde Retter den Deutschen empor, – die Laternen der herbeieilenden Wache erhellten die Scene.

»Gregor?!«

»Welland?!«

Vor ihm stand Caraiskakis mit dem KnabenMauro, die so seltsam der Zufall zu seinen Rettern gemacht hatte. Ein nahes Stöhnen und Wimmern verhinderte jedoch alle Fragen und Erörterungen, Alle eilten die Straße hinauf, und vor Paduani's Thür – den Schlüssel zum Oeffnen in der Hand, – auf der eigenen Schwelle im Todeskampf sich windend, fanden sie den blutigen Körper des Italieners von fünf Dolchstichen durchbohrt 40. – –

Es war spät in der Nacht, als Welland mit den wiedergefundenen Freuden das Haus des Ermordeten verließ, nachdem alle Bemühungen zu dessen Rettung sich vergeblich gezeigt hatten.


Wenn man von der Perastraße am russischen Gesandtschaftshotel vorüber den Weg nach Tophana zur Moschee Kilidsch-Ali-Pascha und zur Kanonengießerei treppenartig hinuntersteigt, findet man rechts nach den belebten Theilen von Galata hin eine Menge wirrer einsamer Quergäßchen, deren Aussehen schon keineswegs sehr viel Sicherheit verspricht.

Hier befindet sich der berüchtigtste Schlupfwinkel aller Räuber und Mörder von ganz Constantinopel, das Malthesergäßchen, das Hauptquartier des Auswurfs aller Nationen, der hier ungestört und sicher sein Wesen treibt; denn nach Dunkelwerden wagt sich kein ehrlicher Mensch mehr in diese Umgebung und die türkische Polizei hält höchstens ein Mal, wenn der Gesandte einer großen Macht wegen vorgefallener Räubereien oder Mordthaten an Unterthanen derselben Lärm erhebt, eine Razzia, die gewöhnlich zu Nichts führt, als daß ein oder der andere gewöhnlich unschuldige Vagabond aufgegriffen und einen Kopf kürzer gemacht wird.

Zur Zeit unserer Erzählung war die Unsicherheit in Constantinopel auffallend im Wachsen, was offenbar mit dem Zusammenströmen der Ausgestoßenen aus allen Himmelsgegenden zusammenhing, die bei den Kriegsereignissen entweder eine Beschäftigung oder eine Gelegenheit zu Raub und Plünderung zu finden hofften. Die Kathegorieen, in die sich diese Gesellschaft verzweifelter Menschen theilte, waren natürlich sehr zahlreich. Von den Führern und Propagandisten der Revolutionen in Frankreich, Italien, Ungarn,[376] Deutschland und Polen, von den Offizieren der Schlachtfelder von Novara, Wien, Waghäusel und Schäßburg, die ehrlichen Dienst im türkischen Heer suchten oder die Zwecke der revolutionairen Propaganda verfolgten, bis zum malthesischen Banditen und dem tunesischen Räuber herab, der um Para's einen Dolchstoß giebt und um wenige Piaster ein Menschenleben mordet. Welche furchtbaren Scenen in diesen Spelunken der Schande und des Verbrechens mit einander wechseln, würde selbst die Feder des Autors der Mysterien von Paris nicht genügend zu schildern vermögen, da der Orient in den Typen des rohen Verbrechens weit über die Metropole der Civilisation hervorragt.

In einen leichten Mantel gehüllt, schritt eine mittelgroße schlanke Männergestalt in den Eingang der verrufenen Gasse; etwa dreißig Schritt hinter ihr folgten zwei Kaïkschi's, kräftige Gestalten, die Faust am Kolben der Pistolen, den Handjar im Gürtel. Der kecke Fremde war noch keine drei Häuser weit in der Gasse vorgeschritten, als rechts und links zwei Männer auf ihn lossprangen und ihn an den Armen faßten. Blanke Messer blitzten im Sternenlicht, rauhbärtige wilde Gesichter starrten ihn grimmig an.

»Dein Geld her, Bursche, oder wir machen Dich kalt!«

»Es ist ein Türke,« sagte prüfend der Zweite. »Soll ich ihn zwischen die Rippen stoßen, Stephano?«

Der Fremde wickelte, ohne ein Zeichen von Furcht, unbefangen die Hand aus den Falten des Mantels.

»Mashallah – nicht so laut, Freunde, meine Begleiter da hinten möchten Euch hören und unrecht verstehen. Die Teufelskerle schneiden einen Kopf ab, ehe Ihr sagen könnt: Kale espera! 41 Auch liebe ich's gern, daß man mir drei Schritt vom Leibe bleibt, die Kleinigkeit da ist nicht angenehm in zu großer Nähe.«

Unter dem Mantel hervor blitzte ein sechsläufiger Revolver; zugleich nahten die Schritte der beiden türkischen Diener und das Waffen-Arsenal in ihren Gürteln klang verdächtig zusammen. Verdutzt und mit einer Art von Respect fuhren die beiden Räuber zurück in das Dunkel der Häuserschatten.

»Ah bon, so lieb' ich's,« sagte der kleine Moslem; »das ist eine respectable Entfernung. Aber lauft nicht fort, Kerls, ich habe mit Euch zu reden und Ihr sollt Euer Goldstück diesmal ehrlicher verdienen, als gewöhnlich. Wo ist die Pension des Griechen Palurgos?«

»Wir wissen nicht, wer Ihr seid,« sagte nach einer Pause die rauhe Stimme eines der Banditen, »und ob man Euch ohne Verrath zu begehen, antworten darf. Gebt erst ein Loosungszeichen.«

»Bestia! – wenn ich einer Deiner Collegen wäre, würde ich nicht so lange mit Dir die Zeit vertrödeln! Kennt Ihr einen Signor Tomaso, den Magyaren?«

[377] »Gewiß!«

»Wohl! den muß ich sprechen, ich habe Geschäfte für ihn, und wenn ich ihn recht kenne, wird er's Euch schwerlich danken, daß Ihr mich unnütz hier aufhaltet. Bismillah! macht, voran oder ich suche den Weg allein.«

Die beiden Griechen krauten sich verlegen in den Haaren – das moralische Uebergewicht des Fremden hatte sie besiegt.

»Nun wohl, Effendi, auf Eine Gefahr!«

Sie gingen vor ihm her eine kurze Strecke, dann bogen sie in einen der kaum zwei Ellen breiten Durchgänge und blieben an einer Mauer stehen.

»Aber Ihr müßt allein kommen, Eure Sclaven dürfen nicht mit.«

»Wohl. Sie bleiben hier, doch Einer von Euch bei ihnen, theils um sie vor unnützem Angriff zu bewahren, theils als Bürgschaft für mich. Euer Lohn wird verdoppelt werden, wenn ich unbelästigt zurückkehre.«

Die Banditen besprachen sich einige Augenblicke, dann willigte der Eine in den Vorschlag, und der Osmanli sagte seinen beiden stummen Begleitern einige Worte auf Arabisch, worauf er seinem Führer andeutete, voran zu gehen.

Der Bandit klopfte vier Mal in eigenthümlicher Weise mit dem Griff seines Dolches an die verschlossene Thür, worauf diese sich öffnete und Beide in den Hof traten. Im matten Schein einer Laterne bemerkte der Fremde, daß ein griechischer Knabe die Pforte geöffnet hatte und hinter ihnen sorgsam wieder schloß, er hatte jedoch keine Zeit zu weitern Betrachtungen, denn sein Führer schritt voran nach dem Hause, aus dem ein wüster Lärmen ihm entgegen scholl, und öffnete die Thür, die sofort in ein großes Gemach führte. Die Scene, die sich hier den Blicken des kühnen Orientalen bot, war eine Orgie der schrecklichsten Art. Rings umher auf schmuzigen breiten Divans lag und saß eine Gesellschaft, die würdig gewesen wäre, die Hölle auszustaffiren, Schwarze und Weiße, Renegaten, Maltheser, Griechen, Italiener, in dem buntesten reichen oder zerlumpten Costüm, Alle bewaffnet, – theils spielend mit schmuzigen Karten, das blanke Messer gleich neben sich an den Boden geheftet, zum Angriff und zur Vertheidigung bei entstehendem Zank, oder das Moro 42 haltend, – theils träg dahingestreckt, Kaffee oder Rakih 43 und andere hitzige Getränke schlürfend, plaudernd, schwörend, Zoten reißend mit zwei jüdischen Mädchen, dem Auswurf der eklen Höhle. Dazwischen fuhr der griechische Wirth umher, mit Hilfe eines größern Knabens die lärmenden Wünsche seiner Kunden befriedigend. Die einzelnen Gruppen zu mustern, blieb dem Effendi keine Zeit, denn die meisten Inhaber des Gemachs fuhren empor, als sie einen in europäischer Weise gut gekleideten Türken eintreten sahen, der ihnen Allen fremd war; [378] einige Worte des Führers beruhigten sie jedoch und sie setzten achtlos die unterbrochene Beschäftigung fort.

»Signor Tomaso, ist er zu sprechen?«

Der Kahvedschi 44 wies dienstfertig auf eine Stiege, die nach dem obern Gemach führte.

»Wollen Excellenza belieben, hier hinauf zu spazieren? der General ist in seinem Zimmer.«

Der Moslem stieg die Treppe hinauf, öffnete am Ende derselben eine Thür und trat in das Gemach.

Zwei Personen saßen darin, in Wolken von Tabacksdampf gehüllt, ein etwa fünfzigjähriger Mann von mittelhohem Wuchs und militairischer Haltung, häufig den ergrauenden langen Schnurrbart von ungarischer Form streichend. Den magyarischen Thyus zeigte auch das Gesicht, die gebogene schmale Nase, die breiten Stirnknochen und das scharfe blitzende Auge, in dem etwas Finsteres, Herrisches lag. Der Zweite war ein jüngerer Mann in eleganter französischer Kleidung, mit Papieren und Briefschreiben eifrig beschäftigt.

»Mon dieu – der Minister!«

»Ah sieh, Herr Dechambeau,« sagteFuad – denn dieser war der Eintretende – mit leichtem Spott zu dem aufspringenden jüngern Mann, »lassen Sie sich nicht stören in Ihrer Erholung von den anstrengenden Arbeiten der Redaction. Sie haben ja gestern einen vorzüglichen Artikel im Spectateur geliefert. Ich kam blos, um meinen Freund, den General, zu besuchen, der auch so stark beschäftigt scheint, daß er für seine alten Bekannten keine Zeit mehr übrig hat. Wenigstens ist er seit länger als einem Monat nicht bei mir gewesen, und ich kann doch nicht glauben, daß meine gegenwärtige Entfernung aus dem Divan die Ursache sein sollte.«

Der Militair hatte sich erhoben und dem Ankommenden die Hand gereicht. »Das wissen Sie besser, Hoheit 45. Sie haben mich damals in der Walachei vom Strick gerettet, der mir sicher bei den Oesterreichern geworden wäre, und dergleichen vergißt man ohne Noth nicht, wenn man auch Revolutionair von Profession ist. Ich hätte jedoch sicher morgen oder übermorgen Ihnen meinen Besuch gemacht, da ich, aufrichtig gestanden, Ihres Einflusses für einige Anstellungen von Schützlingen in der Donau-Armee bedarf.«

»Er steht Ihnen zu Diensten, General,« sagte der frühere Minister höflich. »Sie wissen, wir müssen nur die Form wahren, da wir in der Flüchtlingsfrage gegen den wiener Hof Verpflichtungen eingegangen sind und uns trotz der englischen und französischen Zusicherungen Oesterreich nicht auf den Hals laden mögen. Uebrigens komme auch ich nicht ohne Absicht in diese abscheuliche Mördergrube, wohin Sie sich einmal incognito einquartiert haben. [379] Ich – –« sagte er mit einem leichten Zögern, »bedarf Ihrer Hilfe zu einem geheimen und schleunigen Dienst.«

»Geniren Sie sich nicht, Hoheit – Herr Dechambeau ist mit meinen Angelegenheiten vollkommen vertraut.«

»Also zur Sache,« sagte der Moslem, der sich auf den Divan niedergelassen. »Sie haben wahrscheinlich schon gehört, daß gestern im Divan der Aufschub der Feindseligkeiten beschlossen worden ist. Der Befehl dazu wird spätestens morgen früh nach Schumla und Rustschuk abgehen.«

Der General sah ihn aufmerksam und fragend an.

»Der Tatar mit dem Ferman darf nicht ankommen, mindestens nicht vor dem 25. Der Sirdar hat seine Instruktionen und die Eröffnung der Feindseligkeiten darf unter keinen Umständen verhindert werden.«

»Ich verstehe, aber wie soll ich das hindern?«

»Sie haben geeignete Leute genug zur Disposition. Einer oder Zwei müssen den Tataren aufhalten und ihm Ferman und Paß mit Gewalt abnehmen. Inshallah, was kommt es auf so ein Thier an, wo so viel auf dem Spiel steht! Hier ist Gold, fünfzig Ghazi's 46 für den Mann; eben so viel erhält er, wenn er den Ferman bringt.«

»Aber wird die Sache nicht vieles Aufsehen machen?«

»Die Ordre soll auch keinesweges unterschlagen werden, schon um der Einmischung der Gesandten willen nicht, sie soll nur zu spät kommen. Am zweiten Morgen sendet man dann einen andern vertrauten Boten mit Ferman und Paß in Stelle des Beseitigten ab. Haben Sie die passenden Männer zur Stelle? – ich werde sie in meinem Boot noch diese Nacht bis Kütschük-Tschekmedgeh bringen lassen, wo die beiden Straßen nach Adrianopel sich theilen, damit wir keine Vorsicht versäumen. Dort müssen die Leute sich in Hinterhalt legen und warten; ich denke, der Bote wird erst zwei Stunden nach Sonnenaufgang vorüber kommen, doch muß man auf der Wacht sein, unsere Gegner sind thätig und schlau und werden sicher einen zuverlässigen entschlossenen Mann senden.«

Der General sann nach. – »Ich wüßte im Augenblick kaum, wem ich als zuverlässig den Auftrag anvertrauen könnte!«

Der Journalist, der bisher schweigend zugehört, wandte sich zu ihm. – »Sta Lucia,« sagte er, »er weicht nie von seiner Aufgabe.«

»Ja, aber Sie wissen – –«

Ein Lärmen im untern Gemach unterbrach ihn. Die Treppe herauf stürmte ein schwerer Männertritt, und ehe weiter ein Wort gesprochen, stand der Ebengenannte in der Thür. Er schien erhitzt, athemlos von einem raschen Lauf, seine Kleidung war in Unordnung und wie Hände und Gesicht mit Blut bespritzt.

»Was ist geschehen?«

[380] Der Bandit trat langsam bis zu dem Tisch vor und stieß mit gewaltiger Kraft den Dolch, den er in der Faust hielt, dicht vor dem General in die Platte, daß die breite Klinge fast zwei Zoll tief in das Holz fuhr. – »Der Schuft wird den 9. November 47 nicht mehr sehen! Ich wollte zwar warten bis zum Jahrestage seines Verraths, aber die Gelegenheit war heute günstig. Doch muß ich mit Hassan dem Arnauten für einige Tage fort, General, man hat uns dabei überrascht und die türkischen Hunde waren hart auf meinen Fersen.«

»Ein Verräther verdient den Tod,« sagte der General ernst, »und Dieser war ein doppelter, der sein Spiel lange genug mit uns getrieben. – Es trifft sich glücklich, daß ich Euch sogleich entfernen kann. Der Gefährte dieses Mannes kann, wenn es Euch genehm, Effendi, sogar den Courierritt nach Schumla machen. Er diente früher als Tatar bei der englischen Gesandtschaft und mußte gewisser Vorgänge wegen verschwinden.«

Der Minister, der mit Interesse den Banditen betrachtet hatte, nickte zustimmend, und nachdem Hassan in das obere Gemach gerufen war, wurde der Auftrag den Beiden kurz auseinander gesetzt. Der Kaïk des Effendi mit den vier Ruderern sollte sie sofort um die Spitze des Schlosses der sieben Thürme bringen bis in die Bucht von Kütschük-Tschekmedgeh, an deren Ufer die Straße nach Adrianopel vorüberläuft. Am Nachmittag, zu einer bestimmten Stunde, sollte der Effendi oder ein Vertrauter mit dem nöthigen Gelde an dem Ufer des Lykus vor dem Thore von Adrianopel (Edrene-Kapussi) auf den Boten harren, der Nachricht über den Erfolg des Unternehmens und womöglich den Ferman zurückbringen würde.

Die Verhandlungen waren rasch geschlossen, und nachdem die Banditen das Aufgeld in Empfang genommen, verließen sie mit dem Minister zugleich die Spelunke und eilten zu dem harrenden Kaïk. Derselbe setzte seinen Herrn in der Nähe des Serails in Stambul an's Land, um sein Haus in der Stadt zu erreichen, und dann, von acht kräftigen Armen getrieben, seinen Weg entlang der Seeseite fort. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es mochte gegen vier Uhr Morgens sein, als der Teppichvorhang vor der Thür des innern Schlafgemachs des Großherrn ein Geringes zurückgeschlagen wurde und das schöne Haupt der Odaliske Mariam in der Oeffnung erschien. Ihr Auge schaute forschend umher, von den beiden Verschnittenen, welche, den entblößten Handjar in der Faust, auf der Schwelle des Gemachs schliefen, nach dem Divan gegenüber, auf dem es Nursädih ruhend erblickte. Ein leiser Ruf erweckte dieselbe und brachte sie vorsichtig herbei. Die Herrin reichte ihr ein in einen seidenen Beutel gehülltes Papier und eine Börse mit Gold.

[381] »Jussuf, Dein Bruder, möge sofort den Fuß in den Bügel setzen und nicht ruhen, bis er dies in die Hände des Sirdars gelegt hat. Der Bujurulteh 48 ist unnöthig, seine Erlangung würde nur die Abreise verzögern und gefährlich machen; in dem Beutel ist Gold genug, um überall Pferde zu kaufen. Geh' und – der Gott, zu dem wir Alle beten, begleite Dich und ihn!«

Der Vorhang fiel zurück. – – – – – – – – –

Da, wo unfern der ersten tiefen Buchtung des Marmorameers in das südliche Ufer der rumelischen Landspitze, auf welcher Constantinopel liegt, – etwa zwei Stunden von den Thoren der Stadt, die Straße nach Adrianopel sich in zwei Richtungen, in die über Silivria und Burgaz, und in jene über Tschataldscha und Wisa, theilt, – windet sich der Weg zwischen einem Felsufer hin, dessen Ausgang ein Gebüsch von Feigen und wilden Myrrthen umgiebt. Hier hatten sich seit etwa einer Stunde die beiden Banditen in Hinterhalt gelebt, ihr Opfer erst im Laufe des Vormittags erwartend, als plötzlich der nahende Galopp eines Pferdes sie aufmerksam machte.

»Diavolo!« sagte der Corse; »ob das am Ende gar schon unser Vogel ist? Leg' Dich quer in den Weg, Hassan, so muß er einen Augenblick halten, und wir können uns wenigstens der Sache versichern.«

»Jawasch 49!« antwortete der Arnaut, indem er die Waffen in seinem Gürtel zur Hand rückte. »Ich bin nicht umsonst Tatar gewesen und kenne einen Kameraden.« Damit legte er sich mitten auf die Straße, während sein Gefährte sich in die Schatten des Gebüsches verbarg.

Einige Augenblicke darauf erklang der Hufschlag näher und der Reiter ritt in den Hohlweg ein.

Hassan fing an, jämmerlich zu stöhnen. Im nächsten Moment sprengte der Reiter heran: es war Jussuf, der Bote Mariam's und des Padischah's.

»Gieb Raum da, daß ich vorüber kann.«

»Aman! Aman! Allah sendet Euch mir zum Beistand, Effendi! Steigt ab und helft mir, ich bin ein armer Mann, der vom Pferde gefallen ist und das Bein gebrochen hat.«

»Inshallah, ich habe keine Zeit. Des Bluttrinkers Zorn sitzt hinter mir, wenn ich nicht eile! Mach' Dich zur Seite!«

»So seid Ihr ein Bote des Padischah?«

»Ich bin sein Tatar! Fort, oder auf Dein Haupt komme es!« Der Mohr gab dem Pferde die Sporen und es setzte zum Sprunge an. Im Nu war der Bandit auf den Beinen und griff ihm in die Zügel, zugleich knallte aus dem Gebüsch ein Pistolenschuß und Jussuf wankte im Sattel.

[382] »Pesevenk 50

Er stürzte schwerfällig zu Boden; während Hassan das Pferd bändigte, warf sich der Corse über den Blutenden und begann ihn zu durchsuchen. Um den Hals gebunden, fand er den seidenen Beutel mit dem wichtigen Dokument, im Gürtel des Tataren die schwere Geldbörse. Der Verwundete versuchte vergebens, das anvertraute Dokument zu vertheidigen, während seine großen Augen in Schmerz und Verzweiflung auf den Mörder rollten.

»Laßt mir den Beutel, es ist ein Brief des Großherrn und nützt Euch Nichts!« stöhnte er.

Sta Lucia lachte. – »Das kannst Du nicht wissen, mein junger Rabe! Eben um den Brief war's uns zu thun. Und nun zum Teufel, wo ist Dein Bujurulteh?«

Der Mohr deutete verneinend an, daß er keinen besitze, dann aber wurde er von dem Blutverlust ohnmächtig. Die Kugel hatte ihn in die linke Seite getroffen.

»Wir haben, was wir brauchen,« sagte der Corse zu seinem Gefährten, »und mehr als das. Was thun wir mit dem Burschen da?«

»Schneid' ihm die Kehle durch und laß ihn liegen.«

»Nein, das geht nicht, man würde ihn finden und das könnte unsere Sache stören. Hilf ihn mir auf's Pferd laden, der schwarze Halunke hat vollkommen genug und wir wollen ihn in die Schlucht am Meer werfen, an der wir vorbeigekommen. Dort liegt er ungestört, bis ihn sein und Dein Prophet erwecken mag.«

Beide legten Hand an und über den Sattel geworfen, führten sie den leblosen Körper eine Strecke in's Land mit sich fort. Erst am Rande der Schlucht, als Sta Lucia ihn in seine nervigen Arme faßte, schien dem Unglücklichen noch ein Mal das Bewußtsein wiederzukehren und seine Augen blitzten finster und drohend den Mörder an, während die Hand sich auf die Wunde preßte. Ein kräftiger Schwung – und hinunter flog der Körper über die Klippen und Beide hörten seinen Fall in's Wasser.

Sta Lucia schwang das verhängnißvolle Papier hoch in der Hand. »Hundert Ghazi's gewonnen, Kamerad, außer diesem Beutel und dem Pferd! Bei allen Teufeln, das war keine schlechte Morgenarbeit. Fort nach Stambul!« – – – – – – –

Am 23. October wurde gegen russische Kriegsfahrzeuge, welche die Donau hinauffuhren, von der türkischen Festung Isakscha unterhalb der Pruthmündung das erste Feuer eröffnet. Die Russen erzwangen mit starkem Verlust die Passage.

Am 25. ging auf Befehl des Sirdars ein türkisches Corps bei Widdin über die Donau und setzte sich in Kalafat fest.

Zu spät traf der Ferman des Padischah am 27. im Hauptquartier ein: der Krieg hatte begonnen!


(Schluß des ersten Theils.)

Fußnoten

1 Die schönste Moschee Constantinopels, im äußern Anblick selbst großartiger und symmetrischer als die Sophia, 1550–56 von dem Baumeister Sinan erbaut.

2 Zum Verkauf auf dem Sclavenmarkt kommen jetzt nur noch, und auch diese nicht öffentlich, die schwarzen Sclavinnen. Der Preis für dieselben wechselt von 1000–6000 Piastern (10–60 Napoleond'ors). Die weißen Sclavinnen, die von den Sclavenhändlern in Circassien und Georgien oft noch als Kinder von den Eltern gekauft werden, haben gewöhnlich schon ihre Bestimmung, ehe sie Constantinopel erreichen, und werden je nach ihrer Schönheit um ihren buhlerischen Talenten oft mit 100,000–120,000 Piastern (1000–1200 Napoleond'ors) bezahlt. Sie werden immer noch in großer Zahl nach Constantinopel gebracht, und da Rußland im Jahre 1842 diesen Menschenhandel aus jenen Ländern verbot und die türkischen Schiffe streng controllirte, wurde der Transport von Trapezunt aus gewöhnlich durch englische Dampfer vermittelt. England verfolgt bekanntlich ausanderen Meeren den Sclavenhandel.

3 Z.B. Chosrew Pascha. Selbst Mehemed Ali Pascha, der Schwager des Sultans, war ein circassischer Sclave.

4 Der Theil des Hauses, in dem die Frauen wohnen; Selamlik: die Wohnung der Männer.

5 Diesen Namen führen die nachbeschriebenen größeren Zimmer in den türkischen Wohnungen.

6 Alem Penah, einer der Titel des Großherrn.

7 Schande, Schande!

8 Moskow, ein Moskowite, Russe.

9 Den 24. October.

10 Zil Allah. Titel des Sultans.

11 Das Oberhaupt der weißen Verschnittenen und der Major Domo des Palastes.

12 Die Welt.

13 Türkischer Courier.

14 Was giebt es?

15 Der Titel Effendi wird selbst Frauen gegeben.

16 Der Secretair des Sultans.

17 Der oberste Geistliche und Richter.

18 Titel des Großveziers. Mustapha gehörte zur Friedenspartei.

19 Tänzerinnen.

20 Sibirien, woher die schönsten Amethyste kommen.

21 Gesandter.

22 Pagen des Sultans.

23 Der Zweite unter den schwarzen Verschnittenen. Kislar-Aga, das Haupt derselben, einer der einflußreichsten Posten.

24 Er ist am 23. April 1823 geboren.

25 Diese werden im Orient jetzt trotz des theuren Preises sehr viel getragen.

26 Der türkische Gruß.

27 2. Juli 1839.

28 Ihr seid willkommen.

29 Mährchenerzählerin.

30 Die Ceremonieen der Ueberreichung, des Kaffee's in den vornehmen Häusern auch bei den Besuchen sind so charakteristisch, daß eine kurze Beschreibung nicht uninteressant sein wird. Nach dem Befehl»Cave Smarla« erscheint der Kafidschi – der Kaffeebereiter – im Untertheil des Zimmers, an der Stufe, auf beiden flachen Händen in der Höhe der Brust ein schmales Präsentirblech haltend, worauf die von einer reichen Decke ganz verhüllten kleinen Kaffeekannen und Tassen stehen. Sofort drängen sich die Diener um ihn, die verhüllende Decke wird abgenommen und dem Kafidschi über Kopf und Schulter gelegt. Wenn jeder Diener – für jeden Gast ein besonderer – mit seinen Tassen in Ordnung ist, drehen sie sich zugleich um und gehen langsamen Schrittes auf die verschiedenen Gäste zu. Die kleinen, kaum wie ein halbes Ei großen Tassen (Flindschan) stehen in silbernen Untertassen (Zarf) von derselben Form, wie die Obertassen, nur am Boden etwas weiter; sie bestehen aus durchbrochener Silberarbeit oder Filigrän, auch aus Gold mit Edelsteinen oder aus seinem Porzellan. Die Diener tragen sie zwischen den Fingerspitzen und dem Daumen mit leicht gebogenem Arme vor sich her. Sind sie nahe an die Gäste hingetreten, so machen sie eine Sekunde Halt, strecken die Arme aus und bringen die Tassen mit einer Art leichten Schwunges in die Mundnähe der Gäste, welche so dieselben hinnehmen können, ohne Gefahr zu laufen, den Inhalt zu vergießen oder die Hand des Domestiken zu berühren. So klein und zerbrechlich auch diese Tassen zu sein scheinen, werden sie doch niemals verschüttet oder zerbrochen. Die Diener gleiten mit so leisen aalgleichen Bewegungen dahin, daß man beim Kaffeepräsentiren, ob gleich lange Pfeifen und die gewundenen Röhren der Nargileh's den Boden bedecken, niemals einen Unfall sieht; und dennoch ist die Schwierigkeit noch durch das Rückwärtsgehen vermehrt, weil die Diener den Gästen immer das Antlitz zukehren müssen. Dem Sultan wird Alles knieend dargeboten. Wenn Her Kaffee überreicht ist, ziehen sich die Diener nach dem untern Theil des Gemachs zurück, wo sie mit gekreuzten Armen stehen bleiben und jeder die Tasse, die er präsentirt hat, beobachtet, bis er sie wieder zurücknehmen kann. Alsdann hält, damit nicht die Finger des Dieners berührt werden, der Gast die Tasse in der Unterschaale vor sich, der Diener hält eine offene Hand darunter, legt dann die andere aus den Rand der Tasse, der Gast läßt los und der Diener zieht sich rückwärts zurück.

31 Schande! Schande!

32 Titel des Sultans.

33 Die erste Frau.

34 Jammer! Jammer!

35 Gott sende ihnen Unglück.

36 General Du-Hamel und Herr von Kotzebne.

37 Das russische Besatzungscorps wurde damals vom General-Adjutanten General Lüders commandirt.

38 Ein Titel, etwa wie Geheimer Rath. Omer erhielt ihn nach seiner Unterdrückung des Aufstandes im Libanon.

39 Campo santo, Begräbnißplatz.

40 Der Mord Paduani's ist historisch, wie – wir wiederholen es – fast alle Scenen dieses Romans wenigstens ihre historische Basis haben.

41 Neugriechisch: Guten Abend!

42 Das bekannte italienische Fingerspiel.

43 Branntwein.

44 Kaffewirth.

45 Titel, den man höflicher Weise den Pascha's giebt.

46 Türkische Goldmünze, etwa 11/2 Thaler.

47 An diesem Tage wurde an Robert Blum das Urtheil des Kriegsgerichts in der Brigittenau vollstreckt.

48 Türkischer Paß, offene Ordre für die Stationen, Pferde zu stellen.

49 So geschehe es.

50 Schurke.

2. Theil: Die Reveille der Völker

Ein Getreuer
Ein Getreuer.

Um vier Uhr Morgens, am Donnerstag, den 13. October, donnerte eine kräftige Faust an das Thor des Konak Ismaël-Pascha's, des neuen Gouverneurs von Smyrna, und der Klopfende verlangte den Einlaß.

Schlaftrunken und scheltend über den Lärmen erhoben sich die Wache habenden Khawassen und öffneten die Pforte, durch welche drei in Mäntel gehüllte Männer in den Hofraum schritten, der Eine das Gesicht in die Falten tief verborgen, Alle bis an die Zähne bewaffnet.

»Weckt zur Stelle den Gouverneur,« sagte einer der Fremden; »Jani Katarchi will ihn sprechen.«

Die Khawassen und Tschokadars lachten.

»Du Jani? Mashallah, seht diesen Sohn eines Schweins! Meinst Du, Du könntest einen Moslem in den Bart lachen? Du bist ein Esel und Deine Väter waren Esel. Wir spucken aus ihr Grab und sprechen: Delhi der! es sind Tolle.«

»Jani,« höhnte ein Anderer, »wird sich selbst in die Höhle des Löwen bringen? Woher kommt Ihr, daß Ihr solchen Koth redet?«

Da warf der Verhüllte den Mantel von sich und mit donnernder Stimme rief er:

»Ich bin Janos! – Geht!«

Zugleich legten alle Drei ihre Waffen auf das Pflaster des Hofes und standen ernst und unbeweglich da. In die Diener des Pascha's aber kam Leben, als sie diesen Mann sahen; der Schlaf und der Zweifel wich aus ihren Augen und sie beeilten sich, die [5] seltsame Kunde ihrem Herrn zu bringen. In kurzer Zeit erschien der Kiaia-Bey 1, bald darauf der Gouverneur selbst.

Bis dahin hatte Janos auf keine der an ihn gerichteten Fragen geantwortet. Erst als Ismaël-Pascha, ein Moslem von strenger, Achtung gebietender Haltung, erschien, faßte er die Hand eines seiner Begleiter und ging mit diesem auf den Pascha zu.

»Du hast diesem Manne versprochen, den jungen Griechen, der von Dardanelli aus auf Verlangen des Inglis-Consul in Deine Haft gebracht worden, freizugeben und unbelästigt ziehen zu lassen, wenn Janos, der Kameeltreiber, in Deine Hand gegeben würde. Wohl! Ich bin Janos und stelle mich selbst. An Dir ist es, Dein Wort zu halten.«

Der Pascha strich sich den dunklen Bart, indem er aufmerksam den so eifrig von ihm Verfolgten anschaute. Dann sagte er ruhig: »Khosch dscheldin! – Ihr seid willkommen! – Dschidelim! Laß uns gehen!« und damit wandte er sich nach der Thür des Selamlik und schritt voran, gefolgt von Janos und seinen bei den Gefährten.

In der großen Halle des Konak, die zugleich zu den Gerichtssitzungen dient, nahm der Pascha Platz auf dem Divan und lud die Fremden ein, ein Gleiches zu thun, indem er sie fortwährend als seine Gäste behandelte. Auf seinen Befehl erschien alsbald der Divan-Effendi 2 und setzte eine Schrift auf, des Inhalts: »Nachdem Janos, genannt Katarchi, Räuber und Wegelagerer im Gebiet des Paschalik von Smyrna, Seiner Hoheit dem Gouverneur Ismaël-Pascha seinen Leib zur freien Verfügung angeboten, wenn der in Haft Seiner Hoheit wegen Theilnahme an räuberischem Ueberfall und Brandstiftung befindliche Gregor Caraiskakis jeder Strafe frei und ledig entlassen werde, hat Seine Hoheit der Pascha diesen Vorschlag angenommen und ist darüber dieser Vertrag geschrieben und unterzeichnet worden.«

Der Räuber nickte, als die Schrift verlesen wurde, dann nahm er die von dem Schreiber ihm gebotene Feder und malte in rohen Zügen zwei sich kreuzende Messer darunter, als sein Zeichen, wobei er eine Abschrift verlangte, die der Gouverneur gleichfalls unterschrieb.

[6] Von diesem Augenblicke an war Janos nach türkischer Sitte für drei Tage ein Gast in dem Konak des Pascha. Man brachte ihm alsbald Tschibuk und Kaffee und der Gouverneur unterhielt sich lange mit ihm über seine Thaten und die Mittel und Wege, auf welchen er bisher allen Nachforschungen entgangen war. Der Räuber erzählte offenherzig und mit einem gewissen Stolz seine Handlungen, hütete sich jedoch sorgfältig, Namen zu nennen, durch welche seine Anhänger in der Stadt kompromittirt werden konnten. Er bat den Pascha, den Gefangenen Caraiskakis bis zur Beendigung seines eigenen Prozesses in Unwissenheit über das Geschehene und in Haft zu lassen, und im Fall im Laufe des Tages ein Knabe sich zeigen und nach ihm verlangen solle, auch auf diesen die Gastfreundschaft auszudehnen. –

Wie ein Lauffeuer durcheilte am Morgen die Kunde von der That des berühmten Räubers die Stadt. Das Volk sammelte sich vor dem Thor des Konaks, und eine Menge der vornehmsten und reichsten Griechen Smyrna's besuchten ungescheut ihren Helden in seinem Asyl, jammerten über seinen Entschluß und hielten lange Unterredungen mit ihm. Janos bewegte sich unterm Schutz der türkischen Sitte unbehindert in dem Umkreis des Konaks und jeder seiner Wünsche wurde gleich einem Befehl erfüllt. Mehrmals ließ ihn der Pascha zu sich kommen, um ihn den neugierig zum Besuch eingetroffenen fremden Consuln zu zeigen, und Alle unterhielten sich voll Theilnahme mit ihm. Im Laufe des Tages hatte sich auch der KnabeMauro eingefunden und bediente fortan seinen Herrn und Oheim.

Es ist ein eigenthümlicher Zug im orientalischen Leben, daß trotz des wüthenden Nationalhasses zwischen Türken und Griechen Beide heilig auf ein unter gewissen Bedingungen gegebenes Wort bauen. Ismaël-Pascha mußte die freiwillige Ueberlieferung des berüchtigten Bandenführers um so willkommener sein, als er sonst wenig Aussicht hatte, seiner habhaft zu werden. Denn obschon er weit energischer als seine Vorgänger im Amte auftrat und es seinen Maaßregeln auch bereits gelungen war, einen Theil der Bande des Janos von den Khawassen überraschen und niedermetzeln zu lassen, so zog sich doch ein weit drohenderes Ungewitter in der politischen Färbung zusammen, welche jetzt diese Banden anzunehmen begannen. In Smyrna, Sardes und Ephesus organisirten sie offen den Aufstand und suchten die Unzufriedenen an sich zu [7] ziehen und die griechische Bevölkerung zur Erhebung der Waffen aufzureizen. Janos galt zugleich als der verwegenste und gefährlichste Führer, und es war den Türken sehr wohl bekannt, daß gerade zu ihm die griechische Bevölkerung, als zu dem geeignetsten Leiter einer Empörung, aufsah.

Da, zu Anfang October, wurde plötzlich auf einem Dampfer der in Dardanelli an seiner Wunde krank gelegene Caraiskakis in Fesseln an den Gouverneur von Smyrna abgeliefert, indem den eben Genesenen mitten in seinen Nachforschungen nach der entflohenen Schwester und deren Verführer der dortige englische Consul durch die türkischen Behörden hatte verhaften lassen. Der Vice-Consul von Smyrna hatte – offenbar auf Veranlassung des Baronets, um ihn an der Verfolgung desselben zu hindern, – eine Klage gegen ihn auf Theilnahme an dem räuberischen Ueberfall und dem Niederbrennen seines Landhauses erhoben.

Der Banditen-Chef schien seine Spione selbst im Konak des Pascha's zu haben, denn alsbald hatte er erfahren, daß der Sohn seines alten Herrn in dem türkischen Gefängniß lag und wahrscheinlich verurtheilt und in's Bagno nach Rhodus gebracht werden würde. Zwei Tage vor dem seltsamen Ereigniß, das jetzt alle Zungen von Smyrna in Bewegung setzte, war daher ein Fremder im Konak des Pascha's erschienen und hatte diesem das Anerbieten der Selbstauslieferung des Räubers gemacht. Wir haben den Fortgang der Verhandlungen gesehen.

Am zweiten Tage, als Janos nochmals zum Gouverneur gerufen worden, machte dieser ihm den Vorschlag, als Renegat in seinen Dienst zu treten und das Amt eines Khawaß-Baschi zu übernehmen, ein Posten, der – wie man in Frankreich und selbst in deutschen Ländern die Spitzbuben, Revolutionaire und sonstige anrüchige Personen schon oft mit Erfolg zu Polizeibeamten gemacht hat – in der Türkei sehr häufig das Ende einer Räuberlaufbahn ist. Aber Janos verweigerte trotz aller Vorstellungen des ihm sonst drohenden Schicksals standhaft die Annahme des Vorschlags.

So verging auch der dritte Tag unter den Vorbereitungen, die der Pascha zu dem Gericht über den Räuber treffen ließ.

Am Nachmittag hielt Janos noch eine längere Unterredung mit mehreren angesehenen Griechen aus Smyrna und schien an diese seine Verfügungen getroffen zu haben. Als die Sonne im Westen in den prachtvollen Golf von Vurla verschwand und ihre[8] letzten rothen Strahlen den Pagus färbten, traten die Khawassen des Pascha's zu Janos und seinen zwei Gefährten, die sein Schicksal theilen wollten, und legten ihnen schwere Fesseln an. Die drei Sonnen der Gastfreundschaft waren vorüber, die nächste sollte über dem Gericht aufgehen. Zugleich öffnete sich das Gefängniß des Konaks, die noch von dem schweren Krankenlager erschlaffte Gestalt Gregor's wurde herausgeführt und der Kiaia-Bey verkündete ihm seine Freilassung mit dem Bedeuten, daß er Smyrna spätestens am morgenden Tage zu verlassen habe.

Das Wiedersehen des Hellenen mit dem gefesselten Freunde seiner Kindheit war ergreifend. Er ahnte Nichts von dem heldenmüthigen Opfer des Räubers und glaubte ihn auf einem seiner Streifzüge von den Leuten des Gouverneurs gefangen, und mit keinem Laut verrieth der Bandit sein Geheimniß. Gregor warf sich – unbekümmert um das blutige Handwerk des Mannes – wie ein Freund in seine Arme und beklagte, des eigenen vergessend, sein Schicksal. Auf den ausdrücklichen Wunsch des Räubers hatte Ismaël-Pascha gestattet, daß der Freigelassene bis zur herannahenden Katastrophe in seiner Gesellschaft bleiben durfte, und Beide verbrachten die Nacht mit dem Knaben Mauro allein in der Zelle des Gefangenen.

Hier erst hörte Janos mit stummem Grimm die neue Entführung des Mädchens, das Duell des Griechen mit Sir Maubridge und die Quelle seiner Verhaftung. Aus seinem Munde dagegen erfuhr Caraiskakis, daß bereits am andern Morgen, noch ehe er selbst Smyrna verlassen werde, das Schicksal des Klephten 3 entschieden sein würde. Janos täuschte sich keinen Moment über dasselbe und alle seine Worte hatten das ernste Gepräge des letzten Vermächtnisses an einen Freund vor dem schweren Gange zur Ewigkeit.

Seine Rede, der der Mann und der Knabe aufmerksam während der Nacht lauschten, athmete in jedem Laut den tiefen Haß des griechischen Volkes gegen seine Unterdrücker und Tyrannen. Sie mahnte Gregor an den Heldentod des Vaters, an die theuren Gelübde, die er der Befreiung seines Volkes und seines Glaubens beim Eintritt in den Bund der Elpis geschworen, und Mann und [9] Knabe wiederholten das Gelöbniß eines nur mit dem Leben endenden Hasses und Kampfes gegen den Halbmond.

Erst gegen Morgen legte sich der Palikare zum Schlaf – es sollte der letzte sein, von dem er auf dieser Erde wieder erwachte.

Der Khawaß-Baschi – dessen Nachfolger zu werden er verschmäht – weckte ihn und führte ihn, begleitet von seinen beiden Genossen und Mauro, in die große Halle des Konaks, die für die öffentlichen Gerichtssitzungen diente. Hier waren bereits der Gouverneur mit seinen beiden Schreibern, sein Kiaia-Bey, der Kadi-Askar 4 Smyrna's und eine Anzahl Mollah's und Mufti's 5 versammelt, desgleichen mehrere europäische Consuln und ein zahlreiches Publikum, meist Griechen.

Ismaël-Pascha präsidirte selbst der Gerichtsverhandlung und es wurden zahlreiche Zeugen vernommen, die sich theils selbst in der Gewalt der Wegelagerer befunden, theils Freunde oder Verwandte mit schweren Summen ausgelöst hatten. Auch mehrere Mordthaten wurden dem Gefangenen nachgewiesen und der englische Vice-Consul beharrte gleichfalls auf seiner Klage wegen Einbruchs und Mordes. Das Antlitz des Räubers blieb kalt und theilnahmlos bei all den Anklagen und sich häufenden Beweisen; er versuchte mit keinem Wort, seine Thaten zu beschönigen, sondern beschränkte seine Vertheidigung einzig auf die Erklärung, daß er nur gegen die Feinde seines Glaubens und seines Volkes also gehandelt habe. Desgleichen weigerte er sich auch jetzt, die Namen seiner Zuträger und Freunde in Smyrna zu nennen und suchte möglichst alle Schuld von seinen beiden Gefährten ab und auf sich zu nehmen.

Unter diesen Umständen konnte der Ausgang des Prozesses keinen Augenblick zweifelhaft sein und die Verhandlung wurde nach einer Dauer von kaum zwei Stunden geschlossen. Der Rath der Mollah's fällte das Urtheil, daß Jani – genannt Katarchi – als überwiesener Mörder und Wegelagerer die Strafe von fünf Yataganhieben zu erleiden habe. Seine beiden Gefährten wurden zu lebenslänglicher schwerer Galeerenstrafe verurtheilt, und nachdem der Gouverneur das Urtheil bestätigt hatte, verkündete es ein Ausrufer [10] von der Schwelle des Gerichtssaales und in den Gassen der Stadt.

In der Türkei folgt die Vollstreckung des Urtheils dessen Ausspruch gewöhnlich auf dem Fuße, und von den Thauschi's und Khawassen umgeben wurde der Verurtheilte alsbald nach seiner Zelle zurückgebracht, um sich in der kurzen Frist, die ihm noch gegönnt war, zum Tode vorzubereiten.

Eine rasche Vollstreckung des Urtheils hielt der Pascha um so nothwendiger, als sich bereits während der Verhandlungen unter der zahlreichen griechischen Bevölkerung Smyrna's eine große Aufregung kund gegeben hatte, die einen gewaltsamen Versuch zur Befreiung ihres Helden und Palikaren fürchten ließ. Die Besatzung Smyrna's war zur Zeit wegen der allgemeinen Truppensendungen nach Rumelien und zum Heer unter Selim-Pascha bei Tortum und Batum sehr schwach. Der Gouverneur ließ daher das Thor des Konaks schließen und befahl, die Hinrichtung im Hofe desselben vorzunehmen, während dergleichen sonst in den Straßen der Stadt zur öffentlichen Warnung zu geschehen pflegt. Es ist Gebrauch, die Leichname der Gerichteten eine Zeit lang am Ort der Hinrichtung liegen zu lassen, bis sie den Freunden oder Verwandten überlassen werden.

Als Janos in die Zelle zurückkam, verkündete sein Auge dem harrenden Freunde, den man wegen der Anwesenheit seines eigenen Anklägers nicht zum Gericht zugelassen hatte, das Bevorstehende. Obschon ein eifriger Feind des Glaubens des Propheten, hatte der Wegelagerer doch längst jene Gleichgültigkeit gegen das Leben angenommen, welche den Orientalen im Allgemeinen eigen ist, und er unterwarf sich dem Tode, als dem unvermeidlichen »Kismet,« mit einer Ruhe und Würde, welche das Erhabene seiner Aufopferung noch erhöhte. Er selbst beruhigte den Tieferschütterten und sprach ihm Muth ein, indem er ihm zugleich das Versprechen abnahm, für den Knaben Mauro zu sorgen und ihn zu seinem Rächer zu erziehen. Der Knabe selbst, der ohne eine Miene zu ändern, dem Gericht des Pascha's zugehört hatte, hielt stumm die Hand seines Oheims. Nur seine keuchende Brust und das wild, ja mörderisch flammende Auge, wenn es sich durch die offene Thür auf die Khawassen richtete, zeigte den Sturm leidenschaftlicher Gefühle in seinem Innern.

So war die Mittagsstunde heran gekommen, die bestimmte [11] Zeit, und ein kurzer Trommelwirbel der aufgestellten Soldatenabtheilung verkündete den Beginn der furchtbaren Handlung.

Beim ersten Schlag der Trommel richtete sich der Räuber, der mit Gregor zum Gebet niedergeknieet war, in die Höhe und schlug das griechische Zeichen des Kreuzes. Dann trat er auf den Mann zu, den er einst als Kind aus den Händen der Moslems gerettet und jetzt wieder von Schmach und Kerker mit dem eigenen Leben lösen wollte.

»Gregor Caraiskakis,« sagte er ernst, »der dreieinige Gott mit seinen Heiligen und den seligen Geistern derer, die für das Kreuz gestorben, schaut auf uns herab in dieser Stunde. Auch Dein Vater ist unter ihnen und ich hebe meine Hand auf zu ihm und hoffe, daß er Fürbitte einlegen wird für meine Sünden, denn treu und fest zum Tode habe ich meinen Schwur gehalten, sein Blut zu retten und zu schützen. – Ich bin alt – mein Weg ging abwärts, der Deine hinauf – der morsche Eichbaum sinkt vor den drohenden Stürmen, der kräftige junge Stamm wird ihnen trotzen. Lebe wohl, Gregor Caraiskakis, und vergiß des gerechten Hasses nimmer, so wahr Dir und mir der Gott unserer Väter barmherzig sein möge!«

Die Gewehre der Wache rasselten auf dem Pflaster, die Khawassen traten in den Eingang der Zelle, als sich Gregor mit männlichen Thränen an die Brust des Verurtheilten warf. Auch über dessen braune Wangen rollte das feuchte Auge zwei Tropfen als letzten Scheidegruß an das Leben, dann riß er sich kräftig los.

»Sollen wir Weiber sein vor diesen Moslems in der Stunde des Todes nach einem Leben voll Kampf und Rache? Fluch und Haß ihnen bis zum letzten Hauch! Und Du, Knabe, der Du die Geschichte meiner Jugend mit erregtem Herzen angehört, wenn der Todesengel die Hand auf mich legt, gieb mir den Ruf mit hinüber, dessen Erinnerung so oft mir die Brust gehoben: Gott und die Heiligen! – Chios und Tschesme!«

Der Knabe drückte ihm krampfig die Hand, – keine Thräne stand in dem dunkel glühenden Antlitz des Kindes; – als Gregor's Blicke auf dieses fielen, schämte auch er sich des Schmerzes und starr und finster nahm er die andere Hand des Räubers, der in ihrer Mitte ruhig und stolzen Blickes hinaus schritt in den Hof.

Wo der Türke den Henker macht, sind der Vorbereitungen wenige nöthig – das furchtbar-feierliche Gepränge, das bei uns [12] die Akte der menschlichen Gerechtigkeit umgiebt, ist dort gänzlich unbekannt.

Am Fenster des Selamlik stand der Pascha, umgeben von seinen Offizieren und ruhig seinen Schibuk rauchend. Wachen der Redifs hatten das Thor und die Ausgänge besetzt, in der Mitte des Hofes bildeten die Khawassen und Tschauschi's einen weiten Kreis, in dessen Innerm die beiden zur lebenslänglichen Galeerenstrafe verurtheilten Gefährten des kühnen Räubers standen; neben ihnen, in kurze braune Mäntel gehüllt, die zwei Khawassen, welche das Amt des Nachrichters versehen sollten.

Hierher wurde Janos geführt – noch ein Händedruck und der Mann und der Knabe mußten am Eingang des Kreises zurückbleiben.

Mit festem Schritt betrat der Klephte die Mitte, während die letzten Genossen seines wilden Lebens sich trotz der Fesseln an ihren Gliedern auf ihn stürzten und seine Hände und Kleider mit Küssen bedeckten. Die Tschauschi's rissen sie von ihm und auf einen Wink des Khawaß-Baschi knieete der Räuber, das Zeichen des Kreuzes schlagend, auf den Boden nie der, indeß einer der Tschauschi's seine gefesselten Hände schnell auf dem Rücken zusammen band.

Ein letzter Blick – ein letzter Gruß – streifte Gregor, den Knaben, die treuen Genossen, die ihrem Führer zum Kerker gefolgt waren, und das schöne Licht der Sonne!

»Gott und die Heiligen!«

Die helle Stimme des Knaben rief es schneidend in den stillen Kreis – die beiden Khawassen neben dem Knieenden warfen die kurdischen Mäntel ab, – in ihren Händen blinkten die schweren Yatagans mit dem bleigrauen Glanz der ächten Klingen.

Ein letztes Zeichen des Baschi's, die Trommel wirbelte und der Eine der Khawassen führte den ersten Streich.

Das Urtheil der fünf Yataganhiebe ist nur eine Formel, – die Henker der Türkei sind ihres fünften Hiebes sicher. Vier Mal hob sich der Yatagan und fiel auf den Nacken des Klephten, kaum die Haut blutig ritzend, dann sprang der Khawaß zurück und der Zweite im selben Moment herbei.

»Rache für Chios!Flammen von Tschesme!«

Der schrille Ruf der Knabenstimme übergellte laut den Trommelwirbel und das Zischen des Hiebes – – weit von dem Nacken rollte das Haupt auf den Boden hin. Krampfhaft öffnete und [13] schloß sich der Hals, Ströme von Blut ausspritzend, – dann fiel der Leib des Gerichteten schwer vorn über zur Erde.

Durch den Kreis der Khawassen, der sich rasch loste, brach der Knabe Mauro und warf sich mit wildem Geschrei auf den blutenden noch lebenswarmen Körper seines Schützers und Verwandten. Der kühne Trotz war gebrochen, die leidenschaftliche griechische Natur machte sich geltend in ihrer vollen Heftigkeit, und Schrei auf Schrei durchgellte die Luft, vermischt mit wilden Klagen und Verwünschungen gegen die Moslems.

Neben ihm und der Leiche knieete Gregor Caraiskakis im stillen Gebet.

Ohne sich um die Thränen und Verwünschungen zu kümmern, nahmen die blutigen Diener der türkischen Justiz das Haupt des Gerichteten und befestigten es auf einer eisernen Spitze über dem Thor. Zugleich wurden dessen Pforten geöffnet und das Volk strömte unbehindert in den Hof und zur Richtstätte.

Der Pascha hatte sehr richtig gerechnet, die Vollziehung des Urtheils hob jede Gefahr auf und brach die Aufregung des Pöbels. Wohl erging sich derselbe in Geschrei und bitteren Verwünschungen, indeß auf solche achtet der Türke nicht; in der Türkei herrscht unbedingte Redefreiheit, und wo der Haß und der Schmerz Worte findet, wird er selten zur That.

In dem Gebet an der Leiche des Getreuen störte Caraiskakis eine Hand, die sich auf seine Schulter legte, eine Stimme sagte ihm leise:

»Im Namen und Auftrag Jani's des Palikaren soll ich Euch mit mir führen von dieser Stätte, die Euch Gefahr droht. Ich habe gelobt, für Eure Sicherheit zu sorgen.«

Als Gregor emporschaute, sah er einen alten Mann in dem fliegenden schwarzen Gewand der Armenier vor sich. Fast willenlos gehorchte er der Aufforderung und erhob sich. Er sah, wie ein anderer Mann den Knaben Mauro an die Hand nahm und folgte dem Unbekannten, nachdem ihn dieser versichert hatte, daß für die passende Beerdigung der Leiche bereits gesorgt worden.

Sein Führer geleitete ihn durch die Gassen der Türkenstadt zu dem fränkischen Quartier und hier in eines der Häuser, deren Hof bis an's Ufer des Meeres stößt. Hier wurde ihm eine kurze Erholung gegönnt, und da er jede Erfrischung von sich wies, bestiegen die Vier alsbald ein Boot, das sie zu dem auf der Höhe [14] des Hafens ankernden Lloyd-Dampfschiff führte, das binnen zwei Stunden seine Fahrt nach Constantinopel fortsetzen sollte.

Der Greis in armenischer Kleidung hatte für Paß und Passagierbillet gesorgt – Alles schien bereits vorbereitet. Auf dem Verdeck nahm der Alte die Hand des Griechen und führte ihn an eine einsame Stelle des Bollwerks, von der sie hinüberschauen konnten nach der ausgedehnten Stadt.

»Ich bin Ihr Landsmann und Glaubensgenosse, Herr,« sagte er, »und habe dies Gewand nur angelegt, um weniger beachtet zu werden. Mein Auftrag ist erfüllt und ich habe Ihnen jetzt nur noch wenige Worte zu sagen und Einiges zu übergeben. Wenn auf Ihrer ferneren Laufbahn Ihr Gedanke oder Ihr Blick nach jener Stadt zurückkehrt, dann erinnern Sie sich, daß dort ein Grab ist, das für Sie geöffnet worden. Janos, der Kameeltreiber, ist für Sie gestorben, und diese Schrift, mit seinem Lebensblut bespritzt und nach seinem Befehl von der Brust seiner Leiche genommen, wird Ihnen Kunde davon geben. Janos war von uns zu hohen Dingen bestimmt, er hat uns auf Sie verwiesen, als jünger und geeigneter für den großen Kampf, der sich bereitet. Wir wissen, daß Sie mit Ihren Brüdern der Elpis angehören und nie im Kriege gegen unsere Unterdrücker nachlassen werden. Was Janos besaß – kein Tropfen griechischen Blutes, kein Para griechischen Geldes klebt daran, – hatte er bei uns niedergelegt und zu einem Vermächtniß für Sie bestimmt, auf daß Sie es im Kampfe für unsere heilige Sache und zur Verfolgung Ihres Feindes verwenden mögen. Die Griechen der Hetärie von Smyrna haben das Fehlende hinzugethan, und ich überliefere Ihnen hier hunderttausend Piaster in drei Wechseln auf Constantinopel, Varna und Odessa. Möge der heilige Demetrius Sie schützen und segnen, Sie und diesen Knaben.«

Er reichte dem von der unerwarteten Kunde zu Boden Gedrückten die Hand, wehrte die stürmischen Fragen des Griechen zurück, ihn auf den Knaben verweisend, und bestieg die Barke, die ihn nach Smyrna zurücktrug.


Das war es, was Gregor Caraiskakis dem Freunde am Morgen nach der blutigen That an Paduani erzählte, indem er ihm zugleich das heilige Dokument seiner Befreiung zeigte. Eine finstere, [15] entschlossene Ruhe, ein noch strengerer Ernst, als er schon früher stets gezeigt, schien sich über das ganze Wesen des Griechen gelagert zu haben, ganz gegen die Gewohnheiten seiner Nation. Nur zuweilen funkelte sein dunkles Auge, und in dem Strahl desselben schien ein unheimlich Leben zu kochen und zu walten.

Gleich ihm stumm und verschlossen zeigte sich auch der Knabe, Alles beobachtend was er hörte und sah, und fast nie von der Seite seines neuen Schützers weichend. Er schien bereits alle Gefühle und Neigungen des Kindesalters von sich geworfen zu haben.

Beide waren am Tage vorher mit dem Dampfschiff von Smyrna angekommen und hatten in einer der hintern Straßen von Pera Quartier gefunden. Gregor hatte gehofft, in den Kaffeehäusern am Campo eine Kunde von dem Doctor zu erhalten, da er, schon verhaftet, dessen letzte Nachricht in Dardanelli nicht mehr empfangen hatte. Auch ihn fesselte der schöne Abend im träumerischen Sinnen bis zur Mitternachtsstunde, und so war er zufällig auf dem Heimweg der Retter des Freundes geworden.

Mit Recht glaubte er in Constantinopel zunächst am sichersten die Spur des Briten Maubridge und seiner Schwester erforschen zu können, und wollte deshalb hier einige Zeit verweilen. Für Welland, der eine immer innigere Zuneigung zu dem Griechen empfand, war dies eine sehr willkommene Nachricht, und er versprach, ihn nach Kräften in seinem Forschen zu unterstützen.

In der That gelang es ihm auch, und zwar durch Baron Oelsner, welcher zufällig den Griechen bei ihm getroffen, schon in den nächsten Tagen zu erfahren, daß Sir Maubridge sich längere Zeit in Constantinopel aufgehalten hatte und dann nach Varna gegangen war, um das türkische Lager zu besuchen. Eine Gewißheit, ob er diesen Weg allein oder in Begleitung einer Dame gemacht, vermochten auch die reichen Hilfsquellen des Barons nicht zu ermitteln, jede Spur von Diona schien verschwunden.

Dagegen bemerkte Welland mit Erstaunen, daß sich alsbald ein sehr vertrautes Verhältniß zwischen dem Baron und seinem Freunde entsponnen hatte. Er traf wiederholt den Erstern in der Wohnung Gregors und Beide in eifrigem Gespräch, das bei seinem Erscheinen abgebrochen wurde. Auch machten sie häufig Gänge, zu welchen er nicht abgeholt wurde.

So waren mehrere Tage vergangen, als an einem Morgen [16] ein Brief im Welland's Wohnung abgegeben wurde, welcher ihn, mit dem geheimnißvollen Zeichen versehen, dem er zu gehorchen sich verpflichtet hatte, aufforderte, zu einer späten Stunde des Nachmittags an der Fontaine Mahmud's I. sich einzufinden.

Es ist dies ein Bauwerk, das Welland seiner eigenthümlichen Schönheit und Arabesken-Architektur wegen schon oft bewundert hatte, ein viereckiges hohes Gebäude mit plattem, aber hervorragendem und von einem Geländer umgebenem Dach, dessen weiße Marmorwände von eingehauenen Devisen und Sprüchen aus dem Koran bedeckt sind. Der Bau erhebt sich mitten auf dem Markt von Tophana und spendet nach allen Seiten hin den umlagernden Menschen und Thieren köstliche erfrischende Labung. Der Deutsche hatte erst kurze Zeit hier geharrt, als er die hohe soldatische Gestalt des Mannes auf sich zukommen sah, den wir als Bewohner der Herberge im Malthesergäßchen mit der Benennung »General« gefunden haben. Beide schienen bereits Bekannte und grüßten sich als solche, der Arzt mit einiger Befangenheit.

»Das ist schön, daß Sie pünktlich sind, Doctor,« sagte der General, »nachdem ich Sie so lange ohne Nachricht gelassen. Indessen die Zeit ist da, wo Ihre Thätigkeit in vollen Anspruch genommen werden soll. Sie werden wissen, daß ein Courier bereits die Nachricht von dem Beginn des Angriffs an der Donau gebracht hat.«

»Ich habe gehört davon.«

»Ihr Gesuch um Anstellung beim Seraskiat ist unterstützt und ich hoffe, Sie werden eine Stelle unmittelbar im Gefolge des Muschirs erhalten. Vorerst aber sollen Sie uns hier einige Dienste leisten. Haben Sie Ihr Besteck bei sich?«

Der Arzt bejahte.

»So haben Sie die Güte, mich zu begleiten.«

Der General führte ihn nach dem Ufer und miethete dort einen vierrudrigen Kaïk, der sie schnell über den Bosporus nach der asiatischen Seite trug, und auf Befehl des Generals an dieselbe Wassertreppe in Kandili, an welcher in der Nacht des 21. die Khanum Omer's zu der geheimnißvollen Unterredung gelandet war.

Die Diener führten Beide in ein Zimmer des Erdgeschosses und brachten Kaffee und Pfeifen; bald darauf verließ der General das Gemach und den Doctor darin allein. Nach kurzer Zeit kam [17] ein Diener, der Welland zu folgen bat und ihn in ein mit europäischem Luxus eingerichtetes Zimmer des obern Stockwerks führte. Hier fand er den General wieder in Gesellschaft des Hausherrn, der ihn höflich sich zu setzen einlud.

Auf seinen Wink entfernte sich der Diener und die Drei waren allein.

»Doctor,« begann nach einer kurzen Pause der General, »ich habe Sie hierher gebracht, weil der Herr hier, einer unserer Freunde, mich ersucht hat, ihm einen zuverlässigen europäischen Arzt zuzuführen, dem er bei einem traurigen Geschäft vertrauen kann. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, daß Ihr Eid Ihnen unbedingten Gehorsam auferlegt, und Sie wissen bereits, daß ich einer Derer bin, die ihn zu fordern haben. Aber ich theile Ihnen zugleich mit, daß von Ihrem Benehmen und Ihrer Willfährigkeit Ihre Zukunft und Ihre künftige Stellung in diesem Lande abhängen wird, die leicht Ihre kühnsten Hoffnungen und Wünsche übersteigen dürfte. Die Sache, um die es sich handelt, ist jedoch ernster Natur und – es werden starke Nerven erfordert, davor nicht kindisch zurückzubeben.«

»Und was ist meine Aufgabe dabei?«

»Das werden Sie später erfahren. Vor allen Dingen handelt es sich um Ihr Schweigen und Ihre Bereitwilligkeit.«

»Das Schweigen,« entgegnete Welland ernst, »wäre die Pflicht des Arztes, selbst wenn ich ohnehin nicht durch meinen, Ihnen, Herr General, bekannten Eid gebunden wäre. Was meine Bereitwilligkeit betrifft, so werde ich meine Kunst oder meine Thatkraft nie verweigern, wo es irgend mein Gewissen und meine Ehre gestatten.«

»Wir verlangen weder die Prüfung Ihrer Ehre, noch Ihres Gewissens,« sagte herrisch der General, »sondern einfach Ihren Gehorsam, und haben Mittel in Händen, denselben zu erzwingen.«

Welland richtete sich mit männlicher Festigkeit auf, der Hausherr selbst aber kam dem Ausbruch eines Streites zuvor und faßte beruhigend die Hand des Offiziers.

»Ueberlassen Sie mir die Sache,« sagte er vermittelnd; »ich glaube, ich kann die Angelegenheit diesem Herrn, da wir seiner einmal bedürfen, von einem Gesichtspunkt darlegen, der sein Gewissen beruhigen wird.«

Der Doctor verbeugte sich erwartend.

[18] »Sie dürfen,« fuhr der Effendi fort, »die Dinge und Vorgänge, denen Sie beizuwohnen berufen sind, natürlich nicht von dem Standpunkt der europäischen Einrichtungen und Civilisation beurtheilen. Sie befinden sich hier in der Türkei, einem, ich gestehe es zu, noch ziemlich wilden Lande, in dem das Leben und das Blut eines Menschen fast werthlose Dinge sind. Die Sache, um die es sich hier handelt, ist, einen überwiesenen Verbrecher, der nach türkischen Gesetzen unbedingt den Tod verdient, in einer höchst wichtigen, für das Wohl und Wehe des ganzen Staates wesentlichen Angelegenheit zum Geständniß der Helfershelfer und der Mittel seines Verraths zu zwingen. Bis hierher, werden Sie zugeben, sind wir, auch nach europäischen Begriffen, vollkommen in unserm Recht.«

Der Arzt verneigte sich zustimmend.

»Bei Ihnen,« fuhr der Moslem fort, »verliert man viel unnütze Zeit mit geistigen Daumschrauben, – bei uns wendet man ein anderes Mittel an: die wirklichen. Es existirt bei uns noch die Tortur, von der ich mir habe sagen lassen, daß sie früher bei allen christlichen Völkern Europa's in Gebrauch war und selbst jetzt noch von der aufgeklärtesten Nation, den Engländern, häufig in ihren Besitzungen in Indien angewendet wird. Ich wiederhole es, bei Völkern, die sich noch auf einer Stufe der Cultur befinden, wie das meine, sind grausame und blutige Strafen und Mittel nicht zu vermeiden.«

Welland schwieg – er konnte dem gewandten Unterhändler nach Allem, was er bereits in diesem Lande erfahren hatte, nicht Unrecht geben.

»Der Dienst, den wir von Ihnen verlangen, besteht nun darin, einer solchen nothwendig gewordenen Tortur im Nebenzimmer beizuwohnen und sie wissenschaftlich in der Art zu überwachen, daß Sie nach dem Puls der verurtheilten Person das Stadium angeben, in dem wirklich Lebensgefahr eintritt. Ich bemerke Ihnen, daß, wenn die Person bekennt, sofort inne gehalten und ihr selbst alle weitere Strafe geschenkt werden soll.«

Der Deutsche war bleich geworden bei dem schrecklichen, mit solcher gleichgültigen Ruhe ihm gemachten Vorschlag. Dennoch fühlte er, daß er als Arzt und in der eigenthümlichen Stellung, in der er sich befand, schwerlich sich der schaurigen Pflicht entziehen [19] könne. Den blutigen grausamen Sitten des Landes mußte der Widerwille des menschlichen Gefühls sich beugen.

»Der Verbrecher ist wirklich zum Tode verurtheilt?«

»Ich gebe Ihnen mein Wort und schwöre es Ihnen auf den Koran, die Person muß des begangenen Verbrechens halber sterben, das Geständniß ist ihre einzige Rettung. Ich wünsche sie zu retten – aber – sie muß bekennen, es muß sein, und wenn jedes Glied ihr stückweis vom Leibe geschnitten werden sollte!« Der Fanatismus des Orientalen durchbrach bei dieser Drohung den falschen Firniß der pariser Tünche, das Auge des vornehmen Mannes flammte wie das des Tigers. »Unsere eingeborenen Aerzte sind Esel und zu Nichts zu brauchen, darum wenden wir uns an Sie, den hier und, wie ich höre, mit der türkischen Sprache Unbekannten, denn dies ist, bei der Wichtigkeit des Staatsgeheimnisses, eine der Bedingungen. Selbst wenn die Person halsstarrig ist und von der Tortur stark mitgenommen werden sollte, kann Ihre Kunst dazu dienen, ihre Wiederherstellung zu sichern. Jetzt ersuche ich Sie, zu erklären, ob wir auf Ihre Begleitung rechnen dürfen? Bedenken Sie wohl, die Folterung geht vor sich in jedem Fall, auch ohne Sie! Ihre Weigerung raubt der Person die Aussicht auf Rettung.«

Der Arzt fühlte, wie der Blick des Generals drohend und finster auf ihm lag; er empfand ganz das Furchtbare seiner Lage und der Wahl. Nach einem kurzen Kampf sagte er endlich:

»Ich bin bereit!«

»Ihr ewiges Schweigen ist sicher – was Sie auch erblicken, welche Geheimnisse Sie zufällig auch erfahren mögen?«

»Sie haben mein Wort!«

»Wohl, so ist unsere Verhandlung geschlossen. Das Dunkel des Abends beginnt sich auf den Bosporus zu senken, in einer halben Stunde können wir abfahren.« Er klatschte in die Hände. »Cave Smarla!«

Die Diener traten sofort ein und Welland schauderte bei der Ruhe, mit welcher seine beiden Gesellschafter trotz der Gedanken an die bevorstehende furchtbare Scene den unvermeidlichen Kaffee und Schibuk nahmen. –

Die Sterne blinkten am Himmel, und Ufer und Stadt waren bereit's in das rasch einfallende Dunkel gehüllt, als der Exminister erklärte, daß es Zeit sei, und alle Drei am Wasserthor der Villa [20] den harrenden Kaïk bestiegen, der sie mit der Strömung rasch nach dem Goldenen Horn führte. Hier bogen die Ruderer auf einen Befehl des Herrn nach der Serailspitze, umfuhren dieselbe und landeten auf der Seeseite an einer Pforte, die aus der rings das Serail umgebenden Mauer zum Wasser führt. Eine Wache stand an der Thür und öffnete dieselbe auf ein Loosungswort des Ministers zum Eintritt.

Der General hielt seinen türkischen Freund hier zurück.

»Ich glaube, Hoheit,« sagte er mit einem gewissen Schauder, der Welland nicht entging, »es wird nicht nöthig sein, daß ich das Seraï mit betrete. Mein Geschäft ist hier beendet, Doctor Welland wird seine Pflicht thun und – gerade heraus, ich bin Soldat, aber weder Arzt noch – Moslem. Das Resultat erfahre ich morgen aus Ihrem Munde.«

Der türkische Staatsmann lächelte.

»Thun Sie ganz nach Ihrem Belieben, General,« sagte er, »ich habe den Doctor, und das ist vorläufig genug. Mein Kaïk steht Ihnen zur Disposition. Auf Wiedersehen morgen.«

Er faßte Welland's Hand und zog ihn durch die Pforte.

Obschon die Erwartung der Scene, die kommen sollte, das Gemüth des Deutschen einnahm, konnte er doch nicht gleichgültig sein gegen die historischen Erinnerungen, die sich ihm bei dem seltsamen Eintritt in diesen geheimnißvollen Ort aufdrängten, den Europa noch immer mit einer gewissen Scheu betrachtet und dessen Namen es mit dem Begriff reizender und furchtbarer Geheimnisse verknüpft. Jetzt sind es freilich nur noch die Erinnerungen, welche diese Mauern mit dem Schleier aus Tausend und Einer Nacht, mit Glanz und Purpur, und Gold, mit all' der orientalischen Wunderpracht und den Schatten blutiger Historie umweben; – der Glanz des Thrones, das Geheimniß reizender Odalisken ist verschwunden, seit Mahmud seine Residenz aus diesen Mauern verlegt hat. Jetzt leben hier, von den Eunuchen und Kapidschi's 6 bewacht, nur noch die abgedankten Kadinen und Odalisken des Harems des verstorbenen und gegenwärtigen Großherrn, und in den weiten äußern Räumen und Gebäuden einige Würdenträger des Reichs mit ihrer eigenen und einem Theil der Dienerschaft des Sultans. Dennoch ist das Seraï-Burnu auch jetzt noch nicht[21] ohne seine tief umschleierten Geheimnisse, und bei Lebzeiten der Sultanin Valide, die hier ihren Wohnsitz hatte, spannen sich von hier aus gar oft die wichtigsten Fäden der Geschichte des Reichs. –

Durch den rings die Gebäude umgebenden, mit hohen Cypressen und Platanen besetzten, sonst aber öden und wüsten Garten führte der Minister den Arzt nach dem gegenüber liegenden Eingang. Links zur Seite blieben die großen Ställe des Sultans, die für 1000 Pferde Raum haben, rechts der Kiosk des Padischah, nach dem Bosporus hin, auf Bogen gebaut mit vergoldeten Kuppeln; in einiger Entfernung nach der Stadt zu liegt ein zweiter, die Aussicht auf den Hafen gewährend. In dem erstern hielten sich früher während des Tages gewöhnlich die Herrscher mit ihren Weibern und Stummen auf. Die Kais um das Serail sind mit Artillerie ohne Lafetten besetzt, die meisten Geschütze in der Höhe des Wassers. Bei den öffentlichen Festlichkeiten und das Ende des Ramazan verkündend donnert diese Artillerie, unter der sich die große Kanone befindet, durch welche nach der Sage Babylon gezwungen ward, sich an Sultan Murad zu ergeben. Ein anderer, von der Historie bewahrter Mörser befindet sich in der Ecke des ersten Hofes – in ihm sollen die aufrührerischen Ulemas zu Tode gestampft worden sein.

Das Seraï-Burnu wurde von Mahomed II. erbaut und bildet auf der Landspitze zwischen dem Horn und dem Marmorameer eine Art Dreieck, dessen längste Seite sich nach der Stadt hin erstreckt, nach welcher sich auch die Thore und Höfe des Zugangs befinden. Es ist ein Conglomerat von zu verschiedenen Zeiten je nach der Laune der Sultane und Sultana's erbauten Gebäuden der verschiedensten Bestimmung, in deren Innern zum Theil alte orientalische Pracht, das heißt Vergoldung und Stuckatur, eingelegte Arbeiten in Gold und Azur, Marmorbecken, Bäder und Springbrunnen, die unbesorgt auch im ersten Stockwerk angebracht sind, noch vorhanden ist.

Die Eintretenden schienen erwartet zu sein, denn zwei Kapidschi's traten alsbald zu ihnen und gingen vor ihnen her bis zu einer zweiten, in die Gebäude sich öffnenden Thür, an der wieder zwei Schwarze die Wache hielten. Hier übernahm ein harrender Eunuch, in bunte schreiende Farben gekleidet, ihre Führung und geleitete sie durch einen kleinen Hof und verschiedene gewundene Gänge, in [22] deren Richtung Welland ganz irre wurde, zu einem hell erleuchteten Divan-Hane, in der an den Wänden mehrere schwarze Sclaven standen, der Sprache und der Mannheit beraubte Geschöpfe, willenlose Werkzeuge der Willkür ihrer Gebieter.

Hier mußte Welland auf einen Wink seines Begleiters sich niederlassen, während dieser durch einen Vorhang in das anstoßende Gemach verschwand.

Alles war Schweigen um ihn her, – ein unheimliches Schweigen schon während des ganzen Ganges durch das weitläufige Gebäude. Das dauerte auch hier lange Zeit, bis er endlich eine leise flehende Stimme in einiger Entfernung zu vernehmen glaubte – schaudernd, denn er fühlte, seine Aufgabe begann jetzt.

Er lauschte, – doch nur einzelne Laute drangen zu ihm herüber, dazwischen klang es zuweilen wie eine scharfe, kräftige Frauenstimme, zuweilen auch glaubte er die seines Begleiters in einzelnen Worten zu vernehmen. Dann war wieder Alles still, – die menschlichen Bildsäulen um ihn her rührten sich nicht.

Plötzlich wurde der Vorhang gehoben und der Minister trat heraus, sein schönes Gesicht war bleich, das Auge funkelte zornig und der Mund war wie in festem Entschluß zusammengekniffen.

Ohne Laut winkte er dem Arzt, ihm zu folgen.

Welland betrat ein zweites großes Gemach, – fensterlos, nur von einer Lampe düster erhellt – aber leer – kein Bewohner zu sehen. Im Hintergrunde öffneten sich durch schwere Vorhänge geschlossen zwei Thüren.

Zu der rechts führte ihn der Effendi und hob den Vorhang; das Gemach war dunkel, nur aus Spaltenöffnungen der einen Seitenwand schienen einzelne helle Lichtstrahlen hervorzubrechen. Als sein Auge sich an das Dunkel gewöhnt, sah er, daß sie durch die Oeffnungen eines Vorhanges kamen, der in dicken schweren Falten einen Eingang zum Nebengemach schloß.

Nach dieser Seite geleitete ihn der Moslem und deutete ihm an, sich auf den Divan niederzulassen. Dann hob er ein Tuch von einem Gegenstand, der unter den Falten des doppelten Vorhanges hervor auf den Divan gestreckt war, und bedeutete ihn, denselben zu fassen.

Der Arzt legte die Finger darauf – es war eine warme Menschenhand, – die Weiche der Haut, die zarte, volle Form zeigte ihm eine Frauenhand, die in der seinen zuckte, offenbar jenseits [23] des Vorhanges durch eine Einzwängung des Armes in dieser Lage festgehalten.

»Lassen Sie mich fort, Herr, das ist ein Weib, um keinen Preis der Welt mag ich Theilnehmer der Handlung sein, die sich hier vorbereitet.«

Der Minister drückte ihn zurück auf den Sitz.

»Schweigen Sie, und thun Sie Ihre Pflicht,« sagte er mit verhaltener dumpfer Stimme, »oder Sie sind selbst das Opfer. Die Personen hinter jenem Vorhang sind nicht gewohnt, mit sich spielen zu lassen. Weib ober Mann, das Verbrechen ist dasselbe, eben so die Strafe. Hier ist die Klingel, mit der Sie ein Zeichen zu geben haben, wenn die äußerste Gefahr eintritt, – doch nur dann! – Sie wissen, was allein hier Rettung bringen kann.«

Ehe Welland sich fassen, ehe er antworten konnte, war sein Führer verschwunden, er hörte das Gemach von Außen durch einen Riegel verschließen.

Wieder trat einige Augenblicke tiefe Stille ein, dann erklang durch die Falten des Vorhanges ein tiefer stöhnender Seufzer.

Er hatte die Hand der Unglücklichen gefaßt, sie war weich und sanft und mußte einem noch jungen, vielleicht so schönen Wesen angehören. Er drückte sie leise zum Zeichen, daß eine theilnehmende Seele in ihrer Nähe sei.

Der Seufzer schien ein Echo zu wecken; ihm war, als vernähme er ihn wiederhallen in dem dunklen Gemach, in dem er selbst sich befand, dicht neben sich.

Aber er hatte keine Zeit, darauf zu achten!

Ein leichter Kohlenrauch schien durch die Spalten des Vorhanges zu dringen und gleich darauf zuckte die Hand scharf in der seinen – – –

Die Marter hatte begonnen!

Ein brandiger Geruch wie von verkohlendem Fleisch zog durch die Luft, rascher und krampfhafter wurde das Zucken der Hand.

Er hörte im Nebengemach das Flüstern mehrerer Stimmen, dann eine lautere Frage, ein Stöhnen zur Antwort – er entnahm daraus, daß der Unglücklichen ein Knebel den Mund verschloß.

Sie mußte durch ein Zeichen verweigert haben, Antwort zu geben, denn der Brandgeruch dauerte fort und verstärkte sich.

Kalter Schweiß perlte über die Stirn des Arztes, – zehn Mal wohl griff die Hand nach der Schelle, um das Halt gebietende [24] Zeichen erschallen zu lassen, aber die Vernunft sagte ihm, daß es der Dulderin nur einen kurzen unnützen Verzug bringen werde.

Er ließ die Hand los und begrub das Gesicht in die seinen.

Da störte ihn ein heiseres tückisches Lachen, und ein tiefes jammerndes Wimmern folgte – dem wiederum jenes seltsame Echo neben ihm zu antworten schien.

Er faßte rasch nach der Hand, sie war krampfhaft geschlossen – er fühlte, daß die Leidende in heroischem Trotz gegen die Martern kämpfte. Sein Finger suchte den Puls – er schlug rasch und wogend, aber noch immer kräftig.

Ein wildes Kreischen der Wuth schien eine verneinende Geberde der Leidenden zu erwidern, dann kam der herrische Befehl einer Weiberstimme. Er vernahm die seines Führers dazwischen sprechen, aber der Befehl wurde gleich heftig wiederholt.

Plötzlich fühlte er die Hand und den Arm, so weit er vor ihm lag, krampfhaft erbeben und ringen, wie als wollten sie sich gewaltsam befreien – minutenlang dauerte diese schreckliche Bewegung – eine grauenhafte, entsetzliche That schien auf Armeslänge von ihm vor sich zu gehen, und rasch faßte seine Hand die Klingel, um auf jede Gefahr hin der Marter ein Ende zu machen.

Da streckten sich der Arm und die Hand – das wilde Ringen hörte auf, mehrere Personen schienen um die Gemarterte beschäftigt, die Frauenstimme sprudelte Verwünschungen aus, wie er nach einzelnen ihm bereits verständlichen Worten zu schließen vermochte. Darunter hörte er wiederholt die Benennung: Moskaw. Eine zweite Frauenstimme mischte sich drein und zugleich die des Effendi, dann schwieg der Lärmen und eine schwache, selbst in ihren gebrochenen Tönen noch süße Stimme sagte einige Worte.

Wiederum fragte der Effendi dazwischen.

Die Stimme sagte noch Einiges – dann stockte sie und verstummte endlich ganz.

Die Frage wurde dringend wiederholt, auch die Weiberstimmen mengten sich hinein –

Welland glaubte dazwischen, dicht neben seinem lauschenden Ohr ein lateinisches Gebet, – das Ave murmeln zu hören. Er spannte alle Nerven an, um zu hören, sich zu überzeugen –

Todtenstille!

Zwei Worte, schneidend, befehlend, unterbrachen sie.

[25] Diesmal schien der Henker es verschmäht zu haben, den Knebel der Leidenden erst wieder einzuzwängen. Ein Nerven und Mark erschütternder Ton wie von zermalmenden Knochen – zugleich ein herzzerreißender, wilder Schrei, ein zweiter – Welland ließ wie wahnsinnig die Klingel ertönen, aber die gellende Stimme eines Befehls fuhr dazwischen und Schrei auf Schrei erscholl fort in ersterbendem Jammer.

Mit beiden Händen hatte der Deutsche die Vorhänge gefaßt und riß die befestigten gewaltsam auseinander: das schreckliche Schauspiel bot sich jetzt seinen zornfunkelnden Blicken dar.

Auf einem Ruhebett dicht an seiner Seite, lang ausgestreckt und befestigt, lag die nackende, kaum über den Hüften mit einem Tuch bedeckte Gestalt einer jungen, selbst in der Entstellung des Schmerzenskampfes noch reizenden Frau. Aschblonde, wild umherfallende Haare umgaben das blasse Gesicht, aus dem die schwarzem halbgebrochenen Augen auf ihn emporstarrten.

Wer sie gesehen, die junge, reizende Odaliske, als sie vor wenig Abenden noch an der Brust des Großherrn ruhte, Liebe spendend und empfangend – Mariam, die Beneidete des Harems, die Gebieterin des Gebieters in drei Welttheilen – wer hätte ahnen mögen das schreckliche Schicksal, das ihr der finster schleichende Haß bereitete!

Die Anklage auf den gefundenen Brief hatte ihr Ziel nicht verfehlt, der Großherr hatte die Geliebte aus seiner Nähe verbannt.

Aber ahnte er wohl, während er im selben Augenblick vielleicht in den Armen Nausika's, der verlockenden Tochter des Rächers von Chios, schwelgte, ahnte er wohl, wie verstümmelt der süße Leib, der sein Lager getheilt, in den Zuckungen grausamer Schmerzen sich wand?

Nimmermehr!

Ein Blick genügte dem Arzt, die furchtbare Marter zu ermessen, die das zarte Weib mit Heldenmuth ertragen hatte. Von den halb verkohlten Fußsohlen stieg noch der widrige Geruch empor, die Mitte der Brust zeigte ein tiefes Brandmal, in dem noch die dunkle Asche der verglühten Kohle lag. Die zwei schwarzen Henker – Stumme mit teuflisch grinsenden Mienen, die dem Winke ihres Meisters gehorchten, der in der Mitte des Gemachs an einem Tandur die Eisenzange glühte, von schrecklichen Instrumenten umgeben, – an der Seite der Unglücklichen stehend, waren eben mit [26] jener einfach höllischen Maschinerie beschäftigt, dem Knebel, der zwischen Holzstücken die Gelenke der Glieder zermalmt. Auf dem Divan gegenüber, Furien, der Hölle entstiegen, saßen in ihre Yaschmaks verhüllt, zwei reichgekleidete türkische Frauen, in den Augen grausamen teuflischen Triumph; in kurzer Entfernung von ihnen mit finsterm bleichem Gesicht, wie einer furchtbaren Nothwendigkeit gehorchend, der türkische Würdenträger, die Feder, in der Hand, das Papier vor sich auf dem Schoos, um die Geständnisse der Unglücklichen aufzuzeichnen.

Mit einem Sprung war der deutsche Arzt über das Schmerzenslager der Gemarterten hinweg, und schleuderte die schwarzen Henkersknechte zur Seite. Sein flammender Blick scheuchte den Tschannador zurück, der nach dem Handjar im Gürtel griff.

»Mörder, blutdürstige Mörder, die Ihr seid! – Seht Ihr nicht, daß diese Frau stirbt in den wahnsinnigen Martern, die Ihr derselben bereitet?«

»Nieder mit dem Gjaur! schlagt ihn zu Boden!« schrie die Eine der Frauen den drei Verschnittenen zu, doch der Effendi warf sich zwischen sie und vor den Arzt.

»Haltet ein, Sultana! Dieser Ungläubige wird das Weib vom Tode retten, und Du weißt, daß dies nothwendig ist. Ihr Tod könnte uns doppeltes Verderben bereiten.«

Sein Befehl wies die Henker aus dem Gemach, nach einigem Widerreden fügten sich auch die Frauen, ihnen zu folgen, während Welland bereits mit der Unglücklichen, Bewußtlosen beschäftigt war und sie zum Leben zurückzurufen suchte. Zum Glück hatte er eine jener kleinen tragbaren Apotheken bei sich, wel che die Aerzte auf Reisen mit sich zu führen pflegen; ein flüchtiges Salz regte die Lebensgeister der Gemarterten wieder auf, und er versuchte alsbald einen Verband auf ihre Wunden zu legen.

Seine Erfahrung belehrte ihn jedoch bald, daß das Leben des armen Wesens in höchster Gefahr schwebte und ihre Kraft immer mehr ermattete. Um ihr wenigstens Ruhe zu sichern, bedeutete er energisch den Effendi, welcher besorgt an dem Lager stand, die Kranke müsse wenigstens einige Stunden ungestörte Ruhe haben und er selbst werde bei der auf's Aeußerste Gefährdeten wachen. Nach einigem Zögern fügte sich der Staatsbeamte mit der Erklärung, er wolle im Vorzimmer bleiben.

[27] Der Vorhang der Thür fiel hinter ihm, Welland befand sich mit dem Opfer grausamer Verfolgung jetzt allein.

Er betrachtete wehmüthig, schmerzlich das schöne blasse Gesicht mit den in Lethargie geschlossenen Augen, auf das der Todesengel bereits seine grauen Schatten zu verbreiten begann. Die Wunden und Verletzungen, die das Mädchen empfangen, waren allerdings nicht absolut tödtlich, aber ihr ganzer innerer Organismus schien so verletzt, so zerrissen, daß er den Leiden schwerlich zu widerstehen vermochte.

Was konnte dies junge schöne Wesen gethan haben, das eine so grausame Strafe nöthig machte? was konnte das schwache Mädchen mit den Geheimnissen wichtiger Reiche zu thun haben?

Er hatte sie mit einem Teppich bedeckt und saß im schmerzlichen Nachdenken an ihrer Seite, ihren Puls in seiner Hand.

Da erklang wieder der stöhnende geheimnißvolle Seufzer, den er schon früher gehört und für das Echo des Schmerzenrufs der Dulderin gehalten hatte. Diesmal überzeugte er sich, daß er sich geirrt, daß der jammernde Laut von einem andern Wesen kommen mußte.

Sie schien ihn gleichfalls gehört zu haben, denn ihre Augen erschlossen sich, erst irrten sie starr umher, dann fielen sie mit dem Verständniß und dem Ausdruck des Dankes auf den Arzt, und einige Momente nachher schienen sie ihm zu winken und auf den zerrissenen Vorhang zur Seite nach dem Nebengemach zu deuten.

Er sah, wie die Leidende sich anstrengte, zu sprechen, und beugte den Kopf an ihre blassen Lippen. Er hörte endlich, wie diese in französischer Sprache flüsterten: »Rettung! – dort!«

War denn noch ein unglückliches Wesen in der Nähe, das seiner Hilfe bedurfte?

Er zog rasch sein Taschenfeuerzeug hervor, zündete das Endchen Wachslicht an und stieg über das Lager hinweg in das Gemach, in dem er so eben die furchtbare Scene miterlebt hatte.

Unfern von seinem Sitz, an den Polstern des Divans, regte und bewegte sich ein dunkler Knäuel, – er hob den bedeckenden Teppich hinweg, – ein schwarzes Weib lag dort am Boden, zusammengeschnürt gleich einem leblosen Bündel, den Knebel im Munde.

Ihre großen Augen starrten ihn an mit unbeschreiblichem Ausdruck!

[28] Mit einigen raschen Schnitten seiner Lanzette hatte er die Bande gelöst und die Mohrin sprang elastisch mit der Schnellkraft der Jugend empor und stürzte sich dann, wie eine Tigerin auf ihr gefährdetes Junge, auf die bleiche Gestalt der Gepeinigten.

Kaum vermochte Welland, rasch hinzuspringend, sie davon abzuhalten, sich auf die Leidende zu werfen, und zugleich das Jammergeschrei zu ersticken, das auf ihren Lippen schwebte und das unfehlbar die Würger auf's Neue herbeigerufen hätte.

Mit Zeichen machte er ihr die Gefahr, die sie bedrohte, so gut als möglich begreiflich. Sie verstand, – sie hatte das Leiden der Gebieterin ja wenigstens mit dem Sinn des Gehörs mitempfunden, – einem Ballen gleich zur Seite geworfen, um, wenn das Schicksal der Herrin entschieden war, wahrscheinlich als unnütze und gefährliche Last in den Fluthen des Bosporus begraben zu werden.

Es war eine herzzerreißende Scene für den Arzt, als sich die Schwarze mit all' dem leidenschaftlichen Wahnsinn des Volkes heißer Zone bald am Schmerzenslager der Herrin das Haar raufte, bald sich vor ihm niederwarf, die Hände zu ihm emporgestreckt, wie um Rettung flehend für die Sterbende.

Und das Alles ohne Laut, – stumm, still, – aller Schmerz, alle Angst und Pein in die leidenschaftlichen Geberden zusammengepreßt!

Jeder allzu hörbare Laut wäre Tod gewesen, – selbst die Gemarterte schien dies zu empfinden und zu fürchten.

Ihre Augen suchten wieder den Arzt und riefen ihn herbei.

»Bei dem Kreuz des Erlösers, an das ich glaube wie Du, Fremdling, beschwöre ich Dich, rette das Mädchen hier; der Mund einer Sterbenden muß durch sie eine Botschaft senden, die mit meinem Leben erkauft ist.«

Welland starrte sie an, – wie sollte er helfen, befreien, hier, in den Mauern des Serails, unter den Augen von hundert Wächtern? – er blickte rathlos umher.

»Dort – dort – das Fenster nach dem Meer!« – ihr Auge deutete nach dem Seitengemach; – zum dritten Male betrat es der Arzt und schaute prüfend und vorsichtig umher. An der entgegengesetzten Wand befand sich der Kiosk, Fenster ringsum, mit dichten Jalousieen geschlossen. Es gelang ihm, eine zu öffnen, durch das vergoldete Holzgitter schaute er hinaus, dicht unter ihm [29] lag das Meer, der Pavillon reichte bis nahe an die Mauer, die das Serail und seine Gärten auch von der Seeseite einschließt.

Er strengte alle seine Kräfte mit aller Vorsicht an und es gelang ihm, einen Theil des Gitters ohne merkliches Geräusch mit seinem Dolchmesser herauszubrechen; – als er den Kopf aus der Oeffnung streckte, bemerkte er zu seiner Freude, daß eine Flucht wenigstens in die öden Gärten möglich war, denn wilde Weinreben schlangen sich um die Bogen und Pfeiler, die den abgelegenen Pavillon trugen, fast bis über die Fenster hinauf.

Als er zurückkehrte an das Schmerzenslager Mariam's, sah er die Mohrin neben der Herrin knieen, das Ohr auf ihre bleichen Lippen geneigt, die leise dringende Worte zu ihr zu sprechen schienen. Aber die Schwarze schüttelte heftig den Kopf, gleich als verweigere sie, um was die Herrin sie flehte. Da röthete sich deren blasses Gesicht, das ersterbende Auge schien in Drohung zu funkeln, zwischen den Brauen faltete sich die Stirn und die keuchende Brust sandte harte, heftige Worte, dem Arzt unverständlich, wie die ganze Unterredung, über die zuckenden Lippen.

Die Sclavin beugte das Haupt, große Thränen rollten aus ihren Augen und sie faltete im stummen Gehorsam die Hände über die Brust. Als nun Welland herantrat und leise verkündete, daß der Weg zum Versuch der Flucht geöffnet sei, stürzte die Schwarze nochmals am Lager ihrer Herrin nieder und bedeckte ihren Leib und ihr Antlitz mit Küssen. Dann – die Hände noch ein Mal flehend gegen den Arzt ausstreckend und auf die Kranke deutend, verschwand sie in dem dunklen Gemach. Welland sah sie einer Schlange gleich durch die Oeffnung des Fensters schlüpfen und verschwinden.

Athemlos horchte er auf jedes Geräusch, – nur der Schlag seines eigenen Herzens ängstigte ihn, – die Flucht schien gelungen!

Als er, um den Verdacht so lange wie möglich aufzuhalten, den Teppich des Vorhanges wieder möglichst geschlossen und zurück sah auf die Kranke, schien eine tiefe verklärende Freude sich über ihr Gesicht ergossen zu haben.

Ihr Mund flehte leise zu ihm auf: Beten! Der Mann, der seit Kurzem Gefahr und Tod in krassen Zügen um sich gesehen, der der blutigen Bestimmung des Krieges entgegen ging, sank an dem Lager des mißhandelten sterbenden Mädchens, – das er zum ersten [30] Male im Leben sah, – in die Knie, und leise murmelnd strömten über seine Lippen die Gebete der Kindheit.

Wie lange hatte er nicht gebetet, wie lange hatte der Dämon des Zweifels und der stolzen Freigeisterei seinen Sinn in Fesseln geschlagen, ärger als der krasseste Aberglaube! O, wie wohl that es ihm jetzt, glauben und beten zu können so recht aus vollem Herzensgrunde für ein vergehendes Leben, am Sterbelager der fremden Odaliske.

Er sah, wie über ihr Antlitz die Schatten des Todes bleicher und bleicher zogen, – er sah das ersterbende Auge sich umfloren mit den ewigen Geheimnissen des Jenseits. Mit einer letzten Anstrengung hob sie die unverletzte Hand gegen ihn empor, streifte einen Ring von ihrem Finger und preßte ihn krampfhaft in die seinen – eine Gabe der Erinnerung. Er fühlte den Puls des Lebens schwächer und schwächer sich verlieren – immer weiter zum Herzen hin – und faltete seine Hände über den ihren. Dann hob sich die Brust noch ein Mal hoch, über die Lippen quoll im Todesseufzer der Name Abdul, des Großherrn Name, der im Arm einer andern Odaliske ruhte, und das schwarze Auge verging glasig und kalt in der Erstarrung des Todes.

Mariam hatte geendet!

Lange noch betete der fremde Arzt an ihrem Lager; dann bedeckte er das Gesicht der Todten mit dem Teppich und schritt ruhig und entschlossen, um das eigene Schicksal unbekümmert, nach der Thür. Auf sein Klopfen öffnete der Wache haltende Eunuch und vom Divan taumelte ihm sein vornehmer Führer entgegen.

»Was bringen Sie uns für Nachricht?«

»Sehen Sie selbst Ihr Werk, mein Herr. Die Dulderin da drinnen hat ein Höherer, den Sie Allah, den wir Gott nennen, jeder weiteren Qual entzogen. Das Mädchen ist todt.«

Der Minister trat bleich und erschrocken zurück.

»Inshallah! Es war Gottes Wille! Kommen Sie.«

Er wandte sich mit leichtem Schauder von der Thür ab und winkte dem Arzt, ihm zu folgen. Mit der Ruhe des guten Gewissens, aber Verderben und verrätherische Opferung in jedem Augenblick erwartend, folgte ihm Welland stumm durch das Vorgemach, von wo auf den Wink des Effendi zwei Schwarze ihnen voranschritten und sie durch mehrere Gänge und über Terrassen und Höfe geleiteten, bis der Deutsche sich in dem großen ersten [31] Hof des Serails wiederfand, in den von der Stadtseite der Pavillon oder die Pforte führt, von der das Reich den Namen hat, Tag und Nacht von fünfzig Kapidschi's bewacht. Hier blieb der Effendi stehen und reichte dem Arzt einen schweren Beutel.

»Nehmen Sie,« sagte er, »und schweigen Sie wie das Grab, das Jene bedecken wird. Die Kapidschi's werden Sie bis zur Brücke geleiten, – Allah behüte Sie.«

Der Arzt wies mit einer ernsten Geberde das Geschenk zurück, um keinen Preis hätte er das Blutgeld angerührt. Dann eilte er rasch durch das Thor, die Begleitung der Kapidschi's von sich weisend, und in die noch belebten Straßen. Seine Gedanken waren unwillkürlich auf die Flucht der Mohrin gerichtet und ob sie gelungen.

Als er seine Wohnung erreichte, war es nahe an Mitternacht.


Nach einer Nacht voll wilder Träume erwachte Welland ziemlich spät, und die schrecklichen Erinnerungen, die seine Seele belasteten, mit Gewalt von sich schüttelnd, machte er sich eben bereit, auszugehen und seinen Freund aufzusuchen, als Baron Oelsner bei ihm eintrat. Derselbe schien etwas echauffirt, suchte aber einen scherzenden Ton anzustimmen.

»Was lange währt, wird gut, Doctor,« sagte er lustig; »ich bringe gute Nachrichten, eben komme ich aus dem Seraskiat und habe diese Depesche für Sie mitgenommen.« – Er warf dieselbe auf den Tisch. – »Rathen Sie, wohin Ihre Bestimmung lautet?«

Welland griff hastig danach.

»Man ließ mich hoffen nach dem Hauptquartier?«

»Falsch gerathen. Sie sind zum Oberarzt in Silistria bestimmt, und ich freue mich, daß – ich darf es sagen – meine Bemühungen für die Realisation Ihrer Wünsche nicht ohne Einfluß gewesen sind.«

Der Doctor hatte während dessen die Depesche geöffnet und fand darin die erwähnte Ernennung mit der Ordre, sich alsbald nach seinem Bestimmungsort zu begeben, und dem Bujurulteh für die Stationen der Reise.

»Sind Sie aber auch bereit, noch heute und zwar so bald als möglich aufzubrechen?«

Welland schaute ihn groß an.

[32] »Davon ist Nichts in der Ordre erwähnt. Sie lautet bloß auf Schleunigst.«

»Man sagte mir mündlich im Seraskiat, daß man erwarte, Sie noch heute abreisen zu sehen.«

»Aber das ist nicht möglich, ich muß doch einige Vorbereitungen treffen; ich werde sogleich selbst nach dem Seraskiat gehen, um Urlaub auf zwei Tage zu erhalten.«

Der Baron schien befangen und dann rasch einen Entschluß zu fassen. Nachdem ein Blick auf die Thür ihn überzeugt hatte, daß sie unbelauscht waren, trat er vertraulich auf den Deutschen zu.

»Sollten Sie nicht vielleicht selbst wünschen,« sagte er mit Beziehung, »sobald wie möglich Constantinopel den Rücken zu wenden, um Erinnerungen und Nachforschungen zu entgehen? Zufällige Ereignisse, wenn sie auch der Schatten der Nacht birgt, können selbst den tapfersten und ehrenwerthesten Mann zur Vorsicht mahnen.«

Welland blickte ihn erstaunt an – wie konnte er wissen –

»Mein Rath ist,« fuhr der Baron fort, »Sie sind binnen zwei Stunden unterwegs, und Sie wissen, ich meine es gut mit Ihnen. Ich erfuhr bereits heute Morgen die Nothwendigkeit Ihrer raschen Abreise, – das Wie? erlassen Sie mir – und habe alle Vorbereitungen für Sie getroffen. Die Pferde bis zur ersten Station sind bestellt und ich kann Ihnen die gewiß angenehme Nachricht mittheilen, daß Ihr Freund Caraiskakis bereit ist, Sie zur Stelle zu begleiten.«

Welland war befangen von dem Unerwarteten, dessen willenloses Spiel er schien. Er sann vergeblich auf Aufklärung, auf einen Entschluß.

»Wenn Sie Geld brauchen, meine Börse steht Ihnen mit jeder Summe zu Diensten,« sagte Herr von Montmarquet. »Doch scheint mir ein solches Anerbieten fast unbescheiden bei einem Mann, der solche Kostbarkeiten besitzt und sie achtlos umher liegen läßt.«

Er wies auf den Ring, den Welland von der sterbenden Odaliske empfangen und den er bei der Rückkehr auf den Tisch geworfen, ohne ihn zu beachten. Der Baron nahm ihn auf und ließ das Feuer des großen Solitairs in der Sonne blitzen.

»Der Stein ist unter Brüdern mindestens seine zweitausend Imperials werth, jeder Jude im Bazar würde sie auf der Stelle zahlen. Ach habe lange keinen schöneren Diamanten gesehen, und [33] selbst die antike Fassung hat bedeutenden Werth. Wollen Sie den Ring verkaufen?«

Der Deutsche verneinte befangen.

»Wohl! so rathe ich Ihnen wenigstens, ihn sorgfältiger aufzubewahren und weniger zu zeigen. Der Padischah dürfte nicht viele solcher Ringe in seinem Schatz haben! – Doch um auf etwas Anderes zu kommen; Sie haben noch keinen Diener und werden doch eines solchen bedürfen. Wollen Sie mir erlauben, dafür zu sorgen?«

»Sie würden Ihre Freundlichkeit damit noch erhöhen. Ich bin außer Stande, irgend Etwas zu bestellen und weiß kaum, wie ich meine Sachen in der kurzen Frist ordnen soll.«

»Wohl, ich übernehme die Besorgung und werde einen passenden jungen Schwarzen, der etwas italienisch versteht und geläufig türkisch spricht, Ihnen zuführen. Aber es kann erst am Thor von Edrene geschehen. Jetzt, Doctor, packen Sie Ihren Mantelsack und arrangiren Sie sich mit Ihrer Wirthin. In zwei Stunden wird Ihr Freund mit den Pferden und dem Führer bereit sein. Ich selbst erwarte Sie, wie gesagt, am Thor. Nochmals, lieber Freund, den Rath und die Warnung: es ist am besten für Sie, wenn Niemand, mit dem Sie etwa hier in Verbindung gestanden, vorerst erfährt, wo er Sie zu suchen hat.«

Er nahm seinen Hut und entfernte sich eilig. Welland, von all den Eindrücken betäubt, mußte seine ganze Willenskraft zusammen nehmen, um sich eilig mit der Ordnung seines Gepäcks zu beschäftigen, da er, ohne eine Lösung für die ihn bedrängenden Räthsel zu haben, doch einsah, daß der Rath des Barons bedeutungsvoll war und nicht unbeachtet bleiben durfte.

Zwei Stunden nachher trat Caraiskakis, zur Reise gerüstet, in sein Zimmer, um ihn abzuholen. Auf die Anweisung des Barons hatte er die Pferde mit Mauro nach Stambul über die Brücke vorausgeschickt und nur einen Hamal 7 mitgebracht, das Gepäck des Freundes bis dahin zu transportiren, um so durch die Abreise kein Aufsehen zu machen. Auch wechselten in dieser Zeit in den Pensionen und Gasthäusern Constantinopels die Kommenden und Gehenden so unaufhörlich, daß der Einzelne unbeachtet blieb, [34] wenn er sich nicht selbst bemerklich machte. Welland mit seiner geringen Habe war bereit, und ehe eine halbe Stunde vergangen, fanden sie auf dem Platz vor der Moschee Walide Mauro mit den Pferden. Bald war der Weg durch die Stadt, am alten Serail, der Suleimania und der Moschee Mahmud's vorüber, zurückgelegt und Edrene Kapussi erreicht. Hier am Begräbnißplatz kam ihnen der Baron mit einem jungen schlanken Mohren, wohl beritten und bewaffnet und mit einem Felleisen versehen, entgegen, in dem sich nach der Mittheilung des Barons noch verschiedene nothwendige Artikel für seine Freunde befanden. Er empfahl dem Arzt, den schwarzen Knaben, den er ihm als Diener überlassen, freundlich und nachsichtig zu behandeln, da er von gutem Gemüth sei und ihm sicher mit Thätigkeit und Treue lohnen würde; so wie, wenn sich Gelegenheit durch einen sichern Boten fände, ihm Nachricht von seiner Ankunft und seinem Wohlergehen zu geben, bis das Schicksal sie wieder zusammenführen werde.

So schieden sie.

Während die kleine Gesellschaft, jetzt aus fünf Reitern mit einem Packpferd bestehend, auf der Straße nach Crevatis und Silivria dahin galoppirte, wenn man diesen kaum der Beschaffenheit unserer Feldwege damals gleichen Pfad eine Straße nennen mag, hatte der Arzt Gelegenheit, seinen neuen jungen Diener mehrfach zu beobachten. Derselbe hatte ihn mit einem tiefen demüthigen Gruß am Thor empfangen und Welland bemerkte, wie seine großen dunklen Augen oft, wenn er sich unbemerkt glaubte, mit lebhaftem Ausdruck auf ihm hafteten. Es war ein schlanker junger Bursche von ausgebildeten, etwas weichen Formen und einem für einen Schwarzen auffallend edel und wohl gebildeten Gesicht, dessen Züge ihm sogar etwas Bekanntes, Gesehenes hatten, ohne daß er sich jedoch zu erinnern wußte, wie und wo.

Er rief ihn an seine Seite und redete ihn italienisch an, was der Knabe ziemlich gut zu verstehen schien, wenn er sich auch erst dürftig in der Sprache selbst auszudrücken vermochte. Auffallend war es Welland, daß der Schwarze so wenig das heitere sorglose Wesen seines Volkes zeigte, vielmehr eine Art Schwermuth und Kummer; doch bemerkte er zugleich aus allen Antworten des Knaben, der sich Nursah nannte, daß er aufgeweckten und scharfen Verstandes war und sich auch hierin von seiner Nation vortheilhaft auszeichnete, die gewöhnlich die größte geistige Stumpfheit zeigt.

[35] Auch bei Caraiskakis blieb Welland ungewiß, ob dieser durch den Baron Etwas von seinen schauerlichen Abenteuern der vergangenen Nacht wisse. Der Grieche deutete mit keiner Sylbe darauf hin und erwähnte nur, daß ihm die Benachrichtigung des Barons, Welland werde sofort nach dem Kriegsschauplatz aufbrechen, sehr willkommen gewesen sei.

Sie waren bereits über die Bai von Kütschük-Tschekmedsche gesetzt und nicht weit von Kumburgas, als sie unfern von einigen Fischerhütten am Meer halten mußten, um die Fähre abzuwarten, die sie über die zweite Buchtung führen sollte. Da dieselbe noch am anderen Ufer war, machte Welland den Vorschlag, zu den Wohnungen zu reiten und dort die Rückkunft abzuwarten, zugleich um zu versuchen, Wasser für sich und die Pferde zu erhalten.

Als sie den Hütten nahten, kamen einige türkische Frauen und Kinder heraus, und eine derselben brachte auf die Bitte einen Krug mit Wasser den abgestiegenen Reisenden. Dabei betrachtete sie aufmerksam den Deutschen, der sich durch seine fränkische Kleidung vor den Uebrigen auszeichnete. Die Türken scheinen den Glauben zu hegen, jeder Franke ohne Unterschied müsse ein Hekim-Baschi, das heißt ein Arzt, sein, und da sie im Ganzen zu den fränkischen Aerzten weit mehr Zutrauen haben, als zu ihren eigenen, ergreifen sie im Innern des Landes jede Gelegenheit, von dem europäischen Reisenden Hilfe für ein oder das andere Uebel zu verlangen.

Ein solches Anliegen schien auch die Frau, unterstützt von ihren Gefährtinnen, die sich um die Gruppe versammelten, zu haben, denn sie sprach eifrig auf Welland ein, der endlich seinen Freund zu Hilfe rief. Dieser verdolmetschte ihm das Anliegen der Frau dahin, daß in ihrem Hause ein Kranker liege, der von Räubern überfallen, verwundet und dann in's Wasser geworfen worden sei, wo ihn durch Zufall ihr zum Fischen dahin, gekommener Mann gefunden und gerettet habe.

Welland war sogleich bereit, seine Kunst anzuwenden, und indem er Nursah befahl, ein bezeichnetes Kistchen aus dem Gepäck ihm nachzubringen, folgte er den Frauen in das Haus.

Hier, auf einem dürftigen Lager, hatte die Menschenfreundlichkeit der armen Moslems Jussuf, den Courier der unglücklichen Mariam, gebettet; denn dieser war es, den vor acht Tagen [36] die Fischer, in der Küstenbucht ihre Hafen aufstellend, auf den Steinen am Ufer der tiefen Schlucht gefunden hatten.

Die Kugel des corsischen Mörders hatte den Schwarzen in der linken Seite getroffen, war aber durch den dicken Shawl des Gürtels geschwächt worden und hatte glücklicher Weise kein edleres Gefäß verletzt. Nur der Schmerz und die Betäubung warfen ihn zu Boden, und selbst der schreckliche Sturz von der Höhe des Felsens in's Wasser hatte neben mehreren geringeren Contusionen nur einen Bruch des linken Arms zur Folge gehabt. Die Kühle der Wellen hatte zugleich die betäubte Lebenskraft wieder aufgeregt und die Blutung gestillt; so gelang es ihm, das Ufer zu erreichen, und hier, halb im kühlen Wasser hängend, liegen zu bleiben, bis gegen Abend der Zufall die Fischer herbeiführte.

Das Alles wußte Doctor Welland freilich nicht, aber es bedurfte dessen auch nicht, um seine Theilnahme für den Leidenden zu erregen, und nachdem er sich von der Beschaffenheit seiner Verletzungen überzeugt, war er eben bemüht, mit der Sonde die Kugel zu suchen, als hinter ihm ein geller Schrei erklang und der Knabe Nursah, das Geräth des Herrn zu Boden werfend, auf den Verwundeten zustürzte und ihn stürmisch umschlang. Ausrufungen, zärtliche Worte, Liebkosungen und rascher Austausch des Erfahrenen in fremder, allen Anwesenden unverständlicher Sprache wechselten im Fluge, und erst auf sein wiederholtes Fragen und nachdem Nursah dem Kranken noch Vieles zugesprochen, erfuhr Welland, daß die Beiden Geschwister seien, durch den Zufall kürzlich getrennt, so wie das Schicksal, das Jussuf, den Tataren, betroffen hatte.

Der Knabe Nursah hatte bereits in dem Arzt ein so lebhaftes Interesse erregt, daß er sich mit doppeltem Eifer des Kranken annahm. Während er den gebrochenen Arm so gut, als es die Umstände erlaubten, schiente und verband, die Kugel aus der Seite glücklich herauszog und einen Verband auf die eiternde Wunde legte, war Nursah mit tausend Hilfsleistungen thätig und schien dabei eben so eifrig für seinen Herrn, wie für den leidenden Bruder.

Indeß Caraiskakis mit den Fährleuten verhandelte, machte Welland, so unangenehm es ihm auch war, dem Knaben den Vorschlag, zur Pflege seines Bruders hier zu bleiben und dann ihm nachzukommen, aber Nursah – nach kurzem Nachdenken und einigen[37] Worten mit seinem Bruder, und nachdem er von seinem Herrn gehört, daß Jussuf, wenn er sich ruhig verhalte, in höchstens drei Wochen das Lager wieder verlassen würde, – weigerte sich entschieden, zurückzubleiben.

Der Führer der Pferde drängte zur Abreise. So schied denn Welland von dem Kranken, nachdem er dessen Wirthen einige Anweisungen für seine Pflege gegeben und ihm selbst eine kleine Geldsumme zurückgelassen hatte, zu der auch Caraiskakis eine reichliche Gabe fügte. Noch ehe sie die Fähre erreichten, kam Nursah, der bei dem Bruder zurückgeblieben, ihnen nachgesprengt und küßte mit leidenschaftlichem Dank die Hand seines Herrn.

Drei Stunden nachher waren sie in Silivria, dem ersten Haltepunkt auf der großen Straße nach Adrianopel und Schumla.

Fußnoten

1 Stellvertreter des Pascha's.

2 Schreiber eines Pascha's.

3 Klephte ist die Benennung der freien griechischen Parteigänger, oder eben so richtig Wegelagerer.

4 Oberrichter.

5 Kadi's und Mollah's heißen die Richter, Mufti's überhaupt die Rechtsgelehrten.

6 Thorwächter.

7 Lastträger. Dieselben schleppen auf dem Rücken die erstaunlichsten Lasten durch die bergigen Straßen.

Oltenitza
1. Des Donners Grollen
I. Des Donners Grollen.

Ein glänzender Ball beim preußischen General-Consul in den Donau-Fürstenthümern hatte eine Anzahl Offiziere des russischen Heeres und die Elite der vornehmen Welt von Bukarest versammelt.

Herr von Meusebach, einer der wenigen Glücklichen, die sich für muthiges conservatives Auftreten in den Sturmjahren von Achtundvierzig und Neunundvierzig eines offiziellen Dankes zu erfreuen hatten, wenn auch hors de Berlin durch eine Mission in's Land der Wilden oder Halbwilden, hat seine gemüthliche und furchtlose Ruhe, mit der er einst der erbitterten Linken das Mene Tekel: »Die Versammlung riecht nach Leichen!« von der Tribüne entgegen warf, auch unter den Bojaren bewahrt und vertritt dort die Flagge seines Königs, wie schon mehrere Gelegenheiten bekundet haben, würdig und nicht ohne Glanz. Junggesell, mit Vermögen und von lebenslustigem Charakter, hat er sich vielfach den orientalischen Sitten bequemt und bildet einen Centralpunkt für den geselligen Verkehr der Fremden und Einheimischen von Bukarest.

Es ist bekannt, daß bald nach der Besetzung der Donau-Fürstenthümer das russische Ober-Kommando seine Macht auch auf die administrative Verwaltung ausdehnte und am 23. Juli den Hospodaren befahl, die Verbindung mit Constantinopel abzubrechen und den Tribut nicht mehr nach Constantinopel zu senden, sondern in der Staatskasse zu belassen. Bereits unterm 25. Juli forderte demnach Reschid Pascha die Hospodare, die Fürsten Stirbey in Bukarest und Ghika in Jassy auf, die Fürstenthümer zu [39] verlassen und nach Constantinopel zu kommen. Die eigenthümliche Zwitterstellung, welche die Regierung der Moldau und Walachei seit langer Zeit zwischen der Oberhoheit des Sultans und dem fremden, namentlich russischen und österreichischen, Einfluß eingenommen, veranlaßte die Fürsten, dem Befehl durch Zögerung auszuweichen, obschon derselbe am 30. August wiederholt wurde. Die Stellung der machtlosen Fürsten zwischen den beiden Gewalten ließ sich unmöglich länger halten und sie erklärten, die Regierung niederlegen zu wollen. Fürst Stirbey verließ mit Bewilligung des russischen Oberbefehlshabers am 29. October Bukarest und ging über Herrmanstadt nach Wien. Die Regierung blieb einem außerordentlichen Verwaltungsrath übertragen, während bald darauf General von Budberg zum russischen Commissar und außerordentlichen Civil-Bevollmächtigten in den Fürstenthümern ernannt wurde und an die Spitze der obern Leitung trat. Ebenso verließ der Fürst Ghika Jassy, um gleichfalls nach Wien zu gehen, und der General Fürst Usuroff trat dort an die Spitze des Administrationsrathes. Viele Bojarenfamilien folgten den beiden Hospodaren und zogen sich nach Oesterreich zurück, andere – die zum Theil von den Verhältnissen Nutzen zu ziehen hofften – blieben jedoch im Lande.

Die neue Administration brach allen Verkehr mit der Türkei ab und benachrichtigte davon die fremden Consuln. Ein Erlaß versprach den Walachen, die in die russische Armee treten wollten, verschiedene Vortheile, und die Einverleibung der moldau-walachischen Contingente wurde vorbereitet.

England und Frankreich hatten bereits im Juli gegen die Besetzung der Fürstenthümer protestirt und erklärt, daß sie eine Dauer derselben nicht dulden würden.

Am 31. October, an demselben Tage, an welchem Kaiser Nicolaus das Manifest an sein Volk mit der Ankündigung des Krieges richtete, – erhielten die englischen und französischen Generalconsuln und Consuln in den Donaufürstenthümern den Befehl ihrer Regierungen, das Land zu verlassen.

Dies war im Augenblick – jenes Fest, das wir zu Anfang dieses Kapitels erwähnt, fand am 3. November statt, – die administrative Lage in den occupirten Ländern auf dem linken Donauufer. Es ist nöthig, daß wir zunächst einen Ueberblick über die militairische Lage und die letzten Ereignisse geben.

Offenbar hatte sich das russische Cabinet über den Erfolg [40] sehr getäuscht, welchen ein gewaltsames Vorgehen von seiner Seite zur Lösung der schwebenden Fragen haben würde. Die Türkei hatte in militairischer Beziehung die Zusage und den Schutz Frankreichs und Englands hinter sich, an die Kaiser Nicolaus noch immer nicht glauben wollte, und das andere Europa – wie selbst von Denen nicht geleugnet wird, die auf russischer Seite in dem großen Kampfe standen, – war des mit Unvorsichtigkeit und Anmaaßung dominirt habenden russischen Einflusses müde.

Der Glaube an die Macht dieses Einflusses hatte Rußland zu seinem Vorgehen verführt, ohne daß genügende militairische Vorbereitungen getroffen waren. In anderer Beziehung ist diese Unterlassung wieder Bürge dafür, daß man die Zwecke ohne Eroberung zu erreichen glaubte.

Im Ganzen hatten nur ungefähr 77,000 Mann den Pruth überschritten, nämlich das vierte Corps, eine Division und die Reiterei des fünften, und das war natürlich eine zu geringe Macht, um damit einen Krieg gegen die Türkei zu führen. Eine Division des fünften Armeecorps rückte später von Odessa nach, und erst als die Ereignisse zeigten, daß die Türken den Kampf aufnehmen würden, erhielt das dritte russische Armeecorps, geführt vom General von Osten-Sacken, Befehl, die Armee zu verstärken und rückte in Eilmärschen nach der Moldau, die sein Vortrab am 14. November betrat.

Der größte Theil der russischen Occupationsarmee – wie gesagt circa 80,000 Mann – hatte seine Stellung in der Walachei genommen und dehnte sich entlang der Donau aus. Fürst Gortschakoff hatte sein Hauptquartier theils in Bukarest, theils in Budeschti, einem kleinen Flecken zwischen Bukarest, Giurgewo und Oltenitza, etwa fünf Meilen von dem ersteren, drei von dem letzten Orte entfernt, genommen. Der linke Flügel dieser Aufstellung in der Walachei stand unter dem Kommando des Generals Anrep, auf Kalarasch gestützt, den Türken bei Silistria gegenüber, während General Lüders die Moldaugränze bei Galacz besetzt hatte. General Dannenberg hielt die Mittellinie an der Donau und Giurgewo, Rustschuk gegenüber, und General von Fischbach den rechten Flügel an der Aluta bis Krajowa gegen Kalafat, nachdem man thörichter Weise den Türken gestattet hatte, sich hier festzusetzen. Fürst Gortschakoff behielt, wie erwähnt, die Reserve des Mitteltreffens bei sich, und die russischen Truppen waren durch das strategische [41] Talent des Generalstabs-Chefs Generals von Kotzebue so geschickt aufgestellt, daß es von dem durch die Natur so überwiegend begünstigten bulgarischen Ufer doch nicht möglich war, ihre Vertheilung und Bewegungen zu erspähen, während andererseits vierundzwanzig Stunden genügten, um 30,000 Mann russischer Truppen auf einem der Hauptpunkte zu concentriren.

Auf türkischer Seite befand sich das Hauptquartier und der Centralpunkt der Operationen gegen die Donau in Schumla, doch war in diesem Augenblick Omer Pascha bereits an der Donau im Centrum der Stellung eingetroffen. Den rechten Flügel stützte er auf Hirsowa und Silistria, von Izzet-Pascha kommandirt, den linken, bereits über die Donau vorgeschoben, auf Widdin und Kalafat.

Hier kommandirte Sami-Pascha. Der Sirdar befehligte auf dieser ausgedehnten Stellung ungefähr 100–120,000 Mann, theils Nischam (Linie), theils Redifs (Landwehr) und Baschi-Bozuks (Irreguläre) 1. Eine Masse europäischer Flüchtlinge aller Länder befand sich nicht blos in seiner nächsten Umgebung, sondern auch als Offiziere und selbst als Gemeine in dem ganzen Heer, zum großen Theil Renegaten, da durch die Bemühungen des Muschirs bei dem Uebertritt der ungarischen Armee im Jahre 1849 Offiziere und Soldaten in Masse dem Religionswechsel des greisen Generals Bem gefolgt waren. Es wird für die Leser, die nicht gleich eine Karte des damaligen Kriegsschauplatzes zur Hand haben, wenigstens ein übersichtliches Bild gewähren, nachstehend die einander gegenüber liegenden Hauptpunkte des linken und rechten Donauufers angeführt zu sehen. Wir beginnen von der serbisch-österreichischen Gränze aus, den Lauf der Donau bis Galatz, also bis zu dem Punkt verfolgend, wo die große Walachei, die Moldau, die Dobrudscha und das russische Gebiet von Beßarabien an ihren Ufern zusammenstoßen.


KrajowaBukarest
Kalafat– – – – –TurnulSimnitzaGiurgewoOltenitza
    –    –    –    –    –    –
WiddinRahovaNicopoliSchistowaRustschukTuturkai
KalaraschFutestie– – – – –BrailowGalatz
    –   –    –    –
SilistriaHassowaHirsowaMatschin– – – – –Isaktscha

[42] Das türkische (bulgarische) Ufer bildet bereits von Matschin aus eine fast ununterbrochen fortlaufende Bergwand, während die walachischen Ufer, mit wenigen Unterbrechungen flach und sumpfig, den Ueberschwemmungen der Donau ausgesetzt sind, so daß die gewöhnlichen Gränz- und Quarantainewachen am Ufer in Wachthäusern kampiren müssen. Die Donau theilt sich an vielen Stellen in mehrere Arme und bildet größere und kleinere Inseln. Ihre Breite ist demnach sehr wechselnd.

Wie bereits erwähnt, hatten die Feindseligkeiten, und zwar von türkischer Seite, bei Isaktscha 2, einer kleinen türkischen Festung in der Dobrudscha, begonnen. Fürst Gortschakoff hatte den Befehl ertheilt, daß ein Theil der in den Mündungen ankernden russischen Donau-Flotille den Fluß herauf bis Galatz fahren solle, um für etwaige Operationen bei der Hand zu sein. Der Befehl lautete, bei Nacht an den Festungswerken von Isaktscha und den von den Türken dort angelegten Schanzen vorüber zu fahren; der Kommandant, Capitain Werpakhowsky, und alle Offiziere der Flotille erbaten jedoch die Erlaubniß, die Festung bei Tage zu passiren, als eine Gnade. Das Geschwader, aus den Kriegsdampfern »Pruth« und »Ordinarez«, jeder vier Kanonenboote im Schlepptau, bestehend, näherte sich um 81/2 Uhr Morgens den 23. October Isaktscha und sofort eröffneten die Türken das Feuer aus 27 Geschützen, worauf sich eine lebhafte Kanonade von beiden Seiten entspann, die fast anderthalb Stunden währte. Zwei der Kanonenboote wurden durch das türkische Feuer so beschädigt, daß sie nur bis Reni gebracht werden konnten, die anderen Schiffe jedoch trafen am Abend in Galatz ein. Ein großer Theil der Stadt Isaktscha war durch die russischen Bomben in Flammen gesteckt; unter den dreizehn Todten des kleinen Geschwaders befand sich auch sein tapferer Kommandant Werpakhowsky. Sechsundvierzig Mann wurden verwundet. –

Am 25. October hatten die Türken unterSami-Pascha, dem Gouverneur von Widdin, den ersten Uebergang über die Donau unternommen. Die zwischen Widdin und Kalafat belegene Insel wurde von einem Corps von 2000 Mann besetzt und befestigt, [43] ohne daß die Russen, deren schwache Vorposten in Kalafat standen, dies im Geringsten zu hindern suchten.

Selbst als am Nachmittag des 27. von der Insel aus die Türken unter dem Befehl von Ismaël-Pascha das linke Ufer unterhalb Kalafat betraten, sahen die russischen Offiziere von dem auf der Höhe belegenen Kaffeehause dem feindlichen Uebergang gemüthlich zu, bis es zu spät war, die verlorenen Vortheile wieder zu gewinnen. Die russische Garnison räumte Kalafat, und nach Mitternacht rückte die Avantgarde der Türken dort ein. Die Stärke derselben betrug damals höchstens 7–8000 Mann. Sofort begannen sie die von Natur äußerst feste Position durch Schanzwerke zu verstärken und es bildete sich jenes über eine halbe deutsche Meile lange Vollwerk, an dem der Lorbeer des Fürsten von Warschau noch diesseits des Grabes seine ersten Blätter verlieren sollte.

Die ziemlich abgesonderte, und strategisch außerdem ganz unnütze Position war von dem Muschir kluger Weise eingenommen worden, um jenem großen Plan der Russen auf die Verbindung mit Serbien und die Erhebung des serbischen Volkes gegen die Türkei zuvor zu kommen. Wir werden später Gelegenheit haben, uns länger mit Kalafat zu beschäftigen und wenden uns daher zu den nächsten Ereignissen im Centrum der Stellung.

Am 1. November waren von den Türken hier gleichfalls mehrere Versuche gegen das linke Donauufer unternommen worden. Von Rustschuk aus etwas stromaufwärts bei Tersentschik war ein Corps von 2000 Mann über die Donau gegangen und plänkelte jetzt gegen Giurgewo, das Rustschuk gegenüber liegt. Hier kommandirte General Ssoimonoff. Es erfolgte ein Gefecht längs des Dammes der Stadt ohne größere gegenseitige Resultate. Am Morgen des 2. hatten die Türken den starken Nebel benutzt, welcher die ganze Donaugegend bedeckte, und einen Dampfer mit mehreren Kanonenböten von Rustschuk gegen Giurgewo geschickt. Die Schiffe waren schon in den Kanal eingedrungen, welcher gegen die Quarantaine führt, als sie von den Russen bemerkt wurden. Es entspann sich alsbald eine lebhafte Kanonade, die nach mehreren Stunden mit einem Rückzug der türkischen Schiffe endete. Am nächsten Tage wiederholte sich dies Spiel.

Von Tuturkai aus wurde der dritte Versuch zur selben Zeit gemacht und hier beabsichtigten, wie die späteren Ereignisse ergaben, die Türken den Hauptstoß. Tuturkai selbst war in der letzten Zeit [44] stark befestigt worden, und unter dem Schutz des buschigen und bergigen Ufers war es gelungen, ein Corps von 14,000 Mann zwischen hier und Tschischatscha zu concentriren, durch die nöthigen Reserven gedeckt, ohne daß die Russen die drohende Gefahr bemerkten. Am 1. November setzten die Türken auf die zwischen Tuturkai und Oltenitza, näher am letztern Ort liegende Insel über und begannen diese zu befestigen. Von hier aus faßten sie am 2. Position auf dem linken Ufer unterhalb Oltenitza. Am Morgen des 3. standen bereits etwa 5000 Mann auf der Insel. Das Buschwerk derselben verhinderte jedoch auch hier die Russen, die Zahl und die Vorbereitungen ihrer Gegner zu erkennen.

Der Commandeur der II. Infanterie-Division des IV. Armee-Corps, General-Lieutenant Pawloff, befehligte in Oltenitza, hatte aber nur eine geringe Truppenzahl bei sich.

Dies war die gegenseitige Stellung am Abend des 3. November. –

Fürst Gortschakoff mit seinem Adjutanten hatte selbst den Ball des General-Consuls mit seinem Besuch beehrt, und eine große Anzahl der Offiziere des Dannenberg'schen (IV.) Corps befand sich aus den umliegenden Stationen auf Urlaub anwesend, da die Gefahr an keinem Punkte sehr dringend erschien und man die Vorposten-Positionen an der Donau für genügend hielt, jeden Versuch zu vereiteln, oder die übergegangenen Streifcorps zurückzuwerfen.

Unter den Gruppen des Balles zog jene die Aufmerksamkeit auf sich, die sich um die Schönheit des Tages gebildet hatte. Es war die Gattin eines erst seit wenigen Wochen aus Paris zurückgekehrten Bojaren aus der reichen und angesehenen Familie der Bibesco, und obschon es sehr gewöhnlich ist, daß die galanten Damen von Paris, wenn sie dort ihre Rolle ausgespielt haben oder durch irgend einen Umstand sich veranlaßt sehen, Paris zu meiden, sich von ihren slavischen Anbetern, – und Paris wimmelt in Friedenszeiten von Mitgliedern des reichen slavischen, magyarischen und romanischen Adels, – zu der wilden Heimath entführen lassen, oder auch selbst auf eigene Hand nach Bukarest, Galacz und Jassy kommen, um dort einen goldenen Fisch zu angeln und mit ihrer Hand zu beglücken, – so war Madame Bibesco doch wohl geeignet, unter allen ihren Nebenbuhlerinnen den Sieg davon zu tragen.

[45] Eine hohe, schlanke Gestalt, das Haar cendré, der Teint sein und leicht geröthet, ein Bild, das dem Leser nur flüchtig am Abend des 5. Juli in der Straße St. Josef zu Paris von uns vorgeführt worden ist. Der spöttisch verzogene Mund warf rechts und links seine Wortblitze, während das schmachtende Auge durch die brillanten-besetzte Lorgnette achtlos über den Kreis hinaus kokettirte, der sich um sie gebildet hatte.

Plötzlich erbleichte das schöne Gesicht und dann schoß eine dunkle Röthe auf Hals und Antlitz. Frau von Bibesco wandte sich rasch zu einem der Offiziere und begann ein gleichgültiges Gespräch, während dessen sie ihre Aufregung zu unterdrücken suchte. Alsdann wieder das Lorgnon vornehmend, ließ sie ihre Blicke nochmals wie zufällig durch den Saal schweifen und endlich an einer entfernten Gruppe älterer Offiziere haften.

»Können Sie mir sagen, Herr von Szamarin,« wandte sich die Dame an einen ihrer Verehrer, einen Ulanen-Major vom Regiment Olwiopol, »wer der junge Offizier ist, so viel ich von Ihren Uniformen verstehe, von der Garde, der eben mit dem Oberbefehlshaber spricht? Mich dünkt, ich müßte dies interessante Gesicht bereits gesehen haben.«

»Ich kann Ihnen dienen, gnädige Frau,« erwiederte der Offizier galant. »Mit Ihren scharfen Augen haben Sie einen Adonis der russischen Armee herausgefunden, Fürst Iwan Oczakoff, und es ist möglich, daß Sie ihn bereits gesehen, da er einige Zeit der Gesandtschaft in Paris beigegeben war. Ich habe die Ehre, den Fürsten und seine schöne Schwester, die, wie ich höre, leider krank von Paris zurückgekehrt ist, von Petersburg her zu kennen. Er steht augenblicklich beim Stabe des Fürsten Mentschikoff und ist gestern als Courier mit Depeschen von Odessa hier eingetroffen. Befehlen Sie, daß ich Ihnen den Fürsten vorstelle?«

»Sie werden mich verbinden, Herr Major.«

»Aber nur unter der Bedingung, schöne Frau, daß wir dabei nicht zu kurz kommen, und Fürst Oczakoff, der doch nach dem deutschen Reiterliede nur ›im Sturme um den Minnesold werben! Kann‹, Sie uns nicht entführt.«

Der Major verließ die Gruppe und näherte sich dem Fürsten, der jetzt, von dem General en chef entlassen, mit mehreren jungen Offizieren plauderte.

[46] Die Blicke der Dame folgten ihm nicht ohne Unruhe, – nur zerstreut setzte sie die Unterhaltung mit ihrer Umgebung fort.

»Sie haben eine Eroberung gemacht, Fürst,« sagte scherzend Herr von Szamarin zu diesem, »ohne daß Sie es wissen. Madame Bibesco, die Königin des Balles, wünscht, daß ich Sie ihr vorstelle.«

»Ich habe nicht die Ehre, die Dame zu kennen.«

»Eben deshalb will ich Sie vorstellen. Kommen Sie, Fürst. Die schöne Celeste Bibesco ist eine Pariserin und wird Sie dort wahrscheinlich gesehen haben, wenigstens glaubt sie es.«

Halb gezwungen folgte Fürst Iwan dem Kamera den, der ihn zu der schönen Bojarenfrau führte.

»Hier, Madame, erlaube ich mir, Ihnen unsern gefährlichen Nebenbuhler um Ihre Gunst vorzustellen, Fürst Iwan Oczakoff. Er stammt aus dem Lande, wo Achill einst vor dem trojanischen Krieg verborgen wurde, und ich hoffe, er hat für die Pfeile aus Ihren schönen Augen auch nicht einmal die verwundbare Stelle, die sein berühmter Landsmann besaß.«

»Man muß nach Rußland kommen,« sagte die Dame lächelnd, »um die pariser Complimente noch übertroffen zu sehen. Ich höre, Sie waren noch in diesem Sommer in Paris, mein Fürst?« – Ihr Auge lag scharf und deutungsvoll auf ihm.

»So ist es, Madame.«

»Und wann verließen Sie es?«

»Am Abend des 5. Juli.«

»So bald schon? Ich glaubte, Sie noch später dort gesehen zu haben. Es scheint, daß der 5. Juli ein wichtiger Tag für viele Personen gewesen ist, auch mir war er ein solcher.«

Der Fürst wurde aufmerksamer.

»Meine Abreise kam plötzlich, deshalb habe ich das Datum genau behalten, Madame.«

»Ich zweifle nicht daran, mein Prinz. Ungewöhnliche Ereignisse haften fest in der Erinnerung, wie es scheint, fester selbst als Gefühle.« Ihr Blick flog rasch umher – die umgebenden Herren hatten sich rücksichtsvoll einige Schritte zurückgezogen und plauderten, – sie sah sich unbeachtet und benutzte den Augenblick. »Ich hätte kaum geglaubt, Sie glücklich und so bald nach jenem furchtbaren Abend wiederzusehen.«

»Madame – –«

[47] »Jetzt wird es mir freilich klar, auf welche Weise es Ihnen gelang, sich zu befreien. Die arme Nini!«

Der Fürst war sehr bleich, in seinem Innern kämpfte sichtlich eine große Aufregung.

»Madame – ich verstehe kaum – –«

»Ei, mein Gott, warum sich der kleinen Avantüre schämen, mein Prinz! Ich bin, wenn Sie es wünschen, die Discretion selbst, nehme aber natürlich auch die Ihre in Anspruch. Wenn Sie Lust haben, weiter mit mir zu plaudern, so sage ich Ihnen den zweiten Contretanz zu. Im Augenblick bin ich engagirt und ich sehe eben meinen Tänzer nahen. Au revoir, mon Prince!«

Am Arm ihres Cchapeaus rauschte sie in die sich bildenden Reihen, während das Orchester den wilden Mazurka begann.

Der Fürst starrte ihr nach – seine Augen blieben in ernstem Nachdenken auf die unerwartete Erscheinung gerichtet. Dann legte er die Hand sinnend an die schöne Stirn und suchte eines der Nebenzimmer auf, wo er ungestört seinen Gedanken nachhing.

Erst die Takte, welche zum Antreten der Quadrille riefen, weckten ihn. Er schien seinen Entschluß gefaßt zu haben und eilte in den Saal zu seiner Tänzerin, die ihn bereits mit Ungeduld erwartete.

Während die Touren wechselten, spann sich das Gespräch lebhaft weiter.

»Darf ich fragen, ob Sie Nini wieder gesehen haben?«

»Nein, Madame.«

»Ich dachte es mir,« sagte die schöne Frau mit sichtlicher Erleichterung. »Sie haben demnach gleich nach dem entsetzlichen Auftritt Paris verlassen?«

»So ist es.«

»Es konnte Ihnen natürlich nicht schwer werden, Ihre Identität zu beweisen. Doch war es edel und schön von Ihnen, mein Prinz, sich für Ihren Gegner zu opfern.«

Der Tanz unterbrach die Unterhaltung.

»Und Nini?« fragte der Fürst, von der Tour zurückkehrend.

»Mon Dieu! die Kleine begleitete ihren Bruder und war am andern Morgen spurlos verschwunden. Wir hatten uns alsbald getrennt, um jede Spur zu verwischen, und ich wagte es erst einige Zeit nachher, unter der Hand mich zu erkundigen. Aber seltsam, auch die Polizei hatte keine Nachfrage angestellt, obschon der Mensch schrecklich kompromittirt sein mußte.«

[48] Sie schien die Sache mit einiger Verlegenheit zu umgehen. »Sie sind mir die Erzählung Ihres weitern Abenteuers schuldig, mein Prinz.«

Der Tanz hatte geendet, der Fürst führte die Dame nach ihrem Platz. »Ich fühle ganz die Pflicht, die ich habe, und sie zu lösen ist für mich wichtiger, als es für Sie von Interesse sein kann, nur scheint hier kaum der Ort dazu. Würde Frau von Bibesco nur wohl erlauben, ihr morgen meine Aufwartung zu machen?«

»Fürst Oczakoff wird mir stets willkommen und ich werde von zwölf Uhr an für ihn allein zu Hause sein. – Doch sehen Sie, Fürst, – es muß sich etwas Ungewöhnliches ereignet haben. Ihre Herren Kameraden treten zusammen und ich sah eben Fürst Gortschakoff mit mehreren Generalen durch jene Thür sich entfernen. Bitte, gehen Sie und erkundigen Sie sich, wir Frauen sind neugierig.«

Auch der Fürst bemerkte, daß eine besondere Aufregung im Saale stattfand und die Offiziere in Gruppen zusammentraten. Er beurlaubte sich mit einer Verbeugung und eilte zu der Menge, die sich namentlich um die Thür zu einem der Nebengemächer versammelt hatte, aus dem jetzt Baron von Meusebach seinen Gästen entgegentrat.

»Seine Durchlaucht,« sagte der General-Consul mit lauter Stimme, »bitten die werthe Gesellschaft mit mir, sich durchaus nicht zu beunruhigen oder stören zu lassen. Es sind einige Depeschen eingegangen, die den Fürsten für kurze Zeit in Anspruch nehmen, aber keineswegs irgend eine Besorgniß rechtfertigen. Meine Herren, ich bitte Sie, in dem Tanz fortzufahren.«

Das Orchester begann auf seinen Wink auf's Neue, doch nur wenige Paare bildeten die Colonne. Man flüsterte in Gruppen oder verkehrte mit den Adjutanten, die hastig aus den Gemächern, wohin sich der Fürst zurückgezogen hatte, ab und zu gingen und hier und da einem der Offiziere einen Befehl zu bringen schienen. Man bemerkte, wie alsbald die Angeredeten aus dem Saale verschwanden, und von der Pforte des Hauses aus klang der Galopp der Davonsprengenden herauf.

Fürst Iwan wandte sich an einen ihm bekannten Artillerie-Offizier und fragte ihn nach dem Vorgefallenen.

»Der Teufel ist los!« sagte der Capitain. »Pawloff hat uns [49] bei Oltenitza die Türken über den Hals kommen lassen und ist bereits heute Mittag von ihnen zurückgedrängt worden. Kommen Sie, Fürst, wir hören die sichersten Nachrichten von dem Boten selbst.«

Er nahm ihn unter den Arm und führte ihn durch die Menge zum zweiten Salon, wo am Büffet eine Anzahl Militairs um einen staub- und schmuzbedeckten Kosaken-Offizier versammelt war, der, am Tisch sitzend, große Gläser starken Arracpunsches hinunterstürzte. Die Unterhaltung wurde hier russisch geführt und das andere Publikum hatte sich daher zurückgezogen.

»Nun, Herr Kamerad,« sagte Capitain Besutoff zu dem Kosaken, »kann man von Ihnen erfahren, welche Nachrichten Sie gebracht haben, oder ist die Sache Geheimniß?!«

»Warum halten hinter dem Berg mit der Sach', die doch sein püblic morgen früh!« radebrechte der Kosak. »Wir haben bekommen Schläg', starke Schläg'; die Herren Muselmann, meine Colleg', waren gekommen zu viel und haben gedrängt uns zurück. Wir werden haben morgen starke Affair'.« Er hob das neugefüllte Glas und betrachtete den Inhalt schmunzelnd durch das Licht. »Dieser Punsch sein ser gut. Auf kuten Erfolg, meine Herren Kamerad'!«

Der Bursche leerte das große Glas auf einen Zug. Indeß die Offiziere sich bemühten, die Details aus ihm herauszuholen, trat einer der Adjutanten des Oberbefehlshabers zu der Gruppe.

»Seine Durchlaucht hat den Ball verlassen, meine Herren, und sich in sein Quartier begeben. Sie werden wohlthun, sich fertig zu machen und möglichst schnell im Hotel einzufinden, um ewige Befehle in Empfang zu nehmen. Wir brechen noch diese Nacht auf nach Budeschti. Sie, Herr Lieutenant,« er wandte sich zu Iwan, »wünscht der Fürst gleichfalls zu sprechen.«

Ein allgemeiner Aufbruch der Gesellschaft erfolgte. Als Fürst Oczakoff in den Ballsaal zurückeilte, um die schöne Bojarin noch zu sprechen, fand er, daß sie bereits mit ihrem Gatten das Fest verlassen hatte, das jetzt rasch ein Ende nahm.

Die Offiziere eilten theils nach ihren Quartieren, theils nach den Kasernen, oder direct nach dem Hotel des Oberbefehlshabers. Fürst Iwan traf hier bereits die Vorgemächer voll von Ordonanzen und Offizieren aller Waffengattungen. In dem Saal des Hauses, wohin er mit mehreren Andern beschieden wurde, fand er den [50] Fürsten mit der Generalität und den Mitgliedern des Generalstabs um die Karten versammelt.

Der Oberbefehlshaber dictirte eben die General-Ordre an den Chef des 4. Corps, General von Dannenberg, für die Action des kommenden Tages. Sie lautete: »In der Umgegend von Dobrény und Negoeschti die erste Brigade der 11. Infanterie-Division mit der Batterie Nr. 3 und die leichte Batterie Nr. 5 der 11. Artillerie-Brigade, 6 Escadronen des Ulanen-Regiments Olwiopol mit 2 Geschützen der 9. Batterie der donischen Kosaken und 300 Kosaken vom donischen Regiment Nr. 34 zu concentriren, bei dem Dorfe Mitréni-Fundéni Stellung zu nehmen und mit diesen Streitkräften den Feind von diesem Punkt aus anzugreifen.«

Zugleich wurden Spezial-Ordres an alle diese einzelnen zwischen der Saltscha und dem Mostische cantonirenden Truppen zum sofortigen Ausmarsch gefertigt und die Adjutanten und Ordonanzen flogen damit nach allen Seiten davon.

Der Regen goß in Strömen vom Himmel, die wenigen Straßen und Wege waren bereits grundlos.

In einer Pause der Geschäfte wandte sich der Ober-Kommandirende an den jungen Mann. »Ich habe Sie rufen lassen, Herr Lieutenant, um Ihnen mitzutheilen, daß Sie mich nach Budeschti begleiten und der Affaire beiwohnen werden. Sie haben damit Gelegenheit, sich die Sporen und« – fügte er lächelnd hinzu – »den noch mangelnden Bart zu verdienen. Ich hoffe, Sie mit guter Botschaft von Ort und Stelle an den Herrn Marine-Minister zurücksenden zu können. In zwei Stunden brechen wir auf. Sie werden Pferde aus meinem Marstall nehmen.«

Er winkte zur Entlassung und wandte sich zu einem andern Offizier.

Der Fürst trat ab ziemlich betroffen und mißlaunig, denn er schien große Wichtigkeit auf die Unterredung mit Frau von Bibesco gelegt zu haben und sah diese jetzt vollständig vereitelt. Major Szamarin begegnete ihm.

»Ich höre, Sie werden dem Scharmützel im Generalstabe beiwohnen. Doch wollen wir uns sputen, daß wir mit den lieben Moslems fertig sind, ehe Sie kommen. Gute Nacht oder guten Morgen, Kamerad, ich muß zu meiner Escadron, die Kerls werden sich freuen, daß endlich der Tanz losgeht.«

Beide reichten sich die Hand und trennten sich, der Major, [51] um mit seiner Escadron aufzubrechen, der Fürst, um rasch noch seine kurzen Vorbereitungen zu treffen.

Zwei Stunden darauf wirbelten die Trommeln durch die Straßen und eine Infanterie-Colonne setzte sich bei Sturm und Regen in Bewegung.

Beim ersten Dämmern des Tages folgte ihr der Oberbefehlshaber mit seinem Stabe nach Budeschti. –

Oltenitza, wo der erste größere Kampf dieses Krieges ausgefochten werden sollte, ist ein kleiner Ort an dem Flüßchen Argisch, kurz vor dessen Einfluß in die Donau, die hier etwa 630 Schritt breit ist und in deren Mitte, doch näher dem linken Ufer und Oltenitza gegenüber, wie wir bereits erwähnt haben, eine ziemlich große, stark bewaldete Insel liegt. Links von dem etwas landeinwärts gelegenen Städtchen befindet sich näher am Ufer der Donau das große steinerne Quarantainegebäude, in dessen Nähe mehrere alte, nach der Landseite offene Schanzen und Erdwerke vorhanden waren, von den Russen in früheren Kriegen gegen die Türken aufgeworfen. Der Argisch bildet an seinem Ausfluß sich bis an's Donauufer erstreckende Sümpfe, welche die Position beengen und schützen.

Hier hatte wegen der geringeren Breite der Donau auch bei dem Feldzuge von 1828 die russische Armee mit 40,000 Mann am 23. Juni ihren Uebergang nach dem bulgarischen Ufer bewerkstelligt.

Wir haben bereits angeführt, daß die Türken am 2. im Schutz des Nebels ein kleines Corps von der Insel aus auf das linke Ufer geworfen und sich dort in jenen russischen Schanzen festgesetzt hatten. Mustapha-Pascha und der spanische Abenteurer General Prim von Reuß, ein ehemaliger preußischer Lieutenant, der durch die Weiberwirthschaft in Spanien sich zu solchem Range emporgeschwungen hat und mit der Speculation nach der Türkei gekommen war, mindestens ein Oberkommando zu erhalten, – leiteten die Unternehmung. Im Laufe des 3. – es war ein Donnerstag – hatte sich die Zahl der übergesetzten Truppen bedeutend vermehrt und drängte die russische Vorpostenlinie auf Oltenitza und die in Kanonenschußweite hinter dem Ort belegene befestigte Reservestellung zurück. Am Nachmittag entspann sich ein Gefecht, bei dem die Russen – größtentheils nur Kosaken – sehr im Nachtheil waren und Oltenitza räumen mußten, während die [52] Türken ihre Stellung überaus befestigten, auf der Donauinsel zwei Batterieen errichteten und das Quarantainehaus zu einer solchen umgestalteten. Fortwährend kamen zugleich Verstärkungen vom rechten Donauufer an.

Diese mißlichen Umstände waren es, die General Pawloff dem Höchstkommandirenden am Nachmittag des Dritten nach dem etwa acht Stunden von Oltenitza entfernten Hauptquartier gemeldet hatte.

Am Freitag Morgen – der Freitag ist der Sonntag der Moslems – standen bereits 14–15,000 Türken 3 verschanzt auf dem linken Donauufer in überaus vortheilhafter Position. Dieselbe lehnte sich rechts an die Donau, links an den Argisch. Ihr rechter Flügel war überdies durch mehrere terrassenförmige Batterieen von zusammen 40 Geschützen am rechten Donauufer und auf dem alten Schloß von Tuturkai, ihr linker Flügel durch die beiden bestreichenden Batterieen auf der Donauinsel gedeckt. Die Front, in deren Mitte das steinerne mit 6 Kanonen besetzte Quarantainehaus stand, war durch Schanzkörbe und Pallisaden geschützt, welche sie vom rechten Donauufer herüber gebracht hatten.

Während des ganzen Morgens und Vormittags feuerte die Artillerie gegen einander, doch in solcher Entfernung, daß wenig Erfolg auf beiden Seiten sich zeigte. Gegen Mittag endlich klärte sich das Wetter auf und zugleich rückten von Mutréni-Fundéni und Szanzowa her die consignirten Truppen des Generals von Dannenberg in die ihnen bezeichneten Stellungen.

[53] Dieselben waren, Alles in Allem, 8000 Mann stark 4, da die Regimenter alten Schlages, das heißt sehr unvollständig, waren.

General von Dannenberg hatte sich mit dem Stabe unfern Oltenitza aufgestellt. Die Kosaken plänkelten auf beiden Seiten, obschon die Stellung des Feindes jeden Flankenangriff hinderte. Das Selenginski'sche Infanterie-Regiment (Nr. 21) unter Oberst Sabatinski, und das Jakutzki'sche Regiment (Nr. 22), geführt vom Oberst Bjalui, standen in Kanonenschußweite in spitzem Winkel aufgestellt, die Mitte für die Artillerie freilassend, die General-Major Wedowitschenko kommandirte. Die Ulanen unter General-Major Kosljaninoff bildeten die Reserve.

Da die Stellung der Türken nirgends umgangen werden konnte, beschloß der General den Frontalangriff. Schon während der Aufstellung der Truppen hatte die türkische Artillerie ihr Feuer aus allen Geschützen und selbst aus einigen auf dem rechten Ufer aufgestellten Mörsern begonnen.

Um ein Uhr gab der russische Befehlshaber das Zeichen zum Angriff und sandte die beiden Batterieen Nr. 3 und 5 bis auf etwa 13–1400 Schritt Entfernung von den feindlichen Schanzwerken vor, wo sie abprotzten und sofort das Feuer gegen die türkischen Verschanzungen eröffneten.

Während einer Stunde spielte die Artillerie, auf beiden Seiten trefflich bedient, wobei es jedoch der russischen gelang, bis auf Kartätschenschußweite vorzugehen.

Die Trommeln wirbelten nunmehr zum Angriff und vier [54] Bataillone des Selenginski'schen, nebst zwei des Jakutzki'schen Regiments formirten die Sturmcolonne, kommandirt von Oberst Sabatinski.

In diesem Augenblick traf der Oberbefehlshaber, Fürst Gortschakoff, mit seinem Gefolge auf dem Schlachtfelde ein.

Die Artillerie gab noch eine Salve, dann wandte sie sich zur Rechten und Linken, und beschoß die Schanze und die Insel, während die Colonne im Sturmschritt vorging.

Der erste Aufstoß war fürchterlich – der Tod hielt seine reiche Ernte. Die Geschütze im Quarantainehause schwiegen, bis die Colonne auf hundert Schritt an die Pallisaden heran war, und begannen dann ihr Kartätschenfeuer auf die dichtgedrängte Masse.

Die Colonne wankte, doch der Zuruf der Offiziere hielt sie zusammen und trieb sie vorwärts.

Eine zweite volle Lage begrüßte sie, kaum dreißig Schritt von den Verschanzungen, eine der Kugeln riß den tapfern Veteran zu Boden, der sie führte.

Dies Mal widerstand die russische Tapferkeit nicht, die Bataillone wichen und stürzten in wilder Flucht zurück; zugleich warf sich die zur Seite des Quarantainehauses, zwischen diesem und der alten Schanze gedeckt aufgestellte Kavallerie auf die Weichenden und trieb sie in wilder Flucht vor sich her. Die russische Artillerie vermochte nicht ein Mal, zum Schutz der Ihren zu feuern, so dicht geballt in einander waren Freund und Feind.

»Nun, Fürst, verdienen Sie sich das Hauptmannspatent. Hinunter zu Kolsjaninoff, er soll angreifen und den Leuten Luft schaffen.«

Iwan verbeugte sich vor dem Kommandirenden und gab seinem Pferde die Sporen; in wenig Augenblicken war er bei den Ulanen und hatte die Ordre überbracht.

»Abgeschwenkt, erste, dritte und fünfte Escadron rechts, die zweite und vierte links, die sechste in Reserve. Galopp! Marsch!« Die Kommando's erklangen, die Trompeten bliesen, und im Galopp sausten die braven Ulanen über das schlimme Terrain, während durch die Mitte bereits die Spitzen der Fliehenden anlangten.

Die türkische Kavallerie, aus Husaren und syrischen Baschi-Bozuks bestehend, erhielt von zwei Seiten den Stoß und konnte nur schwer widerstehen. Dieselben Ursachen, welche die russische Artillerie behindert hatten, dienten auch jetzt den Gegnern zum Nachtheil. [55] Ein wildes Einzelngefecht entspann sich, namentlich auf der Seite der Baschi-Bozuks, die mit ihren Lanzen den Ulanen das Gleichgewicht zu halten vermochten.

Hier, neben Szamarin im dichtesten Gewühl, befand sich der junge Fürst. Sein Gesicht war bleich, doch die Augenbrauen finster zusammengezogen, wie von einem festen Entschluß. Seine Rechte hielt den Degen, doch nur zur Verteidigung, – diese Klinge war noch rein von Blut!

In solcher Nähe war der Kampf mit den wilden Söhnen der syrischen Steppen furchterregend. Die braunen Gesichter mit den blitzenden Augen, die wilden ungewohnten Gestalten in der seltsamen oft zerlumpten Tracht, konnten selbst die Kaltblütigkeit eines alten Soldaten verwirren. Dem Fürsten blitzte und wogte es vor den Augen, bis er einen scharfen Schmerz an seinem linken Arm hingleiten fühlte, ein Lanzenstich, für seine Brust bestimmt, hatte ihn leicht verwundet. Im Augenblick darauf hieb Szamarin den Turkomanen vom Pferde.

»Vorwärts, Kamerad, nicht geschont die ....«

Der schwere Schlag eines Yatagans traf durch den Kalpak hindurch seine Stirn, zugleich durchbohrte eine Pistolenkugel seine Brust, – der Tapfere breitete die Arme weit aus – in der Faust noch den Säbel hoch geschwungen – dann stürzte er unter die Hufe der Pferde, die nur den zuckenden Leichnam zertraten.

Dies Mal war es der jungfräuliche Stahl, der den Tod des Kameraden rächte und sich tief in die Seite des Schützen begrub. Ein wilder Schreckensruf erfolgte, als der Türke, offenbar ein Offizier höheren Ranges, fiel, und zugleich brach von der Seite her die Reserve der sechsten Escadron in den Feind. Die regulairen Reiter wandten sich zur Flucht, im Augenblick war diese allgemein; im Carriere nach dem Ufer, bis in's Wasser der Donau hinein, jagte die türkische Kavallerie, verfolgt von den Ulanen, bis das Flankenfeuer von den Batterien der Insel diesen Einhalt gebot und sie zurücktrieb.

Bleich, schwankend auf seinem Roß, den blutigen Stahl noch an der Hand hängend, kam Fürst Iwan in den Reihen der schwergelichteten Escadrons zurück. Ein alter bärtiger Unteroffizier führte am Zügel den prächtig geschirrten Araber, dessen Sattel sein Stoß eben geräumt hatte. –

»Sie sind ein Glückskind, Fürst,« sagte der Cornet an seiner [56] Seite; »ich glaube, es war der Führer dieser Horden, den Sie getroffen haben. Vielleicht findet sich in diesen goldverbrämten Satteltaschen ein Ausweis; schade, daß wir nicht Zeit hatten, den Kerl selbst zu durchsuchen.«

In der That fand man in diesem Reservoir der türkischen Soldaten neben dem Tabacksbeutel die Ordres des Tages, welche erwiesen, daß der Getödtete Has san-Pascha, der Führer der Kavallerie des Corps, war.

Der Oberbefehlshaber selbst kam der zurückkehrenden Kavallerie entgegen und hörte die dem Kommandirenden erstatteten Rapporte an, während die Colonnen sich wieder sammelten und formirten. Hierbei wurden auch die in dem Sattelzeug des gefallenen türkischen Führers gefundenen Ordres und Papiere übergeben, und von einem der Offiziere, der türkisch verstand, schnell übersetzt.

Sie schienen von Wichtigkeit, denn während die Artillerie von Neuem ihr Spiel begann, zog sich der General en chef mit dem Kommandirenden des Corps und einigen der älteren Stabsoffiziere zu einem kurzen Kriegsrath zurück.

Derselbe war in wenig Minuten beendet, und indeß General Dannenberg auf's Neue seine Befehle für den Angriff ertheilte, winkte der Oberkommandirende den jungen Fürsten zu sich. –

»Ich gratulire, Herr Capitain« sagte er freundlich; »Sie haben sich in Ihrer ersten Affaire ausgezeichnet, wie ich sehe, selbst auf Kosten einer Wunde, und uns zugleich einen wichtigen Dienst geleistet. Ich breche in diesem Augenblick nach Giurgewo auf, wo, wie ich aus den gefundenen Papieren ersehe, unsere Positionen zugleich bedroht sind. Sie bleiben bei General Dannenberg zurück, der Sie später mit Depeschen an General Anrep und General Lüders senden wird. Von Galacz aus begeben Sie sich nach Odessa zurück. Ich hoffe, Herr Capitain, wir sehen uns bald wieder.«

Er galoppirte davon und Fürst Iwan schloß sich, nicht ohne geheimen Stolz und dennoch trübe und ernst, dem Stabe des Kommandirenden an.

Der Tag neigte sich stark, es war bereits 4 Uhr. General Dannenberg hatte die Ordre erhalten, noch einen kräftigen Angriff zu machen und die Türken womöglich aus ihrer Position zu verdrängen, jedenfalls aber die eigene Stellung zu halten.

Die Trommeln gaben das Zeichen zum Antreten, und wiederum gingen die Batterieen vor und eröffneten das Feuer. Dies Mal [57] hatten alle acht Bataillons das Kommando zum Sturm, während die Hälfte der Ulanen mit den Kosaken nachrücken und die türkische Kavallerie in Schach halten sollte. General-Major Ochterlone, ein Ire von Geburt, der Commandeur der Brigade, übernahm selbst das Kommando.

Der Sturmmarsch wirbelte in kurzen Schlägen; die beiden Colonnen setzten sich in Geschwindschritt, die Eine gegen das Quarantainehaus, die Zweite gegen die große Verschanzung.

Beide gelangten zu gleicher Zeit – ohne daß die feindliche Artillerie feuerte, – an das Ziel, die Erste an die Pallisaden, die Zweite an die mit Wasser gefüllten Gräben vor den Schanzen.

In diesem Augenblick begann auf ein von den letztern aus gegebenes Signal ein mörderisches Feuer aus den maskirten Batterieen der Schanzen, aus den Kanonen des Quarantainehauses und von Tuturkai herüber. Zugleich eröffneten die auf der Schanze und im Gebäude postirten Scharfschützen – nach dem mehrfach hörbaren italienischen Kommando meist Piemontesen – ein tödtliches Feuer auf die Anstürmenden.

An den Pallisaden wogte der Kampf in wildester Heftigkeit auf und nieder, die Leichen thürmten sich in Haufen, der Tod hielt seine gräßliche Ernte unter den Russen.

Die finstern verbissenen Männer sanken ohne Klage, noch im Sterben den Feind bedrohend.

Vergebens war der Ansturm; die Pallisaden zwar fielen unter dem Andrängen der Tapfern, die sie mit den Händen aus dem Boden rissen und die stürzenden mit ihren Leichen deckten. Hinter der Wand von Holz starrte die Wand der Bajonette, aus den Fenstern des Hauses regneten die Büchsenkugeln der Scharfschützen und die Kartätschen der Inselbatterieen schlugen grimmig in die Reserve.

Drüben an den Schanzen tobte der Kampf nicht minder heftig. Von den Nachfolgenden getrieben, warfen sich die Vorderreihen in die wassergefüllten Gräben, deren Fluth ihnen bis an den Hals ging. – Das Gewehr hoch in der Hand drangen sie vor, wer glitt, wer stürzte, war rettungslos verloren, die Füße der eigenen Kameraden traten ihn in den Grund. An dem Wall klommen sie empor, Zehn, Zwanzig, Hundert stürzten herab in das nasse Grab, aber hier krallte sich Einer fest auf der Böschung, dort ein Zweiter, ein Dritter, Hundert standen auf dem Wall:

[58] »Hurrah! die erste Schanze ist erstürmt!«

Die fliehenden Türken warfen sich auf ihre Kavallerie, Verwirrung, Toben überall, die Reiter setzten in den Strom, um die Insel zu erreichen, selbst die Infanteristen stürzten sich in die Wellen nach den Booten und Schiffen.

»Victoria!«

Aber der Ruf war zu früh. Von der zweiten flankirenden Schanze donnerten die Kartätschenladungen in die Sieger und rissen breite Lücken. Von Tuturkai herüber schmetterten die Paßkugeln Tod und Verderben in die Reihen, ein mörderisches Feuer erhob sich von den Booten.

Von der Front des Quarantainegebäudes wichen die Tapfern, das Kreuzfeuer der Batterieen war nicht auszuhalten. Zum Glück explodirten, von den russischen Kugeln entzündet, zwei Pulverkasten in dem Gebäude selbst und rissen breite Spalten in die kugeldurchlöcherten Mauern, so daß sich die türkische Artillerie daraus zurückziehen mußte.

Aber am Ufer faßte sie neues Posto und bestrich von hier aus den Platz um das Haus und die eroberte Schanze.

Ein weiterer Angriff auf die von der Insel und Tuturkai her gedeckten übermächtigen Massen wäre Wahnwitz gewesen. General Dannenberg gab das Zeichen zum Rückzug.

Die Ambulancen nahmen unter dem Schutz von Kavallerie-Pikets dicht vor der türkischen Stellung unbehindert ihre Verwundeten auf. Zwölfhundert Todte und Verwundete deckten von russischer Seite das Feld, – fast sämtliche Majors, beide Obersten waren verwundet, achtzehn Offiziere unter den Leichen; – die gesicherte Position hatte den Verlust der Gegner bedeutend geringer gelassen.

Der Sieg war unentschieden; das Dunkel des Abends lagerte sich über die blutgetränkten Fluren, die Türken campirten am Donauufer und in der größeren Schanze, die sie behauptet hatten, die Russen zogen sich auf Oltenitza zurück.

Hier – das Städtchen war verschont geblieben von dem Kampf, – in der Stube eines kleinen Häuschens fertigte General Dannenberg zunächst die Depeschen, mit denen Boten nach allen Seiten abgingen. Capitain Fürst Oczakoff erhielt die Ordre, zunächst nach Kalarasch zu General Anrep, so wie für General Lüders oder den Kommandirenden von Galacz, General Engelhard, die [59] Depeschen zu überbringen, welche eiligst alle disponiblen Truppen requirirten.

Die Nacht lag mit ihren feuchten Nebeln über Flur und Strom, als der neue Capitain mit seinem Diener und zwei Ordonanz-Kosaken durch die Straßen des Orts schritt, um sich eine Strecke unterhalb Oltenitza im Schutz des Dunkels in einem Fischerboot zur Fahrt nach Kalarasch einzuschiffen.

Von dem Schlachtfelde her trugen die Windstöße hin und wieder seltsame Töne herüber. Aus den Häusern, die zu Lazarethen eingerichtet waren, drangen die Klagen und Seufzer des Schmerzes; – ein Zug dunkler Gestalten auf dem Wege zur Kampfstätte defilirte an ihnen vorüber: – die Todtengräber gingen an ihr Geschäft! –

Fußnoten

1 Baschi-Bozuks, zu Deutsch etwa Wirrkopf.

2 Das alte Aegisus. Auf dem beßarabischen Ufer der Donau, tiefer hinein im Lande, zwischen dem Kilia-Arm und dem Jalpuk-See, liegt die russische Festung Ismaël, berühmt durch Suwaroff's Sieg, auch durch Byron's Don Juan bekannt.

3 Die Angaben der Zeitungen über die Stärke des türkischen Corps waren damals sehr verschieden und schwankten zwischen 12- und 23,000 Mann (Ostdeutsche Post, Telegraphische Depesche des Preußischen Staats-Anzeigers aus Bukarest). Das Journal de Constantinople war sogar naiv genug, seine erste Angabe von 12,000 Mann auf 3700 zu reduziren, während es die russische Macht auf 25–30,000 Mann angiebt. Bis jetzt ist noch keine irgend zuverlässige und brauchbare Geschichte des Donaufeldzuges bekannt, selbst die offiziellen Rapports sind spärlich und unvollständig und die Zeitungsmittheilungen geben, namentlich über die Treffen bei Oltenitza, die widersprechendsten Nachrichten. – Unter diesen Umständen dürfte das vorliegende Buch, da dem Verfasser besondere Privatquellen zu Gebote standen, zugleich das Verdienst einer ersten übersichtlichen und detaillirten Geschichte haben. Nach diesen Quellen war das ganze, bei Tuturkai concentrirte Truppencorps, 14,000 Mann, über die Donau gegangen und wurde durch Zuzüge bis zum 4. verstärkt. Die Reserven blieben auf dem rechten Donauufer.

4 Nach dem Etat hätten die kommandirten russischen Truppen betragen müssen:

Jedes der beiden Infanterie-Regimenter der 11. Division:

4008 Mann Combattanten und

89 Offiziere 8194 Mann,

6 Escadrons à 187 Mann

inclusive Offiziere 1122 Mann,

2 Batterieen à 178 Mann 356 Mann,

Kosaken 300 Mann,

2 Geschütze 60 Mann,

–––––––––

10,032 Mann,

mit 18 Geschützen. Hierzu die zusammengezogenen Vorposten-Linien der Kosaken. Die russischen Regimenter waren jedoch, wie erwähnt, damals so unvollständig, daß schon die Gesammtzahl 8000 eine sehr hochgegriffene ist. Offiziere, welche die Affaire mitgefochten haben, behaupten, daß nur 6000 Mann versammelt waren, und der Ausgang scheint diese Annahme zu bestätigen.

2. Die Schlacht
II. Die Schlacht.

Von allen Seiten rückten am 6., 7. und 8. die disponiblen russischen Corps nach Oltenitza heran. Es galt, den Kriegsplan des türkischen Oberfeldherrn in seiner ersten Entwickelung zu brechen.

Während, wie oben erwähnt, der äußerste linke Flügel des Muschirs in der Stellung von Widdin-Kalafat die Verbindung mit Serbien verhinderte und die Russen in der kleinen Walachei beschäftigte, hatte Omer Pascha seine Hauptmacht bei Tuturkai und Rustschuk concentrirt und beabsichtigte, von beiden Punkten aus die russische Position zu durchbrechen und concentrisch gegen Bukarest vorzudringen. Zugleich sollten ein dritter Uebergang bei Silistria die linke Flanke der russischen Stellung isoliren und ähnliche Versuche an andern Punkten ihre Donaulinie in Allarm halten.

Von diesem Plan war bis jetzt nur der Uebergang und die Festsetzung bei Oltenitza gelungen und auch hier durch den raschen Angriff des Dannenberg'schen Corps ein weiteres Vorgehen verhindert worden.

Wir haben bereits zu Anfang des Kapitels mitgetheilt, daß auch die Versuche auf Giurgewo am 1. bis 3. gescheitert waren.

Dennoch gab der Muschir das Unternehmen nicht auf. Er war jetzt selbst im Lager von Tuturkai eingetroffen, zugleich mit ihm von Constantinopel der berühmte Insurgenten-General Klapka, [60] und unter dessen Leitung wurden die Anstalten getroffen, die Stellung in Oltenitza auf's Neue zu befestigen. Die fortwährend seit dem, 4. über den Strom zugeführten Verstärkungen hatten es möglich gemacht, die russischen Vorposten bis hinter Oltenitza und auf ihre etwa einen Kanonenschuß hinter diesem Ort befestigte Reserveposition zurückzuwerfen.

Am 8. standen 25,000 Mann Türken in den neu befestigten Schanzen und um das Quarantainehaus in der nämlichen Aufstellung, die bei dem Kampf am 4. so tapfer vertheidigt worden war. General Klapka, der ausgezeichnetste Artillerist der ungarischen Armee, kommandirte die Artillerie und hatte zur Herstellung der Verbindung der Ufer über die Mündung des Argisch Brücken schlagen lassen.

Unterdeß concentrirten sich die russischen Streitkräfte bei Budeschti und am Morgen des 9. waren in den nächsten Umgebungen von Oltenitza 35,000 Mann versammelt unter'm Kommando, des Oberbefehlshabers. Zwei berühmte Artillerie-Generale standen also hier einander gegenüber.

Auch bei Giurgewo hatten die Russen ihre Stellung befestigt und unweit davon in der Richtung nach Bukarest ein verschanztes Lager von 7–8000 Mann bei Foreschti gebildet, um die Türken bei einem Uebergange zu verhindern, von hier aus der russischen Stellung in die Flanke zu fallen.

Am 8. setzten die Türken von Rustschuk auf die zwischen den beiden Städten liegenden Donauinseln über und befestigten die größere derselben, die Mokomen-Insel. Die Position war gefahrdrohend, und General-Lieutenant Szoimonoff, der Kommandirende der 10. Infanterie-Division, dem die Vertheidigung dieses Theils anvertraut blieb, beschloß, die Gegner von der Insel zu vertreiben, ohne erst die von Bukarest nach Giurgewo dirigirte, wegen der schlechten Beschaffenheit der Wege aber noch nicht angelangte Brücken-Equipage abzuwarten.

In der Nacht zum 9. ließ daher der General 24 Stück schweres Geschütz, dessen Räder, um jedes Geräusch zu vermeiden und auf diese Weise dem Feind die Annäherung zu verbergen, mit Stroh umwickelt waren, an das Donauufer führen und am andern Morgen, sobald der den Strom bedeckende Nebel gefallen, aus diesen das Feuer gegen die Position der Türken auf der Mokomen-Insel eröffnen.

[61] Nach drittehalb Stunden waren die Türken, die hier wegen der Breite des Flusses vom eigenen Ufer aus nicht genügend unterstützt werden konnten, genöthigt, die Position zu räumen. Dagegen behielten sie ihre Stellung auf einer nahe gelegenen und durch die Terrain-Formation besser gedeckten Insel.

Zur selben Zeit befahl Fürst Gortschakoff den Angriff auf die Verschanzungen der Türken in und bei Oltenitza Die Oberbefehlshaber der beiden Heere kommandirten hier gegen einander.

Am 9. und 10. bestand der Kampf größentheils in Artillerie-Gefecht, doch wurde am letztgenannten Tage Oltenitza von den Russen mit dem Bajonet genommen und wieder verloren. Am Abend des 10. hatte der Muschir noch unverändert seine Stellung inne.

Das Wetter war so schlecht, daß die Artillerie oft nicht feuern konnte. Dennoch wurde der Kampf mit geringen Unterbrechungen Tag und Nacht fortgesetzt.

Fürst Gortschakoff beschloß für den nächsten Tag einen gemeinsamen Angriff auf alle Punkte der türkischen Position. Die Vorbereitungen wurden während der Nacht in umfassender Weise betrieben.

Mit dem Schwinden der Nebel am Morgen begann die Kanonade aus mehr als achtzig Geschützen, denen die nicht viel geringere türkische Artillerie antwortete. Der Kanonendonner war deutlich in Bukarest zu hören.

Um 11 Uhr Vormittags begann der Sturm. Drei Mal wurde Oltenitza von den Colonnen der Russen genommen, erst zum dritten Mal vermochten sie es zu behaupten, doch war der Sieg nutzlos; denn alsbald beschoß die türkische Artillerie von den Schanzen den verlorenen Halt mit glühenden Kugeln und die Flamme jagte die Sieger wieder aus den erstürmten Gassen.

Am blutigsten tobte jedoch die Schlacht an den Schanzen selbst. Colonne auf Colonne führten die Generale zum Sturm, aber das furchtbare Kreuzfeuer von vier Punkten aus warf sie immer auf's Neue zurück und ihre Todten deckten haufenweise den Boden.

Die Türken hatten Massen von Schanzkörben von Tuturkai herüber geschafft und mit diesem Material die Stellung am Quarantainehause und den Schanzen befestigt. Die Brücke über den [62] Argisch ermöglichte es der türkischen Kavallerie, mit Erfolg an den Einzelngefechten auf beiden Seiten Theil zu nehmen.

Erst Nachmittag um 4 Uhr befahl der Fürst den Rückzug; die erschöpften Truppen bivouacquirten um das brennende Oltenitza, neue Kraft zu sammeln für die Blutarbeit des nächsten Tages, die wahrscheinlich eben so vergeblich sein sollte.

Der Generalstab hatte sich nach dem Dorfe Mitréni-Fundéni zurückgezogen und hielt dort Kriegsrath. Am nächsten Morgen wurde der Ankunft des Generals Anrep mit seinem Corps von Kalarasch entgegen gesehen und der Kampf sollte dann mit den frischen Truppen erneuert werden.

In dem Dorfe selbst herrschte das Leben eines Feldlagers nach der Schlacht; Truppen aller Waffengattungen kampirten auf den Straßen, in den Häusern und Ställen der Tscharan's 1, große Feuer, vom Novembersturm oft in langen Zungen über die ärmlichen Erdhütten hin gejagt, gaben den umherlagernden Gruppen Wärme und Nahrung. Geschrei, Lärm, Gelächter und Töne des Schmerzes überall, der Wotka und der Rakih 2 machten die fleißige Runde, Juden, Zigeuner und zerlumptes Gesindel aller Art, trieb sich zwischen den Soldaten umher, Lebensmittel feil bietend, oder um Beute schachernd. Hin und wieder klang das Spiel der Cither oder der Trommelflöte, von Zigeunern gespielt, und versammelte die für Musik sehr empfänglichen Söhne des Nordens in dichten Haufen.

Vor dem Quartiere des Oberbefehlshabers herrschte nicht weniger reges Leben, Offiziere aller Grade, Wachen, Ordonanzen, kommende und gehende Boten bildeten ein buntes Gewühl, durch das sich eben ein junger Mann in reicher, aber jetzt schmuzbedeckter ungarischer Tracht drängte, eifrig nach CapitainMeyendorf forschend und fragend. Endlich gelang es ihm, durch das Geschenk eines blanken Dukatens eine Ordonanz zu bewegen, den Capitain, der als Adjutant im Stabe stand, aufzusuchen.

Bald darauf erschien derselbe und schaute sich nach dem Suchenden um. –

»Ah, sieh' da, Herr Aleko Pelin,« sagte er freundlich, als er ihn in dem jungen Mann gefunden, »was führt Sie [63] hierher aus der glänzenden Gesellschaft von Bukarest in unsere Reihen, wo der Tod seine Ernte hält? Dieser Ort ist wahrlich kein Aufenthalt für einen der ersten Stutzer der walachischen Hauptstadt, der nicht an Gefahr, Anstrengung und Entbehrung gewöhnt ist, wie sie hier allein zu holen sind.«

Der junge Mann lächelte einen Moment höhnisch bei dem Spott über seine Weichlichkeit, dann aber faßte er hastig den Arm des Offiziers und zog ihn bei Seite.

»Entschuldigen Sie, Herr Capitain,« sagte er erregt, »daß ich die flüchtige Bekanntschaft im Hause meines Vaters, des Groß-Kaminars, benutze, um in einer dringenden Angelegenheit mich an Ihre Hilfe zu wenden. Ich bin, wie viele Andere, von Neugier und Theilnahme getrieben hierher gekommen und fand zufällig hier einen jungen Menschen, den ich kenne, in großer Gefahr, wegen irgend eines Mißverständnisses von Ihren aufgereizten Soldaten getödtet zu werden. Es ist – –« er zögerte, »zwar nur ein Zigeuner, aber ich gestehe, ich nehme großes Interesse an ihm und wußte in meiner Noth nicht, an wen ich mich wenden sollte.«

Der Capitain blickte ziemlich ernst.

»Sie sollten sich hüten vor solchen Bekanntschaften, Herr Pelin. Sie wissen sehr wohl, daß der Groß-Kaminar wenig mit Ihrem Treiben zufrieden ist und daß solcher Umgang nicht zu der Stellung paßt, die Sie sonst in Bukarest einnehmen. Doch sollen Sie sich nicht umsonst an mich gewendet haben. Wo ist der Mann?«

»Er wird in der nächsten Wache festgehalten.«

»Ich hoffe, daß er unschuldig ist und ich Etwas für ihn thun kann. Kommen Sie.«

Er ging mit dem jungen Bojaren die Gasse entlang, bis sie an das Haus kamen, wo die Corpswache sich einquartiert hatte. In dem Stübchen fand der Capitain ein seltsames Paar. Ein junger Mensch von siebzehn bis achtzehn Jahren, in der zerlumpten Tracht eines Zigeuners, die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt, horchte mit bleichem Gesicht, auf dem bereits alle Spuren der Liederlichkeit sich zeigten und jetzt deutlich die Todesfurcht ausgeprägt lag, in einem Winkel zusammengekauert, zagend auf die Trostsprüche eines Mädchens, das, vielleicht zwei bis drei Jahre älter als der junge Verbrecher, auf der Erde neben ihm saß, ohne sich um die Reden und Spöttereien der Soldaten zu kümmern.

[64] Als sie sich bei dem Eintritt Aleko's und des Capitains erhob, zeigte sich diesen eine jener seltsamen Schönheiten, wie sie die in der Walachei noch sehr zahlreiche 3 Zigeunerrace in all ihrem Schmuz und aller Versunkenheit oft hervorbringt: eine junonisch schöne Gestalt, die selbst das gürtellose walachische Hemd mit der breiten roth- und gelbgestreiften Schürze nicht zu verbergen vermochte, die Züge des dunkelbraunen Gesichts regelmäßig, fein, schwärmerisch; über den Feuer- und Muth-blitzenden schwarzen Augen die schön gewölbten Augenbrauen, an der Nasenwurzel einander entgegenlaufend; das üppig wuchernde schwarze Haar von einem rothen Tuch bundartig zusammen gehalten; – das war das Wesen, das ihnen mit einer gewissen kühnen Haltung entgegen trat und eifrig den Bojarensohn befragte. Der Capitain glaubte nicht mit Anrecht in dem Mädchen die Ursache des Interesses zu sehen, das der junge Mann an dem Vagabonden nahm, und erkundigte sich bei dem Unteroffizier der Wache, was derselbe verbrochen habe. Zu seinem Bedauern vernahm er jedoch, daß die Sache ernster war, als er gehofft. Der Bursche hatte sich mit Andern seines Gelichters im Hauptquartier eingefunden, und war am Abend von einer Patrouille mit mehreren Gefährten dabei betroffen worden, wie sie einen russischen Soldaten, der sich verwundet zum Dorfe schleppte, geplündert und ermordet hatten. Der Unglückliche lebte noch und bezeichnete seine Mörder, von denen es nur gelungen war, den Zigeuner zu erwischen. Leugnen nutzte nicht, denn der Beweis lag vor und die Befehle gegen das Gesindel waren äußerst streng. Der Oberst des Regiments hatte kurz entschieden, ihn am andern Morgen vor dem Aufbruch zur Warnung für seine Genossen aufzuhängen.

Als der junge Bojar sich daher wieder an den Capitain wandte, zuckte dieser bedauernd die Achseln und erklärte, daß er gegen das ausgesprochene Urtheil eines kommandirenden Offiziers nicht interveniren könne und der Bursche sein Schicksal ohnehin verdient habe.

[65] Das Mädchen – die Schwester des Verurtheilten – schien an der Miene der Sprechenden den abschläglichen Bescheid errathen zu haben, denn sie warf sich heftig dem Capitain in den Weg, der bereits die Hütte verlassen wollte.

»Weile, blanker Krieger,« bat sie flehend, »und höre was Dir Sarscha zu sagen hat. Mungo ist ihr Bruder und Mungo darf nicht sterben, denn er ist Zinka's, meiner Mutter, Sohn und ihre Liebe und das Messer in ihrem Herzen. Wer sollte meinen Vater Tunso rächen, wenn es nicht sein Anblick bei ihr thäte? Gieb ihn frei, blanker Krieger, und die Kinder des Egypterlandes werden Dich segnen und können Dir dienen, mehr als Du denken magst!«

»Machen Sie der Scene ein Ende, Herr Pelin,« sagte der Capitain, der die walachische Sprache des Mädchens nur sehr unvollkommen verstand, unwillig zu seinem Führer. »Sie werden besser thun, sich mit mir zu entfernen.«

»Halten Sie ein, Herr Capitain,« erwiederte der junge Mensch, dem Sarscha einige Worte gesagt hatte, während ihr Bruder jammernd zu den Füßen des Offiziers kroch. »Sie ahnen nicht, welchen Dienst Sie von sich stoßen. Das Leben dieses Burschen kann Ihrer Armee den Sieg verschaffen, die sich sonst nutzlos vor den Batterieen der Türken opfern wird. Seine Mutter allein vermag es, wenn sie will, Ihre Colonnen durch die Sümpfe des Argisch und den Feinden in den Rücken zu führen.«

Der Capitain horchte auf. »Was sagen Sie da? Ist das Ihr Ernst?«

»Ich schwöre es Ihnen! Die Zigeunerin Zinka ist die Einzige, welche aus früherer Zeit die geheimen Schlupfwege der Sümpfe kennt, und sie wird das Leben ihres Sohnes gern mit diesem Preis erkaufen.«

Herr von Meyendorf wußte, welchen unendlichen Werth das Anerbieten haben mußte, wenn es sich bewahrheitete. Es konnte das Schicksal des Kampfes sofort entscheiden; denn gelang es dem Feldherrn, Truppen zwischen das Donauufer und die türkische Position zu werfen, so war diese mit gänzlicher Abschneidung bedroht und der Feind mußte sich eiligst zurückziehen oder war verloren. Er überlegte einige Augenblicke, dann sagte er:

»Wo befindet sich die Frau, von der Sie sprechen?«

»Sie wohnt in den Sümpfen selbst, einsam und allein mit [66] ihrer Familie, denn ihr Stamm hat sie verstoßen und jeder Walache geht ihr mit einem Fluch aus dem Wege.«

»Wohlan, ich will Ihnen glauben und mich von Ihnen oder diesem Mädchen zu dem Weibe führen lassen, um sie selbst zu befragen. Ist das, was Sie sagen, wahr, so bürge ich Ihnen dafür, daß der Verbrecher dort frei und ungestraft ausgehen soll. Beabsichtigt man jedoch, einen Verrath an mir zu üben, so werden meine Kameraden mich rächen. Jeden Falls bleibt der Mensch als Geißel hier gefangen.«

Er ertheilte dem Unteroffizier der Wache seine Befehle, schrieb einige Worte mit Bleistift an einen Kameraden, um seine Abwesenheit zu rechtfertigen, und winkte dann, daß er bereit sei, sich auf den Weg zu machen.

Sogleich hüllte sich die junge Zigeunerin in ihr Regentuch und verließ das Haus. Der Capitain und Aleko folgten ihr, nachdem dieser noch den jungen Vagabonden beruhigt hatte.

Das Mädchen wandte sich, ohne die Anreden und Spöttereien zu beachten, die ihr von den zahlreichen Soldaten-Gruppen zu Theil wurden, zwischen denen hindurch ihr Weg sie führte, nachdem sie das zum größten Theil aus walachischen Erdhütten bestehende Dorf verlassen hatten, sofort nach der Richtung der Sümpfe, die etwa 1000 Schritt zur Seite ihren Anfang nahmen. Stumm und ernst schritt sie vor ihnen her, ohne sich anscheinend viel um die Nachkommenden zu kümmern, auf einem Wege, der schlangengleich sich durch den Morast und das hohe Schilf und Röhricht wand. Aleko Pelin schien jedoch ziemlich vertraut damit, denn obschon die hohe Gestalt ihrer Führerin oft im Dunkel verschwand, geleitete er den Capitain doch sicher und ohne sich zu besinnen den verwickelten Pfad, von dem der Offizier mit Staunen bemerkte, daß er obwohl hin und wieder schwankend, wie auf elastischem Grund, doch sicher und fest genug war, eine bedeutende Last zu tragen.

So mochten sie wohl eine halbe Stunde in diesem Wald von Rohr fortgeschritten sein, als sie bei einer plötzlichen Wendung ein Licht vor sich sahen. Es kam aus einer jener walachischen Pfahlhütten, wie sie in den Sümpfen die menschlichen Wohnungen bilden, während auf dem trockneren Lande die meisten Häuser oder Hütten der Landleute und ärmeren Klassen aus großen in die Erde gegrabenen Gruben, mit Holz und Moos gegen die Feuchtigkeit [67] ausgelegt, bestehen, mit nur wenig über den Boden, emporragenden Wänden, auf denen das spitze Strohdach sitzt.

Als die Gesellschaft sich der Hütte näherte, deutete ihnen die junge Zigeunerin durch Zeichen an, zu verweilen, stieg dann rasch auf der Leiter empor, die statt der Treppe zum Aufgang diente, und verschwand im Innern.

Die Hütte stand auf acht Pfählen, war ziemlich groß und, ihr Fußboden etwa 3 Ellen hoch vom Sumpfboden entfernt, so daß man nicht in ihr Inneres blicken konnte. Sie bestand aus Balken und Flechtwerk von Rohr, das mit Lehm und Mörtel zu einer ziemlich festen Masse verbunden war. Die Fensteröffnungen waren durch Läden verschlossen bis auf eine, aus welcher der Lichtschein des Feuers in die dunkle neblige Nacht strahlte.

»Sie erwähnten vorhin, Herr Pelin, daß die Mutter des jungen Mädchens von ihrem Stamm verstoßen sei und von den Walachen allgemein gehaßt werde. Hat sie sich eines besonderen Vergehens schuldig gemacht?«

Der Jüngling trat näher zu ihm heran.

»Haben Sie nie von Zinka, der Zigeunerin und ihrem Geliebten, Tunso, gehört?«

»Die Namen sind mir unbekannt. Wer ist oder war Tunso?«

»Jeder Knabe in Bukarest, ja, in der ganzen Walachei, würde Ihnen Auskunft geben können, wer Tunso war, obschon fast zwanzig Jahre seit seinem Heldentod vergangen sind. Tunso war der gefürchtetste und berühmteste General-Einnehmer der indirekten Steuern der Walachei.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Tunso war – was die Leute so nennen, – eigentlich ein Räuber, der Schrecken der Türken, der Vornehmen und Reichen, aber der Held, der Abgott der Armen. Von den Reichen, nahm er, den Armen gab er. Die Unterdrücker des Volkes zitterten vor ihm, die Lieder des Volkes singen seinen Ruhm!«

»Ich begreife nicht, wie Sie, der Bojarensohn, über einen gemeinen Spitzbuben und Mörder in Enthusiasmus gerathen können?«

»Tunso hat nie einen Meuchelmord begangen, es war Nichts Niederes an ihm und er konnte, wenn er wollte, den vollkommensten Cavalier spielen. Die kleinste Erzählung seiner Thaten und Abenteuer wird Sie über seinen Charakter belehren. Ich will Ihnen nur ein Beispiel anführen, das Ihre eigene Nation betrifft.[68] In der Zeit seiner größten Macht, als er am gefürchtetsten war, hatte er in Erfahrung gebracht, daß der damalige provisorische Gouverneur der Donau-Fürstenthümer, General Kisseleff, sich in der Umgegend von Piteschi aufhielte, um Bäder zu nehmen. Sofort beschloß Tunso, ihm seinen Besuch zu machen. Der General pflegte des Morgens in dem großen Park, der an sein Haus stieß, spazieren zu gehen. Tunso postirte seine Bande hinter der Umfassungsmauer des Parks, schwang sich in denselben und stellte sich dem General mit dem artigsten Compliment vor.« –

›Herr General,‹ sagte er, ›ich bin Tunso. Es ist durchaus nicht meine Absicht, Ihr Geld, Ihre Kostbarkeiten oder gar Ihr Leben zu nehmen, Sie haben also Nichts zu fürchten.‹

›Was wollen Sie denn?‹

›Herr General,‹ entgegnete Tunso mit tiefer Verbeugung, ›meine Braven liegen dort hinter der Gartenmauer im Schatten, ich brauche Ihnen nur ein Signal zu geben, und sie sind zur Stelle. Euer Excellenz werden sich selber daraus den Schluß ziehen, daß Sie in meiner Gewalt sind‹

›Noch ein Mal, was wollen Sie?‹ wiederholte der Gouverneur.

›Nichts als Ihnen meine Aufwartung machen und Ihnen bemerken, daß ich auf Ihre Artigkeit rechne, wenn ich Ihnen in die Hände geriethe, wie Sie jetzt in den meinen sind.‹

»Herr von Kisseleff, der diese Anecdote selbst im Hause meines Vaters erzählt hat, kehrte dem Räuber den Rücken, eilte in's Haus und gab Befehl, strenge Nachforschungen zu halten und Tunso, ohne ihm ein Leides zu thun, lebendig zu ihm zu führen. Aber die Jagd blieb erfolglos und Tunso lachte den General aus.«

Der Capitain lächelte. Er begriff jetzt, welch einen Einfluß ein solcher Charakter und ein solches Leben in einem halbwilden Lande auf einen jungen erregbaren Mann haben mußte.

»Tunso,« fuhr Dieser fort – »war oft als Cavalier gekleidet in den ersten Gesellschaften von Bukarest, ja, er hat sogar einen Ball des Fürsten Paul besucht und händigte dort einer schönen Griechin ein kostbares Medaillon wieder ein, das seine Leute am Tage vorher ihr bei der Fahrt durch den Wald von Panthelemon geraubt hatten. Eine Karte, die er ihr zugleich zurückließ, benachrichtigte sie, daß es Tunso selbst war, mit dem sie getanzt hatte. Auch hier entkam er glücklich der Wuth des Fürsten. Er war der [69] Schrecken der Ehemänner und das Entzücken der Frauen. Begegnete ihm aber ein Armer, ein Unglücklicher, so half und gab er ihm reichlich. Kam ihm die Kunde, daß in Folge eines Sturmes, einer Ueberschwemmung, eines Feuers eine Kirche oder Moschee, ein Haus oder Dorf Schaden gelitten oder zerstört sei, so war er auf der Stelle da und brachte reiche Geschenke. Die Wittwen und Waisen, die Unterdrückten und Verstoßenen hatten an ihm einen Freund und Beschützer. Dem Einen half er mit Geld, dem Andern mit Rath oder mit seiner Rache. Darum hingen Alle an ihm, überall fand er eine Zufluchtsstätte, so viel Arme und Unterdrückte, so viel Freunde und Späher hatte er.«

»Und war der glorreiche Räuber,« fragte der Offizier scharf, »auch ein Bojarensohn, wie Sie, der sei nen Ruhm so zu beneiden scheint?«

Der Jüngling erröthete.

»Er war armer Leute Kind, sein wahrer Name Iuwanitza. Er hütete die Heerde, bis die wunderbar schöne Stimme des Knaben den Popa 4 veranlaßte, ihn zum Metropolitan nach Bukarest zu führen. Gegen seinen Willen wurde er an den Chorpult der Ober-Bisserika gestellt und blieb dort bis zu seinem achtunddreißigsten Jahre das Entzücken der Stadt. Erst als die Liebe zu der Zigeunerin Zinka seine Seele erfaßte, warf er das Joch von sich und wurde, was er war.«

»Das Mädchen, das uns geleitet, und dem Sie, Herr Pelin, etwas zu tief in die schönen Augen gesehen zu haben scheinen, und der Bursche, der zum Tode verurtheilt ist, sind seine Kinder?«

»Sarscha ist Tunso's Tochter und, wie die Leute sagen, die ihn gekannt, sein Ebenbild. Aber ihr Bruder – Doch sehen Sie,« unterbrach er sich, »das Mädchen winkt uns, einzutreten. Folgen Sie mir.«

Er klomm die Leiter empor, von dem Capitain gefolgt, und Beide traten in den Vorraum der Hütte, die in zwei Theile geschieden war. Ein dürftiges Lager von trockenem Schilfgras, Angeln und Fischgeräth, Schlingen für das Wild und dergleichen bewiesen, daß hier der Aufenthalt des jungen Burschen war, wenn er zu Hause, was freilich selten genug vorkommen mochte.

»Du kommst zur bösen Stunde zu uns blanker Fremdling,« [70] sagte das Mädchen indem sie des Capitains Hand faßte, um ihn in die zweite Abtheilung zu führen. »Der glänzende Aldobaran hat nicht geleuchtet auf die Geburt meines Bruders. Im Verrath ward er empfangen und sein Leben ist Schande. Aber das Mutterherz bleibt ein unergründlich Räthsel, dunkler als die Linien Deiner Hand, und der Schatten meines Vaters würde ohne das Kind des Verraths in ihrem Sinn erbleichen. Tretet ein darum und vollbringt Euer Geschäft, ehe die Stunde naht, da über die Aeltermutter meines Stammes der Geist kommt, der den Schleier der Zukunft hebt.«

Sie zog die alte Decke zurück, die den Eingang verhüllte und die Drei traten in den innern Theil der ärmlichen Hütte. Auf einem kleinen Heerd von Stein brannte in der Mitte des Gemachs – wenn man den Raum so nennen kann – ein Torffeuer, dessen Rauch das Innere füllte, bis er durch die Fensteröffnung oder die Ritzen und Spalten des Daches seinen Ausgang fand. An den Wänden hingen einige geringe Geräthe, darunter die Guzla und das Tambourin, und ärmliche Kleidungsstücke. Am Feuer auf einem niedern Schemel, die Hände wie im Schmerz verschränkt, saß eine Frau, deren hohe Gestalt und deren noch immer Spuren großer Schönheit zeigendes Gesicht offenbar das Leiden mehr gebeugt und gealtert hatte, als die Zahl der Jahre. Ihre großen schwarzen Augen starrten wie abwesend in die Gluth und schwere Tropfen fielen aus ihnen auf die im Schmerz verschränkten Hände.

In einem Winkel des Gemachs aus der dürftigen Ruhestätte der Familie lag eine zweite Gestalt, eine alte, von dem Fieber und Rheumatismus der Sümpfe gichtisch zusammengezogene Greisin, in wunderlich bunte Lumpen gehüllt, das lange weiße Haar wirr um das verwelkte Antlitz hängend, aus dem die erloschenen Augen gläsern und theilnahmlos auf die Fremden starrten.

Das Mädchen trat zu der Frau am Heerde.

»Mutter Zinka, hier ist der blanke Soldat, der mit Dir sprechen will.«

Die Frau fuhr empor und betrachtete einige Augenblicke den Offizier, dann sank sie vor ihm auf die Knie und hob flehend die Hände zu ihm auf.

»Tödten Sie ihn nicht, o, tödten Sie den Knaben nicht,« bat sie in den gebrochnen Tönen des tiefsten Herzeleids. »Der Unglückliche ist ohnehin schon der Jammer meiner Tage und die Qual [71] meiner Nächte! was sollte ich thun, wenn ich das Kind meines Jammers noch bleich und todt vor mir sehen müßte!«

»Euer Sohn hat geraubt, und gemordet einen wehrlosen verwundeten Soldaten meines Volkes, Frau, der auch eine jammernde Mutter hat, wie Ihr seid.« Der Offizier sagte es finster und streng; dann aber fuhr er milder fort: »Es giebt jedoch vielleicht Gnade für den Verbrecher, wenn wahr ist, was mir Eure Tochter gesagt hat. Seid Ihr aus dieser Gegend gebürtig, Frau?«

»Nein, Herr, aber ich kenne hier jeden Fußbreit in Wald und Feld, in Sumpf und Moor.«

»Giebt es Wege durch diese Sümpfe, auf welchen man an das Ufer der Donau im Rücken der großen Schanzen gelangen kann?«

»Es laufen der Pfade viele, aber sie alle führen in die Irre und keiner zum Ziel. Einen nur giebt es, aber nur Wenige, die da leben, wissen von ihm und er ist ein Geheimniß, das diese Wenigen Einem, der jetzt todt ist, mit heiligen Eiden auf die Christenbibel, auf den Koran und auf den großen Stern meines Volkes gelobt haben, nimmer zu verrathen.«

»Und gehört Ihr zu diesen Wenigen?«

»Ich kenne ihn!«

»Wohl. Ist der Weg der Art, daß nicht blos Menschen, sondern auch Pferde und Gefähr ihn passiren können?«

»Ich habe ihn zwanzig Mal gemacht mit den Reitern Dessen, der dahin ist und der schwerbeladenen Keroutza 5, die Waaren brachte und holte vom Donaustrand. Mein einsamer Fuß betritt ihn oft, wenn ich klage um den Verlorenen.«

»So hört. Könnt Ihr uns diesen Weg zeigen und eine Colonne unserer Soldaten mit Geschütz noch in dieser Nacht an das Ufer der Donau in den Rücken der türkischen Stellung führen, so soll Euer Sohn nicht allein frei und jeder Strafe ledig sein, sondern Ihr selbst sollt noch eine Belohnung von zehn Goldstücken erhalten.«

»Gold? – Blankes Gold?« – Ihre Züge belebten sich in der Spannung der unglückseligen Habgier, die sie einst zum Verrath am Theuersten geführt hatte. »Ich habe lange kein Gold [72] gesehen. Zeige es mir, Fremdling, daß ich sehe, Du täuschest die Zinka nicht.«

Der Capitain sah, wie das Mädchen sich mit zornigem Blick von ihrer Erzeugerin abwandte. Ihn selbst widerte diese Gier, die sogar den tiefsten Schmerz überwand, an, doch galt es hier Höheres; er zog seine Börse und nahm eine Handvoll Goldstücke heraus, die er der Frau zeigte.

»Dies wird Euer Lohn sein, wenn Ihr uns den Weg verrathet.«

Das Weib schauderte.

»Verrathen! Ihr sprecht das richtige Wort aus. Ein Mal schon hab' ich seinen Leib verrathen um blankes Gold, nun soll ich wieder verrathen sein Vertrauen und den Eid, den ich ihm geleistet. Verderben über mich, daß ich es that!«

Sie begrub das Gesicht schluchzend in ihre Hände.

»Denkt an Euren Sohn, Weib. Dem Todten nützt das Geheimniß nicht und Ihr rettet Euer eigen Kind dadurch vom Galgen.«

Sie fuhr empor.

»Du hast Recht, Fremdling. Nur den Athmenden gehört die Welt. – Bei Azraël, dem Engel der Nacht, ich will Dir den Weg zeigen. Aber zuvor muß ich sicher sein des Lebens meines Kindes.«

»Der Ober-General der Armee selbst wird es Euch zusichern. Ich führe Euch zu ihm.«

Die Frau nickte. Dann holte sie aus dem Winkel eine große Decke, die noch mit einzelnen Resten goldener Tressen besetzt war, und schlug sie um Kopf und Schultern. So trat sie zu der Greisin auf dem Lager im Winkel und rüttelte sie auf aus ihrer Lethargie.

»Ich verlaß Dich Mutter, für diese Nacht, denn mein eigen Blut ruft mich.«

Die Alte richtete sich auf ihrem Stroh empor.

»Es sind Männer hier aus anderm Geschlecht als das unsre. Hüte Dich, Tochter; die Blanken bringen den Kindern des wandernden Vaters Unheil, und Du hast es erfahren.«

»Der Blanke bringt uns Gold, Mutter, und Aleko Pelin, den Bojarensohn, der uns beschützt, kennst Du.«

»Aleko Pelin?« fragte die Alte und starrte auf den jungen Mann. »Laß ihn zu mir treten, ehe Du gehst, und den blanken [73] Mann, der Gold brachte in unsre Hütte, mit ihm. Der Geist unseres Stammes liegt auf mir und ich muß die Worte der Zukunft reden.«

Ihr Auge belebte sich mit phantastischem Glanz, ihre Lippen murmelten vor sich hin, während der Capitain und sein Begleiter auf den Wink Zinka's näher heran traten.

»Reiche mir Deine linke Hand, Sohn des Reichen. Die Stunde ist gekommen, wo ich den Schleier heben darf von Deiner Zukunft. Auch Du, blanker Fremdling, gieb die Hand, die von Deinem Herzen kommt, aber versilbre sie auf daß meine alten Augen sich öffnen mögen und die Zunge lehren das Schicksal der Zukunft.«

Der Capitain erinnerte sich der Gewohnheit der Zigeuner, daß ein Geschenk ihrer Prophezeihung vorhergehen muß. Er legte eines der Goldstücke auf die Fläche seiner Hand.

Die Greisin faßte hastig danach.

»Gold,« flüsterte sie, »Gold, blanker Junge? Möge das Leben Dir so golden sein, wie Du freigebig bist. Aber die Linien Deiner Hand lehren mich, daß Du das wahre Gold nicht aus dem dunklen Schoos zu holen verstehst, wo es Dir gewachsen ist. Daß Die, welcher Dein Herz gehört, Dich allzu sehr liebt, das wird Dein und ihr Unglück sein! Nur das Ende aller Gefahr ist Deine Gefahr. Hüte Dich vor dem Achten!«

Sie ließ die Hand des über den seltsamen Spruch Betroffenen los und faßte die des jungen Bojaren.

»Der Edelmann gehört nicht zur Tochter der Verachteten, der Herr soll nicht sein Blut mit der Sclavin mischen. Wahre Dich vor dem Salz 6, Bojarensohn; es gab nur einen Tunso, und der ist todt, aber der Verräther giebt es viele!«

Der junge Mann erröthete tief, indem er ihr ein Silberstück in den Schoos warf.

»Die Alte ist längst schon wahnwitzig« sagte er; »lassen Sie uns aufbrechen.«

Sie verließen die Hütte, aus welcher der eintönige Gesang des Weibes durch die Nacht ihnen nachscholl.

[74] Die Zigeunerin Zinka und ihre Tochter schritten voran auf dem Wege den sie gekommen waren. Der Capitain folgte mit dem jungen Walachen.

»Sie sind mir noch den Schluß der Erzählung schuldig,« sagte der Offizier. »Wenn ich auch Vieles errathen konnte, möchte ich doch gern Näheres wissen. Was war das Ende von der Laufbahn des Räubers, den Sie so sehr bewundern?«

»Der Tod durch Verrath. Die Frau, die vor uns durch das Moor schreitet, war Diejenige die Tunso liebte mit aller Kraft seiner Seele. Auch sie liebte ihn, aber der Teufel blendete sie und fand ihre schwache Stelle in ihrer Gier nach Gold. Als Tunso aller Nachstellungen spottete und seine Verfolger mit blutigen Köpfen davon schickte, griff man zum Verrath. Der Aga der Itschoglans 7 berückte die Seele Zinka's mit Bildern von Glanz und Reichthum, und auf das Versprechen von zehntausend Dukaten verrieth die Zigeunerin den Geliebten ihres Herzens, den Vater ihres Kindes.«

»Er wurde ergriffen und gerichtet?«

»Nein, Capitain, dem Henker entging die edle Beute. An der Brücke, die über den Argisch führt, auf der Straße von Bukarest nach Giurgewo, legten sich auf den Wink Zinka's die Itschoglans und Slugitori 8 in den Hinterhalt. Zur bestimmten Stunde des Abends rasselte die Keroutza mit Tunso und eilf seiner tapfern Gefährten heran. Da sprangen die Häscher hervor und umzingelten die Kühnen. Zehn wurden bei dem Kampf erschossen und in's Wasser des Argisch geworfen, die beiden Andern entkamen: es waren Tunso und sein Lieutenant. Aber einer der Slugitori, ein gewandter Läufer, eilte ihnen nach und fand bald die Spur des Hauptmanns. Dieser glaubte, es sei sein Gefährte, und ließ den Verfolger heran kommen, bis dieser nahe genug war, um ihm zwei Kugeln durch den Leib zu schießen. Trotz der tödtlichen Verwundung gelang es Tunso, zu entkommen und einen Makis 9 zu erreichen. Vergebens suchten ihn die Slugitori mit Fackeln dort. Aber der Schmerz der Wunden war so groß, daß Tunso erkannte, seine Stunde sei gekommen, und selbst die Häscher herbeirief. Sie [75] brachten ihn auf einer Tragbahre nach Bukarest, wo ihm schneller ärztlicher Beistand wurde. Doch die Wunden waren tödtlich und am dritten Tage starb er.«

»Und Zinka?«

»Vor seinem Tode beschied er sie zu sich. Die Verrätherin liebte ihn noch immer und sank wehklagend an seinem Lager nieder, als er sie rufen ließ. Er vergab ihr und starb.«

»Aber der Sohn Zinka's?«

»Der Aga, um die zehntausend Dukaten zu sparen, ließ sie in seinen Harem bringen. Als er kurz darauf nach Constantinopel zurückkehrte, verstieß er das Opfer seiner Willkür; der Gefangene ist ihr und sein Sohn. Seitdem sie den Schutz des Moslems nicht mehr genoß, war sie von Allem, was Walache heißt, verachtet und verabscheut. Der ärmste Bauer schloß vor ihr die Thür und ihr eigener Stamm verstieß sie. So flüchtete sie mit ihren Kindern in diese Wildniß und lebt hier seit Jahren in Elend und Verachtung.«

»Und Sarscha?«

»Sie ist Tunso's echte Tochter, stolz, muthig und entschlossen. Doch das Gesetz ihres Volkes, das von den Kindern unbedingte Hingebung an den Willen der Eltern fordert, ist ihr heilig dabei. Der Bauer öffnet ihr gern seine Hütte, jeder Walache ehrt in ihr die Tochter Tunso's. Aber nur der Tapfre, Kühne, Freie wird die Liebe dieser Zigeunerin gewinnen.«

»Nehmen Sie sich in Acht, Herr Pelin,« sagte der Capitain warnend, »daß es Ihnen nicht geht wie Tunso. Die Jugend ist leicht verführt und sieht für Freiheit und Tapferkeit an, was im Grunde nur Zügellosigkeit und Verbrechen ist.«

Sie waren an die ersten Vorposten gekommen und das Gespräch verstummte, da die Gesellschaft jetzt zusammen ging. Capitain Meyendorf führte sie direkt zum Quartier des Oberbefehlshabers, das im Hause des Gutsherrn aufgeschlagen war, und ließ dringend um sofortiges Gehör bitten.

Hier vernahm er, daß auch vom General Anrep eine Meldung angekommen sei. Derselbe war am Morgen des Tages von Tikodeschti abmarschirt, um dem Befehl zur Verstärkung der Colonnen vor Oltenitza Folge zu leisten. Sofort machten die Türken auch hier den Versuch, in seinem Rücken von Silistria aus über die Donau zu gehen. Der General erhielt jedoch zeitig genug [76] Kunde, machte Halt und warf mit seiner Arrieregarde, aus Kosaken und einigen Geschützen bestehend, die Türken über die Donau zurück.

Die Audienz des Capitains hatte nur kurze Zeit gedauert, als Zinka, die Zigeunerin, schon in das Zimmer des Oberkommandirenden gerufen wurde. Bald darauf eilten die Ordonnanzen durch den Ort.

Kaum eine Stunde nachher marschirte das Ochotzki'sche Jäger-Regiment unter Oberst Bibikoff mit zwei Sotnien Kosaken und der leichten Batterie Nr. 6 in der Richtung nach den Sümpfen ab. An der Spitze des Zuges, neben dem Pferde des Adjutanten Capitain Meyendorf, schritt, in ihre Decke gehüllt, die hohe Gestalt der Zigeunerin Zinka.

Jedes unnöthige Geräusch war bei harter Strafe verboten; die Posten in der Richtung nach dem Schlachtfelde von Oltenitza waren verdoppelt, um jeden Verkehr nach der türkischen Position zu verhindern.

Als am Morgen die feuchten Novembernebel sich verzogen, erblickte der türkische Oberbefehlshaber seine ganze Stellung im Rücken bedroht. Die Batterie, welche die Russen in schnell aufgeworfenen Werken am Donauufer wie durch Zauber errichtet hatten, bestrich nicht allein die türkische Position an den alten Schanzen, sondern auch den Rücken des Quarantainehauses und die Brücke über den Argisch. Seine Verbindung mit der Insel und dem jenseitigen Ufer war auf das Höchste gefährdet, wenn die Russen, worauf die fortwährend zuziehenden Verstärkungen an Mannschaften und Geschützen deuteten, von dieser Seite aus einen Angriff zugleich mit einem Frontalsturm unternahmen. Die Gefahr erschien um so dringender, als die fortwährenden Regengüsse den Strom angeschwellt hatten, so daß die Unterhaltung der Verbindung ohnehin mit jedem Tage schwieriger wurde. Unter diesen Umständen rieth Klapka selbst zum Rückzug und der Muschir mußte sich der Nothwendigkeit fügen. Nach einigen leichten Scharmützeln begannen die Türken am Nachmittag ihren Rückzug, indem sie die eigenen Verschanzungen, das Quarantainehaus und die Brücke in die Luft sprengten und anzündeten. Fürst Gortschakoff beschränkte sich auf die strategischen Operationen und drängte die Gegner nur leicht, da seine Truppen in den furchtbaren Kämpfen der letzten drei Tage schwer gelitten hatten. Am Morgen des 13. hatten die Türken [77] vollständig das linke Donauufer bei Oltenitza wieder geräumt und sich auf Tuturkai zurückgezogen. Der türkische Verlust war namentlich stark unter den Albanesen und Irregulären, doch verhältnißmäßig bei weitem geringer, als der auf Seite der Russen. Man schätzt den letztern an den vier Schlachttagen auf ungefähr 5000 Todte und Verwundete. In den Reihen der Moslems befanden sich bei dem Treffen, außer General Klapka, die Engländer Lord Worsley, Capitain Bathurst und Herbert Wilson und Lieutenant Buckley, der sardinische Genie-Offizier Graf Camieri und General Prim.

Fünf Tage darauf hatte die türkische Armee auch Tuturkai geräumt und sich theils auf Schumla zurück, theils stromaufwärts nach Widdin hin gezogen.

Auch bei Giurgewo hatte am 12. ein Kampf stattgefunden. Mit Hilfe der eingetroffenen Brücken-Equipagen unternahm General Szoimonoff am Morgen mit acht Feldgeschützen, einem Bataillon Tomsk-Infanterie, einer leichten Batterie und zwei Escadronen Husaren einen heftigen Angriff gegen die auf der Insel Mokan wieder postirten und von dort aus Giurgewo noch immer beunruhigenden Türken, und vertrieb sie gänzlich von der Insel. Unter dem Schutz des Feuers und ihrer schweren Batterieen in Rustschuk auf der rechten Donauseite und des bei der Insel stationirten Dampfers, das den Russen jedoch nur geringen Schaden brachte, flohen die Moslems in die Boote und erreichten das sichernde Ufer.

Die Russen stellten nach diesem Rückzug zur Verhinderung weiterer Versuche zwei Lager von je 5000 Mann bei Frateschti nächst Giurgewo und bei Sokaritschi nächst Kalarasch auf, errichteten eine Batterie beim Dorfe Tape, gegenüber der Mokan-Insel, und verstärkten den früheren Posten bei Oltenitza durch 2 Batterieen, 4 Eskadronen Ulanen und 1000 Kosaken, indem sie zugleich auf den den Uebergang beherrschenden Anhöhen bei den Dörfern Dobrény und Newgesti Batterieen aufwarfen.

Am 15. machten die Türken einen neuen Versuch, bei der Festung Nikopolis über die Donau zu gehen und sich Turnuls zu bemächtigen, um von der Mündung der Aluta aus, welche die Grenze zwischen der kleinen und großen Walachei bildet, auf Rusweda loszugehen und gemeinschaftlich mit den von Kalafat vorbrechenden Schaaren Szlatina anzugreifen, – wo General Fischbach mit 15,000 Mann postirt stand. General Prim führte mit Tefik-Pascha die aus 2000 Mann bestehende Avantgarde des Corps, [78] wurde aber vom Oberst-Lieutenant Schaposchnikoff vom Kosaken-Regiment (Nr. 37) angegriffen und über die Donau zurückgeschlagen.

Somit war das Ufer der großen Walachei wieder vollständig im Besitz der Russen und der Plan des Muschirs, ihre Linie zu durchbrechen vereitelt. Nur bei Kalafat noch standen die Türken diesseits der Donau und verschanzten die von Natur aus feste Stellung. Doch begnügten sich hier beide Theile mit kleinen Streifzügen und Vorpostenscharmützeln, deren fast jeder Tag mit abwechselndem Glück und Erfolg brachte.

Fußnoten

1 Walachischer Bauer.

2 Scharfer Brantwein aus Pflaumen.

3 Die Zahl der Zigeuner in der Moldau und Walachei beträgt über 80,000. Sie ziehen theils frei umher, theils leben sie auf den Gütern der Bojaren als Sclaven und werden auf das Härteste behandelt. In neuester Zeit (1856) ist von dem Gouvernement in Bukarest ihre Emancipation beschlossen worden und sie sollen – wo man sie nicht freiwillig der Regierung abtritt – aus der Gewalt ihrer Herren freigekauft werden.

4 Geistlicher, Ortspfarrer; Metropolitan: Bischof.

5 Walachischer offener Wagen.

6 Okna. Aleko Pelin wurde im Januar 1856 vom Divan zu Bukarest als überwiesen, seit drei Jahren das Räuberhandwerk getrieben zu haben, zu zweijähriger Kettenarbeit in den Salzgruben (Okna) verurtheilt.

7 Polizeidiener.

8 Landdragoner, walachische Gensd'armerie.

9 Gebüsch, Dschungl in den walachischen Sümpfen.

Im Pontus
1. Gefangen!
I. Gefangen!

Stürmisches – böses – liebliches Meer! Gefürchtet, seit die Geschichte Deinen Namen kennt! begehrt, seit Völker an Deinen Ufern wohnen! Blaue wogende Wellen, die Iphigenie auf ihrer Verbannung durchschiffte, die Orest durcheilte, als er die Schwester suchte. Jason mit der Argonautenschaar holte von euren Küsten das goldene Vließ; der Perserkönig Darius sandte seine Schiffe auf eurem Rücken gegen die trotzigen Scythen und Thracier; Philipp der Macedonier durchschiffte euch! Die Galeeren der Römer trugst du; an deinen Ufern, o Pontus, lebte Ovid; Papst Clemens I. fand hier Schutz in seiner Verbannung; die Römerkaiser sahen deine blauen Wellen; die Schiffe der gierigen Genueser und Venetianer durchfurchten sie; nach dem gold'nen Byzanz sandte Rurik die Söhne; über deine Fluthen trug der Islam sein Zeichen! – Katharina's Flotten unterjochten sie und das neue Jahrhundert trug seine Donner hinüber nach Varna's weißer Feste!

An deinen Borden liegt eine Historie der Welt! – Dort unten im Süden, wo die rastlos zusammenschließende Pforte der Symplejaden erstarrt ist zum kano nen-gespickten Felsen von Rumili- und Anatoli-Kawak, hielt König Phineas Hof, gepeinigt von den Harpyen, welche die Argonauten verjagten. Jason errichtete seinen Altar der Cybele an des Bosporus Thor, das sich zur Kaiserstadt öffnet: Byzanz, Constantinopel, Istambul, der Weltstadt. An Anatoliens Küste, vom Olymp überragt, das sagenumflossene ritterglänzende Trapezunt, die Heimath des Agripant, dann das Land der Berge und kühnen Helden ihrer Freiheit, das [80] den Elbros durchströmt; – Tiflis, die Oase von Orient und Occident, und der Ararat, auf den die Arche sank! Die Wunderufer der Yalta mit dem kaiserlichen Traum Orianda! Ssewastopol, das neue Epos in der Geschichte der Waffen; Odessa, das segensreiche, das eine halbe Welt versorgt; die Mündungen des deutschen Stroms verkümmernd im Sande gleich der deutschen Herrlichkeit; Varna, das Odessus der Alten, die weiße Moslemsfeste, die das russische Bajonet zwei Mal mit Blut färbte; die Felsenufer von Burgas, das alte Apollonia und die Bergkette des Hämus.

Stürmisches – böses – liebliches Meer, über deine weißen Höhen schwellt das Segel des Kauffahrers, donnert das Geschütz des stolzen Kriegsschiffs, zieht der Dampfer seine ringelnden Kreise! Aber wehe, wenn der Sturm deine Wellen regt und in kurzen Stößen gegen die Wolken schleudert – wenn die Aequi noctial-Geister deine Tiefen gegen den Himmel wühlen und deine Wässer gegen die starren Felsen schleudern, die kein Mitleid haben mit Menschenwerk und Menschenleben! Dann bist du furchtbar in deines Zornes Herrlichkeit, gleich dem Zürnen des Allmächtigen, dessen Kind du bist, großer, schöner – stürmischer – lieblicher Pontus, der die Mutter der Völker bindet mit der Herrscherin gewordenen Tochter!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Durch die Wogen des Pontus brauste der »Wladimir,« im langen Strom den dunklen Dampf des Schornsteins hinter sich d'rein ziehend. Das Meer ging ziemlich unruhig, in jenen, dem Pontus eigenthümlichen und von Schiffern und Reisenden gefürchteten kurzen Stoßwellen, denn am Tage vorher hatte der Novembersturm über die Fläche gefegt.

Das Schiff – eine Dampffregatte vom russischen Geschwader des Schwarzen Meeres – kam von der türkischen Küste und hatte vor Varna gekreuzt. Es geschah trotz der Kriegserklärung mehr als ein Mal, daß russische Schiffe sich bis in die Bucht von Varna wagten und unter den Batterieen ihre Beobachtungen vornahmen.

Auf dem »Wladimir,« der von Sebastopol 1 ausgelaufen, hatte der General-Adjutant, Vice-AdmiralKornilow, selbst die [81] türkische Küste zwischen der Sulina und Burgas recognoscirt und wandte sich nun, da keine feindlichen Schiffe sich blicken ließen, gegen die anatolische Küste, an der die Escadre des Vice-Admirals Nachimow kreuzte.

Auf dem Hinterdeck standen und saßen um den Kommandirenden, Capitain-Lieutenant Butakow, die meisten Offiziere des Schiffs Fürst Barjatinski, der Zweitkommandirende, und die Lieutenants Dobrowalski und Iljinski nebst zwei Schiffs-Fähnrichen 2, während die nicht im Dienst befindliche Mannschaft an den Bollwerken in allen Stellungen lungerte oder mit leichten Arbeiten beschäftigt war. Die Wetterseite des großen und Vorderdecks maaß mit langen Schritten der wachthabende Lieutenant Popandopulo, zuweilen am Bugspriet einen der Hühnerkästen ersteigend und hinaus schauend auf die weite Wasserwüste, die im dunkelbezogenen Himmel bleifarben wogte, während sie so süß und blau erglänzt im lieblichen Sonnenstrahl.

»Nun, Schelesnow,« fragte der erste Lieutenant einen jungen Offizier, der eben die Treppe des Pavillons heraufstieg, »was meint Seine Excellenz, sollen wir wenden?«

Der Offizier erwiederte die Frage nicht, sondern wandte sich salutirend an den Kommandirenden.

»Seine Excellenz lassen bitten, nach dem Fahrzeug abzuhalten, dessen Rauch sich am Horizont zeigt; es wäre von höchster Wichtigkeit, Nachrichten aus dem Bosporus zu erhalten.«

Der Capitain erwiederte den Gruß und wandte sich an den Fürsten.

»Wollen Sie die nöthigen Befehle geben, Herr Lieutenant!«

Damit kehrten Alle unbekümmert zu ihren Cigarren und der begonnenen Plauderei zurück.

»Steuerbord umlegen! – Halten Sie auf das Fahrzeug ab, das in Sicht ist.«

Die Befehle gingen durch das Schiff und der Lauf desselben wandte sich nach Süden.

»Wache dort oben! welche Richtung steuert der Dampfer in Sicht?«

»West-Nord-West, Euer Wohlgeboren, er kommt auf uns zu.«

»Es muß ein Türke sein,« sagte der Capitain bedächtig; »die [82] Escadre des Admirals kann unmöglich in dieser Gegend sein. Hinauf in den Mastkorb und wohl ausgelugt.«

Der Fähnrich, dem er den Befehl ertheilt, eilte, das Fernrohr um den Hals, an der Leiter des großen Mastes empor.

»Der Dampfer giebt ein Signal,« lautete nach kurzer Zeit die Meldung.

»Flagge auf! Geben Sie das Privat-Signal, Popandopulo!«

Die weiß-blaue Flagge flatterte lustig im Winde, darunter das Fähnchen, das die Signalfarben zeigte.

»Er zieht die Flagge auf, es ist einer der Unsern.«

Die Offiziere und Mannschaften wandten sich verdrießlich ab, – für einen Seemann auf blauer Fluth ist der Anblick der feindlichen Farben willkommener, als der eines Freundes.

»Können Sie die Nummer des Signals noch nicht erkennen? Sehen Sie scharf zu, Bitschesko, Sie haben sonst ja gute Augen.«

»Sogleich, Capitain. Schorte wos mi! 3 Das Schiff schwankt wie ein wandernder Kirchthurm. Halt, ich hab' ihn! – Nr. 86.«

»Es ist die ›Bessarabia,‹ ich weiß die Nummer auswendig,« sagte der Capitain. »Melden Sie es Seiner Excellenz, Herr Adjutant.«

Schelesnow ging hinunter. – Die Schiffe näherten sich jetzt rasch, in Zeit von einer halben Stunde konnten die Signale deutlich spielen.

Das Dampfschiff schlug jetzt die Richtung nach Südost ein und telegraphirte das Signal: »Anschließen.«

»Der Bursche hat offenbar Etwas im Schilde,« sagte der Capitain. »Er hält auf Kap Kerempe ab und das ist zum Glück bis auf zwei Strich im Winde unsere eigene Richtung. In einer Viertelstunde werden wir Näheres wissen.« Während die beiden Schiffe in der angegebenen Richtung ihren Lauf fortsetzten, kamen sie einander immer näher und waren bereits in Rufweite, als der Lugmann aus dem Mastkorbe meldete:

»Zwei Dampfer in Sicht!«

»Welchen Cours?«

»Der Eine Ost zu Süd, der Andere weiter nach Norden.«

Der Admiral war jetzt auf das Verdeck gekommen. Der kleine weiße Wimpel am Flaggentau des Fockmastes zeigte seine [83] Anwesenheit auf dem Schiff und der kleinere Dampfer setzte bereits sein Boot aus, um den kommandirenden Offizier an Bord der Fregatte zu schaffen.

»Ah, Sie sind es, Capitain Glasemann,« sagte der Admiral, sich über das Bollwerk lehnend; »kommen Sie geschwind herauf und bringen Sie mir Neuigkeiten. Diese Herren verlangen sehnlich danach.«

Einige Augenblicke nachher war der Capitain-Lieutenant der Bessarabia auf dem Deck und begrüßte ehrerbietig seinen Vorgesetzten. –

»Was haben Sie Capitain? woher kommen Sie? wo befindet sich die Escadre?«

»Admiral Nachimow, Excellenz, ist auf der Rückkehr nach Ssewastopol begriffen. Ich hatte Befehl, zu kreuzen und erfuhr durch Schiffer, daß ein egyptisches Kriegs-Dampfboot den Weg nach der abchasischen Küste genommen hat, und war im Begriff, ihm zu folgen, als ich Euer Excellenz fand.«

»Ist eines der Schiffe, die in Sicht sind, der Egypter?«

»Ich hoffe es.«

»Haben Sie irgend einen Verdacht, wer der zweite Bursche ist, der nach Norden steht?«

»Ich wüßte nicht, wenn es nicht etwa das Passagierboot des Lloyd sein sollte, oder ein Franzose, obschon ich sichere Nachricht habe, daß die englisch-französische Flotte noch vollständig im Bosporus ankert und keines ihrer Schiffe Rumili-Kawak 4 überschritten hat.«

»Iop foce mat! 5 so weit kommen die Oesterreicher nicht. Aber Du kannst Recht haben, Söhnchen, es mag eines der Transportboote sein, doch ein türkisches. Je jedem Fall wollen wir uns die Burschen näher besehen. Lassen Sie die Maschinen ihre Schuldigkeit thun, Capitain Butakow, und zeigen, was der Wladimir kann. Sie, Capitain Glasemann, werden die Höhe gewinnen und dem Fremden den Rückzug abschneiden.«

Ein solcher schien jedoch keineswegs in der Absicht der entfernten Schiffe zu liegen, vielmehr ging diese offenbar dahin, die anatolische Küste zu gewinnen.

[84] Das Ufer war bereits in Sicht getreten, man befand sich zwischen dem Hafen von Amastro und dem Cap Kerempe, als die weiter auf der Höhe befindliche Bessarabia signalisirte: »Flotte in Sicht. Weite in Fernsignal,« und gleich darauf die Frage: »Weiter Jagd machen?« was offenbar andeutete, daß man die unbekannten Schiffe in dieser Nähe der Escadre unmöglich für feindliche halten könne.

Auch auf dem Wladimir machte sich diese Ueberzeugung geltend und schon wollte der Admiral den Befehl ertheilen lassen, die Jagd aufzugeben und den Cours nach der Escadre zu richten, als die beiden fremden Dampfer Signale wechselten, dann plötzlich wendeten und die Richtung nach dem hohen Meere einschlugen. Dieser schwankende Lauf war jedenfalls verdächtig und konnte nur durch das Erblicken des Geschwaders veranlaßt sein. Namentlich war das Dampfschiff vor dem Wladimir sichtlich bemüht, eine Begegnung zu vermeiden, und änderte jetzt mehrfach seinen Cours.

Um 91/4 Uhr wurde daher auf der Fregatte das Privatsignal aufgehißt und eine Kanone gelöst, es erfolgte jedoch keine Antwort; darauf wurde die russische Flagge aufgezogen und der Befehl ertheilt: »Fertig zum Gefecht!«

Alsbald löste sich die aufregende Neugier, die bisher Offiziere und Mannschaften auf dem Deck und an den Bollwerken gehalten hatte, in rasche Thätigkeit; die Kanonen wurden losgemacht, die Pulverkästen geöffnet, die Sandsäcke um die Maschinen gehäuft, und alle jene hundert Vorbereitungen getroffen, welche auf einem Kriegsschiffe dem Kampfe voran gehen und keine Vorsicht und Nothwendigkeit aus den Augen lassen.

Die Mannschaft stand bei ihren Geschützen, auf den Kugelkästen saßen die Pulverjungen, der Wundarzt mit seinen Gehilfen im Unterraum, die Deckmeister machten mit dem Zimmermann die Runde, die Marinesoldaten standen auf den Gangwegen, und die Offiziere mit gezogenem Degen auf ihren Posten, die Befehle erwartend.

Eine Viertelstunde später richtete das verfolgte Dampfschiff seinen Lauf gerade gegen den Wladimir und zeigte die türkische Flagge, den Weißen Halbmond mit dem Stern im rothen Felde. Bald darauf änderte es nochmals seinen Lauf; die Schiffe waren jedoch einander bereits so nahe, daß bei der starken Maschine der russischen Fregatte an ein Entkommen nicht zu denken [85] war. Da Admiral Kornilow sah, daß das feindliche Schiff schwächer war, als der Wladimir, befahl er nach Seesitte, ihm eine Kugel vor dem Bugspriet vorbeizusenden, als Aufforderung, sich zu ergeben.

Der Türke antwortete mit einer vollen Seitenladung, diese jedoch der noch vorhandenen Entfernung wegen ganz unschädlich blieb.

Damit war das Gefecht provozirt, und der Befehl, zum: »Fertig zum Feuern!« durchlief das russische Deck.

Unterdeß dampften die Schiffe parallel mit einander fort und kamen einander bald so nahe, daß die Kugeln und Granaten des fortwährend seine Breitseite abfeuernden Türken über den Wladimir weggingen und die Tackelage desselben beschädigten. Bereits waren ein Mann gefallen und drei Andere verwundet.

Da die Kommandirenden jedoch erkannten, daß das feindliche Schiff keine Spiegel-Kanonen führte, beschloß man, es von Hinten zu bestreichen und so zur Uebergabe zu zwingen. Capitain Butakow, welcher das Manöver leitete, gab seine Befehle mit einer Ruhe und Sicherheit, als ob es einer Schiffsübung gälte.

Der »Wladimir« fiel alsbald ab und in das Kielwasser des türkischen Schiffes, das er mit seinen Bug-Kanonen der Länge nach bestrich. Hierdurch wurde der Gegner genöthigt, fortwährend beizulegen, um eine Salve geben zu können und dann wieder eine neue Richtung zu steuern.

Die »Bessarabia« verfolgte unterdeß das zweite Dampfschiff, das durch die Anwesenheit der Escadre unter dem Winde verhindert war, seine Richtung nach Osten zu nehmen, und die hohe See zu halten strebte. –

Der Kampf hatte auf diese Weise bereits drei Stunden gedauert. Obschon es dem Wladimir leicht gewesen wäre, ihn fortzusetzen, die Bemannung des Gegners niederzuschmettern und seinen Rumpf zu durchlöchern, ohne selbst erheblichen Schaden zu nehmen, da die Breitseiten des Türken beim Beilegen über das russische Schiff hinweggingen, – so beschloß der Admiral doch, nunmehr dem Spiel ein Ende zu machen und auf Kartätschenschußweite heran zu gehen.

Die Befehle wurden ertheilt, die Fregatte wandte und schoß dann mit der vollen Kraft der Maschine an der Seite, des Feindes auf und gab ihm eine volle Kugellage.

Der Erfolg war in dieser Nähe furchtbar und die Maschine des Feindes hörte sofort auf zu arbeiten.

[86] Dennoch setzte er sich noch zur Wehr und gab eine neue Salve. Eine Granate zerschmetterte die Brust des Lieutenants Schelesnow, dem der Admiral eben einen Befehl ertheilte.

Der Wladimir umfuhr den türkischen Dampfer. Zwei weitere Lagen, die eine mit Kartätschen, durchlöcherten den Rumpf und säuberten die Verdecke.

Jetzt senkte der Moslem seine Flagge; der erste Seesieg in diesem Kriege war erfochten.

Das genommene Schiff war der egyptische Dampfer »Pervas Bachri«, von 220 Pferdekraft und mit zehn Kanonen bewaffnet. Von seiner Mannschaft waren der Capitain, 2 Offiziere und 19 Matrosen getödtet, 18 verwundet, und 134 Mann wurden gefangen genommen. Der Rumpf des Schiffes war so durchlöchert, daß es zu sinken drohte. Es bedurfte einer vierstündigen Arbeit, um es in Stand zu setzen, dem Wladimir nach Ssewastopol zu folgen, wo Beide am anderen Tage eintrafen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das Schiff, das während des Kampfes die »Bessarabia« jagte, war der »Djerid,« ein türkisches Passagier-Dampfboot, das von Varna kam und nach Sinope bestimmt war, Passagiere, Kupfer und Pulver an Bord hatte und eine werthvolle Beute war.

Das Schiffsvolk und die Reisenden hatten sich auf dem Verdeck zusammengedrängt und beobachteten eifrig das sich in der Ferne entspinnende Gefecht. Auf dem Deck, in der Nähe des Steuers, saß der Capitain auf der Bank, den Schibuck im Munde, den einer der Schiffsjungen sorgfältig in Brand hielt, um nicht gepeitscht zu werden: ein dicker behäbiger Türke mit grauem Bart. Viel Sauberkeit und Ordnung war auf dem Schiffe nicht zu finden; einige türkische Offiziere mit ihren Mannschaften, die nach Anatolien gingen, armenische und, syrische Handelsleute, mehrere Juden und zwei Kurden mit ihren Sclaven, die einen Trupp Pferde nach Varna geliefert hatten, diese bildeten die überwiegende Zahl der Reisenden. An den Radkästen des Schiffs waren in langen Reihen die Knoblauch-und Zwiebelstränge aufgehängt, mit jenen Gurken und Früchten, welche die Hauptnahrung der genügsamen Orientalen sind, aber die, Luft keineswegs mit besonderem Wohlgeruch erfüllen. Zuweilen tauchten aus den Luken zu den unteren Kajüten tief verhüllte Frauen auf, sich ängstlich umschauend oder über das Verdeck zum Heerde des Kochs schlürfend um ihr Tandur mit neuen Kohlen zu füllen; [87] doch waltete hier offenbar schon die orientalische Abschließung des weiblichen Geschlechts in weit höherem Grade ob, als auf den Schiffen im ägeischen Meer und im Bosporus. Man befand sich an der Küste Asiens, fern vom Verkehr der europäischen Völker.

Einer der Passagiere nur erregte und verdiente besondere Aufmerksamkeit. Es war ein hoher schlanker Mann von schönem, etwas hartem Gesicht und hochblonden Haaren. Er trug reiche orientalische Kleidung, doch hätte ein aufmerksamer Beobachter leicht bemerkt, daß sie ihm ungewohnt saß. Auch sprach er nur mit zwei Männern, die offenbar seine Diener waren, einem Griechen und einem Mann, dem die orientalische Tracht noch ungefügiger stand, als dem Herrn. Dieser ging mit sichtlicher Unruhe auf dem Verdeck auf und ab, häufig nach der Treppe der großen Kajüte blickend, aus der von Zeit zu Zeit eine ältere Frau heraufstieg und ihm eine kurze Botschaft zu bringen schien.

Der Passagier war Sir Maubridge, der sich mit Diona, einer Griechin zu ihrer Aufwartung und zwei Dienern in Varna eingeschifft hatte, um sich nach der anatolischen Küste zu begeben und dort die Niederkunft seiner Geliebten abzuwarten, für die er eine zärtlichere Liebe empfand, als er den Drohungen des Bruders gegenüber zugestanden. Um desto weniger Aufmerksamkeit zu erregen, hatten Alle die orientalische Kleidung angelegt.

Sir Maubridge war von lebhafter Besorgniß bewegt, weil Diona, schon von der Seefahrt angegriffen, im Schreck über die plötzlich hereinbrechende Gefahr erkrankt war. Unmuthig trat er bereits zum zehnten Male zu dem Capitain, um ihn zu fragen, ob Aussicht vorhanden, dem russischen Kreuzer zu entgehen. Der bequeme Moslem aber that, als verstehe er weder das Italienisch, noch die wenigen türkischen Worte des Engländers, und schüttelte nur mit seinem ewigen »Bismillah« bedächtig den Kopf.

Ungeduldig rief der Baronet endlich seinen griechischen Diener herbei, um mit dessen dolmetschender Hilfe das begonnene Gespräch fortzusetzen.

»Frage dieses Faulthier von einem Menschen,« befahl er ärgerlich, »ob es nicht möglich sein wird, die Schnelligkeit unserer Fahrt zu verstärken? Mich dünkt, die Entfernung hätte sich schon bedeutend verringert!«

Der Grieche wiederholte die Frage auf Türkisch. Der Capitain aber blies den blauen Rauch in die Luft:

[88] »Was kann ich thun? – Ein Schiff ist ein Schiff, und diese Russen haben den Teufel im Leibe. Bak alum, wir werden sehen!«

Aber er sah nicht, sondern blieb ruhig sitzen.

Der Engländer ballte entrüstet die Faust.

»Sie werden uns nach Sebastopol schleppen!«

»Inshallah! wie Gott will. Es ist unser Kismet, Effendi mou!«

»Frage das türkische Vieh, ob er sich denn nicht zu vertheidigen gedenkt? Wir haben vier Kanonen an Bord und Hände in Menge!«

»Der Beisädih 6 ist toll,« meinte der Capitain auf die etwas höflicher übersetzte Frage. »Ich habe den Vätern und den Müttern der Moskows das Nöthige erwiesen; wir sind keine Kriegsleute, um zu sagen: Puf!«

Er hörte mit Gleichmuth, freilich ohne sie zu verstehen, die Ehrentitel an, die der erzürnte Brite ihm gab, der überzeugt war, daß das schöne in England gebaute Schiff bei nur einiger Anstrengung und guter Leitung leicht den Russen entgehen könne, und der nun einer, wenn auch kurzen, doch unangenehmen Gefangenschaft entgegen sah.

Die Bessarabia war unterdeß immer näher gekommen und ein scharfer Schuß an dem Bug des Djerid vorbei mahnte die Türken, beizulegen. Indessen zeigte sich auch hier die Zähigkeit und Sorglosigkeit des National-Charakters; denn statt dem eisernen Winke Folge zu leisten, setzte das Schiff nach wie vor seinen Weg fort.

Eine Hand berührte jetzt den Arm des Baronets, es war das griechische Weib, Diona's Dienerin.

»Herr,« sagte sie, »der Schrecken hat über Eure Dame das Wehe der schweren Stunde gebracht. Sie windet sich in den Schmerzen, die dem Weibe süß sind.«

Maubridge fuhr auf.

»Verstehe ich Euch recht, sie sieht einer Niederkunft entgegen, einer zu frühen Geburt?«

Die Frau bejahte.

»Ich will zu ihr.«

»Halt, Herr! Ihr würdet das Harem verletzen und die Moslems sind streng darin.«

[89] »Was kümmern mich die Narren,« sagte der Brite aufgeregt. »Ich will zu meinem Weibe!« Alle die vom Stolz und Trotz unterdrückte Liebe zu dem Mädchen brach in der vollen Kraft durch die Schranke, die sie so lange eingeschlossen.

Mit zwei Sätzen, während ein zweiter Schuß des russischen Dampfers donnerte und die Kugel durch die Tackelage, des Djerid schlug, sprang der Baronet die Treppe zum Pavillon hinab und wollte die Thür desselben aufreißen, als eine kräftige Faust ihn zurückstieß.

»Bosch! Was willst Du?«

»Atsch! – öffne! ich muß hinein!«

»Das ist das Haremlik meines Herrn, kein Mann darf ihn betreten!«

Die drohende Geberde, mit welcher der schwarze Sclave sich vor die Thür warf, zeigte besser als die ihm unverständliche Sprache das Verbot.

Zugleich suchte flehend die ihm nachgeeilte Griechin sich zwischen ihn und die Thür zu drängen.

»Ihr wißt nicht, was Ihr thut, Herr; die Türken ermorden Euch!«

Auf den türkischen Schiffen ist eine der Kajüten ausschließlich für die Frauen bestimmt und wird gleich dem Haremlik geachtet. Kein Mann darf eintreten. Hierzu kam, daß einer der anatolischen Kaufleute, ein strenger Moslem, zur Sicherung seiner mitgeführten Weiber den Sclaven an die Thür postirt hatte.

Der Streit rief Neugierige herbei; wie ein Lauffeuer ging die Nachricht durch das Schiff: ein Mann verletzt den Schutz des Haremliks. Die Moslems drängten sich heran; denn der drohende Frevel gegen die geheiligte Sitte bewegte sie mehr, als die Gefahr von außen, die ja in Allah's Hand stand.

»Wer ist der Hund, daß wir ihm das Seine thun? seid Ihr ein Sohn des Teufels, daß Ihr es wagt, uns in den Bart zu speien?«

Wilde Drohungen umtobten den Briten, Waffen erhoben sich gegen ihn und vergeblich suchte sein englischer Diener sich zu ihm Platz zu machen.

Auch der Capitain war herbeigekommen.

»Thut ihm Nichts zu Leide, er ist ein Beisädih! Was wissen diese Inglis von Gott und dem Propheten! Sie sind tolle! sie [90] haben Frauen und Pferde, aber sie lassen die Einen nackend umherlaufen, und machen die Andern alle zu Bequirs 7 und schneiden ihnen die Schwänze ab, so wahr Allah groß ist.«

»Ein Dschaur 8 in der Kleidung der Moslems? was will das ungläubige Schwein unter uns? Er ist an allem Unglück Schuld, er hat uns die Moskows über den Hals gebracht. Tödtet den Franken!«

Der Baronet der noch immer vergeblich um den Eintritt rang, schwebte in der größten Gefahr, ein Opfer des unvorsichtig erregten Fanatismus zu werden. Da donnerte und krachte es über und neben ihnen, und eine schwere Kugel prasselte, die Splitter umher stäubend, durch das Holzwerk und fuhr durch die Frauen-Kajüte.

Die Splitter hatten Mehrere verwundet; in Todesfurcht stürzten die Frauen aus der Kajüte, Alles floh in blindem Schrecken, sich in die untern Räume des Schiffes zu verbergen, und im Augenblick sah sich Maubridge allein mit seinem Diener auf dem behaupteten Kampfplatze. Er drang schnell in die Kajüte, die mit Staub und Trümmern gefüllt war. In der hintern offenen Kabine auf dem Schmerzenslager allein lag Diona. Er stürzte an ihre Seite, er verschwendete tausend Zärtlichkeiten an sie, indem er zugleich seinem Diener befahl, nöthigen Falles mit Gewalt die griechische Dienerin herbeizuschaffen. Dazwischen donnerte draußen über die Wogen her Schuß auf Schuß und die Kugeln fuhren durch Takelwerk und Rumpf.

Die Mannschaft hatte den Kopf verloren und vermochte nicht einmal die feurigen Grüße zu beantworten oder die Flagge zu streichen, bis endlich einer der Maschinisten, ein Italiener, aus dem Raume sprang und das Flaggentau durchschnitt. Der rothe Wimpel mit dem Halbmond flatterte in's Meer und ein Jubelruf erhob sich am Bord des russischen Schiffes, das bereits fast seitlängs lag, und während die Maschine des türkischen Schiffes zu arbeiten aufhörte, seine Haken an den feindlichen Bord warf. Wenige Augenblicke darauf sprangen die russischen Offiziere, den Degen in der Faust, über die Bollwerke und im Nu war das Verdeck des Djerid mit Mannschaften überfluthet.

[91] Aber Widerstand war nirgends zu finden, die Weiber jammerten und schrieen, die Moslems krochen geduldig hervor und ergaben sich in das unvermeidliche Kismet, während der Capitain von dem ersten Lieutenant der Bessarabia genöthigt wurde, die Papiere über Ladung und Passagiere vorzulegen.

In Angst und Besorgniß saß der englische Baronet am Eingange der Kabine, in der Diona, die arme Getäuschte, von der griechischen Dienerin unterstützt, mit den Schmerzen rang, die das werdende Leben begleiten. Seine ganze kalte harte Natur schien sich umgewandelt zu haben in zärtliche Sorge um das junge Wesen, dessen Wimmern und Schmerzensruf wie glühender Stahl sein Herz durchbohrte. Was kümmerte ihn der Kampf umher, er hatte jetzt nur Augen für die Geliebte.

Da legte eine Hand sich auf seine Schulter und eine Stimme befahl ihm barsch, aufzustehen. Als er emporfuhr und die Angreifer zurückstoßen wollte, fielen diese, zwei russische Matrosen, über ihn her und schnürten ihm die Arme zusammen. Ein Offizier mit dem türkischen Capitain trat eben in die Kajüte. Auf den Ersteren sprang Maubridge zu und verlangte mit ungestümen Worten, sofort freigelassen zu werden, und Schutz für sich und seine Leute.

Der Offizier sah ihn groß an.

»Ich bin ein Brite. Unser Gesandter in Constantinopel wird Rechenschaft fordern für jede Beleidigung, die mir widerfährt.«

Der Offizier lächelte malitiös.

»Ein Engländer in türkischer Kleidung? Wahrscheinlich ein englischer Spion, um unsere Häfen zu inspiziren. Ihre Papiere, mein Herr!«

Der Baronet erbleichte vor stolzer Wuth.

»Ihre Leute haben mich gebunden. Lassen Sie mein Portefeuille aus der Tasche nehmen, meine Papiere befinden sich darin. – Ich hoffe, Sie werden die Banknoten dabei schonen!«

Der Russe befahl kalt, ihn zu durchsuchen, und öffnete am Tisch die Brieftasche, während Maubridge zähneknirschend daneben stand. –

»Ein Paß für den Baronet Maubridge und seinen Diener. Das wäre richtig. Sieh' da, Briefe an Churschid-Pascha 9 und [92] Selim-Pascha, also in's feindliche Lager. Und hier, ein solcher an Schamyl. – Das ist kein übler Fang!«

»Herr, Sie haben kein Recht, sich an meinen Briefen zu vergreifen!«

»Einem Engländer trauen wir Alles zu und mit einem Spion machen wir nicht viel Umstände. Bringt den Mann zu den anderen Gefangenen.«

Ein Schmerzensruf erscholl aus der Kabine, deren Thür halb geschlossen war.

Der Baronet überwand seine Wuth und seinen Stolz.

»Sie werden menschlich sein, mein Herr, und in diesem Augenblicke mich nicht von der Frau da drinnen trennen die jeden Moment ihre Niederkunft erwartet.«

»Wer ist das Weib?«

»Eine Griechin. Sie gehört zu meiner Begleitung.«

»Davon steht Nichts in dem Paß. Pflegen die Herren Briten vielleicht auch schon ihre Harems mit sich zu führen?«

»Sie ist« – er zögerte einen Augenblick – »ich bitte, die Dame als meine Gattin zu achten!«

»Skotina 10, wer's glaubt! – Fort mit dem Burschen, die Weiber werden hier besser am Platze sein, wie er. Sie können in diese Kajüte gesperrt werden.«

Die Russen faßten den Baronet und zerrten ihn fort. Da an der Thür klang ihm zum letzten Male der schneidende Wehruf des Mädchens in's Herz – dann ein anderer Laut, – er war Vater!

Fußnoten

1 Russisch: Ssewastopol.

2 Midshipman.

3 Hol' mich der Teufel!

4 Das thracische Castell am Meereseingang des Bosporus.

5 Eine unübersetzbare, aber in der russischen Gesellschaft sehr gebräuchliche Redensart.

6 Sohn eines Lords.

7 Walachen.

8 Giaur, Ungläubiger.

9 Der frühere Insurgenten-General Guyon, Renegat, mit Selim Kommandirender der türkischen Truppen bei Batum.

10 Narr! Dummkopf!

2. Zwing-Pontus
II. Zwing-Pontus.

Es war am dritten Morgen nachher, als ein einfacher Trauerzug aus dem Quarantainegebäude der russischen Pontus-Festung Ssewastopol sich nach dem nahen, am Ende des Quarantainehafens befindlichen Kirchhof bewegte.

Ein russischer Geistlicher ging dem Sarge voran, der nach griechischer Sitte offen und niedrig getragen wurde. Nur wenige [93] Personen hatten sich dem Zuge angeschlossen, einige Diener aus dem Hospital der Quarantaine, eine griechische Frau und ein Mann in orientalischer Kleidung zwischen zwei russischen Marine-Soldaten.

Der Mann war Edward Maubridge, der Baronet; im offenen Sarge, den Rosmarin in den dunklen Locken und auf der Brust, lag Diona Grivas, die Schwester der Caraiskakis.

In der Nacht nach der Geburt war sie gestorben – sie hatte das allzufrühe Leben des Kindes mit dem ihren erkauft. Ihr Verführer war fern ihrem Sterbebett, an dem nur der Pope der Fregatte Wladimir und die in Varna geworbene Dienerin mit den gefangenen türkischen Weibern stand. Dennoch war sein Namen im Tode auf ihren Lippen, Vergebung in ihrem Herzen. Sie ließ sich das Kind, einen Knaben, bringen, segnete ihn und übergab ihn dem Geistlichen ihres Glaubens mit dem Geschmeide, das sie von ihrer Mutter geerbt.

Erst am anderen Morgen erfuhr der Baronet den Tod der Griechin. Die Nachricht erschütterte den trotzigen stolzen Mann im Innersten.

Er ließ dem Kommandirenden des Schiffes die dringende Bitte stellen, zu der Leiche geführt zu werden, und als ihr gewillfahrtet worden, verließ er dieselbe nicht mehr, bis das Schiff in der Nacht auf der Rhede von Sebastopol Anker warf? Am nächsten Morgen lieferten die russischen Dampfer ihre Beute im Quarantainehafen ab, und die Gefangenen wurden in ein zu ihrer Aufnahme bestimmtes Gebäude, die Leiche aber zum Hospital gebracht, von wo aus das Begräbniß am nächsten Tage erfolgte. Durch freigebige Anwendung seines Goldes erlangte der Baronet die Erlaubniß, die Todte bis zu ihrer letzten Ruhestätte zu begleiten.

In finsterem Brüten vergingen ihm die nächsten Tage, das einzige Geschäft, das er unternahm, war, einen Bildhauer aus der Stadt kommen zu lassen und ihm den Auftrag zu einem einfachen Marmorstein für das Grab des griechischen Mädchens zu geben. Er bezahlte reichlich und im Voraus, um das Werk gefördert zu sehen. Um sein eigenes Schicksal schien er wenig bekümmert.

Am fünften Tage nach der Ankunft der Gefangenen war ihre Quarantaine zu Ende und sie wurden in die Stadt gebracht. Hier ward der Baronet, trotz seiner Protestationen, von der griechischen Dienerin und dem Kinde getrennt und erhielt seinen Aufenthalt [94] im Fort Sanct Nicolas angewiesen, wo er in strenger Absonderung mit seinem englischen Diener gehalten wurde.

Nur der Grieche durfte ab und zu gehen und sorgte für ihre Bedürfnisse.

Durch ihn erfuhr Maubridge, daß die Wärterin mit dem Kinde in der Familie des Geistlichen vom Wladimir, die in Sebastopol wohnte, Aufnahme gefunden hatte.

Von dem Fenster seines hochgelegenen Gemaches aus übersah der Baronet die schöne Felsenbucht von Sebastopol mit den riesigen Befestigungen der Nordseite, dem Fort Constantin, dem Catharinen-Fort, der Sukaia-Batterie und der großen Citadelle, während rechts der Blick am Eingang des Militairhafens vorbei, dessen andere Seite, Fort Nicolaus gegenüber, das Fort Sanct Paul beschützte, bis an's Ende der Bucht zu den Höhen von Inkermann schweifte, wo die beiden Leuchtthürme des Nachts dem Schiffer ihr leitendes Feuer zeigten. Links am Artillerie-Hafen hin, zwischen dem Fort Nicolas und der großen Batterie, reichte seine Aussicht bis zum Fort Alexander und den beiden Quarantaine-Forts die auf der Südseite, Fort Constantin gegenüber, den Eingang der Bucht deckten.

Ein buntes Leben herrschte in der prächtigen Seefestung, und der Brite schien recht eigentlich diese Wohnung erhalten zu haben, wie als solle er einen Anblick gewinnen von der Macht und Unbesiegbarkeit dieser Vormauer des russischen Kolosses im Süden, von der aus seine Flotten das Meer beherrschten und Constantinopel in ewiger Bedrohung hielten. Die mächtigen granitnen Wälle der Forts und Bastionen starrten von schweren Geschützen, die ein Kreuzfeuer über die Bucht zu eröffnen vermochten, das jeden eindringenden Feind in den Grund bohren mußte. Auf den breiten Quais um die prachtvollen Werfte und Docks bewegte sich eine dichte Bevölkerung von Seeleuten und Soldaten; kolossale Marine-und Artillerie-Vorräthe waren überall aufgehäuft und wurden durch die fortwährend von Odessa und Nicolajew eintreffenden Transportschiffe vermehrt. Dampfer gingen täglich ab und zu und im Hafen selbst und draußen auf der Rhede lag zum Auslaufen bereit die prächtige russische Südflotte, um das riesige Admiralschiff ankernd, das den Namen des General-Admirals des zweiten Sohnes des kaiserlichen Herrn, Großfürst Constantin, trug.

Dies ganze prächtige und großartige Schauspiel lag unter den Augen des Gefangenen, doch betrachtete er es mit Gleichgültigkeit. [95] Mit dem Tode Diona's war eine auffallende Veränderung in seinem Wesen und Charakter vorgegangen; er fühlte, daß er das Mädchen mit der ganzen Kraft seiner Seele geliebt hatte, und daß er dennoch unehrenhaft an ihr gehandelt. Das machte seinen hochmüthigen Sinn noch erbitterter, heftiger, abgeschlossener. All' sein Gefühl sein Denken und seine Entschlüsse concentrirten sich jetzt auf das Kind, das er das seine nannte. Täglich mußte der griechische Diener zum Hause des Popen wandern, um ihm Nachricht von dem Knaben zu bringen, und eine bedeutende Summe sandte er für die Pflege desselben.

So verstrichen mehr als zwei Wochen. All' seine Beschwerden, Anforderungen und Drohungen, ihn in Freiheit zu setzen, waren von den russischen Behörden unbeachtet geblieben, er erhielt nicht einmal eine Antwort, und die Offiziere des Forts vermieden ihn, wenn er die Erlaubniß hatte, auf den Wäller desselben spazieren zu gehen.

Es war am Nachmittage des 26. November, als er am Fenster seiner Zelle saß und mit finsterem Brüten gedankenlos dem Fluge der Möven zuschaute, die über die Bucht strichen, mit ihrem ängstlichen Geschrei eine Erneuerung des Sturmes verkündend, der bereits mit kurzen Unterbrechungen seit zwei Tagen getobt hatte, als seine Aufmerksamkeit durch ein kleines Dampfschiff erweckt wurde, das von der Höhe der See, ohne, wie die gewöhnliche Vorschrift erheischte, vor den Eingangs-Forts beizulegen, mit aufgehißten Signalen in die Bucht schoß und am Fort Nicolas beilegte. Sogleich wurde ein Boot herabgelassen und mehrere Personen fuhren zum Ufer. Es war dem Baronet, als sei ihm eine derselben nicht unbekannt, doch war die Entfernung zu groß, um Genaueres zu erkennen.

Die Dämmerung begann unterdeß einzutreten und mit dem Abend sich der Wind auf's Neue zu erheben. Regen und Hagel peitschten gegen das Fenster der Zelle, an welchem der Gefangene noch immer saß, in den beginnenden Kampf der Elemente hinausstarrend. Plötzlich donnerten rasch nach einander drei Signalschüsse von der vorderen Bastion des Forts und Maubrige konnte bemerken, daß Signale mit bunten Laternen aufgezogen wurden, die bald darauf von den Schiffen in der Bucht und auf der Rhede am Eingang wiederholt wurden. Ein lebendiger rascher Verkehr schien sich trotz der unruhigen See zwischen der Flotte und dem [96] Ufer zu erheben, Boote, schwer mit Mannschaft beladen, gingen und kamen, und die ankernden Dampfer begannen zu heizen.

Eine wichtige Nachricht mußte eingetroffen sein, das zeigte auch die Bewegung im Fort selbst und die Unruhe auf den nächstliegenden Straßen.

Es mochte gegen 9 Uhr Abends sein, als Tritte sich seiner Thür näherten und ein Offizier in Begleitung zweier Marinesoldaten mit aufgepflanztem Bajonet eintrat, während vier russische Matrosen an dem Zugang stehen blieben.

»Ich habe Ordre, mein Herr,« sagte der Offizier, »Sie sofort zum Kommandanten zu geleiten. Zugleich ersuche ich Sie, Ihren Leuten Anweisung zum Packen Ihrer Effecten und zur Ueberweisung derselben an diese Männer zu geben, die sie befördern werden.«

»So bin ich meiner Haft entlassen und kann abreisen?«

»Ich befinde mich außer Stande, Ihnen Antwort zu geben,« erklärte der Offizier; »ich erfülle die Befehle meiner Vorgesetzten und bitte Sie, sich fertig zu machen, um mir zu folgen.«

Der Baronet war zu stolz, um weiter zu fragen, und nach einigen Befehlen an seine Diener alsbald bereit. Der Russe rieth ihm höflich, seinen Regenmantel zu nehmen, da draußen das Wetter immer heftiger tobte, und führte ihn dann in Begleitung der Wachen durch die Gänge und Höfe des Forts. Zum Erstaunen des Briten schlug der Offizier den Weg zu dem Thor ein, gab dort die Parole und verließ mit ihm die Citadelle.

Auf den Straßen war trotz der üblen Witterung reges Leben und Treiben, Licht an allen Fenstern, Matrosen und Marinesoldaten kamen und gingen in Trupps aus und zu den Magazinen, Offiziere eilten in ihre grauen Schiffsmäntel gehüllt dahin, und vor dem großen Eingang des Admiralitätsgebäudes, der Wohnung des Oberbefehlshabers Admiral Berg und zur Zeit des Fürsten Mentschikoff, brannten große Pechfackeln und war ein lebhaftes Gedränge von Offizieren, Beamten und schaulustigem Volk in seinen russischen, europäischen und tatarischen Trachten.

Der Baronet wurde in ein Vorzimmer des ersten Stocks geführt und nach wenigen Minuten winkte ihm der begleitende Offizier, in den anstoßenden Saal einzutreten.

Derselbe war von Offizieren und Marinebeamten gefüllt. An einer großen Tafel, auf der große Seekarten ausgebreitet [97] lagen, waren mehrere höhere Flottenoffiziere eifrig beschäftigt und in einer Debatte begriffen.

Der Wind war unterdeß immer heftiger geworden und gestaltete sich zum Sturm, der in einzelnen langen Stößen durch die Bergschluchten fegte und die hohen Fenster des Saales erklirren ließ.

»Es wird kaum möglich sein, Nowossilsky, daß Sie Anker lichten können und die hohe See erreichen in diesem Wetter,« sagte ein alter Offizier in der Admiralsuniform, der in der Mitte des Tisches saß. »Warten Sie bis morgen.«

»Wir würden höchstens das Tageslicht zum Gewinn haben, Excellenz, und dafür eine kostbare Zeit verlieren,« entgegnete ein Mann von kühnem seemännischem Aussehen, der Kommandant der vierten Flotten-Division, Contre-Admiral Nowossilsky. »Sie kennen unsere Stürme und wissen, daß sie ihre Zeit haben müssen. Die englisch-französische Flotte könnte leicht Nachricht erhalten haben und aus dem sichern Bosporus herauskommen. Nachimow hätte dann das Nachsehen.«

»Nun, wie Sie wollen. Capitain Tschigiri, haben Sie die Ordre bereit?«

Der Offizier du jour reichte das Papier und Admiral Berg unterzeichnete es.

»Die ›Paris‹ und ›Tri Sswjatitelja‹ liegen bereits auf der Rhede,« fuhr der Contre-Admiral fort. »Ich werde mich durch die ›Bessarabia‹ hinausbugsiren lassen. Wann erwarten Sie Korniloff zurück?«

»Morgen. Sie werden die ›Bessarabia‹ kommandiren, ihm entgegen zu fahren.«

»Nun, ich hoffe, daß er nicht mehr zur rechten Zeit ankommt und uns Andern auch Etwas übrig läßt. Er hat jetzt bereits drei Dampfer den Türken genommen, während wir kaum das Bugspriet aus dem Nest gesteckt haben. Doch wie steht es mit dem Passagier, Excellenz, den Sie mir mitgeben wollten? Die Zeit drängt.«

»Haben Sie den Engländer hier, Rogula?«

Der zweite Hafen-Kommandant, an den die Frage gerichtet war, sah nach der Gruppe an der Thür. »Der Gefangene soll vortreten.«

Maubridge trat mit finsterm Blick bis zu dem Tisch und stützte die Hand darauf.

[98] »Wer von den Herren,« fragte er, ohne die Anrede abzuwarten, »ist Fürst Mentschikoff? ich wünsche ihn zu sprechen.«

Der greise Offizier winkte.

»Der Fürst ist abwesend. Ich bin Admiral Berg, der Oberkommandant der Festung, und Sie werden sich mit mir begnügen müssen.«

»Dann lege ich Protest bei Ihnen ein im Namen der britischen Nation, wegen der unwürdigen Behandlung und rechtswidrigen Haft, die mir hier geworden ist. Ich werde mich bei unserm Gesandten in Petersburg beschweren.«

Der Admiral schien die Phrase nicht zu beachten.

»Sie heißen?«

»Edward Maubridge, Baronet.«

»Nach dem Bericht des Capitain Juschkin sind Sie am 6. auf dem türkischen Dampfboot Djerid gefangen genommen worden auf dem Wege nach Sinope. Man hat bei Ihnen Briefe an die türkischen Befehlshaber in Anatolien und selbst an Schamyl gefunden, die beweisen, daß Sie mit den Feinden Rußlands in Verbindung stehen.«

»Ich bin Engländer und habe Niemand Rechenschaft zu geben, wohin ich gehe und mit wem ich in Verbindung stehe. England ist bei Ihrem Kriege eine neutrale Macht.«

Der Admiral lächelte.

»Wie man's nehmen will! Ich habe jedoch nicht Zeit, mich mit Ihnen in eine politische Controverse einzulassen. Ich will Sie trotz jener Verbindungen als Reisenden gelten lassen, und wir werden Sie an den Ort schaffen, wohin Sie gehen wollten. Sie haben sich demnach nur über eine Haft zu beklagen, die durch die Umstände geboten war. Unser Geschwader geht in einer Stunde nach Sinope ab und wird Sie dort mit Ihren Dienern an's Land setzen. Treten Sie ab.«

»Einen Augenblick, mein Herr – ich will Alles vergessen, aber ich kann diese Stadt nicht verlassen ohne mein Kind! Lassen Sie mein Kind holen mit seiner Wärterin.«

»Ihr Kind? – Meinetwegen. Doch sehe ich Nichts von einem Kinde in Ihrem Paß erwähnt. Was ist damit, Capitain Juschkin?«

Der Capitain der Bessarabia trat vor.

»Ein griechisches Weib, Excellenz, ist nach dem Gefecht eines [99] Knaben genesen, den Popa Alexanowitsch in seine Pflege nahm, da die Frau starb.«

»Welches Recht haben Sie an dem Kinde?«

»Es ist das meine, die Verstorbene war Lady Diona Maubridge.«

»Lügner!« gellte es durch den Saal von den Lippen eines bleichen Mannes, der im Haufen der Umstehenden bis jetzt mit athemloser Spannung dem Verhör und der Verhandlung beigewohnt hatte, das Auge voll Haß keinen Moment von dem Briten abwendend. »Lügner! Beweise Dein Anrecht an Diona Grivas, die Du gemordet, Dein Recht, das Du selbst mit Füßen getreten und verleugnet hast!«

Der Baronet stand bleich, – ihm gegenüber der Bruder und Rächer des todten Mädchens, Gregor Caraiskakis.

»Euer Excellenz,« sagte der Grieche und Schmerz und Zorn erstickten fast seine Stimme, als er sich zu dem Admiral wandte, »wenn der Dienst, den ich Ihnen geleistet, wenn Eifer und Treue für die Sache Rußlands eine Anerkennung verdienen, so gewähren Sie mir Gerechtigkeit gegen diesen Mann. Zwei Mal entführte er meine Schwester durch heuchlerische Künste und entehrte sie, indem er durch ein bübisches Spiel mit der Arglosen sie glauben machte, sie sei seine angetraute Gattin. Als ich ihr Recht von ihm forderte, leugnete er es, und Diona Grivas, die Schwester der Caraiskakis, wurde durch seinen Trug zu seiner Maitresse erniedrigt. In diesem Augenblick erfahre ich, der Bruder, aus seinem Munde, dessen Spur ich bis Varna verfolgte, den Tod der Unglücklichen und ich segne ihn, denn er deckt ihre und unsere Schande. Aber das Kind, das Kind aus dem Blute meiner Schwester, soll der falsche Engländer nimmer besitzen, und sollte ich es ihm mit dem Leben entreißen!«

Die verächtlichen drohenden Blicke der Offiziere ringsum, hafteten auf dem Briten, der bleich und trotzig im Kreise umher schaute.

»Das Kind ist mein, ich nehme das Recht des Vaters und Engländers in Anspruch!«

»Herr Caraiskakis,« sagte der Admiral ernst, indem er sich erhob, »wir sind Ihnen verpflichtet durch den Dienst, den Sie uns erwiesen haben, indem Sie keine Gefahr scheuten, um Admiral Nachimow und dann uns Nachricht zu bringen von dem verrätherischen[100] Unternehmen des türkischen Geschwaders. Wir möchten Ihnen gern Gerechtigkeit gewähren an diesem Mann, doch – das Recht eines Vaters ist ein heiliges, und als solcher kam er in unsere Gewalt.«

»Einen Augenblick, Excellenz,« unterbrach der Vice-Admiral Rogula den Greis. »Wenn ich Capitain-Lieutenant Juschkin recht verstanden habe, erfolgte die Entbindung des Mädchens erst nach der Wegnahme des Schiffs?«

»So ist es,« bestätigte der Capitain.

»Dann, mein Herr,« sagte mit Würde der Admiral, »ist das Kind unter russischer Flagge geboren und genießt russischen Schutz, bis Ihre Ansprüche bewiesen sind, was durch den Tod der Mutter unmöglich werden dürfte.«

Der Baronet stampfte mit dem Fuße auf. »Ich will mein Kind!«

Ein Sturmstoß erschütterte das Gebäude, daß es in seinen Grundfesten zu erbeben schien.

»Hören Sie die Stimme des Allmächtigen, Herr,« sprach streng der Greis, »der mit seinem Sturmwind über jene Wogen fährt, denen bald Ihr Leben anvertraut sein wird, und bereuen Sie Ihre Handlungsweise. – Fort mit ihm, und Sie, Nowossilsky, zu Schiffe, zu Schiffe, damit Sie die hohe See erreichen, ehe der Sturm nach Süden umsetzt!«

Er reichte dem Contre-Admiral die Hand und die Schiffs-Offiziere verließen eilig den Saal und die Admiralität. Knirschend fügte sich der stolze Brite in die Befehle, da einige deutliche Winke ihn belehrten, daß er sonst mit Gewalt an Bord geschleppt werden würde.

Als er am Quai stand und auf das Boot harrte, legte sich eine Hand auf seine Schulter, und sich umwendend schaute er wieder in das Haß glühende Auge des Griechen.

»Ich hoffe,« sagte dieser mit zischendem Ton, »wir werden uns wieder begegnen, wo Sie nicht unter'm Schutz der Gefangenschaft stehen. Holen Sie Ihr Kind, Mylord, wenn Sie den Muth dazu haben!«

»Ich werde es holen! Goddam!« Er sprang in's Boot und die dunklen Wellen trennten die Gegner. –

Während der ausbrechende Sturm bereits das Land und Meer peitschte, remorquirte die Bessarabia das Admiralschiff »Großfürst [101] Constantin« aus der Bucht, auf deren Höhe die beiden anderen Linienschiffe es erwarteten. Eine Stunde darauf waren die Anker gelichtet und das Geschwader stand unter Sturmsegeln glücklich hinaus in See.

3. Sinope
III. Sinope.

Die russische Pontus-Flotte hatte bisher ungehindert auf dem Schwarzen Meere und bis dicht an die rumelischen und anatolischen Küsten gekreuzt, und bereits mehrere türkische Dampfschiffe, darunter noch während der von Omer-Pascha dem russischen Oberbefehlshaber in den Fürstenthümern gestellten Frist den »Medari Tidjaret,« genommen. Die türkisch-egyptische Flotte ankerte während dessen noch im Bosporus in der Bucht von Beykos. Das französisch-englische Geschwader war am 8. und 9. vor Constantinopel eingetroffen, wobei wieder verschiedene kleine Scenen von Rivalität zwischen den beiden Nationen stattgefunden hatten. Ihre mächtigen Schiffe lagen jetzt vom Eingang des Goldenen Horns bis Bujukdere hinauf an dem europäischen Ufer des Bosporus und ihre Mannschaften füllten die Straßen von Constantinopel, wobei das anständige und freundliche Benehmen der französischen Matrosen einen grellen Gegensatz gegen das brutale und rohe Treiben der englischen Seeleute bildete, die auf den Straßen Schlägereien mit den türkischen Wachen anfingen, Weiber insultirten, die Bevölkerung verhöhnten und sich so viehisch betranken, daß täglich Abends die Gassen in Galata und Tophana voll Sinnloser lagen, die sich im Koth wälzten. Es blieb zuletzt dem Seraskier Nichts übrig, als der Befehl an sämtliche Wachen, jeden Morgen die betrunkenen Matrosen von den Straßen aufzulesen und sie in großen Booten an Bord des englischen Wachtschiffes abzuliefern.

Die Feindseligkeiten in Asien zwischen Russen und Türken hatten unterdeß einen ausgedehnteren Gang und größere Bedeutung gewonnen, so daß die Unterstützung der beiderseitigen Flotten nöthig wurde.

Am 28. October hatte Selim-Pascha, der Oberbefehlshaber der türkischen Truppen in Anatolien, das Fort Nikolajowst (Scheffekil), den ersten russischen Posten an der südlichsten Spitze der Küste [102] von Kaukasien, zwischen Batum und Redutkale, überfallen und nach siebenstündigem hartem Kampf genommen. Der Posten war nur durch die großen Proviantvorräthe von Bedeutung, welche hier lagerten. Der Kommandant der Truppen in Grusien, Oberst Karganow, versuchte zwar denselben wieder zu nehmen, wurde jedoch zurückgedrängt. Der Verlust auf beiden Seiten war erheblich. Die türkische Armee überschritt hierauf auch an anderen Punkten die russische Gränze und nahm einige kleine Posten weg, bis Fürst Bariatinsky, der Chef des Generalstabes der zweiten activen Armee 1, dem Feinde in einer vorteilhaften Stellung bei Gümri 2 am 14. November eine bedeutende Niederlage beibrachte, bei welcher circa 1000 Türken zu Gefangenen gemacht wurden. Bald darauf, am 26., erfocht Fürst Andronikoff einen zweiten glänzenden Sieg über das türkische Corps, das Achalzik (Akiska) eingenommen hatte und die Festung belagerte. Die Türken verloren hier an 5000 Mann, 12 Kanonen, 7 Fahnen, die ganze Bagage und große Munitionsvorräthe.

Es ist eine bekannte Sache, daß die tscherkessischen Stämme in ihrem Kampfe gegen Rußland seit Jahren im Stillen von England unterstützt wurden.

Bei Beginn der orientalischen Verwickelungen war daher eines der ersten Mittel, was die sogenannte neutrale Intervention in's Auge faßte, die Aufreizung Schamyl's zu einem Angriff gegen die russischen Forts an der abchasischen Küste und die ganze Stellung am Kaukasus. Man hoffte dabei offenbar auf einen Aufstand aller mingrelischen Stämme, um damit eine Schutzwehr für Anatolien zu erlangen. Die Politik der Westmächte, die bis zum letzten Augenblicke den Schein einer abwartenden und ausgleichenden Stellung zu bewahren suchte, schob natürlich bei Verfolgung dieser Intrigue das türkische Cabinet vor. Es wurde im Divan eine Expedition an die abchasische Küste beschlossen, um den Bergvölkern Geld, Waffen und Truppen zuzuführen, und alsbald in's Werk gesetzt. Mit dem Kommando des Geschwaders ward, auf die Einwirkung des Kapudan-Pascha, dieses zweiten Führers der Kriegspartei, der 61 jährige Osman-Pascha betraut. Derselbe empfahl sich wenigstens[103] durch einen 42jährigen Seedienst, indem er schon 21 Jahre im Dienste Mehemed Ali's gestanden, bei Navarin eine Brigg, beim Bombardement von St. Jean d'Acre ein Linienschiff kommandirt hatte und seit 10 Jahren den Titel eines Admirals führte. Die Erfahrung indeß hat gelehrt, daß auch jetzt eben noch wie früher die türkische Marine trotz der in England gebauten Schiffe keineswegs den Ruf verdient, den man ihr mit Gewalt gegenüber der russischen beizulegen versuchte. Mit wenigen Ausnahmen hat die Türkei nie gute Seeoffiziere erzeugt, und das Kommando sich stets in unfähigen Händen befunden. Eben so wenig sind die Türken tüchtige Seeleute und die türkische Flotte war bis zum Beginn des Krieges zum großen Theil mit griechischen Matrosen bemannt, die bei der allgemeinen fanatischen Stimmung unter der griechischen Bevölkerung ihren Dienst verließen, so daß nur eine ziemlich undisciplinirte zusammengeraffte Mannschaft auf derselben zurückblieb. Noch trauriger war es auf der egyptischen Flotte bestellt, die mit Ausnahme der Dampfschiffe aus so jämmerlichen, alten und morschen Fahrzeugen bestand, daß beim Auslaufen dieser Hilfsescadre aus Alexandrien im Sommer das Admiralschiff alsbald gesunken war, und die Flagge schleunig auf einem zweiten Schiffe aufgehißt werden mußte.

Das Geschwader, mit dem Osman-Pascha in der ersten Hälfte des Novembers Befehl erhielt, unter Segel zu gehen, bestand aus 7 Fregatten von 74, 60, 52, 56, 50, 38 und 42 Kanonen, 2 Corvetten, 1 Sloop und 2 Transportschiffen.

Es hatte über 5000 Mann Landtruppen unter Kommando Mustapha-Pascha's, zur Ausschiffung an der tscherkessischen Küste, an Bord, so wie 20 Millionen Piaster in englischem Golde, nebst bedeutenden Vorräthen von Waffen und Munition. Mehrere englische Offiziere und Ingenieure, so wie eine Anzahl politischer Flüchtlinge, befanden sich auf den Schiffen.

Dies war die wichtige Nachricht der russischen Agenten in Constantinopel, welche Caraiskakis von Varna aus, indem er ein auf der Höhe der Bucht kreuzendes Schiff erreichte, dem Geschwader des Vice-Admirals Nachimow, des Kommandirenden der fünften Flotten-Division, und von diesem mit der Bessarabia nach Ssewastopol überbracht hatte.

Am 24. erblickte Vice-Admiral Nachimow, in der Aufsuchung des türkischen Geschwaders begriffen, dasselbe im Hafen von Sinope, [104] wohin sich Osman-Pascha, der am 16. von Trapezunt abgesegelt war, zurückgezogen hatte, theils um Schutz vor den Stürmen zu suchen, theils um abzuwarten, daß die an der abchasischen Küste kreuzenden russischen Schiffe sich zurückzögen. Die Türken glaubten sich auf der Rhede von Sinope vollkommen sicher vor jedem Angriff.

Am folgenden Tage verhinderte ein heftiger Sturm aus Westen den Admiral, sich Sinope zu nähern, und er sandte sofort die Bessarabia nach Ssewastopol mit der Nachricht ab, indem er mit den Linienschiffen »Kaiserin Maria« von 120, »Tschesme« und »Rosstisslaw« von 84 Kanonen und den Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« die Rhede blokirte.

Die Stadt Sinope, im Alterthum berühmt und als Geburtsort des Philosophen Diogenes bekannt, liegt auf einer weit in's Meer vorspringenden Landzunge, die einen sichern Hafen bildet. Von ihren berühmten Tempeln, Lyceen und Porticis ist Nichts mehr zu sehen, aber die großen Fundgruben alterthümlicher Reste sind die Mauern, welche die ärmlich erbaute neue Stadt und die Citadelle umgeben. Letztere scheint ein byzantinisches Werk zu sein und ihre Mauern bestehen ganz aus Bruchstücken von Säulen, Friesen und Kapitälern etc., bunt durcheinander. Die Stadt zählt etwa 10,000 Einwohner.

Die türkische Escadre war bogenförmig längs dem Ufer aufgestellt, mit seitwärts ausgeworfenen Wurf-Ankern, um bei jedem Winde eine Linie bilden zu können. Am Ufer waren, den Zwischenräumen der Schiffe gegenüber, doch ziemlich ungeschickt, fünf Batterieen errichtet.

In der Nacht zum 28. traf der Contre-Admiral Nowossilski mit seiner Abtheilung bei dem blokirenden Geschwader ein. Dasselbe bestand nunmehr aus 6 Linienschiffen und 2 Fregatten.

Am 28. machte der Vice-Admiral Nachimow seine Dispositionen, um beim ersten günstigen Winde den Feind anzugreifen. Dies sollte in zwei Colonnen geschehen, deren rechte der Admiral führen wollte. Sein Flaggenschiff war die »Kaiserin Maria«; die Schiffe »Großfürst Constantin« und »Tschesme« sollten ihm folgen. Die linke Angriffscolonne unter Befehl des Contre-Admirals Nowossilski bestand aus den Schiffen »Paris«, »Tri Sswjatitalja« und »Rosstisslaw«.

Die Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« sollten unter Segel [105] auf der Rhede bleiben, um, falls einige feindliche Schiffe sich durch die Flucht zu retten versuchen wollten, sie daran zu verhindern.

Die Russen ersehnten eifrig den günstigen Wind, während die Türken unter dem Schutz der Batterieen an die Unmöglichkeit eines Angriffs zu glauben schienen.

Endlich am Morgen des 30., Mittwoch, setzte der Wind um und es trat ein leichter günstiger Ost-Nord-Ost ein. Um 10 Uhr Morgens gab der Admiral das Zeichen, sich zum Kampfe fertig zu machen.

Am Tage vorher war Sir Maubridge mit seinen bei den Dienern durch ein Boot in der Nähe der Stadt an's Land gesetzt worden.

Während sich die beiden Colonnen unter Leesegeln dem Feinde näherten, herrschte so starker Nebel und Regen, daß die feindlichen Schiffe kaum in der Entfernung einer halben Stunde deutlich sichtbar waren.

Die »Kaiserin Maria« ging auf ungefähr 250 Faden weit an zwei türkische Fregatten heran, deren eine von 74 Kanonen die Flagge des Bahrielivaki (Vice-Admiral) Osman Pascha zeigte und hinter deren Spiegel am Ufer sich eine Batterie von 12 Kanonen befand, und warf in dieser Entfernung Anker und Wurfanker.

Zugleich legte sich auf dem linken Flügel das Flaggenschiff des Contre-Admirals Nowossilski, »Paris,« noch näher an den Feind und die anderen Schiffe nahmen ihre ihnen angewiesene Stellung ein, der »Tschesme« aus dem äußersten rechten, der »Tri Sswjatitelja« auf dem linken Flügel.

Die russischen Schiffe hatten kaum Anker geworfen, so begannen die türkischen Batterieen und Fregatten ihr Feuer.

Admiral Nachimow hatte mit seinen Offizieren auf der Schanze der »Maria« seinen Platz genommen und beobachtete mit dem Fernrohr die beginnende Schlacht. Die Kugeln der Batterieen, namentlich die des Forts von Sinope, thaten dem Masten- und Spierenwerk des Schiffes großen Schaden, und auch auf dem »Constantin« bemerkte man deutlich denselben Uebelstand.

»Lassen Sie die Geschütze der obern Batterie zunächst gegen das Kastell richten, Capitain Budischtschew,« befahl der Admiral, »wir müssen dasselbe zum Schweigen bringen, sonst behalten wir keine Stenge an Bord. Mit den Fregatten wollen wir alsdann schon fertig werden.« –

[106] Lieutenant Roßtißlaw führte den Befehl auf dem ersten Deck. An seinen Geschützen arbeiteten die später durch ihren Heldentod so berühmt gewordenen Matrosen Bolotnikow, Schewtschenko und Koschka mit ihren Kameraden, alle bis zum Gürtel entblößt, auf den ersten Wink zum Beginn des Feuers harrend.

Der Capitain ging selbst durch die Batterieen und ordnete die Richtung der Geschütze, während die türkischen Kugeln durch das Takelwerk pfiffen und hin und wieder in die Wände des Schiffes prasselten. Nachdem Alles geordnet war, erfolgte der Befehl zur Eröffnung des Feuers, und von diesem Augenblick an spie die »Maria« ohne Unterbrechung ihre Breitseiten gegen das Ufer.

»Sehen Sie den ›Constantin‹ an, Excellenz,« bemerkte Budischtew, »wie er mit der Batterie dort umspringt; wahrhaftig, Capitain Rakowskoi rasirt sie, ehe die Türken drei Mal zum Laden kommen.«

In der That war fünf Minuten nachher die Batterie völlig demontirt und das Linienschiff konnte unbehindert seine Bombenkanonen des untern Decks gegen die gegenüberstehende Fregatte wenden.

»Das Feuer auf dem linken Flügel scheint heftig,« sagte der Admiral; »der Rosstisslaw scheint von den kleinen Schiffen, die sich an ihn gehangen, und den Batterieen zu leiden. Geben Sie dem ›Kagul‹ das Signal, sich anzuschließen.«

»Die Bomben der ›Paris‹ haben die Stadt in Brand geschossen, ich sehe eine Feuersäule aufsteigen,« meldete der Lieutenant Birjulew.

»In welchem Theil?«

»Nach den Minarets ist es das türkische Viertel.«

»Ha! – was ist das? Tscherti tjebie by wsiali! da geht sie wahrhaftig in die Höh'!«

Ein donnerndes Geprassel überdröhnte das Brüllen der Kanonen, – die Fregatte, welche dem »Constantin« gegenüber gestanden, flog in die Luft, ihre Trümmer fielen weit ringsum und entzündeten die Flamme an einer zweiten Stelle der Türkenstadt.

Lustig arbeiteten die Kanonen auf den drei Decks der »Maria«, dichter Pulverdampf hüllte sie in fast undurchdringlichen Nebel, daß kaum die Mannschaften der Geschütze neben einander sich sehen [107] konnten. Nur der ermunternde Zuruf der Offiziere, das Aechzen der Verwundeten unterbrach die stille Arbeit an den Kanonen.

Da prasselte es durch das obere Deck und eine Bombe schlug mitten zwischen die Batterie. »Nieder! zu Boden!«

Der Ruf des Lieutenants wurde nur von Wenigen vernommen, die, gewohnt an blinden augenblicklichen Gehorsam, sich auf das Deck warfen. Einer der Matrosen des nächsten Geschützes aber war, mit dem Rücken gegen den Offizier gekehrt, eben mit der Visirung seiner Kanone beschäftigt und hörte den Befehl, oder achtete der Gefahr nicht.

Lieutenant Roßtißlaw, im Begriff, sich niederzuwerfen, bemerkte den Mann. Im selben Augenblick auch erfaßte er ihn bei den Beinen und riß ihn schwer zu Boden, daß der Matrose hart mit dem Schädel gegen das Geschützrad schlug und sein Gesicht sich mit Blut bedeckte. Im nächsten Moment platzte die Bombe und ihre Tod und Verderben bringenden Splitter sprühten umher.

Zehn verstümmelte Leichen deckten den Boden, als der Offizier wieder in die Höhe sprang, schweres Aechzen belehrte ihn, daß noch Mehrere verwundet worden.

»Der Teufel hole die Kugel, sie kostet uns ein Dutzend der besten Leute! Was, auch mein braver Schwetschenko? – Warum hörtest Du nicht auf meinen Befehl, Sukiensyn 3

»Hollah, Euer Gnaden,« sagte der Matrose, den der Lieutenant eben bedauerte und welcher derselbe war, den er zu Boden gerissen, »die Bombe hat mir Nichts gethan, Euer Gnaden haben mich nur etwas unsanft angepackt. Aber jetzt weiß ich warum, und schorte wos mi, wenn ich's Euer Gnaden vergesse!«

Ein Adjutant des Admirals sprang die Leiter herunter.

»Vielen Verlust, Roßtißlaw, von der Bombe?«

»Zehn todt, sechs verwundet!«

»Teufel, das wird den Alten ärgern! An's Werk, Jungens, und richten Sie die Geschütze jetzt gegen das Admiralschiff. Wir müssen die Flagge haben!«

Die Kanonen donnerten, die Männer arbeiteten, von Blut, Dampf, Staub und Schweiß bedeckt, wie die Teufel ausschauend, wie die Teufel thätig in diesem Meer von Donner und Flammen.

[108] Eine neue Explosion erfolgte: die türkische Fregatte, welche der »Paris« gegenüberlag, ging in die Luft. Die See weit umher war von Trümmern, Leichen und Schwimmenden bedeckt.

»Die Wurf-Ankertaue sind durchschossen,« ließ der im Vorderkastell kommandirende Offizier der »Maria« dem Capitain melden. »Das Schiff fällt ab.«

»Auf der Barkasse den Wurfanker! Herunter mit dem Kabeltau!«

Unter dem heftigsten Feuer wurde das Schiff wieder festgelegt. Der »Tri Sswjatitelja« war in gleicher Verlegenheit gewesen.

Eine Stunde hatte das Feuer in voller Heftigkeit gedauert, als es auf türkischer Seite zu ermatten begann. Die Boote der Schiffe, die noch See halten konnten, bedeckten, mit Flüchtenden gefüllt, den Raum nach dem Ufer. Hunderte warfen sich in's Wasser, um schwimmend ihre Rettung zu versuchen.

Um 2 Uhr hörte das Feuer von den türkischen Fahrzeugen fast ganz auf; drei Fregatten, darunter die des türkischen Admirals, standen in Flammen, und von den zwei durch die Kugeln durchbohrten und gesunkenen Transportschiffen waren nur die Masten sichtbar. Eine der Corvetten war gleichfalls von den herbeigekommenen Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« in Grund gebohrt, die andere Corvette und die Sloop kampfunfähig. Die drei Schiffe hatten dem »Rosstisslaw« arg zugesetzt.

Um 21/2 Uhr gab Admiral Nachimow das Signal, das Feuer einzustellen. Zugleich wurde Lieutenant Birjulew mit der Parlamentairflagge nach der Stadt gesandt, um den türkischen Behörden anzuzeigen, daß, wenn noch ein Schuß von den Batterieen oder vom Ufer aus fallen sollte, der Admiral von Grund aus die Stadt zerstören und abbrennen werde.

Der Offizier verweilte fast eine Stunde unbehindert am Ufer, ohne eine obrigkeitliche Person auffinden zu können. Ein panischer Schrecken hatte sich der Moslems bemächtigt und die türkische Bevölkerung sich sämtlich in die nächsten Dörfer geflüchtet. –

Während die Schlacht im Hafen von Sinope wüthete, hatte sich auf der See jenseits der einbuchtenden Landzunge eine andere Kampfscene ereignet.

Am 29., sobald der General-Adjutant, Vice-Admiral Korniloff, den die »Bessarabia« aufgesucht hatte, mit seinem Dampfgeschwader, [109] bestehend aus den Dampfschiffen »Odessa«, »Krimm« und »Chersones«, in Ssewastopol eingetroffen und die Schiffe zum Auslaufen wieder bereit waren, ging er zur Escadre Nachimow's ab. Admiral Korniloff befand sich auf der »Odessa«. Am 30., bald nach 12 Uhr, bemerkte man auf dem Dampfer, der sich bereits der anatolischen Küste genähert hatte, über die Landzunge von Sinope hinweg, daß die Schlacht begonnen, und die Dampfschiffe beschleunigten alsbald ihren Lauf so sehr als möglich, um die Rhede zu erreichen. Als sie am Vorgebirge von Sinope vorübergingen, wurde ihnen die türkische Dampffregatte Taïf, von 20 Kanonen, sichtbar, die, auf dem linken Flügel der türkischen Stellung postirt, weniger gelitten und bereits vor Beginn des Kampfes geheizt hatte und jetzt bemüht war, durch die Flucht der allgemeinen Vernichtung zu entgehen.

Der Vice-Admiral Korniloff befahl alsbald, seine Flagge aufzuziehen und dem türkischen Dampfschiffe, das nach der hohen See steuerte, den Cours abzuschneiden. Der »Taïf«, obschon er fast drei Mal stärker war, als die Odessa, änderte jedoch, sobald er das russische Manövre gewahr wurde, seine frühere Richtung und lief längs dem Ufer hin. Als das Dampfschiff Odessa sich bis auf Kanonenschußweite genähert, eröffnete es das Feuer aus dem langen Neunpfünder auf seinem Vordertheil.

»Bei Gott,« sagte der Admiral, »die Schurken werden den Kampf nicht annehmen, sondern verlassen sich auf ihre stärkere Maschine. Wir müssen zu dem letzten Mittel greifen, sie zum Fechten zu zwingen. Lassen Sie die Enterhaken bereit machen, Capitain Stanißlaw, und die nöthige Mannschaft an die Schanzverkleidungen treten. Wir wollen versuchen, ihn im Vorbeikommen anzulaufen, die Enterhaken an seinen Bord zu werfen und ihm dabei eine Salve zu geben.«

In wenigen Augenblicken waren die Vorbereitungen getroffen und die Schiffe näherten sich rasch einander, denn der Capitain des Taïf sah ein, daß er dem russischen Dampfer nicht ausweichen könne, ohne auf die Klippen des Ufers zu gerathen. Die Besorgniß einer Enterung oder eines Zusammenstoßes war dagegen eine weit geringere, da, wie erwähnt, das türkische Schiff noch ein Mal so groß war wie die Odessa, und nur in dem Kampfe mit allen drei Dampfern Gefahr lag, der beim Gelingen einer Enterung unvermeidlich gewesen wäre.

[110] Die Mannschaften beider Schiffe standen auf den Decks, die Türken mit Rudern und Stangen bewaffnet, um das feindliche Schiff abzuhalten. Auf den Radkästen und an den Seiten der Odessa waren die Enterer postirt, Capitain Stanißlaw auf der Brücke über der Maschine, um die Kommando's für die Bewegungen zu geben.

»Was thun Sie hier, mein Herr?« sagte einer der Offiziere zu einem Manne in einem der grauen russischen Militair-Capots und darunter in Civilkleidung, der, das Glas am Auge, einen Säbel in der Faust, am Bogspriet des Dampfers auf einer der gefährdetsten Stellen sich hielt. »Sie gehören nicht zur Equipage und setzen sich hier unnütz der Gefahr aus.«

Der Angeredete verwandte kein Auge von dem heranbrausenden Gegner.

»Bitte, lassen Sie mich hier,« sagte er dringend, »ich habe von dem Admiral die Erlaubniß erhalten, den Kampf mitzufechten, und bin begierig, Ihnen zu zeigen, daß mein Volk die Gefahren seiner Beschützer zu theilen wünscht.«

Es war keine Zeit zu langem Streit, denn die Schiffe waren etwa nur noch 20–30 Faden weit aus einan der, und Gregor Caraiskakis, – denn er war es, der an der Brustwehr stand, und welcher, nach dem er in Sebastopol verschiedene Verfügungen über das Kind seiner Schwester getroffen hatte, auf seine ausdrückliche Bitte auf dem Schiff des Vice-Admirals aufgenommen worden war, um seinem Gegner nach Sinope zu folgen, – behielt seinen Platz.

Während der Taïf in grader Linie seinen Lauf fortsetzte, schoß die Odessa in einem spitzen Winkel gegen ihn heran. In der Entfernung von etwa einer halben Seemeile eilten die beiden andern Dampfschiffe herbei.

Es war die Absicht des Admirals, das Bogspriet des kleinen Dampfers womöglich in den Radkasten der türkischen Fregatte aufzurennen, die Enterhaken zu werfen und die Türken so im Kampf festzuhalten, bis die beiden andern Dampfer herankommen konnten.

Auf dem türkischen Schiff war diese Absicht offenbar erkannt, denn auch dort füllten sich die Radkästen und alle höheren Stellen mit Männern.

Die Odessa schoß wie ein schnaubendes Kampfroß heran und ihr Vordertheil berührte beinahe die Flanke des Taïf, als dieser im selben Augenblick wendete, so daß der Vordertheil des russischen [111] Schiffes an den Radkästen vorüberschoß und nur das hohe Hinterkastell der Fregatte traf. Die Enterhaken wurden zwar geworfen, fanden hier aber wenig Halt, und ein kurzer Kampf entspann sich auf den Decks, während der Dampfer von dem Aufstoß sich langsam herumschwenkte und seitlängs der Fregatte legte.

Einige der russischen Matrosen versuchten an der höheren Brüstung des türkischen Schiffes empor zu klettern, wurden aber zurückgeworfen oder in's Wasser gestürzt. Unter denen, welche vergeblich sich damit abmühten, befand sich auch Caraiskakis. Er hatte mit der Linken sich an eine der herabhängenden Bootketten festgeklammert und war im Begriff, sich über den feindlichen Bord zu schwingen, als ein donnerndes Krachen verkündete, daß die Odessa die vier kleinen Kanonen gelöst, die ihre Breitseite bildeten. Die Schwere der Geschütze war zu gering, um selbst in dieser Nähe eine gefährliche Wirkung auf die Fregatte auszuüben, der Rückstoß der Salve bewirkte jedoch, daß die Schiffe von einander prallten und einige Ketten der geworfenen Enterhaken sprangen, während andere von dem türkischen Schiffsvolk gelöst wurden. Zugleich schoß die Fregatte mit aller Kraft der Maschinen vorwärts und war im nächsten Augenblick schon mehrere Schritte an der Odessa vorbei.

Ein wilder Ruf des Schreckens ertönte von den Lippen Derer, die noch an dem türkischen Schiff hingen und vergeblich jetzt wieder an den eigenen Bord zu gelangen suchten. Einige ließen sofort los und vertrauten sich den Wellen an, Andere wurden von den Türken heruntergestoßen.

Caraiskakis, der zu spät die Schanze des russischen Schiffes unter seinen Füßen weichen fühlte, wurde, ehe er noch einen Entschluß fassen konnte, hart von einem Türken bedroht, gegen den er sich, so gut er es in dieser Lage vermochte, mit dem Säbel vertheidigte.

Schon wollte er den schwankenden Halt aufgeben und sich gleichfalls in's Meer werfen, als er sich von hinten am Kragen ergriffen und von einer kräftigen Faust emporgehoben und über Bord geschwungen fühlte. Im nächsten Augenblick, als er sich emporraffte, starrte er seinem Besieger in's Antlitz, der ruhig die Moslems von dem Gefangenen zurückwehrte, – es war Sir Maubridge. –

Die Odessa verlor mehrere Minuten mit dem Auflesen ihrer [112] Leute und dem Wenden. Als sie die Verfolgung des Taïf wieder aufnahm, war dieser bereits eine ziemliche Strecke entfernt, und obschon die Maschine auf's Höchste angespannt wurde, zeigte es sich doch bald, daß der Lauf der Fregatte zu überlegen war, um ein Einholen möglich zu machen. Sobald dieselbe daher außer Schußweite gekommen, befahl der Admiral, die Jagd einzustellen, und die drei Dampfer wandten sich eilig nach der Richtung von Sinope, um dort ihren Theil am Kampfe zu nehmen.

Aber sie kamen hier zu spät.

Auf der Rhede von Sinope war die Schlacht beendet. Die eintreffenden Dampfer Krim und Chersones erhielten sofort die Ordre, die russischen Schiffe aus der Schußweite der noch kampffähigen Uferbatterieen zu bugsiren für den Fall, daß es dem Feinde einfallen sollte, in der Nacht sein Feuer zu erneuern. Die Odessa aber wurde beordert, die türkische Fregatte »Damiette«, welche am wenigsten von den Kugeln gelitten hatte, in Besitz zu nehmen und vom Ufer fortzuführen.

Dies geschah ohne Widerstand. Man fand auf der Fregatte kaum noch 100 Mann der Besatzung und etwa 50 Verwundete. Der Commandeur und die Offiziere hatten das Schiff schon im Anfange der Schlacht verlassen, indem sie sich mit sämtlichen Ruderbooten in schimpflicher Flucht an's Ufer retteten.

Mehrere der türkischen Schiffe standen noch in vollen Flammen und gewährten in dem einsinkenden Dunkel des Abends ein furchtbar schönes Schauspiel, indem sie aus den glühend gewordenen Geschützen ihre Kugeln weit hinaus über die Rhede versendeten. Als das Feuer die Pulverkammern erreichte, flogen sie endlich in die Luft und die brennenden Trümmer verbreiteten sich über die am Ufer entlang liegende Türkenstadt, so daß diese auf's Neue in Brand gerieth. Gegen Mitternacht stand der ganze, von einer steinernen Mauer umgebene Raum in Flammen; die Griechenstadt blieb jedoch von dem Feuer verschont.

Am 1. December bei Tagesanbruch waren von den 12 Fahrzeugen, aus denen die türkische Escadre bestanden hatte, auf der Rhede nur noch die Fregatte Damiette im Schlepptau der Odessa, die Sloop und die zweite Corvette ganz zerschossen auf dem Strande am Südufer der Bucht zu erblicken. Nach aufmerksamer Besichtigung erwies es sich, daß die »Damiette« 17 Kugeln unter der [113] Wasserlinie erhalten hatte; der ganze Rumpf unter dem Wasser, die Masten und die Takelage waren in dem Grade beschädigt, daß ohne bedeutende Reparaturen, die viel Zeit gekostet hätten, es unmöglich gewesen wäre, sie bis Sebastopol zu bringen. Es wurde demnach befohlen, sie an's Ufer zu werfen und gleichfalls in Brand zu stecken.

Mit gleichem Befehl bemächtigten sich die Boote der Fregatte Kagul der Sloop und der Corvette. Die mit dem Auftrag betrauten Offiziere fanden auf der Sloop den Kommandanten der türkischen Escadre, den Bahrielivaki (Vice-Admiral) Osman Pascha, den Capitain der Fregatte »Raphael«, den Commandeur der Sloop und 80 Matrosen. Osman Pascha war bald nach der Eröffnung des Feuers am rechten Bein verwundet worden, indem eine Kugel den Knochen zerschmetterte. Das Admiralschiff war das zweite, das von den Bomben der Russen in Brand geschossen worden, und die zügellose Mannschaft hatte sich als bald in die Böte geworfen, indem sie ihren Admiral obenein ausplünderte, ihn seiner Uhr und seiner Kleidung beraubten und ihn hilflos und entblößt auf dem Deck liegen ließ. Ein Boot der Sloop, das der brennenden Fregatte zu Hilfe eilte, hatte ihn aufgenommen.

Die türkischen Offiziere wurden auf das Dampfschiff Odessa, die gefangenen Mannschaften auf das Schiff Tschesme gebracht. Am Abend des 1. Decembers fand sich auf der Rhede von Sinope kein türkisches Fahrzeug mehr auf dem Wasser.

Die Beschädigungen der russischen Schiffe beschränkten sich größtentheils auf die Masten und die Takelage; am meisten hatten in ihrer Armirung die Schiffe »Kaiserin Maria«, »Tri-Sswjatitelja«, »Großfürst Constantin« und »Rostisslaw« gelitten. Die Mannschaften gingen trotz der Ermüdung des Kampfes eilig an die Ausbesserung.

Am 2. December lichtete die Escadre des Vice-Admirals Nachimow Anker und verließ die Rhede von Sinope, indem die beschädigten Fahrzeuge von den Dampfern bugsirt wurden.

Schon am 4. langten die drei am schwersten beschädigten Schiffe auf der Rhede von Sebastopol an.

Der Taïf brachte die Kunde von der Vernichtung des türkischen Geschwaders nach Constantinopel und der Schrecken und die Verwirrung über die unerwartete Botschaft waren um so größer, [114] als Niemand an die Möglichkeit eines solchen Schlages geglaubt hatte. Von den zehn Fregatten und sechs Corvetten der türkischen Flotte waren sechs und zwei vernichtet, und die Moslems begannen zum ersten Male bedenklich zu werden über den vielgepriesenen Schutz der Westmächte.

Im Räume des Taïf langte in Fesseln Gregor Caraiskakis, der einzige Gefangene, wieder in Constantinopel an.

Fußnoten

1 Dieselbe operirte getrennt von der Armee am Kaukasus, die unter Befehl des General-Adjutanten Fürsten Woronzow stand.

2 Alexandropol.

3 Hundssohn.

Das Blut Schamyl's
[115] Das Blut Schamyl's.

Es war ein trüber December-Abend, das Sternengewölbe durch düstere Schneewolken verhüllt, die der Wind am hin und wieder mit mattem Glanz durchbrechenden Mond vorüberpeitschte, – als durch eine lange straßenähnliche Lichtung am Saume eines der ungeheuren Urwälder, welche noch große Flächen der Ukraine und Volhyniens bedecken und die Sümpfe von Rokitno und Mozyr genannt werden, ein auf polnische Art bespannter dreispänniger Schlitten über die Schneedecke flog. Eine dürftige Spur zeigte allein an, daß die Reisenden noch auf einem gangbaren Wege sich befanden, obschon dieser wenig genug benutzt werden mochte und meilenweit den Fahrenden kein lebendes Wesen begegnet war.

Im Schlitten saßen zwei Personen, ein alter Mann von straffer militairischer Haltung mit noch jugendlich feurigem Blick trotz des weißen Haars, das unter der dicken Pelzmütze hervorquoll, neben einem jungen Mädchen von liebreizendem Antlitz, so weit aus den Krägen, Tüchern und Hüllen, mit denen sie sich gegen die Kälte geschützt hatte, dieses zu schauen war. Das Gespräch zwischen Beiden war langst verstummt, theils wegen der Unfreundlichkeit der Witterung, theils weil sie schon lange mit einander gefahren und kein Gegenstand zur Unterhaltung nahe lag.

Auf dem Vordersitz des Schlittens neben dem Postillon saß ein Diener, ein Mann von mittleren Jahren und kühnem verständigem Aussehen in der polnischen Tracht, die weiße barankenbesetzte Mütze über die Ohren gezogen.

»Das Wetter will mir wenig gefallen, Herr Graf,« sagte, sich umwendend, der Diener; »ehe eine Viertelstunde vergeht, [116] werden wir volles Schneetreiben sehen, und dieser Wald scheint kein Ende zu nehmen.«

»Hast Du den Postillon gefragt, wie weit wir noch bis zum Schloß des Fürsten haben?«

»Volle drei Stunden. Wir werden vor eilf Uhr in keinem Fall ankommen, wenn – wir überhaupt ankommen.«

»Wie meinst Du das, Bogislaw?«

Der Diener schwieg einige Augenblicke, dann sagte er auf Deutsch:

»Die Schneefälle sind gefährlich in diesen Wäldern, Herr Graf, auch wäre es leicht, daß wir auf Wölfe stoßen könnten. Die ganze vorige Woche war harter Frost und das bringt die Bestien von den Karpathen herauf und aus den Sümpfen her.«

Graf Lubomirski, – der Reisende im Schlitten war der alte Offizier, dem wir in der ersten Scene unseres Buchs und dessen Namen wir zuletzt in Petersburg begegnet sind, – beugte sich besorgt vorwärts.

»Ich habe selbst schon bedauert,« sagte er in der gleichen Sprache, von der er wußte, daß sie der jungen Dame an seiner Seite nicht geläufig war, »nicht in Owrucz geblieben zu sein. Doch hatte ich dem Fürsten zu heute meine Ankunft angezeigt, um morgen mit ihm das heilige Christfest zu begehen. Es bleibt uns Nichts übrig, als so rasch wie möglich vorwärts zu kommen. Frage den Postillon, ob es denn keinen Halteplatz giebt bis zum Schloß des Fürsten?«

Nach einer kurzen Unterredung berichtete Bogislaw, daß zwar ein Gehöft, ein Krug für die Holzfäller, eine Meile weiter seitab im Walde liege, doch sei es besser nach der Meinung des Postillons, den geraden Weg zu verfolgen.

»Was fürchten Sie, Oheim?« fragte die junge Dame. »Sollten wir uns vielleicht verirrt haben?«

»Nein, mein Kind,« beruhigte der Graf. »Es ist kein Grund zur Besorgniß vorhanden, der Weg führt geradeaus durch die Lichtung und ist kaum zu verfehlen.«

Ein furchtbarer Windstoß, der die riesigen Stämme zu entwurzeln schien, strafte seine Betheuerung der Sicherheit Lügen. Er schien das Signal zu sein zum Beginn des Unwetters, denn alsbald entluden sich die Wolken in einem dichten Schneegestöber und binnen wenigen Minuten waren die Reisenden und ihr Fuhrwerk [117] in einen dichten weißen Mantel eingehüllt. Die Flocken fielen so dicht, daß man rechts und links die dunkle Baumwand nicht zu sehen vermochte. Man mußte den Lauf der Pferde ihrem Instinct überlassen.

Das tolle Wetter dauerte ungefähr eine halbe Stunde, von einzelnen heftigen Windstößen unterbrochen, dann begann es nachzulassen und sich aufzuklären – es verzog sich so rasch, wie es gekommen war. Trotz aller Anstrengungen der Pferde hatten die Reisenden während des Wetters doch nur geringe Fortschritte gemacht und das Schlimmste von Allem war, daß nach kurzer Zeit der Postillon erklärte, er sei nicht mehr ganz sicher, ob sie auch noch auf dem rechten Wege wären, da das Schneegestöber jede Spur eines solchen tief bedeckt hatte.

Vor ihnen breitete sich im Mondenschein, der wieder klar und hell vom Himmel strahlte, noch immer eine Lichtung aus, doch war es fraglich, ob es die rechte sei.

Dem Zweifel und der Berathung wurde ein kurzes Ende gemacht, – ein entfernter, klagender, heulender Ton ließ sich hören, bei dessen erstem Laut die ermüdeten Pferde die Ohren spitzten und ohne Antrieb von Zügel und Peitsche sofort sich wieder in Galopp setzten.

»Haben Sie gehört, Oheim?« fragte die Dame. »Wir sind den Wohnungen nahe, das war das Heulen eines Hundes.«

Der Graf antwortete nicht, aber er nahm unter der Decke des Schlittens zwei dort gesicherte Jagdgewehre hervor und reichte das eine dem Diener.

»Ehe zehn Minuten vergehen, werden wir die Bestien auf dem Halse haben,« sagte dieser, diesmal auf Polnisch.

»Um Gott, Oheim, was giebt es?«

»Nichts von Bedeutung, Wanda; einige Wölfe, die vielleicht auf unsere Spur kommen. Wir werden sie mit blutigen Köpfen zurückschicken.«

Die Dame war eine Polin, und obschon in Warschau erzogen, kannte sie doch durch Erzählungen hinreichend die Gefahren der Wälder ihres Vaterlandes.

»Wir sind verloren, Onkel, wenn uns die Wölfe in dieser Wildniß erreichen!«

Gleich als sollte ihre Furcht bestätigt werden, erscholl dicht zur Seite des Schlittens, der am Waldrande dahinflog, ein [118] durchdringendes Geheul und ein dunkler Körper schoß plötzlich aus dem Schatten der Bäume über die helle Fläche des Schnees und sprang dem linken Handpferde an die Kehle. Im nächsten Augenblick erfolgte ein Knall und der Wolf stürzte todt zurück: Bogislaw war beim Anblick der Gefahr vom Schlitten gesprungen und hatte dem Wolf den Kopf zerschmettert. »Vorwärts! vorwärts!« rief er, indem er sich schnell wie der Gedanke auf seinen Sitz zurückschwang, und die Pferde, die scheuend vor dem unerwarteten Angriff kaum einen Augenblick angehalten hatten, jagten auf's Neue davon.

Ein lautes Geheul erklang jetzt hinter ihnen drein, und als der Graf sich umwandte, sah er in der Entfernung von einigen Hundert Schritten eine dunkle bewegliche Masse sich auf der Schneefläche hinter ihnen her wälzen. Feurige hüpfende Punkte glühten gleich Johanniskäfern aus dem dunklen Knäuel.

»Lade schnell das Gewehr, Bogislaw, indeß ich sie in Respekt halte,« befahl der Graf. »Ich habe so manches Mal in längst vergangenen Zeiten meine Flinte auf die Bestien im Bialowizer Walde abgefeuert, daß ich wohl auch heute noch mein Ziel halten werde.«

Die Gräfin Wanda barg ihr Gesicht in dem Pelzcapuchon, das ihren Kopf bedeckte, um die Gefahr nicht zu sehen. Wenige Augenblicke darauf knallte neben ihrem Ohr die Büchse des Oheims und ein Schmerzensgeheul aus dem Rudel, das sich auf etwa hundert Schritt schon dem Schlitten genähert hatte, verkündete ihr, daß ein Verfolger weniger war.

»Sie werden einige Minuten anhalten, um ihren Gefährten zu verzehren,« sagte der Diener. »Ich kenne das Geschmeiß und habe oft mit ihm zu thun gehabt, als ich noch Büchsenspanner und Jäger beim seligen Grafen war!«

Die Voraussage bestätigte sich; nach kurzer Zeit waren die Wölfe wieder auf der Fährte des Schlittens und jagten kaum fünfzig Ellen entfernt hinter ihm d'rein.

Noch zwei Mal schoß der Graf mit gleichem Erfolg das Gewehr ab, das der Jäger ihm reichte, aber der Fall der getroffenen Wölfe vermochte jetzt nur wenig Augenblicke die Verfolger aufzuhalten und zurückzuscheuchen.

Während die Männer die Blicke und ihre Aufmerksamkeit nach jenen gewandt hielten, schrie plötzlich die junge Gräfin laut auf: »Jesus Maria, ich sehe Licht!«

[119] Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr der Rettungsstrahl, die Gefährdeten.

»Es ist das Schloß oder ein Gehöft, in einer Viertelstunde sind wir dort. Hölle und Teufel, was ist das?«

Der Diener Bogislaw, der es rief, beugte sich vorwärts.

»Die Bestie hat das Pferd dennoch verletzt – es stürzt – herunter, Postillon! rasch, rasch! schneide die Stränge los, ehe sie uns einholen, es gilt Tod und Leben!«

Er hatte den Zitternden fast mit Gewalt hinabgestoßen und ihm das Messer in die Hand gedrückt, während er selbst bemüht war, die Zugstränge des Handpferdes zu lösen, das, an einer Halsarterie verletzt, nur, von der Furcht getrieben, so lange ausgehalten hatte und jetzt zusammengestürzt war und wild um sich schlug.

»Den Vordersten, Herr Graf, den Vordersten!«

Wieder knallte die Büchse und der Leitwolf stürzte zusammen, aber an ihm vorbei jagte die Meute, denn sie wußte, daß in wenigen Minuten ihr die Beute entgangen sein würde. Rechts und links am Schlitten vorüber sprangen zwei große Wölfe und einer derselben am Vordersitz empor. Die wie feurige Kugeln glühenden Augen, der weit geöffnete Rachen mit der lechzenden Zunge, aus dem der giftige heiße Athem dampfte, waren schrecklich anzuschauen.

Laut auf klang der Schrei des gefährdeten Mädchens, während der Greis mit dem Büchsenlauf die Bestien vom Rücken des Schlittens zurückzuhalten suchte.

In diesem Augenblick war es den Beiden gelungen, die Stränge abzuschneiden und im selben Moment, als sie sich von der hemmenden Last befreit fühlten, sprangen die beiden Pferde vorwärts und rissen dabei den noch an ihrem Vorderzeug beschäftigten Postillon zu Boden. Bogislaw hatte kaum Zeit, sich auf die Deichsel zu schwingen und festzuklammern, als der Schlitten zwei schwere Rucke erhielt, wie über hindernde Körper hinschnellend, daß die Insitzenden fast herausgeschleudert wurden, und dann wieder über die Fläche dahin sauste. Zugleich gellte ein wilder Angst-und Schmerzensruf, dem alsbald das wüthende Geheul der Bestien antwortete.

Die ganze Sache war so gedankenschnell vor sich gegangen, daß erst jetzt der Graf und Bogislaw den Wolf bemerkten, der sich halb erschrocken noch immer an den Schlitten festklammerte, ohne jedoch durch die rasche Fahrt und seine hängende Lage zu einem Angriff kommen zu können. Die Faust des früheren [120] Jägers, noch mit dem langen Messer bewaffnet, fuhr im Nu nach dem Rachen der Bestie und man hörte das Knirschen des Stahls an dem harten Kiefer und den Zähnen; der Wolf ließ los und stürzte rücklings in den Schnee.

Die beiden Pferde jagten wie toll dem rasch sich nähernden Lichtschein entgegen. Es dauerte eine Weile, ehe es dem tapferen Diener gelang, mit den Zügeln, die er zum Glück um die linke Hand geschlungen gehabt, ihrer wieder Herr zu werden.

Jetzt erst erholte sich die junge Dame so weit von dem Entsetzen der eben erlebten grausigen Scene, um zu bemerken, daß eine der Personen auf dem Schlitten fehlte. »Um Gotteswillen, Oheim, Bogislaw – der Postillon?«

Die beiden Männer antworteten nicht und Bogislaw peitschte nur wüthend auf die Pferde. Das bebende Mädchen brach in einen Thränenstrom aus; das Zurückbleiben der Wölfe, ihr Geheul und Bellen gaben ihr die Ahnung, welchem entsetzlichen Opfer sie die einstweilige Rettung verdankten.

Aber diese sollte vollständig werden; denn von jenem Lichtschein aus, den sie in der Ferne gesehen, und der, wie sie näher kommend schon bemerken konnten, aus einem Gehöft mitten im Walde kam, bewegten sich mehrere Feuer über die dunkle Fläche, Kienfackeln, von Menschen getragen, und lautes Geschrei und Rufen verkündete die Nähe von Helfern in der Noth.

Einige Augenblicke darauf waren sie in der Mitte einer Gruppe von Männern wilden Aussehens, die mit brennenden Kiensplittern, Stangen und Aexten bewaffnet, herbeikamen, Bewohner des düsteren Waldes, die auf das wiederholte Schießen sich von dem wärmenden Heerd in der elenden Waldherberge losgemacht hatten, an deren Hofthor jetzt der Schlitten hielt.

Wenige Worte genügten, um das schreckliche Ereigniß zu melden; das entfernte Heulen der Bestien, die sich außer dem Lichtkreise der Fackeln hielten, verkündete ihre Wuth, daß ihnen der größte Theil ihrer Beute entgangen war.

Es war offenbar ganz nutzlos, Menschenleben zu gefährden in einem Versuch, ob der arme Postillon noch zu retten sei. Ehe der Schlitten noch den dritten Theil des Weges von der verhängnißvollen Stelle bis zum schützenden Hause zurückgelegt hatte, mußte jedes Glied von ihm in tausend Stücke zerrissen sein.

Dennoch, als der Graf mit seines Dieners Hilfe kaum die [121] noch immer zitternde Dame in den großen Raum getragen, welcher die Flur und Küche des ärmlichen Gebäudes bildete, und sie am Heerde niedergelassen hatte, wandte er sich auf ihre Bitte sogleich an die Leute, die mit stumpfer Neugier umherstanden, nahm eine Hand voll Silber aus seiner Börse und bot es ihnen mit der Aufforderung, sich mit Fackeln und Waffen aufzumachen, um wenigstens die Reste des Verunglückten zu suchen.

Als die Männer das Silber sahen, welches der Graf mit so unvorsichtiger Freigebigkeit ausstreute, waren sie alsbald zu dem Gange bereit und machten sich, drei an der Zahl, mit frischen Kienspähnen und ihren Aexten auf den Weg. Nur der Wirth des Hauses, eine grobe vierschrötige Gestalt mit all' dem finster tückischen Ansehen der niedersten Slavenraçe, blieb im Hause bei den unerwarteten Gästen.

Erst jetzt kamen diese dazu, sich in dem Raume umzusehen, der ihnen zu einer Zufluchtsstätte diente.

Die Hütte, ein mit Sumpfbinsen gedecktes einstöckiges Gebäude von Lehm und Holz, bot das traurigste Bild von Dürftigkeit, Unordnung und Schmutz, wie man es in den polnischen Provinzen so häufig findet. Sie war ausnehmend lang, der größte Theil für Pferde, Rinder- und Schweineheerden eingerichtet, welche die Hirten der Gegend hierhin zur Sicherung gegen die Kälte und Raubthiere trieben. Für diese und die Holzschläger, welche die riesigen Buchen und Eichen des Waldes fällten, ein wüstes wildes Geschlecht von Leibeigenen, war ein Theil des Hauses zum Krug 1 eingerichtet. Ein halbverfallener Bretterzaun umgab das Hauptgebäude und ein oder zwei ähnliche für die Aufbewahrung der Futtervorräthe. Der Raum, welcher die Küche bildete, nahm den größten Theil des einen Flügels des Gebäudes ein und war rechts und links von Verschlägen oder, wenn man sie so nennen will, Gemächern begränzt.

In dem großen Kamin brannten riesige Kloben von Holz und verbreiteten Licht und Wärme, was um so nöthiger war, als der traurige Zustand der Wände durch zahllose klaffende Spalten dem Luftzuge freien Eintritt sicherte. Diese träge Vernachlässigung inmitten aller Hilfsquellen und alles Materials ist eine charakteristische Eigenschaft der polnischen Raçe. Während der Deutsche mit dem [122] zehnten Theil der Arbeit, die Jener darauf verwendet, das Holz zum Brennen herbeizuschaffen, das Haus dauernd in festen wohnlichen Stand setzen würde, läßt der Pole ruhig seine Hütte verfallen, bis ihr gänzlicher Einsturz ihn endlich zwingt, eine neue zu bauen. Wie in den unteren Ständen, so herrscht auch in den oberen eine gleiche Vernachlässigung, ein gleichgültiges Verkommenlassen und von Ordnungssinn ist keine Spur in dem Volke. In dieser Beziehung unterscheidet sich scharf der polnische und russische Charakter.

In einem großen Kessel auf dem Feuer kochte das Abendbrod der Gesellschaft, Speck und Grütze, und zwei Frauenzimmer, Mutter und Tochter, waren dabei beschäftigt und bequemten sich erst auf eine handgreifliche Ermahnung des Vaters zum Dienst der Dame.

Jener war, wie erwähnt, ein finster und trotzig blickender Mann von robusten Formen, der volle Typus des verkommenden Volkes, im schmuzigen Schafpelz, die fettglänzende Mütze bis über die Ohren heruntergezogen. Dennoch lag bei aller Wildheit und Rohheit seines Wesens eine gewisse kriechende Höflichkeit gegen den vornehmen Gast darin, ein Belauern jeder Bewegung, die derselbe machte.

Bogislaw hatte aus dem Schlitten die Decken und Mäntel herbeigeschafft und nach dem durch einen starken Holzverschlag von der Küche getrennten Räume gebracht, der das Ende des Hauses bildete und der von den Weibern auf das Verlangen des Dieners schnell von einigem alten Geräth und Holz gereinigt worden war, denn hier war man wenigstens entfernter von dem Schmuz der Thiere auf der anderen Seite. An ein Weiterkommen in dieser Nacht war nicht zu denken gewesen, da die Pferde zum Tode erschöpft durch den rasenden Lauf sich zeigten und sie nach der Versicherung des Wirthes von der rechten Straße ab und auf einen Nebenweg gerathen waren, von dem aus man im Dunkel der Nacht unter zwei Stunden das Schloß des Fürsten Lubienski nicht zu erreichen vermocht hätte, selbst wenn man der Gefahr durch die umherstreifenden Wölfe hätte trotzen wollen.

Es blieb demnach nur übrig, den Tag hier, so gut es gehen wollte, zu erwarten.

Während die junge Gräfin am Feuer sich wärmte, und Bogislaw aus den im Gepäck befindlichen Vorräthen Thee kochte, [123] wobei das glänzende Silbergeschirr wieder die gierige Aufmerksamkeit der Hüttenbewohner erregte, suchte der Graf von dem Manne Nachrichten über die Bewohner der Gegend, die Ansichten und die Stimmung des Volkes zu erhalten, stieß aber auf ein hartnäckiges Ausweichen, von dem er nicht ermitteln konnte, ob es Trotz und Verstellung oder angeborene Stupidität war, so daß er endlich die unnütze Mühe aufgab.

Nach einer Stunde etwa kehrten die ausgeschickten Männer zurück – es waren zwei Söhne des Wirths und ein fremder Holzschläger – und brachten die Nachricht, daß man von dem unglücklichen Postillon nur traurige Knochen- und Kleiderreste gefunden hatte, so vollständig war von den Wölfen das gräßliche Werk gethan.

»Aber die Büchse? ich verlor im letzten Kampf das Gewehr und es muß sich auf dem Platz gefunden haben?« fragte Bogislaw. Die Männer schauten einander verlegen an, verneinten aber insgesamt die Frage. Einer meinte, die Wölfe würden die Büchse vielleicht unter den Schnee gestampft haben, oder sie sei später vom Schlitten gefallen und man werde sie morgen bei Tageslicht leichter finden. Dieser Meinung trat auch der Graf bei, obschon sein Diener bedenklich den Kopf schüttelte und erklärte, er wisse ganz gewiß, das er das Gewehr bei dem augenblicklichen Halt, den das Stürzen des Pferdes nothwendig gemacht, verloren habe.

Die Männer setzten sich in einen Winkel der Küche zusammen, ihr Abendbrod zu verzehren, zu dem der Graf eine Flasche Rum aus seinem Vorrath gefügt, und schienen von der Gegenwart der vornehmen Gäste bedrückt, denn sie sprachen wenig und nur flüsternd unter einander. Dagegen bemerkte Bogislaw mißtrauisch, daß hin und wieder Einer oder der Andere auf einen Wink des Wirths das Haus verließ, und draußen eine Unterredung mit ihm zu pflegen schien.

So war eine zweite Stunde vergangen, und die Reisenden machten sich bereit, ihr improvisirtes Nachtlager aus Pelzen und Mänteln einzunehmen, als plötzlich am Eingang des Gehöftes ein Ruf erscholl und Pferde hörbar wurden. Mit finsterm Gesicht fuhr der Wirth empor und zur Thür: »Niech cię djabli wezmą! 2 ich kann keine Leute mehr beherbergen, sie müssen weiter!« aber schon waren auch der Graf und sein Diener an die Thür getreten, [124] und vor derselben, in die Mäntel gehüllt, hielten zu Pferde zwei Militairs, ein Ulanen-Offizier mit seiner Ordonnanz. Der Erstere, ein noch junger Mann von hoher, schlanker Figur mit edlem, stolzem Gesicht sprang sogleich vom Roß, indem er den Zügel einem der Männer zuwarf und mühsam in polnischer Sprache befahl, ihm behilflich zu sein, seinen Begleiter aus dem Sattel zu heben, der bei einem Sturz den Fuß gebrochen habe. Vergeblich erklärte mürrisch der Wirth, er könne keine Herberge mehr geben, man möge weiterreiten; der Offizier, an den Umgang mit dem Volk gewöhnt, kümmerte sich wenig darum und drohte mit dem Kantschuh, der statt der Reitgerte an seiner Faust hing. Zugleich erklärte der Graf menschenfreundlich, daß er gern sich jede Unbequemlichkeit gefallen lassen werde, um Hilfe zu schaffen und die Reiter nicht dem auf's Neue drohenden Schneewetter auszusetzen, und wenige Worte, aber derbe Püffe des Jägers Bogislaw brachten den Wirth und seine Söhne alsbald dazu, Hand anzulegen und den Soldaten in den Küchenraum zu tragen, wo er auf einem von Stroh bereiteten Lager niedergelegt wurde.

Nachdem er die Pferde sicher untergebracht gesehen und den Schnee vom Mantel geschüttelt, folgte der Offizier gleichfalls und begrüßte höflich und erstaunt die junge Dame, die sich bereits mit dem Leidenden zu schaffen gemacht und ihn mit einer frischen Tasse Thee erquickt hatte. Auf die Einladung des Grafen nahm der Offizier am Feuer Platz und es entspann sich alsbald in französischer Sprache eine Unterhaltung, in welcher sich ergab, daß der Neuangekommene, zur Garnison des Städtchens Olewsk gehörend, gleichfalls auf dem Wege zu dem Schloß des Fürsten Lubienski begriffen war, um auf die Einladung des reichen Grundbesitzers mit einigen bereits vorausgegangenen Kameraden die Festtage dort zuzubringen. Der Dienst hatte ihn verhindert, eher als am späten Nachmittag aufzubrechen, das Schneewetter ihn gleichfalls im Walde betroffen, und ein Sturz über eine Baumwurzel seinen Burschen so unglücklich vom Pferde geworfen, daß derselbe den Fuß gebrochen hatte und der Offizier gezwungen war, nachdem er ihn mühsam wieder in den Sattel gebracht, ihn langsam weiter zu geleiten, bis er in die Nähe des ihm vom Ansehen bekannten Kruges gekommen war.

Mit Verwunderung hörte zugleich der Graf, daß dieser gar nicht weit ab von der Straße zum Schloß des Fürsten und deren [125] Vereinigung mit dem Wege von Olewsk gelegen sei und daß sie morgen in Zeit von einer starken Stunde an ihr Ziel gelangen könnten. Die Wirthsleute des Krugs hatten sie daher absichtlich getäuscht.

Obschon der fremde Offizier seinen Namen nicht genannt hatte, zeigte ihn doch das ganze Gespräch als Mann von Bildung und Erziehung und eine zufällige Bemerkung ergab, daß er erst seit etwa drei Monaten hier in Garnison stand. Ein Zug von Ernst, ja Schwermuth, der über das ganze Wesen des jungen Mannes ausgegossen war, erhöhte das Interesse, das seine männliche Schönheit erregte. Nur die Begeisterung, mit der er des Kaisers erwähnte, machte die Polen mißtrauisch und zurückhaltend.

Nach einer längeren Unterhaltung mußte man endlich an die Ruhe für die Nacht denken, da die junge Dame offenbar sehr erschöpft war. Der Wirth schlug vor, daß der junge Offizier den Verschlag zur Linken der Küche einnehmen sollte; da dieser jedoch von Schmuz aller Art strotzte, erklärte Jener, daß er es vorzöge, in seinen Mantel gehüllt, die Nacht am Heerdfeuer zuzubringen, wobei ihm der Jäger Bogislaw Gesellschaft leisten wollte.

Diese Anordnung schien dem Eigenthümer des Hauses wenig zu behagen, und er gab sich mehrfach Mühe, den Fremden die Kammer oder den mit Streu und Heu gefüllten Boden anzupreisen, der über den größten Theil des Gebäudes lief. Als er endlich sah, daß sie auf ihrem Willen bestanden, fügte er sich mürrisch und trieb die Weiber in die Kammer, während er, wie er sagte, mit seinen Söhnen und dem fremden Holzhauer die Nacht im Pferdestall zubringen wollte.

Es war Etwas in dem Wesen der Familie, was dem aufmerksamen Diener nicht gefiel und sein Mißtrauen erregte. Dennoch lag kein Grund vor, dasselbe zu äußern, und nachdem er für sich und den Offizier, so gut es ging, zu beiden Seiten des Heerdes ein Lager bereitet, und alle Andern den Raum verlassen hatten, streckten sich Beide zur Ruhe nieder.

In wenig Minuten war der junge Offizier im festen Schlaf, Bogislaw aber blieb, seine Pfeife rauchend, auf dem Lager wach.

Ein eigentümliches Geräusch hatte seinen Verdacht auf's Neue erregt; ihm war, als hätte er einen Reiter vorsichtig den Hofraum verlassen und draußen, davonjagen hören.

Bald darauf öffnete sich leise die Thür der Kammer und [126] die Wirthin des Hauses streckte vorsichtig den Kopf heraus, um nach den Schläfern zu lauschen. Sie schreckte eilig zurück, als sie die glänzenden Augen Bogislaw's auf sich gerichtet sah.

Noch immer hatte sich Nichts ereignet, was genügend gewesen wäre, den Verdacht des Jägers zu rechtfertigen, und dennoch wurde derselbe von Minute zu Minute stärker, bis Bogislaw endlich beschloß, sich auf jeden Fall Ueberzeugung zu verschaffen.

Die Gluth des Heerdes warf nur ein mattes Licht über den weiten Raum, und da sein Lager sich im tiefen Schatten des Vorsprunges befand, gelang es ihm leicht, seinen Plan auszuführen. Indem er den weiten Pelz scheinbar zusammengeballt liegen ließ, als ruhe ein Körper darunter, wand er sich geschickt daraus hervor und erreichte die Leiter, die an der linken Seitenwand zum offenen Eingang des Bodenraumes führte. Diese stieg er mit katzengleicher Vorsicht hinan, und war gleich darauf im Dunkel des Raumes verschwunden. –

Zur selben Zeit saßen in dem entgegengesetzten Flügel des Gebäudes am Ende des Stalles, der an fünfzig kräftige ukrainer Pferde, außer denen der Fremden, enthielt, der Wirth mit einem seiner Söhne und dem Holzfäller um eine dürftige Lampe in eifrigem Gespräch.

Den zweiten Sohn hätte der Blick eines Lauschers vergeblich gesucht. –

»Ich sage Dir, Stenko,« sprach der Bauer, »Deine Vorsicht wird Alles verderben. Warum den Segen, den uns die heilige Mutter von Czenstochau in unserer Armuth geschickt, erst mit den Anderen theilen? Der Kranke zählt nicht, und mit den Dreien wären wir allein fertig geworden.«

»Du redest, wie Du's verstehst, sobaczy synu!« 3 entgegnete der Wirth. »Der Teufel könnte sein Spiel haben und Einer entkommen und dann wären wir Alle verloren. Ueberdies sind sie bewaffnet und würden sich scharf wehren. Die Freunde, die Iarkow herbeiholt, werden mit der Heiligen Hilfe hier sein, ehe der Tag graut, und dann liegen die Edelleute grad' im tiefsten Schlaf. Auch brauchen wir Jene, um den Schlitten und die Pferde hinweg zu führen, damit wir Alle zu Hause getroffen werden und kein Verdacht auf uns fällt.«

[127] »Es war gut, Vater,« meinte der junge Bursche, »daß wir die Büchse bei Seite gebracht haben. Die Narren glauben sie dort unter'm Schnee, während sie hier wohl aufgehoben ist.«

Er brachte das Gewehr zum Vorschein, das er unter der Streu verborgen hatte, und besah es von allen Seiten.

»Verflucht, daß wir's nicht brauchen können,« grollte der Alte. »Es ist eines von den neuen Dingern, wie sie die Jäger des Herrn haben, ohne Schloß und Stein, aber unsereins versteht damit nicht umzugehen. Schande, daß uns der Herr die Flinten weggenommen, und uns blos die Aexte und Messer zu unserer Verteidigung gelassen hat.«

»Eine Axt ist ein schönes Ding,« meinte der Andere, »wo sie hinschlägt, trifft sie sicher. Die Brüder sagen, der russische Kaiser habe es befohlen, daß die Armen keine Flinten mehr besitzen sollen. Hei! was war es für ein ander Leben, als wir vor vier Jahren Büchse und Säbel hatten und die Schlösser der Edelleute plünderten mit unsern Brüdern in Galizien, und die Köpfe der stolzen Herrn einschlugen, als wäre der Donner des Himmels über sie gekommen!«

»Du warst ein wilder Teufel, Jankowitsch, es war gut, daß sie Dich nicht fingen. Sie hätten Dich an den ersten Baum aufgeknüpft.«

»Ei, ich weiß, daß Du nicht besser warst, als Du bei den Weißmützen stand'st unter Uminski. Boris hat mir's oft genug erzählt.«

»Tysiąc byci mać mordowalo! 4 Sollten wir unser Leben denn für die Edelleute opfern, wenn es dabei nicht Etwas zu plündern gegeben hätte? Ein Herr ist wie der andere und drüben in Rußland haben sie's wahrlich noch besser als wir hier. Müssen wir nicht Holz fällen und das Vieh hüten in den Sümpfen Jahr aus, Jahr ein? und haben die Wölfe oder Bären ein Stück zerrissen, muß es unser Rücken nicht entgelten? Ich habe mir sagen lassen, drüben aus Weißrußland ließen viele Herren ihre Leibeigene lernen, zu was sie Geschick haben, und sie kamen in den großen Städten zu Ehren und Reichthum. Wo ist dies je einem der Unsern geschehen? Ich war ein Mal mit dem Herrn in Kiew, [128] um Pferde zum Markt zu treiben, und hab's wohl gemerkt. Die Bauern des Kaisers drüben sind reiche Leute gegen uns!«

»Ob Boris mit dem Jungen kommen wird?«

»Warum sollt' er nicht? Ein solcher Fang findet sich selten, und er läßt einen Freund nicht im Stich, wenn er auf seine Faust und sein Messer rechnet. Reich' mir die Wotkaflasche, Michael.«

Der Branntwein machte die Runde.

»Nun legt Euch auf's Ohr und schlaft,« sagte der Wirth, »vor der zweiten Hahnenkräh' können die Burschen unmöglich hier sein, und ich wüßte nicht, weswegen wir den Schlaf verlieren sollten. Wir haben morgen in der Frühe viel zu thun, um alle Spuren zu tilgen und das Gut fort zu schaffen. Iarkow wird uns schon wecken, wenn er kommt.«

Er warf sich auf die Streu und die beiden Andern folgten alsbald seinem Beispiel. – – –

Das Feuer des Heerdes war im Verlöschen, der Raum fast dunkel, als eine Hand leise die Schulter des jungen Offiziers schüttelte und dieser, an rasches Erwachen gewöhnt, auffuhr und im selben Augenblick nach dem unter dem Mantel neben ihm ruhenden Säbel griff.

Doch die Hand legte sich rasch auf seinen Mund und eine Stimme flüsterte an seinem Ohr:

»Stille, es gilt unser Leben!« Der Offizier erkannte im Halbdunkel den Jäger Bogislaw, der sich lang an seine Seite kauerte. »Ich sehe, Sie sind von rechter Soldatenart,« flüsterte dieser, »im Augenblick munter und die Hand an den Waffen. Wir werden sie brauchen! Bleiben Sie still auf Ihrem Lager und hören Sie mich an, denn jede Bewegung könnte uns zu früh verrathen, ich traue den Weibern da drinnen nicht.«

Der Offizier that, wie der Jäger verlangte, und horchte aufmerksam auf die Mittheilung desselben.

»Wir sind einer Bande jener mörderischen Schurken in die Hände gefallen,« sagte Bogislaw, »die bei dem Aufstande von 49 an der galizischen Gränze raubten und plünderten. Der Wirth hat seinen Sohn nach anderen Genossen ausgeschickt, uns zu bewältigen. Wie viele ihrer kommen werden, weiß ich nicht. Ich habe sie belauscht und erfahren, daß wir Zeit zu unsern Vorbereitungen haben. Sie gedenken uns erst im Morgenschlaf zu überraschen.«

[129] »Es soll den Schuften nicht gelingen,« sagte der junge Mann. »Sie werden sich blutige Köpfe holen. Aber was hindert uns, ihnen zuvorzukommen? Wir sind Drei gegen Drei und gut bewaffnet. Sie vermögen nicht, uns aufzuhalten.«

»Sie vergessen den Wald und die Wölfe. Ohne Führer würden wir uns schwerlich bei Nacht zurechtfinden und den Mördern vielleicht in die Hände laufen. Auch hindern uns die Gräfin und der arme Bursche dort an der Flucht, der jetzt im Wundfieber stöhnt und den wir doch nicht ihrem Messer überlassen können.«

»Aber was ist zu thun? – wir wollen den Grafen wecken.«

»Noch nicht, Herr. Wir müssen erst unsern Vertheidigungsplan entwerfen. Ich weiß nicht, ob die Weiber da drinnen schlafen, und jede Bewegung könnte uns verrathen. Ich sehe, Sie haben Ihre Sattelpistolen bei sich.«

»Sie sind geladen und auch die meines Burschen. Aber wir haben keine Patronen bei uns.«

»Thut Nichts. Drinnen beim Grafen liegt Pulverhorn und Kugelbeutel, und die Jagdflinte des Herrn. Meine Büchse haben die Schurken gestohlen, aber sie nützt ihnen nicht, und da sie weiter kein Schießgewehr haben, sind wir im Vortheil. Ich denke, wir lassen den Grafen und die junge Gräfin noch ein Paar Stunden ruhen und halten abwechselnd Wache. Bis dahin können wir überlegen, was wir am besten thun. Nehmen Sie die erste Wache, Herr, und wecken Sie mich in zwei Stunden, oder wenn Sie das geringste verdächtige Geräusch hören. Vielleicht kommt mir im Schlaf ein guter Gedanke.«

Er schlich zurück zu seinem Lager, nachdem er noch vorsichtig die Leiter abgehoben, die zum Boden führte und sie leise quer vor die Kammerthür zur Linken geschoben hatte; der Offizier, der zu seinem bedächtigen und muthigen Gefährten volles Vertrauen gefaßt, beschloß, sich ganz seiner Einsicht zu fügen. Die Pistolen im Bereich der Hand, stützte er den Kopf auf den Arm und versank in tiefes Nachsinnen.

Wohin führten ihn seine Gedanken? wohin wanderte seine Phantasie?

Bilder seiner Kindheit erhoben sich umher, der mächtige Felsenhorst, auf dem der Adler nistet, wilde abenteuerliche Gestalten im blitzenden Silberpanzer, – Waffen, – brausende Bergströme, – das Getobe des wilden Kampfes, – Ströme von Blut, – [130] und der Knabe emporgehoben von den Armen eines hohen blassen Mannes mit langem dunklem Bart und blitzendem Auge! – Dann Nacht um ihn her, geröthet vom Flammenschein brennender Häuser, das wilde Geheul der Stürmenden, blitzende Bajonnete, donnernde Salven, – Dampf, Rauch, Blut, Feuer, – Tod und Gefahr ringsum! –

Und wiederum aus der frühesten Kindheit liebliche, seltsame Bilder: Frauen, in dichte Schleier gehüllt, die Brust von dem weichen Leder des Berghirsches eng umschlossen, blitzende Steine und Geschmeide um Haar und Hals; – am dunklen Felsenhang die Ziege kletternd, – und von den hohen Bergwällen der Blick des spielenden Knaben hinabtauchend auf Fels und Thal und weit darüber hin die silberglänzende Fläche des weiten Meeres! –

Dann kamen die Erinnerungen seiner späteren Jahre, die Erziehung im Corps zu Petersburg, das Bild der Jugendfreunde und Kameraden, die jetzt weit zerstreut waren über das unermeßliche Reich, – die leuchtende Gestalt des kaiserlichen Herrn, den er so oft geschaut, dem er Treue geschworen, er, der – –

Und nun vielleicht hier unrühmlich, ohne Namen, ohne Ruhm zu enden unter dem Beile eines Mörders; vergessen zu werden unter dem Leichenhügel des Schnees, zerrissen von den gierigen Bestien des Waldes, die seine Leiche aus der heimlichen Gruft gescharrt! –

Dazwischen tauchte ein lichtes schönes Bild auf, seit wenigen Stunden erst gekannt, und dennoch verlockend, reizend vor seinen Augen stehend, –Wanda, – die junge Gräfin, für die er sein Blut vergießen, die er zu retten versuchen, oder mit der er sterben sollte. – –

Eine wilde, energische Kraft, wie edles Blut vom Herzen strömend, schoß durch seine Adern; er fühlte, daß das dunkle schwärmerische Auge des Mädchens ihn zu jeder That und Anstrengung begeistern könne. – –

Die Stunden vergingen, es war Zeit, den Jäger zu wecken, und er that es. Im Augenblick war der Pole munter und bat ihn, nun seinerseits unbesorgt eine Stunde der Ruhe zu pflegen.

Aber der Geist des jungen Mannes war zu aufgeregt, als daß er Schlaf zu finden vermocht hätte. Er überließ zwar seinem Begleiter, ohne sich einzumischen, alle Vorbereitungen, doch schaute er ihnen wach und aufmerksam von seinem Lager aus zu.

[131] Bogislaw horchte erst aufmerksam an dem Eingang, der zu der Kammer führte, in der die Weiber schliefen. Dann untersuchte er sorgfältig die Hausthür.

Sie war zum Glück ziemlich fest, aber ohne Verschluß, als daß ein ziemlich starker Querbaum in Haspen vor dieselbe gelegt werden konnte.

Die Thüren beider Kammern öffneten sich nach der Küche, sie konnten demnach verrammelt werden.

Es blieb noch der Eingang von der Bodenluke her.

Die Dispositionen des Jägers waren schnell getroffen. Er hing den großen hölzernen Riegelbaum vor die Thür und begann vor der Kammer der Frauen von den in der Küche aufgethürmten großen Holzstücken einen förmlichen Wall zu bauen, der bald halbe Mannshöhe erreicht hatte und die Bretter der Thür festhielt.

Darauf schob er ein neues Scheit in das Feuer und fachte dieses wieder an. –

»Es wird eben so gut sein,« sagte er leise nach allen diesen Vorbereitungen, »wenn wir meine Herrschaft schlafen lassen, bis die Gefahr wirklich erscheint. Der Graf ist ein alter Soldat und wird auf dem Platz sein.« –

Die Uhr des Offiziers zeigte die vierte Stunde, als draußen ein leises Geräusch sich hören ließ und Bogislaw seinem Gefährten winkte.

»Sie kommen! machen wir uns bereit, sie zu empfangen, und möge die heilige Jungfrau uns schützen. Halten Sie die Bodenluke im Auge, ich werde die Thür nehmen. Nieder mit Jedem, der herein zu dringen wagt!«

Jeder von ihnen hatte ein Paar der Kavalerie-Pistolen an sich genommen; der Offizier faßte an der Wand, gegenüber der Bodenluke, Posten, der Jäger an der Thür, an deren beiden Seiten zwei kleine Fensterchen, wie sie in den polnischen Hütten üblich sind, sich befanden, eben groß genug, um Licht und Luft hereinzulassen, aber zu eng, um zu einem Einsteigen, wenigstens bei einiger Vorsicht der Vertheidigenden, Gelegenheit zu geben. Beide waren von Außen mit Läden verschlossen, die kleinen Fensterscheiben zerbrochen und mit Papier ausgeflickt.

Auch die Oeffnung des Bodenraumes war zum Glück nur so groß, daß Mann gebückt durch sie passiren konnte. Da mit der Seitenwand der Küche der Boden aufhörte und der Raum [132] über derselben bis zu den Dachsparren frei war, lag der Zugang in der Wand ziemlich hoch, von der Erde aus mindestens in doppelter Mannshöhe, die Luke war jedoch offen und ohne Thür.

Der Jäger hatte absichtlich nur spärlich das Feuer wieder aufgefrischt und ein schwaches Licht verbreitete sich über den Raum, das jedoch stark genug war, um den im Innern Befindlichen den nöthigen Ueberblick zu gewähren.

»Wenn ich nur wüßte,« flüsterte der Diener, »wie Viele ihrer sind! Es ist zu dunkel draußen, um sie zu zählen und ich darf es nicht wagen, sie nochmals wie vorhin zu belauern.«

Das Geräusch hatte sich verstärkt, man konnte deutlich hören, daß mehrere Personen, jedoch vorsichtig, in das Gehöft eintraten und an dem Hause entlang schlichen. Der unter den Sohlen ihrer Stiefeln knisternde Schnee verrieth sie.

Dann war Alles wieder still. – –

Die kühnen Wächter harrten. Ihre Mäntel lagen auf den verlassenen Lagerstätten, so daß sie in dem matten Lichte in einiger Entfernung leicht ein fremdes Auge täuschen konnten. Sie selbst standen in den dunklen Schatten verborgen, so daß sie nicht leicht bemerkt werden konnten.

Wiederum knisterte der Schnee und leise Schritte mehrerer Männer schlichen heran und hielten an der Thür des Hauses still.

Zugleich ließ sich ein leichtes Geräusch auf dem Boden vernehmen. Wenige Augenblicke darauf erschien den scharfen Augen des jungen Mannes ein Gesicht in dem dunklen Raume, eine Gestalt wurde erkennbar – der Wirth des Hauses, – und der Offizier konnte sehen, daß seine Hand mit einem kurzen schweren Beil bewaffnet war. Die andere tastete nach der Leiter umher.

Sie suchte vergeblich. Der Kopf des Mannes bog sich vor aus der Luke, um zu schauen, ob sie nicht an Ort und Stelle sei. Das Blut des jungen Ulanen fieberte, seine Hand spannte sich um den Kolben der Pistole. Aber er fühlte, daß Ruhe und Vorsicht hier mehr galt, als Muth und Tapferkeit.

»Przeklęcie! Die Hundssöhne haben richtig die Leiter weggenommen,« flüsterte oben eine Stimme. »Bleibe Du hier, die Weiber sollen uns öffnen. Ich sehe, die Beiden liegen am Feuer.«

Der Kopf verschwand. Wiederum war eine lange Pause. Dann hörte der Jäger an das Fenster der Kammer klopfen und eines der Weiber aufstehen und herankommen. Es folgte ein kurzes [133] Flüstern, darauf machte die Frau den Versuch, ihre Thür zu öffnen, und als sie dies zu ihrer Verwunderung nicht konnte und die Verrammelung bemerkte, theilte sie dies eilig den Männern draußen mit.

Ein wilder Fluch, – dann eine kurze Berathung folgten.

Gleich darauf erschien der Wirth auf's Neue oben an der Bodenluke, schaute sich um und schickte sich dann an, herabzuklettern.

Der Augenblick des Handelns war gekommen.

»Zurück da! bleibe dort oben oder ich schicke Dir eine Kugel durch den Kopf!«

»Mögen die Teufel Deine Mutter quälen! Bin ich Herr in meinem Hause oder nicht? – Setzt die Leiter an, ich muß hinunter!«

»Bleibe, wo Du bist, Schurke,« sagte ruhig der Jäger, »wir wissen, was Du willst und welche Gesellschaft Du bei Dir hast. So wahr ich an Gott und die Heiligen glaube, Jeder, der diesen Raum vor vollem Tageslicht betritt, ist ein Kind des Todes! Also troll' Dich und laß uns in Frieden.«

»Ist's so gemeint, Hundssohn? – Her mit der Leiter, Michael, wir wollen doch sehen, ob sie, die wir von den Wölfen gerettet, uns aus dem eigenen Hause zu jagen wagen.«

Eine zweite Gestalt wurde sichtbar und schob eine Leiter durch die Luke. Der Krugwirth half.

»Jetzt hinunter, Michael; ich will sie von Deinen Pferden zerreißen lassen, wenn sie es wagen, Dir ein Haar zu krümmen. Hinunter, Junge, sag' ich!«

Der junge Mann setzte den Fuß auf die erste Stufe der Leiter, ein Dritter zeigte sich hinter ihnen.

Ruhig und kaltblütig hob der Offizier, der bis jetzt im Schatten gestanden und sich bei seiner geringen Kenntniß des Polnischen nicht in die Verhandlung gemischt hatte, die Pistole; im nächsten Moment fiel der Schuß, der junge Bauer öffnete die Arme, stieß einen Schrei aus und stürzte schwer von der Höhe der Leiter herab aus die Tenne des Küchenflurs. Gleichzeitig mit dem Schuß war mit einem raschen Sprung der Jäger von der Thür her unter der Luke und entriß mit kräftigem Griff die Leiter den Händen, die sie oben fest hielten und die im Schreck über die rasche That sich öffneten.

»Verfluchte, Ihr habt mein Kind erschossen!«

Die kurze, schwere Axt, von der Hand des Vaters geschleudert, [134] flog durch die Luft, aber Bogislaw war außer dem Bereich seiner Hand und der Offizier machte eine rasche Seitenbewegung, daß sie unschädlich an ihm vorbeisauste und an die Kammerthür zur Rechten schlug, die eben rasch von innen geöffnet wurde. Der Graf, seine Pistolen in der Hand, erschien in derselben, hinter ihm, bleich, verstört, aus dem tiefen Schlaf geweckt, die Gräfin Wanda.

Zugleich erscholl das Gekreisch der Weiber in der Kammer, wildes Lärmen der Männer draußen, die ihr Werk verrathen sahen, und ihre Axtschläge donnerten gegen Thür und Läden.

Stenko, der Wirth, war im Begriff, in seiner Wuth hinabzuspringen, als sich bedächtig der Arm des jungen Offiziers mit der zweiten Pistole hob und nach ihm zielte.

»Zurück!«

Der Dritte, der mit dem Kneipenwirth auf dem Boden war, riß diesen von der Luke zurück:

»Hinunter zu den Andern!« Sie verschwanden.

Die Gräfin in der Thür der Kammer wies zitternd, erregt aus den blutenden Mann, der sich am Boden krümmte.

»Um Gotteswillen, ein Mord! was ist geschehen?«

Mit der Hochherzigkeit weiblicher Natur flog sie zu dem Verwundeten, ihm Hilfe zu leisten.

»Was bedeutet das Alles, Bogislaw?« fragte der Graf. »Werden wir angegriffen?«

»Mein Verdacht hat sich bestätigt,« sagte der Jäger rasch und kurz. »Wir sind in diesem Hause in einer Falle und der Wirth hat seine Mordgenossen herbeigerufen. Wahren Sie uns den Rücken dort nach dem Boden zu, Herr Graf! Hierher, Herr Lieutenant!«

Die kräftigen Abschläge draußen zerschmetterten die Läden der Fenster und donnerten gegen die zum Glück starke Thür. Stenko hatte den Genossen die Gewißheit gebracht, daß sie entdeckt waren, und ihre Wuth versuchte einen allgemeinen heftigen Angriff.

Der junge Offizier war an das Fenster zur Rechten gesprungen. Durch die zerbrochenen Scheiben langte eben ein Arm nach dem Riegel, um ihn aus den Haspen zu heben.

»Sparen Sie den. Schuß. Den Säbel, den Säbel!«

Der Offizier hatte bereits die Pistole fallen lassen und die eindringende Faust gefaßt. Aber die Kraft derselben, die ihn zugleich packte, war stärker als die seine, sie zog seinen linken Arm [135] aus dem Fenster fast bis an die Schulter hinaus und zwei, drei Hände faßten draußen an den Arm. Er war in einer völlig wehrlosen Lage.

In dem Augenblick entriß eine Hand der seinen den blanken Säbel und die Klinge fuhr dicht an seinem Kopf vorbei durch das Fenster auf die Gegner. Der Stoß, den der alte Graf geführt hatte, mußte getroffen haben, denn ein wilder Aufschrei erscholl, der Arm des Offiziers wurde losgelassen und schnell zog er ihn zurück. Zugleich knallte aus dem andern Fenster ein zweiter Pistolenschuß und die Vorsicht und Ruhe des Jägers war Bürge, daß er ihn nicht ohne sicheres Ziel abgefeuert hatte. Die wilden Verwünschungen, das Schmerzensgestöhn draußen bewiesen, daß der Angriff blutig empfangen worden, – die Tobenden zogen sich eilig zurück aus dem Bereich der Schußwaffen.

Jetzt erst gewann der Diener Bogislaw Zeit, seinen Herrn näher von den Vorgängen zu unterrichten. Die Männer fühlten, daß sie eilig ihre weiteren Vorbereitungen zu treffen hatten, da offenbar der Angriff wiederholt werden würde.

Bogislaw sprang nach der Kammer, um aus dem Gepäck seines Herrn die Pulverflasche zu holen und neu zu laden.

»Przeklęcie! ich kann sie nirgends finden, die Weiber müssen sie gestohlen haben, als sie in der Kammer handthierten. Doch haben wir noch Ihre Flinte und Pistolen, Herr Graf, sie sind geladen. Wer nimmt den Posten in der Kammer ein, um zu verhindern, daß die Schurken hier durch das Fenster brechen?«

Es war die wenigst gefährdete Stelle; Aller Augen wandten sich auf die Gräfin, die in stillem Gebet noch immer an der vorigen Stelle knieete. Das Gebet galt einem Todten. Der kräftige, jugendliche Körper des Verwundeten hatte wild gegen den Tod gekämpft, den die innerliche Verblutung rasch herbeiführte, denn die Kugel hatte quer durch die obere Brust geschlagen, und während des Kampfes an den Fenstern streckte sich zuckend der Leib und lag dann still und starr.

Der Oheim hob das Mädchen empor und führte sie halb tragend zu der Kammer. Es war keine Zeit zu Erörterungen und zur Schonung der Gefühle. Er konnte sie nur kurz bedeuten, daß sie auf das geschlossene Fenster achten und, wenn es erbrochen würde, um Hilfe rufen solle.

Dann trugen Bogislaw und der Offizier den von dem Kampf [136] aus seinem Fieberschlaf erwachten Soldaten an die Wand gegenüber der Bodenluke und befahlen ihm, fest diese im Auge zu behalten.

Der Jäger stand schon wieder auf seinem Posten und recognoscirte durch eines der zerbrochenen Fenster. Die Räuber hatten sich zurückgezogen und waren unsichtbar. Die Nacht lag noch immer finster um das Haus, nur durch die weiße Fläche des Schnees gemildert. Auf ihr nahe dein zweiten Fenster erkannte man eine dunkle Gestalt regungslos ausgestreckt: die Vertheidigung hatte bereits ein zweites Menschenleben gekostet.

So verging eine längere Zeit, während der nur wenige Worte gewechselt wurden. Es schien fast, als ob die Banditen das Grauen des Morgens abwarten wollten, um ihre Gegner besser zu sehen. Die Weiber in der Kammer, die mehrfach versucht hatten, die Thür zu öffnen, waren seit einiger Zeit ganz still geworden. Dagegen vernahm das scharfe Ohr des Jägers ein Geräusch, gleich dem eines vorsichtigen Arbeitens an einer Wand, und traf danach seine Vorbereitungen.

Plötzlich donnerten wüthende Artschläge an die Eingangspforte und zugleich suchten ähnliche aus dem Innern der Kammer die Thür derselben zu sprengen; in wenigen Augenblicken flog sie in Stücke.

Aber Bogislaw hatte Aehnliches erwartet, die Thür splitterte, aber öffnete sich nicht, denn vor ihr bis zu Manneshöhe lagen jetzt eine Masse schwerer Gegenstände aufgehäuft, die aller Anstrengung des Fortdrängens spotteten.

Durch die Zwischenräume der Verschanzung streckte mit der ganzen Kaltblütigkeit eines alten Soldaten der Graf sein Jagdgewehr und zielte auf die beiden dunklen Gestalten, die hier den Eingang zu erzwingen suchten, aber der Hahn fuhr nieder auf das Piston, ohne daß ein Schuß erfolgte. Er warf die Flinte zu Boden und drückte eine der Pistolen durch die Oeffnung ab, – der Erfolg war derselbe. Dem Stoß eines durch die Oeffnung funkelnden langen Messers entging er nur durch eine rasche Seitenbewegung.

Ein Schrei der Dame verkündete auch auf ihrem Posten Gefahr – der Offizier war mit einem Sprunge an ihrer Seite und sah die Gestalt eines Mannes, bemüht, durch die enge Fensteröffnung einzubrechen. Einige Stöße des Säbels trieben ihn zurück, [137] – fast gleichzeitig knallte der Schuß des Jägers durch ein Fenster und wiederum brach einer der Banditen zusammen und schleppte sich stöhnend zur Seite. Zum zweiten Male wichen die Räuber, doch dies Mal nur aus dem Bereich der Fenster und eine kurze heftige Berathung wurde gepflogen.

»Wir müssen zu Ende kommen,« sagte der Krugwirth unter gräulichen Verwünschungen, »der Tag graut und es darf Keiner leben von ihnen, sonst sind wir verloren. Mein Michael ist erschossen, Stephanowitsch todt, Boris verwundet, wir müssen Rache haben, und sollte es unser letztes Blut kosten. D'rauf, Kameraden!«

Er wollte auf's Neue an die Thür, doch Boris, der Verwundete, riß ihn zurück.

»Zum Boden! Die Garben hinunter und dann über sie her, ich und Sarko halten die Thür.«

Die Mörder begriffen, sie eilten nach dein Aufgang, der in den Ställen zum Boden führte.

»Es sind ihrer noch immer sechs mit dem Kerl, den ich gezeichnet,« sagte ärgerlich der Jäger. »Der Bursche wandte sich gerade um und bekam die Kugel nur in's Fleisch. – Doch, Herr, jetzt, glaub' ich, wird es Ernst und gilt es, für's Leben zu fechten!«

Graf Lubomirski hatte das Gewehr und die Pistolen untersucht. Eine aus den Läufen tropfende Feuchtigkeit belehrte ihn, daß die Weiber die Gelegenheit benutzt haben mußten, bei dem Aufschlagen des Nachtlagers in der Kammer Wasser in die Läufe zu gießen, wobei sie zugleich die Pulverflasche stahlen. Er bewaffnete sich mit dem Säbel des armen Ulanen, der machtlos dem Kampfe zusehen mußte.

»Das Tageslicht dämmert herauf,« sagte der Offizier; »wenn wir uns noch eine Stunde zu halten vermögen, kann ein Zufall uns Rettung bringen. Sie werden es nicht wagen, den vollen Tag abzuwarten –«

Der Ruf des Soldaten unterbrach ihn – er zeigte nach der Bodenluke. Sie war gefüllt mit einem großen Bunde von Schilf und Schobenstreu, von denen der Boden voll lag; während, das Bund von unsichtbarer Hand herabgestoßen wurde, drängten sich von der Seite bereits ein zweites und drittes schützend vor die Oeffnung.

Rasch fuhr die Pistole des Offiziers in die Höhe, der Schuß krachte und man hörte die Kugel klatschen, aber ein wildes Hohngelächter [138] belehrte sie, daß die Räuber das Mittel gefunden, den Schuß unschädlich zu machen, und daß die Kugel nicht durch den dicken elastischen Schirm der Garbe zu dringen vermocht hatte. Wiederum, rasch hintereinander, fielen zwei Bunde herunter und andere drängten sich oben.

Die Gefahr war dringend, Alle begriffen den Plan der Elenden und dessen sicheres Gelingen. Noch einige Bunde und die Räuber konnten sich unbesorgt herabstürzen und, während sie selbst ihre Aufmerksamkeit theilen mußten, sie im Handgemenge angreifen.

Da, während der junge Soldat wie schützend vor die halb ohnmächtig in der Thür der Kammer knieende Dame trat, die Faust fester um den Säbelgriff gespannt, durchfuhr ein glücklicher Gedanke des Jägers Seele. Im Nu war er zum Heerde gesprungen, sein Fuß stieß die noch glühende Asche auseinander und seine Hand suchte einen halb verkohlten Brand. Im nächsten Augenblick war ein Busch der trockenen Schoben darum gewunden, ein Schwung, durch die Luft setzte die improvisirte Fackel in vollen Brand, und noch ehe die nächste Garbe den Boden erreichte, flog sie in die geöffnete Luke. Rascher, als das Wort es zu erzählen vermag, folgte ein zweiter, gleicher Brand, und der wilde Fluch ihrer Feinde verkündete, daß das unerwartete Auskunftsmittel seinen Zweck erreicht hatte. Flammen knisterten in der Luke auf, ehe eine halbe Minute verging, schlug schon die volle Lohe empor, – das Feuer hatte die Schoben und das Gestreu, das die Banditen gerade um die Luke gehäuft, erfaßt, und vergeblich waren alle Anstrengungen, die Flamme zu ersticken, die wie eine züngelnde Schlange durch die trockenen Vorräthe des Bodens hin lohete. Kaum daß sie Zeit hatten, sich eilig über denselben zurückzuflüchten bis zu dem Ausgang, der in die Ställe führte, so füllte schon Qualm und Dampf den langen Raum und hatte die Flamme an vielen Stellen ihren Weg zum Schobendach gefunden, dessen feuchte Schneedecke vor der überflüssige Nahrung findenden Gluth von Unten her schmolz. Während die Mörder noch flohen, war Bogislaw, die Andern zu Hilfe rufend, schon beschäftigt, die heruntergeworfenen, Streugarben fortzuräumen, damit die aus der Luke sprühenden Funken diese nicht entzünden möchten. Es gelang, sie rasch bei Seite zu schaffen.

Der frische Morgenwind hatte unterdeß das Feuer immer weiter verbreitet und nach kaum einer Viertelstunde stand fast das ganze [139] Dach des langen Gebäudes trotz der Nässe in offenen Flammen. Die Verwirrung und der Lärmen waren groß, denn die Pferde und das Vieh, die in den Ställen untergebracht waren, rissen sich bei dem herabfallenden Feuerregen los und stürzten durch die von den Räubern offen gelassenen Thüren in's Freie. Sie sprangen im Gehöft, vor dem lodernden Brande scheuend, wild umher, oder durchbrachen die Einhegung und flohen in den Wald.

Die Wuth und Verzweiflung der betrogenen Mörder, die sich jetzt verloren achten konnten, da der Brand Aufmerksamkeit erregen mußte und ihnen zugleich die Beute entriß, war groß. Bei dem immer mehr sich verbreitenden Morgenlicht konnten die Belagerten schauen, wie sie umhertobten zwischen den stampfenden Pferden, nicht an Rettung denkend, rathlos und nur herüber drohend zu den Verwegenen, die ihrer Ueberzahl so glücklich getrotzt.

Aber deren eigene Lage wurde jetzt auch immer gefährdeter und verzweifelter. Obschon der mit Streu gefüllte Boden, wie wir bereits bemerkt haben, nicht über den Küchenflur weglief, sondern mit einer Wand abschloß, so war doch diese zu schwach und selbst brennbar, um lange das Feuer aufzuhalten, und auch der Dachstuhl über der Küche gerieth bereits in Flammen, so daß nur wenige Augenblicke noch ohne Lebensgefahr in dem Raume zu verweilen war.

Unter diesen Umständen gab es nur einen Entschluß, den: mit gewaffneter Hand sich Bahn durch die Gegner zu brechen. Die Ausführung war natürlich um so schwieriger, als die drei Männer, wenn auch kühn und tapfer, doch jetzt ohne Feuerwaffen, einer doppelten Anzahl zur Wuth gebrachter Feinde gegenüber standen und noch die Dame und den armen Kranken zu schützen hatten. Der Augenblicke der Ueberlegung waren nur wenige gewährt, aber jetzt bei hellem Tageslicht übersah der Ablerblick des jungen Soldaten die Gefahr und erkannte rasch den einzigen Ausweg, der Hoffnung ließ. Gerade über dem Hause, nahe am Eingange des Gehöfts, lag ein halb offenes Schuppengebäude, in dem auch der Schlitten der Reisenden untergebracht war. Konnte man dieses erreichen, so vermochte man wenigstens, sich mit größerer Sicherheit weiter zu vertheidigen.

Der Plan war bald gemacht, wenige Worte genügten zur Verständigung. Der Offizier und das junge Mädchen erklärten mit Festigkeit, daß sie den armen Soldaten den Flammen nicht [140] zur Beute lassen wollten. So wurde dieser denn aufgerichtet und die junge zarte Gräfin schlang selbst seinen Arm um ihren Nacken und stützte ihn, daß er auf dem gesunden Fuß und einem improvisirten Stock sich langsam fortbewegen konnte. Zur Linken des Paars trat der alte Graf, mit dem Säbel des Soldaten bewaffnet, zur Rechten der Dame der Offizier, – sein ernster, entschlossener Blick sagte, daß nur der Tod die Bahn zu ihr öffnen werde. Der Jäger Bogislaw stand an der Thür, die Hand am schirmenden Holzriegel, die Büchse des Grafen zur Seite, das Messer, das die Kehle des Wolfes durchschnitten, im Gürtel.

Ein donnerndes Krachen beschleunigte ihren Entschluß, – hinter ihnen brach bereits ein Theil des Daches zusammen und die Trümmer begruben die Leiche des jungen Räubers.

Wilder Jubel der Männer und Weiber erscholl draußen, sie glaubten die Reisenden verloren – –

Bogislaw riß den Riegel hinweg, die Thür flog auf, über die Schwelle sprangen der alte und der junge Soldat, von gleicher Energie beseelt, – hinter ihnen d'rein schwankte das Mädchen mit dem Kranken und der Jäger mit hochgeschwungener Büchse deckte ihnen den Rücken.

Das offene Gebäude, das sie zu ihrer Zuflucht ersehen, war kaum vierzig Schritt von dem brennenden Hause entfernt, – dennoch aber war der kurze Weg ein wilder Kampf für das Leben.

Einen Augenblick lang blieben die Räuber bestürzt über den kühnen Streich, dann, auf Slenko's, des Wirthes, gellenden Ruf stürzten sie von allen Seiten her bei und machten einen wüthenden Angriff auf die kleine Schaar. Der Wirth selbst sprang auf den Offizier los und führte einen furchtbaren Schlag mit der Axt nach ihm, der den Säbel, mit dem dieser parirte, mitten durchbrach, während ein Anderer sich zwischen den Offfzier und seine Schutzbefohlene stürzte und diese von ihrem Begleiter riß, der vergebens einen Schlag mit dem Stock nach ihm führte und zu Boden geworfen wurde. Der Mann, den seine Genossen Boris genannt hatten und der an der linken Schulter verwundet war, hatte bereits mit einem Gefährten den Grafen angegriffen und Bogislaw, der Jäger, wehrte sich tapfer mit dem Kolben gegen die beiden letzten Feinde.

Von allen Dreien vertheidigte sich der Graf mit dem besten Glück, denn ein scharfer Hieb seiner alten einst kampfgewohnten [141] Faust hatte im ersten Augenblick schon den rechten Arm seines zweiten Bedrängers gelähmt und seine scharfen Hiebe und Stöße hielten den riesigen Räuber Boris in Entfernung.

»Zum Teufel,« rief der Graf, »das Gesicht kenn' ich! – Will ein Pole seinen Obersten morden, unter dem er bei Grochow und Ostrolenka gekämpft hat?«

»Niech cię djabli wezmą 5 « fluchte der Bandit, einen kräftigen Streich führend. »Ich habe Dich längst erkannt, aber Verderben über Euch Edelleute, die Ihr uns zu unserm Unglück verlockt habt! Nieder mit Dir, alter Rebell!«

Er unterlief den Greis und umschlang ihn, Beide rangen wüthend gegen einander, der Eine geschwächt durch die Zahl seiner Jahre, der Andere durch die Wunde.

Weiter hin schlug sich noch immer Bogislaw mit den beiden Männern.

Der Offizier, als seine Waffe zersplitterte, hatte sie von sich geworfen und sich auf seinen Angreifer gestürzt und ihn umfaßt. Auch dieser ließ das Beil fallen und rang mit ihm. Ein Todesschrei hielt die fliehende Gräfin auf – sie sah, wie das Beil des jungen Räubers, welcher sie von dem Soldaten gerissen, den Kopf des Gefallenen spaltete, und sank, die Augen vor dem grauenhaften Anblick mit den Händen verhüllend, in die Knie. Im nächsten Augenblick war der blutige Mensch an ihrer Seite und schwang die noch triefende Axt.

Ein Blick zur Seite hatte dem jungen Offizier die Gefahr gezeigt, in der die Dame schwebte. Mit einer wüthenden Anspannung jeder Muskelfaser schleuderte er in gewaltiger Kraft den starken Wirth von sich und war mit einem Sprunge, gleich dem Tiger, der sein Junges vertheidigt, in der Gräfin Nähe. Seine Linke fing den Stiel der Mordaxt auf und hielt sie fest im gewaltigen Griff, indeß die Rechte in die im Kampf aufgerissene Uniform faßte und mit Gewalt einen Gegenstand losriß, der darunter um den Hals geschlungen zu hängen schien. Im nächsten Augenblick flog eine kleine stählerne Scheide auf den Schnee und eine kaum handlange blaugraue Klinge tauchte sich im kräftigen Stoß bis an die haltende Faust in das Herzblut des Räubers, daß dieser lang den Boden maaß. Wie ein Sturmwind hatte der junge[142] Mann die Gräfin erfaßt und sie halb schleifend zu dem Schuppen getragen, vor dessen Eingang er jetzt wie ein Cherub mit seiner kurzen unzureichenden Waffe stand.

Es war der zweite Sohn des Wirths gewesen, den sein Dolchmesser von gewundener alterthümlicher Form zu Tode getroffen; – heulend, wie der grimmige Wolf seiner Wälder, stürzte der Vater auf ihn zu, rücksichtslos gegen das eigene Leben. »Przeklęty! Du hast meine Söhne gemordet, Du mußt sterben!« Der Stoß des Dolches streifte seine Wange und riß sie blutig, aber er achtete der Wunde nicht, und im nächsten Moment hatte er den jungen Mann gefaßt und zu Boden geworfen. Er kniete auf seiner Brust, bestrebt, die Faust der haltenden Hand zu entreißen, die sich bemühte, das lange Mordmesser, mit dein sie jetzt bewaffnet war, von sich abzuwehren. Alle Furien des Hasses und der Wuth trimuphirten in den flammenden Augen, in den fletschenden Zähnen. Die losgerungene Faust holte weit aus zum Todesstoße – –

»Main! Djemala-Din! Retten Sie Herrn Djemala-Din!« eine fremde Stimme in jüdischem Dialekt dicht neben den Kämpfenden rief die Worte. –

Das Messer des Wirthes fuhr nieder – – – eine rasche Bewegung des jungen Offiziers wendete den Stoß, die spitzige Klinge durchbohrte nur den linken Unterarm – im nächsten Augenblicke spritzte Blut und Gehirn über den Liegenden und mit zerschmettertem Schädel stürzte der Pole über sein Opfer weg. Ein Fußstoß warf die blutige Leiche bei Seite und eine kräftige Hand half dem so unerwartet Geretteten empor. Neben ihm standen zwei fremde Männer im weiten jüdischen Talar, unter dem eine seltsame fremde Tracht hervorschimmerte, Beide lange, mit Silber und Elfenbein eingelegte Pistolen in den Händen, von denen die eine noch von dem eben gethanenen Schuß dampfte. Starke gebogene Nasen unter dunkel blitzenden Augen, schwarze sorgfältig gepflegte Bärte zierten beide Gesichter von fremdartigem, aber majestätischem Schnitt – einige Schritte hinter ihnen stand ein dritter Mann, gleichfalls in jüdischer Tracht, deren Berechtigung jedoch seine Physiognomie und die Angst und Furcht, die sich auf ihr ausprägten, deutlich verkündete.

Die Augen der Männer waren fragend, freudig, begeistert auf den jungen Mann gerichtet.

»Bist Du wirklich Djemala-Din, des großen Imams Sohn?« Die Frage ward in einer Sprache an ihn gerichtet, die das [143] Ohr des jungen Mannes seit 16 Jahren nur selten und ausnahmsweise vernommen; dennoch schlugen diese Klänge, in denen er die ersten Laute gestammelt, die Erinnerungen der Knabenzeit bewahrt hatte, wohlthuend und verständlich an sein Ohr und er antwortete sogleich in ihnen: »Schamyl ist mein Vater! – aber seht! – helft!« – er eilte trotz der Wunde dem treuen Jäger zu, der hart bedrängt war, – im Nu standen die seltsamen Fremden an seiner Seite und stürzten auf die noch kämpfenden Räuber, die bei der unerwarteten Verstärkung zu entrinnen suchten. Aber nur dem kühnen Boris gelang die Flucht, indem er sich auf eines der Pferde warf und in dem Gluthregen des einfallenden Daches auf jenem das Thor und den Wald gewann; die andern Drei, von denen zwei verwundet waren, wurden nach kurzem Widerstand überwältigt, zu Boden geworfen und gebunden. Die beiden Weiber schienen sich schon während des wilden Kampfes geflüchtet zu haben. – Auch der Graf und der Jäger bluteten aus leichten Wunden und athmeten dankend auf über die unverhoffte Rettung.

Während der Graf mit des Offiziers und des Juden Hilfe das von den Schrecken des Abends und der Nacht tief erschütterte Mädchen aus der gefährdenden Nähe des brennenden Gehöfts geleiteten, war Bogislaw mit den beiden Fremden beschäftigt, die von den Flammen wildgewordenen Thiere abzuwehren, und wenigstens den Schlitten der Reisenden aus dem Brande zu retten. Auch das gelang nur mit Mühe, alles Andere war verloren und unter den Trümmern des zusammenstürzenden Hauses begraben. Da bereits auch die Schuppen und dürftigen Nebengebäude von den Flammen ergriffen wurden, mußte man die gefangenen Räuber herausschleppen und an die nächsten Bäume binden.

Die Gräfin war zu einem in der Nähe des Gehöfts auf dem vorbeiführenden einsamen Wege angebundenen Gefähr der Fremden gebracht und in den Schlitten gehoben worden. Erst jetzt bemerkte sie, daß ihr Retter verwundet war und das Blut stark aus seinem Arm hervordrang und ihn zu entkräften drohte. Während sie ihr Tuch fest um die Wunde schlang und die Blutung zu stillen suchte, kamen auch der Jäger und die Fremden herbei. Die Letzteren stürzten sich sogleich auf den Offizier, küßten den verwundeten Arm und übernahmen das Geschäft des Verbindens der Wunde, in dem sie geschickt und erfahren schienen. Dann auch kamen der Graf und der Jäger an die Reihe.

[144] Während dessen fand eine kurze Verathung statt, was man zunächst beginnen wolle. Der Offizier hatte einige Worte mit den Fremden in ihrer unbekannten Sprache gewechselt und führte darauf den Grafen bei Seite.

»Mein Herr,« sagte er, »das Schicksal hat uns seltsam zusammengeführt und schwere Gefahren gemeinschaftlich bestehen lassen. Der glückliche Zufall unserer Rettung ist mir selbst noch unklar, aber ich habe eine Bitte an Ihre Ehre, es ist die, wenn Sie das Schloß des Fürsten mit jenem Gespann, das ich zu Ihrer Disposition stelle, erreichen, Sie in der dort versammelten Gesellschaft nicht näher der beiden Männer erwähnen, die unsere Rettung bewirkt haben, und die hier mit mir zurückbleiben werden.«

»Sie müssen mit uns gehen,« entgegnete bestimmt der Graf. »Sie bedürfen von uns Allen zuerst besserer Hilfe, und mein Jäger und unsere fremden Retter können hier zurückbleiben, bis wir Beistand senden können, der vielleicht schon auf dem Wege ist, da man sicher den Brand bemerkt hat.«

»Es ist unmöglich, Herr! ich habe mit diesen Männern zu sprechen.«

»So sind sie Ihnen bekannt? ich hörte Sie in fremder Sprache mit ihnen reden und einen Namen, der mir nicht unbekannt ist. Sie sind ...«

»Ich bin Djemala-Din, des Imam Schamyl ältester Sohn und russischer Offizier.«

»Sie waren noch diesen Sommer im Kadettencorps zu Petersburg? Verzeihen Sie die Frage.«

»So ist es!«

»Dann kennen wir Sie schon lange, nicht bloß durch Ihr unglückliches Schicksal, das Sie in die Hände Ihrer Feinde geliefert, sondern auch durch die Freundlichkeit und den Schutz, den Sie meinem Enkel, dem einzigen Kinde meiner einzigen Tochter, erwiesen haben. Der Knabe – Michael von Lasaroff ist sein Name – war mit Ihnen in dem Corps und hat uns oft von Ihnen geschrieben.«

Er reichte ihm mit sichtlicher Freude die Hand. Der junge Mann nahm sie zögernd und mit einem Erröthen an, das sein vom Blutverlust bleiches Gesicht färbte.

»Ich kenne den Knaben und liebe ihn,« sagte er, »aber Sie irren, mein Herr, wenn Sie sagen, daß ein unglückliches Schicksal [145] mich in die Hände von Feinden geführt hat. Der Czar ist mir ein Vater gewesen, dem ich mehr verdanke, als meinem Erzeuger in den Schluchten des Elbrus, und nie wird meine Treue und Dankbarkeit für ihn enden.«

Er sprach dies mit einer Festigkeit und Energie, die offenbar den bestimmten Entschluß eines kräftigen Herzens zeigen und jede weitere Berührung dieses Gegenstandes zurückweisen sollte.

»Mißverstehen Sie mich nicht, Herr Graf,« fuhr er fort, »wenn ich Sie dennoch bitte, von meiner Zusammenkunft mit jenen Männern, von der Sie der Zufall zum Zeugen gemacht, zu schweigen. Ich spreche zu einem Manne von Ehre, und sage Ihnen daher unverhohlen, daß es Leute meines Volkes sind, die mein Vater mit einer Botschaft an mich gesandt zu haben scheint. Das Weitere weiß ich selbst noch nicht, – doch ist es oft geschehen, auch in Petersburg, daß ich auf ähnliche Weise Kunde erhielt von meiner entfernten Familie. Aber es könnte mir und Jenen nur von Gefahr sein, wenn unsere Zusammenkunft argwöhnischen Spähern bekannt würde.«

Der Graf reichte ihm nochmals die Hand.

»Nehmen Sie mein Wort, Herr Lieutenant, für unser Aller Vorsicht. Bogislaw, mein Diener, ist ein treuer Mann und wird Sie nicht geniren, indem ich ihn hier zu Ihrem Beistande zurücklasse. Nach der Versicherung des Juden, der Ihre Freunde hergeführt, können wir in einer Stunde im Schlosse meines Freundes sein und Ihnen alle Hilfe senden. Dort sprechen wir mehr von Ihnen.« –

Die weiteren Anordnungen waren rasch getroffen. Der Jude sollte mit seinem Schlitten, der nur Raum für zwei Personen bot, den Grafen und die Dame zum Schloß des Fürsten bringen, wohin jetzt beim Tageslicht keinerlei Gefahr mehr war, und mit dem Gefähr und weiterer Hilfe zur Abholung des Offiziers und der Gefangenen zurückkehren, Bogislaw aber bis dahin bei den Letzteren bleiben. –

Als der Offizier sich dem Schlitten näherte, streckte ihm die Gräfin die zierliche Hand entgegen und ihr Auge ruhte mit Innigkeit auf ihm.

»Ich höre von meinem Oheim, mein Herr,« sagte sie, »daß Sie selbst noch andere Ansprüche auf unsere Dankbarkeit haben, als das Blut, das Sie in dieser Nacht für mich vergossen. Kommen [146] Sie ja recht bald uns nach, Herr Djemala-Din, damit ich Ihnen besser sagen kann, als hier, wie tief wir Ihnen verpflichtet sind.« –

Der junge Offizier beugte sich erröthend über die Hand und küßte sie; der Graf empfahl ihm noch besonders, aus seine Wunde Acht zu haben, und dahin flog der Schlitten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war eine seltsame Gruppe, die sich jetzt um die dampfenden Trümmer des Hauses versammelt hatte, deren noch fortglimmender Brand Schutz gewährte gegen die Kälte des Wintermorgens. – Auf einem halb verkohlten Balken saß – in den zurückgelassenen Pelz des Juden gehüllt – der junge Offizier, bleich von dem Blutverlust und der Aufregung seines Innern, vor ihm auf dem Boden kauerten die kräftigen Gestalten der beiden Tschetschenzen, der Boten des mächtigen Häuptlings, seines Vaters. In einiger Entfernung hatte sich der Jäger Bogislaw eine warme Stelle gesucht, und bewachte mit finsterm Blick die drei gebundenen Polen, die Flinte für jeden Angriff neu geladen zwischen den Knieen, da er an der Leiche des Wirthes das gestohlene Pulverhorn wiedergefunden hatte. Dicht daneben lagen die Körper der drei im letzten Kampf Erschlagenen, während die beiden Andern unter den Trümmern des Hauses begraben waren. Ueber dem Allen wölbte sich der jetzt ungetrübte blaue Winterhimmel, so heiter und rein, als ahnte er nicht, welche Kunde von Schrecken und Mord der dunkel qualmende Rauch ihm zuführte.

»Du hast uns gesagt, o Herr,« begann der Aelteste der Tschetschenzen, »daß Du Djemala-Din, der älteste Sohn und Erbe des heiligen Mannes bist, der das Volk der Mürbiden beherrscht und zum Kampf führt gegen die Feinde seiner Freiheit. Kannst Du uns ein Zeichen geben, an dem wir erkennen mögen, daß Der, welcher das Gewand unserer Feinde trägt, wirklich vom Blute Schamyl's stammt?«

Der junge Mann zog ruhig den kleinen Dolch hervor, mit dem er das Herz des Räubers durchbohrt, und zeigte ihn den Beiden. Auf der blaugrauen Klinge war ein Spruch des Korans eingegraben.

»Das ist das Einzige, was mein Vater mir gab, ehe er sich von der Felsenwand Achulgo's in den Strom warf, der ihn aus der Gewalt seiner Feinde trug.«

[147] Die beiden Tscherkessen empfingen mit Ehrfurcht das Zeichen, besichtigten es genau und drückten es dann an Brust und Stirn.

»Wir sehen die Chiffre des Imam,« sagte der vorige Redner, »und glauben Dir, o Jüngling. Djemala-Din, Sohn des unbesieglichen Fürsten des Kaukasus, nimm den Gruß Muhrad Ben Hassan's und Ali's, des Ossethen.«

Sie neigten Beide knieend das Haupt vor dem jungen Mann und führten seine linke Hand an Stirn und Brust.

Nach dieser Ceremonie zog der Aeltere der Boten aus dem Futter seines Rockes ein mit seidenem Band umwickeltes Schreiben, küßte dasselbe und legte es in die Hand des jungen Mannes.

»Der Imam,« fuhr er fort, »hat zu zweien seiner Tapferen gesprochen: ›Es ist Zeit, daß der Erstgeborene meines Saamens kehre in das Land seiner Väter und an der Seite seiner Brüder stehe in dem großen Kampfe, der sich bereitet. Geht und bringt ihn vor mein Angesicht.‹ – Deine Diener sind zur großen Stadt Odessa gekommen, wo dem Imam ein treuer Mann lebt, der über der Hoffnung der Tschetschenzen stets ein offenes Auge gehalten. Von ihm erhielten wir Kunde, daß der Czar der Moskows Dich von seinem Antlitz gewiesen und in dieses Land der Wälder geschickt hat. Die Männer des Elbrus bargen sich in fremde Tracht und wandten sich nach Kiew, wohin uns Briefe wurden an vertraute Männer aus jenem verachteten Volk, das bestimmt ist, Handel zu treiben über die ganze Welt. So kamen wir gestern heimlich nach der Stadt, in der Du lebst mit Deinen Kriegern. Aber wir hörten, daß Du sie verlassen, und säumten nicht, uns aufzumachen, lange, ehe die Schatten der Nacht gewichen waren, um Dir nachzufolgen und keinen Augenblick zu verlieren. Der Prophet hat es gnädig gewollt, daß der Flammenschein dieses Hauses uns vom Pfade ab zur Stätte gerufen hat, wo der Sohn des Fürsten in Noth war. Wir segnen den Propheten, daß er uns erlaubte, Djemala-Din aus der Hand der Mörder zu erretten, die seiner Tapferkeit zu Viele waren.«

Der Offizier reichte bei der Erzählung Beiden die Hand.

»Ich danke Euch, meine Edlen, und werde dieser Stunde nimmer vergessen, komme auch, was da wolle!«

Er nahm das Schreiben seines Vaters, löste das Band und entfaltete es. Dasselbe war in russischer und türkischer Sprache [148] abgefaßt; während er las, bedeckte eine düstere Falte die männlich freie Stirn.

»Mein Vater schreibt mir,« sagte er endlich finster, »daß ich seinen Boten folgen solle, sobald ich dieses Schreiben erblickt, bei Tag und Nacht. Mein Vater vergaß, daß sein Wort verpfändet ist dem großen Czaren dieses Reiches.«

»Der Imam hat Nichts vergessen,« entgegnete der Mürdite, »aber der Geist hat ihm verkündet, daß die Zeit um sei, da sein Sohn als Geißel dienen mußte dem fremden Herrn, und daß er das Recht habe, ihn an seine Seite zu rufen.«

»Dann möge mein Vater seinen Erstgeborenen zurückfordern von dem Czaren.«

»Es ist nicht die Zeit und Gelegenheit dazu. Große Dinge bereiten sich im Osten und die Herrschaft der Moskowiten an den Küsten unsers gesegneten Meeres ist ihrem Ende nahe. Dein Vater befiehlt, und es ist an Djemala-Din, zu gehorchen.«

»Wenn der Fürst der Mürditen auch sein Wort gelöst glaubt,« sagte der junge Mann ernst, »so möge er doch bedenken, daß Djemala-Din dem Czaren das seine als Krieger verpfändet hat, und daß er es nur als gelöst erachten kann, wenn der Czar selbst ihn seines Schwures entläßt. Ich wiederhole es, mein Vater möge mich von seinem Feinde zurückfordern, wie er mich ihm als Geißel gegeben, und Djemala-Din wird dem Willen seines Erzeugers freudig gehorchen. Er kann nicht, wie ein Dieb in der Nacht, sich aus diesem Reiche stehlen, oder wie ein feiger Verräther seinen Posten verlassen.«

Ali sprang vom Boden empor:

»Beim Barte Schamyl's!« rief er wild, »Du wirst uns folgen zur Stelle, wie uns der Imam befohlen. Hier ist Gold, hier ist ein Kleid für Dich, auf Dein Haupt komme die Gefahr, wenn Du Dich weigerst!«

Der russische Offizier hatte sich gleichfalls erhoben und riß das blutige Tuch des Verbandes von seinem Arm.

»Beim Blute Schamyl's, das aus diesen Adern rinnt, und das ein höherer Schwur ist, denn der Deine! ich werde nicht gehen, bis der Kaiser, dem mein Schwur verpfändet ist, mich selber freigegeben. Bringe dies Wahrzeichen meinem Vater und sage ihm, sein Sohn sei bereit, alle Bande zu zerreißen, die sechszehn lange Jahre hier geknüpft, und in sein Haus zurückzukehren, [149] aber nimmer wolle er seine Ehre opfern als flüchtiger Verräther!«

Der Tschetschenze hatte zornsprühend die Hand an den Handjar im Gürtel gelegt, wie, als wolle er seine Drohung mit der Waffe durchsetzen, doch sein Gefährte Muhrad Ben Hassan legte die Hand aus seinen Arm.

»Halte ein, o Ali, mein Bruder,« sagte er, »denn der Prophet verbietet Zorn und Streit unter den Kindern eines Volkes. Du aber, Jüngling, sage uns, welcher Eid Dich bindet?«

»Ich schwor dem Kaiser der Moskowiten Treue und Gehorsam als Soldat.«

»So thust Du Recht, Dich zu weigern, denn der Koran sagt, das ein freier Eid ein heilig' Ding sein müsse dem Gläubigen, auch gegen den Feind. Der Imam wußte nicht, daß Du schon der Fahne des schwarzen Czaren geschworen. Er wird traurig sein, daß sein Auge den Sohn nicht sieht, aber er wird ein Mittel finden, ihn aus der Knechtschaft zu lösen. Lebe wohl, Sohn unsers Fürstenstammes, – denn mein Ohr vernimmt das Nahen fremder Männer und Rosse, und man soll uns nicht in Deiner Nähe finden. Möge der Prophet Dich schützen, bis wir uns wiedersehen in den Schluchten des Elbrus.«

Er legte die Hand an Haupt und Brust im morgenländischen Gruß und barg das blutige Tuch in seinem Gewande. Dann verließ er mit Ali den jungen Mann und setzte sich entfernt neben den Jäger.

Sein scharfes Gehör hatte den Bergbewohner nicht getäuscht, ehe eine Viertelstunde verging, nahten Menschen und Gefähr von der Seite her, wohin der Schlitten des Juden den Grafen und seine schöne Nichte geführt hatte. Sie waren auf dem Wege bereits Leuten vom Schlosse begegnet, die der Fürst auf den Schein des Brandes ausgeschickt hatte. Der Graf sandte mit ihnen den Schlitten des Juden zurück und hatte in einem solchen vom Schlosse die Fahrt dahin fortgesetzt.

Djemala-Din verweilte so lange auf der Brandstätte, bis die verkleideten Tschetschenzen mit dem Juden ihren Rückweg angetreten hatten und seinen Blicken entschwunden waren. Nicht sein Herz begleitete sie zur fernen Heimath – es flog den nächsten Stunden entgegen, nach einer anderen Seite hin. Mit dem wackeren Jäger sprengte er gleich darauf, den Schmerz der Wunde nicht achtend, [150] auf den vom Schloß gekommenen Pferden dahin, den Reitern und ihren Gefährten überlassend, die Gefangenen nachzubringen.


Das heilige Weihnachtsfest war vorüber – die Gäste hatten das Schloß des Fürsten verlassen, nur Graf Lubomirski mit seiner Nichte war bei dem alten Freunde, und Lieutenant Djemala-Din bei dem gastfreien Schloßherrn gezwungen zurückgeblieben, da sein Wunde durch die Kälte des Wintermorgens und den scharfen Ritt verschlimmert worden, so daß ein heftiges Wundfieber eingetreten war und er mehrere Tage daniedergelegen hatte.

Das alterthümliche Schloß des Fürsten, noch zur Zeit August's des Starken erbaut, lag mitten im Walde, entfernt fast von der Civilisation und dem Verkehr der Welt; nur ein Mal verließ es alljährlich der Eigenthümer, um in Warschau oder Moskau einige Wochen zuzubringen. Er beobachtete streng diese Besuche, um sich dort den Gewalthabern zu zeigen und so jeden Verdacht gegen sich zu entfernen, da er, als einer der Führer des Aufstandes von 1831, nur durch die Gnade des Kaisers Amnestie und die Erlaubniß erhalten hatte, auf seinen Gütern in Volhynien zu leben. Aus diesem Grunde und mit der dem hohen polnischen Adel eigenen unbeschränkten Gastfreiheit, selbst gegen den Unwillkommenen, ja, den Gegner, unterhielt er auch fortlaufenden Verkehr mit den Offizieren der nächsten Garnisonstädte, die bei jeder Gelegenheit heitere Gäste auf dem fürstlichen Schlosse waren.

Die kleine Gesellschaft war in der alterthümlichen, ziemlich großen Speisehalle im Parterre des Schlosses versammelt. Die dunkle eichene Täfelung der Wände, die Stuckatur an der Decke, die Waffen und Jagdtrophäen an den vier Wänden und die beiden großen stubenartigen Kamine an den Enden der Halle gaben ihr ein ehrwürdiges alterthümliches Ansehen. Unter den Waffengruppen befanden sich selbst mehrere slavische Rüstungen früherer Jahrhunderte, als die Zeit der Erbauung datirte, und eine Menge Trophäen und türkischer Waffen aus der Heldenschlacht Sobieski's vor dem erretteten Wien.

Eine große eichene Tafel in der Mitte der Halle lief fast die Hälfte derselben entlang. Sie war jedoch jetzt, der Abend dämmerte bereits, noch unbenutzt, und von den Anstalten für die Abendmahlzeit [151] noch Nichts zu bemerken. In den beiden Kaminen dagegen flammte und brannte es lustig von mächtigen Eichenkloben, eine angenehme behagliche Wärme durch den weiten Raum verbreitend. Von Zeit zu Zeit hob einer der Diener, die am Eingang der Halle sich aufhielten, den großen, den Zugang verschließenden türkischen Teppich, schlich mit leisem katzenähnlichem Tritt durch das Gemach und schürte das Feuer, oder verrichtete irgend eine andere Hilfsleistung. Das Gespräch in den beiden Gruppen, die den Saal belebten, wurde französisch geführt, und sein Gang daher nicht durch das Kommen der Diener unterbrochen.

Am Kamin zunächst des Einganges saßen der Graf und sein Wirth, Letzterer ein hoher Fünfziger mit weißem Haar und klugem aufgewecktem Gesicht. Beide waren im Schachspiel begriffen, während dessen sie sich in langen Pausen unterhielten.

»Sie haben mir selbst zugestanden, lieber Graf,« sagte der Fürst, »daß in dem Augenblick der Gefahr, als Sie mit dem Schurken Boris kämpften, nach dem ich vergeblich habe fahnden lassen, die Verwünschung des Soldaten gegen Sie, seinen alten Führer von Grochow und Ostrolenka her, Sie überrascht, ja, fast gelähmt hat. Doch ich wiederhole es Ihnen, dies war nicht die Stimme eines einzelnen Mannes, es ist leider die Stimme des Volkes! Ich habe vielfach Gelegenheit gehabt, sie zu prüfen und hauptsächlich durch die Resultate, die ich da fand, bin ich zu anderen Ansichten in der Politik bekehrt worden. Die Revolution von 1831 hat dem Volk selbst wie dem Adel nur verderbliche Folgen gebracht. Der gemeine Mann, dem eine einfache, aber scharfe Auffassung selbst auf seiner niedrigen Kulturstufe nicht abzustreiten ist, meint, er habe sein Blut nur für den Ehrgeiz des Adels vergossen, im besten Fall Nichts zu hoffen gehabt und sei jetzt schlimmer daran denn zuvor. Er giebt – und Sie wissen selbst, nicht mit Unrecht – dem Adel die Schuld, daß wir unterlagen und ist, grade heraus, der ewigen Aufreizungen müde, die es hindern, an sein materielles Wohl zu denken. Dem Volk, lieber Freund, ist es ziemlich gleich, ob der Czar sein Herr heißt, namentlich wen es in dem einen Herrn einen Schutz gegen die Vorrechte der vielen findet. Wir sehen das schlagende Beispiel an den Kronbauern in Rußland. Die Leute revoltirten dort und ließen sich todtschlagen, weil der Kaiser sie nicht kaufen wollte oder konnte. Das wahre Element zur Fanatisirung der Massen war nicht das Nationalgefühl, [152] die russische Tyrannei, die kein Jota harter war, als sie's früher hatten, sondern die Religion, die Kirche. Wo diese Hand in Hand mit der politischen Propaganda ging, waren große Erregungen und Erfolge gesichert.«

»Und ist der katholische Glaube weniger gefährdet in der, Gegenwart, droht die orthodoxe Kirche weniger mächtig wie vor zwanzig Jahren? Sind nicht vielmehr grade ihre Uebergriffe und Forderungen ein Fundament dieses Krieges, welcher bestimmt ist, Europa eine andere Gestalt zu geben?«

Lubienski lächelte bedächtig.

»Ich weiß wirklich nicht, Graf, ob ich annehmen soll, daß ein Mann wie Sie, der tief in das Räderwerk des politischen Getriebes und der socialen Entwickelung geschaut zu haben scheint, für einen der Hauptfactoren blind gewesen sein sollte?«

»Wie meinen Sie das, Fürst?«

»Ich meine, daß seit zwanzig Jahren sich ein wesentliches Element der Volkserregung geändert hat, der Glauben an das Heilige. Unsere Revolutionaire seit 1789 haben ihr eifrigstes Bemühen darauf gerichtet gehalten, die religiöse Gläubigkeit und Ehrfurcht im Volke mit Füßen zu treten und zu vernichten. Der Liberalismus hat geglaubt, zu seinem Halt zunächst die Geister von den Fesseln der Religion befreien, seine sogenannte Aufklärung in die Herzen der Jugend pflanzen zu müssen. Was ist seit 1830 von den Propaganden in Paris und London anders geschehen, als schonungslose Maltraitirung der religiösen Gefühle der Völker? Die heranwachsende Generation lohnt dies Bestreben. Mit der Religiosität des Volkes schwindet unbedingt auch das Nationalgefühl. In Spanien, wo man die Kirche ihrer Güter und Würden beraubt hat, wird kein Heldenkampf mehr stattfinden wie 1809, als die Priester das Kreuz in der Hand dem Volke voran gingen. Was macht die Unzahl der Rebellionen in Frankreich, die Nichts geschafft haben, als augenblickliche Gewalt, – als nur die erlangte Unfähigkeit einer gewaltigen höheren Idee? Woran scheiterten die Bewegungen von 48 in Polen, Ungarn, Deutschland, Italien? – Doch nur daran, daß es an einer erhebenden Idee fehlte, welche gemeinsam die Masse belebte. Alle Ihre Revolutionen und Revolutiönchen sind im Grunde nur tausend einzelne Intriguenspiele und Kämpfe der einzelnen individuellen Interessen geworden. Die Fähigkeit zur Revolution haben unsere Revolutionaire selbst erstickt.«

[153] »Sie haben nicht ganz Unrecht, Fürst,« entgegnete nachdenkend der Graf, »aber wie wollen Sie diese Theorie auf ein Volk wie das unsere anwenden, dessen Masse die geistige Selbstständigkeit fehlt?«

»Um so mehr, lieber Graf. Glauben Sie wirklich, daß die Herabwürdigung der Kirche in Rom, die Vertreibung es Papstes, die österreichische und französische Occupation des Kirchenstaates so spurlos an der Masse des Volkes, an dem Priesterthum und selbst an den Gebildeteren vorübergegangen sind? – Ich nicht! – Die Heiligkeit, das Ansehen unserer Kirche hat grade durch die liberalen Revolutionen in den durch und durch katholischen Ländern überall verloren. Sie werden schwerlich mehr die Geistlichkeit an der Spitze einer polnischen oder französischen Revolution sehen! Grade durch das religiöse Prinzip und das streng von Oben herab aufrecht erhaltene Anse hen der orthodoxen griechischen Kirche ist Rußland stark, und wir werden vielleicht Gelegenheit haben, Wunder von Aufopferungsfähigkeit der Massen diesem Kriege zu schauen, wenn das eintrifft, was Sie mir mit solcher Bestimmtheit angekündigt haben, die Aufnahme des Krieges gegen Rußland durch Frankreich und England.«

»Die religiöse Apathie kann aber immer nur ein einzelner Grund sein.«

»Sie haben Recht, aber ein wichtiger. Der Liberalismus hat das Volk selbst denken gemacht. Das Denken führt den Zweifel herbei und ist der Tod jedes Enthusiasmus, dessen Mutter allein das Gefühl ist. Man will jetzt einen Nutzen sehen, theils individuell, theils im Ganzen. Man traut den Leuten nicht recht, die sich an die Spitze stellen. Unsere Polen, grade heraus gesagt, trauen dem polnischen Adel nicht mehr, sie haben keine Lust mehr, um unseres Ehrgeizes, unserer Interessen willen das zu opfern, was sie sicher haben.«

»Pfui, Fürst, so gäbe es keinen Nationalstolz, kein Volksgefühl mehr!«

»Die Revolutionaire in Paris arbeiten ja grade darauf hin, dies auszurotten in der allgemeinen Gleichmacherei. Ich gehe aber keineswegs so weit, das zu behaupten, namentlich in unserem Falle nicht. So lange es Haß und Liebe giebt in der Welt, so lange Sprachen und Gewohnheiten die Völker scheiden, wird es auch ein Nationalgefühl, einen nationellen Ehrgeiz geben. Aber er muß [154] richtig verstanden und geleitet werden. Seien wir aufrichtig, Freund. Sie sagen mir: in diesem Krieg, der sich bereitet, und der nach Ihren Intentionen ein europäischer werden soll, – ist die günstige Gelegenheit gekommen, die Selbstständigkeit unserer Nation wieder zu erlangen. Ungarn und Italien sollen sich gleichfalls erheben, Frankreich und England werden uns unterstützen. Aber, mein Freund, wollen wir etwa selbstständig oder, wie Sie es nennen, frei werden, – leerer Name, der reiche Mann ist es überall! – um uns von Intriguanten und Ehrgeizigen unserer eigenen Klasse dominiren zu lassen? Selbst damit einverstanden, welche Aussicht auf Erfolg haben wir? Frankreich und England machen wahrhaftig keinen Krieg um unserer Nationalität willen. England will einfach das in Asien und am Bosporus für seine eigenen Interessen immer gefährlicher werdende Rußland schwächen, und der Kaiser Napoleon hat eine alte Scharte und persönliche Beleidigung auszuwetzen und außerdem durch einen solchen Krieg Gelegenheit, seine sehr schwankende Position als Eindringling unter den Fürsten Europa's zu einer befestigten und mächtigen zu machen, so wie sich Heer und Land durch gloire und Interesse zu sichern. Er hat denselben Ehrgeiz wie sein Oheim, nur ist er schlauer und versteht seine Zeit. An eine Unterstützung Polens und Ungarns um ihrer selbst willen, denkt keine der beiden Mächte. Man wird uns wieder als Soldaten brauchen, als Legionaire, ja als Rebellen, aber man bekümmert sich um unser Geschick grade so wenig, wie das Recht des Sultans in Wahrheit die Ursache des Krieges ist. Sie versprechen einen europäischen Krieg, – ich zweifle daran. Er wird einfach ein Turnier einiger Herausforderer sein, – die in ihrem Interesse nicht gefährdeten Staaten werben sich frei halten und dafür sorgen, daß das freilich vielleicht etwas blutige Turnier nicht zu sehr überhand nimmt, sondern in den soliden Gränzen einiger Abzapfung bleibt. – Ich wiederhole Ihnen meine aufrichtige Meinung, jede revolutionaire Schilderhebung Polens gegen Rußland bei diesem Kriege würde zwecklos, nutzlos und ein Unglück für unser Vaterland sein!«

»Ich finde Sie so verändert und umgewandelt in all Ihren Gefühlen und Ansichten,« sagte der Graf finster, »daß ich kaum wage, fortzufahren. Sie, einer der kühnsten und bewährtesten Führer der polnischen Armee, der hundert Mal sein Leben im Freiheitskampfe wagte, – Sie geben Polen, unser Polen auf?«

[155] Der Fürst sah ihn groß an.

»Wer sagt Ihnen das, Kamerad? was giebt Ihnen das Recht zu zweifeln, daß ein Lubienski sein Vaterland geringer liebe, wie Sie? Mein Weg, mein Hoffen und Wünschen sind nur andere geworden, wie die Ihren. Nicht in Rußlands Fall, sondern in Rußlands Sieg sehe ich die Hoffnung unseres Volkes. Wer ein echter Pole ist, sollte nicht mit den Franzosen, den Engländern und Deutschen gegen den Czaren fechten, sondern mit ihm; – so allein gelingt zuletzt die Gründung eines großen sarmatischen Reiches, eines Walles und Sieges gegen das Germanenthum, das uns gefährlicher und verhaßter ist, als das stammverwandte Rußland.«

Der Graf ihm gegenüber athmete tief auf bei dieser Erklärung, es war, als sei ihm eine Bergeslast vom Herzen gefallen.

»Das also ist Ihre Meinung, Fürst?« sagte er nachdenklich und reichte dem alten Freunde die Hand. »Mir war in der That ganz Angst um Ihr polnisches Herz geworden bei den Sophismen, mit denen Sie die Revolution bekämpften. Zwar, Aufrichtigkeit gegen Aufrichtigkeit, ist unser Ziel und Zweck nicht derselbe; denn ich arbeite und wirke für die Befreiung aller Völker vom Joche der Bevorrechteten, und die Erhebung unsers Vaterlandes ist mir nur ein Glied in dieser Kette. Sie aber wollen seine Erhebung als einziges Ziel und durch die Benutzung der Macht, die es unterdrückt. Ich müßte kein Sohn Polens sein, wenn ich nicht auch auf Ihrem Wege ihm den Sieg wünschte. – Schach Ihrem König!« – er that einen raschen Zug in dem vernachlässigten Spiel.

Der Fürst lachte.

»Ich nehme dafür Ihren Springer und stelle die Ordnung wieder her. Halten Sie sich an das Reelle, auch im Plänemachen, lieber Graf, prüfen Sie das Erreichbare und die Mittel dazu. Ohne Winkelzug, die Propaganda in Paris, oder wer sonst Ihnen die Mission an einen alten Freund gegeben, hat sich getäuscht. Ich sehe in einer selbstständigen neuen Schilderhebung Polens kein Glück, würde mich unter keinen Umständen ihr anschließen und ihr sogar entgegentreten. Die Ansichten meiner jüngern Jahre haben zwanzig Jahre vollständig umgewandelt. Uns fehlen alle Aussichten auf Erfolg, ja selbst die Männer; denn dem Prahler Miroslawski werden Sie doch wohl keine Rolle zugedacht haben. Unsere alten Freunde aber sind todt und zerstreut. Bem's Grab ist zur Schmach unserer Nation auf dem türkischen Friedhofe zu [156] Kutahija 6 mit dein Turban geschmückt, Graf Pac ruht wenigstens auf christlichem Kirchhof zu Smyrna. Wo die Nordstürme sich am rothen Felsen von Helgoland brechen, schläft unser Freund Prądzynski; Chlopicki, der uns in's Unglück gebracht, hat das Ende seines Ehrgeizes in der Gruft eines Freundes bei Kralau gefunden. Szembeck und Chlapowski sind getreue preußische Unterthanen und gründen Familienfideikommisse, Krasinski macht's wie ich, Skrzynecki trauert in Brüssel, Chrzanowski, Dembinski, Rybinski und Dwernicki ließen Sie als gebrochene Greise in Paris – wen wollen Sie noch? Geächtet und zerstreut über die Erde hat uns die Revolution – ich will mein Haupt wenigstens im Vaterlande zur Ruhe legen. Ich habe mich mit der Gewalt versöhnt und wiederhole Ihnen, nur in ihr blüht die Hoffnung unsers Vaterlandes.«

»Und Ihr Sohn?«

»Er ist Offizier in des Kaisers Garde mit meiner Bewilligung und denkt wie ich.«

Der alte Propagandist erhob sich finster, doch sein Wirth zog ihn freundlich wieder auf den Sessel zurück.

»Ich habe absichtlich vermieden, mit Ihren Plänen näher bekannt zu werden. Sind wir auch verschiedener Ansicht geworden, so ändert das doch Nichts an der Freundschaft der alten Schlachtgefährten. Bedenken Sie, daß Ihr einziges Kind sich gleichfalls einem Russen verband, Ihr Enkel russische Erziehung genossen hat. Machen Sie den Frieden, den Sie scheinbar mit der Regierung geschlossen, zu einem wirklichen, und wenden Sie die großen Mittel und Quellen, die Ihnen zu Gebote zu stehen scheinen, dazu an, mit Rußlands Hilfe in diesem Kriege ein neues Slavenreich erstehen zu lassen, das von der Donau bis zur Ostsee reicht.«

Der Graf hatte das Haupt sinnend in die Hand gestützt.

»Der Gedanke ist uns nicht neu und, wie ich hier die Verhältnisse finde, über die unsere Agenten uns vielfach getäuscht, – Adel und Volk gegen eine Revolution! wohl einer ernsten Ueberlegung werth. – Vielleicht, Fürst, daß unsere Wege dennoch zusammentreffen! – Lassen Sie uns weiter spielen.« – – –

– – –

[157] Am andern Ende der Halle, so entfernt, um nicht zu stören und nicht gestört zu werden, wurde eine Propaganda in, verführerischerer Form betrieben, als unter den beiden alten Herren. Gräfin Wanda saß dort, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt, am Ruhebett, auf dem der junge Offizier, Schamyl's Sohn, noch bleich und angegriffen, den Arm in der Binde, lehnte, aus einem Buch der Dame vorlesend.

Gräfin Wanda hatte sich von der überstandenen Angst und Gefahr rasch erholt, der elastische schwungreiche Geist, der den Polinnen inne wohnt, hatte sie leicht darüber hingetragen. Ein Eindruck jedoch schien stärkere Wurzel in ihrem Gemüth, ja, selbst in ihrem Herzen gefaßt zu haben: die Theilnahme für ihren Retter vor dem Beil des Mörders, und das romaneske seltsame Schicksal, des jungen Mannes diente nur dazu, den Werth der ritterlichen That noch zu erhöhen. Während ein deutsches Mädchen die Gefühle des regen Interesses und der Theilnahme in der unbewußten Verschämtheit werdender Liebe schüchtern und zurückhaltend gemacht hätten, lag ein solches Gebahren dem Wesen der Polin fern. Ohne Ziererei und Zurückhaltung, aber eben so entfernt von Unweiblichkeit und Unzartheit gab sie sich frei und ungezwungen ihren Empfindungen hin und zeigte ganz offen den Vorzug, den sie dem jungen Mann vor seinen Gefährten gab. Sobald er das Krankenlager wieder verlassen hatte und im Gesellschaftssaal erschienen war, hielt sie sich unbefangen in seiner Nähe, und zeigte ihm durch alle jene zarten Aufmerksamkeiten ihren Dank, durch die ein weibliches Wesen so wohl des Herzens Empfinden auszudrücken versteht.

Die junge Gräfin war der volle Typus der eigenthümlichen polnischen Frauenschönheit. Von kaum die Mittelgroße erreichender Gestalt war ihr Gliederbau voll und zierlich gerundet. Das Gesicht zwischen den schwarzen Locken zeigte ein längliches Oval en face wie im Profil, und jene volle Bildung von Nase und Mund, jene matte seidenartige Farbe, die den polnischen Damen so eigenthümlich ist. Die sarmatischen braunen und beweglichen Augen, deren Farbe mit der Seelenregung ein lichteres und tieferes Dunkel anzunehmen scheint, belebten dies Gesicht. Die kleine Hand und der zierliche Fuß sind Nationalschönheiten der Polinnen.

»Sie sind ermüdet, Herr Lieutenant,« sagte die Gräfin, – »brechen Sie ab und fahren Sie morgen in der Lectüre fort. Lassen Sie uns plaudern und erzählen Sie mir von Ihrer Heimath.«

[158] »Was können die Erinnerungen eines Knaben von einem wilden, traurigen, öden Lande, die ihm ohnehin nur dunkel vorschweben, Gräfin Zerbona interessiren?«

»Liegt nicht in dem Charakter und Kampf unserer beiden Völker eine gewisse Aehnlichkeit? Haben sie nicht einen gemeinsamen Feind, gegen den sie für ihre Freiheit kämpfen? Sind die Söhne beider Länder nicht geborene Krieger – hängen sie nicht mit jeder Fiber ihrer Seele und ihrer Hoffnungen an der Heimath, für die sie so oft ihr Herzblut vergossen haben?«

Das aufsteigende dunkle Blut färbte die Stirn des jungen Offiziers, die Gräfin bemerkte zu spät, daß sie ihn verletzt, und legte ihre Hand freundlich auf die seine.

»Wir Beide, Herr Djemala-Din,« sagte sie, »dürfen uns nicht mißverstehen. Sie haben nicht selbst ihren Weg gewählt, und wenn Sie auch gewiß gleiche Liebe zu dem Lande, das Sie geboren, hegen, wie ich zu dem meinen, muß es Ihnen doch ferner stehen, da sich nur wenige Erinnerungen daran knüpfen, da Sie sein Leiden und Kämpfen nicht selbst geschaut. Mein Volk ist ein gebeugtes, besiegtes, ach – bei aller Begeisterung im Herzen fühle ich es tief! – unwiederbringlich gebrochenes – das Ihre ein unbezwungenes freies, im Heldenkampf begriffen, um die theuersten Güter und siegreich unter der tapferen Hand Ihres Vaters! Sie brauchen nicht seine Freiheit zu wünschen und zu beweinen, denn es hat sie nie verloren!«

Der junge Mann lächelte trübe.

»Wissen Sie auch, Gräfin, was die Freiheit in einem Lande, wie das meine ist? wissen Sie auch, was Freiheit im Orient bedeutet?«

»Sie sah ihn groß an.«

»Frei ist das Volk, das nicht das schimpfliche Joch eines anderen trägt, das nur dem selbst gewählten Führer gehorcht. Frei ist das Volk, wo Jeder sein Recht hat, wo das Recht eines Jeden geehrt und nicht von Fremden mit Füßen getreten wird; wo Sprache, Gewohnheit und Glaube Eigenthum des Volkes sind; wo die Einrichtungen seiner Väter ihm ungekränkt geblieben; wo der Bewohner nicht der Sclave des Unterdrückers ist, sondern wo er sein Blut und seinen Schweiß für den eigenen Heerd vergießt!«

»Wissen Sie auch, Gräfin, daß wir dennoch einen fremden Oberherrn haben, – den Sultan in Constantinopel?«

»Der ist fern – nur ein Schatten!«

[159] »Aber er nennt sich unsern Herrn, – auch der Czar wohnt in Petersburg. Ich habe wenig Erinnerungen an meine Heimath, und doch könnte ich Sie mit dem Wenigen widerlegen. Der Mächtige, der Reiche, Gräfin, herrscht überall, auf den Höhen des Kuban, wie in den Steppen Ihres eigenen Vaterlandes, wo – wie uns die Geschichte lehrt, – der Bauer der unterdrückte Sclave des Edelmannes war. Der Fanatismus schwingt in meiner Heimath seine Geißel blutiger als irgendwo und verfolgt seine Gegner. Dort giebt es Edle und Knechte, wie hier, und die Kluft zwischen Beiden ist noch schärfer. Halten Sie das Volk für frei, das seine eigenen Töchter und Söhne an seine sogenannten Oberherren in Stambul als Sclaven verkauft, ihren Lüsten zu dienen und ihren Befehlen zu gehorchen? Glauben Sie wirklich türkische Despotie leichter als die Herrschaft des russischen Kaisers? sollten wir wirklich für die Eine kämpfen, gegen den Anderen?«

»Spricht Das der Fürstensohn eines freien Volkes?«

»Er spricht es, Gräfin – sein Vater gab ihn fort, und sechszehn lange Jahre hat er keine Heimath gehabt, als das Haus des Kaisers, kein Eigenthum, als das Kleid des Czaren.«

»Und wenn Schamyl, Ihr Vater, Sie wieder forderte, wenn er Sie riefe zum Kampfe an seine Seite?«

Der junge Mann sah sie finster an.

»Er that es – jene Männer, die uns Beide gerettet, waren seine Boten!«

»Und darf ich wissen, was Schamyl's Sohn dem Ruf eines freien Volkes erwiedert hat?«

»Der Offizier antwortete, was seine Pflicht war, – der Fürstensohn, was seine Ehre gebot. Herz und Seele würden ja dennoch zurückbleiben.«

»Dann ist mir eine große Freude versagt,« lächelte Wanda, »ich träumte mir 's so schön, Sie auf jenen Felsenhöhen mir gegenüber zu wissen, wie der Adler horstend und herabstoßend auf silberumpanzertem Roß. Wie stolz wäre ich gewesen, Ihren Namen täglich zu hören, als den gefürchtetsten Helden des Gebirges.«

»Sie, Gräfin – wie meinen Sie Das?«

»Ei, nun, daß ich vergeblich harren werde, daß Djemala-Din, der kühne Führer der Mürditen, in einer wolken-umdüsterten Nacht hervorbricht über den Kuban nach unserm armen Schloß und Wanda davonführt aus der Gewalt der schmuzigen Kosaken.«

[160] »Sie spotten meiner, Gräfin!«

»Wie, wissen Sie wirklich nicht, daß ich nach dem Kaukasus gehe? Sie können mir Empfehlungsbriefe geben an Ihre Vettern und Onkels, da Sie mich doch einmal nicht selbst beschützen wollen.«

»Gräfin Wanda nach dem Kaukasus? Ich beschwöre Sie, enden Sie den Scherz!«

»Ich scherze nicht und glaubte, mein Oheim hätte Sie davon unterrichtet. Eine so gute Polin, wie ich bin, besitze ich doch noch eine ältere Stiefschwester, die es nicht ist. Sie ist die Gattin des Obersten, Fürsten Tscheftsawadse, und wohnt mit ihm im russischen Gränzgebiet am Kuban, wo er kommandirt. Ich bin auf dem Wege dahin, da meine bisherigen Verhältnisse sich geändert; – mein Oheim begleitet mich bis Odessa, von wo mein Schwager mich abholen läßt. Begreifen Sie nun, daß ich hoffte, von Ihnen dort zu hören?«

Der junge Tschetschenze war bleich wie der Tod geworden, – seine gesunde Hand zuckte krampfhaft nach dem Herzen – sein großes dunkles Auge rollte wie irr über das Mädchen, während er sich auf dem Sopha emporgerichtet hatte.

»Sie nach dem Kaukasus – und ich hier? – Großer Gott, ich glaubte, Sie kehrten nach Warschau zurück!«

»Was ist Ihnen, mein Freund? – fassen Sie sich – man wird auf uns achten.«

Er blickte wild um sich.

»Was kümmert mich Ihr Oheim – was der Fürst! Ich Thor, der ich war – fort, ihnen nach, daß sie meinem Vater sagen: sein Sohn ist bereit! – Und meine Ehre – mein Eid – –«

»Sie sind außer sich – was kümmert Sie ein elternloses Mädchen, das in Ihrer fernen Heimath, die Sie nicht mehr lieben, eine Zufluchtsstätte finden soll?«

»Ich, Djemala-Din, mein Vaterland nicht lieben, wo Sie sind, – ich Sie nicht wiedersehen – Sie, Wanda?« er preßte krampfhaft die Hände in einander und gegen die Brust, daß der Verband des Armes sich löste und ein purpurner Strom herausschoß – »beim Blute Schamyl's weigerte ich meinem Vater den Gehorsam! Beim Blute Schamyl's! Wanda, am Elbrus sehen wir uns wieder!« und ohnmächtig sank er zurück auf das Ruhebett. – –

Fußnoten

1 Benennung der niederen polnischen Schänken.

2 Polnisch: Der Teufel mag Dich holen!

3 Hundssohn.

4 Mögen die Teufel Deine Mutter quälen! – ein gebräuchlicher polnischer Fluch.

5 Möge der Teufel Dich holen!

6 Stadt in Kleinasien, 15 Meilen von Brussa. Bem trat bekanntlich in Widdin zum Islam über; sein treuer Begleiter und Diener, der Artillerie-Sergeant Janek, der Wächter seines Grabes, erzählt den Reisenden, daß er als guter Katholik gestorben.

Der Aufruhr
[161] Der Aufruhr.

Während der Schlachtendonner bereits an der Donau und an den Küsten Klein-Asiens tobte, trieb die europäische Diplomatie noch immer ihr listiges Spiel, gleich als gälte es, nicht nur die Völker, sondern sich selbst zu täuschen. Jeder Einsichtsvolle in ganz Europa fühlte und wußte, daß der Krieg zwischen den Westmächten und Rußland unvermeidlich sei, daß er das Ziel aller Einmischung und aller Intriguen, der Zweck aller Vorbereitungen war, und dennoch flogen täglich die Couriere nach allen Richtungen, dennoch wurde Project auf Project, Vorschlag auf Vorschlag gehäuft für Ausgleichung und Frieden, und die Höfe von Berlin und Wien schwelgten in Vermittelungen.

Zwei Männer allein in Europa wußten, was sie wollten: der Kaiser Louis Napoleon in Paris und Lord Palmerston in London; denn auch dem Giganten des Nordens, dem Czaren Nicolaus, begannen die Ereignisse über das hochgetragene Haupt zu wachsen, sein Glück, sein Stolz und seine Diplomatie hatten ihn getäuscht. Nur das Vertrauen auf sich selbst und sein Volk und der ungebeugte Muth wankten nicht.

Wir haben den Gang der politischen Verhandlungen am Schlusse unsers ersten Bandes bis zum Ende des Monats October geführt, und nehmen sie dort zu kurzem Ueberblick wieder auf.

Noch immer tagte die wiener Conferenz. – Die englische Regierung hatte am 1. und 2. November das österreichische und preußische Cabinet aufgefordert, daß unter Beseitigung der andern Vorschläge die Großmächte sich über einen von Lord Stratford am 21. October mit den andern Gesandten in Constantinopel aufgestellten [162] und abgesandten Notenentwurf vereinigen möchten, da man annehmen könne, daß dieser der Pforte annehmbar erscheinen werde. In der Conferenz der vier Gesandten in Wien am 3. wurde dieser Entwurf vorgelegt, der österreichische, preußische und französische Bevollmächtigte erklärten jedoch diese Vorschläge bei der veränderten Sachlage nicht mehr für geeignet und Rußland hielt nach der Kriegserklärung und Eröffnung der Feindseligkeiten zur Beendigung des Streits einen feierlichen Friedensvertrag für nöthig.

Dagegen lehnte die französische Regierung einen vom Grafen Buol am 25. October gemachten Vorschlag ab, welcher eine Verständigung zwischen Rußland und der Pforte über Wien intendirte.

Graf Buol schlug nun unterm 6. vor, daß die Conferenz eine Note entwerfen möge auf Grund der olmützer Verhandlungen. Diese Note würde die Pforte auffordern, zu verhandeln und selbst anzugeben, unter welchen Formen und Bedingungen. Zugleich müsse Waffenstillstand verlangt werden. Die englische und französische Regierung ertheilten auch bis zum 11. November ihre Genehmigung zur Abfassung einer solchen Note. Ehe es aber zu derselben kam, hatte das österreichische Cabinet die auf ein früheres Project (vom 6. October) von Rußland gemachten, von den Westmächten aber nicht genehmigten Gegenvorschläge an seinen Gesandten nach Constantinopel gesandt, mit der Instruction, sie bei der Pforte zu unterstützen.

Unterdeß that der englische Gesandte das Gleiche mit einem ihm unterm 24. October übersandten Plan seines Cabinets, dem auch Frankreich zugestimmt hatte. Reschid Pascha erklärte, daß er vor zwei Monaten noch annehmbar gewesen, jetzt aber nicht mehr.

Man sieht hieraus, daß nicht weniger als vier Ausgleichungsprojecte in demselben Augenblick sich kreuzten:


Die russischen Vorschläge vom 17. October von Oesterreich in Constantinopel abgesondert unterstützt;

der Vorschlag des österreichischen Cabinets vom 6. November;

der ältere von Lord Stratford (unterm 28. September und – 1. October) vorgeschlagene, von den Westmächten unter'm 24. October genehmigte Plan;

der neue Entwurf von Lord Stratford bei der mißglückten Verschiebung der Feindseligkeiten unterm 21. October von Constantinopel aus gemacht.


[163] Sie alle ergingen sich hauptsächlich über die Art und Form der Ausgleichung und schadeten natürlich einer dem andern, wie viele Köche immer den Brei verderben.

Unterdeß waren die Flotten in den Bosporus eingelaufen und die Schlachten bei Oltenitza und Gümri geschlagen und ungünstig für die Türken ausgefallen.

Frankreich stimmte möglichst Allem und Keinem zu und wartete ruhig des Augenblicks. An Stelle des französischen Gesandten in Constantinopel, de Lacour, war General Graf Baraguay d'Hilliers seit dem 12. November gekommen.

Die englische Regierung trat nunmehr mit einem fünften Project vom 16. November auf, dem die andern Großmächte beistimmten. Die wiener Conferenz adoptirte dasselbe und die Gesandten in Constantinopel legten die neue Erfindung vor, welche die wichtige Mittheilung machte: daß der Bestand der Türkei innerhalb der ihr von den Verträgen bezeichneten Gränzen eine der nothwendigsten Bedingungen des europäischen Gleichgewichts sei! Reschid-Pascha – in Angst gesetzt durch den Schrecken von Sinope – hatte nichts Eiligeres zu thun, als unter der Hand seine Zustimmung zu geben.

Aber gerade das Unglück von Sinope war der Wendepunkt, auf welchen man lauerte, um in den Augen Europa's mit einigem Anstand und Gewissen den thätigen Protector der Türkei spielen zu können. Gleich am Tage nach dem Eintreffen der Schreckenskunde – während Haufen der griechischen Bevölkerung durch die Straßen von Pera und Galata ras'ten mit dem Rufe: »Es lebe unser Kaiser Nicolaus!« – am 3., sandten die Vertreter Englands und Frankreichs zwei Schiffe des vereinigten Geschwaders, die »Retribution« und den »Mogador« nach Sinope ab, um weitere Kunde zu bringen. Sie kehrten mit der Nachricht der völligen Niederlage und etwa 150 Verwundeten – dem Rest von fast 5000 Mann, zurück. Das türkische Ministerium hatte bereits am 4. die Gesandten ersucht, die alliirte Flotte in's Schwarze Meer einlaufen zu lassen. Während dieselben auf der einen Seite sich dazu bereit erklärten, sprachen sie auf der andern wieder ihre Ansicht dahin aus, daß die Türkei das Unglück durch ihr Vorgehen selbst verschuldet habe. Man wußte ja noch nicht, wie man in Paris die Sache aufnehmen werde! Hier aber glaubte man die Zeit gekommen und eine energische Aufforderung an die englische [164] Regierung (v. 15.) verlangte, daß die Admirale dem Kommandanten von Sebastopol erklären sollten, daß jedes russische Kriegsfahrzeug durch die Flotten nach den russischen Häfen zurückzufahren genöthigt, und jeder Angriff auf türkisches Gebiet oder Truppen mit Gewalt zurückgewiesen werden würde. Wir werden später sehen, welche wichtige Klausel sich das Cabinet der Tuillerieen dabei bewahrte.

Unterdeß, da die Beschlüsse von Paris und London in Constantinopel noch nicht bekannt sein konnten, hatten die Gesandten dort nicht umhin gekonnt, auf Oesterreichs und Preußens Drängen die Verhandlungen über den letzten Vermittelungsvorschlag fortzusetzen, und der große Rath der Pforte beschloß ganz unerwarteter Weise, daß auf Grundlage der von den Gesandten proponirten Bedingungen die Friedensunterhandlungen eröffnet werden sollten. Dies geschah, wie wir später sehen werden, am 18. und 19.

Werfen wir, ehe wir weiter gehen, noch einen kurzen Blick auf die augenblickliche Stellung auf dem Kriegsschauplatze an der Donau.

Während der Czar die allgemeine Mobilmachung der Armee befohlen, war die Türkei bereits zur Aushebung des zweiten Aufgebots in Rumelien genöthigt. Der Sultan hatte erklärt, im Frühjahr selbst in's Feld ziehen zu wollen, und es wurden Anstalten für ein großes Lager bei Adrianopel getroffen. Aus Egypten und Syrien, aus Albanien und Bosnien strömten fortwährend Zuzüge irregulärer Truppen, die sogenannten Baschi-Bozuks, herbei und bildeten in babylonischer Verwirrung Elemente der türkischen Armee, die kaum durch die eifrigsten Bemühungen der unteren Führer, fast sämtlich polnische, ungarische und andere Renegaten und Flüchtlinge, zu einiger Ordnung und Verwendung gebracht werden konnten. Von Disciplin war natürlich fast gar nicht die Rede und man sah sich genöthigt, die regulairen Truppen möglichst von diesen Freischaaren zu sondern.

Um die Mitte des December begann sich das Corps des General Dannenberg der kleinen Walachei zu nähern, und es zeigte sich deutlich, daß ein Angriff aus Kalafat beabsichtigt war.

Von Bukarest waren zwei Scharfschützen-Bataillone und die Brücken-Equipagen gegen Braila abgegangen, um die dort zwischen beiden Ufern befindlichen Donauinseln zu besetzen.

Gegen Matschin hatte am 13. ein verunglückter Angriff der [165] Russen mit Kanonenböten unter General Lüders stattgefunden. Desgleichen waren zwischen dem 15., 16. und 17. auch bei, Silistria bereits wiederholt kleine Vorpostengefechte vorgekommen, indem das russische Feuer die türkischen Transportschiffe an der Truppenbeförderung nach den Häfen verhinderte. Die Kosakenpikets setzten wiederholt über die Donau und streiften bis in die Nähe der Festung.

Die Stellung der beiden Armeen an der Donau war demnach gegen Ende December folgende:

Das Hauptquartier des türkischen Generalissimus befand sich in Rustschuck, das fleißig verschanzt wurde. Hier concentrirte sich das Centrum des Heeres. Die Festung selbst, unter Befehl von Said-Pascha, hatte 3400 Mann Besatzung. An ihrer Südseite, noch im Bereich der Kanonen, befand sich ein befestigtes Lager mit 5000 Mann Nizam unter Mahmud-Pascha und 2000 Mann Redifs. Unmittelbar an diesem Lager campirten 4000 Arnauten unter Selim-Pascha, die Kavallerie auf der Straße von Rustschuck nach Hesargrad, wo die 29,000 starken Reserven des Centrums standen. – Den äußersten linken Flügel bei Kalafat bildeten circa 50,000 Mann, von denen 20,000 in Kalafat selbst unter Achmet-Pascha, 10,000 auf der Donauinsel Smurda postirt waren. Selim-Pascha 1 befehligte in Widdin.

Die Communication der Insel mit dieser Festung war längere Zeit durch das Treibeis behindert. Die Verbindung zwischen Rustschuk und Widdin bildeten 18,000 Mann in Lom, Rahova und Nicopolis. – Den rechten Flügel kommandirte Halil-Pascha, von Silistria bis Matschin circa 45,000 Mann. Den Trajanswall von der Donau bis in's Schwarze Meer vertheidigte Ismael-Pascha.

Die Stärke der Türken auf der weit ausgedehnten Donaulinie betrug somit circa 123,000 Mann ohne die bei Schumla aufgestellten Reserven.

Die Russische Donauarmee war zur Zeit unbedeutend schwächer, dagegen Herr der Situation und zur Offensive bereit. Dem rechten Flügel der Türken stand jetzt General-Lieutenant Lüders in Braila mit 23,000 Mann gegenüber und bedrohete Heu Uebergang bei Matschin. Das Centrum mit 45,000 Mann stand unter dem [166] Oberbefehlshaber Fürsten Gortschakoff, der noch immer sein Hauptquartier in Bukarest hatte, und den linken Flügel, etwa 34,000 Mann, kommandirte jetzt mit den Divisionen der Generale Fischbach und Dannenberg von Krajowa aus General-Lieutenant Anrep, der Kommandant der russischen Avantgarde beim Einrücken in die Fürstenthümer. Somit betrug die russische Macht etwa 112,000 Mann. Das Einrücken des dritten Osten-Sackenschen Corps, um die Positionen in der Moldau und der großen Walachei einzunehmen, hatte bereits begonnen.

Diese beiderseitige Situation und Machtentwickelung war offenbar nur die eines Vorspiels und konnte zu keiner wirklichen Entscheidung führen. Die russische Armee war, – wenn ihr das Meer versperrt wurde, – viel zu schwach, um über den Balkan gegen Constantinopel vorzudringen, denn die Erfahrungen von 1828 belehrten sie, daß ein solcher Sieg zu theuer erkauft werde, und das türkische Heer befand sich offenbar in einem Zustande, daß es auf einer so ausgedehnten Linie auch die Defensive nur durch die große Terrainbegünstigung halten, an eine Offensive aber nicht denken konnte. Der türkische Soldat der Neuzeit ist trefflich zur Vertheidigung, – schlecht und unbeholfen zum Angriff.

Wir haben bereits erwähnt, daß der große Rath der Pforte sich für die Vorlage der Gesandten ausgesprochen. Derselbe – der Divan oder die Staatskanzlei(Menacybie-divaniie) steht außerhalb des Ministerraths, der Regierung und des Reichsconseils, und umfaßt diejenigen obern und untern Beamten, die manKalamice (von der Feder) nennt. Die im Divan sitzenden Beamten zerfallen in fünf Rangklassen, deren oberste mit dem Ferik (Divisionsgeneral) rangirt. Am Divan nehmen auch die Exminister und Würdenträger und die gerade in Constantinopel anwesenden Pascha's Theil. Er entscheidet nicht, sondern theilt blos seine Nachschläge mit. – Der Divan hatte im October die Kriegserklärung berathen, jetzt nach dem Unglück von Sinope und den Nachrichten aus Klein-Asien war er von Reschid-Pascha berufen, um über die Friedensunterhandlungen seine Meinung abzugeben.

Als Grundlagen derselben wurde von der Note der Gesandten aufgestellt:


1. Möglichst schnelle Räumung der Donau-Fürstenthümer.

[167] 2. Erneuerung der alten Verträge.

3. Neue Garantieen für die erlassenen Firmane in Betreff der christlichen Bevölkerung an die Gesamtmächte.

4. Sicherung der Arrangements über die heiligen Orte in Jerusalem.

5. Waffenstillstand und Ernennung eines türkischen Bevollmächtigen zur Unterhandlung mit Rußland unter Mitwirkung der Mächte und in einer von diesen zu bestimmenden neutralen Stadt.

6. Wiederholung der Zusicherungen der Mächte bei dem Vertrage vom 13. Juli 1841 über die Integrität der Türkei.

7. Versprechen der Pforte, ihre innere Verwaltung den Zeitverhältnissen und den Rechten ihrer Unterthanen angemessen zu ändern.


Diese Punkte entsprachen zwar keineswegs den ursprünglichen Forderungen Rußlands, enthielten aber auch Nichts, was der Aufnahme von neuen Verhandlungen entgegengestanden hätte. Das schärfere Auge konnte darin nur die Absicht der Diplomaten, zu laviren, erblicken. Dies Mittel galt natürlich blos den Augen der Menge, es war ein Schauspiel, was man Anstands halber aufführte, um die schwache schwankende Regierung des Sultans über die wirklichen Absichten zu täuschen. Die Rollen in dem Drama waren bereits vertheilt und die bewegenden großen Factoren: die revolutionaire Propaganda, die persönlichen Pläne des Kaisers der Franzosen, und die englische Eifersucht auf Rußland, reichten einander die Hände zum Bündniß.

Der türkische Fanatismus wurde vorläufig zum Mittel bestimmt, die geheimen Zwecke zu verfolgen und den Sultan gefügig zu machen. Es war dringend nothwendig geworden, zu einem solchen Eclat zu greifen.

Der Leser hat am Schluß des ersten Bandes und in den ersten Kapiteln des gegenwärtigen einen Einblick gethan in die Intriguen des Harems und deren Wirkung auf den Gang der türkischen Politik. Der Sultan, von Anfang an ein Gegner, des Krieges und eben nur durch die Einwirkungen des englischen und französischen Gesandten hin und wieder zu einem entscheidenden Entschluß gezwungen, neigte sich offenbar im Geheimen zur Verständigung mit Rußland. Unter seinen Vertrauten war der alte Chosrew-Pascha, dieser in seinem Mannesalter einst so berühmte [168] Intriguant. Um ihn schloß sich daher jetzt auch fester die Friedenspartei.

Reschid-Pascha, dieser Mann aller Fractionen, der französirte Türke und das gefügige Werkzeug der Machthaber im entscheidenden Augenblick, zugänglich allen Eindrücken und von keinem bestimmten Entschluß und Plan geleitet, hatte auf das energische Drängen des österreichischen Internuntius, Freiherrn von Bruck, nicht vermeiden können, den großen Rath zu versammeln, um über die mehrerwähnte Vorlage der Gesandten zu verhandeln. Es war dies am 17. geschehen, und die Kriegspartei, den Seraskier und den ältesten Schwager des Sultans, Mehemed Ali, an der Spitze, rechnete mit Sicherheit auf einen Beschluß, ähnlich dem am 26. September, welcher sich für die Kriegserklärung, entschied.

Baron von Oelsner hatte jedoch seine Zeit nicht verloren.

Die Sitzung am 18. war stürmisch, und der Seraskier fand einen unerwarteten Widerstand in Chosrew und seinem Anhang.

»Man wirst mir vor, daß ich ein Russenfreund sei,« rief der alte Veteran des Kabinets und der Schlachten. »Wohl, ich bin für den Frieden. Aber wenn mein Bart nach russischem Pulver riecht, so duftet der Eure nach französischen Salben!«

Der Divan ging auseinander, ohne zu einem Entschluß gekommen zu sein.

An diesem Abend warteten die Sultana und Nausika, die Odaliske des Sultans, die Tochter des Janos, vergebens auf das Erscheinen des Großherrn.

Es war bereits zehn Uhr Abends, also etwa vier Uhr nach türkischer Zeitrechnung, als vom goldnen Horn her ein großes Kaik seinen Weg nach Tschiragan nahm und eine ziemliche Strecke weit über den Palast hinaus anlegte. Drei in kurdische Mäntel gehüllte Personen stiegen aus und schienen von einem Offizier der schwarzen Eunuchen des Sultans am Ufer erwartet zu sein, denn – ein solcher verbeugte sich alsbald tief vor ihnen und schritt dann vor ihnen her, nach den Höhen zu, die sich hinter dem Palais erheben und die Gärten desselben bilden, den einzelnen Wachen ein Loosungswort zuflüsternd, das sie ungehindert passiren ließ. Der Weg führt hinter Tschiragan auf Arnaudkoi zu terrassenartig steil in die Höhe, oft geht man zwischen Felswänden, oft zwischen 30 Fuß hohen Mauern, welche die Gärten des Sultans vor jedem fremden Blick schützen. Erst auf der Höhe kann der Blick sich frei und weit entfalten [169] und umfaßt den untern Bosporus bis rechts nach Skutari hin und links zum Thurm von Anatoli Hissar, dem asiatischen Schloß.

Auf der Höhe dieses Berggipfels steht ein in italienischem Styl gebautes, ziemlich großes elegantes Haus. Die Stürme des Pontus und die linden Zephyre des Südens umspielen seine Mauern, und die feurige Sonne des Orients brennt in seine Jalousieen und auf seine Balkone. Es liegt auf einer der schönsten Stellen von Gottes schöner Erde und ist die Wohnung zweier Deutschen, des Obergartendirektors des Sultans und seines Substituten, beides geborene Baiern. Auch die Posten der Gehilfen und Untergärtner sind meist von jungen Deutschen bekleidet.

Das Haus steht in einem gleichfalls von einer hohen Mauer umgebenen, aber möglichst nach europäischer Art eingerichteten Garten, der unmittelbar an den des Großherrn stößt. Eine gleiche Mauer, durch welche ein einziges schmales Pförtchen führt, zu welchem nur der Obergärtner und sein Stellvertreter den Schlüssel haben, trennt sie.

In dem Augenblick, wo wir die Vier hier hinauf begleiten, lag freilich nicht der Glanz hellen Sonnenscheins, des Frühlings oder Herbstes über jener herrlichen Aussicht, aber deshalb war sie nicht minder reizend im bleichen Lichtstrahl des Mondes, der ohnehin die Eigenschaft hat, die Farben aufzuzehren, und desto großartiger die Formation und Plastik in Licht und Schatten hervortreten zu lassen. Ein weißer Reif, auf den Felsenplateau's selbst eine dünne Schneedecke, lag über dem ganzen Bilde, und der schmale Wasserspiegel, nach Stambul hin sich öffnend, glänzte – wo er aus dem Schatten der Bergwände trat – gleich einem Silberband.

Doch war es nur Einer von der Gesellschaft, der diesem herrlichen Anblick einige Augenblicke widmete, der bereits mehrfach erwähnte deutsch-französische Baron, der sich auf der Höhe des Plateau's umwandte und, seine Gefährten weiter gehen lassend, die Augen über dies Eden der Nacht schweifen ließ. Dann folgte er ihnen rasch, denn die egoistischen Gedanken des Ehrgeizes, des Interesses und der Sorge in der eigenen Brust machen den Menschen gleichgültig für die Herrlichkeiten des Allmächtigen um ihn her. Der beste Beweis in der schneidend bittern Weise Larochefaucaulds, daß der Mensch alles Erschaffene für sich erschaffen glaubt. –

[170] Das Haus mit seinen Umgebungen war still und öde, am Zugang hatte ihnen der Obergärtner selbst das Thor geöffnet, wieder geschlossen und war dort zurückgeblieben. Der Eunuch führte sie quer über den Platz zu dem Pförtchen, das sich in die Gärten des Großherrn öffnete und klopfte in eigenthümlicher Weise an dasselbe. Sogleich wurde es geöffnet, sie traten ein und fanden sich dem Tschannador-Aga gegenüber, der sie mit einer schweigenden Verbeugung empfing und vor ihnen herschritt. Die Pforte wurde von dem Eunuchen wieder geschlossen und er lehnte sich, den Säbel ziehend, außen an dieselbe, um jede Annäherung zu verhindern.

Der Aga ging vor der schweigenden Gesellschaft durch die seltsamen gewundenen Gänge des Gartens her, und sie stiegen mehrere Terrassen hinab. Obschon der Winter die Vegetation erstarrt, die Bäume entblättert hatte, konnte man im hellen Lichte des Mondes doch die eigenthümliche Ausstattung und Einrichtung des Ortes um so mehr ersehen, als das sonst so belebende Grün in den türkischen Gärten eben nur Nebensache ist, und der Baron – der zum ersten Mal diesen sonst unzugänglichen Ort betrat – benutzte die Gelegenheit zum Umschauen. Auf dem natürlichen Felsen der Bergwand waren vielfach künstliche Felsgruppen in seltsamen phantastischen Formen angebracht, große Marmorbecken fingen in der bessern Jahreszeit Cascaden von Wasser auf, oder bildeten die bei den Türken so beliebten Springbrunnen. Pagoden und wunderliche in Arabesken und Schnörkel verlaufende Thiergruppen, bunt bemalt, standen überall. Wo der Wind den Reif und Schnee von den Gängen und Rabatten hinweggefegt, sah man diese mit bunten Steinen, Muscheln und Porzellan eingefaßt; zahlreiche Grotten, Kiosks, Tempel, chinesische Dächer und Pavillons in den baroksten Formen mit reicher Vergoldung und Malerei waren überall ziemlich ordnungs- und geschmacklos angebracht.

Nach einem der letztern von größerem Umfange wendete die Gesellschaft die Schritte. Zwei Tschannadors hielten die Wache am Eingang, durch welchen jetzt die Fremden das Innere betraten; ähnliche dunkle Gestalten bewegten sich um das Gebäude. Sie befanden sich hier in einem erleuchteten und von Kohlenpfannen erwärmten Vorgemach, wo sie die Mäntel ab legten und sich der Stiefel entledigten, um nach türkischer Sitte die Füße mit weichen Pantoffeln zu bekleiden.

[171] Die beiden Begleiter des Barons zeigten sich jetzt als zwei Moslems, der Eine ein Greis mit langem grauem Bart, listigen Augen und kühn hervorspringender Nase, der Andere als ein stattlicher Mann von einigen dreißig Jahren mit geistreichen und lebendigen Zügen.

Nach kurzer Zögerung für die Toilette der Eintretenden verschwand der Aga durch den Vorhang der gegenüber liegenden Thür, erschien dann auf's Neue und gab den Harrenden den Wink, sich zu nähern. Er selbst blieb im Vorgemach zurück.

Das Gemach, in das sie traten, füllte mit Ausnahme des kleinen Vorzimmers die ganze Rundung des Pavillons. Es war von einer Krystallkrone erleuchtet und gleichfalls von silbernen Kohlenbecken durchwärmt, aus denen zugleich der leichte Duft einer wohlriechenden Essenz durch das Gemach strömte. Die Jalousiefenster waren sorgfältig mit dicken turkomanischen Teppichen verhängt, damit kein Lichtstrahl nach außen dringen konnte. Rings um die Wände liefen Divans und gegenüber der Thür ruhte auf denselben die schlaffe Gestalt des Sultans, zu seinen Füßen ein stummer Mohrenknabe auf dem Boden knieend, der das Nargileh des Großherrn in Brand erhielt und mit seinen großen braunen Augen auf jeden Wink des Gebieters lauschte.

Der Sultan und der stumme Knabe waren allein in dem Gemach.

Die Hände auf die Brust gekreuzt, nahten sich die beiden Türken dem Herrscher, warfen sich in einiger Entfernung vor ihm nieder und verharrten in dieser Stellung mit zu Boden gehefteten Augen. Der Baron machte eine tiefe Verneigung und blieb in gebeugter Haltung am Eingang stehen, bis der Großherr das erste Wort gesprochen.

Dieser hatte sich halb aufgerichtet auf dem Divan, das kostbare Mundstück des Rohres zur Seite gelegt und streckte beide Hände nach dem Jüngsten der Knieenden.

»Khosch dscheldin 2, mein Bruder Halil. Ich hoffe, Eure Laune und Eure Gesundheit sind gut und Ihr werdet es dem Großherrn, Eurem Schwager, nicht nachtragen, daß er Euch noch nicht öffentlich empfangen konnte, wie es Einem gebührt, der mit einer Tochter aus dem Hause Omar's das Lager theilt.«

[172] Halil-Pascha, der jüngere Schwager des Sultans, durch die Intriguen des Seraskiers aus Constantinopel verbannt und von jeder Betheiligung an den Staatsgeschäften entfernt, war erst vor zwei Tagen auf eine Botschaft Chosrew's, denn dieser war sein Begleiter, nach Stambul heimlich zurückgekehrt. Er war als Russenfreund bekannt, früher längere Zeit am Hofe von St. Petersburg Gesandter gewesen und hatte dort viele Auszeichnungen genossen. Er gehörte mit Chosrew zu den entschiedensten Gegnern des Krieges, und dessen Beförderer hatten ihn daher auf alle Weise vom Sultan fern gehalten; dem schlauen alten Großwessir war es aber dennoch gelungen, ihm diese heimliche Audienz zu verschaffen.

»Möge Dein Schatten lang sein, o Zuflucht der Welt, und die Sonne Deiner Gunst neu auf den Getreuesten Deiner Diener fallen,« antwortete ehrerbietig der Pascha, indem er, ohne die Hände des Padischah zu berühren, den Zipfel seines Rockes an Stirn und Brust führte. »Meine Gesundheit ist gut und wird noch besser sein, wenn sie sich im Strahl Deiner Nähe sonnen kann. Du bist der Herr, Du befiehlst und unser Wille ist Nichts!«

»Ne apalum, was kann ich thun?« sagte der Sultan. »Ich bin von Verräthern umgeben, die mich in diesen Krieg stürzen. Ich habe so Vieles anhören müssen, daß mein Kopf wirr ist. Wie befindet sich die Fatimé Sultana, meine Schwester?«

»Die Küsten Asiens erscheinen ihr schwarz, seit sie die Zenanah des Großherrn nicht mehr betreten darf.«

»Desto öfter hab' ich den Teufel von Adilé dort,« murrte der Sultan; »ich bin nicht Herr mehr in meinen eigenen Gemächern und diese Weiber lachen in mei nen Bart. Sei willkommen, Wessir, Du bist einer der Getreuen meiner Mutter und kennst mein Herz. Nehmt Platz an meiner Seite, ich gestatte es Euch. Wer ist der Franke?«

»Schatten Gottes,« sagte der alte Wessir, indem er mit seinem Begleiter Kissen vom Divan nahm, sie unsern des Sultans auf den Boden legte und darauf niederhockte, »erinnere Dich, daß Du mir erlaubt hast, ihn vor Dein Antlitz zu bringen. Es ist ein treuer Mann und ein Vornehmer in den Ländern der Franken. Er sehnte sich, Deinen Schatten zu küssen, und ich wollte, wir hätten vor acht Monden sein Anerbieten angenommen, das er vom Czar der Russen brachte.«

Der Sultan rieb sich verlegen die Stirn.

[173] »Was meinst Du, Vater?«

»Erinnere sich Deine Majestät,« sagte Halil, »daß es die Flotte von jener Festung Sebastopol war und hunderttausend Mann guter Truppen, die uns der Czar zu Hilfe senden wollte, um die Dardanellen zu sperren.«

»Ich bin wie ein Ball zwischen zwei Händen,« sagte der Sultan finster. »Ist der Padischah bosch, Nichts, daß er das Erbe seiner Familie nicht mehr selbst vertheidigen kann? Diese Franken machen uns zu Weibern, und sie haben gezittert vor dem Hauch meiner Väter!«

Die beiden Pascha's schwiegen verlegen, – sie wußten, wie recht der arme Sultan hatte.

»Lasset den Franken näher treten.«

Auf einen Wink Chosrew's näherte sich der Baron mit ehrfurchtsvollen Verbeugungen. Der gewandte Abenteurer und Unterhändler war ein Mann von stattlicher Persönlichkeit und äußerst gewandtem Benehmen, was ihm überall einen guten Empfang sicherte. Obschon der türkischen Sprache ziemlich mächtig, redete er doch den Großherrn in französischer an, die der Sultan jedoch nur sehr mittelmäßig spricht.

»Möge Euer Majestät geruhen, meine Huldigung und meinen Dank anzunehmen für die Erlaubniß, das Antlitz des Großherrn zu sehen. Möge Euer Majestät auch nachträglich meinen Dank empfangen für die Gnade, daß Sie aus der Hand eines Franken durch die Vermittelung meines Freundes Ali-Pascha ein demüthiges Geschenk seiner Ergebenheit nicht verschmähten.«

Der Sultan sah den in ehrerbietiger Haltung vor ihm Stehenden überrascht an.

»Sie sind willkommen, Herr,« sagte er freundlich, »aber ich verstehe Sie nicht ganz.«

»Euer Majestät wollen verzeihen, wenn ich sage, daß ich es war, welcher die Ehre hatte, eine Sclavin durch den Pascha von Brussa Eurer Majestät als Dienerin vor etwa Jahresfrist zu übersenden.«

Das Auge des Sultans funkelte.

»Wen meinen Sie, Herr? ihr Name?«

»Mariam, eine Mingrelierin.«

Der Schlag war geradezu geführt; die Hand des Sultans zuckte unwillkürlich nach dem Herzen, dann ließ er sie kraftlos [174] sinken und erwiederte traurig: »Ich danke Ihnen, mein Herr, für das Geschenk – die arme Mariam liegt noch immer schwer danieder an einer ansteckenden Krankheit.«

»Mariam ist todt,« sagte ernst der Baron.

Der Großherr beugte sein Haupt.

»Inshallah! Wie Gott will! So ist sie also dennoch gestorben an den schwarzen Blattern. Es thut meinem Herzen weh, diese Kunde von Ihnen zu bekommen, wo Sie dieselbe auch her wissen mögen.«

Er wandte das Gesicht nach Mekka und begann ein leises Gebet zu murmeln.

»Verzeihen Euer Majestät, daß ich Ihre Andacht unterbreche, aber Mariam die Mingrelierin ist nicht an den Blattern gestorben, denn sie hat die Krankheitnie gehabt.«

Der Sultan sah ihn groß und fragend an.

»Mariam,« fuhr ruhig und langsam der Baron fort, »ist in der Nacht zum 10. November im Serail zu Stambul grausam durch die Martern der Folter ermordet worden. Ihr letztes Wort war der Name Eurer Majestät.«

Der Beherrscher der Moslems fuhr mit einem Sprunge gleich dem verwundeten Löwen in die Höhe. Er vergaß aller Etikette des türkischen Hofes so weit, daß er, – der nur von den höchsten und vertrautesten Dienern des Harems angerührt werden darf, – mit beiden Händen den Arm des Fremden erfaßte.

»Dschaur! bei dem Propheten, Du lügst!«

Der Wessir und Halil waren ruhig sitzen geblieben, – Beide waren auf die Scene vorbereitet.

»Möge die Zuflucht der Welt ihrem Sclaven das Wort gestatten,« sagte der Schwager des Großherrn; »der Dschaur ist ein vornehmer Mann in seinem Lande und sein Mund redet keinen Koth, sondern die Wahrheit.«

Der unglückliche betrogene Großherr sank auf die Kissen zurück und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

»Wer? wer?« stammelte er kaum hörbar.

»Die Bujuk-Sultana 3 und meine Schwägerin, Adilé Sultana,« sagte Halil-Pascha, »haben der That beigewohnt. Sie [175] ließen die Odaliske martern, um für ihre Freunde, die Inglis und Franzosen, Geheimnisse des Großherrn zu erpressen. Unser guter Freund Fuad Effendi, den der Ministerrath vor acht Tagen als Bevollmächtigten zum Sirdar, seinem Genossen, an die Donau geschickt hat, leitete die Marter. Ich habe gesprochen – auf mein Haupt komme es.«

Abdul Meschid schaute wild – mit funkelnden Augen umher, und sie fielen auf den greifen Chosrew.

»Du bist der Todfeind Fuad's und der Sultana,« sagte er hastig zu Halil, »ich kann Dir nicht glauben! Rede Du, Chosrew, der Lehrer und Schützer meiner Jugend!«

»Halil und der Dschaur reden die Wahrheit. Das Weib Deines Herzens ist gemordet worden, aber sie hat standhaft geschwiegen und sich der Zuneigung des Großherrn würdig gezeigt.«

Der Sultan erhob sich; seine Augen flammten, wie einst die seines Erzeugers, das bleiche Gesicht röthete sich dunkel.

»Beim Barte Mahmud's, meines großen Vaters, ich will nicht umsonst Hunkiar der Bluttrinker heißen, denn sie soll gerächt werden an meinem eigenen Blut! Hinaus, Knabe, und rufe den Aga.«

Der greise Wessir war aufgesprungen und hatte sich dem wüthenden Herrn in den Weg geworfen.

»Halt ein, Padischah! Um des Propheten willen, bedenke, was Du thust und höre den Rath Deiner Freunde!«

Der Großherr faßte die Hände der Beiden.

»Ich weiß es, Ihr seid dem Sohne Mahmud's treu und ich darf auf Euch zählen. Sie sollen sterben, sterben alle Drei, die diese That an meinem Herzen vollbracht haben, das sie liebte. Ein Mal hab' ich es bezwungen, als die Hand meines Vaters grausam auf mir lag; jetzt bin ich der Herr und wehe den Schuldigen!«

Er war außer sich, und selbst der intriguenvolle, nur seinen Interessen folgende Abenteurer sah mit aufrichtigem Bedauern auf den jungen Monarchen, der, der Herr von Millionen, der Herrscher in drei Welttheilen, mit all' seiner Macht nicht vermocht hatte, ein schwaches Weib zu schützen, das er liebte.

Der Aga war in das Gemach getreten und stand harrend am Eingang, während der Greis und Halil-Pascha den Sultan zum Divan zurückführten und ihn auf die Kissen nöthigten. Auf [176] den Wink Halil's war Théifur-Aga, der Chef der schwarzen Eunuchen, näher gekommen. Die Verbündeten wußten, daß er ein bitterer Feind und Neider des Kislar-Aga war und zu ihrer Partei gehörte.

»Höre mich an, o Schatten Gottes,« sagte der greise Staatsmann. »Wir Alle fühlen, daß Deiner Macht und Deiner Seele ein Wehe geschehen, aber was gethan ist, ist gethan und läßt sich nicht ändern. Unsere Feinde sind mächtig und wir müssen mit ihnen kämpfen mit der Klugheit der Schlange, denn diese Franken haben die Ueberhand.«

»Aber der Padischah ist der Herr,« warf Halil giftig ein. »Soll er sich in den Bart lachen lassen von seinen Knechten?«

»Hört mich wohl an,« sagte bedächtig der Greis, »und laßt mein Wort nicht in den Wind fallen. Die Partei des Seraskiers im Ministerrath ist stark und wir müssen sie schwächen, ehe wir den Streich auf das Haupt aller unserer Feinde können fallen lassen. Der Scheik ul Islam hat sich für den Krieg erklärt und die Hälfte der Diener des Palastes hängen Mehemed Ali an, und leicht würde er das Volk zu den Waffen rufen können. Aber das Volk ist jetzt auch erbittert aus Mahmud, den Kapudan Pascha, seinen Schützling, und sagt, daß die Vernichtung unserer Flotte seine Schuld sei. Ihn kann der Großherr ohne Gefahr entfernen.«

»Er falle!« sagte der Sultan. »Wer soll an seine Stelle kommen?«

»Möge die Sonne Deiner Gnade Riza Pascha bescheinen.«

»So sei es. Fertigt den Ferman aus, daß ich unterzeichne.«

Der schlaue Chosrew zog ein Papier aus seinem Busen, das bereits die Entlassung des Großadmirals enthielt und in das nur noch der Name seines Nachfolgers eingezeichnet zu werden brauchte. Er nahm das Schreibzeug von seinem Gürtel und der Sultan unterzeichnete hastig seinen Namenszug.

»Es ist nicht möglich, die künftige Sultana Valide zu strafen oder eine Tochter aus Mahmud's Blut um einer mingrelischen Sclavin willen. Es würde einen Aufstand im Palast erregen. Der Kislar-Aga ist ihr geheimer Freund, aber wenn Théifur-Aga an seine Stelle kommt, wird er die Weiber im Zaume halten und kann die Sultana nach dem Burnu-Seraï führen und Deiner Schwester den Eintritt in den Harem weigern. Er wird das Paradies des Großherrn von ihren Geschöpfen säubern.«

[177] Das breite Gesicht des Mohren glänzte vor freudiger Erwartung, denn der Posten des Kislar-Aga steht dem Range nach zunächst am Großvezir und ist durch seine Stellung einer der einflußreichsten.

Der Sultan bedachte sich einige Augenblicke, dann zog er rasch den Siegelring vom Finger und reichte ihn dem Eunuchen.

»Du bist der Kislar-Aga und mögest treuer als Dein Vorgänger meine Befehle erfüllen.«

Der Schwarze warf sich aus den Boden und berührte drei Mal mit der Stirn die Erde. Dann erhob er sich freudestrahlend und blickte auf Chosrew.

»Wenn es dem Padischah gefällt,« sagte dieser, »so möge die Veränderung im Palast bis morgen früh verborgen bleiben und erst zur Stunde der Divansitzung laut werden, damit wir unsere Feinde auch auf allen Seiten überraschen. Die Artillerie, welche die Brennibors 4 gebildet haben, ist treu und möge die Wachen beziehen. Sie liebt weder den Seraskier, noch Mehemed Ruschdi, den Commandeur der Garden.«

Der Sultan schüttelte das Haupt, – in der Türkei das Zeichen der Bejahung.

»Es ist nothwendig, daß wir im Ministerrath mindestens eine gleiche Stimmenzahl auf unserer Seite haben,« fuhr der Greis fort. »Wenn der Schatten Gottes die Verbannung aufheben und den Gatten seiner Schwester wieder in den Rath berufen will als Beistand, würde unsere Stärke wachsen.«

Er reichte dem Sultan einen zweiten, gleichfalls bereit gehaltenen Ferman und Abdul-Medjid unterzeichnete; Halil küßte den Zipfel seines Rockes.

Der Großherr blickte sie jetzt Alle der Reihe nach finster an.

»Mashallah,« sagte er mit erzwungener Energie, »ich habe jetzt allen Euren Willen gethan, nun will ich den meinen und Rache für Mariam haben. Die Sclaven sollen sterben, welche die Hände an ihren Leib gelegt haben, und das Weib, das man mir für sie gegeben, beleidige nicht länger meine Augen.«

Die Werkzeuge sollten für die Schuld der Hohen büßen, – türkische Gerechtigkeit, die sich oft genug im civilisirten Europa wiederholt.

[178] Der alte Chosrew machte das Zeichen der Zustimmung.

»Pek äji! es kann ohne Gefahr geschehen und sie mögen sterben. Wofür ist Théifur-Aga da? Er möge seine Ohren aufthun und kein Esel sein. Ist es dem Großherrn jetzt genehm, zu hören, was dieser Franke von unseren Freunden, den Russen, zu sagen hat?«

Der Sultan, von der vorhergegangenen Aufregung erschöpft, war auf dem Divan wieder in seine frühere apathische Haltung gesunken; die Röthe des Schmerzes und Zorns hatte der gewöhnlichen krankhaften Blässe Platz gemacht und er bejahte stumm, indem er dem Knaben winkte, ihm das Rohr des Nargilehs wieder zu reichen, und dem Baron, auf dem Divan Platz zu nehmen.

»Euer Majestät,« sagte dieser, »sind in einer schlimmen Lage, indem Sie sich von Ihrem natürlichen Freund und Verbündeten, dem Czaren, abgewandt haben. Ihre Armee ist an der Donau zurückgedrängt und in Asien besiegt; in Serbien, Montenegro und Griechenland drängt das Volk zur Ergreifung der Waffen gegen das Reich Eurer Majestät. Persien rüstet zum Kriege. Die Flotte ist zur Hälfte vernichtet, die Finanzen des Staates sind so erschöpft, daß ohne eine schwer zu realisirende Anleihe die nöthigsten Bedürfnisse nicht zu bestreiten sind und das Heer zum Theil seit vierzehn Monaten keinen Sold erhalten hat. Die griechische Bevölkerung in Anatolien, Rumelien und auf den Inseln ist zum offenen Aufruhr geneigt, selbst die türkische Einwohnerschaft ist schwierig, man hat den Fanatismus aufgeregt und erhöht auf diese Weise die gegenseitige Feindschaft.«

»Inshallah,« sagte der Großherr, »was können wir thun? wir sind nicht schuld an dem Unheil.«

»Euer Majestät möge dem Czaren, Ihrem wahren Freunde, vertrauen. Der Divan und der Ministerrath mögen sich morgen bereit erklären, auf die Friedensverhandlungen einzugehen, welche die vier Mächte vorgeschlagen haben, und man wird den Engländern und Franzosen damit den Vorwand nehmen, sich weiter einzumischen. Was haben sie bis jetzt gethan, als ihre Flotten hierher gesandt, die Constantinopel bedrohen, ohne nur eine Kanone zum Schutz der Türkei gelöst zu haben? Ich bitte Euer Majestät, zu bedenken, daß wenn die Türkei sich Frankreich und England übergiebt, ihre Selbstständigkeit auf's Höchste gefährdet ist; daß sie französische und englische Schutztruppen kaum je wieder los werden [179] wird, welches auch der Erfolg des Krieges sei; daß die Kosten eines solchen das Land vollends ruiniren und wahrscheinlich einiger seiner besten Provinzen berauben werden; denn Oesterreich wird auch seinen Antheil verlangen und England ist schon längst nach Candia, Cypern und Unter-Egypten lüstern.«

Er machte eine Pause, – der Sultan – der Beherrscher eines Gebiets von mehr als 30,000 Quadratmeilen – hatte ihm finster zugehört, denn er kannte die Wahrheit dessen, was der Unterhändler ihm aufzählte, und gedachte traurig der Macht seiner Väter, vor denen Europa noch vor 150 Jahren gezittert hatte. Aber mit der, den Orientalen in diplomatischen Verhandlungen eigenthümlichen Schlauheit und Zähigkeit sagte er:

»Die Inglis und Franzosen haben von mir noch Nichts gefordert und erklären, mein gutes Recht unterstützen zu wollen. Mein Bruder der Czar aber hat gegen alle Verträge zwei meiner Provinzen genommen und mich gezwungen, den Krieg zu erklären. Es ist nicht das erste Mal, daß ein russisches Heer mein Reich bedroht.«

Der Baron war zu gewandt, um den schlagenden Streich nicht zu pariren.

»Euer Majestät wollen sich erinnern,« sagte er, »daß der Czar sich durch die Minister der Pforte beleidigt glaubt und die Donau-Fürstenthümer nur als Pfand für die Erfüllung alter Verträge in Besitz genommen hat. Er wird sich nicht weigern, sie bei einem neuen und festen Bündniß sogleich herauszugeben. Euer Majestät werden zugeben, daß Rußland das natürliche und erste Anrecht auf die Bundesgenossenschaft der Türkei hat und daß es in letzter Zeit am Hofe von Stambul durch die englische und französische Partei sehr verdrängt und benachtheiligt worden ist. Euer Majestät wollen ferner sich erinnern, daß der Kaiser Nicolaus sich nie als Eroberer gezeigt und im Frieden von Adrianopel sofort alle Eroberungen herausgegeben, ja die stipulirten Kriegskosten erlassen hat;« – er warf bei diesen Worten einen scharfen Blick auf Chosrew, dessen großes Vermögen von jener Zeit datirt; – »daß der Kaiser ferner in dem Kriege gegen Mehemed Ali und Ibrahim Pascha sich als uneigennütziger Verbündeter zeigte, gegen dasselbe Egypten, dessen Horden Euer Majestät jetzt gegen Rußland senden.«

Es entstand eine längere Pause. Chosrew, dessen schwache [180] und empfindliche Seite die Erinnerung an Ibrahim Pascha war, der ihn wiederholt besiegt hatte, brachte geschickt das Gespräch in eine andere Phase.

»Allah bilir, es ist ein Unglück, daß die Franken ihre Schiffe vor unsere Stadt gelegt haben, sonst könnte Alles gut gemacht werden. Was befiehlt der Padischah?«

Der Großherr blickte ärgerlich auf den alten Intriguanten.

»Ich erwarte Rath von meinen Wessiren.«

»Wenn es dem Vater aller Herrscher gefällt,« meinte Halil, »so habe ich zahlreiche Freunde im Divan, und einige Beutel werden das Uebrige thun, daß man morgen für die Friedensverhandlungen stimmt.«

»Vielleicht hat unser fränkischer Freund einen weiteren Vorschlag,« meinte der greise Großwessir mit einem listigen Augenzwinkern nach dem Baron.

»Ich glaube, Euer Majestät die nöthigen Vorschläge machen zu können, sobald Allerhöchstdieselben ernstlich zu einem Schutz- und Trutzbündniß mit Rußland entschlossen sind. Der Kaiser stellt noch immer seine Flotte und eine Armee von hunderttausend Mann zum Schutz der Dardanellen zur Verfügung.«

»Aber wie wäre das auszuführen?«

»Durch die Anknüpfung der Friedensverhandlungen würden die Westmächte jedenfalls verhindert werden, Landtruppen nach dem Orient zu senden. Eine Scheindiversion russischer Schiffe auf die anatolische Küste könnte Gelegenheit geben, die verbündeten Flotten in's Schwarze Meer zu locken, wo sie sich bei der jetzigen Jahreszeit unmöglich zusammen halten können. Rußland ist bereit, sofort nach dem Abschluß des geheimen Traktats die Fürstenthümer zu räumen, und wird seine Truppen an der Donaumündung und in Odessa concentriren, von wo sie leicht nach Varna oder Burgas gebracht werden können. Wenn nach der Bereitschaftserklärung zu Friedensverhandlungen die Flotten nicht sofort aus dem Bosporus und den Dardanellen entfernt werden, wird Rußland die Forderung stellen, eine Anzahl von Kriegsschiffen gleichfalls hier stationiren zu dürfen. Entweder sind dann die Flotten der Westmächte in dem Schwarzen Meere abgesperrt und in unserer Hand ein Unterpfand, oder die russische Flotte in Verbindung mit der türkischen und egyptischen und den Kastells der Ufer wirb vollkommen genügen, jene im Zaum zu halten oder zu vertreiben. Euer Majestät[181] Truppen und drei russische Armeecorps, die der Czar zur Disposition stellt, werden hinreichen, die Küsten von Rumelien zu sichern.«

Der kühne gewaltige Plan, – der so leicht beim Beginn des Kampfes auszuführen gewesen wäre und dem Schicksal Europa's eine andere Gestalt gegeben hätte, wenn Kaiser Nicolaus mehr auf die rasche That als auf seinen politischen Einfluß vertraut hätte, – erschreckte den bleichen Großherrn und seine Augen schweiften verlegen und ängstlich aus Chosrew und seinen Schwager. Der Letztere legte beistimmend die Hand auf das Herz, während der greise Diplomat den flehenden Blick seines Herrn und Schülers nicht zu bemerken schien und anscheinend kein Auge von dem Unterhändler verwandte.

»Adschaid! Wunderbar!« sagte endlich der Sultan. »Ich weiß nicht, was ich thun soll, und bin wie ein Mann zwischen zwei Schwertern. Wenn ich Dir auch Gehör geben wollte, o Franke, – wie würden wir uns ausreden können vor der Macht der Ungläubigen, ehe die Hilfe des Czars in der Nähe ist, um uns vor ihrem Zorne zu sichern?«

Chosrew erhob ruhig das Haupt; der alte in tausend Schlangenlisten bewanderte Diplomat hatte das Mittel längst vorbedacht.

»Wir werden einen Aufruhr in der Stadt erregen,« sagte er gelassen. »Der Rajahpöbel von Stambul wird eine Revolution machen und wir werden sagen können, daß uns die Christen gezwungen haben zu dem Bündniß mit Rußland.«

Der Sultan überlegte, – die türkische Geschichte bietet so viele ähnlicher Scenen und Intriguen, daß ihm der Plan keineswegs so unausführbar vorkommen konnte.

»Es ist unser Kismet,« sagte er endlich. »Wird Alles bereit sein und werde ich sicher bleiben, oder muß ich mich auf eines meiner Schlösser in Anatolien begeben?«

»Euer Majestät werden ganz sicher sein unter'm Schutz der Artillerie. Auf mein Haupt komme es. Morgen Mittag ist der Frieden gesichert und am nächsten Tage wird der Padischah den Fuß auf den Nacken seiner Feinde setzen.«

»Ich willige ein,« sagte der Großherr und gab ermüdet und abgespannt das Zeichen der Entlassung.

Die drei Verbündeten verabschiedeten sich unter den gebotenen Ceremonieen und wurden vom neuen Kislar-Aga wieder bis an die Pforte der Gartenmauer zurückbegleitet. Während Halil und [182] der Baron bereits den Garten verlassen, verweilte der greise Chosrew noch einige Augenblicke bei dem neuen, durch seine Intriguen eingesetzten Würdenträger.

»Höre, Freund Théifur-Aga,« sagte er mit einschmeichelnder Freundlichkeit, »Du wirst die griechische Sclavin morgen aus dem Harem entfernen?«

»Der Padischah hat befohlen. Sie mag das Wasser des Bosporus trinken.«

»Ein Weib ist sicher ein großes Uebel,« meinte der Pascha; »aber warum sie tödten, wenn sie noch jung ist? Der Padischah hat es nicht ausdrücklich bestimmt und ich will Dir einen Ausweg sagen. Bana bak! Das Mädchen soll schön sein, – gieb sie mir, Deinem Diener, für seinen Harem – sie wird verschwinden für immer.«

Der Eunuch schielte ihn von der Seite an. Er wußte sehr gut, daß es um den Harem des geizigen alten Intriguanten sehr jämmerlich bestellt war und er das Mädchen nur aus Habsucht verlangte, um sie mit möglichstem Vortheil zu verkaufen; aber er wagte nicht, nach dem Dienst, den Jener ihm so eben geleistet, die Bitte abzuschlagen und antwortete daher:

»Pek äji, sehr wohl; Du redest Weisheit. Das Boot mit dem Weibe wirb morgen Abend um die fünfte Stunde 5 mit den Stummen des Harems gegenüber der Moschee von Auni-Effendi Deines Boten harren. Er möge drei Mal den Namen Allah's nennen und man wird sie ihm übergeben. Behalte mich in Deiner Gunst, o Pascha.«

Die Beiden schieden, und während bald darauf das Boot seinen Rückweg nach Stambul nahm und Halil mit dem Franken leise und eifrig über die Vorbereitungen für den nächsten Tag verkehrte, berechnete der alte Geizhals bereits den Gewinn, den er aus dem Verkauf der griechischen Tänzerin zu ziehen gedachte.


Die Brathung, welche am Montag, dem 19., im Divan, im Gebäude der Hohen Pforte, gehalten wurde, war eine überaus stürmische und der Schlag, welcher der Kriegspartei durch die Verkündung der Absetzung Mahmud Pascha's, des Großadmirals und[183] die Ernennung Halil's – der früher bereits zwei Mal Marine- und Kriegsminister gewesen war, – zum Minister ohne Portefeuille mit Stimme im Conseil, beigebracht wurde, ein ganz unerwarteter. Die alttürkische Partei des Seraskiers und des Scheich ul Islam war damit ihres Uebergewichts beraubt und in ihrem Einfluß hart bedroht.

Durch die Bemühungen der Freunde der Großwessirs, Chosrew's und Halil's, zeigte sich im Divan eine Majorität für die Friedensunterhandlungen. Nur mit Mühe vermochten Mehemed Ali und seine Freunde durchzusetzen, daß der Endbeschluß biß zum nächsten Tage verschoben blieb. Sämtliche Minister sollten dem Rathe beiwohnen.

Es lag eine schwüle Stille über der großen Stadt und Jedermann fühlte das Nahen einer bedeutenden Krisis. Die Berathung des Divan hatte an beiden Tagen volle fünf Stunden gedauert und erst am Nachmittag geendet. Eine Audienz, die der Seraskier bei dem Sultan, seinem Schwager, verlangte, wurde abgelehnt unter dem Vorwande eines Unwohlseins. Der Großherr hatte sich in die inneren Gemächer seines Selamlik zurückgezogen. Die Ernennung des neuen Kislar-Aga und die Verweisung des früheren nach Brussa war erst am Nachmittage bekannt geworden und hatte den ganzen Harem in Bestürzung gesetzt. Auf die eilige Botschaft der Sultana war die Schwester des Sultans nach Tschiragan gekommen, aber der Großherr weigerte sich, den Harem zu betreten und sie mußte vor Zorn und Furcht bebend den Palast wieder verlassen und hatte noch den Aerger, dem Kaïk des Großwessirs Mustapha und Halil's, ihres Schwagers, zu begegnen und Beide in Tschiragan empfangen zu sehen.

Wie der politische Himmel, so begann sich auch der wirkliche zu trüben und schwere Wolkenmassen lagerten am Abend über dem ganzen Horizont. Der Gang unserer Erzählung führt uns an verschiedene Stellen und wir müssen eilen, ihn bei einem Manne wieder aufzunehmen, der seit dem Tage von Sinope die drückende Last schwerer Gefangenschaft getragen hatte, vermehrt durch das Bewußtsein, dem Todfeinde gerade in der Stunde der Rache erlegen zu sein.

Gregor Caraiskakis, der einzige Gefangene, der bis jetzt auf dem Meere in die Hände der Türken gefallen, hatte auf der eiligen Ueberfahrt der Dampffregatte Taïf alle Schmach und alle Leiden [184] zu dulden gehabt, welche die Erbitterung der Moslems über ihre Niederlage auf ihn häufte. Selbst die Bemühungen des englischen Baronets vermochten nicht, ihn vor der schimpflichen Last schwerer Ketten und roher Mißhandlungen zu schützen, und nur der Wunsch, einen Gefangenen den Machthabern in Constantinopel vorzuführen und ihm vielleicht wichtige Nachrichten zu erpressen, veranlaßte den Capitain des Schiffes, wenigstens sein Leben zu schützen.

Bei der Ankunft im Bosporus hatte der türkische Befehlshaber seine Hiobspost sogleich an den Großadmiral überbracht und dabei zwar des Gefangenen erwähnt, der Schrecken über die Unglückskunde war jedoch so groß, daß man eines einzelnen Gefangenen wenig achtete, um so weniger, als es nur ein Grieche war und der Capitain einfach die Anweisung erhielt, ihn vorläufig auf seinem Schiffe zu bewahren. So lag denn Caraiskakis seit beinahe drei Wochen vergessen und nur von dem Hasse der türkischen Schiffsmannschaft im Gedächtniß behalten, in dem unteren Deck der Fregatte, die am Schloß von Asien ankerte. Die Leiden seiner Gefangenschaft verdoppelten die wiederholten Besuche des Briten, dessen Bemühungen, ihn als seinen persönlichen Gefangenen zu behandeln und in die Haft der englischen Gesandtschaft zu bringen, zwar an der Hartnäckigkeit der Türken gescheitert waren, der aber fast einen um den andern Tag erschien, um ihn mit dem Antrage, ja, mit Bitten zu bestürmen, ihm das Kind herauszugeben, für das er eine eigensinnige Liebe gefaßt zu haben schien. Aber vergebens – der Sohn des Helden vom Pyräus antwortete auf das Anerbieten der Befreiung und des britischen Schutzes nur mit verächtlichem Schweigen oder dein Ausdruck des tödtlichen Hasses.

Im Stillen aber war der Grieche nicht unthätig gewesen. Unter den Seesoldaten, die den Schiffsdienst verrichteten und in seinem Deck häufig Geschäfte hatten, war ihm ein junger Mann aufgefallen, der ihn häufig mit Theilnahme betrachtete. Eine Anrede bei günstiger Gelegenheit, als sie allein waren, überzeugte ihn, daß er einen von den Türken zum Schiffsdienste gepreßten Griechen vor sich habe und er bewog ihn leicht, einen mit Bleistift geschriebenen Zettel bei seinem nächsten Urlaub an's Land zu bestellen.

Der Brief war an den Baron Oelsner von Montmarquet und enthielt die Nachricht seiner Gefangenschaft. – –

Am Nachmittag des 19. war der Baronet wiederum auf dem Taïf erschienen und hatte den Gefangenen bestürmt, ihm eine [185] schriftliche Vollmacht zur Aushändigung des Kindes auszustellen, da er jetzt nach England zurückzukehren beabsichtigte. Er versprach, das Kind zu adoptiren, die Heirath mit Diona anzuerkennen und den Knaben zum Erben seines Namens und seines Vermögens zu machen.

Caraiskakis schaute ihn finster an.

»Wenn Sie mir die Schätze der vereinigten Königreiche böten,« sagte er mit Hohn, »und den Sohn Diona's – die Sie feig verleugnet haben – zum ersten Edelmann des mächtigen Englands machen könnten, würden Sie den Knaben doch nicht erhalten, so lange es von mir abhängt. Seine Spur will ich Ihren Augen verwischen und nie soll er den Namen seines Vaters hören, sondern ein Grieche werden mit jeder Faser seines Lebens, der nur Haß athmet gegen das falsche Land seines Erzeugers!«

Der ganze Trotz und Hochmuth des Briten schwoll empor bei dieser Antwort.

»So habe, was Du willst und beklage Dich nicht über Dein Geschick. Der Kapudan hat bereits darüber bestimmt und mit dem nächsten Schiffe gehst Du auf die Galeeren nach Creta. Ich aber schwöre Dir, Wahnsinniger, daß ich nicht ruhen und rasten will, bis ich mein Kind gewonnen, und Edward Maubridge wird dies Land nicht verlassen, bevor er seinen Zweck erreicht hat, so wahr er ein Brite ist!«

Caraiskakis lächelte verächtlich, – so schieden sie.

Die Vorgänge des Tages hatten anders auch über das Geschick des Griechen entschieden. Es war am Abend gegen die zehnte Stunde, als von Tophana her ein Boot an die Seite der Fregatte Taïf schoß und ein Mann in der Kleidung eines türkischen Offiziers auf den Anruf der Wache »Befehl des Großadmirals« antwortete und an der Schiffswand emporstieg. Auf dem Deck fragte er nach dem Capitain und händigte diesem eine versiegelte Depesche ein. Es war die Ordre des neuen Kapudan Riza-Pascha, den bei Sinope gefangenen Griechen dem Ueberbringer Angesichts des Schreibens zu überliefern.

Baron Oelsner hatte die erste Gelegenheit benutzt, den Verbündeten zu retten. Caraiskakis wurde sofort aus dem Raum geholt und dem Boten übergeben, indem seine bisherigen Wächter und er selbst nicht anders glaubten, als daß er in ein anderes Gefängniß am Lande gebracht oder verhört werden solle.

[186] Von seinen Fesseln befreit, statt deren ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden wurden, stieg Gregor in das Boot, der Offizier setzte sich neben ihn und die schwarze Wand der Fregatte war bald hinter ihnen im Dunkel verschwunden.

Nach einigen Minuten, während das Boot im Schatten der asiatischen Ufer hinlief und die zwei Ruderer scharf zu arbeiten hatten, um es bei dem heftigen Winde und den hochgehenden Wellen im Strom zu halten, schnitt der Offizier die Stricke von den Armen des Gefangenen und sagte auf griechisch zu ihm:

»Ich bin ein Bote des Signor Oelsner und habe Ihnen mitzutheilen, daß Sie frei sind. Die Ordre zu Ihrer Ueberführung nach der Stadt war eine der ersten, die der neue Großadmiral unterzeichnete, und sobald der Signor Baron sie in Händen hatte, war es ein Leichtes, Sie zu befreien. Ich begrüße in Ihnen meinen Landsmann, denn diese Kleidung ist natürlich nur angenommen, um den türkischen Capitain zu täuschen. Der Baron hat in dieser Nacht wichtige und viele Geschäfte und er hat mir daher aufgetragen, Sie in ein sicheres Versteck im Fanarioten-Quartier zu bringen.«

Caraiskakis dankte dem Landsmann, der sichGeurgios nannte, und hörte von diesem die wichtigen Neuigkeiten des Tages.

Sie waren jetzt dem Sommerpalaste von Beschiktasch gegenüber gekommen und wandten sich nun quer über den Meerosstrom nach dem Grabmal Hayraddins und der Moschee von Auni-Effendi, um auf der europäischen Seite des Bosporus die Fahrt nach dem goldenen Horn fortzusetzen, als aus dem Schatten des Ufers von Tschiragan ein großer schwarzer Kaïk, von sechs weißgekleideten Ruderern getrieben, hervorschoß. Geurgios gebot sofort den Seinen, zu halten, um den fremden Kahn vorbeifahren zu lassen und flüsterte dem Griechen zu:

»Die Eunuchen des Harems – bei Ihrem Leben, keinen Laut, Freund, was Sie auch sehen mögen!«

Zu seiner Verwunderung jedoch kam der Kahn, statt weiter hinaus in den Bosporus zu fahren, gerade auf sie zu und hielt in kurzer Entfernung von ihrem Bord. Im Hintertheil des fremden Kaïks stand ein bewaffneter Eunuch.

»Eure Loosung?« fragte der Schwarze.

Der Grieche zauderte einen Augenblick, dann, glaubend, daß der Frager wissen wolle, ob er einen Ungläubigen vor sich habe, [187] antwortete er rasch mit den Worten des türkischen Gebets: »Allah la illaha illallah.« Sogleich gab der Schwarze ein Zeichen und das dunkle Fahrzeug schoß an die Seite ihres Kahns. Schon glaubten die Griechen sich verloren, denn die berüchtigten Haremswächter machen wenig Umstände mit den zufälligen Zeugen ihres geheimnißvollen Treibens, und die Hand des Geurgios faßte nach den Terzerolen in seiner Brusttasche, – aber zu ihrer Verwunderung begrüßte sie der Offizier der Eunuchen mit einem kurzen »Khosch dscheldin! – Nehmt!« – zwei der bewaffneten Ruderer hoben vom Boden des Kaïk einen großen ungestalteten Gegenstand, gleich einem Sack, und warfen ihn achtlos in den Nachen der Griechen, daß dieser von dem Stoß schwankte und umzuschlagen drohte; im nächsten Augenblick schoß das Haremsboot vorwärts an ihnen vorüber, wandte und kehrte zu dem Ufer zurück.

Die beiden Griechen und auch die Ruderer, – die mit den Geheimnissen Stambuls sehr wohl vertraut schienen, – athmeten frei auf, als sie auf so schnelle Weise der Gefahr wieder entgangen waren, und die Ruder senkten sich mit doppelter Eile in die dunklen Wogen, daß der leichte Kahn gleich einem Pfeil dahin flog und bald in die ruhigeren Gewässer des Horns einbog.

Noch hatte keiner der Männer die seltsame Last, die ihnen so unverhofft geworden war, zu untersuchen sich Zeit genommen, und nur die convulsivischen Bewegungen der Hülle und ein leises unterdrücktes Aechzen und Stöhnen bewies ihnen, daß ein lebendes Wesen darin verborgen war. Erst als sie die zweite Brücke passirt hatten und am Ufer des Fanarioten-Quartiers hinfuhren, deutete Geurgios auf den Sack und fragte:

»Was machen wir damit? werfen wir die Last in das Horn? Hier sind wir sicher vor Spähern.«

Aber Gregor faßte abwehrend seinen Arm.

»Um der Heiligen willen, laßt uns nicht unmenschlicher handeln, als diese Moslems. Es scheint ein Weib in dem Sack zu sein und wir wollen die Unglückliche retten.«

»Bah, irgend eine alte Hexe, die im Harem gekeift und sich unnütz gemacht hat! Aber wie Ihr wollt – bei Sanct Demeter, Ihr mögt das Geschenk der schwarzen Burschen dafür zu eigen nehmen und Euch mit der Last beladen.« –

Unweit der Kirche von St. Basil, zwischen dem Balat-Kapussi (Palastthor) und dem Haivan-Seraï-Kapussi – dem Thor [188] der Menagerie, – von dem benachbarten Amphitheater so genannt, wo die Kämpfe der wilden Thiere stattzufinden pflegten, – und berühmt als die Stelle, wo im letzten Heldenkampfe gegen die Osmanlis und Genuesen Daralla und der Großherzog Notaris fochten, – landete das Boot unter einem überhängenden Kaïkschuppen, und Geurgios geleitete den Befreiten durch den Ausgang, der am Ende desselben hinauf in ein ziemlich großes griechisches Haus führte, wohin die beiden Ruderer auf seinen Befehl das geheimnißvolle Bündel ihnen nachtrugen. Man schien sie erwartet zu haben, denn auf der Veranda waren, trotz des stürmischen kalten Wetters, mehrere Männer versammelt, und in dem oberen wohlerleuchteten Gemach, wohin man Caraiskakis führte, brannten wärmende Kohlenpfannen und ein Tisch war mit dem lieblichen Brussawein und dem feurigen schwarzen Rebensaft vom Olymp, den man selbst in Constantinopel nur selten echt bekommt, nebst Speisen und Erfrischungen besetzt. Hierhin, in einen Winkel des Gemaches, legten die Bootsleute auch ihre Last, über die Geurgios gegen die Augen der Neugierigen seinen Mantel gebreitet hatte, worauf ihnen derselbe bei der eigenen Gefahr ihres Lebens anbefahl, auch gegen die Hausbewohner das strengste Schweigen über die Art und Weise zu beobachten, wie jene ihnen aufgebürdet worden. Dann, als sie allein waren, machte er mit Gregors Hilfe sich daran, den Sack mit einem Dolch aufzuschneiden.

Der Anblick, der sich ihnen zeigte, war überraschend. Ein junges bildschönes Mädchen, die in reiche türkische Pracht gehüllten Glieder mit einem kostbaren Shwal zu einem Klumpen zusammengeschnürt, lag vor ihnen. Der Mund war ihr durch einen Knebel geschlossen, und die Unglückliche offenbar von der lang andauernden Todesangst in Ohnmacht gefallen. Während Geurgios die Knoten des Shwals löste, befreite sie Gregor von dem Knebel und rieb ihr, nachdem man sie auf ein Ruhebett gestreckt, Stirn und Schläfe mit Wein. Endlich schlug die Schöne die Augen auf, tiefe Seufzer hoben ihren Busen und ihr Blick fuhr wirr und ängstlich umher über die fremden Männer und die unbekannte Umgebung. Dann schrie sie laut auf und warf sich auf die Kniee.

»Mordet mich nicht,« rief sie; – »für was habe ich meinen Glauben abgeschworen und Alles hingegeben, was meiner Jugend theuer war, wenn ich so jung schon geopfert werden soll? Was hab' ich gethan – bin ich nicht die gehorsame Tänzerin des Padischah,[189] die Gefährtin seiner Freuden? hab' ich nicht treu der Sultana gedient, meiner Herrin? O, habt Erbarmen, laßt mich leben – es ist so süß und schön, zu leben im Glanz der Herrlichkeit, die ich nie gekannt!«

Die schöne Nausika – denn sie war es, die durch den Sultan als Sühne für die geopferte Mariam aus dem Harem verbannt und von dem Kislar-Aga für seinen Gönner Chosrew bestimmt, durch eine zufällige Verwechselung und den Irrthum seiner Untergebenen in die Hände der Griechen gekommen war, – sah in der reichen Tracht der Odaliske und in der Blässe der Todesfurcht, die ihre Wangen bedeckte und das große blaue Auge aus dem Antlitz zu drängen schien, kaum weniger reizend und verlockend aus, wie damals, als wir im kurzen Gazegewand der Tänzerin ihr vor dem Sultan begegneten. Die weichen feinen Hände mit den hennahgefärbten Nägeln über der wogenden halbentfesselten Brust gekreuzt, lag sie vor den beiden Männern, und flehte für ein Leben, das stürmisch dein Genuß in jeder Fiber entgegenklopfte.

Erst als Gregor ihr wiederholt betheuert hatte, daß sie Nichts mehr zu fürchten habe, daß sie gerettet sei vor der schrecklichen Execution des Harems, – daß aber Verborgenheit und Geheimniß das Werk der Rettung vollenden und sichern müsse, gewann sie Glauben daran, umfaßte seine Kniee und beschwor ihn, sie nicht zu verlassen, indem sie versprach, jedem seiner Winke Folge zu leisten. Eine kurze Berathung zwischen Caraiskakis und seinem Wirth führte den Beschluß herbei, die Odaliske auch ferner vor den Augen der Hausbewohner verborgen zu halten, und sie zu dem Zweck in dem Zimmer, in dem man sich befand, zu lassen, bis es gelungen sei, ihr weniger auffällige Kleidung zu verschaffen, um sie an einen noch verborgeneren Ort zu bringen. Geurgios erklärte dem Landsmann, daß, da besonders auf seinen Wunsch die Fremde gerettet worden, er auch die Pflicht übernehmen möge, für sie zu sorgen, und gern war Caraiskakis dazu bereit, denn das Mädchen hatte schnell einen so wunderbaren Eindruck auf sein bisher nur von andern Gefühlen entflammtes Herz gemacht, daß er sich jeder Gefahr für sie unterzogen hätte. Er beschloß, den Baron von Oelsner für seinen Schützling zu interessiren, und als er jetzt auf die Aufforderung seines Wirthes diesem folgte, nachdem er einige Erfrischungen genommen, versprach er dem Mädchen, so bald wie möglich wiederzukommen und schloß sie sorgfältig ein.

[190] Geurgios, ein Mann von einigen vierzig Jahren, führte den neuen Bekannten in den unteren Raum des Hauses, wo mehrere Griechen versammelt waren und geschäftig ab- und zugingen. Geurgios schien ihr Haupt, denn ihm wurden alsbald verschiedene Berichte erstattet und Botschaften mitgetheilt. Er machte Caraiskakis mit den Anwesenden bekannt, die er ihm Alle als gute Patrioten und treue Anhänger des russischen Czaren und Mitglieder der Hetärie bezeichnete, und Gregor fand bald, daß die Stimmung dieser Männer, von denen er Einzelne schon früher beim Baron Oelsner flüchtig gesehen zu haben sich erinnerte, eben so aufgeregt und energisch für den allgemeinen griechischen Traum, die Wiederherstellung des byzantinischen Reichs, schwärmte, wie die der Griechen auf den Inseln und dem anatolischen Festlande. Zugleich bemerkte er auch, daß sie sämtlich nur untergeordnete Werkzeuge höherer Leitung und für die Erregung der Massen thätig waren, denn Alle wußten zwar, daß in den nächsten Tagen Etwas von Bedeutung geschehen solle, ohne doch zu erfahren, wo und was. Bei dem Feuer und der lebhaften Phantasie des griechischen Characters wogte das Geschwätz darüber hin und her.

Nur Geurgios wußte offenbar mehr und nachdem er verschiedene Mittheilungen angehört, nahm er Einzelne bei Seite, sprach mit ihnen eifrig und sandte sie mit Aufträgen fort, so daß bald nur noch drei oder vier Männer zurückgeblieben waren. Ihnen befahl er, auf's Neue einen Kaïk zur Fahrt bereit zu machen, und wandte sich dann an Gregor.

»Ich habe Sie mit diesen Männern näher bekannt gemacht, was der Signor Baron früher versäumt zu haben scheint, damit wenn sich irgend eine Gefahr ereignet, Sie Hilfe und Beistand haben. Die Leute, die Sie hier gesehen, haben die meisten Anhänger in der Fanarioten-Stadt und sind in diesem Augenblick bereits bemüht, das Volk für den morgenden Tag vorzubereiten. So viel ich selbst weiß, wird eine Demonstration zur Unterstützung unserer Freunde im Divan stattfinden. Signor Oelsner hat mich wissen lassen, daß ich ihn in Tophana treffen soll, und ich gehe sogleich dahin. Sie werden besser thun, hier zu bleiben, bis ich Ihnen weitere Nachrichten bringe; das Haus ist zu Ihrer Disposition, – die Frauen sind in ihren Schlafgemächern und wissen, daß sie dieselben nicht zu verlassen haben. Zwei meiner Leute bleiben hier zurück und werden für Ihre Sicherheit sorgen. Am [191] besten wird es sein, Sie ziehen sich in Ihr Zimmer zurück, das Sie freilich noch einige Stunden mit unserer unwillkommenen Gesellschaft werden theilen müssen, da ich dieselbe der Schwatzhaftigkeit der Weiber nicht anvertrauen mag und erst geeignete Kleider mitbringen werde, um sie fortzuschaffen. Gegen Morgen bin ich zurück.«

Damit verließ ihn der Fanariot und bald darauf kehrten zwei der Männer zurück und schlugen ihr Lager auf dem Boden des Zimmers auf.

Caraiskakis beschloß, sich nach dem seinen zu begeben, theils um seinen seltsamen Besuch zu beruhigen, theils um selbst einen Ort der Ruhe und Erholung zu suchen. Er fand die Odaliske wach und ganz verändert. Der Schreck und die Furcht waren von ihrem Antlitz verschwunden, und mit dem Gefühl der Sicherheit hatte sich auch Leichtsinn und Gefallsucht wieder eingestellt, denn das Leben des Harems hatte bereits unwiederbringlich die Seele des einst so einfachen und armen Mädchens umstrickt. Sie hatte die Zeit der Abwesenheit der Männer benutzt, um ihren Putz möglichst vortheilhaft wieder herzustellen und ihre Haare zu ordnen. Als Caraiskakis eintrat, saß sie in türkischer Manier auf den Kissen des Divans und naschte von den Erfrischungen.

Der Grieche setzte sich neben sie und begann ein Gespräch mit ihr. Die Naivetät dieser Hingebung, die kein Gefühl der Zurückhaltung und Schaam kannte, ohne doch niedrig und gemein zu sein, überraschte ihn. Nausika zählte jetzt achtzehn Jahre, ein Alter, in dem bei den Frauen des Orients die üppigste Blüthe der Reize eingetreten ist, denn später werden sie häufig zu voll und ungeschickt. Ihre Augen und Lippen strahlten Koketterie und Genuß, der Busen athmete üppige Sinnlichkeit. Aus dem armen griechischen Mädchen hatten zwei Jahre türkischer Erziehung die vollkommenste eitle Odaliske gemacht, die sich bemühte, jede Erinnerung ihrer Vergangenheit zu unterdrücken.

Vergeblich fragte sie daher Caraiskakis, durch die ersten flehenden Worte des Mädchens, die sie bei ihrem Erwachen aus der Ohnmacht an die Männer gerichtet, aufmerksam gemacht, nach dieser Vergangenheit; – die Eitelkeit des Mädchens ließ sie sich für eine Georgierin ausgeben, und da sie sich von Anfang an nur der türkischen Sprache bedient und mit Nichts verrathen hatte, daß sie das griechische Gespräch der Männer wohl verstanden, war es ihr [192] leicht, ihren neuen Beschützer zu täuschen, indem sie ihm andeutete, daß sie zwar als Christin geboren, jedoch schon vor vielen Jahren als Sclavin nach Stambul gekommen sei und den Islam habe annehmen müssen. Ueber die Ursache, die sie so plötzlich aus der Gunst des Großherrn und in die Gefahr des Säckens gebracht hatte, erzählte sie der Wahrheit gemäß, daß ihr dieselbe ganz unbekannt sei.

Für die Fragen, welche der Grieche gethan, richtete die Odaliske hundert andere an ihn. Sie hatte genug von dem Leben des Harems gesehen, um zu wissen, daß sie keine Aussicht habe, je wieder das Serail zu betreten, und die Todesfurcht, die sie ausgestanden, ließ auch einen solchen Wunsch gar nicht aufkommen. Dagegen ging all' ihr Sehnen und Denken bereits auf die Mittel, sich auf andere Weise ein Leben voll jener Genüsse, die sie kennen gelernt, mit möglichster Freiheit verbunden, zu verschaffen, und als Caraiskakis ihr die Versicherung gab, daß er sie von Constantinopel wegführen und für sie sorgen werde, schloß sie scharfsinnig, daß es ihm auch an den Mitteln dazu nicht fehlen könne, und setzte alle Künste der üppigen Koketterie in Bewegung, sein Herz zu erobern und seine Sinne zu bestricken.

Ihre Hand schenkte ihm den feurigen Wein des Olymp in den Becher, ihr reizender Mund plauderte ihm von jenen seltsamen lüsternen Geheimnissen des Harems, die das Blut wallen machen. Dem Manne, der, eben dem scheußlichen Aufenthalt eines türkischen Schiffsgefängnisses entronnen, noch die schweren Fesseln an seinen Gliedern zu fühlen glaubte, der wochenlang Nichts als die gröbste ekle Kost, ihm mit Verwünschungen gereicht, genossen, nur das finstre Antlitz fanatischer Moslems gesehen, – däuchte es wie ein Traut, jetzt hier im wohlgewärmten, mit Teppichen belegten Zimmer zu sitzen und die Blicke in die glänzenden Augen der schönen Odaliske zu tauchen, – so schön, – so schön, wie er noch nimmer ein Weib gesehen! von ihrer weichen Hand berührt zu werden, den feurigen Wein aus demselben Becher zu schlürfen, den noch eben die purpurnen Lippen berührt hatten.

Der finstre, ruhige Mann, der Patriot, dessen Herz nur dem Unglück des Vaterlandes schlug, der so viel für sein Idol schon gelitten, – wo blieb der Gedanke, der allein bis jetzt sein Herz gefüllt, – wo die Erinnerung an Kampf und Sieg vor dem vernichtenden, [193] verzehrenden Hauch der Leidenschaft, die sein Inneres so plötzlich, so gewaltig erfaßt? Wo blieb die catonische Tugend vor dem Sirocco des aufgeregten Bluts, das, so lange Jahre unterdrückt, jetzt die Bande sprengte und tyrannisch durch seine Adern tobte.

Er erhob sich, – er wollte das Gemach verlassen, um bei den beiden Fanarioten sein Lager zu suchen, – aber er bedachte, daß dies ihre Aufmerksamkeit und ihren Verdacht erregen müsse. Die Odaliske flog nach der Thür und schob den Riegel vor, sie flehte ihn an, sie in dieser Nacht der Gefahr und Angst nicht zu verlassen, und Gregor Caraiskakis, der starre, tugendhafte Patriot, lauschte den Worten des schönen Weibes und blieb. Mit koketter Geschäftigkeit bereitete ihm das Mädchen an einem Ende des Divans das Lager und führte ihn dahin. Dann häufte sie für das ihre die Kissen und Polster auf der entgegengesetzten Seite.

Die beiden Kerzen auf dem Tische löschte ihr Hauch – bald hörte der Grieche nur noch die schweren wogenden Athemzüge seiner Gefährtin.

So verging eine Zeit, – trotz der körperlichen Erschlaffung vermochte auch er nicht die Ruhe zu finden. Ein tiefer, sehnsüchtiger, leidenschaftlicher Hauch schwellte seine Brust und drang über seine Lippen.

Da faßte eine weiche sammetne Hand die fieberglühende seine, ein üppig runder Arm umschlang ihn, und der süße Athem eines heißen Mundes flüsterte dicht an dem seinen:

»Warum verschmäht mein Herr und Retter seine Sclavin? Soll das Herz allein ihm gehören und nicht der Leib? Möge mein Gebieter seine Dienerin nicht verachten!«

Und die buhlerischen Künste des Harems umstrickten ihn, die heißen glühenden Lippen sogen auf den seinen, electrische Funken der Lust sendend durch die entflammende Berührung in seinen Körper, weiche üppige Formen drängten und schmiegten sich an ihn – Vaterland – Freiheit – Alles war vergessen in dem entzückenden Rausch.

Der Todfeind der Moslems ruhte wonnetrunken an dem Busen der verbannten Odaliske des Großherrn, – der Gerettete und Befreite schwelgte in den wollüstigen Reizen der Tochter des Mannes, welcher kaum zwei Monden vorher für ihn, für seine Freiheit und seine Zukunft das Haupt dem Yatagan des türkischen [194] Henkers geboten hatte, – Gregor Caraiskakis im Arm, am Busen von Nausika, der Tochter des Janos!

Auch der Zweite der tapfern, der edlen Brüder, die den Heldenkampf begonnen, war der Versuchung erlegen, der Eine im Harem zu Skadar, der Andere im Fanariotenhause zu Stambul.

Was will alle Kraft der erhabensten Empfindungen, alle Begeisterung der Tugend und Ehre gegen die Katarakten des erregten Bluts und den Samum der Leidenschaft!


Das Seraskiat, von dem Thurme überragt, auf dessen Höhe die Feuerwache von Constantinopel ist (Dschandchin Koskj), liegt in der Nähe der Suleimania und des alten Serails; unfern davon, tiefer in die Stadt hinein, der Moschee des Fürsten Schekzade gegenüber, der Platz, auf dem die alte Janitscharen-Kaserne stand, deren Hof einst die Stätte des blutigen Gemetzels ihrer Vernichtung war. Der frühere Wohnsitz des Janitscharen-Aga's ist jetzt der Palast des Seraskiers oder Kriegsministers, Mehemed Ali's, des Schwagers des Großherrn, während Reschid Pascha, der Minister des Auswärtigen, im Palast der Pforte residirt.

In einem streng nach türkischer Sitte eingerichteten großen Gemache des Seraskiats waren an diesem Abend die Mitglieder der Kriegspartei im Ministerrath und seine Vertrautesten um Mehemed Ali zu einer ernsten Berathung versammelt: Arif-Hikmet-Bey, der Scheik ul Islam des Reichs, Mahmud-Pascha, der bereits abgesetzte Großadmiral, Mehemed Ruschdi, Chaireddin-Pascha und Safeli-Pascha, der neue Finanzminister. Auf einem Ehrenplatz des Divans saß mitten zwischen den Moslems ein Mann in europäischer Kleidung von mittleren Jahren, dessen langgestrecktes schmales Gesicht, röthlich blondes Haar und wasserblaues, kaltes und beobachtendes Auge den Briten verrieth. Es war Master Alison, der orientalische Secretair der britischen Gesandtschaft in Constantinopel, die rechte Hand des Viscount de Redcliffe, und durch seine Gewandtheit und Kenntniß der orientalischen Verhältnisse zur Zeit eine der einflußreichsten Personen in Constantinopel.

Jeder, der mit den Geheimnissen der türkischen Diplomatie einigermaßen bekannt war, wußte sehr wohl, daß bis jetzt sämtliche [195] Antworten und Noten der Pforte aus der Feder Master Alison's gekommen waren.

Die Berathung war ziemlich stürmisch und die Stimmung noch erbitterter, als der britische Secretair, durch seine Dragomans, – diese unübertrefflichen politischen Spione und Agenten bei der Pforte, – auf's Genaueste unterrichtet, ihnen mittheilte, daß der Großherr bereits die Fermans unterzeichnet habe, welche auch Ruschdi-Pascha sofort vom Kommando der Garden und Hayreddin vom Amt des Polizeiministers enthoben und Letzteren als Inspektor der Armee nach Asien sandten.

Der Seraskier sah sehr wohl ein, daß der nächste Schlag gegen ihn selbst gerichtet sein und daß sein Todfeind Halil damit nicht säumen werde.

Von ihm, oder vielmehr durch ihn von der Sultana Adilé, war daher auch der erste Gedanke des bewaffneten Widerstandes und einer gewaltsamen Demonstration angeregt worden, bei deren Berathung sich Master Alison jedoch jeder Einmischung enthielt, indem er erklärte, daß seine diplomatische Stellung ihm die Billigung einer Auflehnung gegen den Willen des Großherrn verbieten müsse, während er auf der anderen Seite geschickt durch ein hingeworfenes Wort den Gang der Beschlüsse zu leiten verstand.

Nur als der wilde Mehemed, von seiner Erbitterung hingerissen, von dem geistlichen Vorstande des Reichs verlangte, daß, wenn der Großsultan Abdul-Medjid bei seiner Neigung zu ihren Gegnern verharren sollte, er ab- und Abdul-Azig, sein Bruder, an seine Stelle gesetzt werden müsse, erklärte der Brite sehr energisch, daß die verbündeten Mächte, denen der schwankende leitbare Charakter des regierenden Padischah's sehr passend war, die Ausführung eines solchen Planes nicht dulden und die Flotten sofort einschreiten würden. Eben so sprach er sich gegen eine Militair-Revolution aus, die Ruschdi-Pa scha vorschlug, indem er sich der Garden versichert erklärte.

Die Zeit war vorbei, in denen die Janitscharen die Söhne Ottoman's nach Willkür auf den Thron setzten und die Mauern des Serails die Zeugen blutiger Thaten waren. Vor den Augen Europa's durften die beiden Mächte Handlungen nicht dulden, die so offen ihre Phrasen von der Vertheidigung des Sultans Lügen gestraft hätten. Zu einer Revolte in Constantinopel gehörte jetzt das Fiat von London und Paris; das Programm wurde geliefert!

[196] An eine Palast-Revolution war bei der Stellung der Parteien nicht mehr zu denken, es blieb also nur noch das Volk, – dessen Demonstration um so bedeutsamer sein mußte. Außerdem hat das Volk einen breiten Rücken und man konnte der Gerechtigkeit gegen dasselbe später freien Lauf lassen, ohne sich selbst zu schwächen, ja im geeigneten Augenblick gegen den erregten Sturm wieder auftreten und das Verdienst gewinnen, den Thron gerettet zu haben.

Man beschloß demnach, an das Volk zu appelliren und die Meute in Bereitschaft zu halten. Das Volk wird vom Fanatismus regiert, und der Scheik ul Islam erhielt daher den Auftrag, seine Armee, – die Ulema's und Softa's, die schon am 10. September von der Kriegspartei zu jener Demonstration benutzt worden, welche die ersten Schiffe der Flotte in den Bosporus rief, – wieder in Bewegung zu setzen.

Während man noch über die Art und die Zeit des Aufruhrs stritt, erschien einer der vertrauten Tschokodars des Seraskiers, um zu melden, daß ein Grieche dringend Hayreddin-Pascha zu sprechen wünsche. Der Polizeiminister verließ das Gemach und ließ den Mann in eines der nächstliegenden bringen, da ein mit verschiedenen Merkmalen bezeichnetes Goldstück, welches der Grieche der Botschaft beigefügt, ihm zeigte, daß der Fremde einer seiner Spione in der Hauptstadt war.

Wenn Gregor Caraiskakis den Mann gesehen, der jetzt mit dem Polizeiminister sprach, würde er sicher, trotz der kurzen Berührung, eine jener Personen erkannt haben, die er nach seiner Ankunft im Fanariotenhause gefunden.

Es ist traurig, aber eine Thatsache, daß, während auf der einen Seite unter den Griechen die todesmuthigste Aufopferung und Hingebung an ihre National-und Glaubensinteressen herrschte, auf der andern auch die nichtswürdigste Feilheit und Gesinnungslosigkeit sich kundgab und schmählicher Verrath in jeder Weise geübt wurde. Nur in dieser Entartung des Volkes, der kriechenden Demuth und Feigheit der Masse ist die Ursache zu suchen, daß die türkische, Herrschaft so drückend seit Jahrhunderten auf diesem Lande lasten konnte.

Der Polizeiminister hatte seine zuverlässigsten Spione unter der griechischen Bevölkerung und war von den Vorgängen und Bewegungen unter derselben stets auf's Beste unterrichtet. Die Kunde, die er so eben empfing, überraschte ihn jedoch, da sie ganz [197] unerwartet kam und die Verschworenen der Friedenspartei rasch und vorsichtig zu Werke gegangen waren. Die Nachrichten waren freilich nur unvollständig, da Baron Oelsner, als der Letter der Demonstration, die Unzuverlässigkeit der Griechen zu gut kannte, um seine Pläne vor der Zeit zu enthüllen, doch waren sie immer genügend, um ihre Bedeutung und die drohende Gefahr ermessen zu lassen. Der Pascha sandte den Griechen zurück, um nach weiterer Kunde zu spähen, und ertheilte dem Khawaß-Aga, der ihn zum Seraskiat begleitet hatte, einen Befehl, ehe er auf's Neue zu der Berathung der Minister zurückkehrte.

»Mashallah,« sagte er, seinen Bart streichend, »ich habe wichtige Neuigkeiten für das Ohr meiner Freunde. Diese Teufel von Anhängern der Moskows sind nicht müßig und wollen uns zuvorkommen. Die Griechen im Fanarioten-Quartier und in Demetri werden auf morgen zusammenberufen und sollen sich auf dem Okmeidan versammeln. Haiwan der, es sind Thiere, aber ihre Zahl ist groß. Wir wissen nicht, was sie vorhaben.«

Die Nachricht war von Wichtigkeit und rief eine neue Besprechung hervor. Dem Scharfsinn des Briten und der bedächtigen Schlauheit der Orientalen konnte es nicht verborgen bleiben, daß diese Bewegung der griechischen Bevölkerung gemacht und bestimmt war, die Maßregeln der Friedenspartei zu unterstützen, und daß eine offene Demonstration zu Gunsten Rußlands in der Hauptstadt bei den schlimmen Nachrichten, die täglich aus den rumelischen Provinzen über die Stimmung der Bevölkerung eingingen, die Geneigtheit des Großherrn zum Friedensschluß nur verstärken und seine Besorgniß erhöhen mußte.

Zum ersten Male mischte sich der englische Secretair direkt in die weitere Berathung.

»Ich sehe keine Gefahr,« sagte er ruhig, »wenn rasch gehandelt wird. Was auch der Divan morgen beschließen möge, die Sitzung des Ministerconseils wird allein die Entscheidung geben. Man möge dieselbe nicht im Palast von Tschiragan oder in der Pforte halten, sondern im Seraskiat. Ich kenne Seine Hoheit den Seraskier zu gut, um nicht zu wissen, daß hier die Entscheidung nach seinen Wünschen ausfallen wird.«

Der funkelnde Blick des Kriegsministers gab ihm die Versicherung.

»Unserem Freunde Hayreddin-Pascha wird es ein Leichtes [198] werden, die Griechen einzuschüchtern und ihre Aufmerksamkeit zu zerstreuen oder nach einer anderen Richtung zu leiten. Er wird nicht ohne Freunde sein unter der griechischen Bevölkerung.«

Hayreddin machte das Zeichen der Zustimmung.

»Wenn man die griechische Bewegung auf das Ufer jenseits des goldenen Horns beschränkt, werden die Moslems die Herren in Stambul bleiben. Es liegen vier unserer Kriegsschiffe vor der Stadt; die Gesandten werden noch einige andere von Beykos kommen lassen. Das Geschwader wird stark genug sein, um nöthigen Falls die Auflehnung nach jeder Richtung hin in Schranken zu halten.«

Die türkischen Minister schauten einander an; sie begriffen sehr wohl, was der Brite mit dem Ausdruck: »nach jeder Richtung«, meinte.

»Die Zusammenrottung der Griechen,« fuhr dieser ruhig fort, »wird die beste Veranlassung geben zu einer Demonstration von Seiten der alttürkischen Partei. Es wird Ihre Sache sein, zu bewirken, daß die russischen Sympathieen nicht den Sieg davontragen, und zu dem Ende wird es gut sein, wenn man sich der geheimen Agenten versichert, deren Umtriebe man bisher so unverantwortlicher Weise geduldet hat.«

»Allah sende ihnen Unglück,« meinte der Polizeiminister; »ich habe Nachricht erhalten, wo meine Leute zwei derselben finden können, und wir werden nicht säumen, so lange der Kopf auf unseren Schultern sitzt. Auf meine Gefahr komme es!«

Der Engländer entfernte sich hierauf aus der Versammlung, deren Theilnehmern die weiteren Verabredungen überlassend. Eine Stunde später schieden auch die anderen Mitglieder und Hayreddin-Pascha kehrte in seine Behausung zurück, die unfern der Hohen Pforte belegen war. Dort ertheilte er einige Befehle und verließ dann, in einen weiten kurdischen Mantel gehüllt und nur von einem neben seinem Pferde hergehenden Diener begleitet, auf's Neue das Haus. Sein Weg führte zur Moschee der Sultana Walide, der nächsten an der Brücke von Galata. Hinter derselben, nach dem großen Bazar zu, findet sich ein freier mit Platanen besetzter Platz, an dessen Zugang der türkische Minister vom Pferde stieg, das er der Obhut seines Dieners anvertraute. Als ein vorsichtiger Mann überzeugte er sich nochmals, daß ihm der Griff zweier Pistolen unter dem Mantel zur Hand war, und indem er dessen Kapuze [199] über den Kopf zog, betrat er den Platz und schritt auf die Terrasse der Moschee zu. Auf den oberen Stufen des Rundganges, im Schatten der hohen Mauern, fand er zwei seiner harrende Personen, den Khawaß-Aga, den er mit einem Auftrage aus dem Seraskiat abgesandt, und einen fremden Mann, den der Leser als den Kahvedschi aus dem Malthesergäßchen in Galata wiedererkannt haben würde, in dessen Hause Fuad-Effendi vor etwa zwei Monaten den ungarischen General aufgesucht. Die Abwesenheit des fähigen und schlauen früheren Ministers des Auswärtigen gerade in diesem Augenblick der Gefahr durch seine Mission an der Donau war von den Führern der Kriegspartei bei ihren Berathungen schwer empfunden worden, während ihre Gegner dieselbe eifrig benutzten.

Der Pascha flüsterte seinem Untergebenen einen Befehl zu, worauf dieser, die Hand am Säbel, in einige Entfernung zurücktrat, so daß er das Gespräch nicht hören konnte. Hayreddin ließ sich auf einer der die Balustrade des Aufganges bildenden Marmorquadern nieder und winkte dem Mann, heran zu treten, bis dieser in der Entfernung von drei oder vier Schritten von ihm war, wo ihm der Pascha, – durch die Balustrade von ihm getrennt und gesichert, – befahl, stehen zu bleiben.

»Du bist Demetrio, der Kahvedschi aus der Maltheser gasse?« fragte er.

»Wie Euer Excellenz befehlen.«

»Vor drei Tagen sind in Deinem Hause zwei Galiand schi 6 von den Schiffen der Ungläubigen, Inglesi, ermordet worden?«

»Bei der Seele meines Vaters!« schwor der Grieche, »Ihr seid falsch berichtet, o Effendi mou. Ich weiß von keiner solchen That.«

»Willst Du in meinen Bart spucken, ungläubiger Hund?« zürnte der Pascha; »ich kenne Dich und Dein Haus, es ist das berüchtigste von ganz Stambul und nur meiner Nachsicht hast Du es zu danken, daß die Mordgrube geduldet wird. Aber thue Deine Augen auf, Mann, und höre, was ich Dir zu sagen habe. Die Inglis sind eine Nation, die nicht mit sich spielen lassen, und bei der ersten neuen Klage werde ich Dir den Kopf vor die Füße legen.«

»Sen ektiar der – Ihr seid der Herr, was kann ich thun!« [200] winselte der Grieche. »Es giebt viele schlimme Häuser diesseits des Horns und es fehlt nicht an Räubern und Mördern in Constantinopel. Wie soll ich verhindern, daß ein Franke beraubt oder erschlagen wird?«

»Bosch! was geht das mich an? In Deinem Hause sind die Galiandschi ermordet worden, ich habe den Beweis und schicke Dich vor den Kadi, wenn Du nicht thust, wie ich Dir befehle.«

Der Grieche spitzte die Ohren.

»Ich küsse den Staub Eurer Excellenz, ich bin der Sclave Ihres Worts.«

»Wie viel Männer zählst Du in diesem Augenblick zu Deiner Bande?«

»Euer Excellenz sind im Irrthum ...«

»Pesevenk 7, antworte!«

»Wenn Euer Excellenz es nicht anders wollen,« sagte entschlossen der Mann, »es sind ihrer sechsundzwanzig.«

»Und wie viel vermagst Du bis morgen Abend zusammenzubringen?«

»Das ist nicht schwer, mindestens zweihundert.«

»Das genügt. – Es wird morgen eine Versammlung von Griechen auf dem Okmeidan stattfinden.«

»Ich habe davon gehört.«

»Wohl! laß Deine Freunde sich nicht in die Sache mischen und ihre Hand fern davon halten.«

»Das wird schwer halten,« meinte der Grieche; »es sind Teufel, die sich nicht zügeln lassen.«

»Nun, bei meinem Bart, wenn sie Teufel sind, so will ich sie zu Azraël dem Höllenfürsten senden! Ich bin nicht hierher gekommen, daß Du mir in den Bart lachst, Hund von einem Kahvedschi! Du weißt, daß Du mit Einem sprichst, der die Macht hat, zu befehlen und Euch Alle aus Stambul zu jagen. Ich habe andere Arbeit für Dich und Deine Freunde.«

»Das ist etwas Anderes, Excellenz; wir werden gehorchen.«

»Du weißt in der Fanariotenstadt Bescheid?«

»Ich bin dort geboren, Excellenz.«

»Bana bak! Du wirst dafür Sorge tragen, daß morgen Abend um die zweite Stunde eine große Feuersbrunst in dem Quartier entsteht.«

[201] »Es ist ein Leichtes. Wie viel befehlen Euer Excellenz, daß wir anzünden sollen?«

Der Pascha lachte, indem er sich den Bart strich.

»Ein Hund ist ein Hund, wenn man ihn auf die Fährte bringt. Es wird genügen, zwei oder drei Häuser anzustecken, der Wind wird das Uebrige thun. Kennst Du das Haus des Fanarioten Geurgios?«

»Ja wohl, Effendi.«

»Pek äji, sehr gut. Wenn der Lärmen am größten ist, wirst Du mit einigen Gefährten in das Haus dringen. In dem oberen Gemach nach der Wasserseite sollen sich zwei Personen verborgen halten. Es wird gut sein für Dich, wenn ich nicht mehr von ihnen höre.«

»Es soll geschehen, wie Ihr befohlen, Effendi.«

»Inshallah, ich habe Nichts dawider, wenn Ihr auch einige Häuser dieser Schurken von Fanarioten plündert, aber es muß ein Ende haben. Du verstehst mich!«

Der Kaffeewirth lachte.

»Lassen Euer Excellenz uns machen. Giebt es Nichts für uns zu thun in den Quartieren jenseits des Horns?«

»Bakalum, warte. Unter den Schweinen seid Ihr Griechen die klügsten. Ich erlaube Euch, in Demetri und Cassim-Pascha zwei oder drei Häuser zu plündern, aber bei meinem Bart, ich lasse Deine Eingeweide den Hunden vorwerfen, wenn Ihr mehr thut als das und einen Brand in den Frankenstädten macht. Die Dschaurs dürfen nicht beleidigt werden. Jetzt kennst Du meinen Willen, Sohn eines Juden und einer Teufelin. Haltet Euch fern von Allem, was morgen sonst in Stambul geschieht; Du bürgst mir dafür mit Deinem Kopf.«

Der Kahvedschi verbeugte sich.

»Es ist ein böses Stück Arbeit,« sagte er, »was Ihr mir auftragt. Wer bezahlt uns dafür?«

»Hund, Sohn eines Hundes, was erfrechst Du Dich?« schnaubte der Pascha. »Ist es nicht genug, daß ich Dein Leben schone, da ich in jedem Augenblick Deinen Kopf zwischen Deine Beine stellen lassen kann?«

»Euer Excellenz mögen ein mächtiger Mann sein,« sagte der Grieche demüthig, »aber ich kenne Sie nicht. Meine Gefährten sind nur mit Gold zu leiten.«

[202] »Du wirst hundert Ghazis erhalten übermorgen, auf dieser Stelle und zu dieser Stunde, wenn Du Deinen Auftrag gut erfüllt hast. So wahr ich ein Muselmann bin. Geh'!«

Der Grieche – der Bandit und Räuber – vertraute unbedingt dem Worte des Moslems und entfernte sich.


Um eilf Uhr Vormittags am nächsten Tage begann die Divansitzung im Palast der Hohen. Pforte, in welcher beide Parteien zum letzten Kampf gerüstet erschienen. Bereits am Morgen war dem Seraskier die Absetzung Mehemed Ruschdi's vom Kommando der Garden und der Befehl zugegangen, seinen Nachfolger einzuführen; Mehemed Ali verzögerte jedoch unter dem Vorwande überhäufter Geschäfte die Ausführung der Ordre. Für Hayreddin-Pascha war unglücklicherweise ein abwesender Nachfolger (Arif-Pascha) ernannt und er mußte bis zum Eintreffen desselben sein Amt behalten. Die Friedenspartei hielt sich jedoch ihres Sieges gewiß, da sie keine Ahnung von den energischen Vorbereitungen der Gegner hatte und diesmal auf die Beständigkeit des Sultans vertraute.

Bereits bei Beginn des Divans begannen die Griechen des Fanarioten-Quartiers und der Vorstädte St. Demetri und Ejoub nach den ausgegebenen Ordres auf dem Okmeidan, dem Pfeilplatz, auf der Frankenseite des Horns in Gruppen sich zu versammeln. Der Platz, oberhalb des Arsenals und der großen Schiffswerfte von Terschana gelegen, diente in früheren Zeiten zur Belustigung der Sultane im Bogenschießen, und hunderte von Steinen zeigen die Stellen, bis zu welchen die Geschosse der Herrscher getrieben worden. Jetzt ist der Platz öde und vereinsamt, aber ein Lieblings-Versammlungsort der Griechen, die hier sich freier bewegen können, als unter der dichtgedrängten türkischen Bevölkerung von Stambul selbst. Es war jetzt unter den Griechen kein Geheimniß mehr, daß nach dem Siege im Rath ein großer Zug zum Palast des Sultans stattfinden sollte, um von ihm die Ausführung des Divanbeschlusses und den Frieden mit Rußland zu verlangen. Die Masse der Bittsteller mußte dieser Demonstration ein drohendes Gewicht geben. –

Im Divan wurde die Berathung stürmisch. Da Reschid-Pascha die bestimmtesten Weisungen erhalten hatte, konnte er nicht anders, als sich der Partei des Großwessirs und Chosrew's anschließen [203] und für den Frieden reden. Das Gold und die Versprechungen Halil's hatten ihre Wirkung gethan, und die Majorität, welche sich bei der endlichen Abstimmung nach langem und heftigem Streit für die Einleitung der Friedensverhandlungen auf Grund der Note der vier Großmächte erhob, war eine bedeutende.

Nur die Ulema's und Karaskier's mit dem Scheik ul Islam an ihrer Spitze und die persönlichen Freunde und Vertrauten des Kriegsministers stimmten dagegen.

Das Resultat durch rothe und weiße Kugeln war kaum bekannt, als der Seraskier und mit ihm Arif-Hikmet, der Scheik ul Islam und Großmufti des Reichs, sich erhoben und in zornigen Reden erklärten, daß sie sich dem Beschlusse nicht fügen, sondern sofort an das Volk appelliren würden, da der Islam nur durch einen Sieg über seine Feinde gerettet werden könne. Sie verließen sofort mit all' ihren Anhängern den Divan und begaben sich nach der Aia-Sophia.

Dies war Nachmittags um fünf Uhr.

Eine Menge Volks hatte sich um den Palast der Hohen Pforte versammelt und wie ein Lauffeuer flog die Kunde durch die weite Stadt.

Die ausgestellten Boten brachten die Nachricht nach dem Okmeidan; sie war das Signal zur Demonstration. Fahnen mit den Inschriften: »Frieden mit Rußland!« »Bürgerliche Rechte den Rajah's!« »Es lebe der Kaiser Nicolaus, unser Beschützer!« – bunte Laternen mit ähnlichen Devisen und Carricaturen auf die Westmächte tauchten überall wie durch Zauberei auf und Redner erhoben sich auf den Denksteinen umher und redeten das Volk an.

Der Gang der Bewegung war offenbar genau vorher bestimmt. Die Menge, die sich aus den griechischen Quartieren hier versammelt hatte, belief sich auf mehr als zwanzigtausend Menschen und behauptete den Platz und seine Umgebungen trotz des stürmischen Wetters, das bereits den ganzen Tag über getobt hatte. Unter dem Grollen des Donners und dem Leuchten der Blitze, – eine in Constantinopel in dieser Jahreszeit nicht ungewöhnliche Erscheinung, – begann sich der Zug zu ordnen, der noch an demselben Abend seinen Weg nach Tschiragan nehmen und eine Bittschrift an den Sultan übergeben sollte.

In diesem Augenblick erst verbreitete sich die Nachricht von der Gegendemonstration, welche die türkische Bevölkerung auf der [204] anderen Seite des Horns in Stambul vorbereitete, und erregte schon durch das Unbestimmte der Nachricht großen Schrecken unter den Griechen.

Der Scheik ul Islam mit dem Kriegsminister und seinen Anhängern hatten sich, wie bereits erwähnt ist, in die Aia-Sophia begeben. Mehrere mit ihren Führern darin befindliche Christen, meist Offiziere, wurden höflich ersucht, dieselbe zu verlassen, und die Moschee ward hierauf abgesperrt. Zu gleicher Zeit versammelten sich die Softa's, die Studenten der türkischen Theologie und Rechtswissenschaft, deren Zahl in Constantinopel über Dreitausend beträgt, in der Moschee des Sultans Achmed am Hippodrom und das Volk füllte den ungeheuren Platz.

Einen dritten Heerd der Bewegung, – gefährlicher noch als die beiden genannten Orte, – bildete die Mahmudje, – die Moschee (Dschami) Sultan Mahmud II., des Eroberers von Constantinopel. Sie steht in der Nähe des Fanarioten-Quartiers, auf der Stelle, wo einst einer der schönsten Tempel des christlichen Byzanz prangte: die Kirche der heiligen Apostel. In den Todtengrüften der Letzteren ruhten von Constantin an die Gebeine der meisten morgenländischen Kaiser in kostbaren Sarkophagen, bis die Lateiner unter Balduin und Dandolo sie der heiligen Stätte entrissen. Mahmud baute die Moschee, die nach seiner Absicht noch die Sophia überragen sollte, und weil sie das nicht that, ließ der Tyrann dem Baumeister Christodulos beide Hände abhauen. Die Moschee mit ihren Säulengängen und Vorhöfen, in denen unter hohen Cypressen die Fontaine plätschert, ist die Hochschule der Softa's und hat in ihren Anbauten über 360 Zellen als Wohnungen derselben. Von hier aus war die Masse zwar zur Achmetje 8 gezogen, dagegen eine Anzahl vertrauter Schüler zurückgeblieben, um die sich versammelnde Bevölkerung der inneren Stadttheile zu bearbeiten und mit der erregten die griechischen Quartiere zu bedrohen.

Die drei Sammelpunkte des Aufruhrs standen durch Boten fortwährend in Verbindung und mit Genugthuung hörten die Leiter der Bewegung, wie die Zahl und Aufregung der Masse in der Mahmudje und auf dem Atmeidan oder Hippodrom fortwährend schwoll. Dieser Platz des Kaisers Sever, einst die Schaubühne der[205] Rennen und Spiele, durch berühmte Kunstwerke geschmückt, ist jetzt eine elende Stätte von noch kaum 250 Schritten Länge und 150 Breite, während er im Alterthum wohl vier Mal so groß war. Die Achmetje und schmuzige Häuser und Hütten haben ihn beengt, und wo sonst die Statue des Herkules Trihesperus kniete, oder die Wölfin des Romulus stand, das eherne Nilpferd, Scylla und Charybdis und das reizende Bild der griechischen Helena, wallenden Haares um den liebepredigenden süßen Leib; – wo einst die Wagen in der siebenmaligen Runde vor dem Cäsar um den Platz donnerten und auf dem Thurme die vier goldenen Rosse prangten, die ihren Weg auf die Marcuskuppel von Venedig gefunden haben, – da hält jetzt nur ein schmuziger türkischer Kaffeewirth unter einsamer Sykomore oder Platane seine traurige Boutike aufgeschlagen. Welche Thaten und Geschicke hat dieser Platz gesehen, welche Ströme von Blut getrunken! Alle Revolutionen des alten und neuen Byzanz gingen von ihm aus; hier wurde Gratianus Augustus durch die Meuchler ermordet; Justinianus warf kühn den Stab in die Arena zum Beginn der Spiele, während der Rebell Hipatius schon den Hippodrom stürmte und Belisar ihm entgegentrat, indeß halb Byzanz in Flammen dem Kampfe leuchtete; hier hielt der aus dem Vandalenkriege heimkehrende Feldherr seinen Triumphzug mit dem Schimmelgespann, das sein Augenlicht kostete; – da, an der Achmetje mit ihren goldenen Kandelabern und smaragdenbesetzten Ampeln, im Todtengarten der prächtigen Moschee, ruhen neben den Gebeinen ihres jungen Erbauers die Leichen seiner Söhne, Sultan Osman's II., der seine frühe Regierung mit dem Morde des Bruders begann und nach achtzehn Jahren selbst von den Janitscharen erschlagen wurde, – die Leichen Murat's IV. und seiner von ihm gemordeten Brüder Bajazet und Suleiman! Auf dem Atmeidan entfaltete der Großwessir unter dem vorigen Sultan die Fahne des Propheten und führte die Meute zum Mordsturm auf die Kaserne der Janitscharen!

Und dennoch waren es gerade die Manen dieser, die man rachedrohend gegen den Sohn ihres Vernichters heute heraufbeschwor. Die Pforten der Achmetje öffneten sich und von den Treppen und Terrassen hielten die Softa's feurige Reden an das Volk. Ueberall unter der Menge tauchte zugleich der Turban der Janitscharen auf, das grüne Band, ihr gefürchtetes Wahrzeichen flatterte vom Sturm gepeitscht über den Köpfen der Menge. Der Ruf [206] nach Krieg mit den Dschaur's, nach Entfaltung der Fahne von Mekka, nach Absetzung des Sultans, scholl aus hundert Kehlen, und die Menge heulte es nach und der Name Abdul-Azig, als des neuen Padischah's, klang trotz der Betheuerungen der Minister gehen Master Alison schon tausendfach in die drohende Gewitternacht. – –

Vor Tophana lagen zwei Schiffe der vereinigten Flotten, die »Queen« von 120 Kanonen und der Zweidecker »London«, ihre gähnenden Breitseiten gegen die Stadt gerichtet. In den Decks von Tershana lag außer einer preußischen Corvette, die durch einen unglücklichen Zusammenstoß im Bosporus beschädigt worden, die englische Fregatte »Tiger« zur Reparatur. Sie war bei der Einfahrt in's Marmorameer auf einen verborgenen Fels gerathen und hatte ein starkes Leck erhalten. Eine Menge Offiziere und Matrosen des bei Beykos und Bujukdere ankernden Geschwaders befanden sich außerdem auf Urlaub in Constantinopel.

Wir müssen zu einer kurzen Scene am Vormittag des Tages zurückkehren.

Die Fregatte Tiger hatte zwei Boote nach dem Ufer der Fanariotenstadt gesandt, um aus einem der griechischen Magazine, die sich dort befinden, Schiffsvorräthe in Empfang zu nehmen. Während der Deckmeister Adams mit den Matrosen die Gegenstände abnahm und verlud, trieben sich die beiden den Booten beigegebenen Midshipman, Frank Maubridge und Gosset, in der Umgebung der Magazine umher, oder streiften neugierig durch die Gassen, das ihnen neue Leben und Treiben beschauend. Von Zeit zu Zeit mußte freilich einer von ihnen zum Magazin, wenn der alte Deckmeister eine Ladung zu Schiffe brachte, um während der Zeit die Aufsicht über Mannschaft und Vorräthe zu halten, im Ganzen aber waren sie bei dem Willen, den der alte Adams ihnen that, ziemlich frei, wie sich Midshipman immer zu machen wissen, und der Kaufherr, welchem die Magazine gehörten, bewirthete sie mit der seiner Nation eigenthümlichen Geschmeidigkeit reichlich.

Eben war die Reihe, umherzustreifen, an Frank – einem hochaufgeschossenen Burschen, der, obschon erst 17 Jahre, doch bereits durch das Seeleben ein männliches Aussehen hatte, während der kleine zu jeder Teufelei geneigte Gosset mit gekreuzten Beinen und einem seine doppelte Länge messenden Nargileh zwischen den [207] Zähnen prahlerisch auf einem Teppich im Vorhause des Magazins saß und den unvermeidlichen Kaffee schlürfte. Frank Maubridge zog in der Nähe des Wassers umher durch die engen Straßen und kleinen bis an's Horn laufenden Höfe. Es war Mittagszeit und der Stadttheil bereits öde und verlassen, denn Alle, die nicht Geschäfte zurückhielten, zogen sich nach dem Okmeidan, und die Kaïks kreuzten mit Zuströmenden fortwährend über die Meeresfläche.

Ein griechisches Haus, größer als die anderen und nahe dem Wasser, war dem jungen Manne schon am Morgen ausgefallen, Thür und Jalousieen waren verschlossen, aber als er aufmerksam umherspähte, um wo möglich Etwas von den interessanten Geheimnissen der Frauengemächer zu erlauschen, öffnete sich wirklich eine der Jalousieen und ein junges Weib in reicher Tracht von wunderbarer und verführerischer Schönheit schaute heraus, – Nausika, die Odaliske.

Während das schöne Mädchen am Morgen noch im träumenden Schlummer auf den Kissen ruhte, hatte Gregor Ccraiskakis sich erhoben, betäubt, unzufrieden mit sich selbst, und dennoch von Glück und Liebe berauscht, wenn sein Blick auf die süße Gestalt fiel, die an seinem Herzen geruht. Leise, ohne sie zu wecken, verließ er das Gemach und suchte seinen bereits in der Nacht zurückgekehrten Wirth auf, den er von den Anstrengungen des Tages und Abends gleichfalls noch in tiefem Schlaf fand. Als derselbe endlich erwachte, gab er ihm eine Botschaft des Barons, der ihn eiligst zu sprechen wünschte, und brachte ihn selbst zu diesem, nachdem Gregor sein Aeußeres mit Hilfe des Wirths möglichst verändert und sich in den weiten schwarzen Talar eines Armeniers gesteckt hatte. Der geheime Agent freute sich aufrichtig des Wiedersehens und machte ihm alsbald eine genaue Mittheilung der Vorgänge und Aussichten. Er war bereits durch Geurgios von den Ereignissen bei der Flucht des Griechen von der türkischen Fregatte unterrichtet und seine Combination hatte ihm gezeigt, daß die Fremde die durch den Zorn des Sultans aus dem Harem entfernte Odaliske sein müsse, wenn er auch das Räthsel nicht lösen konnte, wie die Stummen des Kislar-Aga dazu gekommen waren, die offenbar dem Tode Geweihte dem fremden Boote zu übergeben. Es war jedoch keine Zeit, sich jetzt mit der Lösung dieser Frage zu beschäftigen, und da es ihm wichtig schien, das Mädchen selbst zu sprechen und von ihr vielleicht über die Anschläge der Sultana weitere Auskunft [208] zu erhalten, wurde beschlossen, daß sie vorläufig noch in dem Hause des Fanarioten verborgen bleiben und erst später über ihr weiteres Schicksal entschieden werden solle.

Während Caraiskakis bei dem Baron blieb, ihn in seinen Anstalten zu unterstützen, kehrte Geurgios nach dem Fanar zurück und machte seiner schönen Gefangenen die Mittheilung, daß sie um ihrer Aller Sicherheit willen an ihrem jetzigen Zufluchtsorte still und einsam verborgen bleiben müsse. Er versorgte sie mit allen Bedürfnissen reichlich und schloß sie dann auf's Neue ein. Dem leichtsinnigen eitlen Mädchen, das die Todesangst des vorigen Abends längst überwunden, war die Gefangenschaft und Einsamkeit wenig willkommen, und je länger sie dauerte, um so drückender wurde sie ihr. Die Kenntniß des griechischen Lebens versprach ihr ohnehin wenig Genuß und Zerstreuung für die Zukunft, wenn sie eingesperrt blieb, und schon dachte sie daran, wie sie sich von diesen neuen Fesseln befreien könne. Daß ihr Retter und neuer Liebhaber ein Grieche und nicht ein Franke war, wie sie Anfangs gehofft hatte, behagte ihr wenig, denn von dem freien und genußreichen Leben der fränkischen Frauen haben die orientalischen Weiber einen ausschweifenden Begriff und sind daher auch stets geneigt, gerade mit Fremden ein Liebesverhältniß anzuknüpfen.

Von Geurgios hatte sie erfahren, daß ihr neuer Beschützer vor dem späten Abend nicht zurückkehren werde, und die Langeweile und das Bedürfniß der Zerstreuung trieb sie daher an die Jalousieen, die nach dem Horn und nach einer einsamen von Mauern gebildeten Gasse zeigten. Hier hatte sie schon am Vormittag die umherstreifenden englischen Midshipmans bemerkt, und als sie am Mittag auf's Neue Frank gewahrte, konnte sie die Eitelkeit und Lust der Intrigue nicht unterdrücken und zeigte sich ihm an den geöffneten Jalousieen.

Der junge Mann blieb, entzückt von so viel Reizen und seinem Glück, stehen.

»Schöne Dame,« sagte er galant und mit allem Aufwand orientalischer Poesie, dessen er fähig war, »der Strahl der Sonne ist Nichts im Vergleich mit Euren glänzenden Augen, Eure Lippen sind wie aufgeblühte Rosen und ich bringe Euch meine Huldigung über solche vollendete Schönheit.«

Das Mädchen lachte, obschon sie von der unsinnigen Begrüßung Nichts verstanden hatte. Sie machte ihm durch Zeichen [209] deutlich, daß sie von seinem Englisch Nichts begriffe und fragte in der lingua franca, ob er diese oder griechisch verstehe.

Der wackere Frank war in Letzterem freilich nicht bewandert, aber da er ein Jahr lang auf der Station in Malta zugebracht, kannte er genug von der Sprachenmelange, die man mit der erstern Benennung beehrt, und vom Italienischen, um sich verständlich zu ma chen, und so wiederholte er sein Compliment in der angedeuteten Mundart, wenn auch nicht ganz so zierlich.

»Wer bist Du?« fragte die Odaliske.

»Der Teufel soll den Tiger holen, das alte Rattennest!« sagte Frank wohlgefällig, »wenn ich nicht einer seiner Offiziere bin. Jedenfalls aber, schöne Dame, bin ich ein britischer Gentleman.«

»Bist Du reich?« lautete die weitere Frage.

Der Midshipman fand sich durch den Zweifel gekränkt und um den britischen Ruf zu bewahren, griff er in die Tasche und konnte, da die Güte seines Bruders ihn noch am Tage vorher reichlich versehen, eine stattliche Hand von Souverain's und Kronenstücken der Schönen produziren.

»Wenn Du ein Franke bist und reich und ein Offizier,« sagte mit einem überaus zärtlichen Blicke die Kokette, »so möchte ich wohl mit Dir entfliehen. Du würdest mich beschützen, nicht wahr?«

»Potz Haifisch,« murmelte der junge Mann, »das geht rasch hier zu Lande! – Wer bist Du denn eigentlich, schöne Dame?« fragte er.

»Ich heiße Nausika und bin eine Obaliske des Großherrn,« erzählte die leichtsinnige Schöne. »Aber ich bin hier eine Gefangene und wer weiß, welches Leid mir noch geschieht. Wenn Du mich retten willst, werde ich Dein Glück machen. Du gefällst mir – und ich habe immer gehört, daß die Inglis Alles in diesem Lande thun dürfen, was selbst die Türken nicht wagen.«

Eine Odaliske des Großherrn! – Der Gedanke verwirrte vollends das ohnehin von abenteuerlichen Bildern und Unfug strotzende Gehirn des Mid's und er beschloß auf alle Gefahr hin, den Ritter bei der Schönen zu spielen.

»Wenn Du mich lieben kannst, reizende Sultana,« sagte er emphatisch, »so will ich gekielholt werden, wenn ich nicht Blut und Leben für Deine Befreiung d'ran setze. Sage mir nur, wie es zu machen ist, denn der Teufel soll mich holen, wenn ich es weiß!«

Nausika, die an der Bekanntschaft großen Gefallen fand und, [210] ihrer Reize gewiß, über ihre Zukunft wenig Besorgniß hegte, war mit den Vorschlägen gleich bei der Hand.

»Kannst, Du des Abends, im Dunkel um die dritte Stunde, wieder unter meinem Fenster sein, schöner Offizier?«

Der Midshipman schnitt ein Gesicht; er wußte nur zu gut, daß auf rechtem Wege das nicht möglich war, denn die aufgetragene Arbeit am Werft war bald gethan und er mußte mit den Booten an Bord zurück; die Benennung »schöner Offizier« aber war zu unwiderstehlich, und da ein Mid selten um eine Lüge oder um eine Prahlerei verlegen ist, bejahte er dreist die Frage und verständigte sich dann mit der Schönen über den Unterschied der Schiffsglocken 9 und der griechischen Zeitrechnung.

»Ich werde an diesem Fenster ein Tuch heraushängen, wenn ich allein bin. Dann gieb mir ein Zeichen, indem Du drei Mal in die Hände klatschest und ich werde die Jalousieen öffnen. Hast Du ein Mittel, mir heraus zu helfen?«

»Zum Henker,« sagte Frank, »wofür gäb' es denn Strickleitern in der Welt?«

»Gut. Geh' jetzt, damit wir nicht Verdacht erregen. Lebe wohl, schöner Franke, ich zähle auf Dich!«

»Gott verdamm' meine Augen!« schwor der würdige Midshipman auf Englisch, indem er die Hand betheuernd auf's Herz legte, – »heute Abend bin ich zur Stelle und entführe Euch, holde Miß!« –

»Den Teufel, werdet Ihr thun!« sagte eine grobe Stimme neben ihm. »Mid's Schwüre sind keinen Penny werth und Ihr thätet besser, Master Frank, Ihr machtet Euch zu den Booten, um die Rechnung abzuschließen, statt hier dem ungläubigen Weibsvolk nachzuspüren.«

Mit einem leichten, Schrei flog die schöne Odaliske vom Fenster und schlug die Jalousieen zu, Master Frank aber wandte sich ärgerlich zu dem alten Adams, der in aller Seelenruhe eines britischen Matrosen vor ihm stand und mit dem einen Auge ihn, mit dem andern das Fenster anschaute, in welchem das schöne Mädchen verschwunden war.

»Die Haifische sollen meinen Leichnam bekommen,« sagte der würdige Deckmeister, »wenn ich nicht geglaubt habe, Ihr würdet [211] meiner Erziehung mehr Ehre machen, als der Baronet, Euer Bruder. Aber ich seh', es ist Einer aus Eurem Geschlecht so toll wie der Andere. Der Unterrock ist eine böse Flagge, Master Frank, und vollends in diesem Lande, wie ich mir habe sagen lassen.«

»Laß mich zufrieden mit Deinen Predigten, altes Seeungethüm,« erwiederte ärgerlich der Midshipman, indem er bemüht war, den unwillkommenen Aufpasser von dem Platz fort zu manövriren. »Was, zum Henker, bringt Dich in mein Kielwasser?«

»Es thut mir leid,« meinte der Aeltere, indem er seinen Zögling durch die Gassen und Gäßchen, auf die er ein scharfes Auge gerichtet hielt, zu dem Magazin zurückgeleitete, »daß Ihr diesmal mein vorgesetzter Offizier seid. Als solchem hab' ich Euch zu rapportiren, daß die Ladung vollständig ist, und daß Meister Gosset nur auf Euch wartet, um dem Kaufmann zu quittiren und abzustoßen. Der junge Halunke wollte Euch selbst aufsuchen, aber dann hätten wir wahrscheinlich das Nachschauen nach Zweien gehabt.«

Frank antwortete nicht auf die höflichen Redensarten des Deckmeisters, um die er sich herzlich wenig kümmerte, und brütete über andere Dinge. So kamen sie zum Magazin, wo Gosset den Kameraden mit einigen solennen Verwünschungen über sein langes Ausbleiben empfing, wegen dessen sie wahrscheinlich des warmen Mittagsessens an Bord verlustig gehen würden. Unsere Midshipmen hatten zwar fast den ganzen Vormittag noch nichts Anderes gethan, als gegessen, getrunken und umhergelungert, wann aber würde je der Magen eines echten Mid's, dieses Gamin der See, gesättigt?

Nachdem die Rechnungen des Kaufmanns unterschrieben waren, begab sich die Gesellschaft in die Boote, und zum Aerger des argwöhnischen alten Matrosen wußte Frank es so einzurichten, daß er mit seinem Kameraden in dem zweiten saß. Der Verdacht des würdigen Deckmeisters steigerte sich noch höher, als er sah, wie die beiden jungen Herren eifrig die Köpfe zusammensteckten, und Frank mit seinem Busenfreunde eine große Berathung hielt. Der alte Matrose witterte Unheil, wie eine Möve den Sturm, denn er kannte seine Leute, aber er war außer Stande, es zu verhindern.

»Höre, Frank,« sagte der liebenswürdige Jüngste der Mid's-Kajüte, »die Geschichte ist Goldes werth. Auf mein Wort, ich helfe Dir, wir entführen dem Sultan seine Geliebte vor der türkischen Nase weg, und wenn wir dabei auch arg in die Klemme [212] kommen sollten. Sie hat gewiß einen ganzen Schatz von Diamanten und sonstigen Edelsteinen bei sich, und das Beste ist, wir machen uns mit ihr ganz und gar aus dem Staube und werden irgendwo Pascha's.«

Frank fiel zwar die gierige Frage seiner Schönen ein, ob er reich sei? indeß sein Stolz litt es nicht, die Sultana, von der er geprahlt, selbst herabzusetzen. Ueberdies hatte er ja die Tasche voll Geld. – »Aber wo bringen wir sie hin?« – Die Frage machte den beiden Burschen einiges Kopfzerbrechen, aber bald wurden sie darüber eins, irgend einen beliebigen jüdischen Commissionair, wie sie deren zu Hunderten in Constantinopel umherlaufen, dafür sorgen zu lassen.

Das Nächste und Wichtigste vor Allem war, wie sie von dem Schiffe fortkommen sollten, und Frank übernahm dies Geschäft, während Gosset versprach, einige Schiffspistolen und Munition bei Seite zu schmuggeln. Beide wußten sehr gut, daß die scharfen Augen des alten Deckmeisters auf sie gerichtet waren und daß sie vor allen Dingen ihn täuschen mußten, damit er ihnen nicht einen Querstrich durch die Rechnung mache. Sie ließen deshalb näher zum andern Boot hinanlegen und begannen eine gleichgültige Unterhaltung, bis sie in den Docks des Arsenals landeten, an deren äußerem Eingang die Fregatte bereits ausgebessert lag.

Während der erste Lieutenant die Rechnungen des Kaufmannes abnahm und der Deckmeister damit beschäftigt war, die Ladung an Bord zu bringen, gelang es Frank, der auf der Lauer lag, an den Capitain zu kommen, der als ein alter Seewolf es verschmäht hatte, auf dem Lande sein Quartier zu nehmen. Der Midshipman brachte bescheiden sein Gesuch vor um Urlaub für sich und Gosset für den Abend und die Nacht, unter dem Vorwande, daß sein Bruder, der Baronet, sie in das Hotel d'Angleterre zu sich eingeladen, und da der Capitain zufällig wußte, daß Frank einige Zeilen von seinem Bruder erhalten hatte, auch die Geschäfte der Midshipmen besorgt waren, gab er dem ersten Lieutenant Anweisung, sie zu beurlauben.

Zu dem ganzen Manöver hatte, – das Mittagsessen im Stich lassend, – das würdige Paar wohlweislich die Zeit gewählt, wo Meister Adams unter Deck beschäftigt war. Der Alte war daher nicht wenig erstaunt, als er die beiden Burschen bald darauf in ihre Regenmäntel gehüllt und offenbar mit allerlei Vorrath darunter [213] bepackt aus der Midshipman-Kajüte kommen und gemüthlich in eines der Kaïks steigen sah, die überall zum Gebrauch bereit standen. Er rief ihnen zu und fragte, wohin sie wollten, die jungen Halunken beeilten sich aber, den Bord zu verlassen, und als sie erst im Kaïk saßen, spreizten sie wie auf Verabredung Beide die Finger an die Nase und streckten als Zeichen ihres Sieges die Zunge heraus, während der Kaïkschi seine Ruder einsetzte und davon fuhr.

Der Deckmeister brummte verschiedene nicht sehr schmeichelhafte Verwünschungen hinter ihnen drein, bis der erste Lieutenant, der zufällig in seine Nähe kam und, wie der Capitain, große Stücke auf den alten Seemann hielt, ihn fragte, worauf er denn so ärgerlich sei. Der Matrose zeigte ihm die Davonfahrenden.

»Gott verdamme meine Augen, Sir,« sagte er, »wenn die Burschen nicht irgend einen Streich vorhaben. Ich habe so was schon heute Morgen am Ufer gemerkt, und als sie in die verdammte Nußschaale kletterten, der eines ehrlichen Seemanns Bein den Boden ausstößt, sah ich, wie dem Master Gosset aus dem Mantel eine Schiffspistole fiel. Er ist der größte kleine Taugenichts auf Ihrer Majestät Flotte.«

Das wußte der erste Lieutenant sehr wohl.

»Gebt ihnen ein Signal zur Rückkehr. Wo ist der Feuerwerker?«

Master Hunter, der Feuerwerker, mußte aber erst gesucht werden, und es vergingen mehrere Minuten, ehe er vor dem Lieutenant erscheinen konnte.

»Haben Sie den Midshipmen Maubridge und Gosset Pistolen gegeben?«

»Ja, Sir! Master Gosset bat mich um zwei Paare und sagte, sie hätten die Erlaubniß vom Capitain, auf dem Bosporus Möwen zu schießen.«

Er verschwieg weislich, daß ein Kronenstück Frank's der Bitte den gehörigen Nachdruck gegeben hatte.

»Sie sind selbst eine Möwe, Sir,« sagte aufgebracht der erste Lieutenant, »daß Sie sich von zwei jungen Laffen zum Besten halten lassen. Gehen Sie zum Henker mit Ihrer Gutwilligkeit, ich werde es dem Capitain melden. Haben die Burschen beigelegt?«

Daran dachten aber die Beiden nicht, vielmehr hatten sie, als sie den ersten Lieutenant im Gespräch mit dem Deckmeister sahen, [214] die Gefahr wohl erkannt und trieben den Kaïkschi eifrig an, so rasch als möglich sich davon zu machen, indem sie mit stoischer Ruhe der Fregatte den Rücken kehrten und für alle Winke blind und taub blieben.

»Da gehen sie hin, die jungen Halunken,« sagte der Lieutenant, als ihm der alte Matrose berichtete, daß alle Bemühungen vergeblich gewesen, und auf den Kaïk wies, der bereits zwischen den andern Schiffen verschwand. »Es ist zu spät, um sie einzuholen, und ich wette einen halben Monatsold, daß sie irgend ein Unheil angezettelt haben, ehe sie wieder an Bord kommen. Im Ganzen ist es gut, daß sie wenigstens bewaffnet sind.«

»Aber sie sind zu jung, Sir, und können ein Unglück haben unter diesem fremden Volk,« wandte der alte Matrose ein.

»Bah! Unsinn, Mann. Midshipmen und Katzen kann man vom Kirchthurm werfen, und sie kommen immer auf die Füße zu stehen. Außerdem ist Nichts an ihnen verloren.«

Mit diesem geistreichen Trostspruch, der wirklich viel Wahres an sich hatte, wandte sich der erste Lieutenant wieder zu seinen Geschäften und überließ es dem alten Matrosen, mit der Sorge um seinen jungen Zögling selbst fertig zu werden.

Die beiden Mid's hatten sich unterdeß in Galata landen lassen und in einem Kaffeehause ihr Quartier aufgeschlagen. Sie bemerkten wohl, daß eine große Bewegung und Unruhe unter der Bevölkerung herrschte, kümmerten sich aber darum herzlich wenig, sondern, verfolgten ihre eigenen Zwecke. Das Resultat der angestellten Berathung war, – da Master Frank Einiges von den Affairen seines Bruders, des Baronets, in Smyrna hatte munkeln hören und sich dies zum Muster zu nehmen beschloß, – daß man erst eine abgelegene Wohnung in irgend einem fernen Quartier auftreiben müsse, wohin man die Schöne am Abend bringen und wo man in Muße den weiteren Fluchtplan besprechen und einleiten könne. In der That gelang es auch den Burschen, einen jüdischen Commissionair aufzutreiben, welcher für eine goldene Guinee versprach, eine solche Wohnung sogleich zu finden und sie an einer bestimmten Stelle des diesseitigen Hornufers zu erwarten. Durch seine Vermittelung und ein tüchtiges Pfandgeld gelang es ihnen auch, von einem der griechischen Handelsschiffe ein kleines Boot zu leihen, das sie selbst regieren konnten. Als diese wichtigen Vorbereitungen getroffen waren, machten es sich die abenteuerlustigen Midshipmen [215] in einem oberen Gemach des heute leeren Kaffeehauses bequem, luden ihre Pistolen und warteten schwatzend die bezeichnete Stunde ab.

Wir müssen sie dort einige Augenblicke verlassen, gewiß, sie am rechten oder vielmehr unrechten Orte wiederzufinden, und uns wieder zu den politischen Ereignissen des Tages wenden. –

Während Caraiskakis in der Wohnung des Barons beschäftigt und dieser ausgegangen war, erschien ein türkischer Soldat, der Letzteren sprechen wollte. Es war derselbe, den Gregor als Boten vom Schiff benutzt und dessen getreuer Bestellung er hauptsächlich seine Befreiung durch den Baron zu danken hatte.

Der junge Grieche war sehr erfreut, den früheren Gefangenen hier wiederzufinden, nach dem er, einen Urlaub der Mannschaft benutzend, sich bei dem Baron erkundigen wollte. Er erzählte Caraiskakis, daß am Vormittag wieder der Engländer an Bord gekommen und sehr erstaunt und erzürnt gewesen sei, ihn nicht mehr zu finden. Dabei kam es denn heraus, daß er auf einen Gegendienst für seine Bemühungen zur Befreiung Gregor's hoffte, und daß er beabsichtigte zu desertiren, indem ihm, gewaltsam zum Dienst gepreßt, dieser täglich unerträglicher wurde.

Eine glühende Sehnsucht schien das Herz des jungen Mannes nach seiner Heimath zu verzehren, und bittere Thränen rollten über seine Wangen, als er sein trauriges Schicksal erzählte. Man hatte ihn mit Gewalt und ohne daß er eine Ahnung seines Schicksals hatte, plötzlich aus seinem stillen Leben und von seinem kleinen Eigenthum in Anatolien gerissen, als er eben im Begriff war, ein geliebtes Mädchen zu heirathen. Mit Erstaunen über die seltsamen Fügungen des Schicksals entnahm Caraiskakis aus der Erzählung, daß der arme Soldat Vaso, der erwählte Eidam seines treuen Freundes und Schützers Jani's des Wegweisers, der Bräutigam Nausika's war, der von der Willkür des Musselim von Tschardak unter die Redifs gesteckt und später zum Schiffssoldaten gemacht worden war. Einige Fragen gaben ihm die volle Gewißheit und der junge Mann umfaßte weinend seine Kniee, als er hörte, daß der Mann, dem er in seiner Gefangenschaft freundliches Wohlwollen bewiesen, ein Freund seines Schwiegervaters war und bereits sein Unglück kannte. Die Theilnahme Gregor's war durch diese Entdeckung natürlich verdoppelt und er versprach dem Soldaten, ihm auf alle Weise zu seiner Flucht behilflich zu sein. Da er es für das Beste hielt, ihm Nichts von dem Geschehenen zu verschweigen, [216] enthüllte er dem Unglücklichen nach und nach auf seine stürmischen Fragen das ganze Unheil, das die Familie seit der Zeit ihrer gewaltsamen Trennung betroffen hatte. Die Augen des jungen Anatoliers funkelten vor Schmerz und Rachedurst, als er vernahm, daß seine Braut mit Gewalt hinweggerissen und ihr Schicksal unbekannt war, daß Janos ihre und seine Schmach blutig an dem Musselim gerächt und eben so blutig geendet hatte, und ein gewisser Stolz kam ihm bei seinem Leid zu Hilfe in dem Gedanken, daß der berühmte Räuber, von dem er so viel gehört, ohne zu wissen, daß er ihm so nahe stand, der Mann war, der ihn zum Eidam gewählt hatte.

Caraiskakis überließ den Flüchtling seinem Schmerz und als er sich mit der Leidenschaftlichkeit seines Volkes ausgeklagt, suchte er ihn zu beruhigen und versprach ihm, daß er bei ihm bleiben und ihn in einigen Tagen begleiten solle auf dem Wege nach Norden.

Als der Baron zurückkehrte, wurden rasch einige andere Kleider für den Burschen herbeigeschafft, und da bereits Nachricht eingegangen war, daß die Griechen sich auf dem Okmeidan versammelten, begaben sich alle Drei dorthin.

Gregor's Seele hatte keine Ahnung, daß die schöne Odaliske, in deren Arm er die Nacht geruht, die geraubte Braut seines neuen Schützlings, die Tochter Jani's war, von der jede Spur verloren gegangen schien. –

Wir haben jetzt die einzelnen Vorgänge des Tages nachgeholt und nehmen die Erzählung bei dem Zuge vom Okmeidan wieder auf.

Es war jetzt Abends um die achte Stunde und die Nacht zu dieser Jahreszeit bereits eingetreten. Die Blitze zuckten am Horizont und der ferne Donner grollte über die Marmora, der heftige sturmartige Wind aber jagte die Wellen in's Horn und peitschte die Fahnen des langen Zuges, welcher vom Pfeilplatz aus sich durch Cassim-Pascha und hinter den großen Begräbnißplätzen fort nach der Straße wenden sollte, die zum Ufer von Tschiragan hinunter führt.

Die Natur selbst schien sich gegen die Demonstration der Griechen verschworen zu haben, und von verschiedenen Seiten war bereits der Vorschlag gemacht worden, den Zug auf den andern Morgen zu verschieben. Ueberall sah man angsterfüllte Gesichter, als die Kunde sich verbreitet hatte, daß auch die Türken in der Sophia, [217] in der Achmetje und Mahmudje sich versammelt hatten und die Fortsetzung des Krieges erzwingen wollten. Viele schon hatten sich rechts und links in die dunklen Seitengassen verloren und nur mit Mühe noch gelang es den Führern, den Zug zusammenzuhalten und vorwärts zu bringen, denn sie begriffen sehr wohl, daß, wenn erst ein Mal die Demonstration heute aufgegeben worden, schwerlich Aussicht vorhanden war, so bald wieder die feige und uneinige Bevölkerung zusammenbringen zu können.

Dennoch sollten alle Bemühungen fruchtlos sein. Als die Spitze der Colonne zu der Höhe von Cassim-Pascha in der Nähe der Artillerie-Kaserne, von wo ein freier Blick durch die Berghänge sich nach dem gegenüberliegenden Stambul öffnet, emporgestiegen war, brach auf ein Mal ein wilder Schrei des Schreckens aus hundert Kehlen und verbreitete sich durch die lang dahin gedehnte Volksmasse. Vom Feuerthurm des Seraskiats erglänzte nämlich das rothe, eine Feuersbrunst verkündende Licht und deutlich konnte man von der Höhe des Berges schauen, wie in dem Griechen-Quartier, in der Nähe der Karagumruk-Moschee, deren schlanke Minarets deutlich im Flammenschein sichtbar waren, eine Feuerlohe in die Höhe stieg.

Noch ehe die Erschreckten einen Entschluß gefaßt, loderte eine zweite Feuersbrunst am Thor von Edrene in den finstern Nachthimmel empor und das eilig heraufziehende Gewitter tobte mit langen Blitzstrahlen dazwischen.

Die Verwirrung, der Schrecken waren unbeschreiblich. An und für sich sind die Orientalen gegen die großartigen Kraftäußerungen der Natur, wie sehr sie auch daran gewöhnt sein sollten, sehr empfindlich. Der Glaube aber, daß ihre ewigen Feinde, die Moslems, die Gelegenheit der Abwesenheit so vieler Männer benutzen und, vom Fanatismus entflammt, mit Feuer und Handjar in ihre Quartiere einbrechen würden, verdoppelte diese Schrecknisse für die Griechen. Im Nu war der ganze Zug aufgelöst, die Fahnen und Laternen wurden fortgeworfen, und die ganze, noch immer mehrere Tausende betragende Menschenmasse stürzte sich in die engen Gassen, die hinunter zum Horn oder in die diesseitigen Griechen-Quartiere führen, schreiend, zeternd – in unbeschreiblicher Verwirrung, Kinder und Frauen zu Boden tretend, – ein Alles vor sich niederwerfender Sturm. Zum Glück theilte sich bald dieser Strom nach den beiden Schiffsbrücken am Arsenal und den [218] Stadtmauern, und Hunderte von Kaïks kreuzten in kurzer Zeit trotz des Sturmes und der hochgehenden Wellen das Horn.

Aber es war auch Eile von Nöthen, die Gefahr dringend, denn ehe die Fanarioten das jenseitige, Ufer erreichten, gingen bereits noch an zwei anderen Stellen die Flammenzeichen in die Höhe. –

Die Verwirrung auch auf dem Horn war schrecklich. Boote rannten auf einander oder wurden umgeschlagen, Menschen stürzten in's Wasser und plätscherten umher, einen Gegenstand zu erfassen, an dem sie sich wieder empor retten konnten, – Geschrei, Verwünschungen, Zorn und Schrecken überall.

Die Führer der Friedenspartei hatten bei der plötzlichen Auflösung des Zuges den Kopf verloren, und waren größtentheils, von der Besorgniß um ihr Eigenthum ergriffen, mit fortgerissen worden. Nur Wenige, darunter Caraiskakis und Geurgios, fanden sich zusammen und eilten zu dem geheimen Leiter des Ganzen, der sich natürlich von der offenen Theilnahme an dem Zuge fern gehalten hatte. Der kühne und umsichtige Geist des Barons hatte im Augenblick auch schon nach den Mitteln gesucht, die so unerwartete Niederlage der versuchten Demonstration wenigstens noch in irgend einer Weise für seine Zwecke auszubeuten, und er erkannte sie darin, den Conflict zwischen den Griechen und den Moslems zu befördern und die Ersteren zu einem offenen Widerstande mit den Waffen in der Hand zu ermuntern. Die Nachricht von einem Kampfe zwischen der christlichen und türkischen Bevölkerung der Hauptstadt mußte im ganzen Lande wiederhallen und konnte zu allgemeinem Aufruhr führen, eine Sache, die von den russischen Agenten mit allen Mitteln angebahnt wurde.

Dem Baron mit seinen Begleitern gelang es, am Ufer von Galata die Barke eines Kauffahrers zu finden. Sie warfen sich selbst mit an die Ruder und das Boot flog durch die dunklen schäumenden Wellen nach der Fanariotenstadt.

Drüben in Stambul tönte wüster Lärmen, der Platz um den Palast der Hohen Pforte glänzte im Fackelschein.

Als sie durch die zweite Brücke fuhren, kamen sie in das Gewühl der noch immer zum andern Ufer strömenden Menge.

Der grelle Schein der auflodernden Feuersbrunst, das Flackern der Blitze erhellte die Gesichter voll Angst und Schrecken, Zorn und Rachedurst rings umher. Mit Gewalt brachen sie sich Bahn [219] durch die Kaïks und das Boot, von Geurgios Hand gelenkt, schoß in den Bootschuppen seines Hauses.

Geschrei, – Angstgekreisch der Frauen, – das Morrio der wilden Banden von Mördern und Mordbrennern, die durch die Straßen tobten, – durchheulte die Luft – eine Scene grauenhafter Verwirrung. Gregor's Herz schlug hoch erregt, indem er an die Gefahr der Odaliske dachte. Während die Freunde sich, nachdem sie sich überzeugt, daß das Haus noch nicht gefährdet war, in die nächsten Gassen warfen und die vorübereilenden Fanarioten zu sammeln suchten, um den Flammen Einhalt zu thun und den Moslems mit den Waffen in der Hand entgegenzutreten, übernahm es Caraiskakis, das Haus zu schützen. Indem er im Dunkel noch vergeblich den Auf- und Eingang suchte, waren der Baron und Geurgios bereits verschwunden. Plötzlich erschreckte ihn das Hilfsgeschrei von Frauen und der wilde Ruf von Männern, die gegen die äußere Pforte tobten. Das Haus war angegriffen und wenige Augenblicke darauf sah er den neuen Feuerschein eines nahe belegenen Gebäudes rings umher Alles erhellen. Er hatte den Eingang zum Hause endlich gefunden, stieß die schwache Thür nieder und stürmte in das Innere. Vaso, der bei ihm zurückgeblieben, folgte ihm. –

Wir müssen für einige Augenblicke zu Master Frank und seinem Busenfreunde Gosset zurückkehren. Nachdem die Burschen verschiedene Tassen Kaffee und Gläser Liqueur vertilgt und durch einige Pfeifen des duftenden Tabacks von Latakia den Zustand ihres Gehirns keineswegs klarer gemacht hatten, schaute Frank auf seine Uhr und streckte den Kopf aus der Thür des Hauses, um als echter Seemann das Wetter zu prüfen, ehe sie ihre ehrenwerthe Unternehmung begannen.

»Wir werden eine verteufelt schlechte Fahrt haben,« meinte er, »und unsere Sultanin wird mit einigem Spritzwasser eingeweicht werden. Der Wind stürmt und überall stehen Gewitter. Man weiß in diesem verteufelten Lande nie, wie man d'ran ist. Allons, Gosset! auf, Faulpelz! wir müssen an Bord unserer Jölle.«

Mit einigen Püffen wurde der Jüngste endlich mobil gemacht und Beide eilten an's Ufer, wo sie an der bestimmten Stelle die bestellte und bezahlte Barke des Handelsschiffs in Empfang nahmen, wobei der Padrone im Stillen herzlich wünschte, daß sie mit[220] samt den Midshipmen zum Teufel gehen möge, damit er das gute Pfandgeld in der Tasche behalten könne.

Die Mid's, die Verstand genug besaßen, um es für besser zu halten, bei einem solchen Unternehmen keine Bootführer in's Vertrauen zu ziehen, ergriffen die Ruder und arbeiteten sich bald in den freien Strom. Da sie Beide an die See gewöhnt waren, machten sie sich aus Wind und Wellen herzlich wenig und die Arbeit und das Spritzwasser sie bald völlig nüchtern, so daß sie in bester Beschaffenheit endlich am Ufer der Fanariotenstadt ankamen. Dagegen fanden sie im Aufsuchen einer passenden Landungsstelle und des Hauses, in dem die Odaliske eingeschlossen war, allerlei Schwierigkeiten, so daß eine geraume Zeit verging, ehe sie die Straße wieder erreichten. Endlich glaubten sie, auf der richtigen Spur zu sein, und bald überzeugte sich Frank davon, denn an einer der Jalousieen peitschte wirklich der Wind ein angeknotetes Tuch. Rasch gab der Midshipman das Zeichen und die Odaliske, die in der Langweiligkeit des Tages vor Ungeduld und übler Laune fast vergangen war, öffnete die Jalousieen und zeigte sich am dunklen Fenster. In der Entfernung vernahm man bereits den beginnenden Tumult.

»Schöne Sultanin, Perle aller orientalischen Frauen,« sagte der Mid in möglichst hochtrabendem Tone, »Dein Ritter und Befreier ist mit seinem getreuen Schildknappen zur Stelle. Eine Strickleiter haben wir zwar nicht auftreiben können, aber habe die Gewogenheit, einige Augenblicke von diesem Fenster zurückzutreten, und ich werde sogleich ein Knotenseil hineinwerfen, das Du oben festmachen willst und an dem ich Dich in meinen Armen herabtragen werde.«

Gosset hörte mit offenem Munde der zierlichen Beredsamkeit seines Kameraden zu und erhielt jetzt die Anweisung, den vorbereiteten Strick hervorzulangen und dann in der Straße auf Posten zu bleiben. Mit geschicktem Wurf schleuderte Frank das Ende des Taues, an dem ein Haken befestigt war, in das Fenster und Nausika klammerte es fest, worauf der tapfere Seezögling mit der Behendigkeit eines Affen an dem Strick emporstieg und sich über die Brüstung in's Zimmer schwang.

»Der Teufel soll unsere besten Stengen holen und der Capitain alle Tage sämtliche Mid's mit echtem Portwein regaliren,« schwor er, »wenn ich Euch in dieser Kajüte sehen kann, so dunkel ist es hier. Warum steckt Ihr keine Lampe oder kein Licht an,[221] schöne Sultanin, damit ich wenigstens Eure Schönheit bewundern mag?« –

Eine weiche Hand erfaßte die seine und drückte sie, worauf der Mid seinem Anspruch auf Männlichkeit nicht anders genügen zu können glaubte, als, indem er die Odaliske umfaßte und ihr einen herzhaften Kuß auf die Lippen drückte. Die Dame hatte jedoch jetzt andere Gedanken, als leere Liebeständeleien, und wünschte vor Allem, ihren bisherigen Aufenthalt zu verlassen.

»Hast Du Nichts vernommen, schöner Franke? – es scheint Tumult in der Stadt, das Feuerzeichen des Seraskiats leuchtet, und ich fürchtete schon, Du würdest nicht kommen.«

»Bah,« sagte der Midshipman, »was kümmert mich der Brand von ganz Stambul, ein Engländer hält sein Wort. Aber nun laßt uns keine Zeit versäumen, schöne Sultanin, nehmt Eure Sachen und vergeßt die Diamanten nicht, damit wir uns davon machen können.«

Während die Odaliske, die schon bei Tage in dem Zimmer zusammengeräumt, was des Mitnehmens werth und transportabel war, dies in ein Bündel zusammenband und Frank das Tau im Innern besser befestigte, hörte man plötzlich Lärmen in der Straße und im nächsten Augenblick erschien der Kopf, dann die schmächtige Gestalt des Midshipmans Gosset über der Fensterbrüstung und seine werthe Person sprang gleichfalls in das Zimmer.

»Pest,« sagte der hoffnungsvolle Jüngling, sich den Angstschweiß von der Stirn wischend, »da draußen scheint der Boden für uns zu heiß zu werden und ich wollte, alle Odalisken und Sultaninnen des Großherrn lägen auf dem Grunde des Bosporus und wir säßen bei Thee und Schiffszwieback in der Kajüte des Tiger. Es ist ein Mordlärmen in der Stadt, Frank, Feuerschein ringsum, und eine Menge Leute sind auf den Beinen und rennen durch die Gassen, so daß ich nichts Besseres thun konnte, als Dir zu folgen.«

Frank bog sich vorsichtig zum Fenster hinaus und fand die Besorgniß seines Kameraden mehr als bestätigt. Das Licht der nahen Feuersbrunst war hinreichend, die Umgebungen des Hauses wenigstens so weit zu erhellen, daß an ein unbemerktes Entwischen aus dem Fenster vorläufig nicht zu denken war; Frauen und Männer liefen schreiend durch die Gasse, überall wurden Lichter angezündet, Thüren geöffnet, und Frank war froh, daß er das im [222] Winde schlagende Seil, ihre Brücke zur Flucht, noch geschwind und unbemerkt in das Fenster ziehen konnte.

Auch im Hause wurde es laut, man hörte mehrere Personen ängstlich umherrennen und die Thür aus dem Innern des Hauses wurde zu öffnen versucht, aber durch den Riegel, den die Odaliske vorgeschoben, festgehalten. Der zweite Ausgang nach dem Flur und der Treppe war von Geurgios von Außen verschlossen worden.

Nausika zitterte in Angst und Furcht und war rathlos, und auch den beiden Midshipmen grade nicht sehr wohl bei der Sache zu Muthe. Sie sahen sich, wie man zu sagen pflegt, in einer Mausefalle und wußten, daß sie sich noch sehr glücklich schätzen konnten, wenn sie mit einer tüchtigen Tracht Schläge davon kamen.

Indeß ein Mid verliert nie den Muth und die Hoffnung, sich aus der Klemme zu bringen, in die er sich selbst gesteckt hat, so lange noch Athem in seinem Leibe ist. Nach kurzer Berathschlagung kamen die Beiden zu dem Resultat, daß sie am besten an dem Ort, wo sie sich einmal befanden, die weitere Entwickelung oder die Wiederherstellung der Ruhe abwarten könnten. Die Wahl machte ihnen freilich keine Schwierigkeit, und während die Odaliske weinte und klagte, setzten die jungen Burschen ihre Waffen für alle Fälle in Bereitschaft und recognoscirten durch Fenster und Schlüsselloch. –

Es war bereits dunkel, als Edward Maubridge, der Baronet, um Neues über die Bewegungen in Constantinopel zu hören, sich nach Tershana rudern ließ. Er gelangte eben an Bord des Tiger, als der Capitain mit den anwesenden Offizieren auf dem Hinterdeck der Fregatte stand, um die auf dem anderen Ufer in der Fanariotenstadt ausgebrochene erste Feuersbrunst zu beobachten, und wurde auf's Freundlichste von Allen bewillkommnet.

»Die Gesellschaft der jungen Burschen,« meinte der Capitain, »scheint Ihnen nicht lange zugesagt zu haben. Ich hoffe jedoch, Sie haben sie sicher untergebracht, damit sie in dem Lärmen, den diese Leute auf allen Seiten erheben, nicht auch ihre Nase stecken und zu Schaden kommen.«

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Capitain,« erwiderte der Baronet. »Wo ist Frank?«

»Nun, zum Teufel, wo soll er sein, als bei Ihnen? Er und der junge Schlingel Gosset. Sie haben ja selbst ihn eingeladen.«

Der Baronet sah ihn groß an.

[223] »Ich verstehe kein Wort davon. Ich kommen eben, um Sie und Frank zu besuchen, denn im Gesandtschaftshotel steht Alles auf dem Kopf und hat kein Mensch Zeit zu einem vernünftigen Wort.«

»So soll das Wetter doch gleich in meinen besten Mast schlagen, wenn die jungen Halunken mich nicht da gründlich belogen haben. Ihr Bruder, Sir, wies mir eine schriftliche Einladung von Ihnen vor und erbat sich darauf für diese Nacht Urlaub.«

»Ich dachte nicht daran; aber wo mögen die vertrackten Burschen hin sein in diesem Gewühl? Sie werden ein Unglück haben.«

»Da blicken Sie hin,« schrie der Capitain, indem er auf den Menschenstrom wies, der sich von der Höhe der Vorstädte mit wildem Lärmen zum Horn drängte; »die jungen Halunken haben den Tumult gewittert und sind sicher mitten d'rinnen.«

Der erste Lieutenant erzählte jetzt, was er von Adams gehört, und der Deckmeister wurde eilig herbeigerufen und näher befragt. Seine Erzählung erweckte ernstlich die Besorgnisse des Capitains und des Baronets.

»Wenn die Unbesonnenen sich in irgend einen tollen Streich eingelassen haben, wo Frauen in's Spiel kommen, so sind sie verloren,« sagte der Letztere. »Kannst Du den Ort wiederfinden, wo Du den jungen Narren heute Morgen betroffen?«

»Hm,« meinte der Alte, »ich müßte kein Seemannsauge für eine Landmarke haben, wenn ich's nicht könnte! Diese Dinger, die sie Häuser nennen, sind zwar hier einander verteufelt ähnlich, aber ich witterte gleich Unheil und hab' mir die Fahrt gemerkt.«

»Wollen Sie mir ein Boot geben, Capitain, und einige zuverlässige Leute?«

»Die sollen Sie haben, Edward, eine ganze Bootsmannschaft und ihren Offizier dazu. Den zweiten Kutter in's Wasser und die Leute bewaffnet hinein. Der Teufel scheint dort drüben los, denn ein Feuer nach dem andern geht in die Höhe. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich die Burschen so leichtsinnig fortgelassen habe, da doch schon Tumult in der Stadt war. Fort, Jungens, sputet Euch!«

Der erste Lientenant trieb die Mannschaft an, ehe fünf Minuten vergangen, war der Kutter bereit und die Matrosen sprangen hinein, mit Enterbeilen und Kurzsäbeln bewaffnet; der zweite Lieutenant saß bereits in dem Boot. Maubridge, der eilig die Pistolen des Capitains geholt hatte, und der Deckmeister folgten.

[224] »Abgestoßen!«

Die sechs Ruder tauchten in die Wellen und das Boot schoß in das Dunkel des Horns. –

Die Thür des Hauses von Geurgios krachte unter den Schlägen der Brecheisen in den Händen der Banditen Geronimo's. Ueber die zusammenbrechende stürzten die wilden Gestalten in das Innere und ihr Mordio gellte durch das Haus hinter den flüchtenden zeternden Weibern drein.

»Nach Oben! nach Oben!« herrschte Hassan, der Führer, seinen Genossen zu; »Ihr wißt, was der Kneipenwirth uns aufgetragen. Dann ist's Zeit zum Plündern.«

Der Arnaut mit vier Gefährten sprang die enge Treppe hinauf; Schemel, Stühle, Tische, Alles, was sich werfen ließ, flog ihnen jedoch entgegen auf die Köpfe und trieb sie wieder zurück.

»Lahnet bi Scheitan!« fluchte der wüste Mörder; »hinauf, Memmen!« und sein Pistolenschuß knallte die Treppe hinan, die bereits halb gefüllt war mit einer Barrikade von Möbeln und Kissen jeder Art.

»Gieb's ihnen brav, Frank,« schrie der kleine Gosset, »immer die Vordersten! Der Grieche kann mir das Pistol zurückreichen!«

Die Kugel des kecken Midshipman traf einen der Banditen in die Schulter, daß er blutend und fluchend zurücktaumelte. –

Während die Mid's noch unentschlossen auf den Lärmen am Eingang des Hauses gelauscht hatten und Nausika in Todesangst in einem Winkel des Gemachs auf den Knieen lag, bald christliche, bald türkische Gebete jammernd, flogen rasche Tritte von Außen zur Thür, ein Schlüssel wurde in's Schloß gesteckt, und ehe noch die Midshipmen Widerstand zu leisten vermochten, ward die Thür aufgerissen und Gregor Caraiskakis, gefolgt von Vaso, stürzte herein.

Erstaunt und starr blieb er stehen, während die Odaliske sich Hilfe suchend in seinen Arm warf, denn der Schein der nahen Feuersbrunst erhellte jetzt genügend das Gemach und zeigte ihm die beiden jugendlichen Offiziere, die Pistolen in der Hand.

»Was soll das heißen? wie kommen die Fremden hierher?«

Aber der Sturm draußen an der Hausthür verschlang des Mädchens Antwort und die verlegene Ausrede der Engländer. Es war keine Zeit zu Nachfragen und Erklärungen.

»Wenn Sie Männer von Ehre und Herz sind,« rief der [225] Grieche, »so helfen Sie mir dies Haus und die Frauen darin gegen das mörderische Gesindel vertheidigen, das den Eingang stürmt. Ich sehe, Sie sind bewaffnet; lassen Sie uns die Treppe zum obern Stock halten!«

Ein Säbel, den er in einem der Gemächer gefunden, war seine einzige Waffe, Frank reichte ihm sogleich eine der Pistolen. Die drängende Gefahr hatte die peinliche Situation des jungen Mannes aufgehoben und die Aussicht auf den Kampf im Nu alle Thorheit und allen Leichtsinn verscheucht. Sein Muth und seine Entschlossenheit zeigten das gute Blut in seinen Adern.

»Vorwärts, Sir, ich helfe Ihnen. Gosset, lade die Pistolen und schütze unsere schöne Sultanin!« und eilig schleppte er die Möbel, die er greifen konnte, zur nahen Treppe, denn eben brach unten die Thür des Hauses unter den Händen der Banditen.

Aber die Odaliske hatte bereits einen anderen Freund und Schützer gefunden. Aus weit aufgerissenen Augen hatte Vaso, der türkische Soldat, die ehemalige Braut einige Momente angestarrt, dann sprang er auf sie zu und riß sie gewaltsam in seine Arme.

»Nausika, Tochter Jani's, bist Du es wirklich, meine Braut, mein Weib? Du hier in Byzanz?«

Mit einem, fast mit Entsetzen gemischten Erstaunen hatte Caraiskakis die Worte des Soldaten gehört, und ein Blick auf die Verwirrung des schönen Mädchens überzeugte ihn, daß sie wahr. Die Odaliske, die sein Herz und seine Sinne so zauberschnell umstrickt hatte, in deren Arm er die Nacht verschwelgt, – die Tochter Jani's, dessen Haupt für ihn gefallen? Und so, mit dem Schimpf des Mädchens, hatte er das blutige Opfer vergolten?! Seine Gedanken wirbelten, da rief ihn der Schuß des Banditen und die Stimme des Midshipman zum Bewußtsein und seiner Pflicht zurück und im nächsten Augenblick stand er an dessen Seite und schleuderte die schweren Geräthe nach den Angreifern.

»Hurrah für Alt-England!« schrie der kleine Mid, während er am Fenster die abgeschossene Pistole lud. »D'rauf, Frank, und pfeffere sie tüchtig; ich muß auch einen Schuß auf sie thun!«

Und sein Ruf fand ein Echo, denn aus der Gasse herauf donnerte es aus zehn Kehlen über den Lärmen der Feuersbrunst und das Geschrei der Griechen: »Hurrah für Alt-England!« und die Matrosen des Tiger, von Adams und dem Baronet geführt, [226] stürzten herbei und jubelten hoch auf, als sie die Stimme des Knaben hörten.

»Hurrah, Frank! brav gehalten! Es kommt Ersatz; unsere Tiger sind da, Adams und Dein Bruder Baronet! Hierher, Männer! greift sie von vorn an und bringt die Halunken zwischen zwei Feuer!«

Aber es that auch Noth, daß Hilfe kam, denn wie Teufel, der Hölle entsprungen, stürmten die Banditen die Treppe, während ihre zahlreichen Kameraden sich bereits mit dem Volke auf dem Platze vor der Thür umherschlugen.

»Das Seil! das Seil!« rief der wackere Frank seinem jungen Kameraden zurück. »Denk' an das Seil, Gosset, und rette das Mädchen!«

Der kleine Mid hörte den Ruf seines Gefährten und mit Vaso's Hilfe schleppte er die halb ohnmächtige Schöne zum Fenster, schlang den Strick um sie und ließ sie hinabgleiten, wo die Anne des Baronets sie auffingen. Kaum war das Tau am Boden, so hatte es auch der alte Deckmeister erfaßt und schwang sich mit der Gewandtheit eines Seemannes, der im Sturm die Tauwand erklimmt, hinauf in das Gemach. Andere folgten ihm.

»Hurrah, Master Frank! Die Tiger sind da!«

Aber der Beistand that Noth. Hassan voran stürmten die Banditen des Kahvedschi wie rasend die Treppe, über die Möbel und Gegenstände kletternd, mit denen Frank und Caraiskakis sie gefüllt. Einen zweiten der Stürmer schoß der Grieche nieder, doch den beiden anderen Kugeln wichen die Männer aus und zum Laden war keine Zeit mehr. Ueber die Barrikaden aus Stühlen und Tischen hinweg wurden sie handgemein, doch auch die schwache Schutzwehr riß die starke Faust der Stürmenden bald zur Seite und ihre Handjars und Dolche klirrten gegen den Säbel und den Kurzdegen der Vertheidiger. Gregor sprang zur Thür des Gemachs zurück und rief seinem tapfern jungen Gefährten zu folgen, aber der Midshipman, von einem leichten Dolchstich in die Seite getroffen, strauchelte und fiel, und im Augenblick war Hassan der Arnaut neben ihm und hob den blinkenden Yatagn zum Todesstoß.

Frank war verloren!

Aber Caraiskakis hatte den Fall des jungen Mannes gesehen – im Nu sprang er vorwärts mitten unter die Angreifer und sein Säbel fing, zersplitternd am Gefäß, den schweren Yataganhieb [227] auf. Dann den Griff dem Banditen in's Antlitz schmetternd, faßte er mit der Linken den Jüngling und suchte ihn fortzuschleppen.

»Brav gemacht, Mann! Heran, Jungens!« schrie eine Stimme hinter ihm und der kräftige Schwung eines Enterbeils deckte den Griechen gegen die erhobenen Waffen seiner Bedränger. »D'rauf auf die Schufte und gebt's ihnen!«

Die kräftige Gestalt des alten Deckmeisters sprang in die Gruppe, zwei Matrosen folgten im nächsten Moment und die unverhoffte Hilfe wendete im Nu den Kampf. Die drei Banditen stürzten Hals über Kopf die Treppe hinab und aus dem Hause, an dessen Eingang ihre Kameraden sich mit den Fanarioten und einigen von dem zweiten Lieutenant des Tiger geführten Matrosen schlugen.

Adams half dem Midshipman empor.

»Da habt Ihr die Bescheerung, toller Bursche,« sagte er ärgerlich. »Kein Unterrock in der ganzen Welt ist werth, daß ein wackerer Seemann sich dafür ein Loch in den Leib rennen läßt, durch das der Wind hineinpfeift. Wie geht's Euch, Master Frank? redet! ich hoffe, es ist nicht schlimm, und der brave Mann hier ist nicht zu spät gekommen!«

»Ich glaube nicht,« murrte der Midshipman, »aber Zeit war's. Ich bin in die Hüfte gestochen und der erste Lieutenant wird's vorerst bleiben lassen müssen, mich in den Mastkorb zu schicken. Aber wo führt Dich der Henker zu so glücklicher Zeit her, alter Seewolf?«

»Dazu giebt's nachher Zeit, jetzt laßt uns machen, daß wir zu unsern Burschen kommen!« entgegnete der alte Matrose, indem er den jungen Mann emporhob und mit Gregor's Hilfe die Treppe hinabtrug. »Goddam!« rief er plötzlich, als unten der Feuerschein hell auf das Gesicht des Griechen fiel und er dieses erblickte. »Ich sollte meinen, wir kennen uns; seid Ihr nicht der Mann von Smyrna?«

Caraiskakis schaute ihn finster an bei der Erinnerung.

»Ich weiß Nichts von Euch.«

»Glaub's wohl,« meinte der alte Matrose, »aber ich kenne Euch desto besser, und es freut mich um Master Frank's willen, daß ich Euch damals mit dem Schießprügel nicht durch den Kopf geschossen, als Ihr Sir Edward Eure Schwester abjagtet und uns klopftet. Wir waren auf schlechtem Wege und fochten [228] für keine gute Sache; aber es ist brav von Euch, Freundchen, daß Ihr des Baronets Bruder so wacker beigestanden habt.«

Der Grieche ließ den Jüngling fallen.

»Dies der Bruder des Lord Maubridge?« fragte er wild.

»Nun ja, Mann! was thut's zur Sache? ein braver Mann hilft dem Andern gegen das Gesindel. Hierher, Hodges! Dick! helft mir den jungen Master zum Boote tragen.«

Der Grieche faßte des Matrosen Arm, während die Gerufenen herbeisprangen und den Midshipman aus dem Getümmel schleppten.

»Wo ist das Mädchen, das Weib, das wir im Hause vertheidigten?«

»Ei, zum Henker, wo wird die verteufelte Landnixe sein? In die Arme Sir Edwards fiel sie, gerade aus dem Fenster herab. Schaut, da läuft sie in der Mitte unserer Leute, und die Haifische sollen mich fressen, wenn der Baronet nicht schon seitlängs von ihr liegt.«

Die Scene umher hatte sich geändert, – die Mordbrenner aus dem Malthesergäßchen hatten die Uebermacht der von allen Seiten zum Löschen des Brandes und zur Vertheidigung ihrer Habe herbeieilenden Fanarioten erkannt und sich nach allen Seiten durchgeschlagen und zerstreut; die Griechen waren bemüht, das Feuer zu dämpfen, und die Engländer, jetzt Frank und die von dem Baronet geführte Odaliske in ihrer Mitte, drängten sich durch die Menge nach ihrem Boote hin.

»Nausika – Mädchen – Tochter Jani's!« schrie Caraiskakis und warf sich in die Menschenwoge, die sich wieder um die Matrosen geschlossen. »Zu mir, Freunde, das Mädchen ist die unsere!«

Aber wer kümmerte sich in der eigenen Bedrängniß und Noth um das Weib, dessen türkische Tracht ohnehin genügt hätte, jeden Griechen Gefahr und Verderben in ihrer Berührung sehen zu lassen. Gosset hatte mit einigen verwirrten Worten dem Baronet berichtet, daß es eine vornehme türkische Dame wäre, die hier gefangen gehalten worden und die Frank habe befreien wollen. Die Odaliske, von der augenblicklichen Gefahr befreit, begriff schnell ihre Lage und die günstige Gelegenheit für ihre Wünsche.

»O, Effendi, rettet mich aus dieser Noth! ich bin eine Gefangene und ein armes Weib, verloren ohne Euch,« schmeichelte sie in fränkischer Sprache zum Baronet, dessen Arm sie unterstützte. Sie waren bereits nahe am Boot, in dem zwei der Matrosen [229] zurückgeblieben waren, als Caraiskakis endlich die Engländer erreichte und das Auge des Baronets mit Erstaunen und Erbitterung plötzlich seinen Todfeind vor sich sah.

»Das Weib, Mylord!« herrschte der Grieche ihm zu, »Sie haben kein Recht auf sie, das Weib ist das meine!«

Der Baronet stieß ihn hohnlachend zurück.

»Ist dies Weib das Ihre, so nehme ich es, wie Sie mein Kind geraubt. Nur für dies Lösegeld sollen Sie diese Frau haben! In's Boot mit ihr!«

Gosset zog die willige Odaliske fort; mit einem Sprunge war der Grieche an dem Baronet und faßte ihn an der Kehle.

»Mädchendieb!«

»Der Teufel hole das Gewürm, nieder mit dem Schuft!« schrie der mit Adams herbeikommende zweite Lieutenant und der Hieb seines Kurzdegens sauste schwer auf den Schädel des Griechen nieder, daß dieser bewußtlos zu Boden stürzte, wie ein gefällter Baum. »Fort mit Ihnen, Maubridge, wir haben, was wir wollen, und hier Nichts mehr zu thun.«

Der Deckmeister hatte sich auf den Niedergestreckten herab gebeugt.

»Ist er todt, der Unglückliche?« fragte nicht ohne Theilnahme der Baronet.

»Ich denke! Schabe um den Mann; es war nicht viel besser als ein Mord,« murrte der alte Matrose, »und das Alles um eines verdammten Weiberrocks willen.«

Der besonnene Lieutenant zog sie fort zum Boot, denn ein Hause Fanarioten mit Geurgios an der Spitze stürmte herbei.

Das englische Boot stieß hinaus in das Horn – jammernd am Ufer rannte Vaso umher, den die Matrosen zurückgetrieben, als er der Wiedergefundenen folgen wollte.


Es war am dritten Morgen nach den Scenen des Aufruhrs, als Gregor Caraiskakis aus einem tiefen Schlafe auf ärmlichem Lager in einem griechischen Hause der Vorstadt Ejoub erwachte. Sein Kopf war mit Binden umwickelt, an seinem Lager saß in trübem Sinnen Vaso, der entflohene Schiffssoldat.

Der Hieb des Lieutenants hatte ihn absichtlich nur flach getroffen und durch seine Wucht betäubt zu Boden geworfen. Als [230] er wieder zu sich kam, fand er sich an dem Orte seines jetzigen Aufenthalts, wohin ihn Geurgios hatte bringen lassen. Doch war ihm Ruhe nöthig, und außerdem hatte ihm der Fanariot Verborgenheit anbefohlen, denn in Constantinopel hatten die Nacht und der nächste Tag eine neue Wen dung der Dinge gebracht.

Während im Fanar die Feuersbrunst, – wie es hieß, vom Blitzstrahl entzündet, – in die Wolken flammte und an 200 Gebäude verzehrte, hatte sich der Strom der fanatisirten Moslems, an der Spitze die Softa's und Ulema's, nach dem Platz der Hohen Pforte gewendet und umgab drohend und tobend beim Schein der Fackeln und dem Unwetter trotzend den Palast, die Auslieferung Reschid-Pascha's fordernd.

Aber Reschib hatte sich bei dem ersten Anzeichen des Sturmes nach Tschiragan geflüchtet, wohin ihm der Großwessir folgte. Vergeblich erwarteten die hohen Würdenträger hier die Demonstration der Griechen; statt deren brachte jeder Augenblick Nachrichten von dem Triumph ihrer Gegner und der Aufregung unter der türkischen Bevölkerung Stambuls.

Am Morgen erließ der Großwessir den Befehl, daß alle Moscheen, die Hauptversammlungsorte des Aufstandes, an denen die Softa's fortwährend das Volk bearbeiteten, geschlossen werden sollten. Dem Befehl wurde entsprochen, aber die Masse versammelte sich jetzt auf den öffentlichen Plätzen und nahm eine noch drohendere Haltung an.

Jetzt erhielten die Garden den Befehl, einzuschreiten und mit Gewalt den Aufruhr zu unterdrücken, der bereits so ausgedehnt war, daß Lord Redcliffe eine Proclamation an die britischen Unterthanen zur Beruhigung erlassen mußte, worin er Aufnahme und Schutz auf den britischen Schiffen verhieß.

Die Garden rückten von ihren Kasernen zwar aus und besetzten das Serail die Pforte und die Suleimanje, wo die Schätze der ganzen Nation gleich wie in einem großen Pfandhause in Koffern aufbewahrt werden, aber sie weigerten sich, das Volk anzugreifen, ohne Befehl Ruschdi-Pascha's, ihres bisherigen Kommandanten.

Ruschdi-Pascha aber befand sich im Seraskiat, wohin Mehemed einen Ministerrath berufen, um scheinbar über die drohende Gefahr zu verhandeln, ohne daß der Großwessir oder Reschid hier zu erscheinen wagten.

[231] An verschiedenen Stellen, wo das Volk versammelt war, begannen die Softa's während des Tages bereits ganz offen die Thronerhebung Abdul-Aziz's zu proklamiren. Die griechische Bevölkerung – feig und unentschlossen – wagte sich nicht mehr zu rühren, – sie zitterte seit den Vorgängen des letzten Abends für ihr Leben und ihre Habe.

Die Regierung befand sich buchstäblich am Morgen des 22. nur noch im Seraskiat und in den Händen Mehemed Ali's.

Bei dem schwachen und ängstlichen Charakter des Sultans fühlte die Friedenspartei, daß in dein gegenwärtigen Augenblick Nichts zu machen und ein Nachgeben nöthig sei, um nicht allen Einfluß zu verlieren. Chosrew-Pascha selbst rieth dazu, und als daher am Vormittag Adilé, die Schwester des Großherrn, nach Tschiragan kam, fanden ihre Worte beim Sultan ein williges Gehör.

Am Mittag hatten Lord Redcliffe und General d'Hilliers eine längere Audienz bei dem Sultan, in welcher sie ihm zeigten, daß nur ein unbedingtes Eingehen auf die Intentionen Frankreichs und Englands die Türkei und seinen Thron zu sichern vermöchte. Eine Stunde darauf erschien der Seraskier im Palast, seiner Sache so sicher, daß er ohne alle Begleitung kam, und als er nach einer längeren Unterredung sich entfernte, geschah es mit dem Schritt eines Triumphators.

Er vergaß, daß in dem Herzen eines Orientalen das Gefühl einer Beleidigung nie stirbt und unter der trügerischen Blumendecke der Freundschaft und Versöhnung die Schlange des Hasses ruhig lauert, bis sie ihren Giftzahn in das Opfer schlagen kann.

Der Padischah war gedemüthigt, – der Padischah wartete seiner Seit.

Noch an demselben Tage hatte Reschid-Pascha vom Bord der »Queen« aus, an den er sich geflüchtet, seine Entlassung eingereicht, aber der Sultan dieselbe auf den Rath des englischen Gesandten nicht angenommen. Dagegen durfte der Seraskier unbehindert eine scharfe Verfolgung aller Russenfreunde beginnen und eine Menge Führer der Griechenpartei wurden eingekerkert.

Dies waren die Nachrichten, die am Abend vorher Geurgios, der sich gleichfalls von seinem Hause entfernt hielt, dem Griechen gebracht hatte. –

Auf seine Fragen an Vaso hörte Caraiskakis, daß der Freund [232] heute noch nicht in Ejoub gewesen. Als dieser endlich kam, erkannte er leicht, daß die Neuigkeiten, die er brachte, noch schlimmer als die früheren waren.

»Es freut mich, Sie so weit wieder hergestellt zu sehen,« sagte der Fanariot, »denn es wird gut sein, wenn wir noch diese Nacht Constantinopel für einige Zeit verlassen. Der Baron ist auf Betrieb der englischen Gesandtschaft von der türkischen Polizei als russischer Agent verhaftet und hat mir selbst diesen Wink gegeben. Mehemed Ali, um seinen Frieden mit dem Padischah zu machen, hat nach türkischer Weise verrätherisch an den eigenen Werkzeugen seiner Intrigue gehandelt und an 400 Softa's aufgreifen lassen, um sie als Rebellen auf die Galeeren nach Creta zu schicken. Der Todfeind unseres Glaubens unterhandelt bereits mit den beiden Gesandten wegen der Einschiffung eines Hilfscorps.«

»Aber der Baron – sollen wir ihn feig im Stich lassen?« fragte der Grieche.

»Signor Oelsnero,« lachte der Fanariot, »hat der Mittel zu seiner Sicherheit mehr in Händen, als wir, und wird sich schon zu befreien wissen. Wir werden ihm am Balkan bessere Dienste leisten, als hier.«

»Und das Mädchen – Nausika – die Odaliske?«

»Bei Sanct Demeter, was kümmert sie uns? Wollen wir eines Weibes wegen den Kopf in die Schlinge stecken? Diese Teufel von Türken haben keine Eingeweide; sie schneiden einem Christen den Kopf ab und stellen ihn zwischen seine Beine, ehe er ein Kreuz schlagen kann, wenn es ihre Weiber gilt. Ueberdies ist für Sie der Boden von Constantinopel doppelt gefährlich, wenn Ihr Name entdeckt würde, und ich traue meinen eigenen Leuten nicht mehr.«

»Wie meinen Sie dies?«

»Lesen Sie. Ihr Bruder, der Capitano Caraiskakis, hat die Fahne des Kreuzes in Thessalien erhoben, und die Griechen strömen von allen Seiten ihm zu. Mögen die Heiligen ihnen besseres Gelingen geben, als uns hier!« Der Fanariot warf ihm eine Nummer der Elpis und eine Proclamation in griechischer Sprache zu, wie in diesem Augenblick Tausende als Flugblätter durch Griechenlanb und das südliche Rumelien, selbst nach Constantinopel hin verbreitet wurden. »Ich habe Beides so eben durch einen Bundesbruder erhalten.«

[233] Gregor sprang empor; alle Schwäche, alle Gedanken an seine eigenen Verhältnisse waren verschwunden, als er den berühmten Aufruf seines kühnen und tapferen Bruders in der Hand hielt. Derselbe lautete:


»An die geknechteten Griechen von Thessalien, Macedonien, Thracien und Epirus, Klein-Asien, Candia und allen Inseln des

Archipelagus.


Brüder und Landsleute! Zu den Waffen, zu den Waffen! Seit vier Jahrhunderten seufzt Ihr unter türkischem Joch. Die glückliche Stunde ist gekommen. Erhebt Euch und verliert keine Zeit; der Halbmond verschwinde vor dem Kreuz! Eure Sache ist eine heilige, und der Allmächtige wird Euch beistehen. Denkt an den Ruhm Eurer edlen Ahnen und erröthet über Eure Entwürdigung. Fürchtet nicht die Bluthunde des Sultans, noch seine glaubensabtrünnigen Freunde; es sind wilde, aber feige Horden, die Ihr schnell besiegen und zerstreuen werdet. Erhebt Euch, kämpft und laßt Euer Schwert nicht einen Augenblick rasten, bis Ihr es dem letzten Moslem in's Herz gestoßen! Nieder mit den Barbaren, den Plünderern Eures ruhmvollen und klassischen Vaterlandes, den Mördern Eurer Brüder von Scios und Kydonia. Eure nordischen Glaubensbrüder vergießen ihr Blut an den Ufern der Donau für Eure Sache. Seid ihnen und ihrem edlen Kaiser dankbar, aber laßt sie nicht allein vollbringen, was zu leisten Eure Pflicht ist. Bald wird jener mächtige Strom die gänzliche Vernichtung der Türkenschaaren sehen. Euer Kriegsgeschrei sei ›religiöse Unabhängigkeit!‹ und Ihr werdet gewiß die barbarischen Moslems überwinden. Traut den Franken nicht und hofft Nichts von ihnen für Eure Freiheit; sie sind Eure bittersten Feinde und die Freunde Eurer Unterdrücker. Erinnert Euch, daß die Engländer Parga an die Türken verkauften. Bedenkt, daß die Kanonen der Engländer wegen des verächtlichen Juden Pacifico die Häuser Eurer Landsleute im befreiten Griechenland bedrohten. Und noch schlechter als die Engländer sind die lateinischen Franzosen. Verachtet sie Alle – zielt wohl auf den Feind! Gott ist mit Euch, und bald werdet Ihr frei sein!


Athen, den 10. (22.) November.


Anastasius Caraiskakis


[234] »O, daß ich bei ihm sein könnte, daß wir Schulter an Schulter unser Blut für die Befreiung des Vaterlandes einsetzen dürften!«

»Seine Kampfstätte ist am Pindos – die Ihre am Balkan. Dorthin ruft Sie das Vaterland.«

»Treffen Sie Ihre Anstalten,« sagte mit stolzer Fassung der Sciote, »sein Ruf wird mich immer bereit finden!«

Im Schatten der nächsten Nacht verließ zum zweiten Male mit Geurgios und Vaso Gregor Caraiskakis die Hauptstadt des türkischen Reichs auf dem Wege zur Donau.

Fußnoten

1 Ein anderer Selim als der Kommandant der Arnauten bei Rustschuck. Die türkischen Namen wiederholen sich sehr oft.

2 Seid willkommen.

3 Die künstige Sultanin Valide, die erste Gemahlin des Sultans durch die Geburt des Thronerben.

4 Die Brandenburger – die preußischen Instruktoren.

5 Zwischen 10 und 11 Uhr.

6 Matrosen.

7 Schurke.

8 Moschee des Sultans Achmet.

9 Die Schiffswachen sind in je vier Stunden eingetheilt.

An der Donau
1. Die Führer
1. Die Führer.

Es war in den ersten Tagen des Januar 1854 und die Wintersonne schien glänzend und heiter auf das prächtige Schauspiel, das sich an beiden Ufern der Donau bei Widdin, dem Viminacium der Römer, entwickelt hatte. Unterhalb der Stadt, die mit ihren 25 Minarets von alten Festungswerken umgeben sich dicht am Fluß dahinstreckt und auf der weiten bulgarischen Ebene, – nur rechts durch die Wradamnitza-Gebirge begränzt und links in weiter Ferne durch die dunklen Massen des Balkan, – einen freundlichen Ruhepunkt bildet für den Blick, führte eine Schiffbrücke zu der hochgelegenen Smurda-Insel, die jetzt von Batterieen starrte. Darüber hinaus, über den etwa 300 Schritt breiten, von einer leichten, aber nicht tragfähigen Eisdecke bedeckten linken Arm des mächtigen Stromes, verlängerte sich die Brücke bis zum hoch emporsteigenden Ufer von Kalafat, das gegenwärtig die stärkste Stellung der türkischen Armee bildete und den Russen den Weg nach Serbien sperrte.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Russen einen großen strategischen Fehler begingen, als sie den Uebergang der Türken bei Widdin und ihre Festsetzung in Kalafat so leichthin duldeten. Der Fehler rächte sich schwer; denn ihm hauptsächlich ist es zuzuschreiben, daß die russischen Streitkräfte während des ganzen Winters und Frühjahrs ihr Augenmerk auf die Sicherung der kleinen Walachei gerichtet halten mußten und so dem Gegner auf dem rechten Ufer Gelegenheit gaben, sich zu kräftigen und die Hilfe der Westmächte abzuwarten. Die Bewachung der Türken bei [236] Kalafat verhinderte fast acht Monate lang alle Operationen an der untern Donau.

Die Türken hatten den günstig gelegenen Ort mit einer Verschanzung von circa 6000 Schritt Länge umgeben, die an beiden Enden in einem Fort auslief. Die Verschanzung bildete nach den russischen Stellungen zu einen vorspringenden Winkel und war von 600 zu 600 Schritt durch eine mit schwerem Geschütz besetzte, mit Schanzkörben und Faschinen gegen das Feuer bekleidete Bastion oder Lünette befestigt. Eine innere Linie von vier Redouten zur Aufnahme der Reserven gab zugleich eine zweite Vertheidigungsfront. Auf einer Anhöhe zur Rechten bestrich außerdem eine sehr gut gelegene Redoute die Flanken und auf der Insel, deren Zugang durch einen Brückenkopf geschützt war, befanden sich vier Batterieen, jede von vier bis fünf Stück schwerem Geschütz, deren Feuer im Nothfall über die Verschanzungen hinweg trug.

Die türkischen Vorposten dehnten sich im Halbkreis um die Verschanzungen auf die Entfernung von zwei bis drei Wegstunden aus und begegneten hier denen der Russen in täglichen kleinen Scharmützeln.

Es war am Vormittag große Besichtigung der Truppen sowohl in Kalafat als in Widdin gewesen, und die verschiedenen Corps rückten eben wieder in ihre Quartiere, ober trieben sich dienstfrei bereits in Gruppen umher. Der Muschir selbst mit seinem ganzen Generalstabe war seit drei Tagen in Widdin anwesend und eben im Begriff, wieder abzureisen. Die Masse des Gefolges und die zahlreiche militarische Begleitung, welche die Straßen um das Konak Said-Pascha's, des Gouverneurs von Widdin, bei dem der Sirdar sein Quartier genommen, füllten, erhöhte das bewegte bunte Treiben. Eine Menge Pferde, prächtig gesattelt, wurden im Konak und vor dem Thor umher geführt, Araba's mit ihrem weißen Ochsengespann standen zur Seite und die Iastiks in ihrem Innern, wie die Vorhänge, die sänftenartig das Obertheil umgaben, zeigten, daß sie zur Aufnahme von Frauen bestimmt waren, während die Arabadschi's mit den Gepäckwagen bereits vorausgegangen.

In der That führte der Muschir während des ganzen Feldzugs an der Donau seine jüngste Gattin, eine Deutsche aus Siebenbürgen, und deren Schwester stets mit sich, indeß die Bujuk-Hamnu, die erste Frau, die noch der verstorbene Sultan ihm gegeben, und[237] deren Hand und Einfluß er hauptsächlich seine glänzende Laufbahn und seinen Reichthum verdankt, im Serail und den Harems von Constantinopel, wie wir bereits gesehen haben, seine Interessen wahrte.

Der Muschir ist in Bezug auf die Frauen ein arger »Gläubiger« geworden, wenn er auch nicht gerade die schrankenlose Eifersucht derselben theilt. Da der Leser hier zum ersten Male auf dem Felde unserer Erzählung dieser in den letzten Jahren so berühmt gewordenen Persönlichkeit begegnet, wird eine kurze Skizze über sie von Interesse sein.

Michael Lattas – dies ist der ursprüngliche christliche Name des Muschirs – ist zu Anfang dieses Jahrhunderts in Illyrien geboren. Er trat in seiner Jugend in den österreichischen Militairdienst und hatte das Glück, in eine der militairischen Erziehungsanstalten zu kommen, der allein er seine Ausbildung verdankt. Als Feldwebel war er in Zengg in das Bureau des Majors Knecicz kommandirt, der für ihn väterlich sorgte. Hier verwirrte er jedoch die Kassengeschäfte seines Wohlthäters auf die unverantwortlichste Weise, machte bei einem dem Major nahestehenden Kaufmann in Zara auf seinen Namen Schulden und entfloh mit dem erschwindelten Gelde nach Banjaluka und Sarajevo, wo er nach vielfachem Elend Hauslehrer bei dem Pascha wurde. Dort auch trat er zum Islam über und kam später mit dem Pascha nach Constantinopel, wo er auf dessen Empfehlung als Zeichner in einer türkischen Militairschule angestellt wurde, und im Auftrag des verstorbenen Sultans geometrische Wandtafeln für den jungen Prinzen Abdul-Medjid schrieb. Später wurde er dessen Schreiblehrer und machte, von dem guten Herzen des jetzigen Sultans mit Wohlthaten überhäuft, die glänzende und rasche Carriere, die ihn an die Spitze der Armee von Rumelien brachte. Den ersten Ruf gewann sich Omer-Bei 1842 in Syrien als Befehlshaber im Libanon und dabei trotz seiner grausamen aber nothwendigen Strenge eine solche Popularität, daß die Drusen und Maroniten sich ihn sogar von der Pforte als Häuptling erbaten. Hier scheint zuerst sein rastloser Ehrgeiz geweckt worden zu sein, und verschiedene Anecdoten beweisen, wie er schon damals den ganzen verschlagenen und dennoch heftigen Charakter des Orientalen sich angeeignet hatte. Wir wählen eine unter den vielen.

Omer befand sich zu Deir-el-Kamar, im berühmten Palast [238] des Emirs Bechir: Betteddin, als er von einem der trotzigsten und mächtigsten Scheiks des Libanons besucht wurde. Während der Unterredung erhält Omer ein Schreiben des Pascha's, das ihm befiehlt, eben diesen Scheik festzunehmen und nach Beiruth zu liefern. Der Bei verläßt nach einer Weile das Gemach, um ein Geschäft zu besorgen, und als er zurückkehrt, gewahrt er mit Erstaunen die veränderte und ängstliche Haltung seines Gastes. Ein Blick auf den Divan belehrt ihn, daß er den Befehl des Pascha's dort liegen gelassen und der Druse, da Zartgefühl eben nicht die schwache Seite der Orientalen ist, denselben gelesen hat. Der Bei ist schnell gefaßt. Indem er mit dem Gast ruhig die Unterhaltung fortspinnt, läßt er sich Schreibgeräth bringen, und entwirft auf seinen Knieen einen Brief an den Pascha, in dem er den Scheik als ganz ungefährlich und zu einem Freunde der Regierung bekehrt schildert, den er zu einem wichtigen Amte bestimmt habe. Das Schreiben wiederum geschickt zurücklassend, entfernt er sich nochmals unter einem Vorwand, und als er wiederkehrt, findet er seinen Gast aufgeheitert und vollkommen beruhigt. Der Drusenhäuptling, auf die Heiligkeit der orientalischen Gastfreundschaft bauend, entläßt unbesorgt seine starke Eskorte aus dem Konak, speist mit dem Bei und schläft unter seinem Dach. Am andern Morgen, als er fortreiten will und schon den Fuß im Steigbügel hat, wird er plötzlich von den Wachen, die Omer über Nacht genügend verstärkt hatte, festgenommen und nach Beiruth an den Pascha ausgeliefert, der ihm den Kopf abschlagen ließ.

Wegen seiner Haltung im Libanon zum Pascha ernannt, wurde Omer als solcher nach Albanien und später nach Kurdistan geschickt, um die ausgebrochenen Aufstände zu unterdrücken. Er that es mit eiserner und blutiger Strenge und galt von dieser Zeit an am Hofe von Stambul als einer der zuverlässigsten und geschicktesten Diener. Als im Jahre 1848 die Revolution in Bukarest ausbrach, Fürst Bibesco floh und Soliman-Pascha die Bewegung nicht zu unterdrücken vermochte, wurde im September der Groß-Referendar Fuad Effendi als Civil-Commissarius und Omer-Pascha als Befehlshaber des Heeres entsandt, das mit den Russen gemeinschaftlich die Fürstenthümer besetzte.

Omer-Pascha hatte damals die erste Gelegenheit, die russischen Truppen in der Nähe zu beobachten. Nur von seinem rastlosen Ehrgeiz gespornt, bot er, ganz gegen die geheime Politik seiner [239] Regierung, den Russen, als General Lüders in Transsylvanien einrückte, um die ungarische Revolution zu bekämpfen, seine Hilfe dabei an, und nur die eifrigen Bemühungen Fuad's vermochten ihm das Thörichte dieses Schrittes endlich klar zu machen. So fort sprang er zum andern Extrem über, und während er seine erste Gattin nach Constantinopel sandte, um allen Folgen seiner unüberlegten Politik vorzubeugen, begann er ganz offen seine Feindseligkeit gegen die Oesterreicher und selbst gegen die Russen an den Tag zu legen. Diese wurde noch mehr durch die Vernachlässigung erhöht, welche Oesterreich gegen ihn zeigte, indem es ihn bei den zahlreichen Ordensvertheilungen überging. Dafür rächte er sich durch die willigste, ja ehrenvolle Aufnahme der ungarischen Flüchtlinge, als deren Beschützer und Freund er sich von jetzt ab öffentlich zeigte. Ungarn, Deutsche und Polen strömten in Bukarest zusammen und schworen daselbst in dem von Omer bewohnten Palast öffentlich ihren Glauben ab. Jeder der Neubekehrten erhielt drei Dukaten in dem Augenblick, wo er den Fez aufsetzte. Aus den gewandtesten Offizieren bildete sich Omer eine Umgebung, auf die er sicher zählen konnte und die bald die Aufmerksamkeit Rußlands und Oesterreichs erregte. Wir haben in einem früheren Abschnitt unseres Buche gesehen, daß Oesterreich im Frühjahr 1853 aus der Flüchtlingsfrage die ersten Veranlassungen zu seinem Auftreten in Constantinopel nahm.

Dem Skandal in Bukarest, während dessen Fuad bereits als Gesandter nach Petersburg gegangen war, machten endlich die Vorstellungen des französischen General-Consuls ein Ende. Eine Menge Generale und höhere Offiziere aus den bekanntesten Adelsfamilien Ungarns und Polens hatten den Turban genommen. Omer selbst gab ihre Zahl auf 72 an – dazu 6000 Soldaten.

Die spätere Laufbahn Omer's ist bekannt. Zum Muschir (Titel aller Staatsminister, – Feldmarschall) von Rumelien und im April 1850 zum Militair-Gou verneur von Bosnien und der Herzegowina ernannt, unterdrückte er mit der furchtbarsten Strenge und einer Grausamkeit, die mit den älteren Zeiten der türkischen Herrschaft wetteifert, die nationalen Bestrebungen der muselmännischen Bosniaken und Bulgaren, wobei ihm seine Umgebung von dreißig früheren ungarischen und polnischen Offizieren an die Hand ging, nachdem Tahir-Pascha, der bisherige Civil-Gouverneur von Bosnien, durch Gift beseitigt worden. Iskender-Bey – der Pole [240] Ilinski – war dabei einer seiner thätigsten und glücklichsten Helfer. Nachdem die Rebellion der Bey's von Omer völlig unterdrückt worden, – die Details würden über den Raum dieser Blätter gehen, – erfolgte im Anfang des Jahres 1852 die Entwaffnung der bosnischen Christen, bei der die scheußlichsten Grausamkeiten verübt wurden. Nach Constantinopel zurückberufen, wurde der Muschir zwar für einige Zeit in Folge der gegen ihn erhobenen Anklagen außer Thätigkeit gesetzt, doch schon das Frühjahr 1853 führte ihn wieder mit vermehrter Macht auf den Schauplatz und gegen die Montenegriner, wo wir seinem Auftreten zuerst in unserem Buche begegnet sind.

Es ist unzweifelhaft, daß schon seit seinem ersten Zusammentreffen mit den Russen an der Donau im Jahre 1849 der Muschir für seinen Ehrgeiz auf einen großen Krieg mit diesem Erbfeinde seines neuen Vaterlandes rechnete. Von jener Zeit ab stand er im Divan fortwährend auf der Seite der Kriegspartei und war trotz seiner sonstigen sehr liberalen Anschauungen und Gewohnheiten auf das Engste mit der alttürkischen Fraction verbunden. Die bald nach Beginn des Krieges in Constantinopel verbreitete Geschichte von einem Vergiftungsversuch gegen Omer und die wiederholten Drohungen der Alttürken bei den Aufständen der Ulema's und Softa's, daß der Sirdar mit der Armee gegen Constantinopel rücken werde, wenn der Krieg nicht seinen Fortgang habe, gehören offenbar mit zu seinen Intriguen. –

Im Tschardak 1 der Lokanda Alexo's des Slowaken standen zwei Männer, beide in türkischer Uniform, der Eine mit den Tressenabzeichen des Offiziers, der Andere in dem einfachen blauen Rock mit dem Feß, – ein Hekim-Baschi 2 der Armee, Doctor Welland, den die Ordre seiner Vorgesetzten von Schumla aus nach Widdin geführt hatte, um in den schrecklichen Lazarethen von Widdin, in denen während des Winters an 10,000 Typhuskranke von den türkischen Truppen starben, Hilfe zu leisten.

Der Offizier war ein Jüs-Baschi (Hauptmann) vom 3. Bataillon des 4. rumelischen Ordu's 3, ein Pale von Geburt, Makiewicz, der schon mit Bem übergetreten war und in der türkischen [241] Armee Dienste genommen. Welland hatte ihn durch seine aufmerksame Behandlung von einem der schrecklichen Wechselfieber befreit, die Tausende entnervten, und der Pole, der seinen Dienst noch nicht wieder angetreten, beobachtete mit dem Arzt das eigenthümliche militarische Schauspiel.

»Wissen Sie, Doctor,« sagte der Offizier, »daß der Muschir gestern den Ober-Ekmekschi 4 und zwei seiner Gehilfen hat erschießen lassen? Die Canaillen verdienten eine zehnfach härtere Strafe, als die ehrliche Kugel; denn ihnen und diesen schurkischen Lieferanten ist es zuzuschreiben, daß ein Fünftel des Heeres in den Lazarethen liegt, aus denen nur für Diejenigen ein Weg in's Leben zurückführt, welche unter so freundliche und geschickte Hände gerathen, als die Ihren.«

»Ich habe davon gehört, und so sehr ich die Sache als Mensch beklage, fühle ich doch die Notwendigkeit eiserner Strenge und hoffe von der kurzen Anwesenheit des Muschirs vielfache Reformen und den besten Erfolg. Ich zweifle keinen Augenblick, daß die Armee bis auf die Baschi-Bozuks herab sich tapfer schlagen wird, aber die Unglücklichen verkommen an der gränzenlosen Unordnung und Nichtswürdigkeit, die in allen Theilen ihrer Verpflegung herrscht. Ich habe das Brot gesehen, das für die Truppen nach Kalafat alltäglich transportirt wird, und muß gestehen, daß unser Vieh von solcher Nahrung erkranken, würde. Das Mehl ist mit Rinde, Spänen, Erde und hundert andern eklen Materialien verfälscht; halb ausgebacken, im Innern ein reiner Brei, kommt es aus den Bäckereien, man wirst es in die mit schlammigem Wasser halb angefüllten Boote oder auf durchnäßte Karren und bringt es so in's Lager. Die Wenigsten der Soldaten haben während des ganzen Decembers ein warmes und trockenes Quartier gehabt, die Schuhe faulen an ihren Füßen. Alles, was sie erhalten, und es ist wenig genug, ist von der schlechtesten Qualität. Das Lazarethwesen ist in einem so scheußlichen Zustande, daß selbst das vielbesprochene Betrugssystem unserer Gegner schwerlich solche Schrecken hervorzubringen im Stande ist. Von Medikamenten ist fast keine Spur vorhanden, Calomel oft das Einzige, was zu haben ist. Und das ärztliche Personal – daß Gott erbarm'! Ich habe selbst einen Unterarzt und einen Apotheker, die mir beide gestanden [242] haben, daß sie der Eine ein Schneider, der Andere ein bankerotter Kaufmann in ihrer Heimath waren.«

Der Pole lachte.

»Sie werden noch ganz andere Dinge hier kennen lernen, Doctor. Der Unsinn mit den Aerzten kommt davon, weil in den Augen der Türken jeder Franke von Natur aus ein Hekim ist. Und dennoch, trotz der Wahrheit Ihrer Schilderungen, trotz der Thatsache, daß diese Menschen seit mehreren Monaten keinen Sold empfangen haben, mit dessen Hilfe sie bei der Geringfügigkeit ihrer körperlichen Bedürfnisse sich einige Erleichterung verschaffen könnten, ist ihre Aufopferung und ihre Geduld wahrhaft heroisch und erhaben. Sie ertragen alle diese Uebelstände mit einer Ergebung, von der unsere europäischen Truppen keine Ahnung haben würden. Auf dem Schlachtfelde oder auf dem harten Lehmboden des Lazareths, wo auch der Tod zu ihrem Haupte tritt, sie erleiden ihn ruhig und muthig. Es ist ihr Kismet, für den Koran zu sterben, was kümmert es sie, ob es durch die Kugel oder die Krankheit geschieht!«

Der Arzt hatte die Erfahrung selbst an hundert Sterbelagern gemacht; – es ist erhaben und empörend, mit welcher Gleichgültigkeit der Orientale das schwere Geschäft des Sterbens betrachtet.

»Doch lassen Sie uns den Weg hinauf zur Festung gehen,« unterbrach Makiewicz ihre Betrachtungen. »Der Kriegsrath scheint beendigt und der Zug des Muschirs sich in Bewegung zu setzen. Sobald er über die Schanzen der Irregulairen hinaus ist, wird es hier voll genug werden.«

Die Beiden, denen sich noch einige andere Offiziere anschlossen, verließen den Tschardak und gingen durch die traurigen Gassen der Stadt, die bei schlechter Witterung einer großen Kloake gleichen und von mephitischen Dünsten erfüllt sind, nach der Festung, die durch einen Graben von der Stadt abgesondert ist und in der das Serai des Gouverneurs liegt. Hier auf einer Erhöhung postirte sich die Gesellschaft und sah den Zug herankommen.

Eine Abtheilung der türkischen Husaren eröffnete denselben, ihnen folgte der Muschir mit seiner zahlreichen Begleitung zu Pferde, der sich die Führer der Armee von Kalafat und Widdin angeschlossen.Omer-Pascha steht jetzt im Anfang der Fünfziger. Es ist von mittlerer, etwas gedrängter Gestalt, sein Gesicht ist nur [243] durch den scharfen unruhigen Ausdruck der Augen von Bedeutung. Seine Manieren sind leicht und sicher und seine Lebendigkeit durchbricht häufig die Schranken der orientalischen Ruhe, die er sich anzueignen gesucht. Im Ganzen läßt sein Aeußeres den Mann von Bedeutung und Thatkraft nicht verkennen. Er spricht mit Geläufigkeit türkisch, italienisch und französisch und selbst ziemlich gut das Deutsche.

»Sie würden mich verbinden, Kamerad,« sagte einer der jungen Offiziere, ein Sardinier, der erst am Tage vorher von Constantinopel eingetroffen war, »wenn Sie mich etwas mit den Persönlichkeiten bekannt machen wollten.«

»Sehr gern, Kamerad. Da an der Spitze reitet der Muschir, den Sie bereits bei der Parade kennen gelemt. Ihm zur Seite, der Alte auf dem schönen Araber, ist Sami-Pascha, der Gouverneur dieses schmuzigen Nestes. Pferde und Oglans 5 sind sein Luxus; er hat Geld genug dazu zusammengescharrt. Er ist ein Grieche von Morea und kam als Kind nach Stambul, wo ihn Mehemed Ali, der Vicekönig, zur glückseligen Würde seines Oglan erhob. Als der schlaue Fuchs, den sein Herr zu allerlei Aemtern verwandte, endlich merkte, daß es mit seinem Gebieter zu Ende ging, brachte er seinen Reichthum in Sicherheit und ging nach London, wo er lange den Stutzer gespielt hat. Auch in Paris hat er sich durch seine Avantüre mit einer schönen Jüdin bekannt gemacht, und als er nach einigen Jahren nach Stambul zurückkehrte, gewann er sich durch seinen Verrath an Mehemed das Paschalik von Trapezunt und später von Larissa. Vor vier Jahren wurde er endlich hier in Widdin der Nachfolger Hussein's, des Janitscharentödters, und chikanirt seitdem die Oesterreicher, hält auf seine alten Tage ein Harem, von dem man Wunderdinge erzählt, und ist der schlaueste alte Hund, den ich noch gekannt habe!«

»Sie schildern in scharfen Zügen,« lachte der junge Mulassim 6. »Aber der General oder Pascha an der Rechten des Muschirs?«

»Das ist Achmet-Pascha, Ihr künftiger Oberbefehlshaber, denn der Sirdar hat seinen General-Stabs-Chef, Allah sei's geklagt, nun einmal dazu gemacht, obschon wir unter ihm Nichts als [244] Feiertage haben. Er machte seine Studien auf der Ingenieurschule zu Wien und ist ein ganz einsichtsvoller Türke, versteht aber vom Feldlager Nichts. Es wäre nicht auszuhalten, wenn Ismaël-Pascha ihn nicht manchmal in Bewegung setzte. Ich denke immer, der Muschir hat ihn deswegen an seine Seite gestellt. Sehen Sie den stolzen Mann da auf dein Rappen, dem einzigen in der ganzen Schaar, – sein Blick scheint Feuer zu sprühen, und das tscherkessische Blut in seinen Adern zeigt sich bei jeder Bewegung. Schaut er nicht aus wie ein König unter diesen schmuzigen Moslems?«

Der Doctor lachte.

»Aber Sie sind ja selbst ein solcher geworden, und die halbe Begleitung des Muschirs besteht aus Männern, die den Koran der Bibel vorgezogen haben!«

»Bah! Das ist auch der einzige erträgliche Theil der Gesellschaft. – Da, gleich hinter dem Muschir, sehen Sie den Ferik 7 Mustapha-Pascha, die Livas 8 Osman-Pascha und Mehemed-Pascha und Nefwik-Bey, Omer's Neffe, ein kecker Bursche mit seinen Jägern.«

»Und Graf Ilinski – ich wollte sagen Iskender-Bey, der berühmte Anführer der Irregulairen?«

»Da kommt er eben hinterdrein gejagt, als säße der Teufel hinter ihm im Sattel oder als gälte es, eine Bank von zwanzigtausend Piastern zu sprengen. Er reitet wie ein Kosak und ist am Ende auch einer, nach seiner tatarischen Physiognomie und seinen boshaften Augen zu urtheilen. Aber für das Gesindel, das er kommandirt, ist er unbezahlbar. Ich möchte wissen, wie wir mit dieser Sammlung von Spitzbuben, Meuchelmördern und Fanatikern fertig werden sollten, wenn wir Iskender-Bey nicht hätten, und seine beiden trefflichen Adjutanten, Hidaet-Aga und den Arnautenführer Jacoub-Aga.«

Er wies auf die Reiter.

»Sind sie geborene Türken?« fragte, der Sardinier.

»Den Teufel auch! Lassen Sie Beide die Beleidigung nicht hören, sonst müssen Sie vor die Klinge. Es sind Landsleute von mir, wenn ich auch nur den polnischen Namen des Einen kenne. Constantin von Jakoubowski aus dem Großherzogthum focht bei Grochow [245] und Ostrolenka, und lebte dann mit Mickiewicz in Paris. In Lemberg im Jahre Achtundvierzig gefangen und amnestirt, ging er nach Italien und half Rom vertheidigen. Vom den Franzosen von dort vertrieben, hatte er gerade noch Zeit, zu Bem zu stoßen, als der alte Held nach der Walachei zog und vor Halim-Pascha die Waffen streckte. Seitdem steht er in türkischem Dienst und machte mit Omer die Feldzüge in Bosnien und Montenegro mit. Sie sollen ein Mal sehen, wenn er seine Arnauten mit blanker Klinge in's Gefecht fuchtelt. Die Russen haben ihr Lebtag nicht so viel Schläge bekommen, und als kürzlich ein Mal bei einem Begegnen der Vorposten Jacoub'a 9 den Kosaken zurief, sie sollten zu den Türken desertiren, bei uns hätten sie's besser und keine Schläge, lachten die Kerls ihn aus und riefen: Du lügst, wir haben selbst gesehen, wie Du prügeln kannst!«

Die Gesellschaft lachte über die Anecdote.

»Wer ist Hidaet-Aga?« fragte der Doctor weiter.

»O, diesen eben kenne ich nicht und weiß nur, daß er ans einer vornehmen polnischen Familie stammt. Er hat so viel von seinem Vermögen aus dem Schiffbruch der Revolution gerettet, daß er sich im Rosengarten Adrianopel einen ziemlichen Landstrich kaufen konnte und dort in Ruhe lebte. Nur die Freundschaft für Iskender-Bey hat ihn wieder unter unsere Fahnen gezogen und er dient ohne Sold als Freiwilliger, um, wie er sagt, an den Russen eine alte Scharte auszuwetzen.«

»Und der Reiter dort in der rothen Uniform mit dem geschlitzten blauen Dolman, der Bärenmütze und dem Halbmond daran?«

»Hei, das ist der Kolassi 10 Wersbitzki, der Kommandant der türkischen Kosaken, des tollen Corps, das unsere Rechtgläubigen so sehr verabscheuen. Er reitet neben Depuis, dem Franzosen, und dem Juden Osman'a, dem Adjutanten des Muschirs, einem reichen Banquierssohn aus Temeswar, der gestern die Depesche aus Schumla brachte und den Weg von hundert Stunden in zwei Tagen zurückgelegt hat. Freilich jagte er zwei Pferde zu Tode und das dritte hat er die Nacht verspielt. Wersbitzki hat ihm ein Beutepferd auf Wechsel verkauft, da der alte Jude, sein Vater, noch immer richtig honorirt hat.«

[246] »Aber wer ist der Offizier dort in der fremden Uniform, der neben Lord Worsley und Capitain Bathurst reitet und mit Herbert Wilson spricht?«

»Ich kenne ihn nicht,« entgegnete der Pole.

»Da kann ich Auskunft geben, denn es ist ein Landsmann, Oberst Graf Pisani. Ich focht unter ihm bei Novara und seiner Empfehlung verdanke ich die Anstellung in Ihrer Armee.«

»Ist er mit dem Muschir gekommen?«

»Nein, er hält sich seit einigen Tagen bei Sami-Pascha auf, um wichtige Nachrichten abzuwarten, und wird, wie er mir bei meiner Ankunft sagte, noch einige Zeit hier bleiben.«

»Es scheint, der Muschir läßt ihn eben zu sich rufen, er reitet vorwärts. He, Hussein'a,« rief er einen jungen Genie-Offizier an, der eben in ihrer Nähe vorüberritt. »Wie steht's mit dem Kriegsrath, ist der Angriff gegen Krajowa endlich beschlossen?«

»Salem, Jüs-Baschi Mackiewicza,« gab der junge Muselmann zur Antwort; »ich glaube, wir werden selbst von den Moskows aus den Schanzen gejagt. Sie rücken vor und befestigen sich drei Stunden von unsern Vorposten.«

Die Nachricht erweckte allgemeines Interesse, das nur auf kurze Zeit unterbrochen wurde, als die Araba's 11, von schwarzen Sclaven begleitet, mit den Frauen des Sirdars in einiger Entfernung dem Zuge folgten.

»Voilà Madame la Maréchale!« sagte lachend der Capitain, denn so ließ die jüngste Gattin des Muschirs sich nennen, als sie noch nach europäischer Sitte unverschleiert in den Gesellschaften erschien. Omer, der bis auf die Bujuk-Hanum, die Sultan Mahmud ihm gegeben, seine Frauen schon mehrmals gewechselt und weggejagt, oder durch den Tod verloren hatte, besaß 1849 in Bukarest ein Töchterchen, Emine, von 5 oder 6 Jahren, das er sehr liebte. Da er dem Kinde Musikunterricht geben lassen wollte, wurde ihm eine junge Sächsin aus Kronstadt empfohlen und bei ihm aufgenommen. Ohne schön oder interessant zu sein, verstand sie doch bald, den Muschir zu fesseln, und aus der Lehrerin wurde seine Frau: Zuerst trat sie wie, wie erwähnt ganz nach europäischer Sitte und mit großem Glanz auf, als sie jedoch während des gegenwärtigen [247] Krieges Omer wieder nach der Donau begleitete, hatte sie bereits völlig die türkischen Gebräuche angenommen und erschien nur tief verschleiert und von Eunuchen umgeben. –

Der Zug war vorüber und die kleine Gesellschaft kehrte daher nach dem Tschardak des Gasthauses zurück, wo sich gewöhnlich die europäischen und selbst viele türkische Offiziere zu versammeln pflegten, obschon Alexo, der Wirth, im dringenden Verdacht als Spion des österreichischen Consuls und der Russen selbst stand.

Eine bunte Versammlung hatte bereits das Haus und den Vorplatz eingenommen, und alle Augenblicke strömten neue Ankömmlinge herbei. Ehe Welland, der in der Lokanda selbst sein Quartier genommen, noch sein Zimmer betreten, sprengten zehn, zwanzig Reiter, von der Begleitung des Muschirs zurückkehrend, herbei und warfen sich vor der Veranda von ihren Pferden. Iskender-Bey war an ihrer Spitze und stürmte in das Haus.

»Der Teufel soll mich holen und der Prophet dazu!« schwor der wilde Reiteranführer, »wenn mir die Kehle nicht trocken ist wie ein ausgedörrter Schwamm. He, Alexo, Bursche, Wein her, Karten und Würfel, wir müssen nach der Anstrengung im Divan und den Begrüßungs- und Abschiedsreden eine bessere Erfrischung haben, als den Kaffee, den der schäbige Filz Sami uns vorgesetzt hat.«

Die Renegaten im Heere scheerten sich herzlich wenig um das Verbot des Korans gegen den Wein, und der edle Ungar, Bordeaux und Rum flossen in Strömen, wenn sie nur zu haben waren. In der Lokanda des Alexo fehlte es aber, trotz des bedeutenden Zuspruchs, nie an dem Rebensaft, da er durch die Vermittelung seines Gönners, des österreichischen Generalconsuls, regelmäßige Ladungen von Orsova erhielt. Dafür wanderte jede Kunde, die der Wein von den Lippen seiner Gäste gelöst, alsbald auch in's Haus des Agenten.

Mit der edlen Ungenirtheit des Orients und des Lagerlebens war alsbald – da alle anderen Räume des Hauses gefüllt waren, – das große Gemach, das Welland im oberen Stock bewohnte, von der wilden Gesellschaft in Beschlag genommen, und während der Wirth hin und her eilte, die Gäste mit Getränken zu bedienen, klapperten auf dem Tische bereits die Würfel und flogen nach rechts und links die Karten im Hazard.

Iskender-Bey war ein überaus eifriger und wagender Spieler, [248] und seine beiden Freunde und Adjutanten gaben ihm wenig nach. Die Moslems selbst sind keine Freunde des Spiels, sie sind zu geizig dazu.

Während die fremden Offiziere den Weinflaschen zusprachen, oder dem stärkeren Rum, hielten sich die geborenen Türken an den letztern, den sie wie den Slibowitza 12 aus Kannen und Biergläsern durch die Kehle gießen. Der Prophet hat ja nur den Wein verboten, und auch dies Verbot wird jetzt selbst ziemlich öffentlich mißachtet, wie bei uns die Juden den Schinken verspeisen.

»Nun, Doctor,« sagte Jacoub-Aga, der die Bank hielt, »wollen Sie denn nicht ein Mal Ihr Glück versuchen? Zum Teufel mit der Kopfhängerei, leben Sie dem Vergnügen, Sie werden der traurigen Beschäftigung des Arm- und Bein-Abschneidens genug haben, ehe zwei Mal vierundzwanzig Stunden vergehen.«

»Ich hörte bereits davon, Kolassi,« fragte der Arzt. »Hat man nähere Nachrichten?«

»Die Russen kriechen endlich aus ihren Mauselöchern,« lachte der Bey. »Ihre Tirailleurs stehen bereits bei Ezetate und ich glaube, sie haben Lust, sich dort festzusetzen.«

»Werden wir angreifen?«

»Versteht sich! Morgen rücken wir aus – aberSebal cie pies! der heutige Tag gehört noch uns. Nur Wersbitzki muß diese Nacht bereits fort, um zu recognosciren; das hat der Narr davon, daß er den Koran verachtet!«

»Vorsichtig,« mahnte Hidaet-Aga; »der slavonische Spitzbube macht sich fortwährend hier zu schaffen und lauscht auf jede Sylbe!«

»Thorheit!« höhnte der Bey; »Alexo weiß die Sache besser wie wir. – Drei Dukaten auf die Dame!«

Ein Reiter sprengte unten vor das Haus und stürmte die Treppe herauf.

»Osman-Aga? welcher Dämon führt Sie zurück?«

»Mashallah, Inshallah, Bismillah und alle Allah's daneben, denn ich bin ein gläubiger Moslem und kein Jude mehr,« lachte der Wildfang. »Der Muschir ist ein prächtiger Mann, er hat mich wieder zurückgeschickt, um ihm nach dem Angriff weitere Kunde nachzubringen. Hussah! Wein her! Wer hält die Bank? ich muß meine Uhr und meine Ringe von dieser Nacht zurückgewinnen!«

[249] »Ich gebe Revange,« sagte der Bey und nahm die Karten. »Ah, sieh da, Graf Pisani! willkommen, Herr Kamerad, bei unserer Unterhaltung. Ich fürchtete schon, Sie liebten weder Spiel noch Wein und belagerten nur das Haremlik des würdigen Sami's.«

»Ich überführe Sie von Ihrem Irrthum, Graf,« entgegnete der Oberst, der eben eingetreten war, und warf eine Börse mit Gold auf den Tisch. »Fünf Doublonen auf den Buben hier!«

»Wahrhaftig, der Bursche hat gewonnen. Was, ein Paroli? ich sehe, Sie verstehen die Sache.«

Das Spiel nahm seinen Fortgang. In allen Ecken des Zimmers lärmte eine Gruppe. Französisch – Türkisch – Italienisch – Polnisch – Ungarisch und alle slavonischen Sprachen flossen in der Unterhaltung bunt durcheinander. Welland hatte sich längst darin ergeben, für den Abend und die Nacht auf die Ruhe verzichten zu müssen, dergleichen kam so oft vor, und unterhielt sich auf der Gallerie vor den Fenstern mit Capitain Maxwell und Master Godkin, den beiden Berichterstattern der Daily niews und desMorning Chronicle, ehe er seinen Abendbesuch im Lazareth machte.

Alexo, der Wirth, hatte neuen Bordeaux auf den Tisch der Spieler gepflanzt und dabei war ein bedeutsamer Blick des Sardiniers dein seinen begegnet. Der des Wirthes bejahte und deutete nach der Thür.

»Geben Sie mir jetzt die Bank,« erklärte Pisani und legte seine Uhr neben sich. »Ich bin Ihnen Revange schuldig und werde sie dreißig Minuten halten, aber keinen Augenblick länger, denn ich habe noch einige Geschäfte. Heran, meine Herren, faites vôtre jeu!«

Die Offiziere spielten eifrig weiter, denn der Sardinier war im Glück und hatte bereits einen Haufen von Gold und Kaïmels 13 vor sich gehäuft. Osman'a, der Jude, sah mit leidenschaftlichen Blicken und vom Wein erhitztem Gesicht dem Spiele zu. Er hatte schon Alles bis auf das goldgestickte Sattelzeug seines Pferdes, selbst seinen mit den schweren Goldschnüren pikeschenartig gezierten Rock der türkischen Husaren, deren Corps er angehörte, verloren.

»Wollen Sie einen Wechsel auf hundert Dukaten von mir annehmen, Herr Graf?« fragte er endlich hastig. »Mein Vater [250] ist Banquier in Temeswar und wird ihn einlösen, wie meine Kameraden mir bezeugen können.«

Der Sardinier verneigte sich höflich.

»Ich zweifle keinen Augenblick daran, mein Herr, aber ich mache nie dergleichen Geschäfte.«

»Alexo! Schurke, hierher! Zum Henker, wo steckt der Spitzbube?«

Der Slavonier schoß herbei.

»Befehlen die Herren frisches Getränk?«

»Unsinn, Koth! Du sollst mir einen Wechsel discontiren; ich weiß, Du hast Geld, wenn Du nur willst.«

Der Slovake wand und krümmte sich wie ein Wurm. Er wußte sehr gut, daß der Adjutant ihm sicher war, aber er hatte ihm bereits, wenn auch zu den höchsten wucherischen Zinsen, am Tage vorher ein Darlehen gemacht.

»O, Aga,« sagte er, »ich bin ein armer Mann und habe bereits zwei Wechsel von Euch in Händen. Wo soll ich all' das Geld hernehmen?«

»Schäbiger Lump!« fluchte der Wüstling. »Wir Alle wissen, Du kannst halb Widdin auskaufen, so viel hast Du schon an uns verdient. Ich gebe Dir mein Wort, Du sollst Dein Geld wieder erhalten, noch ehe ich das Nest verlasse. Ich werde morgen zu den Juden gehen und Geld schaffen.«

»Könnt Ihr mir nicht lieber ein Unterpfand geben, Aga? ich bin ein armer Mann und muß mich sicher stellen. Seine Hoheit der Vali 14 gönnt mir ohnehin kaum das Leben.«

»Bah! ich habe Nichts, meine Ringe sind fort, meine Uhr auch. Willst Du mein Patent?«

»Was thue ich mit Eurem Patent? das laßt Ihr im Stich, jeder Mann weiß, daß Ihr der Offizier Seiner Excellenz des Muschirs seid.«

»Nun, Schuft von einem Slavonier,« sagte der Leichtsinnige, in seiner Brieftasche kramend, »hier ist was Besseres, das ich höchstens auf einige Tage entbehren kann. Die Generalordre des Muschirs zum Durchlaß auf allen Posten und zur Lieferung von Pferden. Ohne dies Papier kann ich nicht von der Stelle; ist Dir das sicher genug?«

[251] Graf Pisani hatte, während die Uebrigen, unbekümmert um die gewohnte Verhandlung, fortpointirten, mit halbem Ohr auf das Gespräch gelauscht. Sein rascher bedeutsamer Blick traf gedankenschnell den Slavonier und winkte ihm, zuzuschlagen.

»Bei den heiligen Märtyrern, an die Ihr nicht glaubt, Aga,« schwor der Wirth, »ich muß Euch anvertrautes Gold geben und thue es bloß auf Euer ehrliches Gesicht. Laßt das Papier da, Aga, und Ihr braucht Euch nicht zu eilen, ich verwahre es sicher und hoffe, Ihr werdet mich bei den Zinsen nicht vergessen!«

Der junge Tollkopf folgte dem schlauen Händler aus dem Gemach. Wenige Minuten nachher erschien er wieder am Spieltisch, die Taschen voll Gold, und von den Genossen jubelnd begrüßt.

Die Dukaten rollten. Mit beiden Händen auf den Tisch gestemmt, folgten Iskender-Bey und Osman-Aga den Chancen des Spiels. Die Augen funkelten – wilde Ausrufe und Verwünschungen – das triumphirende Lachen des Gewinns klang von ihren Lippen – nur der Sardinier spielte wie ein Gentleman.

Osman'a verlor – der kühne Führer der Baschi-Bozuks triumphirte im Gewinn.

»Fünfzig Dukaten!«

Der junge Verschwender schob den ganzen Rest auf das Coeur-Aß.

»Schwarz! Auf den Buben, Kamerad!« rief der Bey.

Die Karten fielen rechts und links – Roth hatte verloren, Schwarz gewonnen. Mit einem grimmigen Fluch hob der Adjutant die nächste Flasche an den Mund und trank sie bis zum Boden leer, Iskender-Bey aber zog das Gold zu seinem Gewinn.

»Wein, Alexo, Champagner! Noch eine Taille, Kamerad?«

Aber der Graf hatte sich bereits erhoben und hielt ihm die Uhr vor.

»Die Zeit ist um, Herr Graf, ich cedire dem Nächsten. – Viel Vergnügen, meine Herren, mich rufen noch Geschäfte; vielleicht find' ich Sie später noch hier und gebe dann weitere Revange.«

Er steckte den Goldhaufen, der vor ihm lag, in die Tasche und griff nach dem Kasket. Aber ein jammerndes Geschrei voll Schmerz und Angst fesselte seinen Fuß und er blieb ein unwillkürlicher Zuhörer der nachfolgenden Scene.

Die Thür des Gemachs wurde aufgerissen, ein bulgarisches Weib und ein Mädchen erschienen auf der Schwelle, weinend und [252] zagend, als sie die vielen Männer sahen. Aber Doctor Welland, der sie führte, zog sie, ihnen Muth einsprechend, herein und gerade auf Iskender-Bey zu. Nursah, der schwarze Sclave des Doctors, hatte das Mädchen an der Hand, dessen Gewand zerrissen war, dessen langes blondes Haar, häufig eine große Schönheit der bulgarischen Frauen, ihr wirr herab bis fast auf die Knie niederhing.

»Was Teufel, Doctor, bringen Sie uns da für Gäste? Haben Sie eine Otmitza 15 gehalten und Braut und Schwiegermutter zugleich erobert? Herbei mit dem Popen!«

Die ganze Gesellschaft brach in ein tobendes Gelächter aus, Welland aber faßte eifrig des Bey's Arm.

»Helfen Sie den Aermsten, die Schutz bei Ihnen suchen,« bat er; »sie sind geflüchtet aus ihrem Hause, wo Ihre Baschi-Bozuks Mord und Todschlag üben. Mein Neger fand die Weiber jammernd vor der Thür der Lokanda und führte sie zu mir.«

»Bah! was wird es sein? – eine Lappalie – das Volk hier ist an Prügel gewöhnt! Warum geh'n sie den wilden Teufeln nicht aus dem Wege? ich kann mich nicht mit der Beschwerde jedes Bauern oder jeder Dirne befassen.«

Die Baba 16 war vor dem Bey niedergefallen und umfaßte seine Knie.

»Was giebt's, Weib?« herrschte er ihr auf Türkisch zu.

»O Hoheit, sie morden meinen Mann – sie haben meinen Neffen erschlagen und ermorden sich unter einander!«

Die Stirn des türkischen Guerillaführers verfinsterte sich.

»Wer bist Du, Frau? wo ist Dein Haus?«

»An der Dromoi 17, Hoheit, die nach Belgradzik führt, dem Adlernest der Haiducken. Die Zelte Deiner Krieger liegen keine tausend Gänge davon und mein Mann hält ein Hane 18

»Auf's Pferd, Jacoub'a,« befahl der Bey, »und sieh' zu, was es giebt. Meine Kopfabschneider sollen dem Volke wenigstens nicht an's Leben kommen, sie werden morgen bessere Gelegenheit finden, ihre Tollheit zu kühlen. Jage die Hunde in ihre Zelte und Du, Weib, störe mich nicht länger.«

Er wandte sich wieder zu dem Spiel, während Jacoub-Aga [253] den Säbel umschnallte und das Gemach verließ, indem er sich von dem Weibe noch weiter den Schauplatz des Excesses beschreiben ließ. Mehrere der jüngeren Offiziere umgaben die hübsche junge Bulgarin, die weinend und zitternd sich an den deutschen Arzt drängte, der sie hereingeführt.

Im Galopp flog ein Reiter vor das Haus, warf sich aus dem Sattel und man hörte ihn laut nach dem Bey fragen. Es war bereits dunkel geworden, der Retraiteschuß der Festung jedoch, der die Thore schloß, noch nicht gefallen.

Der Führer der Irregulairen beugte sich aus dem Fenster.

»Was giebt's? wer frägt nach mir?«

»Der Jüs-Baschi der Kosaken, Mahmud-Aga, läßt melden, daß eine große Anzahl der Irregulairen mit seinen Leuten handgemein geworden ist in einer bulgarischen Mehana 19 an der Straße nach Nissa. Der Kolassi ist bereits in Kalafat und der Aga zu schwach, dem Kampfe zu steuern.«

»Tysiąc byci mać mordowalo!« fluchte der Bey in seiner Muttersprache, »das ist ein Anderes! Zu Pferde, meine Herren, wir müssen die Schufte auseinander treiben, sonst hauen sie sich gegenseitig in Stücke!« Er sprang die Stiege hinab und rief unter dem Tschardak nach seinem Roß. Mehrere der Offiziere folgten ihm – andere blieben ruhig sitzen, dergleichen Auftritte ereigneten sich zu häufig, um ihre Ruhe noch zu stören. Seine On-Baschi's 20 voran, jagte der Bey davon. –

»Hierher, Excellenz!« flüsterte der slavonische Wirth, indem er die Hand des sardinischen Obersten berührte. »Folgen Sie mir.«

Es ist ein eigenthümliches Zeichen des militairischen Verhältnisses in der türkischen Armee, daß außer dem Dienst es weder Offizieren noch Gemeinen auch nur einfällt, den Vorgesetzten als solchen und anders, denn als gleichstehenden Kameraden zu behandeln.

Die beiden unteren Gemächer, die Küche und die Veranda der Lokanda lagen voll von Militairs jeder Gattung, zum größten Theil Renegaten; aber auch die Moslems kümmerten sich nicht um die Durchdrängenden. Zechend und spielend, von den Leuten des Kahvedschi bedient, war Alles nur mit dem eigenen Vergnügen beschäftigt.

[254] Der Sarde folgte dem Wirth durch den Flur und einen kurzen Gang in ein anstoßendes Hintergebäude und zu einem kleinen leeren Zimmer.

»Verzeihen, Excellenz,« bat der Slovake, »daß ich Sie hierher führe, aber nirgends im ganzen Hause ist ein Plätzchen, wo man sich ungestört besprechen kann.«

Der Oberst warf das Geld, das er gewonnen, auf den Tisch.

»Hier ist Etwas für den Brief der Gräfin, den Du mir gestern sandtest, und die hundert Dukaten, die Du für den Ferman des tollen Aga's ausgelegt. Der Ueberschuß ist Dein. Gieb mir das Papier.«

»Aber wenn der Aga es einlösen will?«

»Bah! – er denkt nicht daran; ich werde dafür sorgen, daß er Beschäftigung genug hat. In drei Tagen kannst Du es außerdem zurück erhalten. Wie steht's mit meinem Auftrag?«

»Excellenz Befehle sind erfüllt, aber wie ich die Verhältnisse kenne, wird mein Plan der einzig ausführbare sein. Ich habe sichere Kunde, daß eine Anzahl Dorobandschen die Gelegenheit zum Desertiren erlauert. Apollony ist bereit, auf das russische Gebiet zu gehen und die Leute zu führen; es wird ihnen dabei ein Leichtes sein, die Gräfin in ihrem Schloß an der Deszneizia aufzuheben und über die Donau zu bringen. Apollony bürgt mit seinem Kopf dafür, während auch die keckste Schaar der türkischen Truppen nicht die Hälfte des Weges zurücklegen würde.«

Der Graf schwieg, einige Augenblicke nachsinnend.

»Ist der Mann treu?«

»Wie Stahl und Gold, Excellenz, ich verschwöre mein Leben für ihn. Er führt die meisten Ueberläufer.«

»Du weißt,« sagte der Oberst, »daß, wenn die Entführung gelingt, Du 200 Dukaten erhältst und der Walache eben so viel. Betrügst Du mich, – denn ich weiß sehr wohl, daß Du den Russen eben so gut dienst, wie mir, – so werde ich dafür sorgen, daß Sami-Pascha Dich eines schönen Morgens an Deiner eigenen Hausthür aufhängen läßt. Führe den Mann zu mir.«

Der Wirth verschwand und kehrte bald nachher mit einem jungen Manne zurück, der, obschon in türkischer Offizieruniform, doch nur als Volontair in der Armee diente, und – ein geborener Walache – durch seine Bestrebungen, seine Landsleute aufzuwiegeln und auf die türkische Seite herüberzuziehen, sich ausgezeichnet hatte.

[255] »Alexo hat Ihnen von dem Unternehmen bereits gesprochen,« sagte der Graf. »Die eingetretenen Umstände erleichtern die Sache. Das Gut und Schloß der Gräfin Laszlo an der Straße nach Radovan liegt zwar zwei Meilen innerhalb der russischen Linien, doch wird die Gegend morgen von Truppen entblößt sein. Kennen Sie Schloß Badowitza?«

»Sehr gut, Aga!«

»Desto besser; also hören Sie! Die russischen Truppen haben eine Expedition gegen einen Ihnen gewiß bekannten Punkt, Czetate, etwa drei Meilen oberhalb Kalafat, unternommen, und werden sich dort festsetzen. Ich bin durch einen Brief gestern genau unterrichtet worden, daß auch die Detaschements, die in der Nähe von Tschoroy und der Deszneizia stehen, dahin kommandirt sind, das Gut der Gräfin Laszlo also ohne namhafte Vertheidigung in diesem Augenblicke ist. Alexo, der Wirth, sagt nur, daß Sie der Dorobandschen, die in jener Gegend stehen, sicher sind. Wir werden morgen die Russen bei Czetate angreifen. Sie müssen die Zeit benutzen, um die Gräfin ohne Aufsehen aufzuheben und nach der Donau zu bringen. Wie Sie über dieselbe gelangen, oder zum Lager von Kalafat, ist Ihre Sache. Die Dame, die so schonend wie möglich behandelt werden muß und gegen die ich jede Beleidigung auf das Strengste untersage, wird im Konak Sami-Pascha's hier in Widdin abgeliefert. Ist dies geschehen, so wird Alexo Ihnen sofort die versprochenen 200 Dukaten auszahlen. Sagen Sie mir nun, ob Sie sich das Unternehmen auszuführen getrauen?«

»Es ist ein Kinderspiel, wenn die Entfernung nicht wäre. Ich muß den Strom hinabgehen und an einer anderen Stelle übersetzen, was schwierig ist, da überall noch Eis liegt. Der Weg durch unsere Stellung von Kalafat würde mir einen Tag ersparen, doch sind die Moslems sehr mißtrauisch und ihre Linien stark besetzt.«

»Werden Sie durch die Vorposten der Russen nicht gefährdet sein?«

Der Walache lächelte spöttisch.

»Ich besitze genügende russische Papiere – für Gold ist da drüben Alles zu haben – und kenne überdies die Gegend genau.«

»So kann ich Ihnen die Mittel geben, zu jeder Zeit und wie Sie es für gut finden, bei den türkischen Posten während der nächsten drei Tage aus- und, einzupassiren, ja überall die nöthige [256] Hilfe sich zu sichern. Hier ist eine Ordre des Muschirs; der Zufall hat mich in ihren Besitz gebracht.«

Apollony untersuchte das Papier.

»Betrachten Sie die Sache als abgemacht, Herr. Spätestens übermorgen Abend ist die Dame im Haremlik des Gouverneurs, oder ich habe meinen Kopf verspielt. Aber ich muß etwas Geld im Voraus haben.«

»Alexo wird Ihnen fünfzig Dukaten geben. Noch Eins; – die Gräfin muß die Leute entweder für ein türkisches Streifcorps oder für Ueberläufer halten. Es kommt nur darauf an, daß ihrer Person Nichts widerfährt, und Gewalt wird sogar besser sein. Etwas Schrecken und Angst wird ihr nicht schaden, mit ihrer Umgebung machen Sie keine Umstände und betrachten sie als Feinde. Unter keiner Bedingung darf aber die Dame ahnen, daß ihre Entführung von hier aus eingeleitet ist, keine Sylbe von meiner Person, verstehen Sie wohl?«

»Ihre Befehle sollen erfüllt werden! Auf übermorgen also.«

Der Oberst nickte.

»Gutes Glück! Alexo, gieb ihm das Gold.«

Fußnoten

1 Die offene Veranda vor den meisten türkischen Häusern.

2 Arzt.

3 Armeecorps.

4 Bäcker.

5 Knaben, Pagen, aber leider auch zu anderen empörenden Zwecken mißbraucht.

6 Lieutenant.

7 Divisions-General.

8 Brigade-Generale.

9 Jacoub-Aga; im Gespräch wird dies häufig apostrophirt.

10 Major.

11 Bulgarische Wagen, gewöhnlich mit Ochsengespann; Arabadschi, die Wagenlenker, Ochsentreiber.

12 Weißer Fusel aus Pflaumen etc.

13 Türkisches Papiergeld.

14 Gouverneur.

15 Mädchenentführung, unter den Haiducken sehr häufig.

16 Bulgarische Hausfrau.

17 Straße.

18 Gasthaus.

19 Schenkwirthschaft.

20 Unteroffiziere, Ordonnanzen.

2. Die Völker
II. Die Völker.

Die Mehana des Bulgaren Gawra befand sich ungefähr zehn Minuten vor dem südlichen Thor Widdins an der Straße nach Nissa und Ternowo, der heiligen Stadt des Landes. Das Celo 1, zu dem sie gehörte, lag weiter ab von der Straße. Jenseits derselben, hinaus in's Feld nach der Donau zu, erstreckte sich das fliegende Lager der Baschi-Bozuks, die hier die Reserve für die Garnison von Kalafat bildeten.

Die Hane war nicht nach bulgarischer Art gebaut, die ein rundes, bis auf etwa zwei Fuß vom Boden abstehendes Schobendach zeigt, während das Haus selbst tief in die Erde gegraben ist und man auf Stufen dazu hinuntersteigt. Sie war vielmehr nach städtischem Muster eingerichtet, einstöckig und mit einer großen [257] gemeinschaftlichen Hoda 2 versehen, die zugleich Küche, Wohn- und Gaststube, bis auf zwei kleine Kammern den ganzen unteren Raum der Umfassungsmauern einnahm, und nur die vielen weißen, von der Sonne gebleichten und auf Pfähle gesteckten Ochsen- und Pferdeschädel rings um den Hof verkündeten die bulgarische Wohnstätte. Ein großer grüner Busch über der Hausthür zeigte die Eigenschaft als Schänke an, – mehrere nach bulgarischer Weise eingerichtete Ställe – denn jede Art der Hausthiere hat hier ihre besondere Wohnung – umgaben das Hauptgebäude.

Gawra, der Wirth und Pferdehändler, galt unter seinen Landsleuten für einen habsüchtigen, aber wohlhabenden Mann, wenn er auch den Gebietern gegenüber Letzteres auf alle mögliche Weise zu verbergen suchte und die ganze Wirthschaft daher äußerlich ein verkommenes und liederliches Ansehen zeigte. Der Bulgar unterscheidet sich im Ganzen sehr zu seinen Gunsten von allen anderen Raçen der Bevölkerung der transsylvanischen Halbinsel. Er ist fleißig, betriebsam, ehrlich und unverdrossen. Geschickt zu jedem Handel und Gewerk, zu Ackerbau, Viehzucht und Industrie, wäre dies Volk unter einer verständigen und milden Herrschaft der größten Ausbildung fähig, und ihr Land – an den beiden Abhängen des Balkans alle Erzeugnisse des europäischen Südens und Nordens vereinigend – besitzt einen natürlichen Reichthum, wie kein anderes. Während an den Abhängen zur Donau Buche und Eiche, Platane und Wallnuß die mächtigen Kronen aus den üppigen Buschpflanzen emporstrecken, der wilde Wein sich um ihre Stämme rankt und die Thäler fette Weidentriften in Unzahl bieten, thront hoch darüber der Felsengrad des Hämus mit Schluchten und unzugänglichen Bergwänden, in deren Tiefen Schätze edlen Metalls verborgen sind. Rasche goldhaltige Wässer springen von Fels zu Fels hinab, zur Donau drängend oder jenseits hinüber zu den Küsten des herrlichen ägeischen Meers. Der Bär, der Luchs und der Adler hausen auf diesen Bergen, der Schakal streift hinab zur Ebene und der stattliche Rothhirsch mit dem sechszehnendigen Geweih streicht in zahlreichen Heerden durch die Wälder. Der Eber wälzt sich im Sumpf, das wilde Pferd galoppirt durch die Ebene. Sieben Felsenpässe brechen durch die gigantischen Massen der Berge und führen zu seinem südlichen Hange, – die beiden bekanntesten: das trajanische [258] und das eiserne Thor, von denen das erste nach Sophia, das andere über Kasanlik und Schumla nach Varna und dem Schwarzen Meere mündet, – zur Landschaft Zagora, die sich vom Meeresstrande bis zum Berge Athos erstreckt, die reichste üppigste Provinz der Türkei.

Wie, wenn man aus dem nördlichen Deutschland kommend, die Felsenmauer der Alpen bei Botzen überstiegen hat und von Meran hinunterschaut auf die Fluren der Lombardei – gleich mit einem Zauberschlage eine andere Zone dem Pilger entgegenweht, so auch an den Felsenpässen des Hämus. Die volle südliche hesperische Natur umgiebt den Wanderer, – die Olive mit ihrem dunklen feuchten Grün, – die Feige, die Cypresse und Platane, – der Oleander aus zackigen Felsspalten, an deren Wand sich der Wein und die Melone rankt! die Orange duftet und der Südwind, der aus der Bai von Enos an der grünen Maritza herauf über die thracischen Ebenen streicht, trägt ihm die wonnigen Düfte der weiten Rosenfelder von Edrene entgegen. Ueber die endlosen Ebenen mit dem hohen Gras und den goldenen Getreidefeldern – nur unterbrochen von den Hunka's 3 der pelasgischen Vorzeit, dem spitz emporspringenden Minaret oder der byzantinischen Wölbung einer verfallenden christlichen Kapelle – streift tagelang der Reiter, einsam und allein mit Alogon 4, dem stummen Freunde. Zahlreiche Städte bevölkern das herrliche Land, aber außerhalb ihrer schmuzigen Ringmauern ist Alles eine poetische Wüste. Wo der Griechen-Slawe allein wohnt, ist er noch schutzloser der Willkür seiner Herren preisgegeben.

Die Thätigkeit und Betriebsamkeit, welche dem Bulgaren innewohnt, hat ihn, die Maritza entlang bis zu den Küsten des ägeischen Meeres, bis an die Thore Constantinopels getrieben. Ueberall ist er Ackerbauer, Viehzüchter, Fabrikant, Handwerker und Kaufmann, und es liegt eine unermeßliche Quelle von Civilisation und Wohlstand in diesem demüthigen, sinnenden und empfänglichen Volke. Still beugt es seinen Nacken unter dem drückenden Joch des Spahi's, der von seinem Fleiße prunkt, seine Töchter entführt und seinen Glauben verhöhnt, und die traurige Klage, die seines Herzens [259] tiefsten Kummer dem selten das Land durchpilgernden Fremdling öffnet, ist der kindlich naive Ruf: »Du bist glücklich, Bruder; in Deinem Vaterlande giebt es Nichts als Bulgaren 5

Dennoch ist auch dies demüthige gutmüthige Volk schon häufig durch die furchtbare Last der türkischen Mißhandlungen emporgerüttelt und ihm die Waffe zum kräftigen zähen Widerstand in die Hand gezwungen worden. Nur die eigene Gutmüthigkeit und die verrätherische Schlauheit der Gegner hat ihm das Schwert wieder aus der Hand gewunden und das Joch auf's Neue auf seinen kräftigen Nacken gelegt.

Die Nation zählt, – wenn man die wirklich von ihr bevölkerten Landstriche nimmt und nicht blos das kleine Gebiet des alten bulgarischen Königreichs, dem die Türken diesen Namen gelassen, – gegenwärtig vier und eine halbe Millionen Seelen, und man darf annehmen, daß jetzt – wo sich die europäischen Mächte wenigstens dem Massemorden entgegensetzen werden – die Zahl bald derart wieder sich vermehren wird, daß sie die türkische Bevölkerung eben durch ihr Gewicht still und ohne Kampf zurückdrängt. Daß sie trotz der Gräuel, welche noch dies Jahrhundert bis auf die neuesten Zeiten entweihten, trotz der Ströme bulgarischen Blutes, die vergossen wurden, diese Ziffer erreichen konnte, verdankt sie dem Umstand, daß der Osmane die Nation bisher als Christen verächtlich von seinen Heerzügen ausschloß und daß das Wüthen der Pest hauptsächlich nur die fatalistischen Moslems danieder mähete, während sie die reinlichen vorsichtigen bulgarischen Landbewohner verschonte. Es ist erwiesen, daß jede große Pest der Türkei fast eine Million Menschen raubt. Die vom Jahre 1838 tödtete in Bulgarien allein 86,000, fast lauter Türken. Charakteristisch erzählen die Bulgaren, daß der furchtbare »Schwarze Tod« damals durch die schänderische Gier ihrer Herren entstanden sei. Junge Türken in Bajardzik hätten sich über den kaum erkalteten Leichnam einer schönen Armenierin geworfen und, an ihm ihre viehische Gier befriedigend, den Krankheitsstoff in sich aufgenommen und weiter verbreitet.

Wir haben gesagt, daß die Bedrückung des Volkes es von Zeit zu Zeit zu einem kräftigen Widerstand getrieben. Jede Gemeinde hat ihren Spahi oder türkischen Grundherrn, der sein [260] Spahilik durch den Kiaja oder Stellvertreter verwalten und durch diesen den Zehenten von allem Besitztum, Getreide, Wein, Früchten und Vieh erpressen läßt. Nur im Herbst besucht der Türke zuweilen sein Landgut und haust dann in seiner weißen Kula 6, und der Bulgar empfindet nur an den vermehrten Lasten, an der größeren Gefährdung seiner Frauen und Töchter die Nähe des Grundherrn 7. Außer dem Zehenten hat der Rajah dem Spahi einen dreitägigen Erntefrohn zu leisten. Doch sind das nur die geringeren Lasten, – noch drückendere legt ihm die Regierung auf. Neben den extraordinairen Erpressungen der Pascha's muß er den Haratsch – die Kopfsteuer – mit 15 bis 20 Piastern jährlich für den Kopf, die Poresa oder Grundsteuer, die sich nach alten festen Sätzen unverändert richtet, und fast für jeden Gegenstand seines Besitzes Steuer zahlen. Besitzt der Bulgare Nichts als sein Weib, so muß er für den Nießbrauch dieses Gutes allein schon mindestens 100 Piaster geben! Außerdem ist der Pascha berechtigt, ungemessene Frohnen von jedem Bauer zu den öffentlichen Arbeiten zu fordern, und diese Dienste nehmen in der Regel mehr als 30 Tage vom Jahre in Anspruch. Hierzu kommt noch der Gazdalik oder die Verpflichtung, jeden Gast, der auf einen Ferman oder in kaiserlichen Angelegenheiten reist, zu beherbergen und zu bewirthen. Mit der grausamsten Strenge werden diese Abgaben eingetrieben, und die Rechte, die der Bulgar dafür gewinnt, sind Null. Seine Dorfkirchen sind gewöhnlich elende Schuppen oder finstere, halb in die Erde versenkte Grüfte. Es ist durchaus untersagt, ein Kloster oder eine den Einsturz drohende Kirche auszubessern, ohne zuvor für schweres Geld die Erlaubniß des Divans erwirkt zu haben. Neue zu bauen, ist ganz verboten.

Auf den Hochebenen des Balkans, zwischen Seres und Sophia, Philibeh und Ternowo, wohnt eine größere Freiheit, denn die unzugänglichen Schlupfwinkel der Berge nehmen die Flüchtigen auf, und von den Höhen her beherrschen mit dem Schrecken ihres Namens die freien Söhne der Bulgarei, – die Räuber des Gebirges, [261] – die Haiducken, das Niederland. Es giebt wenige zahlreichere Familien, von denen nicht einige Glieder unter diese Freischaaren gegangen wären; »der Pascha plünderte mich aus und ich schickte meinen Sohn unter die Haiducken,« sagt gelassen der Familienvater. Die Haiducken sind der Schrecken der Türken und das Einzige, was ihre Gewaltthaten gegen das Land noch in Schranken hält. Diese »Freien« vertheilen sich in mehr oder weniger zahlreiche Banden unter Hauptleuten, welche, wie die alten Barone in den Zeiten des Faustrechts, die Engpässe besetzen, die türkischen Karavanen und die Steuereinnehmer des Landes entfallen und den Blutegeln den Raub wieder abjagen. Man erzählt Wunder von ihrer Tapferkeit und Stärke und ihrer Großmuth gegen den harmlosen Reisenden. Dennoch wagte noch beim Ausbruch des orientalischen Krieges kaum ein Kaufmann wenige Meilen durch das Binnenland am nördlichen Abhange des Balkans zu reisen, und ein sicherer Verkehr fand allein auf der Donau statt.

Der erste Ausstand der neueren Zeit am Balkan, der die Pforte erbeben machte, war der Paswan Oglu's, des Bosniaken, mit seinen Kerdschalis im Jahre 1792. Zugleich mit ihm – nach dreihundertjährigem Hinträumen – erhoben sich die bulgarischen Haiducken. Aber während Czerni Georg, der Held von Serbien, 1804 sein Land befreite, sahen die Bulgaren unthätig zu und wechselten nur ihren Herrn, denn der Divan – unfähig, Paswan Oglu, den Vertheidiger der Janitscharen und Alttürken, zu vernichten – mußte ihn als rechtmäßigen Wessir von Bulgarien anerkennen. Hoch belebten sich wieder die Hoffnungen durch die Kriege der Russen 1810 und 1811 an der Donau, aber der Vertrag von Bukarest (28. Mai 1812) ließ die zum Theil bereits aufgestandenen Bulgaren im Stich und wehrlos in der Gewalt der Osmanli's, und Tausende wurden aus Rache zu Tode gemartert. Während Fürst Milosch in Serbien herrschte, lag schwer die Hand Hussein-Pascha's auf dem Lande, und seine Plünderung des armen Volkes häufte jene Schätze zusammen, die bis zum Jahre 1843 seinen Hofhalt in Widdin zu einem der glänzendsten im Orient machten. Die bulgarischen Haiducken kamen nicht eher wieder zum Vorschein, als bis 1821 der griechische Freiheitsruf auf ihren Bergen wiederhallte. Da erhoben sie sich aus ihrem Schlaf und zogen schaarenweis nach Macedonien und bis zum Peloponnes, und Bulgaren waren es, welche die Akropolis von Athen im Sturm nahmen. [262] Der Slawe Botschar aus Wodina, der nach Suli auswanderte, ist der Held Marco Botzaris, dessen Blut den heiligen Boden von Missolunghi tränkte.

Als 1829 Diebitsch in den Pässen von Kuleutscha das Heer Reschid's schlug und am 19. August in Adrianopel einzog, schien der Stern des christlichen Bulgariens auf's Neue zu glänzen und die ganze Bevölkerung begrüßte jubelnd die Befreier. Wiederum täuschte Rußland ihre Hoffnungen, wenn es auch seitdem nicht aufhörte, im Stillen den erwachten Geist des Volkes zu schüren. Die bulgarische Hetärie, von den Didaskalen, den Dorfschulmeistern, gegründet, verzweigte sich über das Land, und die Sommernächte der Jahre 1834 bis 1838 fanden die Eingeweihten gar oft auf den Kirchhöfen der Klöster, auf den Felsenplateau's der Berge, im wilden Kolo 8 sich für die Stunde der Freiheit begeisternd. Der Verrath des Neffen Hadji Jordan's, der so vielen wackeren Männern das Leben kostete, brachte den lang vorbereiteten Aufstand zum Ausbruch und 20,000 Mann lagerten um die Feste Jarkoï, bis der trügerische Milosch statt der versprochenen Hilfe sie mit dem Versprechen der Befreiung vom Frohndienst und eigener Stareschinen 9 zum Abzug bewog. Zu spät sahen sie ein, daß man sie betrogen.

Der Raub der schönen Agapia durch den Neffen des Pascha's von Nissa rief im Frühjahr 1841 auf's Neue das Volk in die Waffen. Unter Miloje erhoben sie sich, und als erst die Irregulairen Hussein-Pascha's 150 Dörfer zwischen Sophia und Nissa zerstörten, die Männer spießten, die Frauen schändeten und in die Flammen ihrer brennenden Hütten warfen oder in die Sclaverei verkauften, – strömten die Landleute von allen Seiten in die Gebirge, und von 2000 Spahi's, die sie zu verfolgen wagten, kehrten kaum 30 zurück. Miloje hielt Nissa mit seinen Männern belagert und vertheidigte, endlich geschlagen, heldenmüthig mit 1500 Streitern die Kula Kamenitza, bis Alle um ihn gefallen und er selbst sich mit einem Pistolenschuß das Leben nahm, um seinen letzten sechs Gefährten die Flucht zu erleichtern.

Seit jenem Aufstande, bei welchem man wieder vergeblich auf [263] die Hilfe Rußlands und Europa's geharrt hatte, herrschte die Ruhe des Todes in der Bulgarei – nur der Einzelne, der in die Berge geflüchtet und mit seinen Brüdern sich dort vereint hat, kämpft noch trotzig gegen den türkischen Zwingherrn.

Offenbar hofften die Russen bei dem gegenwärtigen Zug an die Donau auf einen neuen Aufstand des bulgarischen Volkes und machten auch vielfache Versuche zur Gründung von Freischaaren. Aber die Kraft des Volkes war in den dreizehn Jahren noch nicht wieder genügend erstarkt und der Bulgare erinnerte sich, wie drei Mal seit eines Menschen Gedenken der schwarze Czar, obschon einer seiner ältesten Titel der eines »Fürsten der Bulgaren« ist, seine Rettung den eigenen Interessen geopfert und ihn seinem Zwingherrn stets auf's Neue zu noch härterer Knechtschaft überlassen hatte. Der Aufstand – der Omer Pascha's Heer hätte vernichten müssen, – unterblieb, und die griechische Erhebung im Epirus und in Macedonien fand nicht die gehoffte Stütze am Balkan. – –

Im Hane des Wirthes Gawra ging es lebendig her an dem Nachmittage des Tages, der uns in der Lokanda des Slowaken Alexo zu Widdin gefunden hat. Der schlaue Handja 10 hatte die Nähe der türkischen Lager benutzt, um einen Handel und Ausschank von Getränken anzulegen, und handelte und verhandelte dabei mit Glück und Gewinn manches Roß, theils aus dem eigenen Stall, theils von der Beute, welche die Irregulairen und türkischen Husaren von den Streifzügen über Kalafat hinaus mit zurückbrachten. So strömten denn auch Viele nach dem Abzug des Muschirs und nachdem die Truppen von der Besichtigung zu ihren Quartieren in der Palanka Widdins und dem fliegenden Lager zwischen der Heerstraße nach Nissa und dem Strom zurückgekehrt, nach der Mehana.

Das Hane war der gewöhnliche Verkehrsort der Irregulairen, seit Kurzem aber auch ihrer christlichen Nebenbuhler, der türkischen Kosaken, dieses Corps aus walachischen Freiwilligen und den Flüchtlingen jedes Landes Europa's, die aus irgend einem Grunde sich nicht zu der Annahme des Islams bequemen wollten, denn diese gehört unbedingt zum Eintritt in den türkischen Nizam. Die türkischen Kosaken waren daher von den Moslems nicht nur als Dschaurs [264] verachtet, sondern offen von ihnen gehaßt, und wurden auf alle gefährlichen und verlorenen Posten gestellt, da ihre verwogene Tollkühnheit keine Hindernisse kannte. Mit Groll und Aerger sahen die Baschi-Bozuks sich im Hane des Bulgaren seit einigen Tagen von ihren Gegnern verdrängt, die der Ruf von der Schönheit der beiden Töchter des Wirthes und einige zufällige Pferdekäufe dahin geführt hatten, und mit Ingrimm bemerkten sie, wie der Handja selbst sich weit mehr mit den Dschaurs zu thun machte, deren Geld leichter rollte und die mehr verzehrten, als die geizigen Moslems.

Die Baschi-Bozuks waren heute zahlreicher versammelt als gewöhnlich und füllten nicht allein die größere Hälfte des untern Hauses, sondern strömten auf dem breiten Tschardak fortwährend ab und zu. Die bunten wüsten Gruppen, auf dem Boden umherkauernd ober gleich Statüen an der getünchten Wand lehnend, boten einen seltsamen phantastischen Anblick. Neben dem Albanesen von Janina mit der heute zu Ehren der Besichtigung wieder einmal rein gewaschenen Fustanelle, dem langbezipfelten Feß und der goldbetreßten Jacke, saß der schmuzige Bosniake, der Arnaut mit den grünen zerlumpten, engen Hosen, die er irgend einem Christen gestohlen, der offenen rothen Aermel-Weste und dem um den Kopf geschlungenen Tuch, unter dem die dunklen, unruhigen Augen umherblitzten, – oder gar der Syrier mit dem bronzefarbenen Gesicht, dem weiten, einst weißen, jetzt zu schmuzigen Fetzen gewordenen Gewande. Daneben das ebenholzfarbene Gesicht des Mohren aus Derr oder Kordofan; das gelbe Antlitz des Egypters – des armen Fellah, – der, von Hütte und Familie gerissen, hier den ihm gleichgültigen Streit des Großherrn ausfechten sollte. Der Araber aus den Wüsten von Yemen, der Bewohner der Oeden um Damaskus, der Druse vom Libanon, die Vertreter aller wilden Stämme Albaniens neben dem breitbackigen Turkomanen mit den kleingeschlitzten, scharfen Augen! Grausamkeit, Apathie, Fanatismus und Spitzbüberei auf allen den braunen, weißen, gelben und schwarzen Gesichtern, ein Gewirr von Trachten in Farbe und Schnitt, keine der andern gleich, der feine Seidenshawl um schmuzige Lumpen gewunden, Fez und Turban, Tuch und kurdische Mütze; der Kaftan und der Ziegenhaarmantel, das entblößte Bein und die rothe albanesische Gamasche; Goldstickerei neben der wollenen, kaum die Blöße verhüllenden Decke, der blinkende Sporen an dem einen schleppenden Pantoffel, die gelbledernen Strümpfe der Türken ober das unbehilfliche Schuhwerk, [265] das die Regierung geliefert. Dazu ein Arsenal von scharfen Waffen jeder Art, das den Sammler und selbst den Alterthumsforscher entzückt haben würde. Der Säbel in jeder Form und Biegung in Sammet und Lederscheide, im Metall klirrend, oft ohne alle Hülle – der kostbare bleigraue Damascener Stahl in der einfachsten Scheide, Handjars jeder Größe und Form, vom handbreiten syrischen Yatagan bis zur schweren, gewichtigen Waffe des Turkomanen, kurdische Messer, die mehr gerade Klinge der Stämme des Peloponnes, der gewundene eiserne Dolch, vielleicht noch aus den Zeiten der Kreuzzüge von Vater auf Sohn vererbt – eherne und hölzerne, fußlange Griffe, mit silbernen Buckeln und Stiften beschlagen, – Perlmutter und Elfenbein, Juwelen und edle Steine an vielen verschwendet. Dazwischen das plumpe Seitengewehr, das der Nizam trägt, der unvermeidliche Tabacksbeutel überall, die Feuerzange in ihrer messingenen Kapsel im Gürtel – der Schibuk in Aller Munde, – eine Wolke voll Tabacksqualm und Knoblauchsgeruch über allen Köpfen; – zwischen den stillen, ernsten Gruppen mit dem Kaffeebecher oder dem irdenen Krug voll scharfem Slibowitza, der wie Wasser durch diese abgehärteten Kehlen floß, einige zerlumpte schmuzige Derwische mit der topfartigen Filzmütze und dem braunen oder grauen Mantel – das war der Anblick, den die größere Hälfte des ziemlich weiten Raumes bot.

Desto tobender und lärmender war die Gesellschaft in dem anderen Theil. Hier saßen und standen um zwei oder drei Tische an Zwanzig der türkischen Kosaken in ihrer kleidsamen Uniform, dem blauen, mit scharlachrothen Aufschlägen und eben solchem Futter in den langen aufgeschlitzten Hängeärmeln versehenen Dolman, dem Pelztschacko mit dem großen Halbmond von Messingblech daran und den weiten blauen Pantalons mit breiten rothen Galons. Dazu die Cartouche und der Säbel in der blinkenden Scheide, obschon auch ihnen die gewöhnlichen Feuerwaffen fehlten, da der strengste Befehl gegeben war, daß außerhalb des Dienstes Flinten und Pistolen nicht getragen werden durften, um möglichst Unheil bei dem heißen Blut der Parteien zu verhüten.

Die Gruppen um die Tische waren mit Trinken und Spielen beschäftigt. Während bei den Offizieren in der Lokanda Alexo's das Pharo die Taschen leerte, klapperten hier die Würfel unter den Verwünschungen, den wüsten Späßen und dem Gelächter der Freiwilligen.

[266] In der Mitte des Gemaches vor dem großen Kamin war die Kula mit einer ihrer Töchter eifrig mit der Kaffeebereitung beschäftigt. Gawra, der Wirth, und ein Neffe von ihm, fast noch ein Knabe, bedienten die Gäste.

An dem Tisch in der Nähe des Kamins saß die Hauptgruppe der Spieler um einem Fremden, der, so sehr er ihnen auch in dem verwegenen und kühnen Aussehen glich, doch keiner der Ihren war und nicht die Uniform trug. Der Leser kennt ihn bereits – Sta Lucia, den corsischen Banditen, der nach seinem letzten Verbrechen in Stambul im Heerlager an der Donau Sicherheit gefunden hatte und hier den Diener des sardinischen Obersten spielte.

»Mashallah!« murrte Ali, der Arnaut, zu seinem Nachbar, einem zerlumpten Asiaten, indem er mit dem Mundstück seines Schibuks nach den Spielern deutete, »sieh diese Söhne der ungläubigen Hunde, wie das blanke Gold durch ihre unreinen Hände rollt. Ein weiser Mann hat mir gesagt, daß man durch dieses Spiel aus einem Beschlich 11 im Handumdrehen zwanzig goldene Ghazi's erwerben kann.«

Die Augen des Asiaten funkelten lüstern.

»Weißt Du, o Ali, wie man das Geld gewinnt?«

»Ich habe mir sagen lassen, daß man ein Geldstück einsetzt, man wirft die bleiernen Kugeln und erhält so viel Geld, als sie schwarze Punkte zählen.«

»Inshallah! – was für Narren sind diese Christen! Es ist nur ein Gott und Mahomed ist sein Prophet. Ich möchte ihnen wohl ihr Geld abnehmen.«

»Bei meinem Bart,« schwor der Arnaut, »ich habe die gleiche Lust. Aber mein Beutel ist leer.«

Abdallah, der Syrier, nestelte an einem solchen von Ziegenhaar.

»Ich fand bei dem Moskow, den wir bei dem Ueberfall erschlugen, außer dem Golde auf seinen Schultern zehn Stücke in seiner Tasche. Wenn ich wüßte, daß Allah mein Thun segnen würde, möcht' ich einen großen Beschlick in diesem Spiel wagen.«

»Hussah, Schurke von Wirth! Istem teremtéte! Rum her, Branntwein!«

»Bergantre 12! Wo steckt der Bursche, daß er Caballero's warten läßt?«

[267] »Villao 13! Branntwein her!«

»Caballeros, Euer Spiel! – Acht auf der Tafel.«

»Pesta! ich werfe mehr! Zehn!«

»Psia twoja mać! Hundsmutter die Deinige! Das Geld ist verloren.«

Der Pole griff sich wild in die Haare und starrte mit funkelnden Augen auf sein verlorenes Geld, das der Spanier ruhig zu dem seinen zog. – –

»Allah sende ihm Unglück! Hast Du es mit Deinen eigenen Augen gesehen?«

»Was lachst Du mir in meinen Bart, o Beg? Auf mein Haupt komme es. Bin ich ein Mann oder bin ich eine turkomanische Kuh? Sind das Augen oder sind sie es nicht? Ich habe gesehen, wie er über die Thür seines Hofes die drei Kreuze gemacht hat, die das Zeichen der Christen sind, und die unsere Brüder auf's Krankenlager werfen, bis die Reihe an uns kommt.«

Der Moslem, an den die Rede gerichtet war, schüttelte zur Bejahung sein Haupt.

»Wir wollen den Derwisch Ibrahim herbeirufen, der dort steht, er wird uns sagen, ob dieser aussätzige Bulgar dafür an seine eigene Thür genagelt werden soll!«

»Khaweh, Khaweh! Tschibuk, Khaweh dschetir! Bringt Pfeifen und Kaffee herbei!«

»Höre, Freund Gawra, reiche mir die Guzla 14 dort von dem Nagel. Wo ist Marutza, Deine Tochter, daß sie mein Lied begleitet? Warum bedient die Moma 15 Deine Gäste nicht?«

Der Bulgare reichte eifrig dem Italiener die Cither.

»Die Marutza fürchtet sich vor der zahlreichen Gesellschaft, Aga, sie wirthschaftet in den Ställen mit dem Vieh.«

»Schaff' sie herbei, pitoccone 16! Meinst Du, wir sind hierher gekommen, um Dein schlechtes Gesicht anzuschauen?!«

»En avant, Monsieur Gawra, bringen Sie uns Mademoiselle Maruzza!«

»Die Moma! die Moma!« heulte der Chor.

Der Bulgare war bereits demüthig verschwunden. –

[268] Die Moslems schauten finster auf die Lärmer; um Hadschi-Achmet und den Derwisch hatte sich eine Gruppe gebildet und horchte eifrig seinen Worten.

»Dieses Schwein von einem Bulgaren thut, als ob wir nicht in der Welt wären. Ich will die Gräber seiner Väter besudeln!«

Der Redner schüttelte verächtlich den Zipfel seiner Jacke.

»Corpo di Bacco! Ruhe da oben! Ich will mein Lied singen!«

Tomasini, der Venetianer, begann, auf der Guzla klimpernd, Orsino's Trinklied aus der Lucretia. Seine Stimme war schön und bald sammelten sich Zuhörer um ihn und klatschen ihm ihren Beifall. Selbst die wilden Kinder der Wüste horchten den übermüthigen frischen Klängen.

An dem Tisch des Corsen stand der Baschi-Bozuk, sein Auge haftete gierig auf dem Golde, das vor Sta Lucia lag.

»Hei, Kamerad – willst Du auch ein Mal Dein Glück versuchen? Heraus, alter Beduine, mit den Piastern und den blanken Dukaten und Dublonen, die Du zusammen gestohlen hast.« Er reichte ihm den Becher.

Der Araber verstand seine Sprache nicht, aber er legte langsam und zögernd einen Imperial auf den Tisch. Seine langen Finger krampften noch ängstlich danach, als der Corse das Goldstück nahm und prüfte.

»Diavolo! Russisches Gold? Hast Du viel dergleichen, pidocchioso?«

Er warf einen Napoleonsd'or daneben und schob dem gierigen Moslem die Würfel zu. Einige Männer sammelten sich um die Gruppe. –

Draußen am halb zusammengebrochenen Hofzaun hinter dem Hause, durch den vorspringenden Stall vor den Blicken verborgen, lehnte Marutza, die älteste Tochter des Hauswirths. Um das reine ovale Gesicht mit den großen blauen Augen wallte das Goldhaar bis fast zur Erde hinab, die jungfräulich üppige Gestalt wie mit einem Mantel umgebend. Auf dem Scheitel fehlte zwar die Ringelblume oder die Rose, mit der die Bulgarin sich schmückt, denn die Jahreszeit bot nicht die sinnige Zierde; aber der Mann vor ihr schaute auch nicht nach fremden Blumen aus, wo die Rosen auf den Wangen der Geliebten ihm glühten und aus ihren treuen melancholischen Augen alle Blüthen der Zärtlichkeit ihm entgegen strahlten.

[269] Es war ein kräftiger junger Mann von trotzig kühnem Aussehen, der glänzend gewichste Schnurrbart lang über die Mundwinkel niederhängend, auf dem Haupte, das bis auf den langen, in zwei Flechten getheilten Haarbüschel auf dem Scheitel, kahl geschoren war, einen slavonischen Hut. Von dicker Wolle war seine ganze Kleidung, die kurze Kutte, der Gürtel, die Beinkleider, die Bänder, womit seine Füße dicht umwickelt waren. Ueber dem Allen war er in einen weiten filzartigen weißen Mantel gehüllt, der die Waffen in seinem Gürtel verbarg, bis auf die treue Flinte, die im Bereich der Hand lehnte.

»Ich sage Dir, Marutza,« sprach finster der Fremde, »ich dulde es nicht länger, daß Dein Vater Dich den Blicken der Männer preisgiebt, von denen seine Habsucht ihren Vortheil zieht, statt Dich, wie es einer Bulgarin ziemt, an der Spindel oder dem Webstuhl in der Kammer zu halten. Mit Maria, Deiner Schwester, mag er thun, was ihm beliebt, aber Du bist meine Braut, wenn Du auch den Schleier oder die Haube nicht trägst, und bei den vierzig Märtyrern, ich hole Dich in der Otmitza, wenn Dein Vater der Sache kein Ende macht!«

»Du thätest besser, Miloje,« entgegnete die Stimme des Alten, der seine Tochter zu suchen gekommen war, hinter ihnen, »Du brächtest Deinen und meinen Hals nicht in Gefahr, indem Du hier umherstreichst, während die Khawassen des Pascha's und alle Leute in Widdin wissen, daß ein Preis auf Deinem Kopfe steht.«

»Bah!« sagte der junge Mann verächtlich, indem er die Finger seiner Rechten von sich spreizte. »Ich fürchte die Schurken nicht. Ich bin ein freier Haiduck, und Sami-Pascha weiß, was er von meinen Brüdern zu erwarten hat, wenn er mir ein Haar krümmt. Mein Vater war ihr Schrecken und, bei der Panagia 17! ich werde diese Türken nicht für die Tschorbadschia's 18 erkennen, so lange ein Athem in dieser Brust ist.«

»Aber was willst Du hier, wo tausend Augen auf uns gerichtet sind?«

»Mein Weib, Marutza, meine Braut, wie Du meinem Vater gelobt hast. Ich bin von den Bergen herunter gekommen, weil ich [270] gehört habe, daß Du, des schnöden Geldes wegen, Deine Töchter gleich Mägden die Krieger des Großherrn bedienen läßt.«

»Du bist ein Thor, Michael Miloje! Wem anders fällt einst mein Hab' und Gut zu, als Dir und dem Mann meiner Tochter Maria? Die Weiber müssen verdienen, so lange sie im Hause sind. Du kannst Marutza doch nicht mit auf Deine kalten Berge nehmen, und im Paschalik findest Du kein Celo, wo Du Dich niederlassen darfst, ehe nicht der Bann von Deinem Haupte genommen ist. Was können wir thun, wir sind die Knechte!«

»Ha, bei dem Blute meines Vaters, der im Thurm von Kamenitza für die Freiheit der Seinen starb,« rief der Haiduck, »sind wir nicht Memmen, daß wir diese Fesseln tragen? Sind unsere Freunde, die Moskowiten, nicht jenseits des Stromes? bereit, uns zu Hilfe zu eilen, sobald nur der Kampfesruf von unsern Bergen erschallt? Ist der schwarze Czar nicht unser wahrer Vater? Schämt Euch, Gawra, der Ihr in Eurer Jugend mit dem Popen, Eurem Ohm, bei Jarkoï gefochten und vor Nissa gestanden mit meinem Vater, daß Ihr so ganz vergessen habt, was Euer Herz damals entflammte.«

»Thörichter Junge,« sagte der vorsichtige Bulgar, sich scheu umblickend. »Ist es nicht schon deshalb, weil ich Gawra heiße, daß ich die Rache der Osmanli's fürchten und ihren Verdacht einschläfern muß? Was weißt Du, wie meine Seele denkt! Doch fort mit Dir jetzt, – das Mädchen muß in die Hoda und ihrer Mutter helfen und Dich schütze der Gott unserer Väter, bis Du so viel erworben hast, daß Du die Braut heimführen kannst. In das Haus, Marutza, oder man wird nach uns spähen.«

Das Mädchen riß sich los und flog über den Hof zur Tscharda. Der junge Haiduck aber faßte des Alten Arm, der ihn gleichfalls verlassen wollte.

»Ist es nur das, Vater Gawra, das gelbe Metall, dessen ich bedarf, um die Braut zu erhalten? Schaut her, dessen habe ich genug, mehr als ich brauche, mein Haus zu bauen und ein stattlich Gut frei zu kaufen.«

Er zog aus dem breiten wollenen Gürtel einen ledernen Beutel und zeigte ihn dem Pferdehändler, – der Beutel wog schwer von Gold.

»Bei dem Blut der heiligen Märtyrer!« fuhr der Alte zurück, »wo hast Du das Geld her, Michael?«

[271] »Ei, laßt Euch's nicht kümmern,« lachte Dieser. »Es ist ehrlich erworbenes Gold, das der schwarze Czar seinen tapfern Kindern, den Haiducken, gesandt hat. Aber ich kann nicht von hier, Vater Gawra, und ich will auch nicht. Ich muß Jemand erwarten, der mich innerhalb dreier Tage in Eurem Hane treffen soll, und Eure Mehana ist ein offenes Haus, ich habe so gut ein Recht, darin zu weilen, wie jeder dieser Soldaten des Padischah.«

Der Bulgar bedachte sich einen Augenblick, – sein Geiz und der Anblick des vielen Goldes, das der Haiduck bei sich führte, siegten über seine Vorsicht.

»Sei es denn,« sagte er, »aber bei der Panagia, bringe mich nicht in's Unglück für meine Güte. Die Soldaten kennen Dich nicht und die Khawassen meiden meine Schwelle, weil sie Schläge von ihnen fürchten. Sei vorsichtig, Michael, und mische Dich nicht in fremde Händel. Du kennst die Gelegenheit und weißt, daß die Stiege neben dem Heerd zu den Bodenkammern führt. Dorthin zieh Dich zurück, ehe sie auf Dich und Deine Gegenwart merken; ich werde die Weiber zu Dir senden. Gieb mir die Flinte, daß ich sie verberge.«

»Ich kann die Waffe nicht von mir lassen.«

»Narr! Hier würde sie auch wenig sicher sein, diese Moslems sind Diebe, die überall umherspähen.«

Er holte aus dem Stall eine Schütte Stroh und steckte das Gewehr hinein. Dann nahm er es unter den Arm und schritt dem Hause zu, dem jungen Knees 19 winkend, ihm in einiger Entfernung zu folgen.

Drinnen in der Hoda nahm der Lärmen immer mehr überhand, je mehr der feurige Branntwein, das Spiel und der Streit die Köpfe erhitzten. Auch die Baschi-Bozuks standen jetzt in einzelnen Gruppen und lebhafterer Verhandlung, und ihre Augen ruhten finster auf Gawra, als er sich mit dem Stroh durch ihre Mitte wand und es in die Kammer hinter dem Heerde warf. Um Sta Lucia und die beiden Bozuks hatte sich ein zahlreicher Kreis gebildet aus Moslems und Christen und schaute aufmerksam oder höhnisch dem Spiel zu. Der Corse hatte, seinen Gefährten einen Wink gebend, dem habgierigen Sohn der Wüste bald den einfachen Mechanismus und den Gang des Spieles begreiflich zu machen [272] gewußt, theils durch Pantomimen, theils durch türkische Worte. Noch deutlicher wirkte das Beispiel, denn mehrere der Kosaken setzten alsbald das Würfeln fort und als Sta Lucia den Syrier die beiden ersten Würfe gewinnen ließ und ihm die Goldstücke zuschob, glaubte der Bozuk wirklich, sein Kismet wolle es, daß er das Geld des Dschaurs zu dem seinen mache, und mit der Gier eines echten Spielers setzte er das gefährliche Spiel fort. –

Tomasini hatte die Guzla fortgelegt und Marutza, die bei ihm vorbeischlüpfte, am wallenden Gewand ergriffen, während Rodriguez, der Spanier, ihre Hand gefaßt hielt und fünf, sechs Andere um das geängstete Mädchen sich sammelten, ihr den Ausweg versperrend.

»Schöne Marutza,« flüsterte der Italiener, »her zu mir, trink aus meinem Glase! Pesta, Du bist so allerliebst, daß Tomaso Dich besitzen muß, und wenn es sein Leben gälte!«

»Demonio,« schrie der Rival, »der Mann will die Schönheit allein haben! – An mein Herz, schöne Senjora, Rodriguez ist gleichfalls bis über die Augen vernarrt in Dich!«

»Putao!« zischte ein dritter Nachbar und riß das Mädchen an sich. »Halb Part, Kamerad!«

Wie ein Spielball flog sie durch die Hände der wüsten Gesellen.

Laut auf kreischte die Jungfrau. – –

Abdallah, der Syrier, hatte nach wechselndem Verlust und Gewinn bereits sieben seiner blanken Goldstücke in den Händen des überlegenen Christen gelassen. Die Adern seiner Stirn schwollen, krampfhaft zuckten seine Finger nach dem verlorenen Gelde.

»Nimm Dich in Acht, Kamerad,« sagte mit spöttischem Lachen der Corse und seine Rechte spielte am Griff des Dolches, während die Linke lustig den Würfelbecher schüttelte. »Du vergreifst Dich an fremdem Eigenthum. Seid Ihr solche Straccioni's, daß Ihr nicht ein Paar Geldstücke für Euer Vergnügen wagen könnt? – Etwas Ordentliches, Freund Muselmann, setze Deinen Rest, hier ist das Gold, das ich gegen halte!«

Der Moslem zauderte, – seine Genossen waren stumm, nur die blitzenden Augen zeigten den gierigen Antheil. Dann langsam und zögernd schob Abdallah den Rest seiner erbeuteten Imperials auf den Tisch, und der Corse warf klingend und hochmüthig drei dagegen. –

[273] »En avant, mes braves! Bringen wir einen Toast auf die schöne Marutza!«

»Allah bila versin! Der Bulgare muß sterben für den Hohn, den er uns angethan!«

Die Worte kreuzten sich mit dem gellenden Hilferuf des Mädchens; Vater und Mutter eilten herbei.

»Cenrinegato!« donnerte es zwischen das wilde Gelächter und eine kräftige Faust stieß den geilen Venetianer zurück, daß er den Boden maß, und riß das Mädchen aus den Armen der Trunkenen. –

Abdallah hatte seinen Wurf gethan, – mit Hohngelächter wurde die niedre Zahl begrüßt. Sta Lucia schüttelte mit triumphirendem Lächeln den Becher und ließ die Würfel rollen.

»Siebzehn! – Nichts für ungut, Kamerad, die Imperials gehören mir!« Er zog die Goldstücke zu dem Geldhaufen vor sich. –

»Marzocco! Picaro! Filho de puta! Was will derProstak?« tönten in zehn Sprachen die Flüche durch einander und Tomasini sprang vom Boden empor und riß den Säbel aus der Scheide, daß die Klinge blank durch den Qualm und das Dunkel funkelte, das, nur von dürftigem Lampenschein gebrochen, bereits die weite Hoda füllte.

Sta Lucia schaute hinüber nach dem beginnenden Streit. Diesen Augenblick der Unachtsamkeit benutzte der Syrier, sein Gold wieder zu erhaschen, und seine Hände faßten gierig danach; drei, vier Andere nahmen die Bewegung für einen Aufruf zum Raub und fielen über den Geldhaufen des Corsen her.

»Canaglia!« Einen Augenblick funkelte das Stilet des Banditen in der erhobenen Faust, dann fuhr es nieder und nagelte die Hand des unglücklichen Asiaten fest auf den Tisch.

Ein wilder Schrei des Schmerzes und der Wuth – gleich einer Schlange wand sich der Mann an dem gefesselten Arm.

»Wallah! Auf die Dschaurs, Ihr Gläubigen!«

Säbel und Handjars blitzten – mitten hinein in den Lärmen knallte ein Schuß. – –

Der Haiduck hatte den Mantel von sich geworfen, – seine Linke suchte das Mädchen fortzudrängen und zu schützen, während die Rechte eine lange Pistole aus dem Gürtel riß.

»Zurück da, die Moma ist eine ehrliche Jungfrau und meine Braut!«

[274] In dem wüsten Lärmen verklang der Ruf oder wurde mit Hohngelächter beantwortet; seiner Tracht nach hielten ihn die Christen für einen der Irregulairen, daher der wüthende Schrei:

»Er hat Pistolen! Nieder mit dem Schuft, Kameraden!«

Der Irrthum war aber zugleich die Rettung des Haiducken. Während Monsieur Louis, der lustige Pariser, und einige Vernünftigere sich zwischen ihn und den Italiener warfen und einen tollen Streit verhindern wollten, faßte der Portugiese mit frecher Faust die Schulter und das Gewand des Mädchens, ein Ruck, und das wollene Kleid riß in Stücken und enthüllte die weiße Brust der Jungfrau.

Der trunkene Lüstling that jedoch jauchzend nur einen Blick auf die enthüllten Reize – der nächste schon zeigte ihm die weite Mündung einer Pistole dicht vor den Augen und mit zerschmettertem Schädel stürzte er auf seine Gefährten zurück.

Der Schuß gab das Signal zum allgemeinen Kampf, die Baschi-Bozuks warfen sich von allen Seiten auf die gehaßten Christen, und der lange verhaltene Groll brach in ungezügelter Heftigkeit aus. Säbel, Handjars, Dolche und Messer blitzten und färbten sich roth im Blut der Gegner.

Mit den Schlägen des schweren Pistolenkolbens hatte sich der Haiduck, die Braut im Arm, Bahn gebrochen durch das Getümmel, keine der Parteien wußte recht, woran sie mit ihm war, und so kam er glücklich bis zu der Treppenleiter, welche neben dem Heerd zum Dachgeschoß des Hauses führte, in dem außer den Vorrathsräumen zwei Kammern für die Töchter und die Mägde des Hauses sich befanden. Der scharfe Blick des Knees hatte gesehen, wohin der Handja sein Gewehr verborgen, und indem er das Mädchen nöthigte, die Leiter hinaufzusteigen, hatte er auch bereits die treue Waffe gefaßt und hielt mit ihr Wache am Fuß der Leiter. –

»Bassa manelka! Sollen wir uns von den türkischen Lumpen erschlagen lassen? Hierher, Kameraden!«

Die breite kräftige Gestalt des ungarischen On-Baschi's hatte sich auf einen der Tische geschwungen, und während die Reiter sich um ihn sammelten, regnete es Hiebe von seiner breiten Klinge auf die Köpfe und Schultern der Gegner.

Gawra, der Wirth, an Schlägereien des Gesindels gewöhnt, hatte Anfangs die Sache wenig gefährlich genommen und war nur herbeigeeilt, um sein Kind aus den Händen der Trunkenen zu befreien. [275] Als aber, noch ehe er das Mädchen erreicht, der Schuß fiel und überall die Waffen blitzten, erkannte er die drohende Gefahr und drängte die Baba und ihre jüngere Tochter zur Thür. »Geschwind zur Stadt und hole Hilfe. Die Teufel stecken uns sonst das Haus über'm Kopf in Brand!« Die Weiber entflohen, während sie im Umblicken noch sahen, wie eine Anzahl der Baschi-Bozuks sich auf den Wirth selbst warf und der Knabe Jowan zu Boden geschlagen wurde.

»Hinaus mit den verräterischen Hunden! Schlagt sie fort, die asiatischen Spitzbuben!« schrie der Führer der christlichen Freischaar, und in geordneter Phalanx drangen sie auf die wilde Horde ein und ihre gewichtigen Hiebe trieben diese durch Fenster und Thür, heulend vor Wuth, aus zwanzig Wunden blutend im Handgemeng. Doch nur eine kurze Zeit war der Sieg auf Seite der Christen. Im Tschardak faßten die Moslems, von den Ihren, die sich draußen umhergetrieben, unterstützt, festen Fuß und begannen auf's Neue den Eingang zu stürmen. Wie ein Zündfeuer lief die Nachricht von dem begonnenen Streit zu dem nahe gelegenen Lager, und trotz der ausgestellten Wachen begannen bereits neue Banden des Gesindels durch das Dunkel des Abends herbeizuströmen. Vergebens war das Erscheinen mehrerer unteren Offiziere, der Christenhaß und der Groll, der zwischen den beiden Truppentheilen herrschte, loderte in so vollen Flammen, daß an Gehorchen vorerst nicht zu denken war.

Die Kosaken unter dem Kommando des On-Baschi Stephan begannen sich in dem Gemach zu verschanzen, denn bei ihrer geringen Zahl und der größeren Entfernung der Stadt sahen sie sehr wohl die Gefahr ein und daß es galt, sich zu halten, bis Entsatz kam. Mehrere von ihnen waren gleichfalls verwundet, außer der Leiche des Portugiesen lag ein junger Pole zum Tode getroffen am Boden, der Handjar Hussein's des Albanesen hatte seinen Schädel gespalten.

Zwei der Bozuks waren dafür in der Hoda gefallen. Sta Lucia, der Bandit, der zum großen Theil den Ausbruch des Kampfes mit veranlaßt hatte, war überall und legte mit Hand an die Verbarrikadirung der Thür und der Fenster. An den Haiducken dachte Keiner mehr, man hatte ihn für einen der Baschi-Bozuks gehalten und glaubte, daß er mit den Andern entwichen. Michael Miloje aber hatte die Gelegenheit benutzt, während der [276] Kampf am Tschardak tobte, und sich mit Marutza in das Bodengeschoß geflüchtet. Seine starke Faust zog die Leiter ihnen nach.

Die wilden Gesellen, trotzend der Gefahr, ließen es dann nach der Sicherung des Eingangs ihr erstes Geschäft sein, die Vorräthe der Mehana zu plündern und alles Getränk herbeizuschaffen. Ein wüstes Bachanal begann, ein Bachanal, das jeden Augenblick sich in das letzte Todesstöhnen verwandeln konnte. Durch die Fenster hinaus die Branntweinkrüge schwingend, höhnten sie ihre Gegner.

Eine kurze Pause des Kampfes war eingetreten – wohl an Zweihundert der Irregulairen waren jetzt versammelt in der Nähe und auf den braunen dunklen Gesichtern flammten alle Nüancen der erregten Leidenschaften. Offiziere sprengten neuerdings herbei und versuchten die Leute zurückzutreiben, – Mahmud-Aga, der Capitain der Kosaken, unter ihnen, – aber vergeblich drohte er, seine Escadron ausrücken zu lassen, wildes Hohn- und Rachegeschrei antwortete den Bitten und Befehlen.

Kiehnfackeln – die Ställe des Roßhändlers boten des Vorraths genug – flammten ringsum, dazu verbreitete der helle Mondschein volle Klarheit. – Die Baschi-Bozuks schienen ihren Haß und ihr Unternehmen getheilt zu haben, denn ein starker Haufe hatte den unglücklichen Wirth nach der hintern Seite des Hofes geschleppt zu dem dort befindlichen Ausgange, und zeigte ihm hier sein Verbrechen: – drei rothe mit Thierblut gemalte Christenkreuze auf dem Querbalken des Thores! Die fanatischen Moslems sahen darin eine Verhöhnung des Halbmonds und Ibrahim, der Derwisch, hetzte die Erbitterten. Unterdeß bereitete die größere Hälfte vor den Stufen des Tschardaks sich zum neuen Angriff vor.

Die Bozuks, welche den Bulgarenwirth trotz seiner Protestationen und seines Flehens am Thor unter den Kreuzen mit ausgespannten Gliedern festgebunden hatten, begannen nun ein teuflisches Spiel zu treiben, das stark an die Martern der Indianerstämme Nordamerika's erinnerte. Ben-Bahoui, der Damascener, hatte es angegeben. Er rief seine Landsleute zusammen, und auf etwa zehn Schritt von dem Unglücklichen tretend, wog er seinen Yatagan zwischen den Fingern und schleuderte ihn dann in geschicktem Wurf nach dem Unglücklichen, daß die Spitze etwa in Fußweite von seinem Leibe in das Holz fuhr.

»Kreuzigt ihn! kreuzigt ihn!«

[277] Das gellende Hohngelächter der Wilden verschlang den Hilferuf des Gefährdeten.

Ein Zweiter der Bande – ein großer Schwarzer mit dem stumpfen Bullenbeißergesicht der Stämme der Nilquellen – trat vor, den Wurf zu versuchen; die taumelnde Haltung bewies, daß er seine geringen Fähigkeiten im Slibowitza ersäuft hatte. Andere strömten hin und her zwischen den beiden Haufen, den Hohn ihrer Gegner in der Mehana mit der Ladung zu dem blutigen Spiel beantwortend.

»Mashallah! schlagt die Dschaurs todt!«

Die wüthende Bande begann jetzt den Sturm gegen die Thüren und die Fenster des Hauses. –

Der Mohr hob grinsend das schwere Messer zum Wurf – plötzlich warf er auch den andern Arm wild in die Höhe, drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden. Der Knall, der kräuselnde Rauch aus der Dachöffnung der Mehana zeigte, woher der Flintenschuß gefallen.

»Die Hunde haben Feuerwaffen! Wallah! Steckt ihnen das Haus in Brand!« –

Die schwache Thür der Mehana brach vor den Schlägen der Stürmenden, über die Trümmern her wurden die Freiwilligen und die Bozuks auf's Neue handgemein.

Wüthend über den Tod eines Gefährten, stürzten Mehrere der Asiaten mit geschwungenem Handjar auf den unglücklichen Wirth zu, während Andere sich bereit machten, das Dach in Brand zu stecken.

Die Gefahr, der Tumult waren auf's Höchste gestiegen –

Da hob es sich wie eine dunkle Masse jenseits des fast fünf Fuß hohen Zaunes und sie flog durch die Luft und mitten zwischen die Gruppe der Asiaten: ein braunes schäumendes Roß, das jetzt zitternd von der gewaltigen Anstrengung stand und schnaufte. Und auf dem Roß ein Mann, die breite Brust von dem silberbeschnürten schwarzen Dolman umspannt, Todesdrohung im feuersprühenden Blick, das häßliche, aber energische Gesicht vor Aufregung glühend: – GrafIlinski, Iskender-Bey, der Oberst der Irregulairen.

»Przeklęcie! In Eure Zelte, Ihr Hunde! Fort!«

Seine Rechte spannte den Hahn der Sattelpistole – sie Alle hörten deutlich das Knacken, – eine solche Stille war um den Grafen her, als sie ihn erkannt – nach allen Seiten hin verloren viele der Meuterer sich eilig in's Dunkel.

[278] »Wer hat das Aas hier erschossen? – Ihr kennt das Verbot, Feuerwaffen bei Euch zu führen. Antwort!«

»Sen ektiar der 20, o Bey!« sagte endlich, sich zu Boden werfend und seinen Steigbügel küssend, der Damascener; »der Schuß kam von den Christen her aus der Mehana. Es ist unser Kismet, Deinem Willen zu gehorchen; wir haben keine Flinten.«

»Was thut Ihr mit dem Mann da?«

»Er hat Koth auf unsern Glauben gehäuft. Es ist ein bulgarischer Mistträger – wir wollten ihn strafen.«

»O, Aga,« rief der Unglückliche, »sie warfen mit ihren Yatagans nach mir!«

Der Bey schaute nach dem Thor. »Ungeschickte Hunde – nennt Ihr das einen Wurf? Eine Elle vom Ziel!« Er ritt zum Thor und zog den Handjar, der noch neben dem Leibe des zitternden Bulgaren steckte, aus dem Holz. »Halt still, Prostak 21

Er ritt auf fünfzehn Schritt zurück und hob sich im Sattel. Einen Augenblick wog er die schwere Klinge auf der flachen Hand, mit dem Mittelfinger den Knopf des Griffs berührend, dann warf er die Waffe, die zischend die Luft durchschnitt und kaum in Zollweite über dem Kopf des Wirthes tief in's Holz fuhr.

Ein donnernder Beifallsruf der Kinder der Wüste erschütterte die Luft.

Das war die Weise, wie Iskender-Bey diese ungezähmten Seelen gebändigt hatte. Er sagte zu ihnen: »Ich schieße besser, wie Du, ich werfe den Djerid besser, wie Du, ich reite besser, wie Du;« und er schoß besser, er warf besser, er ritt besser, und war Allen voraus im Kampf. Der Tiger der Wüste beugte sich vor dem polnischen Wolfe und ward sein Knecht.

»Bindet den Mann los!«

Es geschah.

»Und nun fort mit Euch Schurken und zu Euren Zelten, denn in fünf Minuten lasse ich Allarm blasen und, Inshallah! – ich spieße den, der nicht in seiner Reihe steht. Zum Dank für den Lärmen hier sollt Ihr noch diese Nacht marschiren. – Du,« er wandte sich zu dem Damascener, »und zwei dieser Hundssöhne – Ihr bleibt bei dem Mann hier, bis ich nach Euch sende.«

[279] Er wandte das Pferd und ritt nach dem Hause, ohne die Bande auch nur eines Blickes weiter zu würdigen. Gleich begossenen Hunden schlichen sie eilig nach allen Seiten davon.

Am Tschardak der Mehana hatte unterdeß eine eigenthümliche, fast komische Scene gespielt und dem blutigen Gemetzel ein Ende gemacht.

Während der Kampf tobte und das Blut floß, jagten mit verhängtem Zügel die Adjutanten des Bey's, Jacoub-Aga und Hidaët-Aga, in den Hof, und der Erstere, ohne alle Rücksicht auf die Niedergetretenen, sein Pferd mitten in den dichtesten Haufen. Im nächsten Augenblick schon regnete es rechts und links, vorn und hinten Hiebe mit dem schweren Kantschuh, den er in der Hand hatte, auf die Köpfe und Schultern der Stürmenden, während das Pferd, von dem tollen Reiter gespornt, rechts und links die Männer zu Boden warf. Erschrocken über den unerwarteten Gruß, stob die Bande, die nicht den Säbel der Christen, wohl aber die ungezählten Prügel des Kolassi's fürchtete, bei Seite und gerieth hier in die Hände Hidaët-Aga's, der sie mit einer gleichen Tracht mit der flachen Säbelklinge empfing. – »Jacoub'a! Jacoub'a! Allah beschütze uns're Köpfe!« heulte es überall, und ehe fünf Minuten vergangen, war der Platz unter dem schallenden höhnenden Gelächter der so eben noch in blutiger tödtlicher Vertheidigung begriffenen Belagerten von dem Gesindel gereinigt.

Zugleich hörte man im Lager die langen gewundenen Hörner der Irregulairen in schweren klagenden Tönen die Signale zum Sammeln blasen, und von Widdin her schmetterten Trompeten und der Rest der Escadron der türkischen Kosaken unter Führung eines Mulassim trabte heran.

Iskender-Bey kam ruhig aus dem hintern Theil des Hofes, wo er in so tollkühner und glücklicher Weise im rechten Augenblick erschienen war, zum Tschardak geritten, auf den jetzt die Belagerten – fast die Hälfte mehr oder weniger verwundet – sich herausgedrängt hatten. Ein Baschi-Bozuk lag erschlagen mit weit klaffender Wunde in der Veranda; die Verwundeten hatten ihre Kameraden jedoch mit fortgeschleppt.

»Kolassi Jacoub?«

Der Aga salutirte.

»Wie viel Todte?«

»Ich höre eben, daß Einer der Freiwilligen d'rinnen erschossen, [280] ein Anderer schwer verwundet ist. Zwei Leichen der Unsern liegen in der Mehana, eine hier.«

»Nur? Ein Vierter liegt im Hof; die Sache ist also gut genug abgelaufen. Jüs-Baschi Mahmud'a!«

Der Hauptmann der Kosaken, der sich vergeblich bemüht hatte, die Kämpfenden auseinander zu bringen, nachdem er eilige Meldung in die Locanda Alexo's gesandt, trat vor.

»Ich bin der Höchstkommandirende hier, wenn auch Ihre Leute nicht zu den Meinen gehören. Lassen Sie die Halunken dort, die den Handel angezettelt, hervortreten.«

Es geschah.

»Wer von Euch hat die zwei Schüsse gethan? – Antwort!«

Einige Augenblicke schwiegen Alle, dann entgegnete der On-Baschi:

»Keiner von uns hat nach dem Tagesbefehl Schießgewehr bei sich geführt. Der Erschossene da drinnen ist einer der Unsern.«

»Wer also schoß?«

»Ein Baschi-Bozuk natürlich, Mir-Alai 22

»Narr! Warum sollte der seinen eigenen Kameraden erschießen? – Ruft den Wirth der Mehana aus dem Hofe herbei und seine drei Wächter.«

Die Leute wurden gebracht. Der Bey wandte sich zu dem Damascener.

»Woher kam der Schuß, der den Mohren niederstreckte?«

»Aus dem Hause, Bey! Ich sah selbst den Rauch aus dem Dache steigen.«

»Durchsucht das Haus. – Kannst Du uns Auskunft geben, Wirth?«

»Excellenz, habe Gnade mit Deinem Knecht. Ich habe viele Gäste gehabt, die ich nicht kenne. Man riß mich sogleich zu Boden und schleppte mich in den Hof. Ich weiß nicht, woher der Schuß gekommen, die Angst des Todes war über mir.«

Die beiden Mulassims, die mit dem On-Baschi das Haus durchsucht hatten, erschienen wieder, Marutza mit sich führend. Der Eine trug die Flinte des Haiducken.

»Wer ist das Mädchen?«

[281] »Meine Tochter, Excellenz; sie flüchtete auf den Boden, als der Streit im Hause begann.«

»Habt Ihr Niemand weiter gefunden?«

»Niemand, als dies Weib und die Flinte unter dem Stroh verborgen. In der Hoda liegt ein junger Bursche, der Aufwärter des Handja, aber er ist verwundet.«

»Jowan, mein Neffe!«

»Still. Mädchen, Du mußt es wissen, rede die Wahrheit. Wer schoß die Flinte ab auf den Mohren?«

Der Bulgar zitterte.

»Ich, o Aga, that es. Mein Vater war in Gefahr!«

Der Bey schaute ihr scharf in die schwarzen Augen, die muthig Stand hielten. Das ritterliche Blut des Polen trug den Sieg davon über den Moslem.

»So thatest Du brav, Mädchen, wie ich wünsche, daß meine Tochter an mir thun möge. Doch vermag ich Deinen Vater nicht vor Strafe zu schützen, weil er gegen den ausdrücklichen Befehl der Regierung Waffen in seinem Hause gehegt hat. Mulassim Hassan, der Ihr in dem Lager bleibt, Ihr werdet morgen den Mann und das Mädchen zu Sami-Pascha führen. Die Todten hier sind meine Sache, versteht mich wohl, nur das Gewehr geht den Pascha und seine Khawassen an. Gute Nacht, Mädchen!«

Sie neigte sich demüthig und küßte den Riemen seines Steigbügels.

»Jüs-Baschi Mahmud'a, führt Eure Leute fort. Nach der Schlacht hören die Burschen da das Weitere. Und nun, meine Herren, zu unserem Corps und sorgt dafür, daß keiner der Lebendigen unter dem Vorwande einer Wunde in seiner Reihe fehle. Bei dem Gott Mahomed's und der Christen, ich will den Kerl lebendig schinden, der es wagt! Vorwärts, Jacoub'a!«

Und dem scharrenden Roß die Sporen in die Flanken pressend, flog der wilde Graf im Galopp davon – hinter ihm d'rein seine Adjutanten.

In langen, verhallenden Tönen bliesen die Hörner zum Aufbruch nach Czetate.

Fußnoten

1 Bulgarisches Dorf.

2 Saal, großes Gemach.

3 Hunnengräbern – 15–50 Fuß hohen Grabhügeln aus dem Alterthum; der Moslem nennt sie Tege.

4 So nennt der Slawen-Grieche sinnig sein Pferd.

5 Christen!

6 Thurm.

7 Sehr bezeichnend für den Volkscharakter ist das Lob, das man in Bulgarien 1840 dem Pascha von Sophia, Seïd, zollte: »An dem Pascha ist weiter Nichts auszusetzen, als daß er uns, so viel er kann, Geld abschindet, aber wenigstens sieht er darauf, daß seine Leute unsere Ehre und unsere Weiber nicht antasten.«

8 Rundtanz mit fest verschlungenen Armen, als Zeichen der Kraft und Vereinigung.

9 Dorfobrigkeit.

10 Wirth.

11 Ein kleines Goldstück, fünf Piaster an Werth.

12 Hundsfott! – Spanisch.

13 Lümmel! – Portugiesisch.

14 Cither.

15 Mädchen.

16 Schurke! – Italienisch.

17 Heilige Jungfrau!

18 Herren des Landes.

19 Häuptling.

20 Du bist der Herr.

21 Lümmel.

22 Oberst. Officiell wurde Iskender-Bey erst nach der Schlacht von Czetate dazu ernannt.

3. Im Gefecht! Czetate
[282] III. Im Gefecht! Czetate.

Der Oberbefehlshaber der russischen Armee hatte beschlossen, die Operationen gegen den linken Flügel der türkischen zu beginnen und diese aus der kleinen Walachei zu verdrängen. Zu dem Ende galt es, Kalafat zu cerniren, und General-Lieutenant GrafAnrep-Elmpt, der bei dem Einrücken in die Fürstenthümer die Avantgarde kommandirt hatte und jetzt in Krajowa befehligte, erhielt die entsprechenden Ordres. Kalafat liegt, wie ein Blick auf die Karte lehrt, in einer kurzen Biegung der Donau nach Nord-Osten, ehe sie sich zur serbischen und ungarischen Gränze wendet. Dem entsprechend bildeten die Bewegungen der Russen auf der Basis der Donau die zwei Seiten eines Dreiecks, indem zwei mit einander in Verbindung bleibende Colonnen von Krajowa aus vorrückten. Das Corps des Generals Dannenberg bewegte sich von Karakal über den Schyl in den Rayon Radowan und lehnte seinen äußersten linken Flügel an die Mündung des Flusses, über die Deszneizia hinaus; die fünfte leichte Division des General-Lieutenants von Fischbach dagegen besetzte in einem forcirten Marsch die Straße, welche von Kalafat längs des Donauufers gegen Orsowa und das eiserne Thor führt. Radowan bildete somit den Winkel der combinirten Position. Diese Bewegungen waren in den letzten Tagen des December ausgeführt worden, hatten natürlich die Aufmerksamkeit der Türken erregt, und es war vor der Rückkehr des Muschirs nach Nicopolis in Folge der neuerdings durch die Spione über die Vorwärtsbewegung des Feindes eingegangenen Nachrichten beschlossen worden, die drohende Festsetzung der Russen nördlich von Kalafat bei Czetate um jeden Preis zu verhindern.

Gegen diesen günstig zur Vertheidigung und Befestigung gelegenen Ort war die (erste) Infanterie-Brigade des General-Majors Bellegarde, bestehend aus dem Jekaterinenburgischen Infanterie-Regiment Nr. 19 unter Oberst Uwasnow-Alexandrow und dem Tobolskischen Regiment Nr. 20, vorgeschoben worden, und Oberst Baumgarten nahm mit dem letzteren hier Stellung, nachdem bereits am 31. December in der Nähe ein heftiges aber erfolgloses Gefecht stattgefunden hatte. Schweres Geschütz mit Pionieren und Schanz-Arbeitern hatte Krajowa am 2. Januar verlassen, um die Stellung bei Czetate zu befestigen.

[283] Diese Nachrichten waren es, welche Oberst Pisani durch die geheime Correspondenz der Gräfin Laszlo erhalten hatte, die trotz der Kriegsgefahr, und während viele walachische Bojaren im Gegensatz nach Ungarn und Siebenbürgen flüchteten, zu Anfang December von ihren nahegelegenen ungarischen Besitzungen auf einem ihr gehörenden Gute in der Nähe von Radowan und Krajowa in dem von den russischen Truppen besetzten Gebiet erschienen war. –

Die Scene, welche wir in dem vorigen Capitel beschrieben, ereignete sich am Donnerstag den 5. Januar. Obschon der nächste Tag der Sonntag der Moslems war, hatte man doch nicht zögern wollen, bis die Russen sich stärker befestigt hätten, und der Angriff war für den nächsten Tag bestimmt.

Um 4 Uhr Morgens verließen die Türken, 13 Infanterie-Bataillone, 6 Kompagnieen Jäger, ein Regiment türkischer Kosaken und zwei starke Abtheilungen der berittenen Irregulairen mit 28 Geschützen, im Ganzen etwa 18,000 Mann stark, die Verschanzungen von Kalafat und rückten gegen Czetate vor. Ismaël-Pascha, der Tscherkesse, kommandirte die Vorhut und das Haupttreffen, unter ihm der Ferik (Divisions-General) Mustapha-Pascha und der Livas (Brigade-General) Osman-Pascha. Achmet-Pascha, der Commandeur von Kalafat, befehligte die Reserven.

Zwei der türkischen Bataillone mit zwei Kanonen wurden auf der Straße in den Dörfern Maglavit und Gunia zurückgelassen, um die Verbindung mit Kalafat aufrecht zu erhalten. Sieben Bataillone sollten die Reserve bilden. –

Das Dorf Czetate liegt auf einem Hügel, welcher auf mehrere Meilen hin die umliegende Fläche überragt und auf beiden Seiten von Schluchten eingefaßt ist. Die östliche ist von ziemlicher Tiefe, zerklüftet und steil und verliert sich in einen kleinen See, unter welchem sich eine Fläche bis zur Donau erstreckt; die andere, weniger furchtbar, windet sich gegen die Spitze des Hügels hinter dem Flecken, indem sie eine Art Hohlweg bildet, den man jedoch ohne Schwierigkeit von einem Ende zu dem andern passiren kann. Die Straße von Kalafat schneidet mitten hindurch in nordwestlicher Richtung, nachdem sie zwischen den Schluchten aufgestiegen ist. Auf der Höhe über dem Flecken, rechts von der Straße, hatten die Russen eine starke Verschanzung aufgeworfen, die für den Fall eines Rückzugs als Zufluchtsort dienen konnte. Vor Czetate und dies deckend, liegt der Weiler Fonton-Banali, den Oberst Baumgarten mit dem [284] Regiment Tobolsk, einer Schwadron Husaren des Regiments Fürst von Warschau und einer Abtheilung des Donischen Kosaken-Regiments Nr. 36 mit 6 Kanonen der leichten Batterie Nr. 1 von der 10. Artillerie-Brigade unter Oberst Sagoskinn besetzt hielt. Die Reserve der Position unter General-Major Bellegarde stand, da man den raschen Angriff keineswegs erwartete, fast zwei Meilen zurück in dem Dorfe Motsesseï.

Der Oberkommandirende, General-Lieutenant von Anrep, hatte sein Quartier in etwa gleicher Entfernung zur Rechten in dem Dorfe Boleschti genommen. –

Es war bereits spät am Abende, als eine Ordonnanz einen Offizier weckte, der in einer ärmlichen Hütte des letztgenannten Dorfes auf seinem Mantel schlief, und zu dem General beschied. Capitain von Meyendorf, dieser war der Offizier, war rasch empor und in wenig Minuten bei dem Kommandirenden. Einige Offiziere waren in dem Gemache versammelt, Kosaken hielten am Eingang einen walachischen Bauer, dem die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt waren, am Strick. Der General selbst war offenbar in großer Aufregung und sah wiederholt Briefe durch, die auf dem Tische lagen.

»Gut, daß Sie kommen, Herr Adjutant, es giebt für uns Alle zu thun. Wir werden eher Gelegenheit haben, als wir es hofften, die Befehle des Fürsten auszuführen und mit den Türken anzubinden. Meine Kosaken haben in der Nähe der Deszneizia diesen Nachmittag bei einer Streifpartie einen Spion aufgegriffen, den Hettmann Poduroff mir so eben zuschickt. Seine Papiere sind von Wichtigkeit und zeigen, daß unsere Stellung bei Czetate vielleicht morgen schon angegriffen wird.«

»Desto besser, Excellenz.«

»Das mag sein, aber nicht besonders erfreulich ist es, zugleich daraus zu erfahren, daß der Verrath nicht müde wird, in unserm eigenen Feldlager sein Nest zu bauen. Wenn ich mich recht erinnere, kennen Sie die ungarische Gräfin Laszlo, die sich seit Monatsfrist – wie sie angab, um ihr Eigenthum in den Kriegsdrangsalen möglichst zu schützen, – auf Schloß Badowitza zwischen Radowan und Krajowa aufhält. Ich erinnere mich wenigstens, Sie in Unterhaltung mit ihr gesehen zu haben, als die schöne Dame uns in voriger Woche in Krajowa besuchte.«

[285] Der Capitain verbeugte sich, um die Röthe zu verbergen, die sein Gesicht überflog.

»Ich habe die Ehre, die Frau Gräfin von Wien aus zu kennen und besuchte sie noch vor einigen Tagen mit mehreren Offizieren.« Er verschwieg, daß gerade die Nachricht von ihrer Anwesenheit auf den walachischen Gütern ihn veranlaßt hatte, den Fürsten um den Auftrag zur Ueberbringung von Depeschen an General Anrep und zur Einleitung wichtiger Verbindungen mit dem serbischen und bulgarischen Ufer zu bitten, die ihn jetzt seit vierzehn Tagen im Hauptquartier des westlichen Corps beschäftigten.

»Werden Sie es glauben, Capitain, daß gerade diese Dame den Spion bei uns gespielt und die Mittelperson abgegeben hat, durch welche der schlaue Fuad fortwährend mit unsern Bojaren verkehrt und uns so manche Verlegenheit bereitet?«

Der Offizier erblaßte, doch suchte er sich rasch zu fassen.

»Unmöglich, Excellenz,« stotterte er.

»Die Beweise halte ich in der Hand, Herr Capitain. Hier dieses Paket mit gedruckten Proclamationen an die Bojaren und das Volk trägt die Unterschriften Omer's und Fuad-Effendi's; dieses Couvert, das man bei dem Boten fand, enthält Briefe an verschiedene Bojaren, und ein Blatt, offenbar an die Gräfin gerichtet, in welchem man – der Schreiber ist nicht genannt, – für die letzten Nachrichten dankt, die sie nach Widdin über unsere combinirten Bewegungen gegen Kalafat und die neuen Zuzüge unserer Truppen gemacht hat. Der Brief schließt mit der Benachrichtigung, daß der Muschir zwar heute Morgen Widdin verlassen, aber den Befehl geben werde, unsere Linien bei erster Gelegenheit zu durchbrechen, und bittet die Gräfin um weitere Kunde über die Dispositionen. Offenbar hat der Verkehr meiner Offiziere in ihrem Hause, den ihre täglichen Einladungen so sehr beförderten, ihr alle diese Nachrichten verschafft.«

»Und darf ich fragen, was Euer Excellenz beschlossen haben?«

»Ich muß natürlich Bellegarde und Baumgarten benachrichtigen lassen, auf ihrer Hut zu sein. Sie, Herr Capitain, beauftrage ich, da Ihnen die Person der Gräfin hinlänglich bekannt ist, morgen bei Tagesanbruch sich mit einem Zug Husaren nach Schloß Badowitza auf den Weg zu machen, die Gräfin zu verhaften und ihre Papiere in Beschlag zu nehmen. Sie liefern die schöne Spionin [286] nach Krajowa ab, wo sie nach meiner Rückkehr ihrer gebührenden Züchtigung nicht entgehen soll.«

»Euer Excellenz erlauben mir die Bemerkung, die Gräfin ist österreichische Unterthanin.«

»Hier ist sie Walachin, Herr Capitain, und die Oesterreicher selbst haben uns belehrt, wie man mit diesen ungarischen Damen umspringt. K tschortu 1! ich will sie peitschen lassen, wie die Oesterreicher, und sie mit Kosaken über die Gränze bringen, daß das Beispiel allen Weibern künftig die Einmischung in die Politik verleiden soll!«

»Excellenz, es ist eine Dame – ich war im Hause ihres Oheims täglicher Gast!«

»Eine Spionin ist sie, Herr,« fuhr der General auf, »und als solche verdient sie behandelt zu werden. Was blieb sie nicht in Wien, statt hierher zu kommen und die Verrätherin zu spielen? – Aber ich sehe, wie die Sache steht, Sie liegen eben so gut in den Netzen der schönen Rebellin, wie diese Herren hier, die schon allerlei Ausflüchte versucht haben. Ich muß einen weniger galanten Offizier schicken, wenn ich sicher sein will, daß die Dame nicht einen Ausweg findet. Skolimoff – rufen Sie mir den Capitain der sechsten Ssottnie her – ich weiß nicht, wie der Kerl heißt, aber tauglich dazu ist er.«

»Chotumofski, Excellenz!«

»Bon! Rasch, damit die Sache zu Ende kommt. Sie, Rittmeister Kowaleff, nehmen den Boten mit sich und lassen ihn an den ersten besten Baum außerhalb des Dorfes aufknüpfen, mit einem dieser Plakate auf der Brust. Es mag den Kanaillen zur Warnung dienen. Herr Capitain, da Sie die Galanterie dem Dienst vorziehen, muß ich Ihnen eine andere Beschäftigung geben. Sie werden sogleich zu Oberst Baumgarten aufbrechen und ihm die Nachrichten mittheilen, die Sie eben gehört haben, damit er auf seiner Hut ist. Ich werde morgen ihm Verstärkung senden und wahrscheinlich selbst seine Stellung besichtigen.«

Der Capitain verbeugte sich. Näher zu dem General tretend, fragte er leise:

»Haben Euer Excellenz keine Botschaft von Alexo, dem Wirth in Widdin?«

[287] »Nein, und deshalb eben hab' ich mich anders besonnen und sende Sie nach Czetate, für den Fall, daß eine solche eintreffen sollte, da Sie der Chiffern kundig sind. Ich weiß nicht, ob man dem Menschen weiter trauen kann, nachdem er uns über diesen Verrath im Unklaren gelassen, aber vielleicht fehlte ihm selbst die Kenntniß davon. Der Bursche, den ich eben condemnirt habe, kennt den Wirth nicht. Er ist von dem Gut der Gräfin und hatte, nach seinem Geständniß, nur den Auftrag, am Donauufer vorige Nacht eines Boten von drüben zu harren. Wir werden in den nächsten Tagen von Ihrem Zigeuner Gebrauch machen müssen. Er ist der Zuverlässigste von Allen, so jung er ist. Und nun Adieu, Capitain, und grüßen Sie den Obersten.« Er wandte sich zu einem andern Offizier und Capitain Meyendorf verließ die Hütte. Draußen begegnete ihm schon der befohlene Kosaken-Offizier, ein alter graubärtiger Hauptmann mit rohem finsterm Gesicht.

Der Capitain schauderte, indem er, in seinen Mantel gehüllt, an ihm vorüber ging, dann setzte er eilig und in tiefem Nachdenken den Weg zu seinem Quartiere fort.

Als der Capitain in die walachische Hütte, die er mit mehreren anderen Offizieren theilte, zurückkehrte, befahl er der Ordonnanz, sofort seine beiden Pferde zu satteln. Dann ging er und weckte im Stall einen Mann, der dort schlief.

»Steh' auf, Mungo, Du sollst mich begleiten.«

Der junge Zigeuner, dem im Lager von Budeschti am Vorabend der Schlacht von Oltenitza der Offizier das Leben gerettet, sprang sofort empor und schüttelte das Heu, auf dem er gelegen, aus den Haaren. Er hatte seit jener Zeit sich den Russen angeschlossen und, das gefährliche Gewerbe des Leichendiebes und Marodeurs aufgebend, das nicht minder verzweifelte eines Spions angenommen. Da seine Wanderungen ihn nicht allein durch die ganze Walachei, sondern auch häufig in das bulgarische Uferland bis zur serbischen Gränze hin geführt hatten und er das Türkische und Bulgarische geläufig sprach, war er von den russischen Heerführern bereits vielfach zu diesen verächtlichen Diensten, die er mit großer Gewandtheit ausführte, benutzt worden, namentlich zur Unterhaltung einer Verbindung mit den bulgarischen Haiducken und den Resten der alten Hetärie. Obschon der Capitain wenig Sympathieen für ihn empfand, hatte der Bursche seit jener Zeit doch so große Anhänglichkeit an ihn gezeigt und ihm seine Dienstleistungen, [288] wenn er eben nicht anderweitig umherschweifte, so unabweisbar aufgedrängt, daß er es sich endlich gefallen ließ, den Zigeuner mit seinem gewöhnlichen Reitknecht die Sorge um seine Pferde theilen zu sehen. Da bei den beschlossenen Bewegungen gegen Kalafat die Anknüpfung und Verbindung mit den russenfreundlich Gesinnten in Widdin und im Hauptquartier des Muschirs von größter Wichtigkeit war, wurde ausdrücklich der junge Zigeuner mit dem Capitain nach Krajowa gesandt und hatte von hier aus bereits zwei Mal das türkische Ufer und Widdin betreten, wo Alexo, der Wirth, als Agent beiden Parteien mit großer Schlauheit diente.

Die Pferde standen bereit, der Capitain schwang sich auf, und indem er seinen Reitknecht zurückließ, befahl er Mungo, das zweite Pferd zu besteigen und ihm zu folgen.

Als sie über die Vorposten hinaus auf dem Wege in der Richtung von Czetate waren, ließ der Capitain sein Roß langsam und achtlos schreiten, in düsteres Nachsinnen verloren. Endlich schien sein Entschluß gefaßt, er hielt den Zügel an und rief Mungo herbei.

»Ich habe gesehen, daß Du ein guter und verwegener Reiter bist. In welcher Zeit glaubst Du, daß ich mit meinem Halbblut die Deszneizia jenseits Radowan erreichen könnte?«

»Wenn Du das Pferd anstrengst, Capitain, in fünf Stunden.«

Der Offizier ließ seine Uhr repetiren.

»Es ist Mitternacht! Also gegen sechs Uhr. Die Kosaken werden kaum vor dieser Zeit aufbrechen und vor Mittag das Schloß nicht erreichen – sie hat demnach, auch wenn ein Hinderniß den Boten verspäten sollte, Zeit genug zur Abreise. Steig' ab, Mungo, und wechsle mit mir das Pferd.«

Der Zigeuner gehorchte stillschweigend.

»Du kannst mir jetzt das Wenige, was ich für die Rettung Deines Lebens in Budeschti that, wett machen mit einem Dienst, wenn es Dir wirklich Ernst mit Deinem Dank ist, wie Du mich so oft versichert hast.«

»Befiehl, Herr, Mungo wird Dir's beweisen, und wenn es sein Leben kostet.«

»Kennst Du das Dorf und das Schloß Badowitza?«

»Ich kenne es nicht, aber ich habe davon gehört in Krajowa. [289] Es wohnt eine vornehme Dame dort, die der Capitain neulich besucht hat.«

»Wohl! Höre mich genau an, denn von Deiner Botschaft und deren Eile hängt Wichtiges ab. Die Dame ist die Gräfin Laszlo, die Herrin des Schlosses. Du reitest, so rasch Du kannst, nach dem Schloß der Gräfin und suchst unter irgend einem Vorwande, ohne daß es ihrer Umgebung und dem Posten, der vielleicht noch im Dorfe liegt, auffällt, zu ihr zu gelangen.«

»Ich werde es.«

»Sobald Du sie siehst, verlange ein geheimes Gehör und sage ihr: der Warner aus dem Prater von Wien lasse sie bitten, noch in derselben Stunde abzureisen und möglichst rasch die ungarische Gränze zu erreichen. Um Mittag würde es zu spät sein. – Hast Du die Worte gemerkt?«

Der Zigeuner wiederholte sie.

»Aber, Herr, die Dame wird fragen, wer ihr die Worte sendet, oder wenigstens nach einem Beglaubigungszeichen bei einem Boten, wie ich bin.«

Der Offizier hatte bereits seine Brieftafel in der Hand und reichte ihm ein zusammengeschlagenes, vor dem Abreiten im Quartier geschriebenes Papier.

»Die Vorzeigung desselben wird, wenn die Gräfin einen Beweis fordert, genügen. Zugleich wird es Dir bei den Militairpikets, die Dich anhalten könnten, als Ausweis dienen. Es enthält einfach die Worte: ›Mein Diener Mungo reitet in meinen Geschäften nach Krajowa.‹ – Und nun, Bursche, gieb mir einen Beweis Deiner Schlauheit und Treue und schone das Pferd nicht.«

Er reichte ihm das Papier und wandte das seine, doch schon nach wenigen Schritten kehrte er nochmals um und rief den Zigeuner zurück.

»Es ist möglich, daß es morgen ein heißes Treffen giebt und Du mich bei der Rückkehr nicht mehr finden könntest. Nimm diese Börse und meinen Dank für Deine Dienste, und – wenn Du die Gräfin sprichst, sage ihr, sie möge meiner freundlich gedenken!«

Er wandte kurz das Pferd und sprengte davon, während der Zigeuner den Renner nach der entgegengesetzten Richtung spornte. –

Der Morgen war klar, der Himmel wolkenlos, nicht ein Windhauch bewegte die Luft, und als die Sonne aufging, bildeten das friedliche Thal der Donau, noch stellenweise mit Schnee bedeckt, [290] und der große Strom, der langsam seine gelben Wässer dahinwälzte, ein Bild des Friedens und der Ruhe, das die blutigen Scenen nicht ahnen ließ, die so rasch folgen sollten.

Bald nach 7 Uhr nahte die türkische Avantgarde dem Weiler am Fuße des Hügels, auf dem Czetate stand.

Ismaël-Pascha mit Iskender-Bey und dem Ferik Mustapha befanden sich an der Spitze der Colonne. Weder in dem Weiler, noch auf der Höhe von Czetate zeigte sich in dem ersten Licht des Tages eine Spur der Russen.

Die Colonne machte Halt, der Pascha recognoscirte einige Augenblicke das Terrain, dann wandte er sich zu seinen Begleitern.

»Halte Deine Bataillone bereit, Mustapha, und lasse Nefwik-Bey mit seinen Jägern vorrücken und sich über das Feld verbreiten. Ich werde ihm selbst meine Befehle geben. Mashallah! ich glaube, die Moskows sind davon gelaufen, ehe wir gekommen sind.«

»Du irrst, Pascha,« sagte der Graf; »mein Fernrohr zeigt mir, daß das Dorf besetzt ist und Artillerie dort steht. Wenn Du mir gestatten willst, will ich meine Irregulairen an dem Wasser entlang ihnen in den Rücken führen.«

»Allah sende ihnen Verderben! Es geschehe, wie Du sagst, Freund Bey, auf Dein Haupt komme es. Wir müssen die Höhe dort gewinnen, wir sind nicht die Esel der Moskows. Wallah! da ist der Neffe des Muschirs. Höre, Bey, Du sollst die Ehre des ersten Angriffs haben. Rücke langsam vor und nimm jene Häuser.«

Nefwik und Iskender-Bey eilten nach verschiedenen Seiten davon.

Während der Letztere, gedeckt durch das Terrain auf der rechten Seite von Czetate, mit seinen beiden Regimentern Irregulairer und sechs Kanonen den kleinen See im Galopp umging, eröffnete sich bereits in der Fronte der Kampf. Die fünf Compagnieen Jäger unter Befehl Nefwik-Bey's breiteten sich rechts und links aus und begannen langsam den Hügel gegen den Weiler hinan zu steigen, zuweilen en tirailleurs feuernd, jedoch ohne eine Antwort hervorzurufen. Sie waren etwa noch 400 Schritt von dem Weiler entfernt, als plötzlich ein einzelner Kanonenschuß donnerte und sofort sich noch zwei andere Geschütze demaskirten und ein scharfes Feuer eröffneten. Das Heckenfeuer der Infanterie fiel ein und von der Spitze des Hügels begannen die vor Czetate aufgefahrenen drei Kanonen mit Paßkugeln und Granaten ihr Feuer, während die [291] am unteren Abhang mit Kartätschen schossen. Nur die letzteren thaten Schaden, während die ungeschickt gezielten Schüsse der obern Batterie über die Anstürmenden weggingen und die Granaten in der Luft platzten, noch ehe sie die feindlichen Colonnen erreicht hatten.

Den Jägern Nefwik's folgte Mustapha-Pascha mit vier Bataillonen Nizam, von Hadschi-Mustapha, dem kommandirenden Offizier der Artillerie, unterstützt. Die türkischen Geschütze – die vorzüglichste Waffe der ganzen Armee – schossen ungleich besser als die russischen, und ihre Paßkugeln schlugen fest und sicher in die Gebäude des Weilers.

Zwei Mal setzten die Jäger unter dem Ruf: »Allah! Allah!« an, zwei Mal wurden sie von den Chargen der Russen geworfen. Wüthend spornte Ismaël-Pascha sein schwarzes Pferd gegen den Nizam und trieb ihn gegen die Gebäude, während die türkischen Kanonen der Avantgarde folgten.

Oberst Baumgarten vertheidigte die bedrängte Position mit großer Kühnheit gegen den überlegenen Angriff. Die Husaren und ein Bataillon des Regiments Tobolsk waren nach Czetate zurückgesandt und die Uebermacht des Feindes war daher erdrückend. Der Nizam griff den Weiler mit dem Bajonnet an und an vielen Punkten focht bereits Mann gegen Mann. Doch noch hielten die Russen tapfer Stand.

Den Hügel von Czetate herab jagte ein Adjutant.

»Major Topoltschann meldet, daß die Kavallerie des Feindes die Position am See umgangen hat und mit einer reitenden Batterie das Dorf im Rücken angreift. Das zweite Bataillon und die Husaren sind bereits im Feuer.«

Die Kunde war entscheidend; die Wegnahme des Dorfes, ehe man sich nach der Redoute auf der linken (rechte russische) Flanke zurückziehen konnte, hätte das Detaschement des Weilers gänzlich abgeschnitten.

Der Kommandirende sah die Nothwendigkeit des Rückzuges. Major Kolomeïtseff erhielt den Befehl, mit dem ersten Bataillon und den Kosaken denselben zu decken und langsam zu folgen. Der Weiler stand bereits in hellen Flammen, als die drei Geschütze den Hügel hinauf jagten und dort auf der Höhe ihre Gefährten ablösten. An der Spitze des dritten Bataillons durcheilte der Oberst das Dorf und warf sich auf der hintern Abdachung den [292] Baschi-Bozuks Iskender-Bey's entgegen, von der Schwadron Husaren flankirt, während die Soldaten des ersten und zweiten Bataillons sich in den Häusern zu verschanzen begannen.

Die Irregulairen, die bereits einige Vortheile errungen, verloren dieselben und wichen, obschon die Aga's wüthend auf die eigenen Leute losschlugen.

Der günstige Augenblick war verloren, die Russen hatten das Dorf mit ihrer ganzen Macht besetzt und eröffneten ein furchtbares Musketenfeuer auf die von zwei Seiten vorrückenden Colonnen.

Achmet Pascha sandte zwei Bataillone der Reserve zur Unterstützung vor; mit einer doppelt überlegenen Macht wurde das Dorf angegriffen, während die türkische Kavallerie Ordre erhielt, sich in der Schlucht auf der Linken, durch welche quer der Weg von Czetate nach Norden führt, festzusetzen und so den Rückzug zur Redoute abzuschneiden.

Das Gefecht auf den Hügelseiten war überaus blutig; die türkischen Jäger litten furchtbar, und die erste Compagnie derselben wurde buchstäblich vernichtet. Unter dem wüthenden Allahgeschrei stürmte der Nizam das Dorf. Schritt um Schritt mußte durch Blut erkauft werden. Die Russen machten jede Mauer, jede Hütte zu einer Festung. Zweiunddreißig Offiziere wurden hier verwundet, eilf davon getödtet! Man sah sie ihre Mütze in die Stirn drücken und, den Säbel in der Faust, sich in die Massen stürzen, um den Tod zu finden, lieber als daß sie wichen.

Dennoch drangen die Türken siegreich vor – es war zum ersten Male, daß im Angriff der Nizam Lorbeeren errang!

An der kleinen Kirche des Ortes hielt Oberst Baumgarten mit seinen Offizieren, darunter der Regiments-Adjutant Zagreba, dem das Blut fortwährend am rechten Bein von einem Schuß im Schenkel herabfloß, ohne daß der Tapfere der Verwundung achtete. Auch Major Kolomeïtseff blutete bereits aus zwei Wunden. Zur Seite des Obersten befand sich Capitain Meyendorf, der seine Dienste als Adjutant angeboten.

Der Oberst wandte sich zu ihm:

»Bellegarde und Graf Anrep lassen lange auf sich warten, Herr; man muß dieses Schießen in Motsetseï gehört haben, und wir schlagen uns schon drei Stunden.«

»Die Position ist unmöglich länger haltbar, Oberst.«

»Ich sehe es und Major Topoltschann hat es mir gleichfalls [293] melden lassen. Es ist Zeit, daß wir unsern Rückzug sichern. Reiten Sie zu Sagoskin und sagen Sie ihm, daß er sich fertig hält mit den Geschützen. Die Husaren werden die tête nehmen, die Kosaken die Geschütze flankiren, und das zweite Bataillon soll diesmal die Ehre haben, die Arriere zu bilden. In zehn Minuten müssen wir auf dem Wege sein, und wenn Sie mich das Tuch schwenken sehen, soll Rittmeister Sszamarin mit seinen Husaren im Galopp die Schlucht forciren. Sie bleiben bei ihm.«

Der Capitain salutirte, während der Oberst bereits dem Regiments-Adjutanten weitere Befehle gab, und ritt zu der Batterie, die an der andern Seite der Kirche über die Häuser hinweg, in denen man sich Mann gegen Mann schlug, ein unregelmäßiges Feuer gegen die unterstützenden Colonnen des Feindes unterhielt.

»Achtung! Kartätschen in die Geschütze! – Die Pferde vor!« – Die Befehle waren in drei Minuten vollzogen.

Die Trommeln schlugen zum Avanciren. Das zweite und erste Bataillon machten eine Charge mit dem Bajonnet auf den Feind. –

Der Oberst schwenkte das Tuch, – die Trompeter bliesen zur Attaque und gleich einer Windsbraut galoppirte der Rest der Schwadron Husaren vom Regiment Fürst von Warschau die Straße entlang und stürzte sich in die Schlucht zur Linken. Hinter ihnen d'rein jagte die Batterie.

Hier hatte sich, gedeckt gegen die russische Artillerie vom Dorf und von der Redoute, die türkische irregulaire Kavallerie aufgestellt mit sechs Geschützen, welche die Straße beherrschen sollten. Der Angriff erfolgte jedoch so rasch und plötzlich, und die Verwirrung war im Augenblick so groß, daß die türkischen Geschütze nicht an's Feuern kommen konnten, und vier derselben von den Russen genommen wurden. Indem sich die Husaren und Kosaken rechts und links von der Straße ab und auf die Irregulairen warfen, gelang es der russischen Batterie, die Schlucht zu passiren und alsbald auf der entgegengesetzten Seite Posto zu fassen, von wo sie den Aus- und Eingang derselben bestreichen konnte.

Zugleich warf sich das dritte Bataillon Tobolsk über die Seiten der Schlucht, während das erste und zweite den Anprall des Nizam, durch dessen Oeffnung jetzt die türkischen Kosaken zur Verfolgung heransprengten, zurückhielten und den Rückzug deckten.

Das Mordio, der Allahruf und das Hurrah der braven Infanterie [294] zwischen dem Donner der Geschütze und dem Knattern der Flinten war sinnbetäubend, das Gemetzel in der Schlucht selbst und auf dem leicht ansteigenden Abhang zur Redoute wahrhaft furchtbar, das Blut rann, wie Augenzeugen berichten, in kleinen Bächen auf der gefrornen Erde herunter.

Mit scharfen Hieben trieb der Bey seine Arnauten in's Gefecht, um womöglich den Zug der Russen über die Straße zu durchbrechen.

Zwei Mal gelang es ihm, zwei Mal wurde er auf's Neue zurückgedrängt.

Als er zum dritten Mal über die Straße brach, schloß sich die Colonne hinter ihm und etwa dreißig Gefährten. Bereits war das zweite Bataillon auf dem Rückzug, während das erste sich noch heldenmüthig jenseits der Schlucht am Rande des brennenden Dorfes schlug, und die russische Artillerie auf der halben Höhe der Redoute Stellung genommen und ihr Feuer eröffnet hatte.

Iskender-Bey, der tapfere Argonautenführer, schien verloren, – ringsum die starrenden Bajonnete, während die langen Piken der Kosaken und die Säbel der Husaren seinen kleinen Haufen bedrängten. Ein Hieb hatte bereits seinen linken Arm gelähmt, doch der verwundete Löwe schien seine Kraft zu verdoppeln und war überall.

Aber die starrende Mauer der Bajonnete, gegen die er sein Pferd spornte, widerstand seiner Tollkühnheit, um ihn fielen die Bozuks, die ihn begleitet, der On-Baschi Hussein, Abdallah, der Syrier, kaum Zehn noch hielten Stand.

Da führte der Graf, das Verzweifelnde seiner Lage erkennend, gleich wie Roland im Thal von Ronceval das Horn, die silberne Pfeife, die er zum Kommandogebrauch an gleicher Kette auf der Brust trug, an die Lippen und drei gellende, schneidende Töne schrillten durch die Luft, über alles Kampfgetöse weithin vernehmbar.

Capitain Meyendorf hatte sich mit den Husaren auf den Trupp geworfen, der den Bey schützte, und sein Degen kreuzte sich mit dem Säbel des Führers.

»Ergeben Sie sich, Graf, Sie sind gefangen.«

»Einem Russen? Niemals! Tysiąc byci mać mordowało!« Sein Hieb sauste zur Seite, doch glücklich parirte der Adjutant, daß nur leicht die Spitze des Säbels seine Wange ritzte. Von der andern Seite umdrängten die Husaren den kühnen Polen und kräftige Hände erfaßten ihn.

[295] »Nehmt ihn gefangen – Schonung dem Tapfern!« Da brauste und tobte es heran, gleich einer Sturmesbraut. »Allah! Hurrah!« und rechts und links flogen die Russen zur Seite, Roß und Mann übereinander stürzend, Lanzen brachen sich Bahn, Handjars und Säbel blitzten: »Hussah, Bey! Jacoub'a ist hier!« und die tolle Arnautenbande mit dem Aga an ihrer Spitze hieb rasend den Führer aus der Gefahr! –

Die Redoute war glücklich erreicht, die Geschütze derselben und die Feldbatterie donnerten gegen den Feind und hinüber gegen Czetate – sechshundert russische Krieger deckten den Kampfplatz, über achthundert waren verwundet.

Ismaël-Pascha sammelte die Bataillone, um sie zum Sturm gegen die Redoute zu führen, als ein Adjutant Achmet's herbei jagte und das Anrücken der russischen Truppen von Motsetseï meldete.

Es war bereits um Mittag. In dunklen Colonnen, kaum noch eine halbe Meile entfernt, kamen die Russen gegen die rechte Flanke des Feindes an unter General-Major Bellegarde: das Jägerregiment Odjessa, geführt von General-Major Schigmond, der Rest des Alexandrinskischen Husaren-Regiments Fürst von Warschau, geführt vom Oberst und Flügel-Adjutant Alopäus, eine Feldbatterie von sechs Geschützen und ein Schwarm von Kosaken, im Ganzen zwischen 7- und 8000 Mann. Die Infanterie bildete das Mitteltreffen, die Kavallerie und Artillerie war auf den Seiten aufgestellt und ihr Marsch direkt gegen die Kalafater Straße gerichtet, um den türkischen Truppen den Rückzug abzuschneiden.

Die Reserven Achmet-Pascha's, aus fünf Bataillonen bestehend befanden sich am Fuß des Hügels, und er ließ sie Front gegen den anrückenden Feind machen. Die türkischen Truppen bewiesen hier große Standhaftigkeit, denn die Nachricht, daß der Feind die Rückzugslinie bedrohe, ist auch bei den bestdisciplinirten wohl geeignet, Verwirrung anzurichten.

An der Seite des Hügels, unter der Schlucht auf der Rechten, war eine Art von alter Fenz, die einen viereckigen weiten Raum einschloß, der von den Einwohnern wahrscheinlich zur Schafhürde benutzt worden war, jedoch schon vor langer Zeit, da der Graben halb angefüllt ist. Dennoch gewährte er noch immer eine günstige Position zur Vertheidigung. Die türkische Infanterie unter dem Livas Osman-Pascha entwickelte sich zur Rechten über diese Einzäunung, [296] drei Bataillone in Linie, zwei in Reserve, die rechte Flanke durch eine Batterie von 4 Zwölfpfündern, die linke durch 6 Feldstücke gedeckt. Die Kavallerie aus dem genommenen Czetate wurde zurückgerufen und auf der Linken aufgestellt, das Regiment türkischer Kosaken vor den Irregulairen.

Der Anmarsch der russischen Truppen bot einen imposanten Anblick. Nichts konnte die Festigkeit ihres Marsches übertreffen, jede Linie schritt wie ein Mann und alle Distancen wurden so genau innegehalten, als ob sie in St. Petersburg paradirten. Als sie näher herankamen, ritten vier Offiziere vor, um den Grund zu recognosciren und zogen sich dann wieder zurück. Gleich darauf änderten die russischen Reservebataillone ihren Marsch und rückten mit zwei Geschützen gegen die Schlucht vor, machten aber Halt, als sie diese ungangbar fanden. Zugleich eröffnete die russische Artillerie ihr Feuer, und die türkische erwiederte dasselbe.

Es zeigte sich jetzt jener bedeutende Unterschied dieser Waffe in beiden Lagern, der schon zwei Jahre vorher Kaiser Nicolaus gegen den General Wrangel, als dieser Petersburg besuchte, zu den Worten hingerissen: »Das habe ich Ihnen (den Preußen) zu verdanken!«

Die russischen Geschütze feuerten viel zu hoch und ihre Kugeln thaten anfangs wenig oder gar keinen Schaden, bis es ihnen endlich gelang, die Distance zu finden. Die türkische Artillerie dagegen, von Hadschi-Mustapha kommandirt, räumte furchtbar auf unter den anrückenden Colonnen und riß weite Lücken in die lebenden Mauern. Aber mit jener stoischen Haltung, die der russischen Infanterie eigen ist, schlossen sich im Augenblick wieder die Reihen, und bewegten sich mit derselben Ruhe vorwärts.

Ein türkisches Feldgeschütz wurde demontirt, einen Augenblick ließ das Feuer nach. Dies benutzten die Gegner, um sich zu einer dichten Colonne zu schließen und zum Bajonnetangriff auf die türkischen Linien vorzubereiten. Die Trommeln wirbelten den kurzen Sturmmarsch und die Colonnen kamen heran.

Aber der Kartätschenhagel der türkischen Geschütze fegte die Spitzen nieder. Zwei Mal setzten die Russen an, und zwei Mal siegte die menschliche Natur über den Gehorsam des Kriegers, und sie wurden zurückgedrängt unter dem Allahruf der ermuthigt jetzt vorgehenden türkischen Linien; einige Augenblicke waren die russischen Geschütze ohne Deckung und fast in der Gewalt der Moslems, [297] als General-Major Schigmont, selbst verwundet, die Jäger zum dritten Mal gegen den Feind führte und die Husaren und Kosaken sich in seine Flanken warfen, ohne daß es den Führern der türkischen Kavallerie gelang, den Angriff aufzuhalten.

Die Türken wurden nach der Straße zurückgeworfen. Zugleich erhielt Achmet-Pascha die Nachricht, daß der General-Lieutenant Graf Anrep mit den starken Reserven von Boleschti auf Modlavit (Maglawit) anrücke und so ihn im Rücken bedrohe.

Zwei Stürme Ismaël-Pascha's auf die Redoute waren unterdessen von Oberst Baumgarten zurückgeschlagen worden.

Achmet-Pascha gab den Befehl zum Rückzug nach einem fast achtstündigen Kampf.

So tapfer sich die Türken geschlagen, so traurig zeigten sich jetzt die schlechten Anstalten ihres Heerwesens. Der größte Theil der Verwundeten, über 500 Mann, mußte hilflos auf dem Schlachtfelde zurückgelassen werden. Die Truppen unter Bellegarde zählten eine gleiche Anzahl von Todten und fast das Doppelte an Verwundeten; die Türken hatten während des zwiefachen Kampfes gleichfalls über 1000 Mann verloren, so daß nach der Schlacht an 3000 Todte und Verwundete auf dem Platz lagen. Der Boden war so mit Leichen bedeckt, daß kaum 48 Stunden hinreichten, sie zu beerdigen.

Um 3 Uhr traten die Türken unbehindert ihren Rückzug an, denn die Munition begann beiden Gegnern auszugehen, und sie erreichten Kalafat, ohne von den Colonnen des General Anrep angegriffen zu werden. Am nächsten Morgen hatte das letzte Bataillon sein Quartier bezogen. Sie ließen 6 Kanonen in den Händen der Russen zurück, und deren anrückende Uebermacht blieb Herr des Schlachtfeldes; aber der Zweck war erreicht, und die Stellung bei Czetate geworfen. – –

Es war am andern Vormittag, als den unter der zerstörten Mauer einer Hütte von Czetate im todesähnlichen Schlaf liegenden Capitain Meyendorf eine schüttelnde Hand weckte. Vor dem Auffahrenden stand Mungo, der Zigeuner, bleich, erschöpft, kaum sich aufrecht erhaltend.

»Dein Auftrag? sprich, hast Du ihn glücklich ausgeführt?«

Der junge Bursche schüttelte den Kopf.

»Ich kam zu spät. Die Streifwachen hielten mich auf, erst [298] um acht Uhr Morgens erreichte ich das Dorf – die Dame war fort – das Schloß in Flammen!«

»Es ist unmöglich, – die Kosaken konnten vor Mittag nicht eintreffen!«

»Nicht die Kosaken, Herr, die verrätherischen Dorobandschen und ein türkisches Streifcorps überfielen das Dorf, plünderten und führten die Dame gewaltsam mit sich fort. So erzählten mir die Bauern und Diener.«

»Und Du bist ihrer Spur nicht gefolgt?«

»Ich that es, Herr. Die Marodeurs, über 200 Mann stark, schlugen sich durch die schwachen russischen Posten und erreichten die Donau unweit Kalafat. Ich kehrte zurück, um Dich zu benachrichtigen. Drei Stunden von hier stürzte Dein Pferd todt von der Anstrengung, – ich machte den Rest des Weges zu Fuß.«

Der Offizier athmete hoch auf.

»Gott sei Dank, was kümmert mich das Pferd!« – Im nächsten Augenblick versank er in tiefes Nachsinnen. »Die Gefahr ist noch nicht vorüber,« murmelte er, »sie darf nicht hierher zurückkehren und muß gewarnt werden, und ich – muß wissen, ob sie in Sicherheit ist!« – Er wandte sich laut zu dem Zigeuner: »Wann soll der Knees der Haiducken mit Dir in Widdin zusammentreffen?«

»Heute oder morgen, Herr!«

»Nimm meinen Mantel, armer Junge, und suche einige Stunden zu schlafen, dann folge mir nach Boleschti, Du wirst der Beutepferde genug und billig finden. Aber höre, versieh Dich womöglich, ehe Du Dich zur Ruhe legst, mit zwei türkischen Anzügen von den Gefallenen, wir werden ihrer bedürfen. Auf Wiedersehen, Mungo.«

Der Capitain schritt in tiefen Gedanken davon, sein Pferd zu suchen.

Fußnoten

1 Zum Henker!

Der Wudkoklak
[299] Der Wudkoklak.

In den Thälern der Donau lebt eine grauenvolle Sage und pflanzt sich fort von Vater auf Sohn, von Geschlecht zu Geschlecht. Wenn der Vollmond seinen bleichen Schein über Fels und Wald gießt, dann erhebt sich der Wudkoklak – der Vampyr der Griechen-Slawen und Moldau-Walachen – aus seinem Grabe, in dem er mit offenen Augen und starrem Blick schläft. Seine Klauen und Haare wachsen im Todesschlaf, – warmes Blut rinnt durch die erstorbenen Adern; denn in den unheimlichen Nächten des Vollmonds frischt er es auf, indem er durch das Land streift, den Lebenden die Rückenader öffnet und ihr rothes Blut saugt.

Schaurig ist der Glaube des Volkes! Steht ein Todter in dem Verdacht, auf diese Weise sein Grab zu verlassen, so wird er feierlich ausgegraben. Hat die Verwesung ihr Werk gethan, so begnügt sich der Pope, ihn mit Weihwasser zu besprengen; ist er aber roth und blutig, so treibt man ihm den Teufel aus und stößt ihm bei seiner Wiederbeerdigung einen im Feuer gehärteten Eichenpfahl in die Brust, damit er sich nicht wieder erheben könne. Die hungrigsten Raben fliehen den Leichnam des Verfluchten schon von Weitem, ohne zu wagen, ihn auch nur mit der Schnabelspitze zu berühren!

Aber einen andern Wudkoklak giebt es, vor dem nicht der Segen des Priesters, nicht der blutige Pfahl durch die Brust zu schützen vermag: lebendig wandelt er unter den Lebenden und sucht seine Opfer. Oft wird er vom unwiderstehlichen Drang nach Schlachtengemetzel ergriffen und verläßt bei Tag und Nacht seine Wohnung und schweift umher, Menschen und Thiere, die ihm begegnen, mit Bissen zerfleischend. Aber das Blut junger Mädchen [300] und Frauen ist es, worauf er besonders lüstern, – in ihr Herz schleicht er sich ein durch tausend listige Ränke, und wenn er in der Braut- oder Liebesnacht sie in die Arme preßt, schwindet ihr Bewußtsein und das Blut weicht langsam aus ihren Adern, das Antlitz wird bleich und täglich bleicher, die Quellen des Lebens vertrocknen, statt frisch zu erschwellen in befruchtender Kraft; – denn allnächtlich theilt der Vampyr ihr Lager und saugt der Schlummernden das Mark aus dem Gebein, das frische rothe Blut aus der zitternden Brust, und das junge Leben welkt und welkt, und ehe der Mond zwanzig Mal seinen Kreislauf vollendet, deckt die Erde den frischen Leib und das gebrochene Herz, und der Wudkoklak darf nach neuen Opfern suchen.

Zuweilen auch paart er sich mit der Wjeschtitza, dem weiblichen Gnomen, dem Gespenst mit Feuerflügeln, das Nachts sich auf die Brust des schlafenden Kriegers niedersenkt, ihn in seine Arme preßt und ihm seine Wuth einflößt. Alsdann raubt wohl die Wjeschtitza, in Gestalt einer Hyäne, kleine Kinder und schleppt sie fort in den Wald, da die Liebe des Wudkoklak kein Leben zu zeugen vermag. Das sind dann die klagenden Stimmen, die in Fels und Wald nach den Eltern rufen, das sind die wankenden bleichen Lichter, die den Wanderer in den Moder der Sümpfe begraben!

Der Bulgare macht drei blutige Kreuze an seine Thür, um dem Wudkoklak und der Wjeschtitza den Eingang zu sperren. Doch vergeblich, denn die Wjeschtitza senkt sich im Haß und in der blutigen Leidenschaft auf jede Menschenbrust, und über die Schwelle des Palastes und der Hütte, durch die ganze Welt schreitet der Wudkoklak und heftet den gierigen Mund an Unschuld und Tugend, an Alles, was schön, vertrauend und erhaben ist, und mästet sich von dem Lebensmark der Lebendigen, die sich machtlos winden in seinen Schlangenarmen!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In einem Gemache des Selamlik vonSami-Pascha zu Widdin lag auf weichen Polstern die schöne Gräfin Helene Laszlo am zweiten Morgen nach der Schlacht von Czetate. Ihre geistige und körperliche Kraft war erschüttert von dem unerwarteten Schreckniß, das über sie gekommen. Jene unerklärliche geheimnißvolle Laune des Frauenherzens, das sich selbst vermeidet, Rechenschaft zu geben, hatte sie vermocht, den Vorspiegelungen und Aufreizungen [301] des Grafen Pisani Gehör zu geben, der ihr mit der schlauen, ganz den Interessen der revolutionairen Propaganda ergebenen Freundin auf ihre Güter nach Ungarn gefolgt war und hier verstanden hatte, den exaltirten Geist der jungen Frau zu Entschlüssen und Handlungen zu erregen, deren sie sich – hätte eben nicht ein kaum bewußter Wunsch im Grund ihrer Seele sie unterstützt, – sicher enthalten haben würde. So wagte sich denn die Gräfin auf ihre Güter am Schyl und der Deszneizia, mitten in die Gefahren und die Wirrniß eines occupirten Landes und auf einen Schauplatz, der jeden Augenblick selbst die Stätte der Schlacht und des Todes werden konnte, indeß der sardinische Oberst sich in's türkische Heerlager begab. Die Gräfin, in steter geheimer Verbindung mit diesem Manne, der ihre politische Exaltation zu fesseln verstand, öffnete in Krajowa und auf ihrem Gute ihr Haus der Gesellschaft der russischen Offiziere und hatte die unwürdige Rolle der Spionin übernommen und seit Wochen durchgeführt, indem sie zugleich mit den zurückgebliebenen Bojaren des Fürstenthums eine enge Verbindung unterhielt, unter denen Fuad-Effendi durch seine Intriguen und Versprechungen eine starke Partei für die Pforte warb.

Nur hatte der schlaue Graf ohne das Herz der jungen Frau gerechnet, dessen Geheimniß allein sie zur Uebernahme jener Rolle bewogen. Nach langem und schwerem Kampf mit dem in Wien so tief verletzten weiblichen Stolz waren dem Capitain die kurzen Zeilen geworden: »Gräfin Helene Laszlo hat die Ehre, Baron von Meyendorf ihre Anwesenheit auf Schloß Badowitza anzuzeigen und wird, wenn der Dienst ihn in diese Gegend führt, den Besuch eines Freundes mit Vergnügen empfangen.« – So kalt diese Mittheilung in ihrer conventionellen Form auch war, so genügte sie doch, wie wir gesehen haben, den Capitain nach Krajowa zu führen.

Zwei Mal seither war er der schönen Frau begegnet, in Krajowa selbst und bei einem Besuche auf ihrem Gute, doch beide Male hatten der zahlreiche Hof, der die Gräfin umlagerte, und der kalte Ernst, der in dem Benehmen des Capitains lag, jede Verständigung, ja jede vertraulichere Annäherung verhindert.

So fern standen sich die Herzen, die einander gehörten und die geschaffen waren, sich zu beglücken – als die Schlacht von Czetate und die Intrigue des Sarden auf's Neue sie trennte.

Die Gräfin war bei der gewaltsamen Entführung von Schloß [302] Badowitza durch die Dorobandschen 1, die mit einer Plünderung und einem kurzen Kampfe gegen den schwachen russischen Posten verbunden war, zwar von jeder Beleidigung verschont geblieben, aber es war ihr keiner der Schrecken, keine Gefahr ihrer Lage erspart worden. Trotz aller Bitten und Versprechungen auf eine Kerutza geworfen, von Zweien der wilden Söhne des Landes bewacht, führte die wilde Jagd der Flucht sie nach den Ufern der Donau, und vergeblich ersehnte jetzt die ungarische Patriotin Hilfe und Rettung durch die Hand der russischen Unterdrücker, denn die Zahl der zum Feinde flüchtenden Dorobandschen war so bedeutend, daß sie die schwachen begegnenden Pikets leicht in die Flucht schlug.

So gelang es – während wenige Meilen davon die blutige Schlacht tobte – Apollony, dem Agenten des Sarden, im Rücken der russischen Stellung seine Beute am Nachmittag glücklich bis an's Ufer der Donau und zu den türkischen Posten zu bringen. In einem Boote wurde hier die Gräfin über den Strom geführt und in die Festung gebracht. Sie war so erschöpft, daß sie willenlos Alles mit sich geschehen lassen mußte. In einem abgelegenen Gemache des Selamlik ließ Sami-Pascha seine schöne Gefangene einstweilen einschließen, indem er wegen der Pläne des Obersten seine Gründe hatte, sie in das Haremlik selbst nicht aufzunehmen.

Mit Schrecken gewahrte Gräfin Helene, daß alle Hoffnungen auf sofortige Befreiung sie täuschten, die sie gefaßt, als sie sich in die Hände der Türken geliefert sah. Sie blieb eine Gefangene, zwischen den öden Mauern eines türkischen Zimmers eingeschlossen, von schwarzen Sclaven bedient, und erst am Nachmittag erhielt sie eine weiße Dienerin, Marutza, die Tochter des Handja's, die der Pascha, als am Tage vorher Vater und Tochter nach dem Befehl Iskender-Bey's von den Khawassen vor sein Gericht geführt worden, zum Dienst im Haremlik bestimmt hatte, während Gawra mit einer harten Geldbuße und dem Verbot der Hanewirthschaft belegt ward. Das Mädchen verstand ein Wenig italienisch, und so konnte die Gräfin sich wenigstens verständlich machen und erfuhr, daß sie in den Händen des Pascha's von Widdin sei.

Durch Marutza, welche frei aus- und einging, ließ die geängstete Frau alsbald eine Unterredung mit dem Pascha verlangen, aber der Erfolg derselben hatte nur dazu gedient, ihre Angst und ihre Verlegenheit [303] zu erhöhen. Der alte Moslem fand sich in der That gegen Abend bei ihr ein, von einem seiner Eunuchen begleitet, und nahm seinen Sitz mit aller Bequemlichkeit eines türkischen Haremsherrn auf dem Divan des Gemachs, indem er mit lüsternen Augen die selbst noch in dem Zustande der Abspannung fesselnden Reize der schönen Ungarin betrachtete. Zu ihrem Schrecken erfuhr diese jetzt, daß sie nicht bloß eine Gefangene, sondern von den Dorobandschen als Beute an Sami- Pascha verhandelt worden, und daß dieser sie als eine Erwerbung seines Harems betrachtete. Vergebens berief sie sich auf ihren Stand, auf ihre Bemühungen für die türkischen Interessen, auf Graf Pisani, dessen Herbeiholung sie verlangte, der alte Moslem erwiederte ihr, daß er sie ehrlich gekauft und bezahlt habe, daß er ihren Stand nicht kenne und dieser ihm auch gleichgültig sei, daß er von keinem Anrecht auf türkischen Schutz wisse, und wich mit großer Schlauheit den Fragen und dem Verlangen nach dem Sardinier aus.

»Mashallah!« sagte der dicke Pascha, sich den Bart streichend, »was geht dieser Dschaur mich an? Ich kenne ihn nicht, und wenn ich ihn kenne, bin ich nicht der Herr in meinem Haremlik, und was hat er dort zu schaffen? Ich weiß nicht, ob er in Widdin ist, oder in Kalafat, oder in der Schlacht gefallen. Wallah! was kümmert einen Gläubigen ein Kreuzträger?«

Gräfin Helene vermochte keine entscheidende Antwort zu erzielen. Der Pascha verließ sie, indem er ihr nochmals andeutete, daß sie sich als ein Mitglied seines Harems anzusehen habe. Die einzige Hilfe, die der Verzweifelnden beifiel, war, einen europäischen Arzt zu verlangen. –

Doctor Welland hatte den Morgen nach der Schlacht bis zum späten Nachmittag im Lazareth zugebracht, Hunderten der armen Verwundeten, die sich zurück zum türkischen Lager zu schleppen vermocht hatten, Hilfe bringend und die traurigen Leistungen der ihm beigeordneten Unterärzte und Chirurgen beaufsichtigend. Zum Tode erschöpft, langte er in der Locanda Alexo's an, wo Nursah, der schwarze Diener, der jeden seiner Wünsche ihm an den Augen abzulauschen schien, ihn mit bereit gehaltenen Erfrischungen erwartete.

Nur Einem hatte seltsamer Weise der Sclave sich immer bisher zu entziehen gewußt: seinen Herrn in die türkischen Bäder zu begleiten und ihn dort zu bedienen!

Der Doctor war noch mit seinem Mahle beschäftigt, das von [304] mehreren der türkischen Offiziere getheilt wurde, und lauschte den Einzelnheiten der blutigen Schlacht, als ihm von Alexo, dem Wirth, gemeldet wurde, daß ein höherer Offizier ihn zu sprechen wünsche.

Es war Graf Pisani, der ihn im selben Zimmer erwartete, in welchem er mit Apollony, dem walachischen Agenten, die für das Schicksal der Gräfin Laszlo so unheilvolle Unterredung gepflogen.

Der Arzt kannte den Grafen seit den wenigen Tagen seines Aufenthalts in Widdin nur von Ansehen. Der innere Instinct seiner ehrlichen Seele warnte ihn vor dem glänzenden Tiger und er erwartete stillschweigend die Anrede.

»Verzeihen Sie, Signor Dottore, daß ich Sie nach den vielen Anstrengungen noch in Anspruch nehme. Im Selamlik des Gouverneurs befindet sich eine kranke Dame, die Ihrer Hilfe bedarf. Sie ist durch Schreck und Furcht in große Nervenaufregung versetzt und es wird nöthig sein, ihr ärztlichen Beistand zu leisten. Darf ich Sie um diesen bitten? Sobald es Ihnen genehm, wird mein Diener Sie dahin geleiten.«

Der Arzt verbeugte sich.

»Ich werde in einer halben Stunde bereit sein.«

»Ich habe bei dem Besuch eine Bitte an Sie, Doctor,« bemerkte der Graf. »Man wird Sie nach mir fragen und Sie wahrscheinlich mit einer Botschaft an mich beauftragen. Ich bitte Sie nun, der Dame gegenüber zu thun, als sei ich Ihnen gänzlich unbekannt. Es versteht sich von selbst, daß ich Ihre ärztliche Mühwaltung honoriren werde.«

Die ruhigen ernsten Augen des deutschen Mannes hatten sich finster gefaltet.

»Ich biete gern meine Hilfe, Herr Graf,« sagte er gemessen, »wo sie verlangt wird. Zu Intriguen und Lügen bin ich unfähig.«

Der Oberst lächelte verächtlich.

»Wir mißverstehen uns, Signor Dottore. Ihre Person und Ihre Vergangenheit sind mir nicht unbekannt, und ich habe das Recht. Sie zu dem kleinen Dienst aufzufordern, den ich von Ihnen verlange. Sehen Sie dies!« Die Hand, die er in die Brustöffnung seiner Uniform gesteckt, zeigte dem Arzt einen kleinen Gegenstand.

Der Doctor fuhr unwillkürlich zurück.

»Immer dies unselige Zeichen!« sagte er schmerzlich und [305] unwillig. »Wohin ich mich auch wende, überall verfolgt es mich. Doch, was Sie auch denken mögen, Herr Graf, ich bin es müde, meine Ehre und mein Gewissen unter einem Zwange zu beugen, den mir eine Thorheit der Jugend auferlegt hat.«

»Sie verweigern den Gehorsam?«

»Ich weigere mich, eine Lüge zu sagen. Alles, was mir Ehre und Pflicht gestatten, bin ich bereit, zu thun.«

Der Graf, der offenbar noch andere Aufträge beabsichtigt hatte, bedachte sich einige Augenblicke.

»Ihre Weigerung, die Sie natürlich zu vertreten haben, kann in meinen Absichten nur wenig ändern. Es bleibt dabei, daß Sie sich zu der Kranken begeben, die eine in die türkische Gefangenschaft gerathene Dame von jenseits der Donau ist. Ich will Ihnen nicht weiter wehren, ihr zu sagen, daß Graf Pisani Ihnen bekannt und hier am Orte ist, aber ich habe das Recht, Sie zu ersuchen, daß Sie jedes nähere Eingehen auf meine Verhältnisse und etwaige Aufträge ablehnen.«

Der Arzt verbeugte sich schweigend.

»Die Dame,« fuhr der Graf fort, »mag ihre Wünsche mir auf andere Weise zugehen lassen; ich habe selbst nichts dawider, daß Sie ihr meine Adresse geben. In einer halben Stunde wird mein Diener Sie auf dem Tschardak der Locanda erwarten. Adieu, Signor Dottore.« – – –

Der Morgen sog die frischen Nebeldüfte von der wallenden wogenden Fläche des Stromes. Zu den Füßen der Gräfin Helene kniete Marutza, die walachische Dienerin.

»Deine Befehle sind erfüllt, o Excellenza, meine süße Herrin,« berichtete das Mädchen in schlechtem Italienisch, »aber mein Herz ist schwer geworden bei Bestellung der Botschaft und meine Wange bleich. – Hast Du von dem Wudkoklak gehört, o schöne Herrin?« flüsterte sie scheu.

»Ich verstehe Dich nicht, Kind. Wird Graf Pisani mir Hilfe leisten in dieser eigenthümlichen Noth? wird er kommen? Sprich – gieb mir Antwort.«

»Er wird nicht säumen, Herrin,« sagte ängstlich das Mädchen; »wann hätte der Wudkoklak je gezögert, wenn es galt, auf seine Beute zu stürzen? Weißt Du auch, wem ich Dein Blatt gebracht?«

»Dem Oberst Pisani, jetzt in türkischen Diensten, einem alten Freunde von mir. Er allein kann mich retten.«

[306] »Was kümmert mich sein Name in der Welt! Er ist ein Wudkoklak – ich sah es an dem Faltenmaal auf seiner Stirn, an seiner Leichenfarbe und dem höhnischen Zug um seinen Mund!«

»Ich verstehe Dich nicht – wer ist Dein Wudkoklak?«

Das Mädchen blickte sie scheu an:

»Das ist der Vampyr, der als Mensch unter den Lebendigen wandelt und die junge Braut sucht, die er zum ewigen Verderben umstricken und deren Blut er aus den blauen Adern trinken muß.«

Die Gräfin schauderte.

»Du bist ein thörichtes Kind und hängst an dem Aberglauben Deines Volkes!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Oberst saß an ihrer Seite, seine Stirn bewölkt, während ihr angstvoller Blick an seinem Antlitz hing.

»Um Gotteswillen, Sie können mich doch nicht in der Gewalt dieser Menschen lassen? Nehmen Sie die Hilfe der österreichischen Behörden in Anspruch!«

Der Sarde lächelte verächtlich.

»Bei dem langsamen Wege der diplomatischen Reclame würden Sie dann längst verloren sein. Die Sache ist schwieriger, als Sie denken, theure Freundin. Die Stellung der europäischen Offiziere unter diesen halbasiatischen Horden ist eine ganz andere, als wir sie gedacht haben, unser Einfluß durch das Mißtrauen gegen alle Christen äußerst gering. Dazu ist Sami-Pascha unbeschränkter Gebieter in Widdin und von der Armee ganz unabhängig. Der alte Schuft ist ein eingefleischter Türke und hat nach den Sitten der Moslems ein unbestrittenes Anrecht auf Ihre Person. Er hat Sie als Kriegsgefangene gekauft. Es ist ein Unglück, daß es den schurkischen Ueberläufern eingefallen, Sie wahrscheinlich in der Hoffnung eines reichen Lohnes oder Lösegeldes mitzuschleppen, und ein noch größeres, daß ich nicht Kunde davon erhielt, ehe der schändliche Handel geschlossen war.«

»Aber so bieten Sie ihm das Zehn-, das Zwanzigfache dieser Summe!«

»Das ist längst geschehen, doch der alte Lüstling weigert sich, die – ich muß es aussprechen, so hart das Wort klingt – die Christensclavin zu verkaufen. Es ist eine besondere Gunst und nur seiner Furcht vor meiner Person oder seinem Trotze auf sein Recht nach dem muselmännischen Gesetz zuzuschreiben, daß er mir den [307] Zutritt zu Ihnen bewilligt hat. Selbst der Arzt, der, wie ich höre, zu Ihnen gerufen wurde, mußte geloben, tobt und raub zu sein für Alles, was er innerhalb der Wände seines Haremlik erfährt.«

Die Gräfin rang verzweifelnd die Hände.

»In welche Schmach, in welches Entsetzen habe ich mich verstrickt! Ihr Rath, Oberst, führte mich nach Krajowa und zu der schimpflichen Stellung, die mein Unglück geworden. An Ihnen ist es, mich zu retten.«

»Und ich will es,« sagte ernst der Mann an ihrer Seite. »Aber hören Sie mich, Helene, hören Sie meine Betheuerung. Nicht die Selbstsucht eines Mannes, dessen Ergebenheit und Huldigung wohl Anspruch auf Ihre Gerechtigkeit hat, – die bittere Nothwendigkeit allein zwingt mich, Ihnen das einzige Mittel zur raschen Befreiung vorzulegen. Ich muß irgend ein persönliches Recht haben, Ihre sofortige Auslieferung von dem Pascha zu fordern. Ich muß ein Recht haben, sei es auch nur scheinbar, auf das gestützt ich nöthigenfalls die Offiziere und Führer des Heeres zu meinem Beistande gegen die Willkür Sami's aufrufen kann! O, mißverstehen Sie mich nicht, Helene, – Ihre Rettung allein legt mir das Wort in den Mund.«

Die Gräfin war noch bleicher geworden, als die Angst sie gemacht, all' ihr Blut schien zum Herzen zurückgetreten, an das sie die kleine Hand preßte, – der erste giftige Odemzug des Wudkoklaks erstarrte sie.

»Wie meinen Sie dies, Graf?«

»Hören Sie mich an, Helene! Sie wissen, daß ich Sie liebe, auch ohne daß ich wie ein thörichter Knabe zu Ihren Füßen gelegen. Ich bin ein Mann und Soldat und werbe wie ein solcher um das Weib meines Herzens. Daß der Besitz Ihrer Hand das Ziel meiner höchsten Wünsche ist, fühlten Sie längst, wenn ich auch vermieden habe, diese Wünsche Ihnen geradezu auszusprechen, denn ich weiß, daß Sie Nichts für mich empfinden und nur den Freund, den Mann von gleicher politischer Gesinnung, den Vertheidiger Ihres tapfern und unglücklichen Volkes in mir sehen, der gegen die Fesseln der Tyrannei und für den erhabenen Gedanken der Freiheit kämpft, für die Sie in diesem Augenblick unwürdig leiden. Ich bin zu stolz, um von Ihrer Verlegenheit einen Nutzen zu ziehen für das Erreichen meiner Wünsche, – aber es ist nothwendig, unbedingt nothwendig zu Ihrer Befreiung, daß Sie eine [308] kurze Zeit für meine erklärte Braut gelten. Dies allein giebt mir ein Anrecht auf Ihre Person, und kein Offizier wird sich weigern, Sie, wenn es sein muß, mit Gewalt dem Pascha abzuzwingen.«

Ihre zarten Hände bedeckten das Gesicht, – sie schluchzte, – nur das Weib war von der kühnen stolzen Patriotin geblieben.

»Ich weiß,« fuhr der Graf mit schmerzlichem Tone fort, »wie schwer auch nur dieser Gedanke auf Ihnen lastet, und daß das Bild eines Glücklicheren denn ich – das Bild eines Despotensöldners in dem Herzen wohnt, das doch für die Befreiung seiner Nation schlägt. Aber hören Sie wohl, Gräfin, ich gebe Ihnen hiermit das Ehrenwort eines Edelmannes und eines Offiziers, daß die Erklärung, die Sie zu meiner Braut macht, nie gegen Sie benutzt werden soll, es sei denn,« – er hielt einige Augenblicke inne – »Sie wünschten und verlangten selbst deren Erfüllung.«

Die Gräfin sah das spöttische Lächeln des Triumphes nicht, das sein männlich schönes Gesicht verzog. Seine schwarzen Augen ruhten mit jener magnetischen Gewalt der Schlange auf ihr, die das Opfer in ihre Kreise bannt. Ein unerklärliches Gefühl drückender Angst lastete trotz des Versprechens schwer auf ihrem Herzen; dennoch empfand sie, daß sie den Vorschlag annehmen müsse, daß er der einzige Ausweg sei aus der schrecklichen Lage.

»Ich thue Ihnen weh, mein Freund,« sagte sie abgewandt und reichte ihm die Hand, »und dennoch – ich kann jetzt nicht über Ihre Bewerbung entscheiden, ich muß Ihr Wort als Unterpfand meiner freien Entschließung annehmen.«

»Sie willigen ein?«

»Wenn ich vor mir selbst frei bleibe – ja!«

Der Graf küßte ihre Hand. Dann entfernte er sich für eine kurze Zeit, während der die junge Frau, mit den bangen Ahnungen ihres Herzens kämpfend, das Antlitz in den Kissen des Divans verbarg. Pisani kehrte mit Schreibgeräth zurück und legte ein Blatt Papier vor die Gräfin.

»Es ist nöthig, gnädige Frau, daß Sie einige Worte zur Bestätigung meines Rechtes niederschreiben. Mit ihnen in der Hand werde ich sofort die nöthigen Schritte thun.«

Ihre Hand zitterte, als sie die Feder ergriff.

»Was muß ich schreiben?«

»Erlauben Sie mir, Ihnen die kurzen Worte zu diktiren, Sie sind zu aufgeregt, um selbst das Zuviel und Zuwenig zu vermeiden.«

[309] Er sagte sie ihr in französischer Sprache und ihre Finger schrieben sie langsam nieder, während aus den schönen Augen ein Tropfen auf das Papier fiel. Die Worte lauteten:


»Helene Gräfin von Laszlo überträgt dem Obersten Grafen Antonio Pisani, als ihrem Verlobten, den Schutz und das Recht an ihrer Person und an ihrem Eigenthum.«


»Die letztere Bestimmung ist nöthig,« sagte der Oberst nachlässig, »um der Habsucht Sami-Pascha's Schranken zu setzen.«

Die Gräfin hatte der Worte kaum geachtet. Sie unterzeichnete und reichte dem Sarden das Blatt. Als er es berührte, zuckte es wie ein electrischer Strahl kalt und schneidend durch ihre Nerven.

»Ich habe Ihr Wort?«

»Wie weh thun Sie mir, Helene, mit diesem Rückhalt! Morgen spätestens werden Sie frei sein!«

Er beugte das Knie vor ihr und küßte zärtlich ihre Hand, die sie ihm schauernd überließ. Dann erhob er sich und verließ sie. Fest trat sein Fuß auf, trotzig hob sich der Kopf und die dunklen Augen funkelten in der Gewißheit des Sieges, als er die Thür der Gemächer und den Eunuch-Khawaß, der an ihr Wache hielt, hinter sich gelassen. Er bemerkte kaum die Dienerin, die aufgeregt, scheu an ihm vorüber schlüpfte und zu der Herrin eilte.

Das Mädchen war in seltsamer Aufregung, seine schönen blauen Augen glänzten diesmal freudig, als es in die Wohnung des türkischen Despoten zurückkehrte, dessen Machtspruch sie den Ihren entrissen. Die Gräfin, zu deren Dienst man sie bestellt, hatte die abergläubische Warnerin am Mittag auf einige Stunden fortgeschickt, als sie Graf Pisani erwartete, und Marutza kehrte jetzt von dem Hause ihres Vaters zurück, wohin sie, diese Zeit benutzend, geeilt war.

Die junge Bulgarin warf sich am Ruhebett der Dame nieder, für die, obschon kaum vierundzwanzig Stunden verflossen waren, seit sie sich in ihrer Nähe befand, doch bereits ihr ganzes Herz mit jener zähen Ergebenheit schlug, die eine eigenthümliche Tugend dieses Volkes ist.

»Weine nicht, schöne Herrin,« flüsterte sie schmeichelnd, »der Unheimliche ist fort und ich bringe frische Hoffnung. Du sollst frei werden, noch ehe die Sonne wieder die Minarets von Widdin bescheint.«

[310] Die Gräfin preßte die Hand der jungen Trösterin.

»Ich weiß es, aber Du weißt nicht, welches Opfer es mich kostet. Er hat versprochen und hält sein Wort.«

»Er! – Wen meinst Du, Herrin?«

»Nun, Graf Pisani, der mich eben verließ.«

»Den Sohn der Hölle? – Unglückliche Herrin – er Dich retten? Er ist der Wudkoklak und Alles, was er thut, wird Dich nur in den Abgrund ziehen. O, sieh her! – kennst Du dieses Tuch?«

Sie reichte der Gräfin ein feines Kantentuch, das diese forschend und ängstlich prüfte. Es trug ihren Namenszug mit dem Wappen darüber in eleganter Stickerei.

»Mädchen, um der Heiligen willen – woher hast Du dies Tuch? Es ist das meine, und dennoch brachte ich es nicht hierher?«

»Erinnerst Du Dich an die große Sultansstadt an der Donau, von der die Schiffe mit dem Rauch hier vorbeifahren?«

»Wien?«

»Ja, so heißt sie. Es ist ein großer Garten darin. Doch habe ich den Namen in der Eile vergessen.«

»Der Prater?«

»Es mag sein. Ich soll Dich fragen, ob Du des Tages gedenkst, an welchem in diesem Garten Deine Pferde mit dem Wagen durchgingen, und des Mannes, der damals mit Dir war und von Dir schied?«

»Marutza!« – die Hand der Gräfin preßte krampfhaft den Arm der jungen Bulgarin. »Mädchen – weiter – weiter!«

»Er nahm dies Tuch damals mit sich als Andenken und trug es in den Schlachten seines Volkes. Er ist kein Moslem, obschon er die Kleidung der Mörder trägt.«

»Er ist hier?«

»Vor einer Stunde gab mir der Fremde das Tuch. Er ist ein Freund Michael Miloje's, meines Bräutigams. Er sagt, er müsse Dich sprechen um jeden Preis, und wenn Dir hier Gefahr drohe, werde er nicht weichen, bis er Dich gerettet.«

Die Gräfin rang die Hände.

»Der Wahnsinnige, in welche Gefahr hat er sich gestürzt! Und ich – in demselben Augenblick meine Ehre, mein Leben in die Hand eines Andern gegeben, in die Hand seines Feindes!«

»Ich warnte Dich vor dem Wudkoklak!«

[311] Ihre Blicke fielen auf das Schreibzeug, das der Oberst zurückgelassen, und sie stürzte wie auf einen rettenden Ausweg darauf zu.

»Kannst Du zu ihm gelangen?«

»Ich soll ihn in der Locanda Alexo's des Wirthes erwarten, wenn der Abend kommt; in einer Stunde ist die Zeit da.«

Die Gräfin schrieb eilig einige Zeilen auf eines der Blätter, die zurückgeblieben waren.

»Aber wird Dein häufiges Gehen und Kommen nicht Verdacht erregen?«

Marutza lachte schlau.

»Ich habe dem Schwarzen, der dieses Hane bewacht, eine Flasche vom Feuertrank meines Vaters mitgebracht und ihm das Goldstück gegeben, das ich von dem Fremden erhielt. Das Eine verschließt seinen Mund, das Andere trübt seine Augen! Marutza kann frei aus- und eingehen, nur Du, Herrin, bist die Gefangene!«

Die Gräfin hatte geendet. Sie faltete das Blatt zusammen und gab es an die Bulgarin, die es in den Busen steckte, ihr Kleid küßte und eilig verschwand.

Welche Gebete, welche Gedanken Helenens begleiteten sie! –

– – –

Am Vormittag desselben Tages hatten zwei Männer in der phantastischen und willkürlichen Tracht der Baschi-Bozuks, – wie die Binden um Arm und Kopf zeigten, Beide nicht ohne leichte Wunden in der Schlacht davon gekommen, – durch das nördliche Thor, das nach Negotin und dem Timok führt, dem serbischen Gränzfluß, die Stadt betreten. Bei dem fortwährenden Umhertreiben zahlloser Nachzügler und dem Leben und Drängen, das überall herrschte, konnte ihre Erscheinung Niemand auffallen, obschon ein schärferer Beobachter leicht bemerkt haben würde, daß dem Einen wenigstens das unnachahmliche Phlegma des Orientalen fehlte, und sein Schritt oft hastig den straffen militairischen Gang zeigte, während sein Auge scheu und aufmerksam umherschweifte. Er trug den linken Arm in einer alten Turbanbinde, seine Wange aber zeigte die kaum geschlossene Wunde eines leichten Hiebes.

Ohne viele Worte zu wechseln, schritten Beide durch die Stadt und auf dem Wege nach Ternowo hin, bis sie zum Hane des Bulgaren Gawra kamen. Der grüne Zweig vor der Thür war jetzt entfernt und der Wirth saß mißmüthig auf der Schwelle seines [312] Hofes unter den Pferde- und Ochsenschädeln und rauchte den Schibuck.

»Dobar stschast,« 2 grüßte der Jüngere der beiden Bozuks in seiner eigenen Sprache den Wirth. Dieser schaute erstaunt deshalb auf, denn er war solcher Höflichkeit von einem Moslem eben nicht gewöhnt.

»Da bog dai!« 3 lautete seine Antwort. »Bist Du denn ein Bulgar, junger Mann?«

»Wir Beide sind Fremde. Aber ich sehe den Zweig nicht auf Deinem Thor, o Handja. Wir wollen einkehren bei Dir und Deinen Gaourt 4 und Rakih 5 kosten.«

»Wo kommst Du her, Freund,« sagte mürrisch der Wirth, »daß Du nicht weißt, wie drinnen im Hause ein Mulassim sitzt, den ich bezahlen muß, und den Seine Hoheit der Pascha zur Aufsicht in mein Haus gelegt hat, daß ich keine Herberge mehr halte. Geht Eurer Wege, Freunde, ich bin Nichts als ein Pferdehändler und in der Ungunst des Herrn.«

Die Beiden rührten sich jedoch nicht von der Stelle.

»Bist Du Gawra, der Wirth, so wirst Du mir sagen können, wo Michael, Dein Neffe, zu finden ist?«

Der Alte schaute erschrocken auf.

»Was kümmert mich der Landstreicher. Ich bin ein treuer Unterthan des Sultans, unsers Herrn.«

Der Bozuk schlug rasch mit dem Daumen das griechische Zeichen des Kreuzes und sein listiger Blick verständigte den Bulgaren.

»Rede keine Thorheit, Handja, Du hast es mit Freunden zu thun und brauchst Dich nicht zu verstellen. Der Knees wollte mich bei Dir erwarten, und ich habe mit ihm nöthig zu sprechen.«

Die Gefühle des Wirths in Betreff seines künftigen Eidams schienen sich in den letzten achtundvierzig Stunden sehr geändert zu haben. Der Haiduck hatte ihm die Strafe, die der Pascha ihm auferlegt, reichlich ersetzt und Gawra wußte, daß er ihm sein Leben zu danken hatte. Ueberdies hielt er, durch die letzten Ereignisse [313] gewarnt, jetzt selbst für nothwendig, daß der junge Mann bei erster günstiger Gelegenheit das schöne Mädchen in die sichern Berge mit sich führe. Der Haiduck befand sich daher, trotz der drohenden Nähe seiner Feinde, in diesem Augenblick nicht weit von den Sprechenden. Gawra selbst hatte ihm die Rolle gegeben, die er spielte.

»Siehst Du den Knecht dort, welcher am Brunnen die Pferde Deiner Brüder, der Soldaten, tränkt, die sie in meine Ställe gestellt haben? – Rede mit ihm, vielleicht kann er Dir Antwort geben.«

Sein Daumen zeigte nach einem jungen Mann in dem wollenen Kittel des armen Bulgaren, ohne alles Auffallende in seiner Erscheinung, als seine kräftige Gestalt, der mit zwei andern Knechten im Hofe mit einer Anzahl türkischer Pferde beschäftigt war.

Die Baschi-Bozuks schlenderten in den Hof, wo bereits mehrere ihres Gelichters umherlungerten und der Thätigkeit der Bulgaren träge zuschauten. Sie traten wie von ungefähr zu dem Schimmel, welchen eben der junge Mann striegelte, den Gawra, der Wirth, ihnen angedeutet.

»Wallah! ein kräftiges Pferd – ich möchte es unter den Beinen haben auf einem Ritt gegen die Moskows. – Ich grüße Dich, Knees Michael Miloje.«

Die letzten Worte wurden flüsternd zu dem bulgarischen Knecht gesprochen.

»Bei den vierzig Märtyrern!« entgegnete der Bulgare, indem er sich, die Füße des Pferdes zu reiben, niederbeugte, »Du hast lange auf Dich warten lassen, und ich wäre bereits zu dem Hochgebirge zurückgekehrt, wenn mich nicht eine Otmitza hier gefesselt hielte. – Sprich, was bringst Du für Hoffnungen für die Kinder der Berge vom schwarzen Czar, unserm Vater?«

Mungo, – denn er und der Capitain, der erst nach vielen Vorstellungen vom General-Lieutenant Anrep die Zustimmung zu dem gefährlichen Wagestück der Selbstprüfung der Verhältnisse in Widdin erhalten, steckten in den Trachten der Baschi-Bozuks, – machte sich mit dem Pferde zu thun.

»Schau den Mann an, der mich begleitet, o Knees, er ist einer der vornehmen Aga's der Russen und herübergekommen, mit Dir und Deinen Brüdern zu verhandeln. Er hat außerdem ein persönliches Geschäft und möchte wissen, ob und wie eine Dame [314] von jenseits des Stromes durch Ueberläufer gestern oder vorgestern in's Lager gebracht worden ist? Wann und wo kann er Dich sprechen?«

Der Bulgare kraute sich am Kopf.

»Ich weiß Nichts von Deiner Dame, als daß meine Moma – Fluch dem Pascha! – seit zwei Tagen eine fremde Christin im Harem oder Selamlik des Gouverneurs bedienen muß. Bei den Gebeinen der Heiligen! da kommt sie selbst über die Ebene von der Stadt her. Nimm dies Pferd und führe es mit Deinem Gefährten nach dem hintersten Stall im Hof. Dort ist ein Verschlag, in den Ihr Euch begeben mögt, – ich werde in wenig Zeit bei Euch sein.«

Mungo that, wie er gesagt, und gab dem Capitain einen Wink, zu folgen, indeß Michael dem Mädchen entgegen ging.

Eine Stunde darauf saßen die beiden kühnen Späher, der Haiduck und die Moma in einer der Hütten, die dem Handja für seine Hausthiere und Vorräthe gedient, jetzt aber längst von den Türken geleert waren und besprachen sich eifrig, indem Mungo, so weit es nöthig, den Dolmetscher machte. Dem Capitain blieb kein Zweifel mehr, daß die Dame im Selamlik des Pascha's die Gräfin Laszlo war und mit Schmerz hörte er von Marutza, die eben jenes Schreiben an den sardinischen Obersten besorgt, in wessen Händen die Geliebte sich befand. Die Anwesenheit Pisani's im türkischen Feldlager machte ihm klar, wie die Gräfin zu jenen Verräthereien bewogen worden, wenn sie auf der andern Seite ihm auch wiederum die Entführung und die jetzige Gefangenschaft der Dame als Räthsel erscheinen ließ. Dennoch lebte das undeutliche Gefühl einer großen über der geliebten Frau schwebenden Gefahr in seinem Herzen, und er beschloß, womöglich den Versuch zu machen, sie zu sprechen, und wenn es ihr Wunsch, sie zu befreien.

Freilich waren die Mittel dazu sehr gering und beschränkten sich auf die Hilfe seines Begleiters, des Haiducken und etwa Alexo's, des Wirths, dessen Zuverlässigkeit erst noch geprüft werden sollte. Der junge Knees indeß erklärte das Wagestück ausführbar, und daß er zugleich die ihm verlobte Braut mit entführen und beide Frauen über die serbische Gränze bringen wolle. Der Haiduck war in Widdin geboren und kannte daher jeden Theil der Festung, in der das Konak des Pascha's liegt, auf das Genaueste. Marutza gab ihm die Nachrichten, in welchem Theil der Gebäude das Gemach [315] der Gräfin lag und es wurde beschlossen, daß sie beim Anbruch des Abends die Verbündeten nochmals aufsuchen sollte, um die weiteren Pläne zu hören.

Während Miloje mit seinem Schwiegervater Gawra das Nöthige verabredete und diesem das Versprechen abnahm, mit vier Pferden am Thor von Ternowo zu ihrem Dienst bereit zu sein, hierauf türkische Kleider anlegte und unter deren Schutz sich keck und frei in die Festung selbst wagte, wandten der Offizier und sein Gefährte sich zu der Locanda Alexo's, des Wirths, deren Umgebung stets von Offizieren und Soldaten aller Art umlagert war. Hier gelang es der Schlauheit Mungo's leicht, dem Wirth ein Zeichen zu geben und sich mit ihm zu verständigen. Durch die hintere Pforte seines Gehöfts wurden die beiden Abenteurer eingelassen und in dasselbe Gemach quartiert, in dem die Entführung der Gräfin beschlossen worden.

Der Slowake, treulos gegen alle Parteien und nur auf seinen Geldgewinn bedacht, hielt es für wichtig und nöthig, seine russischen Verbindungen wenigstens nicht durch einen unnützen Verrath preiszugeben, und es gelang ihm leicht, in Betreff der Spionage der Gräfin sich zu rechtfertigen, indem er jede Kenntniß davon leugnete. Da er die Belohnung des Obersten bereits in der Tasche hatte, war er zu jeder neuen Intrigue gegen goldene Vergütung gern bereit und schaffte willig Alles an, was man von ihm verlangte. Die Gelegenheit sollte ihm zeigen, auf welcher Seite sich ihm der meiste Vortheil bot.

Während der Capitain hierauf allein in dem Versteck zurückblieb und Mungo in der Nähe umherstrich, um Kundschaft und den Haiducken aufzusuchen, hörte der Offizier es in der von Alexo ihm angegebenen Weise an die Thür pochen und öffnete. Zu seinem Erstaunen stand ein schwarzer Knabe vor ihm, der eilig in das Gemach schlüpfte und wieder die Thür verschloß.

Die Brust des Knaben hob sich ängstlich und hastig.

»Signor,« sagte er auf italienisch, »ich habe Alles gehört, denn meine Schlafkammer ist über diesem Gemach und nur durch eine dünne Bretterdecke von ihm geschieden. Du bist ein Russe?«

»Was willst Du damit, Bursche?« fragte der Offizier und faßte rasch entschlossen den Arm des Mohren, um sich seiner zu bemächtigen.

»Laß mich; Du siehst, ich bin Dir nicht feind, sonst wäre [316] ich nicht hier. Ich komme, Dich zu warnen. – Der Wirth dieses Hauses, dem Du Dich anvertraut, ist ein Verräther an der Sache Deines Glaubens und Deines Volkes; mißtraue ihm!«

»Wer bist Du, Knabe?«

»Ich bin der Diener eines fränkischen Arztes, Signor, und Deiner Nation ergeben. Lies hier den Beweis.« Er holte aus einem seidenen Beutelchen, das an einer Schnur unter den Kleidern auf seiner Brust hing, ein Papier. »Kennst Du Signor Oelsnero in Constantinopel?«

Der Capitain las.

»Ich weiß, daß er einer der Unsrigen ist und sehe, daß ich Dir trauen darf. Aber was soll ich thun?«

»Der Wirth ist habsüchtig. Biete ihm gelbes Gold, mehr als Deine Feinde, und er wird Dir helfen. Ich wollte Dich nur warnen, ihm nicht zu viel zu trauen. Lebe wohl, Signor; Nursah wird über Dir wachen.«

Der Knabe entschlüpfte. –

In tiefem Nachdenken erwartete der Capitain die Gefährten, die der Wirth mit Marutza ihm, nachdem die Dunkelheit bereits eingetreten, zuführte. Das Mädchen übergab ihm das von der Gräfin geschriebene Blatt. Beim spärlichen Schein einer Lampe las der Capitain die folgenden von einem geängsteten Frauenherzen diktirten Worte:


»Ich weiß, daß Sie hier sind, und die Gefahr, in die Sie sich um meinetwillen gestürzt, erhöht die Schmerzen, die mein Herz zerreißen. Bei den Worten der Liebe, die Sie mir einst im Prater von Wien gesprochen, beschwöre ich Sie, verlassen Sie sogleich Widdin und das türkische Gebiet, Sie wissen nicht, welchem Feinde Sie hier begegnen könnten. Sorgen Sie nicht für mich, – ich werde morgen frei sein, – der Himmel wird mich schützen und ich sehe Sie in Krajowa wieder. Fliehen Sie, bei Ihrer und – meiner Liebe, fliehen Sie!

Helene.«


Die letzten Worte des Blattes ließen ihn alles Andere vergessen und er preßte es stürmisch an seine Lippen.

»Um keinen Preis darf sie zurückkehren! Ich muß sie selbst sehen, sprechen, und weiche nicht eher von diesem Boden. – Höre, Wirth – auf ein Wort mit Dir!« Er zog ihn in eine Ecke. »Ich weiß, Du bist ein Schurke, und thust, was Du thust, um Gold, nicht um der Sache willen! Doch höre mich! Bist Du [317] mindestens in dieser Sache mir treu und ergeben, so sollst Du einen Lohn erhalten, wie Dir schwerlich ein Verrath einbringen würde. Hier ist ein gültiger Wechsel auf Sina in Pesth, den Du durch den österreichischen Consul prüfen lassen magst. Er lautet auf fünfhundert ungarische Dukaten, und sie sollen Dir ausgezahlt werden, wenn Du mich in meinem Unternehmen unterstützest und wir ungefährdet aus Widdin kommen. Jetzt sprich, ob wir uns auf Dich verlassen können?«

Der Slowake prüfte sorgfältig den Wechsel.

»Euer Excellenz können sich auf Alexo verlassen; ich schwöre Ihnen bei der Seele meines Vaters, daß ich Alles thun werde, was möglich ist.«

»Gut, wir sind einig. Nun zu Euch. Ich will und muß die Dame sprechen, die im Konak des Gouverneurs gefangen gehalten wird, denn es droht ihr eine neue Gefahr. Habt Ihr irgend ein Mittel, dies im Laufe des Abends möglich zu machen?«

»Der Weg über den Festungswall bis zum Hause des Pascha's wird in einer Stunde frei sein,« sagte der Haiduck. »Ich kenne einen alten Winkel, durch den man unbehindert aus und ein gelangen kann.«

»Aber die Wachen?«

»Es steht eine einzige in der Nähe jenes Theiles des Selamlik, die uns hindern könnte; ich nehme sie auf mich.«

»Das würde für die Flucht genügen, wenn diese nöthig wird. Aber wie gelange ich zu der Gräfin selbst?«

»Wenn wir die Gewänder einer türkischen Frau hätten,« sagte Marutza, »so wüßte ich Rath.«

»Ich kann sie mit leichter Mühe anschaffen,« meinte der Wirth.

»Wohl, so thue es. Ich muß jetzt zum Selamlik zurückkehren, ehe die Thore geschlossen werden. Ich werde die Kleider in einem Packet mit mir nehmen. Der Signor Offizier folgt mir in kurzer Entfernung, es kann keinen Verdacht erregen, wenn ein Baschi-Bozuk in die äußern Höfe eintritt, es treiben sich der Männer dort fortwährend umher, bis die Thore geschlossen werden. Nur der Zutritt in das Selamlik selbst ist gefährlicher, da dort Wachen stehen, und was geschieht, muß vor der vierten Stunde (9 Uhr) geschehen, denn nach dieser Zeit kann Niemand das Selamlik verlassen oder in den Höfen verkehren, ohne von den Wachen angehalten zu werden. Ich werde vor dem Capitano hergehen bis zu [318] einem dunklen Winkel, wo er sich ruhig lagern mag. Wenn ich sehe, daß der Schwarze, unser Wächter, trunken oder unaufmerksam ist, werde ich unter einem Vorwand zurückkehren und ihn holen. In den Yaschmak und den Mantel einer türkischen Frau gehüllt, kann er mir ohne Besorgniß folgen, die trüben Augen Ali's, unsers Wächters, werden ihn nicht erkennen.«

Der Plan wurde gut befunden, und während Alexo ging, die Gewänder herbeizuschaffen, machte sich der Offizier fertig zu dem gefährlichen Wege. Mungo erhielt den Auftrag, den Wirth mit den Pferden für alle Fälle bereit sein zu lassen, und der kühne Haiduck übernahm es, den Capitain auf dem Schlupfwege wieder aus der Festung zu schaffen und nöthigenfalls die Flucht der Frauen in derselben Weise zu bewerkstelligen. Marutza trieb zur Eile und der Wirth entließ die Verbündeten auf demselben Weg, auf dem er sie in seine Locanda geschmuggelt hatte.

Das Mädchen schritt eilig voraus durch die bereits dunklen Gassen. In einer Entfernung von etwa 20 Schritt folgte ihr der Capitain, in den zerlumpten kurdischen Mantel des Bozuks gehüllt. Viele Menschen bewegten sich auf den Gassen; so waren sie bereits bis zu dem Damm gekommen, welcher auf das Thor der Festung zuläuft, als zwei in Mäntel gehüllte Männer, die ihnen entgegenkamen, auf das Mädchen im Vorübergehen aufmerksam geworden schienen. Der Eine, ein Offizier, blieb stehen und sah Marutza nach, und so kam es, daß er durch eine rasche Bewegung mit dem falschen Baschi-Bozuk zusammenstieß und diesem für einige Augenblicke der Mantelzipfel vom Gesicht fiel. Einen Moment lang starrten beide Männer sich an, der Capitain erkannte sogleich den Grafen Pisani in seinem Gegner, dieser jedoch schien durch das matte Sternenlicht, was allein den Platz erhellte, getäuscht zu sein, und wenn ihm in dieser Nähe auch das Gesicht bekannt vorkam, doch im Augenblick nicht zu wissen, wo er es hin thun solle. Der Russe hatte Geistesgegenwart genug, um sich nicht zu verrathen, und den Mantel rasch wieder um sich ziehend sprach er den gewöhnlichen türkischen Gruß und ging weiter.

Der Sardinier blieb nochmals einige Augenblicke stehen und schaute den Beiden nach.

»War es mir doch, als müßte ich den türkischen Lümmel kennen,« sagte er zu seinem Begleiter, dem Banditen und jetzigen Diener Sta Lucia. »Sieh, ich glaube gar, er folgt dem Mädchen [319] in den Konak und – Demonio! – sie macht ihm ein Zeichen!« Er lachte laut auf. »Die bulgarische Dirne hat sich einen verzweifelt zerlumpten Galan ausgesucht!« Er wollte eben weiter gehen, als er auf der Erde etwas Weißes blinken sah, grade an der Stelle, wo er mit dem Fremden zusammengestoßen war. Es hatte eine Briefform und, dadurch aufmerksam gemacht, hob er das Blatt auf und behielt es in der Hand, indem Beide ihren Weg fortsetzten.

Wie es so häufig geht, daß ein zufällig aufgestoßenes Gesicht uns verfolgt und sich in unsere Gedanken nistet, als könnten wir es nicht los werden, – so auch hier. Der Oberst hatte noch keine zehn Schritte gethan, so beschäftigte er sich schon wieder mit dem Bilde des Baschi-Bozuks, und selbst ungeduldig darüber und um auf etwas Anderes zu kommen, näherte er sich einem Hause, aus dessen engem Fenster ein Lichtstrahl fiel, und besah das Papier, das er in der Hand hielt. Es war ein zusammengefalteter Brief ohne Aufschrift; der erste Blick jedoch, den er auf seinen Inhalt warf, schien wie ein Blitzstrahl in seinem Geiste zu zünden. – »Corpo di bacco! wo hatte ich meine Augen? bin ich blind? – Er ist es, er muß es sein, diese Worte beweisen es, wenn ich meinen Augen nicht trauen wollte! – Der Thor wagt sich in die Höhle des Tigers und er soll es bereuen! – Sie stehen in Verbindung, und in diesem Augenblick schon ist vielleicht all' meine Mühe umsonst und der glücklich angelegte Plan ist vergebens!«

Seine Augen funkelten in Wuth und Aerger, dann machte die Leidenschaft jedoch der gewohnten kalten Ueberlegung Platz und im nächsten Moment schon zuckte ein Blick teuflischen Triumphes nach der Festung zurück. – »Bin ich ein Thor geworden,« flüsterte er für sich, »daß ich nicht gleich begriffen, welche Macht damit in meine Hand gegeben ist? – Jetzt, Gräfin Helene, bist Du mein und Dein Stolz soll gebrochen zu meinen Füßen liegen! – Lucia!«

Der Bandit, der mit Erstaunen auf das aufgeregte Benehmen seines sogenannten Gebieters geblickt, sprang herbei.

»Was giebt es, Signor Conte?«

»Geschwind zurück nach dem Thor des Konaks und lege Dich in irgend einem Winkel in Hinterhalt. Du hast den Baschi-Bozuk gesehen, der eben der bulgarischen Dirne folgte. Habe Falkenaugen, daß er nicht wieder aus dem Konak entwischt, ehe ich bei Dir bin! Der Mann trägt den linken Arm in einer Binde, als wäre er [320] verwundet, und einen hellen Turban. Kommt er, so wirf ihn zu Boden und ruf' die Wache zu Hilfe!«

Er eilte davon, nach der Locanda Alexo's zu, wo er die Offiziere wußte, den verhängnißvollen Brief in seiner Hand, den Brief, den Gräfin Helene an den Capitain geschrieben, den dieser durch einen unglücklichen Zufall bei dem Zusammenstoß mit seinem Feinde aus dem Wams verloren hatte.

Sta Lucia, der Corse, lief zum Eingange des Konaks, vor dem er sich gleich einem Cerberus lagerte, mit scharfem Blick jeden Ein- und Auspassirenden musternd. – –

Es war gegen acht Uhr Abends, – drei Uhr etwa nach der türkischen Sonnenrechnung, – als aus einem alten Cisternenwinkel des innern Festungshofes eine lange Gestalt in einem grünen Frauenmantel, den Yaschmak dicht über den Kopf gezogen, hinter der schönen Bulgarin herschlich, die Wasser am Brunnen des Hofes geholt. Aus dem um das Haus laufenden Tschardak führte eine Treppe zu dem Theile, den die Gräfin als Gefangene bewohnte, und in einer Art Vorgemach, aus dem ein Gang in das Innere des Hauses lief, kauerte der alte Mohr, dem die Bewachung der Dame anvertraut war, neben dem Kohlenbecken, an dem er abwechselnd Hände und Füße wärmte. An seiner Seite stand die längst geleerte hölzerne Flasche, die ihm Marutza am Mittag mitgebracht, und er war eben beschäftigt, sich seinen Kaffee zu bereiten. Es würde für einen kräftigen Mann ein Leichtes gewesen sein, den Alten zu überwältigen, aber der geringste Hilferuf desselben, jedes ungewöhnliche Geräusch hätte zwanzig seiner Gefährten herbeigeführt, von denen die Höfe und die meisten Theile des weitläufigen Baues belebt waren.

»Mashallah, Mädchen,« sagte der alte Khawaß, »Du bist zwar eine Christin und die Tochter einer Hündin, aber unter den Schweinen sind die Bulgaren noch die besten, und es ist freundlich von Dir, daß Du mir diese Flasche da gebracht hast. Ich wollte, es wäre nur mehr darinnen gewesen, und ich hoffe, Du wirst sie mir auf's Neue füllen.«

»Morgen, Ali, wenn ich zur Hane gehe, ich verspreche es Dir. Doch nun halte uns nicht auf; dies ist die Massaldschi 6 aus der Stadt, welche uns den Abend erheitern soll; Du weißt, [321] die Khanum bedarf es, denn sie weinte den ganzen Tag. Die Massaldschi wurde so lange im Harem unsers Gebieters aufgehalten und ich fand sie erst jetzt an unserer Thür.«

Der Khawaß betrachtete einen Moment die fremde Gestalt mit schläfrigen und von dem scharfen Rakih verdunkelten Augen, dann wandte er sie wieder zu seiner Beschäftigung.

»Geht hinein, Ihr Weiber, aber bedenkt, daß die Thore der Festung schon in einer Stunde geschlossen werden. Wallah! Auf Euer Haupt komme die Versäumniß.«

Die Beiden verschwanden in dem Eingang des ersten Gemachs.

Die Gräfin lehnte in dem ihren auf dem Divan, den Kopf in die Hand gestützt. Von Marutza hatte sie das glückliche Ueberbringen des Briefes erfahren, das Mädchen ihr jedoch, nach dem Wunsche des Capitains, noch Nichts von dem Wagstück verrathen, das dieser unternommen, um sie zu sehen.

Als die Thür sich öffnete, glaubte die Dame daher nur ihre Dienerin eintreten zu hören, und sagte, ohne den Kopf zu wenden:

»Setze Dich zu mir, Marutza, und erzähle mir jedes Wort, das er gesagt. Mein Herz ist schwer von Angst und ich wollte die Welt darum geben, wenn ich den Unvorsichtigen erst glücklich aus Widdin wüßte!«

»Nicht ohne Sie, Helene!« sagte eine männliche Stimme neben ihr.

Erschrocken fuhr sie empor und sah die fremde Gestalt an ihrer Seite; Feredschi und Yaschmak fielen zwar zu Boden, aber bestürzt fuhr die Gräfin trotz der bekannten Laute zurück, als sie einen Baschi-Bozuk in seiner wilden seltsamen Tracht vor ihr auf das Knie geworfen und ihre Hand ergreifen sah; ein zweiter Blick zeigte ihr jedoch die Züge des russischen Capitains und der Angstschrei erstickte in ihrer Kehle.

»Um aller Heiligen willen, Sie hier? o, fliehen Sie, Sie bringen uns Beide in's Verderben!«

»Ich bin hier, Sie dem zu entreißen. O, hätten Sie meiner Warnung Gehör gegeben in Wien und sich von jenem Thun freigehalten, das außer der Sphäre des Weibes bleiben soll! Ich mußte Sie sprechen, Gräfin Helene, um Ihnen zu sagen, daß die wahren Zwecke Ihres Verweilens auf Ihrem Gute bekannt sind, daß einer Ihrer Boten aus dem türkischen Lager aufgefangen worden ist. Der kommandirende General hatte in derselben Nacht den [322] Befehl gegeben, Sie zu verhaften, an deren Morgen Sie von den Dorobandschen entführt wurden. Mein Bote, der Sie warnen sollte vor der drohenden Gefahr, traf leider zu spät ein.«

Die Gräfin sah ihm voll in's Gesicht.

»Und Capitain Meyendorf hat wirklich dies gewagt für Eine, die er so schwer verletzte, für die Feindin seines kaiserlichen Idols?«

Er preßte ihre Hände in den seinen.

»Was wog jener Schmerz, den Sie mir bereiteten, jener Sieg meines Nebenbuhlers gegen Ihre Rettung? was galt die Republikanerin gegen das Weib meines Herzens? – Als ich nach der blutigen Schlacht das Unglück vernahm, das Sie betroffen, da zog es mich wie mit tausend Banden Ihnen nach, und ich mußte wissen, welche Gefahr Sie hier bedrohte.«

»Aber bedenken Sie auch, daß man Sie erkennen und gefangen nehmen kann!«

Der Baron schaute sie ruhig und fest an.

»Werde ich hier ergriffen,« sagte er ernst, »und bei Gott! es war vor kaum einer halben Stunde nahe daran, so werde ich ohne Weiteres als Spion erschossen, und nicht allein mein Leben, auch meine Ehre ist vernichtet.«

»Für mich! für mich!« jammerte die junge Frau; »o, fliehen Sie, ich beschwöre Sie bei unserer Liebe!«

Sein Auge glänzte entzückt, als er stürmisch ihre Hände an sein Herz drückte.

»Dies Wort allein, Helene, bezahlt tausendfach alle Gefahren. Wie habe ich von diesem Augenblick geträumt unter den Donnern der Schlachten und auf dem ruhelosen Lager, und ich sollte ihn kürzen in jämmerlicher Furcht für meine Sicherheit? O, Helene, wiederholen Sie mir das Wort, daß unsere Liebe Sie besorgt macht, daß Ihr Herz, Ihr reiches, schönes Herz wirklich das meine ist! Darf ich's wagen, darf ich's glauben?«

Sie strich ihm lächelnd die braunen Haare aus der Stirn.

»Zweifelten Sie wirklich noch daran nach unserer Fahrt im Prater zu Wien? O, wie weh Sie mir damals thaten durch Ihr hartes unverdientes Scheiden!«

»Aber Pisani – ich hörte zufällig, wie Sie ihm versprachen, zu kommen ...«

»Zur Baronin Czezani. Was ist mir der Oberst anders als ein Mann, mit dem mich politische Meinung verband! Ich habe [323] in diesen Tagen, den schwersten meines Lebens, einsehen lernen, wie thöricht ich gehandelt, wie recht Sie haben, und in welch' schmähliche Stellung mich dieser politische Wahnsinn verlockt hat. Ich werfe ihn von mir, das schnöde unwürdige Männerwerk, und will einzig und allein dem Frauenherzen seine Rechte gönnen. Morgen bin ich frei – zum letzten Male will ich mich des Beistandes dieses Mannes bedienen; – ich eile nach Wien und verlasse das Haus meines Oheims nicht mehr, bis dieser unglückselige Krieg beendet ist und ...«

»O, vollenden Sie!«

»Bis Capitain Meyendorf seine Braut fordert.«

Er drückte sie an das entzückte Herz. Tausend Schwüre der Liebe quollen über seine Lippen, welche die ihren suchten und fanden –

Da schnitt der scharfe Knall von Pistolen dazwischen, wildes Geschrei, Waffenklingen, Tumult in den Höfen, das Lärmen und Rufen vieler Menschen: »Haltet den Dschaur! Nieder mit dem Spion!«

Ein Flintenschuß fiel dicht unter dem Fenster, der gelle Aufschrei eines Getroffenen folgte, dann schien eine wilde Hetze durch die Höfe zu beginnen – –

Aus dem ersten Gemach stürzte Marutza herein.

»Heilige Mutter Gottes! sie sind hinter Miloje d'rein – Alles ist verrathen, die Höfe sind voll Soldaten!«

Die Unvorsichtige hatte aus dem Fenster mit dem Haiducken gesprochen, der verkleidet im Hofe umherschlich und das verabredete Zeichen gegeben.

Man hörte, wie der Strom der Verfolger hinter Miloje sich entfernte, den man wahrscheinlich für das edlere Wild hielt.

Im Augenblick hatte die Ungarin alle Energie ihrer Seele wiedergefunden. Schnell hüllte sie selbst den Geliebten in Mantel und Schleier.

»Rasch, rasch, Marutza! fort mit ihm im Schutz dieser Verwirrung, ehe es zu spät ist. In Wien sehen wir uns wieder!«

Ein Druck der Hand, und die Frauen drängten ihn aus dem Gemach; Marutza folgte ihm.

Ali, der Khawaß, hatte sich bei dem Lärmen erhoben und stand an dem Ausgang zur Treppe.

»Mashallah! was wollt Ihr Weiber hier? Geht zurück, das ist keine Sache für Euch!«

[324] Schritte eilten den Gang daher, der aus dem Innern der Gebäude zur Treppe führte. Es galt einem raschen Entschluß. Mit kräftiger Hand hatte in Gedankenschnelle der Capitain den alten Mohren gefaßt und schleuderte ihn zurück in den Winkel, dann sprang er die kurze Treppe zum Tschardak hinunter und aus diesem in den Hof, von Marutza gefolgt. Schleier und Mantel blieben in der Hand des Mohren, der ernüchtert den ihm gespielten Betrug erkannte und hinter ihnen d'rein brüllte. Das Rufen vieler Stimmen belehrte sie, daß im nächsten Augenblick die Verfolger auf ihren Fersen sein würden, und die Ueberlegung eines Moments bewies ihnen, daß eine Flucht durch das bewachte Thor in diesem Augenblick unmöglich sei.

Kaum wissend, was sie that, zog die junge Bulgarin den Offizier, dessen Rechte ein gespanntes Revolver-Pistol hielt, mit sich fort. Der Hof war im Augenblick menschenleer, weil Alles auf den Haiducken Jagd machte. So gelang es ihnen, unbemerkt in den Schatten der Wälle und zu dem halb verfallenen Brunnen zu kommen, in dessen Winkeln Marutza vorhin den Capitain verborgen hatte.

Beider Brust hob sich keuchend – sie konnten deutlich die neuen Verfolger sehen, die – Ali an der Spitze – jetzt aus dem Tschardak drangen und mit Verwünschungen nach den Flüchtlingen suchten.

»Wir müssen in wenigen Augenblicken entdeckt sein,« flüsterte der Offizier und seine Hand umspannte fester den Griff des Pistols.

»Still – keinen Laut!« sagte leise eine dritte Stimme in bulgarischer Sprache dicht an ihren Ohren. Marutza erkannte sie sogleich und hielt den Arm des Capitains nieder, der sich eben gegen den unerwartet nahen Gegner wandte und auf ihn schießen wollte.

»Ruhig, Herr, es ist Miloje, unser Freund. Um der vierzig Märtyrer willen, wo kommst Du her, Michael?«

Der kühne Haiduck lachte still für sich hin.

»Die Knechte des falschen Propheten meinten mich zu fangen. Pah! als ob ich nicht jeden Stein hier besser kennte, denn sie. Bückt Euch und folgt mir, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Er kroch ihnen voran durch die Oeffnung eines Kanals, welcher den Abfluß der Cisterne leitete. Einige Schritte weit mußten sie sich auf Händen und Füßen fortbewegen, dann wurde das Gewölbe [325] höher, sie vermochten aufrecht zu stehen und der Haiduck ließ sie durch ein gehobenes eisernes Gitter passiren, das er hinter ihnen wieder senkte.

»Jetzt mögen sie kommen, sie werden die Vögel ausgeflogen finden! Die Oeffnung geht durch den Wall dicht am Hauptthor. Vorsichtig, Herr, wir haben den Graben zu durchschreiten.«

Sie kamen glücklich hinüber, und während im Konak der Aufruhr der Verfolgung und Nachforschung tobte, führte der Huiduck sie glücklich an den Wachen vorbei, durch die Lücken der Mauern und Wälle aus der Festung.

Alle athmeten leichter, als das Wagstück gelungen, während dessen nur wenige Worte gewechselt worden, da der Russe ohnehin sich mit dem Haiducken nicht verständigen konnte. Er wandte sich daher auch jetzt an das Mädchen und bat sie, den Geliebten zu fragen, wohin er sie zu führen gedächte.

»Bei der Panagia! wohin sonst, als fort aus diesem Nest in die freien Berge,« erwiederte der Sohn derselben. »Gawra oder der Zigeuner warten mit den Pferden und die Verfolger werden uns bald auf den Fersen sein, wenn sie sich müde im Konak gesucht. Ich habe meine Flinte wieder, die mir Dein Vater für schweres Gold von diesen türkischen Hunden gelöst hat, und meine Moma – was brauch' ich mehr!«

»Ich muß wenigstens vorher Alexo, den Wirth, sprechen,« sagte entschlossen der Offizier. »Er wird Mittel und Wege finden, über das Schicksal der Dame das Weitere zu erfahren und mit ihr in Verbindung zu bleiben. Schickt mir Mungo zur Hinterpforte der Locanda, er wird mich in einer halben Stunde zu Euch geleiten und ich bin dann bereit, Euch zu folgen.«

Vergebens waren die Einreden des Mädchens – der Capitain bestand auf seinem Sinn, und da die Gassen durch den Lärmen in der Festung sehr belebt geworden und man sich nicht aufhalten durfte, trennte man sich eilig und der Offizier folgte der Richtung, die Marutza ihm gewiesen, auf die Dunkelheit und seine Verkleidung vertrauend.

So bemerkte er es nicht, wie aus dem Schatten der Gebäude ein Mann, der die Flüchtlinge schon bei ihrem Erscheinen beobachtet, ihm folgte, Sta Lucia, der Bandit. Glücklich gelangte er an die hintere Pforte der Locanda, deren Tschardak und Zimmer mit Menschen besetzt war, und, da ihm jetzt die Gelegenheit bekannt, bis [326] zu dem kleinen Gemach, das ihm vorher zum Versteck gedient hatte, indem er hoffte, von hier aus leicht dem Wirth ein Zeichen seiner Anwesenheit geben zu können. Kaum jedoch war er eingetreten, als ein lautes höhnisches Gelächter, das Schließen der Thür und das Vorschieben eines Riegels ihn belehrte, daß er verrathen und in die Hände seiner Feinde gefallen sei. –

Graf Pisani, nachdem er die Anwesenheit des russischen Offiziers in der Festung entdeckt und leicht den Zweck derselben errathen hatte, eilte, die Gelegenheit zu benutzen, sich von dem gefährlichen Nebenbuhler zu befreien, ohne als der Urheber zu erscheinen. Eine Mittheilung an Iskender-Bey genügte, um sofort die Verfolger in Bewegung zu setzen, und der Sarde ließ alle Anstalten der Art treffen, daß der russische Offizier bei seinem Verlassen des Selamliks ergriffen wer den mußte. Der Oberst wollte absichtlich vermeiden, selbst handelnd aufzutreten, und sein scharfer Verstand hatte ihm bereits die Art und Weise gezeigt, wie er diese Gelegenheit zur Erreichung seines Hauptzwecks ausbeuten könne.

Wir haben bereits gesehen, wie die ausgestellten Wachen Michael Miloje, den Haiducken, der sich in das Konak geschlichen, für den Capitain nahmen und ihn verfolgten. Dennoch, trotz dieses glücklichen Zwischenfalls, sollte der Offizier der Gefangennahme nicht entgehen, denn Sta Lucia, der sich in der Nähe des Thores umhertrieb, entdeckte die Flüchtlinge, und wir haben erzählt, auf welche Weise es ihm gelang, den Capitain gefangen zu nehmen.

Verdrießlich und mit Vorwürfen von Sami-Pascha überhäuft, den der Tumult in der Ruhe seines Haremliks gestört, waren die Offiziere nach langem Suchen zur Locanda des Slowaken zurückgekehrt, fanden aber hier einen Gefangenen vor, denn die türkischen Wachen, aus ihrer Schläfrigkeit erweckt, hatten Mungo, den Spion, ergriffen, als er um die Locanda schlich und seinen Herrn zu treffen suchte, und Hidaët-Aga war bereits in einem scharfen Verhör mit ihm begriffen. Der Bursche schwieg jedoch trotzig und Iskender-Bey befahl, ihn, an Händen und Füßen gebunden, in einen Winkel des Tschardaks zu werfen und dort scharf zu bewachen, bis man am andern Morgen Mittel finden werde, ihm die Zunge zu lösen. Die Gesellschaft kehrte hierauf zu der gewöhnlichen Beschäftigung des Trinkens und Spielens zurück; Graf Pisani jedoch beschloß, seine Nachforschungen bei Alexo, dem Wirth, fortzusetzen, dem er in dieser Angelegenheit stark mißtraute. Er gab ihm daher einen [327] Wink, mit ihm zu gehen, und der Slowake, vor der Entdeckung seiner Doppelzüngigkeit besorgt, folgte ihm nach dem abgesonderten Gemach, das schon mehrfach zu ihrem geheimen Verkehr benutzt worden. Die Nachricht, daß der russische Capitain glücklich entkommen, hatte jedoch seine Furcht einigermaßen beseitigt, und er durfte hoffen, von allem Verdacht sich mit der gehörigen Portion dreister Lügen rein zu waschen.

Zu ihrem Erstaunen fanden sie jedoch an der Kammerthür Sta Lucia Wache halten, der es nicht gewagt, diese Stelle zu verlassen und den etwaigen Helfershelfern seines Gefangenen Gelegenheit zu bieten, diesen entfliehen zu lassen. Der Bandit fluchte gräulich, daß man ihn so lange hier allein gelassen, und erzählte dann lachend seinem Herrn, auf welche Weise er den Vogel erwischt.

Der Graf wandte sich mit finsterm Blick zu dem jetzt ernstlich vor Entdeckung zitternden Wirth.

»Verrätherischer Hund,« sagte er, »Du hast offenbar um die Anwesenheit dieses Spions gewußt, sonst wäre er nicht hierher geflüchtet. Du wolltest am Ende gar wagen, meine Pläne zu durchkreuzen, und solltest morgen hängen, wenn das Glück Dir nicht wohlgewollt und uns dennoch die Beute in die Hand geliefert hätte. Aber nimm Dich in Acht, Alexo, ich kenne Dich, und bei dem geringsten weitern Beweis, daß Du treulos bist, hängst Du!«

Der Wirth betheuerte mit hundert Eiden, daß er von Nichts wisse, daß der Gefangene da drinnen leicht möglich ein russischer Spion wäre, da der Graf ja wisse, daß er mit solchen verkehren müsse, um Nachrichten aus dem russischen Lager zu erhalten, daß er aber nicht das Geringste gegen die Absichten seines hohen Gönners unternommen; der Oberst jedoch, dies Geschwätz zur Genüge würdigend, befahl ihm, zu leuchten, und Lucia, die Thür zu öffnen, indem er sich die grausame Lust nicht versagen wollte, sich durch den eigenen Anblick zu überzeugen, daß der Gefangene sein verhaßter Nebenbuhler sei.

Der Capitain, durch den Aufenthalt bei Tageszeit in dem kleinen Zimmer belehrt, daß dieses nur den einen Ausgang habe und das starke Eisengitter des engen Fensters jeden Fluchtversuch unmöglich mache, hatte sich mit entschlossener Ruhe auf den Divan gesetzt, der an der einen Wand als Lagerstätte hinlief, und erwartete, die Arme über die Brust geschränkt, in finstern Gedanken das Kommende. Im Augenblick, da er gerade das höchste ersehnte [328] Glück genossen, das Geständniß des Weibes, das er seit vier Jahren liebte, empfangen, da ihr Besitz ihm in Aussicht stand, – gab das Schicksal ihn als Gefangenen in die Hände seiner Feinde mit der Aussicht auf einen schimpflichen Tod; denn er konnte nichts Anderes erwarten, als daß die Türken ihn als Spion behandeln würden.

Der Oberst trat mit dem Wirth, welcher die Lampe trug, in das Gemach, während Sta Lucia an der Thür blieb. Ein Blick überzeugte den Sarden, daß der Gefangene der verhaßte Feind; dennoch gab er kein Zeichen, daß er ihn erkannt.

»Dies ist der Spion, den Du gefangen?«

»Ja wohl, Signor Conte!«

»Bene! er kann morgen früh mit seinem Kameraden in Gesellschaft sterben. Bist Du Soldat, Bursche, oder treibst Du Dein Handwerk blos aus Liebhaberei?«

Der Capitain, der bei Erwähnung der Gefangennahme eines seiner Gefährten – er wußte nicht, ob Mungo's oder Michael's – zusammengefahren, blickte ihn trotzig und verächtlich an.

»Ich will zunächst wissen,« fuhr der Oberst fort, »wie Du in dieses Haus kamst und in welcher Verbindung Du mit dem alten Schurken hier stehst? Daß eine solche existirt, liegt aus Deiner Kenntniß dieses Zimmers auf der Hand. Rede, Bursche, oder ich will Dir die Zunge lösen lassen.«

Der Graf hatte italienisch gesprochen. Ein flehender Blick des Slowaken traf den Baron, als dieser voll und ruhig sein Auge auf das boshaft funkelnde des Sardiniers richtete.

»Die Wahl der Sprache, Herr Graf,« sagte er stolz, »zeigt mir, daß Sie mich kennen. Ein weiteres Verbergen wäre unwürdig Ihrer und meiner. Haben Sie die Güte, diese Leute zu entfernen, ich habe Ihnen einige Worte zu sagen.«

Graf Pisani konnte trotz seiner großen Selbstbeherrschung eine kleine Verlegenheit nicht verbergen, der ruhige Stolz des Gegners hatte seine Bosheit geschlagen.

»In diesem Augenblick glaube ich Sie erst zu erkennen und bitte um Entschuldigung für meine Worte. Hinaus mit Euch und sorge dafür, Lucia, daß dieser alte Schurke nicht horcht.«

Die beiden untergeordneten Personen entfernten sich aus dem Gemach und ließen den Grafen und den Capitain allein. Die Gegner standen sich jetzt Aug' in Auge gegenüber.

[329] »Herr von Meyendorf, Capitain in der russischen Armee? wenn mich mein Gedächtniß und die flüchtige Bekanntschaft in Wien trotz dieser Kleidung nicht trügt.« Er wies spöttisch auf das Costüm.

Der Russe verbeugte sich schweigend.

»Ich bedaure als Offizier aufrichtig, daß Sie sich zu dieser Rolle hergegeben haben, um so mehr, als es außer meiner Macht ist, Sie den Ihnen bekannten Folgen derselben zu entziehen. Ich stehe in türkischen Diensten und der Muschir hat die strengsten Befehle in Betreff der Entdeckung von Spionagen gegeben.«

Die bleiche Lippe des Russen zuckte bei dem beleidigenden Wort.

»Ich habe noch mit keiner Sylbe verlangt, Herr Oberst, daß Sie zu meinen Gunsten Ihrer Pflicht untreu werden sollen und würde das Geschenk der Freiheit aus Ihrer Hand auch schwerlich annehmen. Ohne mein Thun Ihnen gegenüber rechtfertigen zu wollen, sage ich Ihnen nur, daß der Grund, der mich hierher gebracht, die Entführung einer uns Beiden bekannten Dame aus den russischen Linien durch Ueberläufer war, – der Gräfin Laszlo.«

»Meiner Braut,« sagte nachlässig der Graf. »Ich weiß davon, denn ich selbst habe die Entführung veranlaßt.«

»Wie, Sie selbst wären der Urheber jenes Bubenstücks? Sie wagen es, die Dame Ihre Braut zu nennen?« – Das Blut quoll dem Offizier zu Kopf und Herzen, seine Augen blitzten.

»Mäßigen Sie sich, mein Herr,« sagte stolz der Oberst, »und bedenken Sie, daß Sie hier als – Spion gefangen sind, und ich Ihnen keine Rechenschaft zu geben habe. Um meiner Selbst willen, und da ich glaube, daß auch Sie zu den Bewerbern um der Gräfin Herz gehörten, werde ich Ihnen meine Worte beweisen. Sie erinnern sich vielleicht der Handschrift der Gräfin Laszlo?«

Der Capitain wurde roth, er zuckte unwillkürlich mit der Hand nach der Tasche, in der er den Brief der Geliebten noch verborgen wähnte. – »Ich hoffe, Herr Graf!«

Pisani hatte ruhig aus seiner Brieftasche das Versprechen der Betrogenen genommen und hielt es dem Capitain hin.

»Lesen Sie.«

Vor seinen Augen schwammen die verhängnißvollen Worte in einander, alles Blut schien in sein Herz zusammen zu strömen.

»Wiederum getäuscht von ihr! Fahre hin, Glauben und Glück!« – Er murmelte es zwischen den Lippen und warf sich auf den Divan zurück.

[330] »Sie sehen, Herr Capitain,« sagte mit leichtem Hohn der Graf, »daß ich ein Recht hatte, die Dame aus einer Umgebung holen zu lassen, die meinen Absichten nicht convenirte. Die etwas rauhe Art ist Schuld der Verhältnisse. Ich begreife übrigens wirklich nicht, Herr Baron, mit welchem Recht Sie sich heute Abend in die Nähe meiner Braut gedrängt haben, wie ich nach den mir zugegangenen Berichten glauben muß.«

»Ich kam hierher,« entgegnete hastig der Capitain, »um die Gräfin vor jedem Wiederbetreten des russischen Gebiets zu warnen; man hatte am Tage vor ihrer Entführung die Zwecke ihres Aufenthalts entdeckt und ihren Boten aus Widdin aufgefangen. Der Befehl zu ihrer Verhaftung ist gegeben.«

»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte, die Nachricht schnell benutzend, der Graf, »und deshalb eben ließ ich sie am Morgen der drohenden Gefahr entführen. Ihre Absicht war edel, Herr Capitain, und ich hoffe, daß sie die Folgen Ihrer Gefangennahme mildern wird, wenn – Sie mir Ihr Ehrenwort geben können, daß dies der einzige Zweck Ihres gefährlichen Wagstücks war.«

Der schlaue Sarde konnte sehr wohl berechnen, daß dies nicht wahrscheinlich war und der russische Offizier schwerlich für Privatangelegenheiten die Erlaubniß seiner Vorgesetzten zu dem kecken Unternehmen erhalten hatte.

Der Capitain schwieg.

»Dann bedaure ich aufrichtig, daß ich Sie nicht retten und dem Kriegsgericht entziehen kann. Verheimlichung ist nicht möglich, da Ihre Gefangennahme bereits mehreren Offizieren bekannt ist und der Bursche, dem sie geglückt, nicht schweigen wird. Kann ich Ihnen sonst mit irgend Etwas dienen, Herr Baron?«

Der Offizier verneinte durch ein Zeichen.

»Ich bitte, verlassen Sie mich.«

»Ich bin im Stande, wenigstens diese Nacht Sie noch vor den Unannehmlichkeiten harter Behandlung zu bewahren und werde veranlassen, daß Sie erst morgen nach dem gewöhnlichen Gefängniß gebracht werden. Alexo wird Sie mit Erfrischungen versorgen und ich scheide mit dem Wunsche, daß Ihre Angelegenheit einen glücklichen Ausgang nehmen möge, obschon Sie sich die Gefahr Ihrer Lage nicht verhehlen werden.«

Der Gefangene erwiederte finster die Verbeugung des Obersten, der das Gemach verließ. Seine scheinbare Fürsorge hatte einzig [331] darin ihren Grund, daß er erst noch seine Pläne reiflich überlegen wollte, ehe er den Gefangenen aus seinen Händen gab. Das Schicksal desselben war ihm dann gewiß und er spielte wie der Tiger mit seiner Beute. Um sie gegen alle Zufälle zu sichern und da er den widerspenstigen selbstwilligen Charakter Lucia's genugsam kannte, ließ er durch den Wirth noch Apollony herbeiholen und vertraute Beiden die Bewachung der Thür während der Nacht an, Alexo zugleich erklärend, daß er selbst ihm mit seinem Kopf für den Gefangenen verhaftet bleibe. Beruhigt dann über die Erfolge, die der Zufall so glücklich begünstigt, kehrte der Graf nach der Festung zurück, in welcher er sein Quartier bei Sami-Pascha genommen. –

Im engen Zimmer des Gefangenen brannte mit ihrem matten Schein die Lampe; Speise und Wein, die Alexo in Begleitung Lucia's gebracht, standen unberührt auf dem Tisch, und der unglückliche Bewohner der Zelle saß noch immer in derselben Stellung auf dem Divan, die Arme über die Brust gekreuzt, die Augen starr vor sich hin geheftet. Der Schlag, der ihn nach dem beseligenden Geständniß durch jenes Dokument getroffen, wirkte vernichtend und raubte ihm die ruhige Ueberlegung, die sonst gar leicht ihm die vielfachen Widersprüche in dem Benehmen des Grafen gezeigt und ihn zu einer genaueren Prüfung der Umstände und zu wohl begründeten Zweifeln geführt haben würde. Nur ein Gedanke erfüllte ihn: verloren Alles – Liebe – Leben und Ehre, denn der drohende Tod eines Spions befleckte ihm selbst den Glanz der letztern.

Ein – zwei Stunden vergingen, – der flackernde Schein der Lampe zeigte ihr Verlöschen an, – was kümmerte es ihn, ob es Nacht um ihn her ward, – lag doch eine tiefere, drückendere Finsterniß auf seiner Seele, die Nacht der begrabenen Hoffnungen!

Da weckte ein Geräusch, das er in seiner Betäubung schon lange vernommen zu haben sich erinnerte, ihn aus dem starren Sinnen. Es klang wie das Schneiden oder Sägen eines Messers an Holz, um eine Oeffnung zu machen oder zu vergrößern. Er horchte jetzt aufmerksam und machte eine Bewegung. Sogleich hörte das Geräusch auf, und statt dessen fragte eine flüsternde Stimme über ihm:

»Bist Du wach, Signor? – Antworte leise.«

»Wer ist es? was will man von mir?«

[332] »Nursah, der schwarze Knabe,« flüsterte wieder die Stimme. »Tritt hierher, Signor, rechts an die Wand, ich habe Dir viel zu sagen.«

Der Capitain folgte dem Wunsche. Im letzten aufflackernden Schein der Lampe sah er, daß der junge Mohr eine Ritze der Decke mit seinem Messer handbreit erweitert hatte und durch diese zu ihm sprach. Er trat dicht unter die Oeffnung, die etwa zwei Ellen über seinem Kopfe war, so daß die Unterredung bequem in leisem Tone geführt werden konnte.

Die Lampe war erloschen – tiefe Dunkelheit umgab ihn.

»Was willst Du, guter Knabe? mein Schicksal ist besiegelt.«

»Verzweifle nicht, Signor, noch hoffe ich, Dich auf irgend eine Weise zu retten. Kannst Du mir angeben, was ich dazu thun kann und ob Du Freunde in der Nähe hast?«

»Meine Freunde,« sagte der Capitain schwermüthig, »sind fern und können mir nicht helfen. Ich danke Dir für Deinen guten Willen, aber das Leben hat für mich keinen Werth mehr und ich wünsche den Stunden Flügel, damit sie mir sein Ende bringen.«

»Ich weiß, Du liebst,« sagte die Stimme mit weichem mitfühlendem Klange. »Du liebst die fremde Dame, die von jenseits der Donau entführt wurde und im Selamlik des Pascha's gefangen gehalten wird. Gieb die Hoffnung nicht auf, nur mit dem Leben darf sie verlöschen.«

»Armer Knabe mit der schwarzen Haut und dem warmen Herzen, meine Hoffnung ist erloschen!«

»Traue dem Manne nicht, der vorhin Dich besucht, er ist Dein Feind, wie er der Feind jener Dame ist; denn ich weiß, daß gerade sein Diener Dich gefangen nahm und noch in diesem Augenblick in Gemeinschaft mit dem Manne bewacht, der die Dame stahl. Auch das geschah in seinem Auftrage.«

»Ich weiß es; Graf Pisani selbst sagte es mir und gab mir den Beweis seiner Rechte dazu.«

»Er ist falsch, wie die Hölle der weißen Männer! Ich hörte ihre Unterredung, aber ich hörte auch, wie der Raub vor vier Tagen in diesem Zimmer hier verabredet wurde. Der Conte hat kein Recht auf die Dame; er befahl seinem Werkzeuge ausdrücklich, mit Nichts zu verrathen, daß er die Hand im Spiel habe, und ich weiß vom Dottore, meinem Gebieter, daß er auch später [333] noch sorgfältig bemüht war, sich vor ihr zu verbergen und sie glauben zu machen, daß sie die Gefangene des Pascha's sei.«

»Bei allen Heiligen, Knabe! rede die Wahrheit. Ich sah selbst, von ihrer Hand geschrieben, die Erklärung, die sie zu seiner Braut macht.«

»Dann hat der Bösewicht sie ihr abgezwungen, vielleicht unter dem Vorwande, dieses Papiers zu ihrer Befreiung zu bedürfen.«

Der Capitain erinnerte sich, daß das Blatt keinen Datum getragen, er erinnerte sich der ihm damals unverständlichen Worte und Besorgnisse der Gräfin, und so Vieles ging im Augenblick durch seine Seele, das ihm klar und deutlich bewies, wie der Sarde ihn getäuscht und daß er es sein mußte, welcher seine Verhaftung veranlaßt hatte.

»Knabe – ich glaube, Du hast recht und ich bin ein Thor, daß ich mich täuschen ließ. Zur Hölle mit dem Schurken! warum habe ich ihm nicht eine Kugel durch den Kopf geschossen, als er mir hier gegenüber stand, dann wäre sie wenigstens gerettet gewesen! Und gefangen, widerstandslos in seiner Hand und einem schimpflichen Tode verfallen! Es ist entsetzlich!«

»Hoffe, Signor, und bete zu Deinem Gott, der bald auch der meine sein wird, denn täglich lehrt mein gütiger Gebieter mich ihn kennen. Auf den Knieen will ich ihn anflehen, daß er mir helfen soll, Dich zu erretten. Das Wie? weiß ich noch nicht, denn ich bin machtlos, aber Allah oder Gott wird mir helfen, Dich und Deine Liebe zu retten.«

»Knabe, Dein Glauben beschämt mich!«

»Hast Du Etwas bei Dir, das Dir morgen schaden kann, so vertraue es mir an.«

Der Capitain holte aus dem Leibbund eine dort verborgene Brieftafel.

»Ich gebe sie Dir, obschon Du mir unbekannt. Es sind wichtige Papiere darin, die Vieler Leben gefährden könnten, wenn sie in unrechte Hände fielen. Noch wollte ich sie nicht vernichten. Bewahre sie wohl auf.«

Es gelang ihm, indem Nursah eine Schnur durch die Oeffnung ließ, sie daran zu binden.

»Bei dem Grabe meiner Eltern an den Quellen des Nil, schwöre ich, sie treu zu bewahren.«

»Hier ist meine Waffe und noch ein Brief, so schwer es mir [334] wird, mich jetzt von ihm zu trennen, – aber es muß sein, denn wenn die Schurken Hand an mich legen, würde er eine theure Person compromittiren. – Hölle und Teufel!« fuhr er fast laut auf, indem er vergeblich nach dem Blatt der Gräfin in der Tasche seines Mantels suchte, »er ist fort, – ich muß ihn verloren haben! Fahrlässiger Thor, der ich bin!«

»Ruhe – mäßige Dich,« bat der Knabe, »noch sind viele Männer im Hause wach, denn eben erst ist die siebente Stunde (Mitternacht) vorüber, und ich muß fort jetzt meinen Herrn zu sprechen. Du wirst das Verlorene wohl beim Tageslicht wiederfinden. Lebe wohl, Signor, und vertraue auf den Gott Deiner Liebe.«

Der Capitain hörte einen leisen Tritt über seinem Haupt, dann war Alles still und er wieder allein.

Er trank jetzt den Wein und nahm so gut es ging im Dunkeln einige Speise, denn er hatte seit dem Morgen Nichts genossen. Dann warf er sich auf den Divan, gegen die kalte Nachtluft in den rauhen Mantel gehüllt und entschlossen, wachend den Morgen zu erwarten, um keinen Ruf des schwarzen Schutzengels zu versäumen, an dem allein jetzt sein Hoffen hing. Denn das Leben war ihm wieder theuer, seine Zweifel wurden Gewißheit, und über der Nacht des Unheils und des Verraths, über dem Blutmeer der Schlachten und Gefahren strahlte gleich einem Stern wieder der Glauben an ihre Liebe. Goldene Träume von künftigem Glück umgaukelten ihn und unter ihren Schwingen umfing der heilende Schlaf die erschöpfte Natur. – – –

Das erste Tagesgrauen dämmerte durch die Gitter des Fensters, als die Stimme des Knaben ihn weckte.

»Wache auf, Signor, es gilt Dein Leben.«

Der Capitain war mit jener, dem echten Soldaten eigenen Beherrschung der Sinne im Augenblick munter. Dennoch galt sein erster Blick rund um im engen Gemach dem verlorenen Brief der Geliebten. Dann erst eilte er leise zu der Stelle, an der der Mohrenknabe ihn erwartete.

»Der Schlaf überwältigte mich,« sagte er entschuldigend; »sprich rasch, bringst Du Gutes oder Schlimmes?«

Eine andere Stimme als die des Knaben antwortete ihm, die tiefe, ruhige Stimme eines Mannes, die er noch nie gehört.

»Verzeihen Sie, mein Herr,« sprach dieselbe, »aber es ist [335] nöthig, daß ich sogleich für Nursah das Wort nehme, denn die Zeit drängt, und wir dürfen die Augenblicke, die uns vielleicht zu Ihrem Beistand noch gegönnt sind, nicht versäumen.«

»Ich kenne Sie nicht, mein Herr!«

»Es ist dies auch nicht nöthig,« entgegnete der Andere, »ich bin ein ehrlicher Mann wie Sie und bereit, einem solchen gegen die Intrigue und die Bosheit beizustehen. Nursah, mein Diener, hat mich von Allem in Kenntniß gesetzt, und daß Sie nur in Angelegenheiten einer Dame sich thörichter Weise in das türkische Lager gewagt haben. Dennoch fürchte ich, daß Ihnen der Tod gewiß ist, denn die Befehle des Muschirs sind streng und ich glaube, daß Graf Pisani, dessen Gefangener Sie bis jetzt sind, Sie sicher den Türken ausliefern und so sich von einem Nebenbuhler auf die leichteste Art befreien wird. Er muß seine besondern Zwecke haben, daß er dies nicht sogleich gethan, aber ich hörte, wie er gestern Iskender-Bey sagte, er spare ihm für heute Morgen eine besondere Ueberraschung auf.«

»Ich kenne mein Schicksal und werde ihm als Soldat begegnen. Nehmen Sie meinen Dank, mein Herr, für Ihre freundliche Theilnahme, wenn sie mir auch nicht helfen kann.«

Der Arzt – Nursah's Gebieter – schwieg einige Augenblicke, dann fragte er leise:

»Haben Sie Muth?«

»Sie sprechen zu einem Soldaten, mein Herr.«

»Mißverstehen Sie mich nicht. Ich meine nicht den Muth der Schlacht, der im Pulverdampf Gefahr und Tod kühn in's Auge schaut, der nach der Blutarbeit des Tages sich ruhig auf dem Schlachtfeld neben die Leichen von Freund und Feind lagert. Ich meine einen höhern Muth, der dem Schrecken des Todes in anderer furchtbarer Gestalt mit festem Herzen in's Angesicht blicken kann, – dem Tode in seinem martervollsten Gewande.«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Ich muß zu Ende kommen,« sagte der Arzt, »es ist der einzige mögliche Weg der Rettung, den ich ersonnen. Sie müssen in die Hölle eines türkischen Typhus-Lazareths.«

Der tapfere Soldat schauderte unwillkürlich.

»Der Vorschlag ist schrecklich und gefährlich, ich weiß es, aber es ist der einzige, den ich Ihnen machen kann und – Gott hält seine Hand über Jedem, im Krachen der Geschütze, wie im Pestathem [336] des Krankenhauses. Was die menschliche Kunst thun kann, Sie gegen die Infection zu schützen, soll geschehen, das Meiste aber muß der Muth in Ihrer Brust thun, denn Sie müssen mindestens einen Tag und eine Nacht in dieser schrecklichen Umgebung zubringe, und verläßt Sie der Muth, so nützen alle Präservative der Medizin Nichts und die Krankheit erfaßt Sie.«

»Uber wie wird man glauben, daß ich krank bin?«

»Das werden Sie sogleich erfahren, wenn Sie Ihren Entschluß gefaßt.«

»Und glauben Sie, wenn ich mich der Gefahr unterwerfe, mich retten zu können?«

»So weit es in menschlicher Voraussicht steht, ja.«

Der Gedanke an Helene überwand den so natürlichen Schauder.

»Ich bin entschlossen; sagen Sie mir, was ich zu thun habe.«

Eine Schnur senkte sich durch die Oeffnung, ein Fläschchen und ein Päckchen hingen daran.

»In dieser Leinwand ist Wolle und dunkelrothe Schminke Sie werden damit sich das Gesicht an einzelnen Stellen betupfen, namentlich Stirn und Schläfe, auch die Gelenke der Hände. Dann trinken Sie den In halt des Fläschchens und fürchten Sie nicht die Folgen, wenn auch besondere abnorme Symptome eintreten werden.«

»Doctor, – ehe ich Ihren Willen erfülle, versprechen Sie mir Eines bei Ihrer Ehre als Mann.«

»Bei meiner Ehre!«

»Geschehe mit mir auch, was da wolle, Sie werden die Gräfin Laszlo von meiner Rettung oder meinem Tode in Kenntniß setzen.«

»So wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde, wie Ihnen in dieser schweren, – es wird geschehen.«

»Dank. Jetzt, Herr, – jetzt liegt mein Schicksal in Ihren Händen.«

Er nahm die Wolle und Farbe und erfüllte das Geheiß des Arztes. Dann ergriff er das Flaschchen und während ihm aufgeregt das Herz schlug, betrachtete er den Inhalt durch das Licht.

»O vertraue ihm, Signor,« flüsterte die Stimme des schwarzen Knaben, »er ist der beste der Menschen!«

Der Capitain setzte das Flacon an die Lippen und trank es [337] aus. Ein leichter Schauer rieselte durch seine Adern – einige Augenblicke wallte es wie Nebel vor seinen Augen und seine Sinne verwirrten sich.

»Mir wird so eigentümlich!«

»Es ist die Wirkung der Medizin,« sagte der Arzt, der sorgfältig die Gegenstände wieder in die Höhe zog. »Vertrauen, Herr, es ist das Einzige, was Sie retten kann. Uebergeben Sie sich den Wirkungen des Laudanums unbesorgt, ich werde über Sie wachen.«

Der Offizier, von plötzlicher hinreißender Mattigkeit befangen, war auf den Divan getaumelt, seine Glieder streckten, seine Augenlider schlossen sich.

»Leben Sie wohl!«

Nur unklar noch hörte er den Scheidegruß, seine Sinne versagten den Dienst. – – – – – – – – – – – – –

– – – –

Es war noch früh am Morgen, als Oberst Pisani bei der im Selamlik gefangenen Gräfin eintrat. Der Eunuch hatte sie nach dem Lärmen eingeschlossen und ihr auf keine ihrer Fragen Antwort gegeben, die ohnehin nicht verstanden wurden. In tausend Aengsten und unter schweren Thränen hatte sie die Nacht hingebracht, – Marutza war nicht zurückgekehrt, – das Schießen und der wilde Lärmen der Verfolgung hatten sie erschreckt und sie mußte glauben, daß Beide in die Hände der Türken gefallen, vielleicht ermordet seien.

Es war daher eine Erleichterung für ihr Herz, als sie die Schritte vor ihrer Thür hörte und den Grafen eintreten sah. Bleich und abgespannt, mit fragenden Blicken trat sie ihm entgegen; der Graf aber mit ernster schmerzlicher Miene faßte ihre Hand und führte sie schweigend zu dem Divan zurück.

»O, sprechen Sie, mein Freund, reden Sie, was ist geschehen?«

Der Oberst lächelte bitter.

»Sie nennen mich Ihren Freund, und im Augenblick, wo Gräfin Helene mir die Ehre erzeigt, sich meinem Schutz anzuvertrauen, hält sie einen zweiten für nothwendig und knüpft eine Intrigue an mit meinem Gegner, mit dem Rivalen, der bestimmt scheint, mir überall in den Weg zu treten.«

»Der Unglückliche – Sie wissen Alles?«

[338] »Ich weiß es, Gräfin, ich habe den Verkleideten erkannt, es ist der russische Capitain, mein Feind von Wien her.«

»Allmächtiger Gott – so ist er in den Händen der Türken?«

»Der russische Spion ist gestern Abend gefangen worden.«

»Aber da Sie ihn kennen, wissen Sie, daß er allein meinetwegen in diese Gefahr sich gestürzt hat, daß Besorgniß um meine Person ihn hierhergetrieben, daß er mich warnen wollte vor der Gefahr, die mir in Krajowa droht durch die Entdeckung meines Thuns, zu dem ich mich durch Sie verleiten ließ.«

»Ich weiß von Nichts,« sagte stolz der Oberst, »ich weiß nach meiner Soldatenpflicht nur, daß ein Mann, der verkleidet in dem feindlichen Lager ergriffen ist, in der ganzen Welt als Spion behandelt werden wird, die Gründe, die ihn zu dem kecken Unternehmen bewogen, seien, welche sie wollen. Wenn Gräfin Helene es für gut findet, ein Opfer, das sie ihrer politischen Ueberzeugung gebracht, ihrem treuesten Freunde jetzt als Schuld beizumessen, so habe ich Nichts dagegen zu sagen. Ich kam, um Ihnen, Gräfin, anzuzeigen, daß Sie frei sind, Ihre Befehle in Empfang zu nehmen für Ihr Bleiben oder Gehen, und Ihnen dies traurige Blatt zurückzugeben, mit dessen Hilfe allein es mir gelang, Ihre Befreiung aus dieser unwürdigen Lage so rasch zu bewirken.«

Er legte das verhängnißvolle Papier auf den Tisch und trat mit einer kalten Verbeugung nach der Thür zurück. Die Dame stürzte ihm nach und erfaßte leidenschaftlich seinen Arm.

»Bleiben Sie, – ich muß Alles wissen. Was ist aus Marutza, meiner Dienerin, geworden?«

»Die Dirne muß mit den Helfershelfern des Gefangenen entwichen sein, den offenbar noch andere Zwecke hierherführten, als die Besorgnisse eines Liebhabers. Das Verschwinden des Mädchens beweist, wie gute Freunde und Verbindungen der Russe hier hatte. Sie selbst, Gräfin, haben ihn in's Verderben geführt, indem Sie ihn in diese Mauern beriefen.«

Ein stolzer Blick antwortete der bittern Rede. Im nächsten Moment jedoch schon siegte die Angst des Weibes.

»Ich beschwöre Sie, sagen Sie mir die Wahrheit, was wird sein Schicksal sein?«

»Der Gefangene,« sagte der Oberst langsam und sein Auge betrachtete lauernd das Opfer, »wird heute noch vor ein Kriegsgericht gestellt und – eine Stunde darauf erschossen werden.«

[339] Sie rang verzweifelnd die Hände.

»Ich habe seinen Tod veranlaßt! Allmächtiger Gott! gieb mir das Mittel seiner Rettung! Graf, ich beschwöre Sie, bei Allem, was Ihnen heilig, bei Ihrer Liebe zu mir, helfen Sie, retten Sie!«

Sie sank auf die Knie und streckte die Hände flehend zu ihm empor. Er hob sie auf und führte sie zu dem Divan zurück, auf den er sie niederließ.

»Was verlangen Sie von mir – es ist unmöglich!«

»Nein, es ist nicht unmöglich, wenn Sie wollen,« flehte die verzweifelnde Frau. »Ich weiß, welche mächtige Verbindungen Sie überall besitzen, ich habe oft genug die Beweise davon gesehen. O, retten Sie mir den Frieden meiner Seele, retten Sie ihn

»Um ihn einst glücklich in Ihren Armen zu sehen,« sagte bitter der Graf, – »nein, Helene, dieses Opfer wäre zu schwer. Er selbst hat sich in dies Verderben gestürzt, ohne daß ich das Geringste dazu gethan, ich lasse nur das Schicksal seinen Weg gehen und es befreit mich von meinem gefährlichsten Gegner. Ihn selbst zu retten wäre eine Thorheit.«

»Graf, das ist unedelmüthig gedacht!«

»Ich verachte einen unnützen Edelmuth, wo es sich um Ihren Besitz handelt. Thoren können alle ihre Hoffnungen und Wünsche zum Opfer bringen und selbst vernichten, ein Mann von Verstand wird es nie thun. Ich mache mich nicht besser als ich bin vor Ihnen, Gräfin, aber den Feind ohne Zweck zu retten, ist ein Frevel gegen sich selbst.«

»Ja, das ist die Lehre des hohlen Egoismus,« sagte finster die junge Frau, – »die unser Frevel gegen Alles, was würdig und heilig war, in die Gemüther gepflanzt!« – Ihre Hand hatte unwillkührlich das Papier ergriffen, das der Graf vorhin neben sie niedergelegt, und ihre Finger entfalteten es bewußtlos, während ihr starrer Blick darauf haftete.

Plötzlich zuckte sie zusammen.

»Bei Ihrer Ehre und Seligkeit, Graf, so ist er verloren?«

»Er ist es – nur außergewöhnliche Mittel vermöchten ihn zu retten.«

»Und – glauben Sie – wenn ich Sie dazu bewege, – ihn retten zu können?«

»Ich hoffe es.«

[340] Sie war blaß aber ruhig und gefaßt während der folgenden Worte, nur ihre Hand zitterte leicht, als sie ihm das verhängnißvolle Papier reichte.

»Nehmen Sie, ich bin bereit, den Inhalt zu erfüllen, unter der Bedingung, daß Sie den Unglücklichen retten.«

Sie sah nicht den Blitz wilder Freude, der über das Antlitz des Sardiniers flog, ihre Augen waren starr auf das Papier geheftet.

Dennoch nahm er es nicht – mit der Berechnung eines Schauspielers seine Rolle verfolgend, wich er zurück und sagte leise:

»Gräfin Helene würde es später bereuen, und ich mag sie nicht an die Erfüllung ihres Wortes erinnern.«

Ihre stolzen Augen blitzten ihn unwillig an.

»Was ich gesagt, werde ich halten. In dem Augenblick, wo Sie mir die Nachricht seiner Rettung bringen, bin ich bereit, Ihre Gattin zu werden. – Ist Ihnen dies genug?«

Er beugte sich auf ihre Hand und küßte sie zärtlich.

»Ehe der Abend da ist, hoffe ich, den Priester zu Ihnen führen zu dürfen, der diesen Tag zum glücklichsten meines Lebens macht. – Ich werde sofort das Nöthige anordnen, damit Sie wieder weibliche Bedienung erhalten, obschon ich es für das Beste glaube, daß Sie vorerst hier noch verweilen, statt daß ich Sie etwa in das Haus des österreichischen General-Consuls führe. Ihr Aufenthalt hier ist nur Wenigen bekannt geworden, und Sie werden auf diese Weise aller lästigen Neugier der österreichischen Behörden entgehen. Die Gräfin Pisani wird Niemand mit einer Frage belästigen.«

»Ich überlasse Ihnen alle Bestimmungen, nur – eilen Sie!« Ihre Stimme klang gebrochen.

»Leben Sie wohl, Helene – meine Braut!« Er drückte ihre kalte Hand an's Herz und verließ das Gemach, in dessen Mitte sie gleich einer Statue der Resignation stand, – die Augen ausdruckslos hinter ihm d'rein starrend.

Dann zuckte ihre Hand nach dem Herzen und mit einem leisen Schrei sank sie zu Boden. –

Der Wudkoklak hatte den scharfen Zahn in sein Opfer geschlagen. –


[341] In der Lokanda Alexo's waren bereits zeitig viele Offiziere versammelt, um dem Verhör und Kriegsgericht über den Gefangenen beizuwohnen. Da er in Widdin ergriffen worden, gehörte die Sache zur Entscheidung Sami-Pascha's, des Gouverneurs; auf den Betrieb Pisani's jedoch, der die Sache möglichst aus der Nähe der Gräfin zu entfernen wünschte, hatte der Pascha, statt selbst die Untersuchung zu führen, nur einige Offiziere abgeordnet, um dem Kriegsgericht beizuwohnen, und Iskender-Bey um dessen Abhaltung ersuchen lassen.

Als Pisani die Lokanda betrat, lag zwischen seinen dunklen Brauen eine tiefe, unheimliche Gedanken verkündende Falte. Es fiel ihm nicht ein, den verhaßten Nebenbuhler entwischen zu lassen, aber es galt List und Schlauheit, der Gräfin den Beweis zu bringen, daß er sein Wort gehalten und der Gedanke, daß ihm dazu eine Verwechselung der Person beider Gefangenen helfen konnte, während die Gräfin nur an den russischen Offizier dachte, lag sehr nahe. Bei der rauhen wilden Geradheit des ehemaligen Grafen Ilinski fühlte er übrigens, daß er vorsichtig zu Werke gehen mußte, um nicht des doppelten Erfolges verlustig zu gehen.

Das Kriegsgericht war bereits vorüber, man macht in der Türkei nicht viel Umstände mit einem Menschenleben, – und Mungo, der bei seinem Leugnen geblieben war, kauerte zwischen seinen Wächtern im Tschardak, zum zweiten Mal unter dem traurigen Todesurtheil sich beugend, nur mit dem Unterschied, daß ihm dies Mal die Kugel statt des Stricks zuerkannt worden. Dafür sollte die Execution schon in einer Stunde vollstreckt werden, und keinen helfenden Freund vermochten seine sehnsüchtigen Blicke zu entdecken.

Der sardinische Graf nahm den Polen, der den linken Arm noch in der Binde trug, bei Seite.

»Ich habe Sie gestern bereits auf einen bessern Fang vorbereitet, Bey,« sagte er ihm, »als Ihre Wachen an dem elenden Kerl dort gethan haben. Der russische Offizier, auf dessen Fährte ich Sie gestern brachte, und der sich als Spion in die Festung eingeschlichen, ist durch einen glücklichen Zufall selbst in meine Hände gekommen, und mein Diener bewacht ihn. Ehe ich jedoch denselben Ihnen überliefere, möchte ich Sie um einen anderen Dienst bitten.«

»Sprechen Sie, Freund,« sagte der Bey, dessen Augen bei Erwähnung des gefangenen Russen funkelten.

»Der Bursche, den Sie eben verurtheilt haben, behauptet, wie [342] ich höre, ein walachischer Zigeuner und nur auf das bulgarische Ufer gekommen zu sein, um hier Beschäftigung und Unterhalt zu suchen. Der Kerl mag immerhin ein russischer Spion sein, aber er ist jedenfalls sehr untergeordneter Natur und schwerlich den Strick oder das Pulver werth, das an ihn verschwendet wird. Ich habe wichtige Gründe, daß er am Leben bleibt und bitte Sie, begnadigen Sie ihn und lassen Sie ihn laufen.«

»Zum Henker! was haben Sie mit dem Lump? Sie wissen, daß nur der Oberbefehlshaber oder der kommandirende General dies jetzt noch thun kann.«

»Ich werde bei Sami-Pascha das Nöthige besorgen. Geben Sie nur den Befehl, die Execution zu verschieben.«

»Das ist leicht, mir liegt an dem Halunken Nichts.« Er rief Jacoub-Aga und ertheilte ihm den Befehl.

»Und nun zu Ihrem Russen!«

»In Beziehung auf diesen habe ich Ihnen gleichfalls Einiges zu sagen. Die Offiziere sind noch versammelt und das Kriegsgericht wird daher keine Weitläuftigkeiten weiter veranlassen und kann im Augenblick stattfinden. Ich wünsche jedoch, mein Zeugniß davon ausschließen zu dürfen, das meines Dieners wird genügen, und bitte Sie, die ganze Sache möglichst der Oeffentlichkeit zu entziehen, da Gründe vorliegen, welche das zu frühe Bekanntwerden der Gefangennahme und des Schicksals des Russen sehr nachtheilig machen.«

Der Bey schielte ihn von der Seite an; er kannte sehr wohl die geheimen propagandistischen Verbindungen des Sarden, wenn er auch selbst nicht zu den Eingeweihten gehörte, da seiner rauhen Soldatennatur das Intriguiren im Dunkeln zuwider war.

»Meinetwegen. Ich sehe Nichts, was Ihren Wünschen entgegenstände Aber wo ist der Spion?«

»In der Lokanda selbst, – ich lasse ihn in einer der hintern Kammern bewachen.«

»Vorwärts denn, ich will ihn sehen, und dann wollen wir ein kurzes Ende machen. Meine Aga's, haltet Euch bereit zu einer zweiten Auflage unserer Justiz!«

Er winkte Hidaët und ein Paar Offizieren und folgte mit ihnen dem Sardinier, der sie mit Alexo, dem Wirth zu dem Anbau des Hauses führte, in dessen Gemach der unglückliche Offizier eimgeschlossen war.

[343] Sta Lucia und Apollony hielten noch immer hier Wache.

»Diavolo!« fluchte der Bandit, »es ist Noth, daß Sie uns ablösen, Signor Conte, die Zeit wurde uns verflucht lang. Der Bursche spürt, was ihn erwartet, und hat in den letzten Stunden gestöhnt, als fühlte er bereits den Strick um den Hals. Jetzt erst ist er ruhig geworden.«

Der Gesellschaft der Offiziere hatte sich wie zufällig Doctor Welland angeschlossen. Als der Graf den Bericht seines Dieners hörte, empfand er eine jähe Freude, indem der Gedanke in ihm aufblitzte, Capitain Meyendorf könnte selbst seinem Leben ein Ende gemacht haben, um der Verurtheilung als Spion zu entgehen.

»Oeffne die Thür!« gebot er.

Sta Lucia schob die Riegel fort und stieß die Thür auf; der Bey, Pisani und einige Offiziere mit den beiden Wächtern traten ein. –

Ein unerwarteter schrecklicher Anblick bot sich ihren Augen.

Auf dem Divan lang ausgestreckt lag der Gefangene, die Hände krampfhaft geballt, die Augen starr weit aus den Höhlen hervorgetreten, von blauen Rändern umgeben, sonst das Gesicht todtenbleich mit einzelnen rothen Flecken auf Stirn und Wangen. Leichte krampfhafte Zuckungen erschütterten zuweilen die ganze Gestalt.

»Przeklęcie!« rief der Bey, »hier kommen wir zu spät, der Bursche hat die Pest oder den Typhus!«

Er blieb schaudernd an der Thür stehen.

Durch die erschrockene Gruppe drängte sich der Arzt und trat zu dem Kranken, dessen Puls er alsbald ergriff.

»So hat der Tod seine Beute und erspart Ihnen eine Mühe,« sagte der Sardinier hämisch, indem er die traurige Gestalt seines Opfers aus der Ferne betrachtete. – »Lassen Sie den Leichnam verscharren, ehe er durch Ansteckung noch Unheil schafft.«

»Nein,« sagte fest der Bey und trat trotz des Schauders in seiner Brust einen Schritt näher, »ich bin zwar jetzt ein Moslem, aber Niemand soll sagen, daß Ilinski die Christenpflicht gegen einen wackern Feind vernachlässigt. Ich erkenne ihn wieder trotz der Verkleidung und Entstellung an der Wunde auf der Wange, die meine eigene Säbelspitze ihm schlug: es ist der tapfere Offizier, der im Gemetzel des Hohlwegs von Czetate mir Stand hielt, und vielleicht mein Leben rettete. Doctor, – wie steht's mit dem Mann?«

[344] »Ich fürchte, er ist ein Kandidat des Todes, das Faulfieber ist bei ihm ausgebrochen.«

»Dennoch soll er nicht sterben wie ein Hund, ohne daß ein Versuch zu seiner Rettung gemacht worden, obschon es das Beste für ihn wäre, statt des Schimpfes, als Spion zu enden. Sorgen Sie nach Kräften für ihn.«

»Dann muß ich ihn in's Lazareth bringen lassen, hier kann er nicht bleiben ohne Gefahr, Ansteckung zu verbreiten.«

»Thun Sie das, Doctor, – ich werde sogleich Befehl geben, daß Träger bereit seien.«

Der tapfere Bey blickte noch ein Mal mitleidig und schauernd auf den Kranken und verließ das Gemach; Alle folgten ihm eilig, bis auf den Arzt, der – die Hand des Gefährdeten in der seinen, – einen dankbaren Blick zum Himmel warf. – – – –

Stunden waren vergangen, wiederum war der Abend gekommen. –

In seinen Mantel gehüllt, schritt Doctor Welland durch die schmuzigen Gassen der Stadt hinauf zur Festung. Ein Billet Oberst Pisani's hatte ihn dringend ersucht, um diese Stunde sich einzufinden – die Ursach war ihm noch unbekannt. Nur kurze Zeit war er während des Tages in seiner Wohnung, in der Lokanda, gewesen, um Nursah einige Aufträge zu geben; die übrige hatte er in dem Lazareth zugebracht.

Pisani war anfangs in Zweifel gewesen, ob er die plötzliche Erkrankung seines Nebenbuhlers für einen glücklichen Zufall halten sollte, der ihm eine schlimmere That ersparte; die Meinung des Arztes jedoch, daß der russische Offizier in der höchsten Gefahr schwebe und die Kenntniß vom Zustande der türkischen Heilanstalten ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der Tod ihn von dem Gegner befreien werde, und so richtete er sein Augenmerk allein auf die Täuschung der Gräfin.

Gleich nach der Fortschaffung des Kanken hatte er sich zurück in's Selamlik begeben und dort leicht von Sami-Pascha, mit dem er in sehr genauem Verkehr stand, die Begnadigung des vom Kriegsgericht als Spion Verurtheilten erlangt. Die Ordre dazu wurde auf seinen Wunsch in türkischer und französischer Sprache niedergeschrieben, und da die Person darin im Allgemeinen nur als der des Spionirens angeklagte Gefangene bezeichnet worden, war es ihm leicht, sie zu seinen Zwecken zu benutzen.

[345] Mit dem Papier in der Hand betrat er das Gemach der Gräfin, in dem dieselbe am Morgen von den zu ihrem Dienst befohlenen türkischen Frauen am Boden gefunden und mit Essenzen wieder zum Bewußtsein gebracht worden war. Stillschweigend legte er es vor ihr nieder, und als ihre Hand hastig danach griff, ihr Auge den Inhalt überflog und ein leiser Schimmer von Roth wieder die blasse Wange färbte, verrieth Nichts in seinem Gesicht die Gefühle von stolzem Frohlocken und bitterm Groll, die in seiner Brust tobten.

»Sie haben Ihr Wort gelöst – vollenden Sie Ihr Werk und geben Sie dem Unglücklichen die Freiheit wieder. Er möge fern sein, ehe ich – das meine halte. Ich bin bereit dazu – nur gönnen Sie mir Zeit bis zum Abend und – lassen Sie uns dann sogleich diesen Ort verlassen.«

Er versprach mit kurzen Worten, ihre Wünsche zu erfüllen, und schlug ihr vor, daß sie sich nach der Trauung sofort nach Belgrad auf den Weg machen und dann auf ihre Güter am Maros begeben wollten, um dort die Verhältnisse zu ordnen, indem er eines Urlaubs weiter nicht bedürfe. Sie willigte in Alles und fügte nur die Bitte hinzu, den deutschen Arzt ihr mitzubringen, dessen offenes redliches Gesicht ihr Vertrauen eingeflößt zu haben schien. Der Oberst versprach, daß er einer der Zeugen sein solle. Dann entfernte er sich und überbrachte die Begnadigung Sami-Pascha's dem Bey, der – kurz gebunden in seinen Beschlüssen, – dem Zigeuner eine genügende Tracht Schläge mit den Steigbügelriemen aufzählen und ihn dann durch zwei Soldaten aus der Stadt transportiren ließ mit dem Bedeuten, daß, wenn er sich je wieder darin blicken lasse, ihm Kugel oder Strick gewiß sei.

Nursah – der schwarze Knabe – folgte von fern dem kleinen Zuge. – –

Der Wind vom Flusse her strich eisig durch die winkligen Straßen und über die Wälle und Mauern her, als Welland das Konak des Pascha's betrat. Der große Hof war durch Fackeln erhellt, eine Anzahl von Soldaten und Dienern des Gouverneurs auf den Beinen, und der Arzt bemerkte nicht ohne eine heimliche Freude, eine bespannte Araba, möglichst bequem mit einem Deckschirm eingerichtet und in ihrer Nähe eine Eskorte von zehn türkischen Kosaken unter einem On-Baschi haltend, denn er hoffte nicht [346] mit Unrecht, daß das Fuhrwerk die ungarische Dame aus Widdin führen solle. Noch ahnte er nicht, in wessen Begleitung.

Es war dem Golde und den Bemühungen des Obersten gelungen, einen bosnischen Franziskaner-Geistlichen, der sich in Widdin aufhielt, aufzutreiben und diesen durch ein reichliches Geschenk zu vermögen, die Trauung zu vollziehen; denn er kannte den Werth des Augenblicks und der günstigen Gelegenheit zu gut, um sich durch irgend eine Schwierigkeit zu einem Aufschub bewegen zu lassen.

Der Doctor wurde auf die Frage nach dem Grafen in das Gebäude zur Seite gewiesen, vor dessen Tschardak die Araba hielt. Als ihn Sta Lucia, – der hier Wache zu halten schien, – erblickte, eilte er in's Haus und der Oberst kam ihm alsbald entgegen und führte ihn in ein Seitengemach.

»Welche Nachricht, Doctor, bringen Sie von dem Kranken?«

»Er ist in diesem Augenblick vielleicht schon verschieden.«

»Sie haben mir gestern zwar eine Bitte ziemlich rauh abgeschlagen, ich hoffe aber, daß Sie eine andere aus Rücksicht auf die Nerven einer Dame erfüllen werden. Wenn die Gräfin sich nach dem Gefangenen erkundigt, so verschweigen Sie ihr, in welcher Lage er sich befindet und sagen ihr vielmehr, daß er gerettet sei.«

»Ich werde Ihren Wunsch erfüllen.«

»Haben Sie irgend ein flüchtiges Salz, eine Essenz zur Stärkung der Lebensgeister bei sich – die Gräfin ist nicht wohl und bedarf Ihres Beistands?«

Der Arzt bejahte.

»Wohl, so bitte ich Sie, mir zu folgen. Doch erinnern Sie sich, daß Sie – wenigstens im Schweigen mir Gehorsam schuldig sind.«

Er führte ihn in ein größeres Gemach, in dem bereits mehrere Personen versammelt waren, Iskender-Bey mit seinen beiden Adjutanten und der Kolassi Wersbitzki, der Kommandant der türkischen Kosaken mit einem seiner Offiziere. Alle grüßten ihn freundlich und der Bey erkundigte sich sogleich nach dem russischen Capitain.

Der Doctor wiederholte die Worte, die er dem Grafen gesagt.

Es blieben ihnen nur wenige Augenblicke der Unterhaltung, – dann führte der Oberst, der sich durch eine zweite Thür entfernt hatte, an seiner Hand die Gräfin Helene in das Gemach. [347] Hinter ihnen d'rein kam der Franziskaner; – erst jetzt bemerkte der Doctor, daß in einer Ecke des Zimmers ein weißbehangener Tisch mit Lichtern und einem Krucifix aufgestellt war.

Die schreckliche Ahnung der Wahrheit überkam ihn.

Mit fester klarer Stimme nannte der Oberst den Namen der Dame und stellte ihr die anwesenden Männer vor, welche sie – die türkischen Manieren abstreifend – mit aller Courtoisie ihrer Nationalität begrüßten und die peinliche Pause der Vorbereitungen mit einer leichten Unterhaltung zu füllen suchten.

Helene Laszlo war bleich und ruhig, nur der aufmerksamste Beobachter hätte bemerken können, daß in dem unruhigen Heben ihres Busens, in dem Zucken der blassen Lippe der Schmerz kämpfte. Ein feiner türkischer Schleier von dem Scheitel ausgehend und die zierliche Gestalt fast bis zu den Füßen in leichter Wolke umfließend, war das Einzige, was sie schmückte.

Plötzlich schien sie einen Entschluß zu fassen – und den Gegenstand der Conversation abbrechend, wandte sie sich an den Bey und sagte rasch:

»Sie haben heute Morgen ein trauriges Geschäft gehabt, Herr, eine Verurtheilung – ich höre, der Gefangene ist jedoch begnadigt?« Ihre Stimme zitterte bei der Frage.

»Begnadigt und frei, – ein höherer Wille machte, daß er seiner Strafe entging!«

»Auf Ihr Ehrenwort also – er ist frei?«

»Gewiß – wahrscheinlich schon längst über die Donau. Aber was interessirt Sie der russische Spion, Gräfin –«

Der Oberst unterbrach ihn, besorgt, daß ein Wort zu viel gesagt werden könne.

»Die Gräfin hörte davon und ersuchte mich aus Mitleid um meine Verwendung. – Doch es ist Zeit – wollen Sie Ihren Zeugen wählen, Helene?«

Die Renegaten traten unwillkührlich einen Schritt zurück, die Heiligkeit des verlassenen Glaubens überkam sie, – nur der Major der Kosaken mit seinem Adjutant und der Arzt waren Christen unter der Gesellschaft.

Zu dem Letzteren trat die Gräfin und bot ihm die Hand. Er stand etwas entfernt von der Gruppe der Offiziere und hatte die schöne Frau mit großer Aufregung betrachtet, offenbar ungewiß, was er beginnen sollte.

[348] »Wollen Sie mir Ihren Beistand leihen, mein Herr, auf diesem – schweren Gange?«

»Um Gotteswillen, Gräfin, haben Sie meinen Brief durch meinen schwarzen Diener nicht erhalten?«

»Ich habe Nichts erhalten, mein Herr! – Oder täuscht man mich,« ihre Augen belebten sich, – »ist er nicht gerettet, – ist er gemordet?«

»Er ist gerettet, Gräfin, auf das Wort eines ehrlichen Mannes, aber .....«

»Das ist genug,« unterbrach sie ihn bitter, – »weder Sie noch ich ändern mein Schicksal, das ich freiwillig gewählt, – so kommen Sie denn!«

Sie reichte fest und entschlossen dem mißtrauisch herantretenden Obersten den Arm. Im Vorübergehen traf sein dämonisches Auge finster und drohend den Arzt, der schon den Fuß erhoben, die Lippe geöffnet hatte, um sie nochmals zu warnen. Er fühlte, daß er hier kein Recht mehr habe, daß jedes Wort ihn selbst und den Mann, der sich ihm anvertraut, verderben konnte.

Ein bitterer theilnehmender Schmerz wühlte in seinem redlichen Herzen, während er die Stimme des Mönchs die Gebete der katholischen Kirche murmeln hörte. –

Der Wudkoklak hatte sein Opfer! –


Ich führe den Leser in die Hölle auf Erden, an einen so grausigen, so schauerlichen Ort, daß Dante's berühmte Inschrift: »Voi ch'entrate, lasciate ogni speranza!« allein ihn würdig bezeichnen kann, – in ein türkisches Militairlazareth.

Es ist Wahrheit – es sind schauerliche Thatsachen, die ich schildere – kein Gebild einer dämonischen Phanthasie; denn die Wirklichkeit des Lebens ist schwärzer, furchtbarer, denn alles Reich der Träume!

– – – –

In einem scheunenartigen Gebäude, das früher zu einem Kavalleriestall gedient, war das Lazareth für die Truppen von Widdin und Kalafat aufgeschlagen. Das Gebäude bestand aus einem nach der Donau zu offenen Quadrat in der Nähe des Thores von Negotin. Erst dem energischen Einschreiten des deutschen Arztes [349] war es gelungen, diese Räume einigermaßen zu sichten und in zwei Abtheilungen zu sondern. Die eine war jetzt für die Verwundeten – die andere größere für die Kranken bestimmt. Ich wiederhole, es ist Thatsache, daß in den sechs Monaten der Besetzung von Kalafat Zehntausend Mann hier am Typhus und anderen schrecklichen Krankheiten starben!

Wir haben es mit diesem Theil des Lazareths zu thun – der Faden unserer Geschichte wird uns leider noch oft genug in jene Höhlen des Schmerzes führen, wo Blut die Losung ist, und Messer und Säge ihre schreckliche Melodie knirschen. –

Ein Binsendach deckte den wohl hundert Schritt langen Raum, von nackten Balken getragen, die sich auf die leeren Wände stützten. Hin und wieder hingen an diesen noch die Krippen und Raufen der Pferde.

Es war kalt – schauerlich kalt in der Januarsnacht in diesem öden Raum! Rechts und links in zwei langen Reihen befanden sich lange Strohlager, mit Decken und Mänteln überdeckt – hin und wieder einzelne Kissen.

Aber das Stroh war faul – modrig, – stinkend, es wurde in Wochen kaum erneuert, und durch Decke und Wände pfiff der Wind, brach Regen und Schnee herein. Die Feuchtigkeit rieselte in der Mitte zusammen und bildete modrige Tümpel.

Draußen unter dem Sternendach des Winterhimmels lag eine frische durchsichtig dunkle Luft über der Erde – im Innern dieser Höhle des Jammers aber lagerte eine dumpfe schwüle Athmosphäre, der giftgeschwängerte Dunst des Todes und der Ansteckung, ein gelbgrauer Nebel, den die zahlreichen Lampen, die im Innern des Gebäudes brannten, nur matt zu erhellen vermochten.

Man hatte im Anfang den Versuch gemacht, die Einrichtung der europäischen Lazarethe nachzuahmen und über den Kranken schwarze Tafeln anzubringen, welche das Stadium der Krankheit und die angewendeten Heilmittel notificiren sollten – es war jedoch bei dem Versuch geblieben; denn die täglich wachsende Anzahl der Kranken und die Fahrlässigkeit und Ignoranz der türkischen Aerzte hatte der Anordnung gespottet.

Auf diesem Stroh in langer Reihe neben einander lagen in diesem Augenblick dicht zusammengedrängt an vier- bis fünfhundert Menschen in jedem Stadium der körperlichen Auflösung. Das Lazareth lieferte durchschnittlich 40 bis 50 Todte.

[350] Der Schmerz in jedem Ton – vom leisen Wimmern bis zum gellenden Aufschrei des Unerträglichen; – das Leiden von der Apathie bis zur gotteslästerlichen Verzweiflung; – das Sterben von dem stillen Hinschwinden aller Kräfte bis zum wüthenden Kampf der Muskeln und Nerven gegen den Allesverschlinger, – Alles war vereint in dieser feuchten, pestschwangern Athmosphäre.

Größtentheils in ihren Kleidern – Lumpen, die vom Leibe faulten, von Ungeziefer wimmelten, – lagen die Kranken; glücklich, wer eine Decke gewann, in die er sich hüllen konnte gegen den Frost. Vom Leibe des Sterbenden riß sie die Hand des Nebenmannes, – dem tapfern Kameraden, der vielleicht noch vor wenigen Tagen in der blutigen Schlacht den toddrohenden Hieb aufgefangen, gönnte der Gerettete jetzt nicht die – letzte Bequemlichkeit des Sterbens!!

Da lagen sie mit den hohlen Gesichtern, den dunklen Ringen um die starrenden Augen, und die gräuliche Krankheit färbte alle Nüancen der Völkerfarben – Braun und Gelb, Weiß und Schwarz – mit dem furchtbaren Aschgrau.

Wo die Flügel des Gebäudes, die beiden langen Gänge voll Leiden und Verwesung zusammenstießen, standen nach jeder Seite hin fünfzig eiserne Feldbettstellen mit Matratze und Decke. Die türkische Verwaltung mußte doch Etwas thun, und diese hundert Lagerstätten waren für das Lazareth einer Armee von 40,000 Mann bestimmt, einer Armee, die täglich 500 Kranke hatte außer den Verwundeten. Was nutzten aber den Günstlingen der Aerzte, den On-Baschi's und Mulassim's, die darauf Anspruch hatten, diese Lagerstätten bei dem Schmuz und der Unreinlichkeit des türkischen Wesens? Zwischen die Leinentücher, auf die feuchte, modernde Matratze, auf der eben der Eine in ekler Krankheit gestorben war, mußte eilig der Zweite gelegt werden, – der Tod hatte keine Zeit für Wäsche und Reinigung.

Der Typhus ist eine schreckliche, die Säfte des Lebens zersetzende Krankheit, aber auf die Seele wirkt er gleich dem Traum der Fata Morgana und das Delirium führt die Phantasie in die unermessenen Räume. Visionen, Wahrsagungen, erotische Bilder, somnambüle Kräfte und Erscheinungen wechseln bunt in der Gluth des Fiebers oder der Abspannung der Nerven.

Ueber alle diese schrecklichen Erscheinungen siegte jene furchtbare Resignation des Leidens und des Todes, die der ächte Moslem [351] besitzt, denn seine Religion ist von Jugend auf: »Es war mein Kismet!« und ruhig – wenn die Fiebergluth gewichen und die unfreiwillige Exaltation erschöpft hat – streckt er sich zum Sterben. Selbst in dieser Exaltation, in diesen rasenden Phantasieen schwebt ihm dieser Glaube vor.

Welcher furchtbare Unterschied in diesem apathischen Hingeben mit dem verzweifelnden Ringen des Renegaten an seiner Seite, – des Kranken, der Glaube und Vaterland verlassen, der keinen Trost mehr hat, als die schreckliche Hoffnung auf das ewige Nichts. – –

Was sollten unter diesen fünfhundert Kranken höchstens zwei wirklich wissenschaftlich gebildete Aerzte, von denen noch dazu der eine als Oberarzt die Station der Verwundeten zu beaufsichtigen hatte? Die Anstrengungen, die Doctor Welland gemacht hatte, um einige Ordnung in dies Chaos von Leiden und Schmuz zu bringen, waren riesenhaft, aber sie erlahmten an der gänzlichen Unfähigkeit seiner europäischen Gehilfen und der Gleichgültigkeit und dem Egoismus der türkischen. Wir haben bereits erwähnt, daß die Unterärzte und Apotheker im glücklichsten Fall aus verlaufenen Barbiergesellen bestanden, daß das aber eben nur Ausnahmen waren und größtentheils Leute aus den verschiedensten Ständen, ohne alle und jede Kenntniß zu Aerzten und Wundärzten geworden waren, bloß weil sie die Eigenschaft eines Franken besaßen und der Türke glaubt, jeder Franke sei ein Hekim-Baschi.

Dennoch richtete selbst ihre Unwissenheit – und sie starben hin wie die Fliegen in diesem traurigen Beruf – weniger Unheil an, als die Nichtswürdigkeit und die Betrügerei der türkischen Lieferanten – zum großen Theil Griechen. Die Feldapotheken waren auf das Jämmerlichste versorgt. Bis auf einige Brechmittel, Chinin und Calomel war fast Nichts darin zu haben. Zum Glück war Chinin und Calomel grade die Arznei, die am besten gegen den Typhus, selbst in der unkundigen Hand, wirkt; aber das Chinin war pulverisirte Eichenrinde und das Calomel mit Kreide und Kalk vermischt.

Ueber die Lieferung der Lebensmittel haben wir bereits gesprochen.

Man muß es dem Muschir zum Ruhme nachsagen, daß er in der Organisation der Armee, ihrer Bewaffnung und Einübung, Riesenhaftes leistete, aber an der Verpflegung und namentlich an [352] dem Medizinalwesen, von dem er gar Nichts verstand und das überhaupt in der türkischen Armee wenig beachtet wird, – was kümmert sich ein türkischer Heerführer um einige tausend Menschenleben! – scheiterte selbst seine Energie. Von Zeit zu Zeit griff er zwar mit energischer Hand ein, einige Lieferanten wurden erschossen, andere erhielten fünfzig oder hundert Stockprügel, aber das Alles änderte Nichts in dem durch und durch corrumpirten System.

Weil die Executionen vor der Front der Truppen vollzogen wurden, glaubte der Soldat an eine rächende Hand über seinen Peinigern, und stellte in wahrhaft heroischer Geduld in Ertragung der Leiden das Weitere dem Kismet und dem Muschir anheim. Wäre nicht der Scherz hier ein zu schneidender Hohn, man möchte sich an die Antwort des berliner Gassenjungen mit den erfrorenen Händen erinnern: »Des is meinem Vater schon janz recht, warum koft er mir keene Handschken nich!«

– – –

Die dunklen Gestalten der sogenannten Wärter, – meist Mohren, – huschten durch das Lazareth. Ihre Ohren waren taub gegen das Flehen des Einzelnen um einen Trunk Wasser, um irgend eine Erleichterung seines hilflosen Zustandes. Von Strecke zu Strecke stand ein Bütte mit trübem Donauwasser, – die Moslems krochen still dahin und tranken, wer nicht mehr die Kraft hatte, verdurstete. Aber die dunklen Wärter waren nicht ohne Beschäftigung. Der Tag hatte aufgeräumt unter den Kranken und die Leichen mußten entfernt werden, um den neuen Ankömmlingen am Morgen Platz zu machen. Die Umstände mit den Todten waren gering. Ein eiserner Haken in den Bund oder das Gewand – wenn nicht in's Fleisch – geschlagen, ein Strick daran oder um die Füße gebunden, so wurden sie durch den langen Gang der Mitte bis zum Ende des Gebäudes geschleift, wo ein großer Verschlag zur Aufnahme der Leichen bestimmt war, bis am andern Morgen die Todtengräber der Armee auf ihren Karren sie holten und in die weiten Gruben auf dem offenen Felde warfen, die zu diesem Ende von den bulgarischen Bauern gegraben werden mußten.

Um sie her irrte des Nachts der Schakal, den der Schnee, die Kälte und die Witterung aus den Gebirgen herab in die Ebene führte, und sein klagendes Geheul war das einzige Todtenlied der Begrabenen! –

[353] Zwei Männer, ein älterer Moslem und ein blutjunger, kaum achtzehnjähriger Franke schritten im Gespräch durch die Aristokratie dieses Jammers, die Abtheilung der Feldbetten. Beide waren in lange talarartige Wachstuchmäntel gehüllt und trugen einen Schwamm mit Essig getränkt in der Hand. Aber ein besseres, beliebteres Hilfsmittel, die Rum- oder Rakihflasche lugte aus den Taschen ihrer Sürtouts, und der schwankende Gang, das geröthete Antlitz des Jüngeren, wie der starre Blick des Anderen verkündeten, wie häufigen Gebrauch sie bereits davon gemacht.

Bei dem vorletzten Bett in der Reihe nach dem allgemeinen Lager hin blieben sie stehen, – es war durch die Vorsorge des Oberarztes in einem etwas besseren Zustand als seine Nachbarn. Neue reine Linnen waren über eine frische Strohunterlage gebreitet, eine zottige siebenbürgener Decke schützte den Kranken gegen die Kälte.

Dieser Kranke war der russische Capitain, Baron von Meyendorf.

Bald nach seinem Transport in das Lazareth war der Offizier von dem Arzt durch die Anwendung narkotischer Mittel aus dem krampfhaften Zustand erweckt worden. Als er zur Besinnung kam, betäubt und angegriffen, war der deutsche Arzt an seinem Lager mit den beiden Männern, seinen Gehilfen, die eben jetzt wieder dem Bett sich nahten. Ein rasches Zeichen der Verständigung hatte dem Offizier Schweigen empfohlen, und er hörte mit an, wie der Doctor jenen seine Krankheit als eines der furchtbaren Faulfieber beschrieb, die namentlich in den russischen Lazarethen zu wüthen pflegten.

Hier lag nun der Offizier den ganzen Tag, so viel als seine Thätigkeit es erlaubte von dem Arzte unterstützt, der unter der Form von Medizin ihm häufig starken Wein zur Erfrischung brachte. Alles Elend der Welt schien sich um ihn concentrirt zu haben, und wie der Aufenthalt unter den Wahnsinnigen selbst den gesundesten Geist an sich selbst irre macht, so weckten die wilden Fieberphantasieen der Kranken und Sterbenden um ihn her zuletzt seine eigene zu wirren ausschweifenden Bildern, denen er sich mit Aufbietung aller Seelenkräfte kaum zu entreißen vermochte.

Noch schrecklicher, gespensterhafter wurden diese Umgebung, als der Abend nahte. Der Doctor hatte ihm angekündigt, daß er ihn verlassen müsse, um Alles zu seiner Flucht vorzubereiten, und daß er zu einer bestimmten Stunde ein neues ihn nach und nach betäubendes [354] Mittel erhalten solle, das ihn in jenen Zustand versetzen würde, den er zur Ausführung seines Planes nöthig hatte.

Jetzt war die Stunde gekommen, und die Gehilfen des Doctors, die während seiner Abwesenheit die Aufsicht und Wache hatten, nahten in ihrem an und für sich schon schauerlichen Aufzuge, gegen den die Aerzte im Vorgemach des Lazareths ihre Oberkleidung vertauschten, seinem Lager.

»Es sind ihrer heute nur achtundvierzig gestorben, Brüderchen,« sagte der junge Gehilfe mit schwerer Zunge, indem er sich auf den Moslem stützte. »Schade, daß das halbe Hundert nicht voll ist. Aber ich rechne darauf ehe der Doctor kommt. Schau den da an, – was nutzt ihm die Medizin, die wir ihm noch geben sollen? – morgen früh tanzt er doch mit Deinen Houri's im Paradiese.«

»Was für Koth sprichst Du da, Freund,« erwiderte der Türke. »Die Gläubigen sind nicht da um zu tanzen, das überlassen sie den tollen Christen und den Alme's. Die Gläubigen sitzen auf weichen Kissen und lassen sich von zehntausend der schönsten Houri's bedienen und schlürfen den goldenen Wein von Cypern.«

»Das muß höllenmäßig schön sein! Als ich noch Schneider und Bartkratzer in Livorno war, hätte ich mir's im Leben nicht träumen lassen.«

»Unsere berühmtesten Wessire waren in ihrer Jugend Barbiere,« entgegnete andächtig der Türke. »Mashallah! was willst Du noch mehr? Ich Habe gesprochen.«

»Und diavolo, ich durste ganz verzweifelt in dieser abscheulichen Luft. Banabak, Freund Ali, gieb mir Deine Flasche her, die meine ist leer. Du hast sie mir ausgetrunken.«

»Eh Gusum, Du thatest es selber!«

»Das ist eine Lüge! Du hast's gethan!«

»Du bist kein Esel, Freund, besinne Dich!«

»Höre, Ali, – ich bin Dein Vorgesetzter, gieb die Flasche!«

Ein wilder, verzweifelnder Schrei furchtbaren Schmerzes gellte zwischen den eklen Zank, – ein junger Soldat vom Corps der türkischen Kosaken, der zwei Betten von dem Capitain entfernt lag, hatte ihn ausgestoßen.

»Wasser – bei der Barmherzigkeit Gottes – Wasser!«

Der ehemalige Barbierbursche stieß trunken seinen Gefährten an.

»Ich kenne das, – erst haben sie Durst, dann kommt das [355] Delirium und dann holt sie der Teufel. Es ist was Trübseliges, solchen Durst zu haben. Nummer neunundvierzig!«

Er dachte nicht daran, dem Flehenden die Labung zu reichen.

»Gott will es.«

Der Jammerruf des Soldaten wiederholte sich und verstummte dann in ein stöhnendes, wimmerndes Gurgeln.

»Es ist Zeit, daß wir dem Burschen da die Medizin geben, sonst schilt uns Signor Wellando und sieht uns auf die Finger wegen des verbotenen Rums.«

»Ich spucke auf seinen Bart.«

»Den Teufel thue ich! – er sieht mir nicht danach aus, als ob er sich's gefallen lassen würde. Gieb mir die schwarze Medizin da her, Ali. Ich möchte nur wissen, weshalb unser College so viel Umstände mit dem Lumpenkerl hier macht.«

»Du irrst Dich, Effendi, – er soll die Weiße haben.«

»Manigoldo! 7 willst Du ihn mit Gewalt umbringen? Die Weiße ist Gift.«

»Ne apalum! was kann ich thun? Die Schwarze enthält das Gift.«

»Wirst Du schweigen, babuasso! 8 ich sage Dir, die Weiße ist's.«

»Gott ist groß. Wenn es sein Kerim ist, daß sie ihm nicht schaden soll, wird sie ihm nicht schaden.«

Der Barbier goß schwankend die dunkle Flüssigkeit in ein Gläschen, als einer der Mohren ihn anstieß, der eben mit seinem Gehilfen eine Leiche an ihm vorüber schleppte.

»Marzocco! 9 Du hast mich die ganze Medizin verschütten lassen!«

Er schlug ihn mit der Flasche in's Gesicht, daß der Schwarze heulend den Todten fallen ließ und die Leiche in dem Gange liegen blieb.

»Delhi der! Nimm die weiße Medizin jetzt, o Hekim-Baschi.«

»Es wird sich gleich bleiben,« sagte der Trunkene. »Sterben muß er doch.«

Damit nöthigte er dem Capitain die Medizin ein. Zum Glück [356] hatte dieser die Instruction des Arztes mit angehört und wußte, daß es die richtige war.

Die Trunkenbolde zogen weiter; die Leiche blieb liegen dicht neben dem Lager des Offiziers, und die großen verglasten Augen schienen ihn in dem Halbdunkel gespensterhaft anzustarren.

Erst überkam ihn nach der Medizin ein eigenthümliches Gefühl des Wohlbehagens, – eine gewisse Ruhe und Apathie legte sich auf seine erregten Nerven. Nach und nach ging dies Gefühl in eine leichte, jedoch nicht unangenehme Kälte über. Ihm war wie einem im Schnee Erfrierenden, dessen Glieder langsam und unmerklich absterben. Dabei aber bleiben einzelne Sinne thätig, ja schärfen ihre Functionen.

Sein Gehör vernahm selbst die flüsternden Laute der Leidenden in großer Entfernung. Der verzweifelnde Ruf nach Wasser gellte wie Sturmesbrausen in sein Ohr.

Der türkische Kosak ihm zur Linken schien jetzt nicht mehr zu dürsten, – Träume der Heimath umgaukelten sein Sterbelager. Es war ein Deutscher, – ein junger Mann aus guter Familie, dem an seiner Wiege nicht das schreckliche Loos gesungen war. Aber die Verderbniß einer großen Stadt hatte auch ihn verdorben von Stufe zu Stufe, bis der Vater nach oft wiederholter Verzeihung ihm endlich um der andern Kinder willen jeden weitern Beistand entzogen. Die Steckbriefe der Behörde verfolgten ihn auf der Flucht aus der Heimath, – so war er – ein Verlorener und verloren – auf den Schauplatz gekommen, der so Viele seines Gleichen verschlang.

»Es ist nur ein Gott und Mahomed ist sein Prophet!«

Das Gebet Abdallah's, des Damasceners, klang wie eine Gotteslästerung in das Toben und Reden des Deliriums, in das die sinkende Abendstunde Viele versetzt hatte.

Die von dem corsischen Banditen verwundete Hand hatte den Asiaten in das andere Lazareth geführt und dort ihn der Typhus befallen.

»Gold, heiliger Prophet, – rothes blinkendes Gold! Ich sehe das Paradies offen mit seinen sieben Himmeln, – die Stufen hinauf sind von Gold, von reinem klarem Gold ...«

»Fluche mir nicht, Mütterchen,« wimmerte der junge Mann zur Linken, – »o, ich weiß wohl, Mutter, daß ich Dir das Herz gebrochen, und die Thränen der Schwestern und die strengen Augen [357] des Vaters klagten mich an, als Du so weiß im schwarzen Sarge lagst, – o, fluche mir nicht, Mutter, eine Mutter kann dem Erstgeborenen nicht fluchen, den sie unter dem Herzen trug.«

Auf seinem Lager von moderndem Stroh hatte sich ein Mann emporgerichtet, – der lange Haarbusch des Albanesen fiel über sein todbleiches Gesicht, aus dem nur die schwarzen Augen mit unheimlicher Lüsternheit funkelten.

»Heiliger Prophet, Du erfüllst meine Sehnsucht. Ich sehe sie vor mir in all' ihrer Herrlichkeit, Fatinitza, die Wölfin von Skadar, der ich nur ein Mal in's Antlitz geschaut, wofür meine Füße die Bastonade litten bis sie zu Brei wurden. Heiliger Prophet, ich sehe Fatinitza, die Houri, und siebentausend Houri's um sie her. Wie ihre brennenden Augen Wollust strahlen und das Gehirn in meinem Haupte versengen! Ihre Lippen sind wie die Rosen von Eden, ihr Busen wie der Marmor von Skyos. Ihr Athem ist Duft und ihre Hüften sind wie Kissen, – heiliger Prophet, laß mich ruhen in ihrem Arm!«

»Ich sehe das Gold und die blitzenden Steine, – wo ich hinsehe, ist Gold – rothes Gold, und der flüssige Strom kommt auf mich zu, – o, daß ich tausend tausend Hände hätte – –«

Eine singende Stimme wie aus weiter Ferne schlug an sein Ohr, – er konnte den Kranken nicht schauen, aber er fühlte das Unheimliche dieser Stimme, die klang wie ein Grabgesang. Der Unbekannte mit dem Traumgesicht sang sein Todtenlied bald in italienischer, bald in slavonischer Sprache, – unheimlich – furchtbar klangen die Worte, – eine Piesme, gleich dem Bardensange Ossians, wie ihn die Sänger und Seher mit dem zweiten Gesicht in den Felsenschluchten Schottlands oder in den Nebelbänken der Orkneys klagen.

»Der Geier schwebt über dem Lamm, – der Wudkoklak wetzt seine weißen Zähne, um sie in das Blut des lebendigen Weibes zu schlagen. Ich schaue Dich, Frau, wie Dein weißer Körper sich windet in den Krallenarmen des bösen Vampyrs. Aber seine teuflischen Augen haben Dich berauscht und Deine Kraft vernichtet!« .......................................................

Und wiederum auf's Neue begann die Stimme:

»Awra, das zarte Weib, liebte Junok, den Tapfern, aus feindlichem Stamm. Aber Junok fiel in die Hände der Ihren, und der schwarze Haran Hassan wollte ihn tödten. Da kam sie in der [358] Nacht zu seinem Lager und sprach: Haran Hassan, Du hast um mich vergeblich geworben und Geschenke mir gesandt, – hier bin ich, nur von dem Linnen bekleidet, und will Dein Lager theilen, wenn Du den jungen Krieger ungefährdet zu den Seinen lässest.« ...

Der Offizier rang mit den grauenhaften Phantasieen, die auf ihn einstürmten und seine Sinne verwirrten; aber immer kälter und fester legten sich die Bande der Erstarrung über seinen Körper und das Leben schien nur noch in seinem Herzen und seinem Gehirn concentrirt.

»Agnes,« flüsterte der junge Deutsche, »Dein Bild mit dem Kinde steht vor mir! Wie Du so lieb und rein warst! – kannst auch Du mir vergeben? – Ich werde zurückkehren zu Dir und dem Kinde, ein treuer Mann werde ich sein, – ich sehe Dich, mein Weib, mit den goldenen Locken des Knaben – o wie glücklich! – Allmächtiger Gott im Himmel, der Krampf, der Krampf! Hilfe, Hilfe –«

Und der Unglückliche wand sich in seinen Zuckungen, und die Bilder der verzeihenden Lieben hatten ihn getäuscht und die gebrochenen Herzen schlugen hunderte von Meilen von seinem Sterbelager, – vielleicht ihn im selben Augenblick verwünschend, vielleicht ihm vergebend. – Gott der Herr allein weiß es!

»Ai gusum! wie so süß Deine Küsse sind gleich dem Honig von Chios. Wie sie mich umdrängen die Houri's, tausend Beine, tausend Busen, tausend Lippen, alle auf ein Mal! – o tödtende Lust des Paradieses!« – – –

»Gold – Gold! – Der glühende Strom umfließt mich und verzehrt meine Gebeine! Wie soll ich trinken das flüssige Metall!« –

Und wiederum erklang die geheimnißvolle Stimme und die Sprache wechselte in den italienischen Wohllaut:

»Ich sehe vor mir die süße Nacht, die Brautnacht, die der Geier hält mit der Taube. Nacht rings um, – o wie sie zittert und sich wehrt die arme blutende Taube; aber der Wudkoklak ist über ihr. Er hat sie betrogen und Junok, ihr Geliebter, ist dennoch dem Blutbann verfallen. Er wird sterben, wenn der Wudkoklak ihr Blut bis zum letzten Tropfen gesaugt.«

»Die Kerle machen einen Höllenlärmen. Haltet Euer Maul, Canaillen, oder es geht Euch schlimm!« tobte der trunkene Barbier.

»Delhi der! es sind Tolle, – sie wissen nicht, was sie reden.«

»Aia – was das Brautbett schön und süß ist, – wie der [359] Vampyr die Moma umschlingt und die gierigen Lippen auf ihren Busen heftet! Bleich ist ihr Gesicht in der Stunde der Liebe, und der Segen des Weibes ist ihr Fluch. Die Moma opferte das Herz und den Leib für den todten Freund! Fahre wohl, schöne Awra, denn der Tod ist über Dir, ehe zwanzig Mal der Mond sich gerundet!«

»Himmlische Houri, nimm mich auf in Dein Paradies!«

Das Schmerzensstöhnen des jungen Deutschen hatte sich in ein leises Röcheln verwandelt, – nach und nach verstummte auch dieses. Noch ein Mal vernahm das gereizte Ohr des Capitains den Namen Agnes – dann war Alles still auf jener Seite.

Auch der junge Mulassim war zu dem Paradiese Mahomed's eingegangen, wo die tausend gazellenäugigen Houri's seiner harrten.

Die krampfhaft erregten Züge gruben sich zu starren Furchen unter der erkältenden Hand des großen Würgers.

Nur Abdallah, der Geizhals, konnte nicht sterben, – all' seine zähe Lebenskraft klammerte sich an das elende Metall und den Jammer, daß er es im Hane des Bulgaren verloren.

Und fort und fort klang die Todtenklage des Slavoniers aus dem von giftigen Dünsten erfüllten Dunkel des langen Ganges.

Die beiden Gehilfen des Doctors untersuchten die Kranken, indem sie dieselben mit Hilfe eines Stockes aufstörten.

»Leuchte hierher, Mustapha, Du schwarzer Hund!« sagte der Barbier zu dem begleitenden Mohren. »Da – der ist für Euch – und hier der On-Baschi auch, der so viel geschrieen und gejammert hat. Der Kerl geberdete sich wie eine junge Dirne, die mit einem Alten die Brautnacht feiern soll.«

»Mein Bruder schaue den Mann, den der Hekim-Baschi uns empfohlen, – ich glaube, auch seine Zeit ist gekommen.«

»Per bacco – wahrhaftig; da hätten wir Einen über die fünfzig! – He, Freund, lebst Du oder bist Du todt?«

Er stieß den Capitain mit dem Stock an. Der Körper rührte sich nicht, das Auge blickte starr wie das einer Leiche.

Und dennoch wohnte Leben und Bewußtsein in dem todten Körper, dessen Glieder wie durch Starrkrampf oder vollständige Lethargie gefesselt waren.

»Schleppt das Aas weg, – fort mit ihm in die Todtenkammer. Für was haben wir uns nun abgemüht mit dem Burschen?«

»Allah wollte seinen Tod. Gieb mir die Flasche, mein Bruder.«

[360] Die Neger, die bereits die beiden andern Leichen expedirt, rissen den Körper vom Lager und zerrten ihn durch die Reihe der Kranken nach dem Verschlag am Ende des Ganges – der Vorrathskammer der Leichen.

Dort ließen sie ihn auf dem kalten Boden liegen. –

Dunkle Nacht rings um, – die Augen, die er nicht zu schließen vermochte, schauten nur schwarze Finsterniß; auf der Brust, die der Athem nicht mehr hob, lastete dennoch wie ein schwerer Alp der Ekle Dunst der Verwesung.

So lag er stundenlang – über sein Antlitz und seine Hände huschte die feuchte Kälte der Ratte – um die dünnen Wände des Verschlages heulte draußen der Schakal, vom Leichengeruch getrieben, und dem Lazareth stöhnte und wimmerte der Schmerz.

Dann flimmerte ein matter Lampenschein durch das Gemach, – zwei der Neger schlichen herein und begannen die Leichen zu durchsuchen. Es ist eine bekannte Sitte, daß der arme türkische Soldat seinen geringen Sold und seine Beute in jeder Weise zusammenspaart und hungert und dürstet, um seinen kleinen Schatz zu vermehren, den er stets am Leibe verborgen trägt. Der Geiz und die Habsucht sind hervorstechende Eigenschaften der Türken, neben einer prahlerischen Verschwendung und Schaustellung auf der andern Seite. Obgleich die Soldaten der Donauarmee Monate lang keinen Sold empfangen, gab es doch Viele der Nizams und der Irregulairen, die mehrere hundert Piaster an ihrem Körper in Silber und Goldstücken mit sich trugen.

Deshalb durchsuchten – obschon es streng verboten war, – nochmals die Wärter des Lazareths die Leichen und die eklen Lagerstätten. –

Der Schein ihrer Leuchte fiel auch auf das Antlitz des Capitains und ihre gierigen Hände plünderten seine Taschen. Wir wissen, daß er seine Habe dem Knaben Nursah anvertraut, die Leichenräuber fanden daher Nichts als einen kleinen Ring am Goldfinger seiner linken Hand – der Widerstand, den er unwillkürlich zu leisten suchte, als sie den Reif mit Gewalt abzogen, sprengte endlich die Erstarrung seines Körpers und während sie mit der gewonnenen Beute sich entfernten, fühlte er wieder Leben und die Fähigkeit der Bewegung in seine Glieder treten. Es war wieder dunkel um ihn her, als er sich mühsam auf den Ellenbogen aufrichtete und seine geistigen Kräfte zu sammeln suchte, auf denen es [361] wie ein dumpfer Nebel gelegen, durch den hindurch er alle Vorgänge um sich bemerkt. Er vermochte wenigstens aus der gräßlichen Nachbarschaft der todten Körper sich zu schleppen.

Der tapfere Offizier fühlte, wie das furchtbar Schauerliche seiner Lage, die entsetzliche Umgebung, desto mehr auf ihn wirkte, je mehr er zu vollem klarem Bewußtsein zu gelangen suchte, und daß, wenn er noch lange in dieser Situation bliebe, Wahnsinn und Tod sein Loos sein mußte. Mit Gewalt kämpfte er gegen die wüsten Bilder, die wieder seinen Geist zu verwirren drohten, gegen die schaurige Kälte, die durch die Glieder herauf an sein Herz griff.

Da wiederum öffnete sich die Thür des Lazareths und nochmals fiel der düstere Schein einer Lampe auf die Stätte des Todes. Der Offizier hatte noch so viel Kraft, sich wieder auf den Boden zurück und in die Lage eines Todten zu werfen, aber diesmal war es nicht mehr nöthig – der Eintretende war Doctor Welland.

Ein tiefer schwerer Seufzer löste sich von der Brust des Offiziers, als er den Retter erkannte und führte sogleich diesen an seine Seite. –

»Um Gotteswillen, Capitain, wie fühlen Sie sich? – Die betrunkenen Schurken, meine Gehilfen, haben Sie, meinen strengen Befehlen entgegen, an diesen Ort des Entsetzens eher bringen lassen, als es nöthig war. Ich wurde verhindert, früher wieder hier zu sein. Muth! Muth! und raffen Sie Ihre Kräfte zusammen.«

Er hatte die Lampe auf den Boden gestellt und hielt ihm ein Flacon mit scharfen ätherischen Salzen unter die Nase, die eine heftige Erschütterung der Nerven hervorriefen. Dann übergoß er ihn mit einer Fluth von Eau de Cologne und wusch ihm Stirn und Schläfe damit.

»Können Sie sich erheben, Capitain?«

»Ich hoffe es – eine Stunde länger in diesem scheußlichen Aufenthalt wäre mein Tod gewesen.«

Er richtete sich mit Hilfe des Arztes empor, doch mußte er sich schwer auf diesen stützen, seine Beine versagten ihm fast den Dienst, schwer wie Blei lag es in seinen Gliedern und auf seinem Gehirn.

»Das ist die Wirkung des Laudanums, die frische Luft wird Ihnen gut thun. Kommen Sie, Herr.«

Er schleppte ihn nach einer gegenüberliegenden, in's Freie [362] führenden Thür. Dort hob er den Holzriegel, der sie von Innen verschloß, löschte die Lampe und öffnete dann die Pforte; die frische scharfe Winterluft von der Donau her drang ihnen entgegen.

Der Arzt zog den Befreiten um die Ecke des Gebäudes, wo Nursah, in eine wollene Decke gehüllt, kauerte.

»Verweilen Sie hier und lassen Sie unbehindert die Nachtluft durch Ihre Kleidung streichen, und riechen Sie von Minute zu Minute an dieser belebenden Essenz. Ich muß die Spuren Ihrer Flucht vertilgen und dieses Lazarethkostüm ablegen, dann hole ich Sie hier ab.«

Damit verschwand er in der Thür des Leichenhauses und verschloß dieselbe wieder von Innen.

Der Russe lehnte erschöpft an die Wand des Gebäudes, während der Knabe Nursah seine Hand erfaßte und ihm Muth zusprach. Nach einer Viertelstunde, während der die rauhe Nachtluft den Capitain durchkältet, dagegen auch die Betäubung seines Geistes einigermaßen erleichtert hatte, kehrte der Arzt, in seinen Mantel gehüllt, um die äußere Seite des langen Gebäudes zurück.

»Nun fort, denn ein unglücklicher Zufall könnte hier unsere ganze Mühe vereiteln. Zuvor noch einen tüchtigen Schluck aus dieser Flasche, Capitain, und dann hüllen Sie sich in die Decke Nursah's und stützen Sie sich auf mich. Voran, Nursah, Du weißt den Weg.«

Damit faßte er den Capitain unter den Arm und führte ihn mit sich fort, während der schwarze Knabe etwa 200 Schritt vor ihnen her ging, querfeldein von der Donau und der Straße nach Negotin ab.

Sie waren an mehrere Posten vorbeigekommen, denen der Arzt die Parole zurief. Dem Offizier einer entgegenkommenden Patrouille sagte er ruhig, daß ein Baschi-Bozuk ihn zu dem Arnauten-Aga gerufen, der im Lager der Irregulairen erkrankt sei, und da die Thätigkeit des fränkischen Hekim-Baschi's in ganz Widdin bekannt war, ließ die Patrouille die kleine Gruppe ruhig passiren, die jetzt im Schatten eines Hohlweges sich von der Stadt abwandte.

Nach einem halbstündigen Gange, während dessen der russische Offizier stumm alle Kräfte angestrengt hatte, um seinen Rettern zu folgen, erreichten sie eine Gruppe von Bäumen, in deren Schatten dunkle Gestalten sich bewegten. Nursah pfiff leise und das Signal wurde sofort erwiedert. Näher hinzutretend, fanden sie hier [363] zwei Männer mit drei Pferden, Mungo, den Zigeuner, und einen bulgarischen Knecht des Hanewirthes.

Der Zigeuner geberdete sich wie unsinnig, als er seinen Herrn wiedersah, er umarmte seine Füße und küßte seine Hände, und Capitain Meyendorf, der jetzt seine volle Gesinnung wieder erlangt hatte und dem nur ein dumpfer Kopfschmerz und eine große Schwäche der Glieder zurückgeblieben war, mußte sich mit Gewalt von ihm losmachen, denn der Arzt drängte zur Eile.

»Hier,« sagte er, »ist Ihre Brieftasche und die Börse zurück, die Sie mir in der Lokanda Alexo's anvertrauten. Aus der letztern habe ich wiener Banknoten im Betrage von fünfhundert Gulden genommen, denn ich mußte dem Hanewirth den Werth der Pferde sicher stellen, und ich selbst bin nicht so reich, um das aus eigenen Mitteln thun zu können. Im Uebrigen finden Sie Alles unversehrt; der Knecht Gawra's kennt alle Schlupfwege und wird Sie durch die türkischen Linien über den Timok auf serbisches Gebiet bringen, wo Sie gerettet sind. In drei Stunden scharfen Rittes, also mit Tagesanbruch können Sie dort sein, und ich rathe Ihnen, im ersten serbischen Dorf, das Sie erreichen, alsbald ein langes türkisches Bad zu nehmen und Ihre Kleidung mit jeder beliebigen vollständig zu wechseln, die dort zu haben ist. Im Uebrigen stehn Sie – wie wir Alle – in des Allmächtigen Hand, und er wird Ihre Rettung nicht haben gelingen lassen, damit Sie der Ansteckung jener Pesthöhle unterliegen, zu der meine Pflicht mich zurückführt. Leben Sie wohl, Herr!«

Der Capitain erfaßte seinen Arm und führte ihn einige Schritte abseits von der Gruppe, die sich zum Abritt fertig machte.

»Wie soll ich Ihnen danken für Das, was Sie für einen Fremden gethan, der Sie wenigstens um die Gunst Ihres Namens bittet, um stets sich an seinen Retter erinnern zu können.«

Der Arzt nannte ihn freundlich.

»Und nun noch Eines, Doctor Welland,« sagte der Offizier erregt, indem er die Hand des Deutschen in der seinen drückte. »Sie versprachen mir, die Gräfin Laszlo von meinem Schicksal in Kenntniß zu setzen und sie in der widrigen Lage, in der sie sich eben befindet, nicht zu verlassen – –«

»Die Gräfin,« sagte der Arzt – und seine Stimme vibrirte in schmerzlicher Erinnerung, »die Gräfin weiß, daß Sie gerettet sind.«

»Und sie selbst?«

[364] »Die Gräfin hat bereits Widdin verlassen und wird früher die serbische Grenze in anderer Richtung passiren als Sie – aber –«

»Sprechen Sie, Doctor, ich beschwöre Sie!«

Der Arzt reichte ihm ein versiegeltes Blatt.

»Ich habe Ihnen hier alles Weitere aufgeschrieben, was Ihnen zu wissen nöthig ist. Ich verlange jedoch Ihr Ehrenwort, daß Sie das Blatt vor zwölf Stunden nicht öffnen und sich bis dahin allen meinen Anordnungen fügen.«

»Sie sind mein Retter und ich gebe es, doch warum ...«

»So sitzen Sie jetzt auf und machen Sie sich auf den Weg. Leben Sie wohl, Herr, und ehren Sie die Hand des Allmächtigen in Ihrer Rettung und fügen Sie sich in seine Wege.«

Der Capitain saß auf dem Pferde.

»Wenn nur Helene Laszlo gerettet ist, ich bin ein Mann und habe die Kraft, zu tragen und zu kämpfen.«

Nursah's Hand reichte ihm die Revolver-Pistole.

»Nimm Deine Waffe, Signor!«

»Behalte sie, Knabe, es ist das einzige Andenken, das ich Dir geben kann.«

Er fühlte schwere warme Tropfen auf seiner Hand. – »Du weinst, Knabe?«

Nursah schluchzte und der Offizier schaute wild auf Herrn und Diener.

»Was ist geschehen, Doctor – Sie verschweigen mir ein Unheil ...«

Doch der Arzt hatte Mungo, dem Zigeuner, gewinkt und dieser des Capitains Pferd bereits am Zügel.

»Leben Sie wohl, Herr, und nun vorwärts.«

Hinweggerissen von seinen beiden Begleitern jagte der Gerettete davon und die Hufschläge verklangen bald in der Ferne.

Der Arzt faßte seines jungen Dieners Hand.

»Komm', Nursah – er ist gerettet und wir wollen uns einer guten That erfreuen, die Der dort Oben uns vergelten wird.«

Der Knabe weinte. – »Das Leben ist gerettet, Herr – aber er wird es verachten um den Preis, den es gekostet hat! O daß ich nicht zu ihr zu dringen vermochte, als es noch Zeit war für sie und ihn!«

Fußnoten

1 Die walachischen Milizsoldaten, eine Art Landgensd'armerie.

2 Gut Glück.

3 Das gebe Gott.

4 Kalte saure Milch, ein bulgarisches Nationalgericht.

5 Schnaps.

6 Märchenerzählerin.

7 Schuft von einem Scharfrichter.

8 Schaafkopf.

9 Schurke.

Das Ende vom Anfang
[365] Das Ende vom Anfang.

Drei Monate waren seit dem blutigen Kampf bei Czetate vergangen und andere Kämpfer sollten jetzt auf dem Schauplatz erscheinen.

Es war der Abend des 27. März, und unsere Geschichte führt uns nach einer kurzen Uebersicht über den Gang der Ereignisse an die Ausgangsstätte unsere Buches, zurück nach Paris.

Am 4. Januar war die vereinigte englisch-französische Flotte, 34 Segel stark, in's schwarze Meer eingelaufen. Indem der englische und französische Gesandte dies zur Kenntniß Reschid-Pascha's brachten, stellten sie das Verlangen, daß ohne vorgängiges Benehmen mit den Gesandten und Admiralen die türkische Flotte nicht die Offensive ergreife.

Die Verlangen und die Zusage müssen als bloßes Blendwerk der öffentlichen Meinung bezeichnet werden, denn die türkische Flotte war nach den Verlusten von Sinope in keiner Weise zu einer Offensive geeignet. Der Wendepunkt des Krieges lag vielmehr bereits in den unterm 27. den Befehlshabern der Flotten gegebenen Instructionen, deren Inhalt am 12. Januar in Petersburg der englische und der französische Gesandte dem Grafen Nesselrode notifizirten.

Die englische Instruction für den Gesandten besagte, daß die Flotten auch den Türken nicht gestatten würden, einen Angriff zur See zu machen, – die französische Instruction enthielt jedoch von dieser Garantie für Rußland kein Wort.

Die Admirale Dundas und Hamelin hatten beim Auslaufen die Fregatte »Retribution« mit Depeschen an den Fürsten Menschikoff nach Sebastopol vorausgeschickt, welche dem Fürsten-Gouverneur erklären sollten, daß die Flotten nur zum Schutz des türkischen [366] Gebiets sich im Schwarzen Meere befänden, daß dagegen die russische Flotte ihre Häfen nicht verlassen dürfe. Die wahre Absicht der Sendung war aber offenbar eine Recognoscirung von Sebastopol, in dessen Hafen die Fregatte trotz zwei blinder Schüsse der Batterieen einzudringen suchte. Erst eine Kugel durch ihren Bug nöthigte sie zum Beilegen. Sie fand die gesamte russische Flotte im Hafen versammelt. Die vereinigte Flotte hatte, trotz jener Erklärung der Admirale, die Gelegenheit benutzt, um einen Convoi türkischer Dampfer mit Kriegsvorrath nach Batum zu escortiren.

Während in Wien die Conferenz sich abmühte, Project auf Project zu häufen, ohne daß es irgend einem Theil, mit Ausnahme Preußens, wirklich Ernst damit war, wurden Erklärungen der Höfe von Paris, London und Petersburg gewechselt. Die russischen Gesandten in Paris und London forderten eine solche über die Instructionen der Admirale. Die ihre lautete, daß Rußland ein Auftreten der Flotten nicht als feindseligen Akt betrachten würde, welches die Gegenseitigkeit gewähre, daß Türken eben so wenig wie Russen angreifen dürften, und daß, wenn den Türken der Verkehr zur See zwischen ihren Küsten gestattet wäre, dies auch für die Russen stattfinden müßte. England und Frankreich jedoch antworteten unterm 31. Januar und 1. Februar ablehnend, daß sie die Instructionen, wie sie seien, aufrecht erhalten würden, vorauf Baron Brunnow und Herr von Kisseleff den beiden Kabinetten anzeigten, daß sie sich in Folge der verweigerten Reciprozität genöthigt sähen, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen und London und Paris mit den Gesandtschaftsmitgliedern zu verlassen. Dies geschah am 4. Februar. Die englischen und französischen Gesandten erhielten sofort den gleichen Befehl. Der Erstere wurde – noch ehe dieser eintraf – von Graf Nesselrode unterm 13. aufgefordert, seine Pässe zu nehmen. Der französische Gesandte verlangte selbst die seinen.

Damit war der diplomatische Bruch entschieden, und die Bitterkeit, welche im Tone des von Kaiser Napoleon an den russischen Czar unterm 29. Januar gerichteten, durch die Zeitungen veröffentlichten Briefes herrschte, und die Antwort des Czaren vom 9. Februar zeigte die gereizte Stimmung und was von gegenseitigen Concessionen zu erwarten war.

In Wien war am 29. Januar Graf Orloff, der Freund und [367] greise Vertraute des Czaren, eingetroffen, um mit Baron von Budberg den Versuch zu machen, Oesterreich und Preußen zu einem unbedingten Neutralitätsbündniß mit Rußland zu bewegen. Während Oesterreich mit eingehenden Versprechungen hinhielt, lehnte Preußen offen ein solches Bündniß als eine wenn auch unausgesprochene Hilfe für Rußland ab, die mit seinen durch die Protokolle übernommenen Verpflichtungen im Widerspruch stände. Die Mission des gewandten Staatsmannes scheiterte hiermit und der Graf verließ am 8. Februar Wien, worauf Oesterreich sich beeilte, in Serbien und dem Banat ein Beobachtungscorps von 25,000 Mann aufzustellen unter dem Vorwande der serbischen Erregung und der in den Gränzdistrikten jetzt offen ausgebrochenen Schilderhibung der Griechen.

Unterm 9. Februar erließ Kaiser Nicolaus ein Manifest an sein Volk, worin er erklärte, daß die von England und Frankreich ihren Flotten im Schwarzen Meere gegebenen Befehle eine unter gebildeten Staaten unerhörte Handlungsweise constatirten, die ihn zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit jenen Staaten genöthigt hätten, die sich zu den Feinden des Christenthums stellten gegen Rußland, das für die orthodoxe Kirche streite. Rußland werde gegen alle Angriffe feststehen – wie 1812. Die Westmächte antworteten unterm 27. Februar mit einem Ultimatum nach Petersburg das die Räumung der Fürstenthümer bis zum 30. April forderte; die Verweigerung solle als Kriegserklärung betrachtet werden, und Lord John Russel hielt seine bekannte Philippika im Unterhause gegen die unredliche und eroberungssüchtige Politik Rußlands. Zugleich forderte die österreichische Regierung, der an einer Verbreitung und einem glücklichen Erfolge des griechisch-christlichen Aufstandes sehr wenig gelegen war, die Westmächte auf, demselben zu Wasser und zu Lande entgegen zu treten, und diese bedrohten die griechische Regierung mit einer Blokade und jener Occupation, welche, später wirklich ausgeführt, eine Schmach des christlichen civilisirten Europa's und eine Beschimpfung des Königthums werden sollte, wie sie sich sicher einst schwer rächen wird. Der Czar dagegen erklärte, daß er dem griechischen Aufstande seinen Beistand und seine Theilnahme nicht versagen könne, und sollten die Kämpfe einen ähnlichen Charakter wie die Freiheitskämpfe von 1826 annehmen, so werde er unter keiner Bedingung mitwirken, diese Bevölkerung wieder unter das türkische Joch zurückzubringen.

[368] Mit dieser Erklärung von Seiten Rußlands am 2. März waren seine Absichten offen dokumentirt, wie die Pläne der Westmächte durchs die Instruction an die Admirale.

Zu Ende Februar hatten bereits die Absendungen französischer und englischer Truppen nach dem Orient begonnen. Der Oberbefehl über das französische Heer und über die gesamte Armee der Alliirten wurde an den ehemaligen Kriegsminister, den Marschall Saint Arnaud, übertragen; das englische Corps befehligte Fitzroy Somerset, Lord Raglan. Ingenieure gingen voran, um bei Gallipoli das Lager für die Hilfstruppen auszustecken, und die Westmächte schlossen unterm 12. mit der Pforte einen Allianz-Tractat über die Sendung von Hilfstruppen ab, wogegen sich die türkische Regierung verpflichtete, keinen Waffenstillstand oder Frieden ohne Bewilligung der beiden Alliirten abzuschließen. Am 11. war die englische Ostseeflotte von Spithead ausgelaufen.

Die Kämpfe an der Donau hatten unterdeß mit wechselndem Glück ihren Fortgang genommen, während dagegen die Russen in Asien mehrere bedeutende Siege gewannen.

General Schilder hatte am 26. Januar den General Fischbach in Krajowa ersetzt und die oberste Leitung der Operationen gegen Kalafat übernommen, die sich indeß bis Mitte März auf eine Cernirung und unbedeutende Gefechte beschränkten. Vom 13. bis 19. vertrieben die Russen die Türken wieder aus Giurgewo, wo es ihnen gelungen war, sich festzusetzen, der Versuch eines Ueberganges nach Rustschuk wurde dagegen zurückgeschlagen und die Türken gewannen selbst die zwischen Szistowo und Rustschuk gelegene Donauinsel, gingen am 4. März bei Kalarasch auf das linke Ufer des Flusses und zerstörten zum Theil die gegen Silistria dort errichteten russischen Batterieen. Ebenso versuchte Fürst Gortschakoff vergeblich und mit großem Verlust noch ein Mal bei Oltenitza die zwischen den beiden Ufern liegende Insel den Feinden zu entreißen. Die Russen waren in diesem Augenblick auf allen Punkten an der Donau im Nachtheil und ihr Führer offenbar mit einem neuen Operationsplan beschäftigt.


Ein ziemlich großes Arbeitskabinet, – schwere dunkle Vorhänge vor den Fenstern, durch welche man auf die glänzende Erleuchtung der Ströme von Gas schaute, welche allabendlich den herrlichen Quai der Tuilerieen mit Tageslicht erhellen; – das [369] prächtige Bild einer Frau mit aschblonden Haaren und dunklen spanischen Augen aus dem berühmten Pinsel Désandré's; – einige Karten an den mit dunklem Seidenstoff und darein gewirkten goldenen Bienen beschlagenen Wänden; – in einer Ecke die Uniform- und Waffenstücke der neuen »Hundert Garden«; – Bücher und Brochüren auf allen Tischen und Schränke mit einer ausgesuchten Handbibliothek an den Seitenwänden, in welche drei Thüren mündeten; – auf dem großen Tisch in der Mitte das überaus schön von Stahl und Messing gearbeitete Modell eines Geschützes nach neuem noch unbekanntem System; – das ist der Ort, wohin wir den Leser am Abend des 26. März führen.

An dem Tisch in der Mitte saß ein Mann von etwa 46 Jahren mit hoher Stirn und vorspringenden, energischen und kräftigen Zügen, denen wir schon ein Mal zu Anfang unseres Buches begegnet sind. Der aus hundert Abbildungen bekannte Schnitt des Bartes, der feste stolze Ausdruck des Gesichtes, aus welchem das ursprünglich ziemlich matte Auge unter buschigen dunklen Brauen häufig scharf und durchdringend aufflammte, konnten unmöglich die hohe Persönlichkeit verkennen lassen. Seine rechte Hand ruhte auf der Lehne des Fauteuils, während seine linke ab und zu eine Cigarre zum Munde führte.

Er schien aufmerksam auf den abwechselnden Vortrag zweier Herren zu hören, die an der andern Seite des Tisches ihm gegenüber standen und von Zeit zu Zeit ihm ein Papier hinüber reichten, das der Sitzende alsdann flüchtig durchsah.

Der Eine der Beiden trug die glänzende Uniform eines Marschalls von Frankreich, sein breites Gesicht sah aufgedunsen und ungesund aus; der Kopf des Andern in Civil mit dem Großkreuz der Ehrenlegion und zahlreichen ausländischen Orden am Cordon seines schwarzen Fracks war geistreich und anmaßend.

»Colonel de Méricourt hat die Berichte über die Einschiffung der Truppen bis zum 22. von Marseille gebracht. In Oran und Algier stehen die designirten Zuaven-Regimenter bereit und warten auf die Schiffe des Admirals Dufresne. Ducos sagt mir, daß dieselben heute an der afrikanischen Küste sein werden. Das ganze Contingent wird demnach bis zum 30. auf der See sein und vor Mitte des nächsten Monats in Gallipoli ausgeschifft. Wann, Sire, werde ich abreisen?«

»Es eilt nicht, Marschall, jedenfalls vor den Engländern. Einstweilen genügt Canrobert. Haben Sie Nachrichten von der Donau, Drouin?«

»Sehr wichtige, Euer Majestät, ich erlaubte mir nur, dem Herrn Marschall Oberbefehlshaber den Vortritt zu lassen.«

»Geschwind, geschwind! Depeschen über Wien? Sie wissen, daß ich sie auf der Stelle erhalten will.«

»Beide sind seltsamer Weise wieder zusammen eingetroffen, also offenbar in Oesterreich verspätet worden. Ich habe unsern [370] Gesandten darüber bereits geschrieben, aber er behauptet, daß es außer seiner Macht stehe.«

»Der Inhalt?«

»Ein russisches Corps ist unterhalb Hirsova über die Donau gegangen und hat die türkischen Schanzen erobert. Am 23. sollte die Belagerung gegen Hirsova beginnen. Fürst Gortschakoff hat auf die Verschanzungen von Matschin ein starkes Feuer eröffnet und sucht offenbar den Uebergang bei Braila zu erzwingen; ebenso General Lüders bei Galacz und General Uschakoff von Ismael aus nach Tultscha.«

»Ah, da haben wir den vollständigen Operationsplan, den Gortschakoff in der langen Ruhe vorbereitet hat.« Er beugte sich über eine vor ihm liegende Karte. »Matschin, Isaktscha, Tultscha und Hirsova – sie müssen nach unsern Berichten von ihrer Stärke in ein Paar Tagen genommen werden und damit ist Babadagh und die obere Dobrudscha in den russischen Händen. Es handelt sich offenbar um eine Operation ihres linken Flügels gegen Varna, als den Schlüssel zu Rumelien. Aber es wird seine Schwierigkeiten haben ohne die Unterstützung der Flotte.«

»Es ist unmöglich, Sire, ohne den Besitz von Silistria.«

»Richtig, Marschall – der Muschir kann sonst über ihre Flanke herfallen. Doch der Fürst ist ein Taktiker und wir werden sicher in den nächsten Tagen von einem weitern Uebergang oberhalb Silistria hören, das man alsdann von drei Seiten umschließen kann.« Er verweilte einigem Augenblicke über der Karte. »Jedenfalls ist der Augenblick zum Einschreiten ge kommen. Wir müssen auf dem Platz sein und die Macht haben, die Ereignisse nach unserm Willen zu lenken. Die Türken dürfen geschlagen, aber nicht besiegt werden und die Balkanlinie muß unberührt bleiben, sonst haben die Oesterreicher Veranlassung und Gelegenheit, sich einzudrängen.«

»Silistria wird sich nicht halten können, Sire.«

»Das ist gleichgültig, wenn es nur so lange geschieht, bis unsere Truppen in Varna stehen. Wir müssen einige zuverlässige Offiziere in Silistria haben, Sie werden die nöthigen Befehle geben, Marschall. Vaillant wird mir morgen Vormittag nach dem Conseil über die Etappen berichten. Alle Maaßregeln müssen beschleunigt werden.«

»Euer Majestät erlauben mir die Bemerkung,« sagte der Minister des Auswärtigen, »daß bei alle dem doch wohl erst der offizielle Schritt der Erklärung voran geschehen muß.«

»Erinnern Sie sich, Herr, wie mein Oheim, der Kaiser, gegen Oesterreich verfahren ist. Das ist hier aber nicht einmal nöthig und wir können vor Europa vollständig alle Formen wahren. Wir haben volle Zeit. Der Beschluß wird morgen im Conseil gefaßt und Fould meine Instructionen erhalten, um sie am Abend im Senat und der Legislative vorzulegen. Es ist mein Wunsch, daß wir den Engländern damit nicht zuvor kommen. Das Nöthige ist hier [371] und in London vorbereitet und der Telegraph kann uns über die Stunde verständigen.«

»Die griechische Regierung hat auf das Ultimatum eine ausweichende und ungenügende Erwiderung gegeben.«

»Das wird uns Gelegenheit geben zu einer Etappe im Pyräus. Das Weitere mögen die Briten von Corfu aus thun. Auf Wiedersehen, meine Herren.«

Die beiden Minister zogen sich durch die große Thür zurück.

Der Zurückbleibende ging einige Minuten in dem Kabinet auf und ab, die Hände auf dem Rücken gefalten. Dann trat er zu einem Bilde Napoleon's des Ersten, das über der Bergère an der Wand zwischen der zweiten und dritten Thür hing und betrachtete es längere Zeit. Die großen durchdringenden Augen des berühmten Herrschers und Kriegers, des Siegers in so vielen Schlachten und drei Welttheilen, blickten starr und ehern auf ihn nieder.

»Seit 1815 zum ersten Male,« sagte der Bewohner des Zimmers langsam vor sich hin. »Die Zeit naht ihrer Erfüllung und die Demüthigung von Moskau wie die Verzögerung meiner Anerkennung werden ihre Sühne finden. Ehe zwei Jahre vergehen, wird der Thron der Napoleoniden wieder der gefürchtetste Europa's sein. Das genügt, denn die Erfahrung hat uns das Erreichbare gelehrt. – Vetter Nicolaus,« – ein leiser Hohn spielte um seinen Mund – »nicht Rußland oder Frankreich – ihre Interessen liegen zusammen! – sondern ich oder Du

Er trat rasch zu der zweiten Thür, hob den Vorhang und öffnete sie. In einiger Entfernung in dem Corridor, auf den sie führte, stand ein Kammerdiener in Escapins.

»André – führen Sie die beiden Herren zu mir in's Kabinet.«

Einige Augenblicke darauf traten zwei elegant in Schwarz gekleidete Männer ein, der Eine mit spitzig hervorspringender Stirn, etwas vorstehendem Mund und scharfen grauen Augen, der Zweite von einem gewissen Embonpoint mit ähnlichen den geübten Financier verrathenden Kennzeichen und orientalischem Schnitt – Baron Riepéra, dem wir bereits in Paris und Wien begegnet sind.

Drei tiefe und ehrerbietige Verbeugungen erfolgten, dann erwarteten sie schweigend die Anrede.

»Meine Herren,« sagte nach einer Pause der Empfangende, »die Finanzoperation, die Sie mir vorgeschlagen, ist zu meiner vollen Zufriedenheit ausgeschlagen. Ich danke Ihnen.«

Wiederum Verbeugungen.

»Während Herr von Rothschild Umstände machte mit der Anleihe von 250 Millionen, gab Ihr Memoir der Regierung den sinnreichen Plan in die Hand, die Summe durch Nationalsubscription – was man sonst nur im Fall einer Finanznoth des Staates thut, – aufzubringen, und den Zeichnungen bis zu zehn Franken Rente einen bedeutenden Antheil zu sichern. Ich habe sofort neben den [372] Nachtheilen auch die Vortheile dieses Vorschlags erkannt. Nicht mehr die Banquiers, sondern die Nation bis in die untersten Schichten ist durch diese Zeichnung an dem steigenden und fallenden Werth der Rente an der Börse betheiligt. Die Anleihen der Staaten bei den Financiers machen die Fürsten entweder zu ihren Commis oder im Fall einer gewaltsamen Maaßregel zu Räubern; die Anleihe bei Allen aber immer das Volk zum blinden Anhänger und Vertheidiger der Regierung.«

»Euer Majestät erlaubten wir uns eine hohe Ziffer zu versprechen.«

»Sie haben sich nicht getäuscht, Herr Bineau hat mir heut Morgen die letzten Berichte aus den Departements vorgelegt, und die Gesammtsumme beträgt 469 Millionen, trotz der kurzen Frist. Rechnen wir auch hierauf die 20 Millionen, die Rothschild, die 30 Millionen, die Ihr Crédit mobilier gezeichnet, die 25 Millionen der Bank von Frankreich und die 5 Millionen Sina's ab, so bleiben immer noch 389 Millionen in kleinen Zeichnungen, also 139 mehr als ich haben will.«

»Euer Majestät werden sich erinnern, daß hierin gerade der weitere Vortheil liegt.«

»Allerdings, und Das ist der Punkt, wo sich unsere Operationen und unsere Interessen berühren. Sie sagen richtig, daß die Nation die einmal gezeichneten Summen nur sehr ungern wieder der Speculation entziehen und dafür jede andere günstige Gelegenheit benutzen würde.«

»Wir sind dessen gewiß, Sire. Durch die Bewilligung der von uns erbetenen Concessionen für denCrédit mobilier erhält unser Unternehmen erst seine wahre Bedeutung. Die Actien, die augenblicklich nur neun Franken über pari stehen, werden einen bedeutenden Cours erreichen und uns so leicht kolossale Kapitalien zufließen lassen, daß wir jeder spätern Anforderung der Regierung werden genügen können.«

Der hohe Herr lächelte unwillkürlich über die jüdische Bestechung.

»Die Disposition über Ihre Kasse,« sagte er, »ist bei der Genehmigung des Crédits weniger meine Tendenz gewesen. Ihr Memoir nennt vielmehr ganz richtig die Betheiligung des Volkes an den Börsenspeculationen eine Sicherung der Regierungen in dieser umwälzungslustigen Zeit. Sagen Sie mir aufrichtig, Baron Riepéra, war der Gedanke aus Ihrem Kopfe entsprungen?«

»Euer Majestät wissen bereits, daß er das Eigenthum und die Absicht der revoloutionairen Propaganda ist, mit welcher sie den Gewinn sichern und den allgemeinen Bankerutt, also den Umsturz Europa's in ihre Hand bringen wollte.«

»Ich weiß – und Sie haben mir denselben Plan vorgelegt, um im Gegensatz die Ruhe Europa's und die Consistenz der Throne an meine Person und an die Erhaltung des Friedens fesseln zu [373] können, nachdem Beide durch den gegenwärtigen Krieg die einflußreichste Stellung gewonnen. Aber ich möchte wissen, ob der Gedanke selbst zuerst von Ihnen ausgegangen ist?«

Der Finanzmann war schlau genug, das Gefährliche der Frage einzusehen.

»Die erste Anregung, Sire, gab ein italienischer Abbé – die finanzielle Ausarbeitung der Idee war mein Werk.«

»Das dachte ich mir – nur ein italienischer Pfaffe konnte eine so furchtbare Idee aushecken, und sie wird zur socialen Sündfluth werden, indem sie sich mit der jüdischen Speculation verbindet. Genug davon, Herr Baron. Ich habe Ihnen den Werth gezeigt, den ich auf Ihre Enthüllungen lege, indem ich Ihrem Verwandten, Herrn Pereira, sofort die Concession des Crédit mobilier ertheilt habe. Ich zweifle nicht an dessen Zukunft, aber merken Sie sich, ich will, daß diese Umwälzung der europäischen Credit-Verhältnisse meinem Hause dienstbar bleibe, oder diese Hand, die ihr die Lebenskraft gegeben, wird sie auch zu erdrücken vermögen. Sie haben, wie ich höre, heute Ihre Zahlungseinstellung angekündigt?«

»Ja, Sire – ich beschränke mich von jetzt ab auf eine anonyme Theilnahme an der Leitung des Crédit mobilier.«

»Wie hoch beläuft sich Ihr Manquement?«

»Nur drei Millionen, Sire.«

»Und wie viel verlieren die geheimen Gesellschaften dabei?«

»Eine Million und achtmalhunderttausend Franken, Sire.«

»Wie hoch rechnen Sie das Vermögen derselben?«

»Nach den durch meine Hände gegangenen Summen auf höchstens drei bis vier Millionen.«

»Indem man ihnen also die Operationen und den Einfluß an der Börse durch Ihren Bankerutt aus der Hand nimmt, wird jener Schlag ein sehr empfindlicher für die Propaganda sein?«

»Ja, Sire, denn die Beiträge fließen mit jedem Jahre spärlicher und ihre Hauptkraft war jetzt gerade die Speculation an der Börse.«

»Aber sie wird andere Vermittelungen dafür finden?«

»Mit Eurer Majestät Unterstützung,« sagte der Jüngere der beiden Financiers, »wird der Crédit mobilier Alles überflügeln. Von der unmittelbaren Einwirkung in Paris entfernt, wird ihre Kraft gebrochen sein und bei den Nachweisungen, die mein Vetter mir gegeben, wird es mir leicht werden, der Kasse der geheimen Verbindungen Schlag auf Schlag beizubringen.«

»Das wird Ihre Sache bleiben, Herr Pereire. Die erbetene Eisenbahn-Concession soll bewilligt werden.« – Der Redner wandte sich wieder zu dem Aelteren:

»Wollen Sie mir aufrichtig sagen, Herr Baron, was Sie zu dieser Sinnesänderung, zu dem Entschluß gebracht hat, der Regierung jene Vorschläge und Entdeckungen zu machen?«

»Sire – eine große Nervenerschütterung – ein furchtbarer [374] Schrecken, den ich noch nicht überwinden kann. Lassen Euer Majestät über die Spezialitäten mich schweigen.«

»Aber fürchten Sie nicht, daß diese Revolutions-Gesellschaften Sie im Geheimen für den Austritt strafen, sich an Ihrer Person rächen werden?«

»Der Boden, auf dem ich stand, Sire, war bereits eine Mine, die jeden Augenblick in die Luft springen konnte. Jener Vorgang, auf den ich angespielt, zeigte mir, was ich zu erwarten hatte. Ich hielt Euer Majestät für den einzigen Mann in Europa, der siegreich den Kampf mit dieser verborgenen Macht führen könnte, und wollte lieber unter Euer Majestät Schutz mich begeben, als länger jene Lage ertragen. Meine Maßregeln sind getroffen; – indem ich Ihr Kabinet, Sire, verlasse, werde ich für alle Welt ein unsichtbarer Mann für ein oder zwei Jahre, bis ich glaube, mit Sicherheit für mein Leben mich wieder zeigen zu können. Man wird mich nach Amerika entwichen glauben und dort vergeblich suchen.«

»Im Interesse Ihrer Sicherheit würde es gut gewesen sein, wenn Sie möglichst vollständige Angaben über diese sogenannten ›Unsichtbaren‹ und ihre geheimen Zusammenkünfte gemacht hätten. Die Notizen, die Sie mir darüber haben zukommen lassen, sind jedoch sehr unvollständig, namentlich in Betreff des Ortes.«

»Sire – es ist Alles, was ich weiß; – da ich nur einen sehr untergeordneten Grad hatte und allein für die finanziellen Operationen benutzt wurde, kann ich nicht mehr sagen. Die Mitglieder meines Grades wurden unter ganz besonderen Vorsichtsmaßregeln an den Versammlungsort des Rathes geführt, und ich weiß nur, daß er sich in der Nähe der Seine befindet.«

»Gut; zum Glück bin ich im Besitz anderer Materialien. Leben Sie wohl, Herr Baron – ich glaube, die Zeit, in welcher Sie aus Amerika zurückkehren dürfen, wird nicht so fern sein.«

Eine leichte Verneigung des Kopfes zeigte den Beiden, daß die Audienz zu Ende; sie zogen sich unter Verbeugungen zu der Thür zurück, durch die sie eingetreten, und verließen das Gemach.

Wiederum verging eine Pause in ernstem scharfem Nachdenken, dann legte der Gebieter den Finger auf die Feder einer Glocke und ein scharfer durchdringender Silberton erklang. Der dienstthuende Adjutant trat sofort durch die große Thür in das Kabinet.

»Ist Persigny da, lieber Graf?«

»Zu Eurer Majestät Befehl. Der Herr Minister wartet seit einer halben Stunde und überbringt eine wichtige Nachricht, wie er mir sagt.«

»Sie hätten mir das gewöhnliche Zeichen geben sollen; lassen Sie den Grafen eintreten, Rognet.«

Der Minister des Innern, – jener Günstling und Anhänger des neuen Gestirns der Napoleoniden schon bei seinem ersten verunglückten Aufflug, – der Gesandte von 48 in Berlin, – der [375] Graf aus Recompense, – trat in das Kabinet. Das feine elegante etwas spitze Gesicht und die zierliche Figur paßte zu seiner Haltung. Dennoch schien die diplomatische Ruhe des Staatsmannes etwas aus dem gewöhnlichen Gleis.

»Was hast Du, Persigny?«

Der Gebieter, der überhaupt für Jugenderinnerungen sehr empfänglich ist, pflegt ihn in vertrauten Stunden oft ziemlich cordial zu behandeln.

»Sire – der Telegraph meldet, daß der Herzog von Parma heute Nachmittag beim Austritt aus seinem Palast ermordet worden ist.«

»Ein Bourbon!«

Der Ausdruck war fast unwillkürlich den Lippen entschlüpft.

»Sire es ist ein politischer Meuchelmord, offenbar ein Werk der revolutionairen Propaganda. Der Mörder ist entkommen und unbekannt.«

Er blickte ihn wie fragend an. Der Minister verstand seine Gedanken.

»Der Dolch, der sich an den legitimistischen Bourbonen gewagt, kann sich auch an den absoluten Napoleoniden wagen.«

»Du hast Recht, Persigny, und der Sache muß ein Ende gemacht werden. Das Schwert und das Scepter meines großen Oheims soll regieren über Europa, nicht der Dolch alberner Republikaner. Sorge dafür, daß morgen im Moniteur die That mit den schwärzesten Farben gebrandmarkt wird. Ich bin entschlossen, und noch heute soll der erste Streich fallen.«

»Meine Vorbereitungen sind getroffen.«

»Wohl – so breche ich denn vollständig mit der Revolution und der Vergangenheit. Sie oder ich, nur Einer darf herrschen. Ich habe dieses Netz geheimer Intriguen, das man seit zwei Jahren um mich gesponnen, von Anfang an durchschaut und wie Gregor VII. will ich die Krücken zu Boden werfen, denn ich kann allein stehen. Die Propaganda glaubte ein williges Werkzeug an mir zu finden, dessen Gängelband in ihren Händen blieb, aber sie hat sich getäuscht und wird ihren Herrn erkennen. Mein Oheim hat blos die französische Revolution von 1793 zu Boden geworfen, – ich werde der Revolution von ganz Europa den Maulkorb anlegen.«

»Wir haben mancherlei Vortheile aus diesem Gespenst der Staaten gezogen, Sire.«

»Das haben wir, Graf, gewiß, aber die Stunde des Bruchs mußte kommen. Der Thron Napoleons kann nicht von der Geneigtheit demokratischer Fanatiker oder Speculanten abhängen. Ich habe sehr wohl begriffen, warum man mich in dieser orientalischen Crisis so schlau unterstützt, oder vielmehr, warum man von allen Seiten den Krieg herangedrängt hat. Hätte er nicht meinen eigenen Zwecken und Wünschen entsprochen, alle ihre Künste und Avancen [376] sollten wenig genützt haben. Jetzt werfe ich die Maske ab und will die Bewegung in meiner Hand concentriren.«

»Euer Majestät wissen, daß ein großer Theil des Heeres, namentlich in Algerien republikanische Gesinnungen hegt, und daß viele unserer besten und beliebtesten Führer diese bei der Wahl offen bekundeten. General Pelissier ...«

»Pelissier wird thun, was ich ihm befehle. Eben indem ich der Armee Schlachtfelder, Ruhm und Rache biete, wird sie imperialistisch sein mit jedem Blutstropfen. Die französische Armee gehört dem Namen Napoleon. Du bist kein Soldat, Persigny, und begreifst das nicht. Bédeau, Lamoricière und Cavaignac haben mir ihre Degen anbieten lassen für den Krieg, aber ich brauche und will sie nicht, ich verzeihe nie; das Frankreich unter mir soll seine eigenen Marschälle ziehen. Ich halte in meiner Hand jetzt schon den Credit Europa's, diese mächtige Waffe des künftigen Friedens. Ich werde die Sieger des Hauses Napoleon demüthigen, und den einzigen Mann in Europa, dessen Stolz und Energie ich achte, bedauern lassen, daß er Ludwig Napoleon beleidigt und ihm sich in den Weg gestellt hat!«

Es war das erste Mal, daß dieser verschlossene Charakter selbst gegen seinen Vertrauten so offen sich aussprach, und der Graf fühlte die Gefahr des Terrains.

»Der Kaiser von Rußland, Sire,« sagte er, »dürfte es jetzt schon vielfach bereut haben, daß er Ihnen die Anerkennung Anfangs verweigerte. Die geheimen Anerbietungen in Betreff der türkischen Frage sind Beweise dafür.«

»Sie vergessen, Graf, wann sie gemacht wurden, und das ist eben der Umstand. Durch die Spione jener Propaganda mußte ich die erste Nachricht von den Unterredungen erfahren, die der Czar mit Lord Seymour gehalten und die das englische Ministerium jetzt in dem blauen Buche vor Europa veröffentlicht hat. Dies Uebergehen Frankreichs oder vielmehr Napoleon's war eine neue Beleidigung. Ich weiß, der Czar haßt mich und nennt mich einen Avantürier. Das kann ich selbst thun – aber kein Anderer! Erst als die britischen Füchse ihn abgewiesen, kam Nesselrode uns mit seinen Plänen. Sagen Sie, Graf, wie nimmt man in Deutschland die Enthüllungen auf, die der Moniteur und das Journal de l'Empire über die neue Auflage des Vertrages von Tilsit gemacht haben?«

»Sire, die Zeit zu Aeußerungen ist noch zu kurz – die Artikel erschienen erst vor drei Tagen.«

»Ich denke, man wird sich endlich jenseits des Rheines überzeugen, was man von der russischen Freundschaft zu erwarten hat. Dieses Preußen ist blind und störrisch, wie sein Adel. Ich will keine Eroberungen, aber so lange diese sogenannte heilige Allianz besteht, bleibt sie eine Bedrohung der napoleonischen Herrschaft. Der Tag, an dem ich hier in Paris in meinen Tuilerieen ein neues [377] Bündniß an ihre Stelle setze, wird der erste meiner wahren Herrschaft sein.«

»Der Tag wird kommen, Sire.«

»Ich weiß es, Graf – über die Schlachtfelder am Schwarzen Meere dämmert er bereits. Lassen Sie Moustier in Berlin genau auf die öffentliche Stimmung merken und verkehren Sie über die Presse direkt mit ihm. – Haben Sie die Nachweisungen, die ich Ihnen gab, mit den Ermittelungen Pietri's genau verglichen?«

»Es ist heute Mittag mit den beiden Präfekten und Herrn Collet-Meygret ausführlich conferirt worden. Wir glauben des Platzes ziemlich sicher zu sein und unsere Agenten bewachen ihn. Der Schlag kann, wie gesagt, jeden Augenblick fallen.«

Der Gebieter sah nach der Uhr über dem Kamin.

»In einer Stunde also – ich müßte mich sehr irren, wenn nach dem Bankerutt Riepéra's und der Nachricht aus Parma nicht heute noch eine Sitzung stattfinden sollte. Sind die Befehle nach den Departements ertheilt? – Lassen Sie besonders Lyon im Auge halten.«

»Sämtliche uns bereits bekannte Verbindungen, Sire, die Marianne, die Militante, der junge Berg und die Joseffiten sind möglichst genau überwacht, – es fehlt uns Nichts, als ihr Zusammenhang.«

»Wir werden ihn heute finden. Sobald die Verhaftungen erfolgt sind, lassen Sie mir durch Haußmann oder Pietri Bericht erstatten.«

Der Minister verbeugte sich.


Die Yella hatte in der großen Oper getanzt, die schöne russische Sylphide, die später den Muth bewies, dem französischen Kaiser gegenüber ihre Theilnahme an dem Siegesfest über ihr Vaterland zu verweigern. Das leichtherzige Volk der Künstler beunruhigte sich nicht über den drohenden Kriegssturm, – sie blieben in Paris und Petersburg, denn sie wußten, daß Paris und Petersburg, die Ueppigkeit und das Raffinement, bald wieder einander bedürfen würde, daß Rußland seine Gränzen gegen die Bedürfnisse der Völker, aber nicht für die Schwelgerei der Reichen auf die Dauer verschließen kann.

Aus dem Foyer traten zwei Männer Ann in Arm und gingen plaudernd durch das Gedräng der Billethändler, der Ausrufer und Zeitungsverkäufer nach dem Boulevard des Italiens zu. Der Eine trug die Colonel-Uniform der Zuaven, der Andere Civil.

»Kaufen Sie, Messieurs, les Gardes de la Porte, mit schönen Illustrationen, ein Sou das Stück!«

Der junge Mann in Civil lachte.

»Kaufen Sie, Vicomte, um mit unserer Literatur au fait zu sein. Das nichtswürdigste und lächerlichste Pamphlet auf den Kaiser [378] Nicolaus. Ich wette, der Bursche, wenn Sie ihn fragen, hat auch die Revision der Karte von Europa, obschon die Polizei sie angeblich confiscirt hat.«

»Ich sehe, Sazé, Sie stehen bereits wieder vollkommen in der Tagesgeschichte, obschon Sie erst seit drei Tagen aus Poitou zurückgekehrt sind.«

»Ei, mein Lieber,« plauderte der fröhliche Lebemann, »wozu hat man die Zeitungen, die Correspondenz und seine Freunde? Sie können denken, daß ich ein eifriger Correspondent geworden bin und der Post viel eingebracht habe, um den abscheulich langen Herbst und Winter todt zu machen, den ich im Schloß meiner alten Tante zubringen mußte. Verwandschaftsrücksichten, mein Bester, Verwandte hat leider jeder Mensch! Zum Glück war es meine letzte und ich kann nun ungehindert thun, was mir beliebt, in die Diplomatie oder in's Militair treten, kurz, ein Mann des Staates werden, was die legitimistischen Grillen der Verstorbenen, von der leider meine besten Aussichten abhingen, mir bisher verschlossen. Ah, Colonel! – ich gratulire bei der Gelegenheit zum Avancement – wenn Madame la Marquise geahnet hätten, wozu der letzte Sprößling der Sazé's unterdeß all' seine viele Zeit verwandt hat, wie er in den durch das Bourgeoisieregiment und das neue Kaiserthum entweihten Tuilerieen Hof gemacht, dem Advocatenadel, der Börsenaristokratie und der Judennoblesse viele seiner schönsten Abende und Salonstudien zu danken hat, – auf Ehre, Vicomte, die alte Dame hätte mich zu all' ihrem langweiligen Predigten noch gänzlich enterbt.«

Méricourt – denn der wackere und hochherzige Geliebte der schönen Fürstin Oczakoff, die wir so lange aus den Augen verloren haben, war der Begleiter des Marquis, lächelte ernst.

»Die Verbannung von Paris hat Sie wenig verändert, obschon ich glaubte, daß pariser Luft Ihnen so nothwendig zum Lebenwäre, wie dem Fisch das Wasser.«

»Da haben Sie Unrecht, Vicomte, ich bin nicht ein einziges Mal während der ganzen Zeit in Paris gewesen, sondern habe alle Landkränzchen und Bälle der Provinz mitgemacht, wie ein geborener Krautjunker. Sie sehen ja auch aus meinen Plänen, daß ich Paris missen will und in die Fremde gehen. Im Vertrauen kann kann ich Ihnen freilich sagen, es geschieht, weil nach meinem Arrangement von dem Erbe meiner Tante, das wegen der leidigen wohlthätigen Legate viel geringer ist, als ich und meine Gläubiger erwarteten, mir nicht so viel übrig bleibt, um das Leben in der frühern Weise hier fortführen zu können.«

»Werden Sie Soldat, Sazé, Sie dienten ja bereits in ihrer frühern Jugend.«

»Gewiß, mein Lieber; ein oder zwei Jahre, ich weiß nicht mehr – man muß seine Pflichten gegen das liebe Vaterland erfüllen. Auch hat ein Bekannter im Bureau des Kriegsministers [379] mir bereits das Patent als Lieutenant und zur Dienstleistung beim Stabe des Prinzen, der die 3. Division kommandiren soll, zugeschickt, – ich habe aber Lust, es doch wieder zurückzugeben, und die diplomatische Carriere vorzuziehen.«

»Im Augenblick, wo der Krieg vor der Thür ist?« sagte der Vicomte vorwurfsvoll.

»Ah, bah, – ich glaube, Sie zweifeln nicht an meinem Muth, nur ist das Leben im Felde so – so – unfashionable und ich verspreche mir mehr Spaß von den diplomatischen Operationen in dieser Zeit. Mit den türkischen Harems möchte ich schon Bekanntschaft machen, wenn wir nur nicht mit den schmuzigen Russen zu thun hätten. Man wird die Handschuh alle Augenblick wechseln müssen im Gefecht! A propos, Vicomte, haben Sie Nichts wieder von unserm kleinen durchgegangenen Duellanten gehört, der den Kamm so gewaltig blähte und dann spurlos verschwunden war?«

»Sie meinen den Fürsten Iwan?« entgegnete der Colonel ernst. »Sie wissen, Marquis, daß kein Flecken auf seiner Ehre haftet und daß Herr von Kisseleff, der russische Gesandte, uns am Morgen offiziel unterrichtete, daß er den Fürsten davon abgehalten und zur Abreise als Courier nach Petersburg gezwungen habe.«

»Ja, ich weiß, und ich begriff damals nicht, warum Sie das heimliche Anerbieten jenes russischen Obersten, für den jungen Fürsten einzutreten, ablehnten und sich mit Entschuldigungen des Gesandten begnügten. Sie schießen so wundervoll, Vicomte, und hatten die beste Gelegenheit, sich da von dem widrigen Tatarengesicht Ihres Rivalen zu befreien, denn verliebt in die schöne Fürstin waren Sie doch.«

Der Colonel schwieg.

»Haben Sie Nichts wieder von der Dame und ihrem Bruder gehört?« beharrte de Sazé.

»Fürst Iwan ist, wie ich aus den Zeitungen ersehen, in den Stab des Fürsten Mentschikoff gesandt worden. Sein Name hat bereits ehrenvolle Erwähnung in der blutigen Schlacht von Oltenitza gefunden. Die Fürstin ist – wie ich von einem Attaché der Gesandtschaft hörte – gefährlich in Berlin erkrankt und dann auf ihre Güter in der Krimm zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit gebracht worden. Ein seltsames Ereigniß erinnerte mich daran, als ich vor einigen Tagen bei meiner Rückkehr von Algier in Marseille der Einschiffung der ersten Division beiwohnte.«

»Bitte, erzählen Sie, Vicomte! – Aber was, zum Teufel! verfolgt uns denn eigentlich für ein fremdes Subject? Ich habe das confiscirte Gesicht schon beim Austritt aus dem Theater bemerkt, wie es mich aus der Menge der Flaneurs mit den Augen eines Wolfes anstarrte.«

Der Colonel sah sich um. In der Entfernung von etwa dreißig oder vierzig Schritt schlich mit auffallender Beharrlichkeit ein Mann hinter ihnen d'rein von finsterm verdächtigem Aussehen. [380] Seine Kleidung war die eines Commissionairs, das Gesicht eingefallen, hohl, so weit es die Entfernung und die Gasflammen zu erkennen erlaubten, – und von einem dichten Bart zur Hälfte bedeckt. –

»Vielleicht irgend ein Vagabond oder Bettler,« sagte der Vicomte, »Paris wimmelt davon. Aber die Zeit ist noch zu früh, kaum eilf Uhr und der Boulevard zu belebt für solche Nachtvögel.«

»Also Ihre Geschichte, Colonel!«

»Ich habe bereits erwähnt, daß ich bei dem ersten Einschiffen der Truppen zugegen war, denn zu der Division des Generals Canrobert wird auch das 3. Zuaven-Regiment gehören, dem ich mich von der Garde habe zum activen Dienst attachiren lassen und folgen werde, sobald ich hier meine Functionen beendet. Bei dem Gedränge der Einschiffung gerieth ich plötzlich mit einer jungen hübschen Marketenderin zusammen, die meine Hilfe in Anspruch nahm, weil, wie sie naiv sagte, ihr Bruder auch jetzt bei den Zuaven stände. Das wäre nun kein besonderes Abenteuer, denn Sie wissen, Marquis, mit welcher Nonchalance unsere braven Mädchen aus dem Felde mit Offizieren und Soldaten umzuspringen pflegen. Aber was mich dabei reizte, war das Aussehen ihres Begleiters, der in irgend eine zusammengesetzte Uniform, wie sie der Trödel bietet, gesteckt war und nur dazu zu dienen schien, das Gepäck der Kleinen zu bewachen, ohne ihr im Geringsten sonst an die Hand zu gehen, während sie mit einer auffallenden Sorgfalt jeden Augenblick nach ihm umschaute. Der Bursche war jung, aber hager und bleich, dabei aber so hübsch, ja schön, wie Fürst Iwan Oczakoff, mit dem er eine so auffallende Aehnlichkeit hatte, daß dies eben meine Blicke gefesselt hielt. Wären die starren todten Augen nicht gewesen, so hätte man die Aehnlichkeit für erschreckend halten können.«

»Der Zufall treibt oft sein merkwürdiges Spiel.«

»Dast schien auch hier der Fall. Der arme Junge war blödsinnig oder wahnwitzig, ich weiß nicht was. Seine einzige Antwort, als ich ihm befahl, das Gepäck aufzunehmen und ihn die Soldaten hin und her stießen, war der immer wiederholte Refrain: ›Eilf Uhr – die Bahn geht ab!‹ und ein Lachen, das sogleich mir seinen Zustand verrieth, auch wenn die kleine Marketenderin nicht hinzugesprungen wäre und mir gesagt hätte, ihr armer Vetter sei geistesschwach und sie sorge für ihn. Ich gab der Kleinen meine Karte, notirte mir ihren Namen, Nini Bourdon, und empfahl ihr, mich später in Gallipoli aufzusuchen, wenn ich ihr gefällig sein könne.«

Die Freunde setzten plaudernd ihren Weg fort, das Wetter war schön und der Marquis begleitete den Freund eine Strecke auf dem Wege nach seiner Wohnung, die, wie wir aus dem ersten Theil unseres Buches wissen, jenseits der Seine lag. Sie waren über den Platz de la Concorde und bis zum Cours la Reine am Quai gekommen, auf welchem später die Nebengebäude des [381] Industrie-Palastes erbaut wurden. Der Colonel trat in einen der Läden, um sich eine nothwendige Kleinigkeit zu kaufen, während der Marquis langsam auf den breiten Quadern am Fluß hinschlenderte.

Der Ort war jetzt verhältnißmäßig einsam, wenn man dies in Paris so nennen kann, wo es zu keiner Stunde der Nacht an Flaneurs auf den Boulevards und Quais fehlt. Méricourt verweilte einige Augenblicke länger in dem Magazin, und als er sich nach dem Freunde umsah, konnte er ihn im ersten Augenblick nicht bemerken, bis, weiter gehend, der Schall von Stimmen ihn aufmerksam machte.

Im Licht der Gasflammen bemerkte er den Marquis und dicht vor ihm, mit wilden Gesten zu ihm sprechend, den Fremden, der ihnen von der Oper her über die Boulevards gefolgt war.

Der Colonel beeilte seine Schritte, denn die Sprache des Fremden klang rauh und drohend, obschon er die Worte noch nicht verstehen konnte.

Er mochte etwa noch dreißig Schritte von der Gruppe entfernt sein und bemerkte, daß außer ihm noch andere Vorübergehende aufmerksam geworden, als er sah, daß der Unbekannte sich auf seinen Freund stürzte und ihn mit wilder Erbitterung an der Brust faßte und schüttelte. Zugleich hörte er die Worte: »Sie sind sein Mörder, Herr; Ihr Blut für das seine!«

Im Nu war der Colonel an der Seite des Freundes, aber er kam zu spät, um eine unglückliche That zu hindern. Alfred de Sazé war von schlanker Gestalt, verbarg aber unter dem schmächtigen Aeußern eine starke Muskelkraft. Im ersten Augenblick wankte er unter dem Angriff des Rasenden, dann aber hatte er ihn rasch an den Hüften gefaßt und schleuderte ihn mit Gewalt von sich. Der Unglückliche taumelte zurück, schlug an das Gitter, das den Quai nach der Seine hin abschließt, und von der gewaltigen Schwingung des Wurfs die Balance verlierend, rückwärts über die obere Stange des Gitters, und ehe die umherfassende Hand einen Halt zu ergreifen vermochte, in die Tiefe.

Ein lauter Schrei ertönte von mehreren Lippen, denn verschiedene Personen, durch den raschen heftigen Wortwechsel herbeigelockt, hatten die That mit angesehen. Alles stürzte nach den Gittern.

»Um Gotteswillen, de Sazé, was gab es? was ist geschehen?«

Der Marquis stand bleich, zitternd, odemlos, sein Gilet und seine Cravatte zerrissen von dem Griff des Fremden. – »Ich weiß nicht – ich verstehe es selbst nicht – retten Sie den Menschen, es ist ein Wahnsinniger!«

Er sprang an den Rand des Stromes, an die Unglücksstelle, an der bereits das Publikum mit dem Rufe: »Ein Mord! haltet den Mörder!« sich drängte.

»Er ist auf den Kahn gestürzt!« rief eine Stimme.

So war es in der That, aber wie sich erwies, zum Unglück [382] des Mannes. Dicht unter dem Quai lag eines der größeren Seineschiffe; der Stürzende war auf das Bugspriet desselben geschlagen, jedoch so unglücklich, daß er mit dem Hinterkopf auf die Schaufel eines Ankers traf. Als die von dem Tumult herbeigerufenen Schiffer ihn aufhoben und über die schwankende Bohlenbrücke auf den Quai trugen, zuckten die Glieder bereits im Todeskampf, die Augen rollten wild, ein Strom von Blut ergoß sich aus dem Munde und wenige Augenblicke darauf war der Unbekannte eine Leiche.

Im hellen Licht der Gaslaternen lag dieselbe auf den Quadern des Quais, umdrängt von der Menge; der Colonel untersuchte den Puls des Unglücklichen und bat einige Umstehende, ärztliche Hilfe zu holen – der Marquis starrte regungslos, verwirrt auf das bleiche Todtenantlitz.

Der Offizier erhob sich endlich. – »Jede Hilfe ist vergebens, der Mann ist todt. Es ist ein Unglück, Sazé, aber Sie sind außer Schuld.«

Ein Polizei-Agent drängte sich heran. – »Man bezeichnet Sie mir als den, welcher diesen Mann im Streit in die Seine gestürzt. Ich verhafte Sie und Sie werden mir folgen.«

Der Colonel entfernte ruhig die Hand des Agenten von dem Arm seines Freundes. – »Menagiren Sie sich, mein Herr. Sie sehen, daß ich Stabs-Offizier bin und dieser Herr ist gleichfalls Offizier, wenn er in diesem Augenblick auch nicht Uniform trägt. Er wurde von dem Manne angefallen und thätlich beleidigt, hatte also das volle Recht, ihn zu todten. Sie werden im Publikum leicht die Zeugen finden, einstweilen sind hier unsere Karten: Colonel Vicomte de Méricourt und Lieutenant Marquis de Sazé. – Wollen Sie mir morgen weitere Nachricht geben über den Verunglückten, so werden Sie mich verpflichten; einstweilen haben wir hier Nichts weiter zu schaffen. Kommen Sie, de Sazé.«

Er zog den Arm des Freundes durch den seinen und ihn aus dem Gedränge, den nächsten Nachtwagen anrufend, der sie schnell von dem unglücklichen Schauplatz hinwegführte.

»Der Mensch wollte Sie offenbar berauben, und doch kann ich die Worte nicht damit zusammen reimen, die ich hörte?«

Der Marquis hatte seine Fassung immer noch nicht wiedergewonnen und war auf das Heftigste angegriffen von dem unglücklichen Ausgang. – »Ich glaube nicht,« sagte er hastig. »Hören Sie den Hergang. Sie hatten mich eben verlassen,« erzählte er, »und ich näherte mich dem Trottoir am Strom, als ich hinter mir rasch Schritte hörte. Ich glaubte zuerst, Sie wären es, und drehte mich um, erblickte aber zu meinem Staunen den Mann, der uns von der Oper aus lange verfolgt hatte und der jetzt rasch auf mich zustürzte mit den Worten: ›Endlich habe ich Dich gefunden – wo ist mein Herr, mein Bruder?‹ – ›Was wollen Sie von mir? ich kenne Sie nicht!‹ – Dies war in der That wahr, und dennoch schwebt mir dies Gesicht dunkel vor, als hätte [383] ich es bereits gesehen, ohne daß ich weiß, in welcher Verbindung. Seine Augen rollten wie im Wahnwitz. ›Du warst es, Du warst bei ihm an jenem Unglückstage; ich weiche nicht von Deinen Fersen, bis Du mir Rechenschaft gegeben über meinen Gebieter.‹ – Ich glaubte, der Mensch sei verrückt, und wollte weiter gehen, da sprang er mir wie ein wildes Thier an die Kehle, und das Andere wissen Sie und – ich bin der Mörder eines Wehrlosen.«

Das überraschende Unglück schien den leichtsinnigen Dandy bis in's Innerste seiner Seele erschüttert zu haben. – »Ich kann dies Gesicht nicht los werden,« wiederholte er schaudernd, »und dennoch weiß ich nicht, wo es mir zufällig schon begegnet.«

»Sie werden sich vielleicht später dessen besser erinnern und die Untersuchung der Polizei über den Unglücklichen wird uns dabei unterstützen. Die Entscheidung Ihrer Wahl hat eine höhere Hand übernommen, denn es kann jetzt natürlich keine Rede von einer Rückgabe des Patentes sein; als Offizier kann man Sie nicht mit einer langwierigen bürgerlichen Untersuchung behelligen. Beruhigen Sie sich daher, denn Sie tragen an dem Geschehenen keine Schuld. Hier sind wir an Ihrer Wohnung, und wenn Sie erlauben, begleite ich Sie hinauf, um unsere nothwendigen Schritte für morgen noch zu besprechen.«

Der Marquis ließ sich willenlos geleiten; Méricourt blieb bis zum Morgen bei ihm. – –

In der Morgue, dieser letzten Stätte des Elends, der Verzweiflung und des Verbrechens von Paris, lag kalt und starr die Leiche Wassili's, des treuen Dieners des fürstlichen Geschwisterpaars. Die Polizei hatte bei ihm nur einen Brief in russischer Sprache gefunden, der die räthselhaften Worte enthielt: »Den letzten Bericht erhalten; fahre fort zu suchen und zu forschen und melde auch das Geringste eilig nach Sebastopol auf dem bekannten Wege über Berlin. Ein Wechsel liegt bei; spare kein Geld.« – Der Wechsel vom Banquierhause Stieglitz in Petersburg auf das legitimistische Bankhaus Leroy Chabrol in Paris und auf 2000 Franken lautend, lag bei – das Bankhaus hatte zwei Tage vorher jenen Bankerutt gemacht, der die Credite der Hauptstadt erschütterte.

Die Polizei ließ, nachdem alle weiteren Nachforschungen sich vergeblich erwiesen, den Leichnam des »so zufällig entdeckten russischen Spions« begraben und Herr Moustier, der Gesandte Frankreichs in Preußen, erhielt den Wink, daß die Fäden einer feindlichen Spionage von Berlin aus geleitet würden und man daher kein Bedenken tragen dürfe, sich in ähnlicher Weise zu revangiren.


Der Leser folgt uns zur Schlußscene der ersten Abtheilung unseres Buches, – in jene geheimnißvollen Räume, welche den Versammlungsort des »Bundes der Unsichtbaren« bildeten.

Ein Jahr und ein Tag waren vergangen, seit die Scene darin [384] eröffnet worden. Wiederum saßen um die rothbehangene, von Ampeln erleuchtete Tafel die geheimnißvollen Sechs in ihren rothen Capuchons – keine Zeit schien zwischen damals und jetzt zu liegen, und dennoch waren unterdeß die europäischen Geschicke aus ihren Angeln gehoben, Ströme von Blut waren bereits geflossen und die Kriegsfurie drohte über ganz Europa.

Der schwere rothe Vorhang vor dem hintern Theil des Gemaches war geschlossen. Die Mitglieder des Rathes verkehrten bereits einige Zeit mit leiser Stimme und ordneten verschiedene Papiere, als der feine scharfe Anschlag einer Glocke sich hören ließ und gleich darauf aus den Falten des Vorhanges die kleine verwachsene Figur schlüpfte, welche wir bereits als eines der Mitglieder der »höchsten Gewalt« haben kennen lernen.

Die Sechs erhoben sich; der Verwachsene dankte mit einer kurzen Verneigung und trat zu dem siebenten leeren Stuhl.

»Der Vorstand der Section VII. ist noch immer nicht zurückgekehrt,« sagte die scharfe schrille Stimme mit italienischem Accent unter der Maske hervor; »ich werde seinen Platz einnehmen, meine Brüder und den Vorsitz der Verhandlung führen. Setzen Sie sich und lassen Sie uns rasch die Tagesgeschäfte erledigen. Wer vertritt in Stelle des Abwesenden den Bericht für ›Petersburg und Warschau‹?«

Das nächstsitzende Mitglied des Rathes erhob sich. – »Der Graf Lubomirski berichtet aus Volhynien, wo er sich gegenwärtig aufhält. Die Aussichten in Polen für eine Schilderhebung der Revolution sind in diesem Augenblick ungünstig. Oesterreich und Preußen sind vollkommen gerüstet und würden sie sofort bekämpfen. Selbst unter den polnischen Patrioten ziehen sich Viele zurück. Die Garden sollen in Polen einrücken, um das Corps des Generals Osten-Sacken zu ersetzen. Der Graf legt den kühnen Plan vor, Rußland die Hilfe der Propaganda gegen die Türkei und die Westmächte anzubieten, unter der Bedingung der späteren Herstellung einer großen slavisch-magyarischen Republik zwischen der Weichsel, der Moldau und der Donau. Die Ausführung würde hunderttausend tapfere und kriegsgewohnte Soldaten dem Czaren zuführen und den Russen sofort den Weg nach Constantinopel öffnen.«

»Der Plan wird circuliren und Sie werden sämtlich ihre Meinung beifügen. Ich bin der Ansicht, daß bei den Gefahren, die ich später erörtern werde, der Versuch gemacht werden muß. Fahren Sie fort.«

»Der Graf begiebt sich nach Odessa und der Krimm, wo hauptsächlich die polnischen Regimenter stehen. Er glaubt unter diesen bedeutende Propaganda machen zu können. In Petersburg ist das Terrain überaus günstig. Man fühlt bereits, daß man sich in einen Krieg verwickelt, dem das Land noch nicht gewachsen ist. Der Eigensinn und die persönliche Kränkung, die der Tyrann erlitten, hat ihn verblendet. Zugleich macht sich der Drang nach [385] liberalen Zugeständnissen überall geltend. Der Krieg wird Rußland gänzlich niederwerfen, wenn wir auf der Seite seiner Gegner bleiben.«

»Es handelt sich jetzt bereits darum, meine Herren, wer unser gefährlichster Feind ist, der Czar, oder Louis Napoleon. Ich werde dem Grafen selbst antworten. Berichten Sie rasch aus Berlin und Wien.«

Der Vorstand der Section »Deutschland und Schweiz« erhob sich. – »Man hat die spanische Tänzerin genau beobachtet. In Berlin ist ihre Mission, was unsere Hauptzwecke anbetrifft, gänzlich mißlungen. Selbst der jüngere Adel und Offizierstand zeigt eine Hartnäckigkeit und ein starres Festhalten an den alten Ideen und Gewohnheiten, das einer gänzlichen Abschließung gleicht. Es tritt dies neuerdings in festem Zusammenhalten gegen die Eingriffe der Civilbehörden hervor. Wir werden einst einen harten Stand haben mit der preußischen Armee, doch hilft auf der andern Seite die immer mehr wieder hervortretende Absonderung des Adels vom Bürger. Die katholische Fraction in den Kammern bereitet stets neue Zerwürfnisse und ihre Oppositionsgelüste verleiten sie selbst zur Vertheidigung communistischer und liberaler Fragen. Das arbeitet uns in die Hände. Man protegirt jetzt das Rheinland auf alle Weise zum Verdruß der älteren Provinzen. – Von den Anwerbungen aus der Armee und dem Volke für Freicorps ist wenig zu hoffen – nur was dort nicht fortkommen kann. Die Jugend ist zu abstrakt, zu wenig empfänglich und abenteuerlustig. – Dagegen sind wichtige Verbindungen angeknüpft, welche die diplomatischen Geheimnisse fortlaufend in unsere Hände legen werden. Man geht unvorsichtig zu Werke.

Der Baron erstattet ausführlichen Bericht und verlangt dafür die versprochene Empfehlung seines Memoirs in England.«

»Und Wien?«

»Abbé Cavelli sendet nur den Finanzbericht. Unsere Operationen haben den besten Fortgang. Der Graf hat sich mit ihm in Verbindung gesetzt und jenen Plan mitgetheilt, in Folge dessen der Abbé bis auf den Eingang weiterer Befehle die politischen Agitationen eingestellt hat. Oberst Pisani befindet sich mit seiner Gattin augenblicklich wieder in Wien.«

»Italien werde ich selbst übernehmen,« sagte der Vorsitzende, »da meine Nachrichten neuer sind, als der Bericht Mazzini's von Parma. Ferdinand Carl von Bourbon, genannt Herzog von Parma, ist heute Nachmittag unter dem Dolch der Unsern gefallen.«

Alle erhoben sich. – »So mögen alle Feinde der wahren Freiheit sterben!«

»Und der Tapfere?« fragte eine Stimme.

»Die Anstalten scheinen vortrefflich, er ist glücklich entkommen. – Ich weiß die Sache vorläufig nur durch die Regierungs-Depesche. Doch zu Wichtigerem. Sie sind hier zusammen berufen, [386] um über die höchsten Interessen des Bundes zu entscheiden. Sehen Sie!«

Er riß den Vorhang hinter sich auf, – der Raum war leer.

»Ich habe die Verantwortlichkeit allein übernommen, wie Sie sich überzeugen, denn meine beiden Collegen in der höchsten Gewalt sind augenblicklich von Paris abwesend. Der Bund hat in den letzten Tagen einen schweren Verlust erlitten. Sie wissen, daß wir bereits im vorigen Jahre dem Baron Riepéra zu mißtrauen Veranlassung hatten, der unsere Geldangelegenheiten verwaltete. Es ist ihm gelungen, bei einem wichtigen Plan, der die ganze Zukunft der Verbindung enthielt, dem Crédit mobilier, einen seiner Verwandten unterzuschieben und, wie ich fürchte, die Sache uns geradezu aus den Händen zu spielen. Heute Morgen hat er, den Fall des legitimistischen Hauses Leroy Chabrol benutzend, seine Zahlungseinstellung erklärt und ist seitdem unsichtbar geworden. Die Kasse des Bundes verliert mindestens eine Million, die Verluste lassen sich noch nicht übersehen.«

»Tod dem Verräther!« klangen die sechs Stimmen.

»Ich stimme dem bei, – doch dieser Verräther ist schlau, er war gewarnt durch unsere Nachsicht und wird seine Maßregeln genommen haben. Unsere Agenten verfolgen ihn bereits. Doch, Brüder, das ist nicht das Wichtigste und die größte Gefahr, die dem Bunde droht. Louis Napoleon, der sich Kaiser der Franzosen nennt und es allein durch unsern Willen geworden ist, droht die leitenden Bande zu zerreißen, mit denen der Bund ihn bisher seinen Zwecken unterthan gemacht hat. Er ist ein Tyrann, schlimmer noch, als die auf dem Throne geborenen, und der Todfeind der Revolution, die ihn auf den Thron gehoben, weil er fürchtet, daß sie ihn wieder herabstürzen kann. Er ist schlau und kühn und hat unsere Pläne und unsere Hilfe benutzt, um den orientalischen Krieg zu einer neuen und festen Stütze seiner Herrschaft zu bilden. Unter dem Vorwand, für die Rechte und die Freiheit der Völker zu kriegen, schlägt er die Freiheit in Fesseln. Er hat die Maske, die er schlau uns gegenüber getragen, abgeworfen und verfolgt unsere Brüder. Die strengsten Befehle sind an seine Schergen gegeben, Delescluze und 45 Angeklagte des jungen Berges wurden noch im Laufe dieses Monats durch seine Richter in die Kerker geworfen, und die Proclamation Manin's in der ›Presse‹ dient ihm als Vorwand der Verfolgungen.«

»Er sterbe!« hallte es durch das Gewölbe.

»Er scheint dem Bund auf der Spur und beabsichtigt seine Vernichtung in Frankreich. Es giebt einen Kampf auf Tod und Leben und ich habe den Rath versammelt, weil wir in Gefahr sind, jeden Augenblick durch einen unvorhergesehenen Schlag getroffen zu werden, Unsers Bleibens in Paris ist unter diesen Umständen nicht länger und unser nächster Versammlungsort wird London sein.«

[387] »Er sterbe!« hallte es wiederum.

»Seine Zeit ist gekommen. Ein Kampf auf Leben und Tod mit dem Tyrannen, Er oder Wir! Die Herrschaft des französischen Adlers über Europa, oder der Sieg der communistischen Revolution. Sammelt die Stimmen, Brüder!«

Zwei Urnen machten eilig die Runde. Als die zweite geleert wurde, zeigten sich vier schwarze und zwei weiße Kugeln.

Der Verlarvte warf drei schwarze dazu.

»Im Namen der höchsten Gewalt: Sieben gegen Zwei – die dreifache Majorität ist erreicht und dem Artikel zehn unseres beschworenen Statuts Genüge geschehen. Er ist verurtheilt.«

»Wer soll das Urtheil vollziehen?«

»Die Section Drei ist an der Reihe.« Er nahm ein kleines Notizbuch und blätterte darin. »Bereiten Sie jenen Gehorchenden zu der That vor, den Sie im vorigen Jahre nach England sandten. Sein Gesicht fiel mir schon damals auf und er scheint die geeignete Person. Ein Römer glaube ich?«

»Pianori!«

»Ich glaube. Sondiren Sie ihn sofort.«

»Und die gegebene Zeit?«

»Die gewöhnliche: ein Jahr, ein Monat und ein Tag, wie bei Franz von Parma. Lassen Sie uns ......«

Jener leise schrillende Ton ließ sich hören, der die Thätigkeit des electrischen Telegraphen verkündete, welcher von unbekannten Orten her zu dem geheimsten Schlupfwinkel der communistischen Propaganda führte.

Der Verwachsene stand hastig auf und eilte zu der Scheibe, unter der sich der schmale Streifen Papier hervordrängte, auf dem die Nadel der Maschine ihre ominösen Punkte gemacht.

Sein Blick überflog rasch die Zeichen, während an der ersten der vier, der Nische gegenüberliegenden Thüren ein leichter Hammerschlag erklang.

»Demonio! wir sind verrathen! Hinauf der Chef der Section Eins, das Zeichen benachrichtigt uns von Gefahr.«

Der erste Verhüllte stürzte aus der Thür, an der der Hammerschlag das Signal gegeben.

»Manigoldo!« fluchte der Verwachsene, »er soll uns büßen. Der Draht meldet mit dem verhängnißvollen Wort der höchsten Noth: ›Polizei beordert. Versammlungsort entdeckt. Eiligste Flucht.‹«

Die Verschworenen rannten durcheinander, an der zweiten, dritten und vierten Thür klangen kurz nacheinander die Signalschläge.

Der Verhüllte sprang auf einen Sessel – seine schwächliche verwachsene Gestalt schien im Augenblick zu wachsen, seine Stimme schwoll, als sie die Worte donnerte:

»Ruhe! – Gehorsam!«

[388] Alle wandten das Auge auf ihn.

»Section Zwei und Drei, die Kästen mit den Correspondenzen. Das Mitglied Vier reißt jenen Knopf aus der Wand, er sprengt den Drath des Telegraphen. Das Mitglied für Ungarn nehme die Kassette mit sich.«

Der Verschworene, der sich auf den ersten Hammerschlag entfernt hatte, stürzte herein:

»Das Magazin ist umgeben von Gensd'armen, alle Ausgänge sind besetzt!«

»Meine Herren, auf Wiedersehen heut über vier Wochen in London!« sagte ruhig die scharfe Stimme des Verwachsenen. Der kräftige Griff seiner Faust riß die rothen Behänge von der Hinterwand des Gewölbes, eine schwarze rohe Mauer kam zum Vorschein und er zog mit beiden Händen an einem massiven Ring, der aus den Quadern hervorhing. Der mächtige Stein drehte sich um eine eiserne Angel und zeigte eine schmale gähnende Oeffnung, gerade breit genug, um einen Mann hindurchzulassen.

»Fort mit Ihnen! der Chef der ersten Section kennt den Weg – nehmen Sie die Lampe mit, so weit es geht – das Boot wartet wie am Abend jeder Versammlung – benutzen Sie die nächste passende Stelle des Ufers und senden Sie es an den Ausgang der Leitung zurück – in zehn Minuten bin ich am Gitter! Fort! fort!«

Sie drängten durch die Oeffnung – nur eine Lampe blieb zurück und erhellte den öden geheimnißvollen Raum. Der Kleine sprang an die Thüren und öffnete sie, dann drehte er rasch den Knopf einer Röhre auf, und alsbald plätscherte ein Wasserstrahl auf den Boden der Gewölbe.

»Wasser und Feuer in unserm Dienst,« murmelte er, »wir spotten ihrer Macht.«

Seine Rechte faßte nach einer ziemlich starken Röhre, die in Mannshöhe an der Wand hinlief, während er die Lampe ergriff und nach dem geöffneten geheimen Ausgang sich wandte.

»Es ist Zeit, ich kann den Schall vieler Tritte hören.«

Sein Hauch verlöschte die Lampe, während seine Hand den Hahn aufzog. Sogleich verbreitete sich der scharfe widrige Geruch ausströmenden Gases durch das jetzt dunkle Gewölbe. Im nächsten Augenblick hörte man die große Quader in ihre Fugen zurückklappen –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Präfect selbst leitete die Arbeiten. Gensd'armen mit Fackeln standen auf dem großen gepflasterten Hofe umher, der von Lagerhäusern umgeben und mit Hölzern und Waarenballen bedeckt war.

Mehrere Arbeiter waren beschäftigt, eine gewichtige mit Eisen beschlagene Kellerthür zu erbrechen.

[389] »Nehmen Sie Fackeln, Herr Commissair, und durchsuchen Sie die Souterrains.«

Die Thür war geöffnet, mehrere Polizei-Agenten, Fackeln voran, drangen in das Gewölbe, in dem große Stückfässer Wein lagerten. Einige Minuten nachher hörte man die Brecheisen gegen eine zweite Thür im Innern schlagen – dann erfolgte eine Explosion unter den Füßen der Obenstehenden, die an einzelnen Stellen das Pflaster des Hofes spaltete – die Fackeln verloschen mit einem grellen Aufflammen und ein widriger Dunst drang aus der Erde und füllte die Luft.

Während man die Fackeln auf's Neue anzündete und zu dem halb zerstörten Eingang des Kellers eilte, hörte man in der Tiefe Rauschen von Wasser. – – –

Am andern Tage enthielt der Moniteur die Nachricht, daß in den Lagerkellern eines Magazins der Rue ......, in der Nähe der Seine, das aus den beschädigten Leitungsröhren ausgeströmte Gas eine bedeutende Explosion verursacht und dabei die Wasserleitung des Viertels gesprengt habe. Zwei Personen seien bei der Explosion verunglückt, mehrere beschädigt.

Ein anderer Artikel des Moniteur benachrichtigte das Publikum von Paris, daß die Regierung neuen revolutionairen Umtrieben der geheimen Gesellschaften auf der Spur sei.

Der Minister des Kaiserlichen Hauses, Fould, überbrachte am Abend dem Senat und der gesetzgebenden Versammlung die Botschaft über die Kriegserklärung gegen Rußland.


(Schluß des zweiten Theils und der ersten Abtheilung.) [390] [3]

3. Theil: Von Silistria bis Sebastopol

Der Aufstand im Epirus
Der Aufstand im Epirus.

Während noch der Winter mit seinen Stürmen tobte, die Gipfel und Schluchten des Pindus und Balkan mit tiefem Schnee bedeckt waren, die Gebirgsbache mit brausenden Wässern überfluthet, die Thäler in Ebenen und Seen verwandelt, loderte die Flamme des Christenaufstands in Epirus, Albanien und Thessalien bereits in voller Gluth empor.

In diesem Lande, der Heimath glühender Geister und tapferer Krieger, hatte die Perfidie des Divans seit Beginn dieses Jahrhunderts alles Mögliche gethan, nach Vernichtung der freien albanesischen Begs, durch gegenseitige Bekämpfung der griechischen, lateinischen und türkischen Stämme die Energie und die Kraft eines Volkes zu vernichten, das seit Jahrhunderten in blutigen Kämpfen immer wieder dem Joch von Constantinopel getrotzt. Diese fortwährenden Kämpfe und Aufstände für die Unabhängigkeit waren nicht blos von der christlichen Bevölkerung, sondern noch häufiger von den mohamedanischen Stämmen selbst ausgegangen. Seit 1850 – nachdem der Verrath Mehemed-Reschtd's 500 albanesische Begs, an ihrer Spitze den tapferen Pascha von Zeituni, Arslar und Weli-Beg beim Gastmahl zu Monastir gemordet und die Köpfe der Klephten eingesalzen nach Constantinopel geschickt hatte, so, gleich Saturn, die eigenen Kinder vernichtend; – nachdem die Griechen den Erbschmuck ihrer Weiber geopfert, um dem Wessir gegen ihre Stammfeinde bei Prilipe beizustehen, und 300 epirotische Palikaren die Verschanzungen von Babussa erstürmt hatten, was das ganze Heer der Taktikis zu unternehmen nicht wagte, – ließ die Pforte zum Dank für die christliche Unterstützung gegen die Aufständischen das Land wieder in die grauenvollste Anarchie versinken und führte [5] ein Unterdrückungssystem ein, das die beklagenswerthen Bewohner »Die glücklichen Zeiten Ali-Tebelin's, des Pascha's von Janina« zurückwünschen ließ. »Wenigstens hatten wir doch damals nur einen Tyrannen,« sagten die Tosken, »der Himmel gebe ihn uns wieder und wir wollen den Staub von seinen Füßen küssen.« –

Epirus – Albanien – zerfällt in vier Gebiete. Das nördliche oder rothe Albanien bewohnen die Ghegen, deren christliche, – lateinische, – Stämme die Mirditen sind. Südlich von den Roth-Albanesen in Gebiet der Partheni (Ur-Albanesen) wohnen die Tosken, deren muselmännische Stämme die berüchtigten Arnauten bilden und in Ali von Janina ihr Musterbild fanden. Der dritte Stamm, die Ljapis oder Japiden, durch seine körperliche und geisuge Häßlichkeit unvortheilhaft von dem andern Volk unterschieden, bewohnt die acroceraunischen Felsen längs der Adria und lebt von Raub auf Land und See. Seine Name ist ein Schimpf unter den andern Albanesen. Der vierte Stamm, die Schamiden, hat das Reich Pluto's inne, die acherontische Landschaft Aïdonien, zwischen Arta, Suli, Janina und dem Pindus. In den heiligen Eichenwäldern von Dodona scheint ein ewiger Frühling zu grünen. Die Fröste Rumelien's, die Heuschreckenschwärme Macedonien's, der Brand, der in Morea das Getreide verwüstet, das Gewürm, das die griechischen Weinberge zerstört, sind in Schamurien und den sonnigen Landschaften von Epirus, die der Meerbusen von Preresa begränzt, unbekannt. Die Sonnengluth wird durch frische, sanfte Lüfte gemildert, die vom Meer, von den Schneegipfeln des Pindus und den tausendjährigen Wäldern, mit Wohlgerüchen geschwängert, in die Thäler herniederwehen. Die unterirdischen Feuer, welche das Land zuweilen erschüttern, machen dasselbe nicht ungesund; die unzähligen Bergseen strömen keine schädlichen Dünste aus, und der furchtbare Acheron selbst, der sich zwischen vulkanischen Thälern und erloschenen Kratern dahinwälzt, der Mauropotamos, bringt nicht mehr den Tod. Denn neben dem Orkus, dem Reiche der Schatten, und dem Chaos, von dem finstern Erebus und Cocytus durchströmt, neben den acherontischen Sümpfen, deren phosphorische Dünste den feuerfluthenden Phlegethon der Alten bildeten, neben dem Abgrund von Zalongas, bei den Ruinen von Cassiopea, in welchen sich die Heldenfrauen Suli's vor den verfolgenden Türken stürzten, liegen die elyseischen Gefilde am Fuße des Pindus, duftend von Myrthen, Qnendel, Salbei und Thymian, vom hohen Lorbeer und [6] Rosmarin, von Melisse und Orange, dem Citronenwald und der Narcisse, aus der die griechische Jungfrau ihre Kränze windet; und mit Mairosen geschmückt zieht die epirotische Bäuerin in das duftende Gehölz, um noch immer die Hochzeit der Flora und des Frühlings mit Tänzen zu feiern!

Hierhin, in die elyseischen Gefilde, verlegen wir den Schauplatz unserer Geschichte.

Die türkische Provinz Epirus wird von ungefähr 312,000 Christen und 65,000 Moslems bewohnt. Der Druck aber, welchen die Ersteren wiederum in der letzten Zeit von der Willkür des Pascha's von Janina, der Begs und Aga's und von ihren Werkzeugen, den türkisch-albanesischen Truppen auszustehen gehabt, wor furchtbar und brachte die Bevölkerung zur Verzweiflung, und die tägliche Vermehrung der Steuern und die grausame Art der Eintreibung derselben, bei welcher mit dem letzten Groschen auch häufig das Leben des Mannes und die Ehre der Frauen und Töchter genommen wurde, drängte zum Ausbruch der lange verhaltenen Rache. Der Pascha von Janina hatte auf drei Jahre im Voraus die Abgaben von Korn und türkischem Weizen [120 Grosch 1, für ein Zagt des Ersteren, 100 des Anderen], verlangt, desgleichen 20 Drachmen für jede Feuerstelle des Hauses. Dieselbe Steuer wurde auf jede Schlafstelle, also auf jeden Kopf gelegt. Man rechne, daß das nur die außergewöhnlichen Lasten, wobei der Haradsch oder die Kopfsteuer mit 24 Drachmen für den Erwachsenen und 12 für das Kind, und die Zehnten von allen Erzeugnissen in Feld, Garten und Hausthieren fortgezahlt werden mußten, und man wird begreifen, welche unerschwingliche Last dem Volke aufgelegt worden. Nachdem der Pascha im August 1853 die Steuern hatte einsammeln lassen, kamen die Arnauten im December auf's Neue, dieselbe Steuer auf das Jahr 1854 fordernd. Ja, der Derbend-Aga Frassari ging noch weiter und verlangte außer den Steuern auch noch den Sold für 2400 Soldaten, welche die türkische Regierung ihm zu halten befahl, während er in Wirklichkeit deren nur 800 hielt und sie für ihren Unterhalt auf Raub und Plünderung anwies.

Die Grausamkeit, mit der diese furchtbaren Lasten eingezogen [7] wurden, war unbeschreiblich; täglich wurden Männer und Knaben gemordet und verstümmelt, Frauen und Mädchen, geschändet. Da endlich brach jener Aufstand der griechischen Christen im Epirus aus, den die Westmächte – die Franzosen und Engländer – den unsterblichen Ruhm gewannen, mit Gewalt unterdrückt zu haben, da er ihnen nicht zum Krieg gegen Rußland paßte!

Im Flecken Radobitzi griffen die verzweifelnden Bewohner zuerst zu den Waffen und vertrieben die Arnauten und türkischen Aufseher. Die hervorragendsten Männer des Ortes erließen den 27. Januar eine Proclamation 2, welche noch am selben Tage von 400 streitbaren Männern unterzeichnet wurde. Dieser Erhebung schlossen sich den folgenden Tag die Laka 3 von Suli, Lamara Campoti und Zoamerka an, alle reich an jungen, waffengeübten Männern, und sofort entbrannten an zwanzig Orten kleine Kämpfe, und obschon die Christen bei Peta, – der Schlachtstätte im ersten Freiheitskampf, wo die Philhellenen-Schaar ihren Untergang fand, – von den Arnauten des Derbend-Aga zersprengt wurden, sammelten sie sich sofort auf's Neue und warfen die Türken auf Arta zurück. –

Wir haben bereits im vorigen Bande gemeldet, daßAnastasius Caraiskakis schon zu Ende November von Athen aus einen Aufruf an die Griechen von Thessalien, Macedonien, Thracien, Epirus, Anatolien und den Inseln zur allgemeinen Schilderhebung erlassen hatte. Zugleich reichte er sein Gesuch um Entlassung aus [8] den griechischen Diensten, er war Offizier im 9. Bataillon, ein und ging mit einer Anzahl Soldaten über die thessalische Grenze, wo er zu erst die blaue Fahne mit dem weißen Kreuz erhob. Kaum erreichte ihn die Nachricht von dem Aufstande in Schamidien, als er mit seiner täglich wachsenden Schaar den Sulioten zu Hilfe eilte.

Wie ein Blitzstrahl lief die Nachricht von den begonnenen Kämpfen durch das ganze von der offen und im Stillen fortwirkenden Hetärie längst vorbereitete Griechenland. Am Grabe des Sohnes des griechischen General-Lieutenants Tzavellas zu Athen schloß Panajoti Sutzo mit den feurigen Worten:

»Tod oder Freiheit, Tod oder griechisches Kaiserthum ist unsere Loosung. Schwöret bei der Leiche dieses Jünglings, daß Ihr Alles unternehmen wollt, was in Euren Kräften steht, um das griechische Kaiserthum herzustellen!« –

Lieutenant Spiridion sammelte in Thessalien 1200 Krieger; der General Theodor Grivas, der Bruder des Helden aus dem ersten Freiheitskampfe, sandte seine Entlassung ein und eilte über die Grenze. Mit ihm die Obersten Stratos 4, Zerbas, Banakiotis, Tzamis, Karatassos, Hadschi Petro, Sacho Mylios. Zeno Melios, der Bruder des Königl. Adjutanten, schlug sich mit 700 Mann nach dem Epirus, Temeli folgte ihm mit 300 Mann und 4 Feldgeschützen; 1000 Mainoten unter Kolokotroni, dem jungen Palastmarschall des Königs, Petimenzanis und Plaputos zogen herbei; auch der Vicepräsident der Deputirtenkammer, Chourmonsy, eilte in den Kampf.

[9] Die Mittel zur Erhaltung der Freiwilligen lieferten den Aufrührern die Vereine, die sich mit Blitzesschnelle nicht allein in Athen, sondern in allen griechischen Städten bildeten. Die Epiroten, die Thessalier, die Macedonier, die Cretenser, die Samioten hielten Sammlungen, die Griechen in London zeichneten an einem Tage 25,000 Pfund Sterling, die Kaufleute in Syra 20,000 Pfund, eine einzige Provinz des Peloponnes 40,000 Drachmen. Der Eid der christlichen Krieger lautet:


»Ich schwöre auf das Evangelium und die Dreieinigkeit und auf den Namen Jesus Christus: daß ich die Waffen, die ich in die Hände nehme, nicht eher niederlegen will, ehe nicht die Tyrannen aus meinem Vaterlande vertrieben sind, so daß dasselbe gänzlich befreit ist; ich schwöre auch bei dem allwissenden Gott, daß ich die griechische Fahne mit meinem Blute vertheidigen will.«


Dieser in allen Gegenden Griechenlands aufflammenden Begeisterung gegenüber erklärten am 23. Februar die Gesandten Frankreichs und Englands dem König Otto, wie ihre Regierungen für nöthig hielten, daß Griechenland strenge Neutralität beobachte und boten ihm die Hilfe ihrer Truppen gegen die Ungehorsamen an. Der König, von seiner hochherzigen Gemahlin getrieben, entgegnete, daß er stets die Neutralität beobachtet habe und beobachten werde, daß er aber die Sympathieen seines Volkes theile und die Einzelnen nicht hindern könne, ihren Glaubensbrüdern zu Hilfe zu eilen. Eine ähnliche Antwort gab in Constantinopel der griechische Gesandte GeneralMetaxa auf die Anfrage der türkischen Minister.

Die Abreise des türkischen Gesandten Nesset-Bey aus Athen, die spätere Besetzung des Pyräus und der Akropolis und das schmachvolle Regiment des Ministers Kalergis waren die westmächtlichen Consequenzen jener Antwort, und während der englische und französische Gesandte in Athen noch zu Neutralität riethen, segelten drei englische Schiffe bereits in den Golf von Prevesa und boten den türkischen Kommandanten der Forts ihre Hilfe gegen die Christen an.

Unterdeß schlugen sich die Freischaaren mit abwechselndem Glück. Die Türken wurden bei Demorio, Domoti und an dem berühmten Engpaß der fünf Brunnen (Pente pegadia), dem Zugang von Arta nach Janina, bei Salaora und Zuros geschlagen, auf Peristera zurückgeworfen, und Zervas befestigte jenen Paß, während dessen tapferer Vertheidiger Zambra Ziko sich nach [10] Paramythia und gegen Janina wandte. Arta fiel in die Hände der Griechen, aber sie mußten die Stadt, von den Kanonen des Kastells bedroht, wieder räumen und sich auf ihre Cernirung beschränken. In Thessalien schlugen sich Zacas und Hadji Petro gegen Abbas-Pascha und den Dervent-Aga Phrassari.

Dagegen siegten die Türken bei Sanct Dimitri, verbrannten zehn griechische Dörfer und machten glückliche Ausfälle aus der Citadelle von Arta. Grivas, mit seiner Schaar geschlagen, mußte mit 40 seiner Anhänger in ein Kloster flüchten und vertheidigte dasselbe heldenmüthig gegen die Albanesen. Zweitausend Mann ägyptischer Truppen landeten in Prevesa und eine größere Zahl war in Anzug. Zugleich erhielten die Pascha's der umliegenden Provinzen den Befehl zum Anmarsch. Zu Anfang März war auch der General Tzavellas, ein geborener Suliote, zu den Aufständischen übergegangen und hatte bei Louros 1500 Türken geschlagen. Viele Führer ordneten sich ihm unter und übertrugen ihm den Oberbefehl des Aufstands, der sich bereits über die ganze Pinduskette bis Metzowo erstreckte. Grivas dagegen, aus dem Kloster befreit, wandte sich gegen Janina und nahm 500 Arnauten im Dorfe Kufovo gefangen. Sie ergaben sich nach dreitägiger Gegenwehr unter der Bedingung, nicht wieder die Waffen gegen die Griechen zu führen, und Grivas lagerte vor Janina und besetzte die Inseln des Sees.

Die türkische Regierung hatte unterdeß die diplomatischen Verbindungen mit Griechenland abgebrochen und den zahlreichen in Constantinopel und den Provinzen sich aufhaltenden Griechen befohlen, das Reich binnen 15 Tagen zu verlassen. Nur die katholischen Griechen wurden auf Verwendung des französischen Gesandten davon ausgenommen. General Metaxa verließ am 3. April Constantinopel. Mit der berechnenden orientalischen Schlauheit, die ihre meisten Erfolge herbeigeführt, hatte die Pforte nunmehr Fuad-Effendi, den gewandten Unterhändler, an die Spitze der Truppen gestellt, die sie zur Dämpfung des Aufstandes nach dem Epirus und Thessalien sandte und während Abbas-Pascha, Abbi-Pascha, der Dervent-Aga Phrassari und Zeinel-Pascha mit jetzt zahlreichen Truppen die Griechen von Arta, Janina und Laritza her angriffen, hatte der schlaue Exminister mit Hilfe der obern griechischen Geistlichkeit, die, um ihren Einfluß und ihre Privilegieen besorgt, schändlicher Weise eifrig für die türkische Regierung Partei ergriff, Uneinigkeit [11] und Eifersucht zwischen die Führer der Freicorps gesäet. Tzavellas und Grivas standen sich bereits feindlich entgegen und weigerten einander gegenseitig die so nöthige Unterstützung. Zugleich erließen die Capitains der englischen Schiffe, welche die Küste von Epirus blokirten, drohende Proclamationen an die Führer und drohten mit dem Einschreiten der englischen Truppen. – –

Es war am Nachmittag eines sonnigen Apriltages und der leichte Wind, welcher von den grünen bis zu den schneeigen Gipfeln des Pindus aufsteigenden Bergen wehte, kräuselte leicht die Fluthen des Sees Labchistas, dessen Lagunen unter den Felsen des Tomoros verschwinden. Auf der Hochebene am See dehnten sich die weiten Ringmauern von Janina aus, jetzt nur noch die Trümmer der unter Ali so mächtigen Festung umschließend, die jedoch noch immer stark genug sich zeigte, die aufständischen Griechen abzuhalten.

Auf dem Felsenplateau des Klosters der beiden »geldlosen Heiligen«, Cosmas und Damianus, an dem der Bergstrom Dobra-Woda (frisches Wasser), auf den Höhen des eisigen Berges Matzikeli entspringend, vorüberrauscht, lagerte eine Schaar von Griechen und Albanesen unter den Platanen, die das Kloster umgeben, kräftige Gestalten, christliche Schipetaren 5 vom Stamme des Tosken, Hirten des Pindus und Männer aus den griechischen Gränzprovinzen und der Morea, wie von den steilen Höhen des Taygetos. Da saßen die Bulukbaschi's 6 mit ihren Buren 7 des heimathlichen Phis 8, die den Brokovalas 9 gegen ihre ewigen Feinde, die türkischen Stämme, angestimmt. Zwischen den schlanken albanesischen Kriegern mit dem Phistan (Fustanelle) bekleidet, deren weites Gewebe aus 122 Stücken ihre Lenden umflattert, über der Flokota, dem rothen Unterkleid, den Djeferdane (Karabiner) in der Faust; – Soldaten der regulairen Armee von Griechenland mit Wehr und Waffen, wie sie aus den Garnisonen desertirt waren; oder die wilden zügellosen Bewohner Sparta's, die auf den ersten Ruf mit Maurokordato über den Golf von Patras gekommen und keinen andern Herrn kannten als den eigenen Willen, keinen andern Zweck als das Blutvergießen. Um den Kotsche gelagert, [12] das ganz gebratene Schaaf, hören sie dem Kaloïatri zu, dem wundersamen Heilkünstler aus dem Bezirk Zagori, der ihnen von der Kraft seiner Heilkräuter erzählt, bei welcher der Verwundete ungestört seinen Branntwein trinken darf, damit »das Fleisch lebendig bleibe«, oder dem Pliak 10, der die mirditische Laute spielt und von den Tänzen seiner Palikaren singt.

In einiger Entfernung am Rande der Schlucht gingen zwei Offiziere, beide in der reichen Tracht der Palikaren, in eifrigem Gespräch auf und nieder. Der Eine war ein Mann von 36 bis 37 Jahren, der Andere um 10 Jahre älter, von wilder finsterer Miene, Grausamkeit und Zorn in dem blitzenden Auge: Theodor Grivas, der General der Aufständischen und Führer der Truppen vor Janina, ein Stiefohm seines Begleiters, des kühnen und edlen Anastasius Caraiskakis, dessen Züge unverkennbare Aehnlichkeit mit seinem Bruder zeigten, den wir zuletzt auf der Flucht aus Constantinopel verlassen haben.

An ihrer Seite ging ein Knabe in zerlumpter griechischer Kleidung, Mauro, der Pflegesohn des unglücklichen Räubers auf dem Pagus von Smyrna.

»Bei der Agia-Glykis, der sanften Heiligen 11,« sagte Caraiskakis, »wir werden meinem Bruder Gregor nur Trauriges zu berichten haben, wie er uns böse und trübe Kunde gesandt. Für den Tod Diona's den Tod meines Bruders Nicolas. Der Name Grivas lebt in Dir allein noch fort.«

»So möge er mit mir sterben, ehe je wieder diese meine Heimath das türkische Joch trägt. Aber auch der Deine, Anastasius Caraiskakis, ruht nur auf vier Augen. Du und Dein Bruder Gregor Ihr habt kein Weib genommen.«

»Unser Leben, Theodoros, gehört dem Vaterlande und dem Kampf für die Freiheit.«

»Das meine nicht minder, und Weiberliebe ist ein erschlaffend Ding für den Mann. Ich wollte, Du hättest Dich immer fern davon gehalten, statt Dein Herz an jenes Mädchen von Messolonghi zu hängen, das die Seeräuber Dir entführten. Was wirst Du meinem Neffen Gregor antworten?«

»Die Wahrheit – es steht nicht gut mit uns, ich wollte, es [13] wäre anders. Deine Feindschaft mit Tzavellas, Oheim Theodoros, ist es, was unsere Sache schlecht macht und die Herzen der Unsern spaltet.«

»Bei dem Kakodämon dieser Berge,« fuhr der wilde Klephtenführer auf, »soll ich mich dem Sulioten unterthänig zeigen, der erst von Athen gekommen, als bessere Männer, denn er, bereits die blaue Fahne erhoben und die Osmanli bis zu den Thoren Arta's gejagt hatten? War ich nicht der Erste, der zum Epirus eilte und hat mich nicht der freie Wille der Klephten zu ihrem Führer gewählt?«

»Das hat er, Oheim, Niemand leugnet Deine Verdienste. General Tzavellas aber ist in den europäischen Kriegsschulen gebildet, ein Führer des königlichen Heeres, und sein Name steht in großem Ansehen durch ganz Griechenland.«

»Mag er; die Namen Grivas und Caraiskakis sind besser als der seine, denn Heldenblut hat sie geweiht. Ich bin ein Sohn des Pindus und nicht so gelehrt wie er, aber weinen Muth und meine Vaterlandsliebe stelle ich nicht unter die seinen. Laß uns nicht streiten, Neffe, Theodoros Grivas und seine Freischaar wird noch immer Raum zum freien Kampf gegen die Türken finden, auch wenn die Männer von Suli mir und meinen Leuten ihre Thore verschließen.«

Ein Anruf der Wache unter ihnen im Hohlweg, das albanesische »kum phis?« (weß Stammes?) und der Gegenruf »Wla!« (ein Bruder!), unterbrach ihr Gespräch.

Gleich darauf wurde von einem der eingeborenen Krieger ein Jüngling auf das Plateau und vor den Führer gebracht, um den sich alsbald der ganze Haufe mit jener Ungezwungenheit sammelte, die den freien Krieger der Berge von den geschulten Soldaten der europäischen Armee unterscheidet.

Der Fremde war ein junger Mann von etwa 16 Jahren, hoch und schlank gewachsen mit einem Adlergesicht. Ueber dem Gunjatz, dem wollenen Untergewand der Czernagorzen, trug er die Struka, den braunen zottigen Mantel, an den Füßen die Opanka und von dem bis zum Wirbel rasirten Schädel fielen die Flechten schwarzen Haares, welche das Vorrecht eines Kriegers bilden, auf seinem Nacken, obschon noch kein Bart Lippe und Kinn beschattete. Die Hand des Jünglings führte eine lange reich mit Silber beschlagene Flinte und an seinem Hals hing neben einem großen [14] Pulverhorn an einer seidenen Schnur ein getrocknetes Menschenhaupt. Seine Miene war ernst, ja finster, sein Wesen gemessen und schweigsam.

»Wer von Euch,« sagte der Fremde, indem er in die Mitte der Krieger trat, »ist der Beg Grivas, der Führer der tapferen Männer von Schamidien?«

»Ich bin es, Fremder, sage uns Deinen Namen!«

»Bogdan, der Sohn Iwo's, des Einäugigen, des Begs der Martinowitsch.«

Caraiskakis sprang auf ihn zu und faßte seine Hand.

»So bist Du der Sohn des Helden, dessen Brod mein Bruder vor seinem Tode gebrochen? Du bringst uns Kunde von dem Ende Nicolas Grivas's?«

»Dein Bruder fiel an der Kula des Popowitsch Gradjani, an der Seite meines Vaters und des Gatten meiner Schwester, Gabriel des Zagartschanen, seines Blutbruders, den er gerettet hatte aus dem Thurme von Skadar. Der Knabe Bogdan ist jetzt der Glaware der Martinowitsch, die Moslems nahmen das Haupt Iwo's des Tapferen mit von dannen, und auch der griechische Gastfreund ruht nicht in geweihter Erde.«

»So hat man den Leichnam meines Bruders nicht gefunden? ich hörte doch, daß Ihr die Türken geschlagen.«

»Die blutige Wölfin von Skadar trug den Körper davon auf dem Sattelknopf ihres Rosses. Was nutzten die Kugeln der Söhne der schwarzen Berge gegen ihr gefeytes Leben? Ich allein habe Schuld an dem Verderben der Meinen, denn ich trug das Pulver, das sie retten konnte, mit mir davon und zur Sühne seitdem das Unglückshorn und das Wahrzeichen meines Vaters, bis daß ich sein eigenes Haupt von den Thoren Skadar's gelöst habe.«

»Und was bringt Dich hierher, Czernagorze?« fragte Grivas.

»Eine Botschaft und meine Rache. Die Botschaft soll ich zu den Häuptlingen der freien Griechen bringen, von Danilo, dem Vladika der schwarzen Berge; Rache aber suche ich im Kampf gegen die, Mörder von Skadar, die dem Pascha von Janina zu Hilfe gezogen.«

Der junge Czernagorze wickelte aus einem seidenen Tuche das Schreiben des Fürsten Danilo, worin dieser den gliechischen Führern seine Proclamation vom 16. März sandte, die das Volk von Montenegro zu den Waffen gegen die Türken rief, und einen Einfall [15] im nördlichen oder rothen Albanien, dem Lande der Mirditen, verhieß. –

»So ist die Nachricht wahr, daß Selim-Bey von Scutari mit tausend Arnauten dem Pascha von Janina zu Hilfe gekommen?«

»Ihr müßt sie von dieser Stelle in die Thore der Stadt haben einrücken sehen.«

»Sei uns willkommen, Bure Bogdan, und mögen Deine Thaten Deine Jugend vergessen machen.«

Grivas reichte ihm die Hand und führte ihn zu der Platane, unter welcher die Schaar sich gelagert hatte.

»Nimm Theil an unserm Mahl und erfrische Dein Herz an unserm Wein.«

Caraiskakis setzte sich an seine Seite und reichte ihm die große hölzerne Kalebasse. Sein Herz drängte ihn, Näheres von dem Schicksal des geliebten Bruders zu erfahren, den er selbst im Auftrage der Elpis nach Czernagora gesandt. Als daher Bogdan seinen Hunger und Durst gestillt hatte, wandte er sich mit neuen Fragen an ihn und wollte zunächst wissen, ob wirklich der Körper des jungen Mannes von dem Schlachtfelde entführt worden.

Bogdan erzählte ihm, was er selbst und seine Krieger geschaut.

»Sie ist eine Zauberin,« sagte er mit allem Aberglauben seines Volkes, »und die Bewohner von Skadar sagen, daß sie ein Vampyr sei. Zum Mindesten hat sie den bösen Blick und Niemand kann sie anschauen, ohne ein Leid davon zu tragen.«

»Aber warum soll sie den Körper meines Bruders entführt haben, wenn er wirklich todt war?«

»Die Wila's mögen es wissen! Schlimme Gerüchte erzählen sich die Weiber von Skadar seitdem von einem weiblichen Vrokoklak, den sie bei sich hat. Der böse Geist, der sie so lange als Wolf begleitet hatte und dessen Leib wir auf der Schlachtstätte fanden, ist seitdem in den Körper einer Sclavin gefahren, von der sie sich Tag und Nacht nicht trennt. Bei den sieben Heiligen von Ostrog! ich weiß, was ich rede, Beg, meine Augen haben das Gespenst geschaut, als ich ihrem Zuge folgte, zehn Tage lang bis zum See von Janina. Es wurde in einer Sänfte von zwei Maulthieren getragen.«

Die Erzählung des abergläubischen Czernagorzen klang so seltsam, daß Caraiskakis nicht wußte, was er daraus machen sollte. Auffallend war es ihm, daß der Körper seines Bruders von der [16] Kampfstätte durch die Arnauten bei ihrer wilden Flucht mit fortgeschleppt sein sollte, ohne daß sie einen gewissen Zweck damit verbanden, und er schloß daraus, daß sein Stiefbruder nur verwundet und als Gefangener davongeführt worden sei. Für das Weitere, ob er am Leben oder nicht, ob er später der türkischen Rache zum Opfer gefallen oder noch in den Gefängnissen von Skadar schmachte, bot freilich die Erzählung des jungen Glawaren keinerlei Anhalt, und dennoch überkam es ihn wie eine geheimnißvolle Ahnung, als ob sie mit dem Schicksal seines Bruders in Zusammenhang stände.

Er suchte Grivas auf und theilte ihm seine Hoffnungen und Zweifel mit. So unbestimmt sie auch waren, zeigte sich der General der Aufständischen doch alsbald damit einverstanden, daß sie die Gelegenheit der Anwesenheit der Männer von Skadar benutzen wollten, um auf irgend eine Weise von ihnen zu erforschen, was über das Schicksal des jungen Griechen etwa bekannt geworden war. –

»Die Verstärkung Abdi-Pascha's,« sagte Grivas, »läßt mich vermuthen, daß er bald einen Ausfall aus Janina machen wird, und es wird gut sein, wenn wir die Capitano's davon in Kenntniß setzen, und da die Türken uns überlegen sind, uns der Pässe nach Mezzovo versichern, wo wir den Weg nach Thracien und Macedonien, nach Larissa und Salonichi in unserer Hand haben. Dann mag Tzavellas von Arta her die Verbindung mit Janina bedrohen, während wir uns mit Chatzi vereinen und Zeinel-Pascha am Pindus aufhalten. Begleite mich bis Dervendzista, Neffe, dort will ich die Nacht zubringen, da ich Botschaft an die Primaten von Metzovo gesandt und ihre Antwort daselbst erwarte.«

»Und mein Bruder – Dein Neffe?«

»Wir werden sicher im nächsten Gefecht einige dieser Hunde von Ghegen gefangen nehmen, und ich lasse sie lebendig verbrennen, wenn sie nicht sagen, was sie wissen.«

»Wäre es nicht besser, einen Spion an unsere Freunde in Janina zu schicken und diesen die Nachforschung anzuvertrauen?«

»Es mag sein – indeß die Türken halten jetzt scharfe Wache und es wird ein schwieriges Unternehmen sein.«

»Ich habe mein Auge auf den Knaben gerichtet, den uns Gregor, mein Bruder, von Varna hergesandt hat. Er rühmt uns seine Schlauheit und die Weise, wie er sich durch ganz Rumelien zu uns durchgeschlagen, ist Beweis genug dafür. Ihn will ich zu [17] meinem Boten machen; der Knabe spricht fertig türkisch und ist klug und besonnen genug, daß er uns wichtige Dienste leisten kann.«

»So mache den Versuch,« sagte der General, »ich treffe unsere Anstalten zum Aufbruch.«

Mauro zeigte sich sogleich willig und nachdem er von einem der eingeborenen Albanesen eine Beschreibung der Stadt erhalten, die in den Strahlen der Abendsonne in der Entfernung von etwa anderthalb Meilen vor ihnen lag, machte er sich auf den Weg. Caraiskakis geleitete ihn eine Strecke und kehrte dann zu seinen Leuten zurück.

Der General mit etwa zwanzig Griechen war zum Abmarsch bereit und Caraiskakis, indem er seinem Lieutenant den Befehl des Postens anvertraute, begleitete ihn. Es war bereits am Spätabend, als sie in dem Dorfe Dervendzista nach einem scharfen Marsch anlangten. Hier quartirten sich die Führer bei dem Primaten des Orts ein, offenbar sehr gegen dessen Willen, doch mußte er der Nothwendigkeit sich fügen. In ihre Aba's 12 gehüllt, lagen sie bald, nachdem eine Wache ausgestellt worden, in tiefem Schlaf.

Es war am andern Mittag, als der Bote von Metzowo eintraf, der Papa oder Priester des Ortes, und einen Brief an Grivas überbrachte; während sie ihr Yahni – ein Ragout von gekochtem Fleisch mit trockenen Erbsen – verzehrten.

»Die Primaten, meldet mir der Agent,« sagte der General, »sind geneigt, uns die Thore zu öffnen. Metzowo ist ein reicher Ort, und wir können dort unsern Leuten Sold und alles Nöthige verschaffen, während wir hier Noth leiden. Zuvor will ich Janina anzünden, daß sein Brand uns auf dem Weg leuchten soll.«

»Es wäre eine unnütze Grausamkeit,« wandte Caraiskakis ein, »Du weißt, wie viele Griechen dort wohnen und Handel treiben.«

»Was kümmert's mich,« tobte der wilde Grivas. »Bei der Panagia, dann hätten die Schufte uns längst die Thore öffnen sollen, ehe diese Hunde von Ghegen in die Festung gezogen sind, vor denen wir jetzt weichen müssen. Der Agent des Czaren, unsers Vaters, wünscht eine Zusammenkunft mit mir in dieser Nacht und schlägt mir die Palanka am Fuße des Mitzikeli auf dem Weg nach Gozista vor, eine Stunde von hier. Der Papa, den ich befragt, nennt sie ein festes Gebäude.«

[18] »Das Antlitz des Mannes gefällt mir nicht, so wenig wie das unseres Wirthes. Gott zeichnet in die Mienen der Menschen ihre Seele.«

»Der Pliak ist ein Japide, wie er selbst mir erzählte, und hat sich aus den acroceraunischen Felsen flüchten müssen, wegen einer Tscheta 13 seines Phars 14. Es sind Christen, weiter brauchen wir Nichts. Der Primat scheint von dem Strandrecht Beute genug zusammen gescharrt zu haben, weil sie ihn in diesem Dorfe zum Primaten gemacht, aber mitunter noch an den türkischen Gebräuchen zu sehr zu hängen. Hast Du nicht bemerkt, Anastasius, daß sein Weib noch nicht vor uns erschienen?«

»Vielleicht ist sie krank.«

»Bei den Unterirdischen, nein, ich habe sie vor einer Stunde über den Hof gehen sehen. So wahr ich die vierzig Märtyrer verehre, ich will nicht mißachtet sein von diesem Schurken von Japiden, bei dessen Namen ein wahrer Albani ausspeit. Sie hat uns das Brot und das Salz nicht gebracht beim Eintritt, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, so soll sie uns wenigstens den Becher bringen beim Scheiden. Du gehst von hier zurück auf Deinen Posten am Kloster und ich denke morgen bei Zeiten wieder bei Dir zu sein.«

»Wie viele der Gefährten nimmst Du mit, Oheim?«

»Sieben der Mainoten; es sind ihrer genug zur Aufstellung der Wachen. Laß uns aufbrechen, Anastasius, und mögest Du bald Kunde erhalten von dem anatolischen Knaben aus Janina.«

Während die Klephten sich zum Abmarsch anschickten, kam der Hausherr herbei, auf einer silbernen Platte die alterthümliche Trinkschaale mit dem rothblauen Wein der Höhen des Tzumerka-Gebirges, um den Abschiedstrunk seinen Gästen zu bringen. Der wilde Grivas jedoch warf ihm mit einem Schlage seiner Faust Becher und Platte aus der Hand.

»Räudiger Hund von einem Lapen,« fuhr er ihn an, »glaubst Du, einem freien Griechen die Ehre und Sitte Deines Hauses verweigern zu dürfen? Schaffe Dein Weib zur Stelle, daß sie uns, wie der Gebrauch es heischt, den Abschiedstrunk auf der Schwelle des Hauses kredenze.«

[19] Die Hand des Primaten, eines wildaussehenden Mannes mit niederer Stirn und von jener abschreckenden Häßlichkeit, welche seinen Stamm charakterisirt, fuhr nach dem Pistolenknauf in seinem Leibbund, ein Blick auf die Männer umher aber lehrte ihn Vorsicht. –

»Mein Weib ist krank, Herr, mein Gebieter möge sie entschuldigen.«

»Du lügst, Primat. Es liegt uns wenig daran, ihre Häßlichkeit zu schauen, die der Deinen gleichen mag, aber ein Japide soll uns nicht Hohn sprechen. Laß Dein Weib den Becher bringen, oder Deine Fußsohlen sollen es entgelten.«

Der Hausherr schlich mit finsterm Blick davon. Einige Augenblicke nachher trat aus dem Innern des Hauses, von einer Dienerin begleitet, die Frau, zum Staunen der Krieger, welche die Häßlichkeit einer Lapin zu sehen erwartet, eine Schönheit von antiker griechischer Form, auf deren edlem Antlitz nur die Blässe geistigen Leidens die schöne Sammetfärbung und den Glanz der dunklen Augen milderte. Das schöne Haupthaar fiel in drei Zöpfe getheilt und mit Piastern durchwunden über den Nacken, die Halsbänder von den rothen Corallen Corfu's, die silbernen und goldenen Armspangen und Gürtel, das reiche mit seidenen Troddeln gezierte Hemd und die im Luftzug der Veranda fliegenden vier um den Leib gebundenen bunten Schürzen zeigten die wohlhabende albanesische Hausfrau. Mit der edlen griechischen Verneigung, der Bewegung der Rechten an Brust und Stirn, ergriff sie die silberne Kanne, welche das Mädchen auf gleicher Platte ihr nachtrug, und war im Begriff, die Pflichten der Wirthin zu erfüllen, als ihr großes Auge auf Caraiskakis fiel, der bei ihrem Eintritt, zufällig mit einem der Krieger sprechend, ihr den Rücken gewandt hatte, und sie jetzt gleich einer Bildsäule anstarrte.

Der Krug entfiel ihrer zitternden Hand und der rothe Strom des Weines ergoß sich über die Steinplatten des Bodens.

»Anastasius!« das einzige Wort entquoll ihrem hochathmenden Busen, dann sank sie bewußtlos in die Arme des herbeispringenden Griechen.

»Aphanasia!« schrie der Offizier wild auf und preßte die Ohnmächtige an seine Brust. »Geliebte meines Herzens, Du das Weib dieses Mannes!«

Der Primat stürzte sich zwischen die Beiden, seine boshaften [20] Augen funkelten in eifersüchtiger Wuth, als er sie mit Gewalt zu trennen suchte.

»Zurück, Beg, es ist mein Weib, mein Eigenthum! Achtet Ihr so die Sitte des Landes, das Ihr befreien wollt? Laßt sie los, sag' ich, oder, bei dem Gott meiner Väter! ich stoß' Euch dieses Eisen durch die Rippen!«

Eine starke Faust jedoch erfaßte den Wüthenden und schleuderte ihn den umstehenden Kriegern zu.

»Haltet ihn fest und schlagt ihn zu Boden, wenn er sich rührt,« befahl Grivas. »Was ist's mit dem Weibe, Neffe, woher kennst Du sie?«

»Das Mädchen von Messolonghi, Aphanasia Dulanyi, die vor zehn Jahren die Piraten entführten!« Er suchte mit Hilfe der Dienerin die Frau in's Leben zurückzurufen.

»Die Tochter meines Waffengefährten am Asprospotamos? So ist dieser Hund von Japiden der Pirat, der sie raubte. Bindet ihn, Kameraden; der Schurke hat eine griechische Jungfrau gestohlen, um sein schmuziges Blut mit ihr zu mischen. Es soll strenges Gericht gehalten werden über ihn, und wehe ihm, wenn er schuldig ist!«

Die Mainoten, die sich auf den Primaten warfen, schnürten dem Tobenden die Arme zusammen, Männer und Weiber des Phars sammelten sich um die Scene, und wie wenig auch der von den Türken eingesetzte Primat beliebt sein mochte, schüttelten sie doch bedenklich die Häupter, denn Haus und Weib sind auch dem christlichen Orientalen so heilig, daß ein Eingriff in diese Rechte bei ihm stets etwas sehr Bedenkliches und Gefährliches bleibt.

Aber Grivas war nicht der Mann, sich um das Mißfallen einer Dorfschaft zu kümmern oder seinem Willen deshalb Zügel anzulegen. Den Bemühungen seines Neffen war es unterdeß gelungen, die Frau zum Bewußtsein zu bringen, und er trug sie in das Gemach zur Seite des Flurs und legte sie auf die Bank von Rohrgeflecht nieder. Mit der glühenden Leidenschaft des Südens kniete er vor ihr und küßte ihre Arme und ihre Stirn, mit hundert süßen Worten die schöne Zeit ihrer Liebe an den blauen Gewässern des Golfs von Patras zurückrufend.

Sie erzählte ihm ihr Geschick. Der Primat selbst, früher einer der berüchtigsten jener Seeräuber der acroceraunischen Felsenschluchten [21] an den Abhängen des Chimära-Gebirges, zwischen Cap Linguetta und Delvino, – die mit ihren schnellen Tartanen an den griechischen Küsten umherschweifen bis hinüber nach Calabrien, Ufer und Meer unsicher machend und vor den Verfolgungen sich in ihre unzugänglichen Skaloma's flüchtend, – hatte sie bei einem Spaziergange am Meeresstrande mit zwei anderen Mädchen gefangen genommen und in die wilden Berge Ljapuriens geschleppt, wo er sie durch Mißhandlungen zwang, ihn zu heirathen. Später durch seine Seeräubereien reich geworden, hatte er seine Heimath verlassen und, durch ein Geschenk den Schutz des Pascha's von Janina erkaufend, sich in Schamurien niedergelassen, wo jener Schutz ihm zu Amt und Ansehen verhalf. Aphanasia, die bei dem Raube eine sechszehnjährige Jungfrau gewesen, hatte dem aufgezwungenen Gatten zwei Kinder geboren, von denen nur das jüngste, ein Mädchen von drei Jahren, noch lebte und der einzige Trost der Frau war, die noch immer argwöhnisch von dem ehemaligen Piraten bewacht wurde.

Das war es, was die nunmehr sechsundzwanzigjährige Frau ihrem früheren Geliebten und dieser dem General jetzt mittheilte. Grivas sprach ein kurzes Urtheil, obschon dergleichen Gewaltthaten, wie der Seeraub von Frauen, an den Küsten Griechenlands eben nichts Seltenes sind: der Japide sollte erschossen werden; aber Aphanasia warf sich zu seinen Füßen und bat für das Leben des Vaters ihres Kindes.

Auch Caraiskakis erklärte sich auf das Bestimmteste gegen die blutige That. – »Kenamon 15,« sagte der wilde Führer, »Ihr wißt nicht, was Ihr bittet, denn ich wollte Euch von Eurem Tyrannen mit gutem Blei befreien. Der Capitano Delanhi mag selbst über Euch bestimmen, denn Eurem Vater muß ich Euch zuführen, das fordert meine Ehre, obschon er es mit Tzavellas hält und bei Arta steht. Mein Neffe wird Euch nach dem Kloster der armen Heiligen bringen, bis ich Euch weiter geleiten lassen, kann. Für Euer Eigenthum aber wollen wir selbst sorgen, es ist gerecht, daß der Gatte seine Frau ausstatte.«

Der General duldete keinen Widerspruch weiter, und um eine blutige That zu verhindern, mußte sich Caraiskakis darein finden, daß die Klephten die Wohnung des Primaten plünderten und die werthvollsten[22] Gegenstände, nachdem die eigenen Taschen bedacht waren, auf einen Esel luden, als das Eigenthum der Frau, die der Machtspruch des Führers geschieden. Dann wurde sie selbst mit ihrem Kinde auf eines der kleinen griechischen Pferde gesetzt und Caraiskakis führte es am Zügel, von dem Rest der Truppe umgeben, zurück nach dem Posten am Kloster, während der General mit den sieben Mainoten sich nach dem Gebirge wandte. Keiner der Bewohner wagte, ihrem Abzug Widerstand zu leisten, denn die langen Flinten der Klephten hatten die friedlichen Schamiden in ihre Wohnungen vertrieben, wo sie sich versteckt hielten.

Zu dem wuthknirschenden Japiden, der noch immer gebunden in der Veranda seines Hauses lag, schlich der Papa.

»Es ist Dir schlimm gegangen, Freund Petros. Die Vorsicht, mit der Du Dein schönes Weib verborgen, hat Dir wenig genützt, und der griechische Capitano wird diese Nacht an ihrem Busen ruhen.«

»Mache mich nicht wahnsinnig, boshafter Kalorgi. Was kümmert mich das Weib, wenn ich mich rächen kann an dem Hunde, der mich bestahl! Löse meine Bande, Papa, denn meine Seele dürstet nach seinem Blut.«

Der Pfaffe nahte ihm vorsichtig. – »Haben die Griechen Dir Alles genommen, Petros?«

»Hältst Du mich für einen Esel, Papa, daß ich mein Geld offen den Räubern hinlege? Sie haben mir viel gestohlen, aber es bleibt mir genug, um ihr Verderben zu erkaufen. Ich gehe zu Abdi-Pascha nach Janina, und meine Zechinen sollen eine Schaar von Burschen zu meiner Rache sammeln, die gleich den Pagania's 16 ihrer Spur folgen sollen.« Er streckte ihm die gefesselten Arme entgegen zur Befreiung.

»Wenn Ihr mir zwanzig Zechinen gebt, Petros,« sagte der schurkische Priester, indem er langsam die Stricke zu lösen begann, »so will ich Euch ein Geheimniß vertrauen, das Euch volle Rache an Euren Feinden sichert und Euch wieder zu Eurem Weibe und Eurer Habe verhilft.«

»Du sollst sie haben.«

»Schwört bei der Panagia!«

»Bei der Panagia und bei allen Heiligen, die Du willst.«

[23] »Wohl; ich weiß, daß Ihr in Gunst steht bei dem Pascha, aber die Nachricht, die Ihr ihm bringen könnt, wird diese Gunst noch erhöhen. Ihr wißt, daß ich für den Griechen in Metzovo war, ich mußte den Weg machen, denn der Diakon des Klosters hatte mir den Auftrag gesandt und ich wurde bezahlt dafür. Aber ich habe unterwegs den Brief gelesen, den mir der verkleidete russische Offizier in Metzovo gab, und weiß, was ich weiß. Ihr gebt mir die zwanzig Zechinen, Petros, und theilt den Lohn mit mir, den Euch der Pascha dafür giebt, daß Ihr die Feinde in seine Hände liefert?«

»Du sollst es haben, Papa, ich schwöre es Dir mit sieben Eiden!«

»So laßt uns Beide eilig auf den Weg machen nach Janina, denn jeder Augenblick ist kostbar!«


Durch den Hain duftiger Citronen und rother Granaten, der den südlichen Abhang von Janina bedeckt, schlenderte der Knabe Mauro hinter einigen Seidenarbeitern d'rein, deren kunstvolle Webereien noch heute eine Haupterwerbsquelle der seit Ali's Tode auf die Hälfte ihrer Einwohnerzahl heruntergekommenen einst so blühenden Stadt bilden. Sie kamen von den Plantagen der Maulbeerbäume, die mit Citronen und Oliven den südlichen Gürtel der Stadt außerhalb der Ringmauern bilden. Denn wenn auch die griechischen Insurgenten kaum anderthalb Meilen von der Stadt lagerten und bereits mehrfache Angriffe auf diese gemacht, ja sogar ein Mal innerhalb der Mauern sich festgesetzt hatten, betrieb doch die griechische Bevölkerung ungestört ihren Handel und ihre Industrie. Diese Gleichgültigkeit bei der Gefahr, diese ungestörte Thätigkeit und Beweglichkeit neben dem Abgrunde ist einer der eigentümlichen Züge des orientalischen Lebens.

Ein großer Molosserhund, eine jener kolossalen epirotischen Doggen, in deren Begleitung unbesorgt die mirditischen Jungfrauen durch die ödeste Wildniß schreiten, sprang an der Straße daher und warf den Knaben zu Boden. Aber Mauro klammerte sich an den vergoldeten Sammetreif, der den Hals des Hundes zierte, und ließ sich furchtlos von ihm fortziehen. Das gefährliche Spiel weckte die Aufmerksamkeit der Reiter, die der Dogge folgten.

Die hervorragendste Gestalt war eine türkische Frau zu Pferde, [24] gleich den Männern in den weiten seidenen Beinkleidern im Sattel sitzend, die goldglänzende Toka – den Flügelharnisch der Ghegen, aus leichten Goldschuppen gebildet – um Brust und Schultern, auf dem Haupte den Turban mit hoher Reiherfeder, von dem ein leichter, halb durchsichtiger Schleier statt des unförmlichen Yaschmaks über Kopf und Gesicht niederhing, der die Trägerin am freien Umherschauen nicht behinderte, während er genügte, sie als Bekennerin des Propheten zu zeigen, obschon in vielen Gegenden Albaniens die Frauen auch der mohamedanischen – meist schiitischen – Stämme 17 unverschleiert gehen.

Auf der Hand der Dame saß in seiner Kappe der Falke, während ihre Linke das muthige weiße Roß an den aus rothem Sammet und breiten Goldtressen gebildeten Zügeln bändigte.

Ihr zur Rechten, dem Ehrenplatz der Mohamedaner, ritt eine zweite Frauengestalt, die Erste noch an Größe überragend, quer auf einem Maulthiere, nach europäischer Sitte. Sie war jedoch vom Scheitel bis zur Sohle in einen weiten Feredschi und Yaschmak von grüner Farbe, der heiligen der Moslems, gehüllt, aus dem allein die Augen hervorblickten. Selbst die Hände verschwanden unter den weiten Falten des Mantels. Die dritte Person der Reitergruppe bildete ein junger, in weite weiße, nur von einem rothen Shawl zusammengehaltene Gewänder gekleideter arabischer Scheik. Das bronzefarbene Gesicht mit den großen dunklen Augen und der schön geformten Adlernase über den schmalen Lippen schaute kühn und trotzig aus der weißen capuchonartigen Umhüllung hervor. Seine Hand führte die lange schlanke Lanze der Araber, während die mit Silber und Perlmutter eingelegte Luntenflinte über seinem Rücken hing.

Etwa hundert Schritt hinter der eben beschriebenen Gruppe folgte bunt durch einander ein Haufen arabischer und albanesischer Krieger als die Schutzwehr der Reiter, die an den sumpfigen Lagunen, in welche der See Labchistas verschwindet, den Reiher gejagt hatten.

Die grüne Reiterin berührte leicht den Arm der glänzenden Dame an ihrer Seite und ihre verhüllte Hand deutete nach dem gefährdeten Knaben, nur dem der große Molosserhund wie der Löwe mit seiner hilflosen Beute sich balgte.

[25] »Ruhe, Scheitan!«

Die große Dogge, die den erschlagenen Wolf beiFatinitza, der Tochter des Pascha's von Skadar, ersetzt hatte, folgte gehorsam dem ersten Ruf ihrer Stimme und sprang an der Seite ihres Pferdes empor, ihre Füße und die entgegengestreckte Hand liebkosend. Der Knabe Mauro aber lief, als habe ihn das gewalttätige Spiel des Hundes gar nicht erschreckt, neben den Reitern neugierig her, obschon von dem Fall auf den Boden das Blut von seiner Stirn rann.

»Wende das Licht Deiner Augen auf dies Kind, dunkle Rose des Sees,« sagte der Emir mit der blumenreichen Sprache seiner Heimath. »Der Prophet sagt: Wenn Dein Sclave, oder Dein Roß, ober Dein Hund den Unschuldigen verletzt hat, bist Du schuldig, den Schaden zu vergüten.«

»Inshallah! kann ich mich um jeden Bettler kümmern? – Was geht der schiitische Bube nicht meinem Thiere aus dem Wege?«

»Es ist Gerechtigkeit in der Wüste,« sagte der Araber, »lasse sie mich nicht vermissen an der stolzen Blume der Felsen. Dein Hund hat diesem Knaben ein Leides gethan.«

Wiederum legte sich die Hand der Verhüllten auf den Arm der, wilden Schönen und die Bewegung schien eine merkwürdige Macht über sie zu üben, denn sogleich bezwang sie ihre Heftigkeit.

»Du redest weise, Araber, und ich habe Unrecht,« sagte sie mit möglichster Milde ihrer Stimme. »Bist Du ein Knabe aus Janina, Kind?«

»Mein Vater war ein Tapferer aus Rumili und ist im Kampfe gegen die Ungläubigen gefallen,« berichtete Mauro, nebenher trabend. »Ich habe keine Angehörigen und bin eine Waise, die vom Thau der Barmherzigkeit lebt, den Allah mir sendet.«

»Ich habe gesehen, daß Du muthig bist, Knabe,« sagte die Tochter des Pascha's, »und Du sollst mein Oglan sein, bis Du ein Mann wirst. Gehe mit den Reitern dort und sage ihnen, Fatinitza habe es befohlen.«

Während der Knabe zurückblieb, galoppirten die Drei weiter durch das Thor der Ringmauer und in's Innere der Stadt.

Janina, vom Sebastokrator Michael Lukas gegründet, im zwölften Jahrhundert bereits durch die Normannen von Neapel aus zerstört, dann von den serbischen Königen wieder aufgebaut und durch französische Ingenieure unter. Ali Pascha zur starken [26] Festung gemacht, zeigt seit seinem Fall innerhalb der weitläufigen Ringmauern nur wüste Stätten und verödete Straßen. Eine Kaserne des Nizam steht an der Stelle des einst über der Stadt thronenden Schlosses Litharitza, von dem nur ein kolossaler fünfstöckiger Thurm noch übrig ist. Der Platz des Castro, das mit seinen Trümmern und seinen unbrauchbaren Geschützen den ganzen in den See vorspringenden Hügel einnimmt und über welchen die Gesellschaft jetzt zu dem schmalen Damme ritt, der die Insel Kulia mit dem berühmten Serail und dem Turbeh 18 des Löwen von Janina einnimmt und auf dem Ali die zahllosen Opfer seiner Grausamkeit hängen, spießen, schinden und lebendig verbrennen ließ, bot jetzt ein buntes Lager der mirditischen und arabischen Hilfstruppen in tausend bunten Bildern und Gruppen. Ueber den Raum hinweg folgte der Knabe Mauro den Reitern bis in den äußern Hof des Serails, wo Abdi Pascha gleichfalls seine Residenz aufgeschlagen hatte. Hier blieb er bei den Arnauten zurück, denen er die Rosse füttern und die Waffen putzen half, und der schlaue Knabe verstand es bald, das Gespräch auf ihre Heimath und ihre Thaten gegen die Männer der schwarzen Berge zu bringen.

Während so der junge Spion geschickt seine Zwecke verfolgte, betraten Fatinitza und ihre Begleiter das Turbeh – jenen schauervollen Ort, an dem Ali dem Verrath des Franzosen erlag, und den Abdi-Pascha seinem Collegen Selim zur Wohnung angewiesen. Der junge arabische Scheich, der seit der Ankunft der Mirditen am vorigen Morgen, von dem freien und seltsamen Wesen Fatinitza's angezogen auf allen Tritten, wo sie sich außerhalb des Haremliks nach ihrer gewöhnlichen allem Zwang Hohn sprechenden Sitte zeigte, ihr gefolgt war, benutzte die Gelegenheit, als die grüne Khanum – wie sie die Begleiter der Wölfin nannten, – vom Pferde stieg, um sich dieser zu nahen.

»Weise Frau,« sagte er eilig zu ihr, »auch in das gesegnete Arabien kommen die Zauberinnen von Oman, die die Zukunft verkünden und mit dem Reich der geheimnißvollen Geister verkehren, und Abdallah ben Zarugah hat sie stets geehrt und geschützt. Der Sohn der Hedja's ist reich an dem Goldsand seiner Heimath und den Perlen des Meeres von Persien. Bei der heiligen Kaba von Mekka! Du sollst den zehnten Theil seiner Schätze haben, [27] wenn Du die Purpurrose des Gebirges mit Deinen Worten bewegst, oder ihm einen Liebestrank bereitest, daß sie ihr Ohr seinen Wünschen öffnet.«

Die Verhüllte neigte das Haupt und folgte der Herrin, die bereits nach ihr rief, während Abdallah seine Schritte zurück zu seinen Kriegern wandte, die auf dem Platz des Castro ihr Lager aufgeschlagen.

Im innersten Gemach des Haremliks warf Fatinitza den Schleier und den Kaftan von sich, und nahte der grünen Verhüllten.

»Lege Yaschmak und Feredschi von Dir, o Licht meiner Augen; Du weißt, Aejischa, der Einzigen, die unser Geheimniß kennt, ist der Mund auf ewig geschlossen.«

Sie wies auf die schwarze Sclavin, die auf eine Matte im Gemach kühlenden Sherbet, Wein, die Früchte der Jahreszeit und jenes süße Backwerk und Eingemachte zum Mahl stellte, in dessen Bereitung die Bewohner Janina's berühmt sind.

Die Verhüllte warf Schleier und Mantel zu Boden und sich mit gekreuzten Armen und allen Zeichen finsterer Ungeduld auf den Divan. Es war eine sonderbare Gestalt, die sich nach der Entledigung der weiten Hüllen zeigte, halb Mann, halb Frau, in deren Gewändern. Ein bleiches schönes Männergesicht mit sorgfältig rasirtem Bart unter dem frauenmäßig geringelten Haar, quer über der Stirn eine breite tiefe Narbe, den Körper in ein seidenes Oberkleid, wie es die türkischen Weiber tragen, gehüllt, eben solche weite Beinkleider und gelblederne Strümpfe an den Füßen, das dunkle Auge stammend vor Unwillen über die unpassende Verkleidung, so lehnte er finster auf dem Kissen – Nicolas Grivas, der schöne Grieche, der Erschlagene von der Kula des Popowitsch Grabjani an den Ufern der Moratscha.

Gleich einem schüchternen bittenden Kinde hatte sich das wilde Mädchen auf ein Kissen zu seinen Füßen geworfen.

»Will mein Herr nicht Speise und Trank genießen?«

Der Grieche schwieg finster.

»Stern meines Lebens,« bat das Mädchen, »was hat Fatinitza gethan, daß Du ihr zürnst? Thue ich nicht, was der Odem Deines Mundes will? Bin ich nicht ein verändertes Weib, das sein eigener Erzeuger kaum wieder erkennt? Hab' ich nicht das wilde Blut, das durch meine Adern tobt, gebändigt, und die Schmach, [28] die Du mir angethan im Thurme von Skadar, vergolten mit Deiner Rettung?«

»Fluch über sie,« rief wild der junge Mann, »hättest Du mich sterben lassen an der Seite meiner Gefährten, die Deine Grausamkeit erschlug, blutige Wölfin von Skadar, es wäre mir besser, als daß ich lebend in der unwürdigen Mummerei eines Weibes der Sclave eines solchen bin und mich verbergen muß gleich einem Aussätzigen.«

Die Türkin sah ihn finster an.

»Undankbarer Christ,« sagte sie, »ist das der Lohn für das Herz Fatinitza's, der Du hundert Mal Gehorsam und Treue gelobtest, als Du aus zehn Wunden blutend im Kiosk am See ruhtest, wohin sie Dich mit eigener Gefahr gebracht, und Azraël, der Engel des Todes, an Deiner Seite stand? Deine Wunden habe ich verbunden und mit heilendem Balsam gesalbt, und bin täglich zu Deinem Lager auf flüchtigem Roß geeilt, oder auf dem Kahn mit schwellendem Segel, zu Dir, der Fatinitza verrathen hatte in der Stunde der Liebe, der schmachvoll das Heiligthum ihres Leibes den Augen des hündischen Czernagorzen preisgegeben, daß ich sie Alle rächend erschlagen mußte! Als ich den Genesenden dann zu mir führte im süßen Geheimniß, das der Tod der Sclaven erkaufte, die Dich so lange bedient, – als Du wohntest in meinen Gemächern und allnächtlich mein Arm Dich umschlang, und Dich preßte an dies heiße wilde Herz – hast Du mir nicht geschworen, daß Du die Freuden der sieben Himmel des Paradieses verschmähen würdest an meiner Brust? Undankbarer Christ, Deine Liebe ist flüchtig wie die Wolke, die über den See zieht und die Rose, deren Blätter der Wind zerstreut.«

»Ich liebe Dich, Fatinitza, bei dem Kreuz meiner Väter!« sagte in milderem Tone der Gefangene. »Aber ich bin ein Mann und diese Mummerei ist unerträglich.«

»Du weißt, o Licht meiner Seele,« flehte das Mädchen, »daß es das einzige Mittel war, Dich in meine Nähe zu bringen. Die weise Frau, die ich in das Haremlik meines Vaters führte, ist sicher vor jedem Argwohn, und ihr stilles Leben fordert den Lauscher nicht heraus. Die Diener und Krieger des Pascha's scheuen Deine Nähe, denn sie schreiben Dir Macht über die Geister zu und fürchten Dich, wie sie mich gefürchtet haben. Selbst ich jedoch vermöchte Dich nicht zu schützen vor dem Zorn Selim's, meines [29] Vaters, und der Blutrache seiner Arnauten, wenn sie ahnten, daß Du einer der verrätherischen Czernagorzen bist.«

»Aber dies Spiel muß ein Ende haben, ein Zufall kann Alles entdecken. Und warum, Fatinitza, hast Du mich hierher geführt in die Mauern von Janina? Ich habe die Fahne meines Volkes wehen sehen auf den Bergen jenseits der Stadt und kaum weiß ich noch, daß Dein Volk im Kriege mit dem meinen. Warum enthältst Du mir jede Kunde vor?«

Das wilde Mädchen saß schmeichelnd auf seinem Schooß, den Arm um ihn geschlungen, mit der andern Hand einen Becher des feurigen griechischen Weins an seine Lippen führend.

»Habe ich nicht geschworen, Dich nie zu verlassen, und ist nicht Deine Sicherheit allein in meiner Nähe? Was kümmert uns der Kampf zwischen Deinem und meinem Volk? – sieh', Fatinitza, die Wölfin, ist eine Taube geworden auf Dein Geheiß und zieht nicht mehr in die Schlacht, wenn auch noch die Toka ihre Brust bedeckt. O, liebtest Du mich heiß und glühend, wie Fatinitza Dich liebt, Du hättest längst den verhaßten Glauben der Christen mit der Lehre des wahren Propheten vertauscht und wenn Azraël seinen schwarzen Fittig breitet über das Haupt meines Vaters, wärest Du der Herr von Skadar und Fatinitza Deine Khanum.«

Er schwieg, dem liebeglühenden Weibe gegenüber hatte er nicht die Kraft, ihre Träume von Glück und Glanz zu vernichten. Der verzehrende Hauch dieser leidenschaftlichen Gluth betäubte sein bassres Selbst und entflammte stets auf's Neue die Gewalt seiner Sinne. Der dämonisch-glühende Blick ihres Anges unter dem Flor sehnsüchtigen Schmelzes übte noch immer seinen goheimnißvollen Zauber auf ihn und tief im Herzen fühlte er, daß nur ein unerwartetes Ereigniß ihn aus diesen Banden zu befreien vermöchte, wie einst die Hand des Blutbruders ihn vom Lager der Syrene zu Skadar gerissen.

Sie zog ihn nieder zu sich auf die weichen Kissen und Teppiche, und umstrickte ihn mit ihren Armen. Unter den glühenden Küssen des Türkenmädchens war sein Herz doch bei den Fahnen seiner Glaubensbrüder auf den Höhen vor Janina, von denen so lange ihm nur dunkle Kunde geworden. – – –

Die Liebenden weckte am späten Nachmittag der Eintritt der stummen Sclavin Aejischa, die, den Teppich des Eingangs hebend, durch Zeichen der Herrin verkündete, daß der Pascha, ihr Vater, [30] im Haremlik erschienen sei und sie zu sprechen verlange. In Eil wurde der junge Grieche wieder in Mantel und Schleier gehüllt und nahm seinen Sitz im Winkel des Divans, die Kugeln des Rosenkranzes durch seine Finger gleiten lassend, während Fatinitza die Spuren des schwelgerischen Mahles schnell verbarg.

Selim-Bey, der Pascha von Skadar, dem wir bereits in seiner Gerichtshalle begegnet sind, nahm nach der Begrüßung der Frauen in der Ecke des Divans Platz, und auf den Wink Fatinitza's brachten ihm die eintretenden Sklavinnen den Tschibuk und frischen Kaffee.

»Ich komme, Tochter meiner Liebe,« sagte der greise Pascha, »um Dir zwei Dinge zu sagen. Möge Dein Ohr und Dein Herz geöffnet sein, sie zu vernehmen.«

»Ich höre.«

Grivas erhob sich, um Vater und Tochter allein zu lassen; der Beh aber winkte ihm zu bleiben:

»Der Rath einer weisen Frau ist niemals von Uebel. Möge Deine Weisheit Einfluß haben auf das Herz Deiner Freundin. Ich bitte Dich, bleib.«

So aufgefordert mußte der Grieche gehorchen und nahm stillschweigend seinen Platz wieder ein.

»Du bist die Einzige, die mir geblieben von vielen Kindern,« sagte der Bey, »und meine Liebe hat mich verführt, Deinem Willen keine Schranken zu setzen. Inshallah – es war gottlos und ich bin ein gestrafter Vater dafür, der seinen Nacken beugen muß unter den Pantoffel seiner Tochter.«

»Du redest unklug, Vater,« entgegnete das Mädchen unwillig, »Fatinitza liebt Dich!«

»Ich weiß es,« sagte der Alte sich den Bart streichend, »was wäre ich sonst! Aber die Weiber können nicht immer im Haremlik des Vaters bleiben. Sie sind bestimmt zur Freude des Mannes. Du hast der Bewerber so viele ausgeschlagen, o Kind, daß meine Haare grau geworden vor Alter und Sorge.«

»Was kann ich thun?« antwortete die trotzige Tochter, »Fatinitza mag nicht die Hündin eines Mannes sein, den sie nicht liebt. Sie ist das Kind der freien Berge.«

»Bana Bak, ai gusum – er ist ein schöner Mann!«

»Wer – von welchem Manne redest Du, daß er es wagt, seine Augen zu mir zu erheben?«

[31] »Mashallah! es ist Zeit, daß Du einen Mann wählst, denn Du läufst seit Jahren umher, wie eine wilde Ghegin, den Geboten des Korans zum Trotz. Der Emir Abdallah ben Zarujah ist ein Fürst im Lande Hedja's, er hat Dich in sein Herz geschlossen und begehrt Dich zum Weibe.«

Die gehorsame Tochter spreizte verächtlich alle zehn Finger aus. –

»Kommst Du nur hierher, Bey, um Deinem Kinde in's Gesicht zu lachen? Bosch, er ist Nichts, er ist ein wilder Araber, ein verachteter Sohn Ismael's!«

»Du hast so viel bessere Heirathen verweigert,« sagte unwillig der Alte, »daß Du froh sein magst, wenn ein Tapferer Dich begehrt. Der junge Mann gefällt mir, wenn er auch ein Araber ist. Ich höre, er ist reich in seinem Lande und hat Schlösser im Lande Yemen. Du weißt, ich bin alt und das Leben in diesen rauhen Bergen gefällt mir nicht mehr. Ich will meine Fahrt nach Mekka machen, zur heiligen Kaba, bevor ich sterbe, und ich werde Dich begleiten, wenn der Sultan, unser Herr, diese Ungläubigen in den Staub getreten und den Krieg beendet hat.«

»Hai! hai! ich aber will dies Land nicht verlassen.«

»Der Emir ist tapfer – ich habe Freunde in Stambul und bin reich,« schmeichelte der Bey; »wenn Du ihm nicht folgen willst, und es sei fern von mir, Dich zu zwingen, so wird es mir mit Allah's Hilfe leicht sein, ihn zu meinem Kaimakan 19 und Nachfolger im Paschalik von Skadar oder Janina machen zu lassen, da Abdi, mein Freund, nach Rumelien geht, wenn die aufrührerischen Griechen gezüchtigt sind.«

»Wallah – was sind das für Träume? Bin ich eine Kuh, die man verhandelt auf den ersten Blick? Meint der Emir, die Frauen von Albanien seien wie die Mohrinnen der Wüste, die man auf dem ersten besten Markte kauft; oder denkt er, ich sei eine öffentliche Tänzerin, weil ich mein Gesicht nicht unter dickem Schleier zeige?«

»Delhi der! die Weiber sind toll! es ist Unsinn, was Du sprichst, – ich will meinen Willen haben oder ich sperre Dich ein.«

Die wilde Schöne lachte hell auf bei der Drohung, deren Werth sie vollkommen durch die Gewohnheit kannte.

[32] »War meine Mutter eine Mirditin oder nicht? stamme ich vom Blute des großen Begs von Ak-Serai 20 – oder bin ich eine verachtete Japidin, daß Du so mit mir sprichst? Geh – Du hast graue Haare und redest Thorheit. Fatinitza wird sich eher von den schwarzen Felsen in die Wellen des Meeres stürzen oder zu dem Volk ihrer Mutter zurückgehen und eine Kreuzträgerin werden, ehe sie einen Mann heirathet, den sie nicht selbst gewählt hat.«

Der gläubige Moslem strich sich zornig den Bart über die jeder andern Frau den sichern Tod bringende Drohung, aber er wagte, so tapfer und streng er im Felde oder unter seinen Tschokodars und Arnauten war, Nichts zu erwidern, und ließ diesen, Punkt des Gesprächs fallen.

»Wir werden diese Nacht gegen die Feinde ziehen,« sagte der Pascha, »und sie schlagen. Abdi wendet sich gegen Rapsista und das Kloster, wo der Grieche Caraiskakis steht. Mir und dem Emir hat der Prophet einen wichtigen Fang in die Hand gegeben. Ein griechischer Imam und der Primat eines Dorfes haben uns Kunde gebracht, wo der Aga der Griechen mit wenigen seiner Gefährten die Nacht zubringen wird. Die Feinde des Islam sind unter unsern Sohlen.«

»Wie heißt der Aga der Christen?«

»Ich habe es vergessen; aber er ist der blutige Feind der Moslems – Fluch über die Gräber seiner Väter; ich werde sein Haupt nach Stambul senden, wie ich mit dem Kopf des einäugigen Begs der Czernagorzen gethan, und die Roßschweife sind mir sicher. Wirst Du mich begleiten, Tochter des Propheten, um die Niederlage der Feinde unsers Glaubens zu schauen?«

Eine heftige Bewegung der Verhüllten auf dem Divan machte Fatinitza erbeben.

»Die heilige Frau, die die Stimme der Engel Allahs hört,« sagte sie eilig, »hat mich belehrt, daß die Weiber dem Kampfe der Männer fern bleiben sollen. Ich werde für Euern Sieg beten.«

»Gesegnet sei der Rath dieses Weibes,« rief erfreut der Pascha, »sie redet weise wie Lokman, obschon sie nie zu uns Männern spricht. Die Frau gehört in das Haus und der Mann [33] in die Schlacht; Dein wilder Sinn, o Kind, nach dem Treiben der Männer hat mir oft bittern Gram und mich zittern gemacht für Dich. Nimm diesen Ring zum Dank für Deine Lehre, Frau, und mögen die Perlen Deiner Worte noch, lange fallen in das Ohr dieses Kindes.«

Der alte Krieger warf der Fremden ein Juwel zu, das sie achtlos zur Erde rollen ließ, küßte das Mädchen auf die Stirn und verließ das Gemach.

Kaum war der Vorhang hinter ihm gefallen und sein Schritt verhallt, so riß der Grieche den Schleier vom Haupt und sprang auf die Geliebte zu.

»Laß uns dabei sein, Fatinitza, ich kann hier nicht still verweilen, indeß die Söhne meines Landes geopfert werden.«

»Unmöglich – was kümmern mich die Kinder Deines Landes? – sie sind Christen, Fluch über sie! Du allein sollst leben für Fatinitza.«

»Höre mich, Weib; – unter jenen Kriegern sind meine Blutsverwandten, vielleicht gelingt es uns, sie zu retten und – bei der Göttin der Liebe, der meine Vorfahren Altäre bauten – ich will Dir ewig dafür danken!«

»Die Verwandten Deines Blutes? Betrügt Fatinitza, nicht den eigenen Vater um Deinetwillen? setzt sie sich nicht täglich hundert Male dem Tode aus bei der Entdeckung, daß ein Christ, ein Feind, ihr Haremlik entweiht hat und ihr Lager theilt?«

»Ich weiß es, ich fühle es und dennoch beschwöre ich Dich! Die Ungewißheit würde mich todten, ich verlange Nichts als die Deinen zu begleiten, vielleicht findet sich eine Gelegenheit, wo Deine Hilfe, Deine Fürsprache meinen Freunden nützen kann.«

Die seinem Volke – selbst den edleren Charakteren – eigenthümliche Verstecktheit und Hinterlist ließ ihn fast unbewußt die Worte wägen, – sein Herz sann bereits auf mehr.

Das Türkenmädchen schaute ihn fest und prüfend an.

»Ich will Dein Verlangen erfüllen,« sagte sie endlich, »aber bei der lodernden Gluth, die für Dich durch meine Adern strömt, täusche mich nicht zum zweiten Male, denn Fatinitza's Liebe würde zum blutigen Haß werden. Ich will mit Dir gehen zur Kampfstätte, doch nur unter der Bedingung, daß wir Beide dem Kampfe fern bleiben. Möge die Schlacht walten und ihre Opfer nehmen, Allah entscheide! Fallen die Freunde Deines Blutes lebendig in [34] die Hände der Meinen, wird Fatinitza sie schützen. Ich gehe zu meinem Vater!«

Sie hüllte sich in den leichten Schleier und verließ das Gemach. Kaum hatte sie sich entfernt, so ergriff der Grieche den seinen und sein Haupt darin verbergend, folgte er ihr. Die Angst, die unbestimmte Hoffnung, irgend etwas für die gefährdeten Kämpfer des Kreuzes thun zu können, litt ihn nicht in dem engen Gemach und trieb ihn hinaus auf die Terrasse, von der im Strahl der sinkenden Sonne der Blick über die Stadt und die umliegenden Höhen schweifte.

An der Mauer des mit Blumen geschmückten Vorsprungs lehnte der neue Oglan der Paschatochter, der Knabe, den ihr Hund am Vormittag zu Boden geworfen und der mit diesem jetzt kameradschaftlich spielte. Der Befehl Fatinitza's hatte ihn bereits mit einem neuen Gewande versehen.

Der Grieche trat, ohne darauf zu achten, daß der Knabe ihn aufmerksam betrachtete, hastig zu der Balustrade und schaute hinüber zu den Bergen, auf denen die Schaar seiner Freunde lagerte.

»Möge die Panagia sie retten, ich vermag es nicht!« sagte er unwillkürlich in griechischer Sprache vor sich hin.

Einen Augenblick darauf trafen Laute in derselben Sprache sein Ohr. Es war ein leiser Gesang, den der Knabe ohne jetzt aufzublicken vor sich hin summte, dennoch war jedes Wort verständlich und Grivas hörte mit Staunen seinen eigenen Namen darin. Es war eine wilde Erzählung seines Kampfes in Montenegro, so weit Bogdan sie hatte geben können, in Form einer Piesme.

»Wer bist Du, Knabe,« fragte der junge Mann hastig, »bist Du von griechischen Eltern oder aus den Bergen Czernagora's?«

Der Knabe schaute ihn schlau an.

»Man fragt Keinen, ohne selbst Antwort zu geben, sagt das Sprüchwort. Gefällt Dir mein Lied?«

»Sprich, wer lehrte es Dich?«

»Ich hörte die Erzählung von Bogdan, einem Knaben der Hochlande, der bereits ein Krieger ist. Man nennt Dich die weise Frau, – kannst Du mir bessere Kunde geben von dem Tode dessen, von dem ich sang? ich höre gern Geschichten.«

»Knabe,« sagte hastig und tief bewegt der Grieche, »Du verstellst Dich und bist ein Anderer, als Du scheinen willst. Bei den [35] Gräbern Deiner Väter, bei dem Kreuz, wenn Du ein Christ bist, – rede die Wahrheit. Was suchst Du im Lager der Türken?«

Mauro blickte hastig um sich, – sie waren allein auf der Terrasse.

»Nicolas Grivas, den Bruder des Gregor Caraiskakis und den Neffen des tapfern Generals der Krieger des Kreuzes.«

Die leidenschaftliche Erregung erstickte fast das Wort in der Brust des Griechen.

»Ist mein Bruder Gregor im Lager der Griechen? Knabe, rasch, ich selbst bin Nicolas Grivas!«

»Dann hat meine Ahnung mich nicht getäuscht,« sagte der Bursche, »die die Heiligen mir zugeflüstert bei den seltsamen Erzählungen der Arnauten von der mirditischen Zauberin, die seit der Tödtung ihres Wolfes die unzertrennliche Gefährtin der Herrin von Skadar geworden. Sie meinen, der böse Dämon habe nur seine Gestalt gewechselt.«

»Rasch, rasch, was kümmert mich das Geschwätz der Thoren. Sage mir schnell Deine Botschaft.«

»Bogdan, der Czernagorze, ist gestern in's Lager gekommen und hat von Deinem seltsamen Verschwinden erzählt. Das weckte die Hoffnung Deines Bruders, Herr, daß Du in Skadar gefangen gehalten würdest und ich ward auf Kundschaft ausgesandt.«

»Ist Gregor – dessen Namen Du nanntest – im Lager der Griechen?«

»Mein Herr ist in Varna – ich bin ein smyrniotischer Knabe und als Bote von ihm zu den Hellenen gesandt. Auf jenem Berge dort, in dem Kloster der armen Heiligen, weilt Anastasius Caraiskakis, Dein zweiter Bruder, der mir den Auftrag gab.«

»Ich weiß es; hast Du von meinem Oheim Grivas gehört?«

»Er zog gestern mit wenigen Leuten nach Dervendzista. Dein Bruder begleitete ihn und sollte heute zurückkehren.«

»Allmächtiger Gott, dann ist Grivas, die Hoffnung des Kreuzes der Mann, den der verrätherische Papa in die Hände der Türken liefern will. Wie viel Krieger stehen bei meinem Bruder?«

»Dreihundert. Die Hauptmacht des Generals lagert an der Arta gegen Fuad-Pascha, der mit 9000 Mann in Prevesa steht. General Tzavellas liegt in Suli, aber es ist Feindschaft zwischen ihm und Deinem Oheim!«

[36] »Fluch über diese Uneinigkeit, sie wird Alles verderben. Jetzt begreife ich den Plan der Türken, sie wollen sich zwischen die Abtheilungen drängen und sie einzeln vernichten. Wer befiehlt im Lager an der Arta in Stelle meines Oheims?«

»Der Oberst Stratos.«

»Mein Bruder muß benachrichtigt, Grivas muß gerettet werden. Ein Engel hat mir es eingegeben, auf meiner Theilnahme am Zuge zu bestehen. Knabe, ist es Dir möglich, die Stadt zu verlassen?«

»Ich hoffe es.«

»Es gilt die Rettung Deiner Glaubensbrüder. Suche das Kloster zu erreichen und sage meinem Bruder, im Dunkel der Nacht rücken Abdi-Pascha und der Pascha von Skadar aus, der Erste auf Rapsista zu, der Andere, ihnen den Weg in's Gebirge zu sperren und Grivas zu vernichten, der sich unvorsichtig vorgewagt hat. Wenn es eine Möglichkeit ist, soll er den General retten und Stratos benachrichtigen von der Gefahr. Lebe wohl, Knabe, und die Panagia schütze Dich!«

Er hüllte sich in den Yaschmak und eilte über die Terrasse zurück, auf der Aejischa, die Mohrin, ihn bereits zu suchen, erschien. – –

Die Pascha's warteten das Dunkel ab, um mit ihren Truppen die Festung zu verlassen. Sie bestanden aus 2500 Mann Nizam und Arnauten, 150 arabischen Reitern und 4 Kanonen. Ein Bote war bereits am Nachmittag nach der Küste abgegangen, um Fuad-Effendi von dem beabsichtigten Ausfall in Kenntniß zu setzen und sein Vordringen zwischen die Stellung der beiden griechischen Generale anzurathen. Abdi-Pascha mit dem Nizam und zwei Geschützen wandte sich gegen die Arta und die Stellung des Hauptcorps, Selim-Bey mit den Reitern und zwei Kanonen in das Thal zwischen dem Kloster und dem Fuß des Mitzikeli, so den Posten bei dem erstern zwischen zwei Feuer bringend und den verwegenen Führer der Griechen gänzlich von den Seinen abschneidend.

Dem Unwillen ihres Vaters trotzend und unter dem Vorwand, daß sie sich nicht von ihm trennen wolle, begleitete die Amazone von Skadar den Zug, an ihrer Seite die Verhüllte, vor der die von Aberglauben erfüllten Krieger scheu zur Seite wichen. Der verrätherische Primat machte den Führer und ritt an der Spitze der Abtheilung, von Abdallah, dem arabischen Emir, bewacht. [37] So gelangte der aus etwa 600 Kriegern bestehende Zug im Schatten der Nacht bis auf die Entfernung von etwa 2000 Schritt in die Nähe seines Ziels und machte hier, von einer Schlucht gedeckt, Halt. Nach dem Rath des Verräthers sollte der Ueberfall in der Morgendämmerung erfolgen.


Wo die Quellen der Arta zwischen dem Tzumeria-Gebirge, dem Mitzikeli und den Höhen des Pindus entspringen, in einer der an Romantik und Lieblichkeit reichsten Gegenden der Welt, erhebt sich auf einem kühn vorspringenden, von drei Seiten fast unzugänglichen Felsen die Palanka oder die Kula von Protopapas. Auch der Abhang der vierten Seite ist durch Erdspalten zerklüftet, so daß nur ein schmaler Weg für Fußgänger und Reiter offen bleibt, an dessen Seite jäh der Felsenabhang hinabfällt. Citronenbäume und der hohe Oleander zieren die Höhen, wilder Wein rankt an den Stämmen empor und Büsche von Rosen, von denen das unsern gelegene Rhodostopos seinen Namen hat, füllen die Lüfte schon im Frühling mit Wohlgeruch, während die Hänge und Gründe vom dunklen Grün der Olive gefüllt sind.

Dies war die Stelle, wo Grivas mit seinen sieben Mainoten den russischen Agenten von Metzowo erwartete.

Der Ort war noch unter Ali-Pascha eine kleine Feste mit geringer Besatzung, seitdem aber gänzlich verlassen und nur von den Kolbaus, den Hirten des Gebirges, benutzt. Ein eingesunkener Wall umgab im engen Kreis einen viereckigen starken Thurm, von massiven Quadern zwei Stockwerke hoch aufgeführt, dessen Mauern und Zinnen Zeit und Verödung nur wenig zu schaden vermocht hatten. Durch ganz Epirus und an der Küste entlang, selbst in den acroceraunischen Gebirgen finden sich noch, zum Theil öd und verlassen, zum Theil als abgeschlossene Posten der Khawassen dienend, viele solche feste Thürme, gleich den Trümmern, der alten Feudalburgen in Mitteleuropa. –

Die türkenfreundliche Presse hat Zeter und Wehe geschrieen über die Plünderung, die der Führer der aufgestandenen Epiroten an dem Hause des Primaten von Dervendzista begangen, nachdem er die Nacht dort zugebracht und sich alle Mühe gegeben, die gleich darauf folgende an Thermopilä und die heldenmüthigsten Thaten [38] des Alterthums erinnernde Vertheidigung der Kula zu verdächtigen und in den Staub zu ziehen. Der Schriftsteller jedoch, der die Geschichte jener Tage in den bunten Kaleidoscopen des Romans schildert, kümmert sich nicht um den Streit und Neid der Parteiungen, sondern malt mit kühner Feder die Thaten und Menschen, wie sie sind.

Die Namen der sieben Gefährten des General Grivas im Thurm von Protopapas sind dem Andenken erhalten: Hassan Stavro, Demetrios, Andunah Vati, Constantin Comodouro, Panayotti Zanetacchi, Andreas Zanet und Georg Mauromichalis, der Namensvetter und Neffe des Klephten, der 1831 den Präsidenten Capodistrias erschoß, – alle Sieben Söhne der Maina – Wölfe des Taygetos.

Nicht mit Unrecht führen die Bewohner von Bassa-Maina, des alten Gebiets von Sparta, den letztern Namen. Rauh und hart wie das Felsgestein des Taygetos, scheint ihr Sinn allen milderen Freuden des Lebens unzugänglich. Das Land, dessen Schoos keine Quelle entrinnt, zeugt Kinder, die an Wildheit, aber auch an Kühnheit und Tapferkeit alle Stämme der Erde übertreffen. Raub und Mord ist ihr Gewerbe, der Haß und die Blutrache erben unter den Geschlechtern grimmiger, unversöhnlicher, als selbst auf den schwarzen Felsen Czernagora's und den Bergen Corsika's, und wenn ein Mann eines natürlichen Todes stirbt, so beklagen sie ihn, weil er nicht erschlagen wurde und daher keiner Rache bedarf.

Räuber zur See und zu Land, unbezwungen und ungebändigt, im wilden Kampf unter einander, seit sie nicht täglich mehr mit ihren Feinden, den Türken, kämpfen können, war noch in den vierziger Jahren, und ist es zum Theil noch, jedes Haus der Maina eine Feste und jeder Zugang durch eine Schießscharte beherrscht, die man so genau bewacht, daß Nachts nicht einmal Licht gebrannt wird, um dem Feinde nicht die an den Oeffnungen vorbeigehenden Gestalten als Ziel zu verrathen. Das ganze Gebiet ist ein Land von Thürmen; die meist auf felsigen Anhöhen stehen, so daß sie den benachbarten District überblicken können. Die unteren Stockwerke werden als Ställe benutzt, während nach den oberen Gemächern eine so niedrige Thür führt, daß man nur gebückt eintreten kann.

Nur die Weiber gehen zum Arbeiten aus, die Greise und [39] Knaben bleiben zu Hause auf der Wache und es giebt Fälle, daß Männer in zwanzig Jahren nicht die Schwelle ihres Thurmes überschritten haben, um nicht der Blutrache zu verfallen. Die baierschen Truppen, welche im Jahre 1834 auf Befehl der Regierung in Athen diese Festen zerstören sollten, wurden von den Mainoten zurückgeschlagen und alle Anstrengungen der Regierung scheiterten an dem Trotz der wilden Klephten, – ihre Thürme blieben unzerstört.

Erst in der letztern Hälfte der vierziger Jahre hat die Civilisation einigermaßen Wurzel in dem wilden Lande geschlagen. Viele unserer Leser werden uns bei dieser Schilderung der Uebertreibung beschuldigen, aber wir können nicht oft genug wiederholen – wir geben Thatsachen im Gewand des Romans. Noch im Juni 1843 schreibt ein griechischer Correspondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung: »Die Blutrache wird so weit ausgedehnt, daß sie von einem sterbenden Vater testamentarisch den Kindern vermacht wird. Die Erben überblicken mit eben solcher Begier die Anzahl der aufgezählten Morde, welche zu rächen sind, wie das übrige Eigenthum, und haben sie durch Blutvergießen die Anweisungen des Testaments vollkommen erfüllt, so begießen sie das Grab des Vaters mit Wasser, zum Zeichen, daß jetzt seine Leidenschaft abgekühlt sein könne.«

Die wilden Söhne des Taygetos gehorchten dem Sohne des Pindus. Grivas, der mit den Mainoten 1827 die Akropolis von Corinth erstürmt, konnte sicher bauen auf die Treue und den Muth dieser Krieger.

In ihre Aba's gehüllt, lagen die Tapfern um das verglimmende Feuer im Innern der Kula; denn die Nächte des Orients sind oft kalt und schneidend, während am Mittag heiß der Sonnenstrahl brennt.

Comodouro und Demetrios hatten die Wache auf dem Thurm und dem Wall, bis die Sonne sich erhoben über die schneeigen Gipfel des Pindus und Dodona's heilige Eichenhaine.

Aus den Schluchten und Thälern ballten in formlosen Massen die Morgennebel empor, gleich als ahnten und fürchteten sie den nahenden Strahl der Sonne. Auf den Wolken über dem See von Janina malten sich die purpurnen und violetten Strahlen des noch hinter den Bergen verborgenen Tagesgestirns.

Da dröhnte es von Westen her in langsam auf einander folgenden Schlägen – ferne Kanonenschüsse.

[40] Die Hand der Wache legte sich auf die Schulter des Führers – im Augenblick war der General empor und gleich darauf auf der Plattform des Thurmes, um ihn sammelten sich die Mainoten. – Es war die höchste Zeit – ein seltsames abenteuerliches Schauspiel entwickelte sich phantastisch aus den ballenden Nebeln am Fuße der Höhe, auf welcher der Thurm steht: – gleich Gespenstern, die der Hahnenruf des Morgens von ihren nächtlichen Wegen auf und davon jagt, stürmten durch die Schatten des Thales drei Reiter – voran auf windschnellem arabischen Roß eine Frauengestalt in fliegenden grünen Gewändern – hinter ihr d'rein ein alter Moslem, den Säbel in der Faust, offenbar bemüht, der Fliehenden den Weg abzugewinnen und zuerst am Eingang des schmalen Felsensteiges anzukommen, der den Weg zum Plateau der Palanka bildete; – den Beiden in der Entfernung von 60 bis 100 Schritt folgend, eine zweite türkische Frau in prächtigen Gewändern, den goldglänzenden Panzer des Tosken um Brust und Schultern, den hohen Reiherbusch über dem Turban. Und hinter ihnen d'rein in der Ferne, aus dem Nebel und Dunkel, hoben sich im Morgengrauen Lanzenspitzen, blitzten Bajonnette und wogte es heran in dunklen Massen.

»Zu den Waffen, Kameraden, die Moslems sind vor der Palanka!« und zu dem Eingang des Walls stürzten Grivas und seine Maini's.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Halt, den die Türken gemacht, war, wie gesagt, kaum eine Viertelstunde Weges von der kleinen Feste entfernt, und der Bey sandte von hier aus seine Späher, die bald mit der Nachricht zurückkehrten, daß die Griechen zwar Wachen ausgestellt hätten, sonst aber keine Ahnung von der Gefahr und der Nähe des Feindes zu haben schienen.

Es wurde nun beschlossen, daß die Kula durch Tirailleurs überrascht werden sollte, die sich im Schatten der Klüftungen auf das Plateau schleichen und plötzlich auf das Zeichen eines Schusses eindringen sollten, während die Hauptmacht ihnen langsam folgte. Der Emir Abdallah mit seinen Arabern erbot sich, den Versuch zu wachen. Er stieg von seiner Stute, deren Zügel er um den Schaft seiner in den Boden geschlungenen Lanze schlang, und seinem Beispiel folgten sofort alle seine Leute. Dann untersuchte der Emir sein langes Luntengewehr, ertheilte den Arabern einige Befehle und [41] verschwand mit ihnen nach verschiedenen Seiten in den Nebeln, in denen ihre weißen und grauen Gewänder verschwammen.

Der Bey mit Fatinitza und dem verkleideten Griechen waren jetzt die einzigen Reiter, die in der Nähe hielten, und er hieß sie ihnen folgen, um von einem näher liegenden Hügel den Erfolg des Ueberfalls zu beobachten und dort während des Gefechts, außerhalb jeder Gefahr, zu verweilen. Im Gespräch mit ihrem Vater bemerkte das Türkenmädchen Anfangs nicht, daß ihre Begleiterin zögerte, zu folgen, und einige Augenblicke zurückblieb, bis der Vorsprung des Felshügels sie verdeckte.

Plötzlich verkündete ein Schrei der Ueberraschung ein ungewöhnliches Ereigniß. – –

In der Brust des jungen Griechen hatte ein wilder Sturm getobt – Qual und Angst um die Blutfreunde, und Liebe und Dankbarkeit zu dem wilden Türkenmädchen. Dennoch war er von Anfang an entschlossen gewesen, jede sich bietende günstige Gelegenheit zu ergreifen, um seinen Oheim und dessen Gefährten zu retten. Der drängende Augenblick war jetzt gekommen, denn er fühlte, daß, wenn die ahnungslosen Griechen nicht gewarnt würden, der Ueberfall der Araber gelingen müsse.

Er wußte aus den Erzählungen des Emirs an Fatinitza, daß das Roß desselben eine Stute aus jenem berühmten Geschlecht der Nedjhi war, einer durch ganz Arabien wegen seiner Schnelligkeit und Muskelkraft berühmten Race, und als daher der Emir den Sattel verlassen und die Pferde fast unbewacht zurückgelassen wurden, war sein Entschluß rasch gefaßt. Er drängte, zurückbleibend, sein Maulthier an die Seite der Stute und den Augenblick entschlossen ergreifend, wechselte er den Steigbügel und sprang in den Sattel des arabischen Pferdes, zugleich die Lanze aus dem Boden reißend und die scharfen, statt der Sporen dienenden Spitzen der Bügel in seine Flanken pressend.

Wie ein Pfeil schoß die Stute vorwärts, und im nächsten Augenblick an Fatinitza, dem Pascha und den ihnen zum Hügel gefolgten Kriegern vorüber.

Im ersten Moment fesselte Ueberraschung und Verwirrung jede Lippe, da außer Fatinitza Keiner die Bedeutung der seltsamen Handlung sich zu enträthseln vermochte, bis der Ruf derselben: »Verrätherischer Christ! Allah verderbe Dich!« und ihr wüthendes Anspornen des Rosses hinter dem Fliehenden d'rein plötzlich [42] das Staunen mit einem anderen löste. Ein unterdrückter Wuthschrei brach von den Lippen Aller und dann folgte der ganze Haufe der wilden Jagd.

Diese ging mit Windesschnelle durch den Thalgrund, auf dessen anderer Seite das Felsenplateau der Palanka sich erhob. Da der Pascha und seine Tochter die einzigen Berittenen in der Gruppe gewesen, unternahmen diese auch allein mit einiger Aussicht die verzweifelte Verfolgung. Das Pferd des Pascha's war ein Thier von edlem Berber Blut, das nur wenig dem schnellen Roß des Flüchtlings nachstand, und der greise Moslem, sobald er sein erstes Erstaunen überwunden, sprengte wüthend hinter dem Griechen d'rein, denn der Ruf seines einzigen Kindes hatte ihm im Augenblick gezeigt, wie grausam er betrogen worden.

Die ganze Hoffnung des jungen Mannes lag darin, daß er zuerst den Felskamm erreichte, welcher den einzigen Weg zum Plateau der Palanka bildete, und die Augen auf die Feste geheftet, jagte er durch das Thal. Doch hatte er, um der Gruppe am Hügel zu entgehen, schon beim Fortstürmen die gerade Richtung verlassen müssen, und wurde auch auf dem weiten Ritt wenn auch nur Augenblicke lang aufgehalten. Zwei Mal trat ihm aus dem Nebel die weiße Gestalt eines arabischen Kriegers entgegen und versuchte, sich ihm in den Weg zu werfen. Aber die Lanze des Emirs warf den Einen, der Sprung des Pferdes den Andern zu Boden, und Keiner wagte es, auf das wohlbekaunte Roß seines Häuptlings zu feuern.

So gelang es dem Griechen, fast gleichzeitig mit dem Bey, den Aufgang des Felsenkammes zu erreichen, und ein Sprung des prächtigen Pferdes brachte ihn voran auf denselben. Er hatte den Schleier von seinem Haupte gerissen und schwang ihn durch die Luft. –

»Zum Kampf, Oheim Grivas, zum Kampf! die Moslems sind Euch nahe!«

»Verfluchter Ghrist! Schänder meines Harems! stirb!«

Eine rasende Anstrengung seines Pferdes hatte auf einer breitern Stelle den greifen Bey an die Seite des Griechen gebracht, und er lehnte sich zurück auf den Sattel, den Hieb von hinten zu führen, denn er befand sich zu seinem Unglück auf der rechten Seite des Flüchtlings. Ein Blick zeigte diesem die Gefahr und daß nur das Verderben des Einen den Andern zu retten vermöge. Der [43] Trieb der Selbsterhaltung war rascher als alle Ueberlegung, und mit aller Kraft seiner Hand und seiner Schenkel sein Pferd parirend, drängte er es nach dem Gegner, indem er den rechten Arm nach ihm ausstreckte, den Hieb aufzufangen.

Ein wilder Schrei klang an seine Ohren – die Stimme der Geliebten: »Schone meinen Vater!« – aber im selben Augenblicke schon stieß sein Knie an den hohen Sattel des Gegners, seine Hand faßte den erhobenen Arm – ein Stoß – und über die Seite der Felsenkante stürzten Roß und Reiter!

Im nächsten Moment flog das Araberpferd weiter und dem offenen Eingang des Walles zu, auf dem jetzt, die Flinten schußgerecht in der Hand, die sieben Mainoten lagen. Hinter ihm d'rein gellte in seine Ohren der schneidende Zeterruf des Türkenmädchens, das Klagegeschrei der herbeieilenden Arnauten, und vor ihm am Eingang des Walles lag eine breite Kluft, über die eine einzige Bohle führte, welche die Mainoten liegen gelassen und in der unerwartet andrängenden Gefahr noch keine Zeit gehabt, hinwegzuräumen. Aber sie war zu schmal, selbst im Schritt ein Pferd zu tragen; noch ein Mal preßte er die spitzen Bügel dem seinen in die Flanken, und mit langem Sprunge gewann es den jenseitigen Rand und stand zitternd und schaumbedeckt zwischen den wilden Gestalten der Griechen.

Nicolas Grivas sprang herab, sprachlos – Entsetzen auf dem bleichen Antlitz – deutete er hin nach dem gefährlichen Wege, den er so eben zurückgelegt hatte. – –

Dort jagte die Wölfin von Skadar heran, – der Schleier fliegend im Zug der Luft, gluthroth das Antlitz, rachesprühend das dunkle Auge – in der erhobenen Hand die Pistole. –

Kaum sah sie den Abhang, der sie von dem Verräther trennte, noch weniger ihn achtend in der wilden Leidenschaft, die jede ihrer Fibern spannte, – der Schuß knallte, indem das Pferd sich zum Sprunge erhob, aber seine Kraft war diesem nicht gewachsen und die Hand der Reiterin hatte es nicht unterstützt, es erreichte kaum den jenseitigen Rand und brach zusammen über der Planke, welche über die wenn auch nicht tiefe doch gefährliche Felsspalte führte. Einen Augenblick hingen Pferd und Reiterin über dem Abgrund und dieser Augenblick genügte dem ältern Grivas, um vorzuspringen. Seine kräftige Faust erfaßte das Türkenmädchen und riß es [44] empor, und ein Fußtritt schleuderte die schwankende Brücke und das Roß auf ihr in die Tiefe.

Die Flinten der Mainoten krachten zu beiden Seiten und das »Allah Akhbar 21!« der Araber erschütterte die Luft. Abdallah an der Spitze, versuchten die wil den Asiaten, das Plateau, an den Felsen und Steinen emporkletternd, zu erstürmen, – aber die Kugeln der sechs wachsamen Spartaner warfen die kleine Zahl, die emporzuklimmen vermochte, todt oder verwundet von dem Felsrand zurück – kein Schuß fehlte bei dem leichten Ziel, und der Ruf des kühnen griechischen Führers belebte den Widerstand. Seine weitreichende Büchse schlug zugleich auf dem Felskamm in die Schaar der dort Anstürmenden und trieb sie zurück.

Die Sonnenstrahlen brachen glänzend über die Berge, und die Palanka vergoldend, zeigten sie sicher den Schützen ihr Ziel.

Nach ihrer gewöhnlichen Kampfweise, ähnlich der der nordamerikanischen Wilden, ließen die Asiaten nach dem ersten Sturm vom Angriff ab, sobald sie sich überzeugt, daß die Ueberraschung mißlungen und der Gegner zum Empfange bereit war.

Die Araber und die unterdeß herbeigekommenen Arnauten zogen sich unter wildem Geschrei aus der Schußweite der Kugeln zurück. Von der Höhe des Walls sah der General noch, wie sie den Körper ihres greifen Führers aus der Schlucht, wo hinein ihn und das Roß der Arm seines Neffen gestürzt, davon trugen, doch vermochte sein Falkenblick nicht zu erkennen, ob der Verunglückte noch am Leben.

Der General wußte, daß er vorerst Ruhe und Zeit haben werde, die Anstalten zur weiteren Vertheidigung zu treffen, und jetzt erst wandte sein Blick sich wieder auf seinen Neffen und seine schöne Gefangene.

Wir haben gesagt, daß sechs Flinten der Mainoten dem Angriffsgeschrei der Araber geantwortet hatten; – Andunah Vati, der Siebente, lag, die Hand auf die rechte Seite gepreßt, an der Mauer der Kula und durch seine Finger quoll in dicken Tropfen das rothe Blut, während sein Auge finster und drohend auf das Türkenmädchen geheftet blieb. Die Kugel ihrer Pistole hatte bei dem Sprunge das Ziel ihrer Rache, den meineidigen Geliebten, gesehlt und den Mainoten niedergeworfen. Der schreckliche Vorgang [45] und der Angriff der Araber waren aber so rasch auf einander gefolgt, daß keiner der Vertheidiger Zeit gehabt, auf den Verwundeten zu merken oder sich um ihn zu kümmern.

In einiger Entfernung von ihm, auf einer der Quadern, saß Fatinitza; der Turban war ihr vom Haupte gefallen und das dunkle glühende Auge starrte finster und gleichgültig durch die Oeffnung des Walles auf die ferne Schaar der Ihren. Sie schien den treulosen Freund nicht zu bemerken, der, nur wenige Schritte von ihr entfernt, an dem Roß des Arabers lehnte. Ein einziges Mal während des kurzen Kampfes hatte er gewagt, ihr näher zu treten, aber ein wilder stolzer Blick des Mädchens scheuchte ihn zurück, und stumm, mit niedergeschlagenen Augen blieb er in seiner Stellung. So traf die stumme lautlose Gruppe der General, der mit mehreren seiner Gefährten jetzt in das Innere der Umwallung sprang, während andere derselben die Wache auf dem Wall behielten.

»Andunah ist verwundet, seht nach ihm,« befahl der Führer, »und jetzt, Neffe, nachdem die erste Blutarbeit gethan, sei willkommen trotz Deines seltsamen Aufzugs. Wer ist dies Weib?«

»Fatinitza, die Tochter des Pascha's von Skadar, meine Lebensretterin. Laßt sie zum Dank dafür, daß es mir gelang, Euch noch im letzten Augenblick zu retten und auf die Nähe der Feinde aufmerksam zu machen, unbeleidigt zu den Ihren zurückkehren.«

»Sie ist die Mörderin meines Vetters Andunah,« sagte bei der Bitte wild der Mani Comodouro. »Ihre Kugel traf, ihn – sie muß sterben!« Er hob die Pistole gegen die Unglückliche.

Der General jedoch stellte sich vor sie. – »Zurück, Mann! Andunah Vari wurde im ehrlichen Kampf erschossen und die Türkin ist meine Gefangene. Wer es wagt, die Waffe gegen sie zu erheben, hat es mit mir zu thun. Du aber, Neffe, irrst, wenn Du glaubst, ihre Freiheit dafür in Anspruch nehmen zu können, daß Dein Ruf uns gerettet. Der Donner jener Kanonen über das Gebirge her, den Du hörst und der uns die Schlacht unserer Brüder verkündet, hatte uns bereits in die Waffen, gerufen. Dieses Mädchen, deren Namen und blutigen Ruf wir Alle kennen, hat die Jungfrau vielleicht zu unserer Rettung in unsere Hand gegeben. Bindet ihre Hände und nehmt ihr ab, was sie an Waffen noch bei sich trägt.«

»Oheim!« flehte der junge Grieche.

[46] Der General schüttelte finster das Haupt. – »Sie ist die Gefangene meiner Hand und es muß sein! Deine Rettung ist vergolten durch die ihre von jenem Sturz.«

Zwei der Mainoten fesselten mit einem Riemen die Arme der Türkin und nahmen ihr den Dolch, der in ihrem Gürtel steckte. Ohne Widerstand ließ es das Mädchen geschehen, nur ein stolzer verächtlicher Blick fiel auf den jungen Grivas, der sein Gesicht in die Hände verbarg.

»Bringt sie in den hintern Raum der Kula und fesselt ihr dort noch die Füße, damit sie keinen Versuch der Flucht machen kann,« befahl der Führer. »Euer Leben bürgt mir für das ihre. Legt Andunah gleichfalls dahin und leistet ihm Hilfe, so gut es sich thun läßt. – Wie hoch schätzest Du die Zahl unserer Feinde, Neffe?« wandte er sich an diesen, während die Maini's 22 seinem Befehl Folge leisteten.

Nicolas gab die Auskunft, so weit er vermochte.

»Du magst die Stelle Andunah's einnehmen,« sagte der General, »und Dich mit seinen Waffen versehen; der Kampf, den wir zu bestehen haben werden, wird ein harter sein. Und jetzt laßt uns vor Allem daran gehen, den Zugang zu sperren, so gut es uns möglich ist, denn, verlaßt Euch darauf, wir werden bald von ihnen hören.«

Sie begannen alsbald Steine und Trümmer vor dem Zugang des Walles aufzuhäufen. Zwei der Mainoten bestiegen auf des Generals Geheiß das flache Dach der Kula und lagen an den Schießscharten. Die andern vier mit dem General und dem Flüchtling, der sich der Frauengewänder, so weit es thunlich, entledigt hatte, behaupteten den Wall, häuften Steine und Holzwerk im Innern der Kula zusammen zur Verpallisadirung des offenen schmalen Zugangs und durchfpäheten die Umgegend.

Das Erdgeschoß des Thurmes war in zwei Theile geschieden. Im zweiten nach dem schroffen Felsenabhang zu lagen auf Lagern von Zweigen und Blättern, wie sich die Hirten des Gebirges sie bereitet hatten, einander gegenüber Fatinitza und der verwundete Krieger, dessen Waffen und Munition der junge Grivas an sich genommen.

Der Letztere hatte noch einen Versuch gemacht, sich der verrathenen [47] Geliebten zu nahen, um ihre Lage möglichst zu erleichtern und sein Thun zu rechtfertigen, die Türkin jedoch ihm verächtlich und ungeduldig den Rücken gewandt und kein Wort war ihren Lippen zu entlocken. Mit von widerstreitenden Gefühlen zerrissenem Herzen verließ er sie endlich.

Dir Sonne war nunmehr über den Gipfeln des Pindus und ihre Strahlen hatten die Nebel vertrieben und zeigten den Bedrängten klar und deutlich die Gefahr, von der sie umgeben waren. Am Eingang des Felsengrates außer Flintenschußweite lagerte die Hauptschaar der Türken, und eine Gruppe von Feigenbäumen schien ihren Mittelpunkt und das Lager ihres todten oder verwundeten Führers zu bilden, denn man konnte vom Thurme aus bemerken, daß Shawls und Decken dort ausgebreitet waren. Kleine Abtheilungen schlossen bereits im Grunde das Platean auf allen Selten ein und die Mannschaft der beiden Feldgeschütze bemühte sich eben, dieselben am Zugang des Felsendammes zum Wall, in der Entfernung von sieben- bis achthundert, Schritt von diesem, aufzustellen, da es zum Glück für die Griechen nicht möglich befunden worden, sie auf dem Felsdamm selbst durch die Bespannung weiter vorwärts zu bringen.

Zu ihrem Staunen sahen die Mainoten jedoch statt des Beginns des Sturmes einen einzelnen Reiter, den Zweig eines Olivenbaumes in der Rechten – das Zeichen des Friedens oder Waffenstillstandes – heran nahen. Es war der Emir, der kühn und unbesorgt bis zur Felsspalte vorritt, welche den schmalen Weg vom Felsplateau der Palanka trennte, und dort den Zweig als Zeichen über dem Kopfe schwang, daß er eine friedliche Unterredung wünsche.

Der General mit Nicolas, indem er den Uebrigen gebot, im Anschlag zu bleiben, erschien sofort auf dem Wall.

»Hunde und Söhne von Hunden,« begann der Emir die friedliche Anrede, »Ihr seht, daß Allah Euch in die Hand der Gläubigen gegeben hat, die zahlreich sind, wie der Sand am Meere, und daß kein Entrinnen für Euch ist. Bist Du Grivas, der Anführer der aufständischen Griechen?«

»Nimm Dich in Acht, Freund Araber, mit Deinen Worten,« entgegnete der General in türkischer Sprache. »Meine Mainoten und ich selbst sind nicht gewillt, geduldig die Schmähungen eines Götzendieners zu ertragen. Wer bist Du und was willst Du?«

[48] »Ich bin Abdallah ben Zarugah, das Haupt meines Stammes und der Freund des Pascha's von Skadar, Selim Beh's, eines Tapfern, dem die Hand eines Verräthers Unglück gebracht hat. Ich rede in seinem Namen und führe seine Krieger gegen Euch zum Kampf.«

»Sage mir, Emir Abdallah, bei Deinem Haupte beschwöre ich Dich,« unterbrach Nicolas Grivas das Gespräch, »ist der Pascha bei dem Sturz umgekommen, oder glücklich der Gefahr entgangen?«

»Ich erkenne Dich an Deiner Stimme, Pferdedieb,« entgegnete der Araber, »und Fluch über Dich, denn Du hast Verrath geübt an dem, dessen Brot Du gegessen. Allah hat seine Hand über dem Pascha gehalten, er ist schwer verwundet und sein Schenkel gebrochen aber er lebt Euch zum Verderben.«

Ein unwillkürliches »Den Heiligen sei Dank!« entfloh den Lippen des jungen Mannes. Dann verließ er hastig den Wall und eilte in das Gefängniß Fatinitza's, um ihr die Nachricht zu verkünden.

Sie nahm sie schweigend auf, kein Laut, kein Blick des Auges verkündete ihre Gefühle.

Unterdeß nahm die Unterhandlung draußen ihren Fortgang.

»Weshalb kommst Du, Emir? – Ich bin Grivas, der General der freien Griechen.«

»Deine Krieger,« sagte der Araber, »werden in diesem Augenblick von dem Pascha von Janina vernichtet, Du hörst den Donner der großen Büchsen. Schaue auf die Zahl meiner Tapfern und Du siehst, daß ein Entrinnen unmöglich ist. Es ist keine Schmach für den Kühnen, der Macht zu weichen. Gieb Dich gefangen mit Deinen Lecken, und das Urtheil des Pascha's wird milde sein.«

»Bin ich ein Kind oder ein Weib, daß Du so mit mir redest? Mir haben Kugeln in unsern Flinten und Blut in unsern Adern.«

»Du bist ein Tapferer, ich weiß es, und Abdallah, der mit den Rothjacken vor Aden gefochten, ehrt die Tapfern, auch wenn sie seine Feinde sind. Gieb mir mein Pferd Eidunih und Fatinitza, die Tochter des Pascha's, nebst dem Verräther heraus, der sie beide entführt hat, und liefert Eure Waffen ab, so will der Pascha Dir und den Deinen den Abzug erlauben, wenn Ihr bei dem Koran der Christen schwören wollt, nie wieder gegen das Licht der Welt zu kriegen.«

»Der Mann, den Du einen Dieb nennst,« sagte der General, »ist mein Reffe und ein Krieger des Kreuzes, dessen Blut nicht [49] für die türkischen Henker bestimmt ist. Das Weib und das Pferd kannst Du erhalten, aber nicht unsere Waffen, die wir brauchen wollen, so lange ein Moslem auf griechischer Erde steht. Ueberdies, was bürgt uns für die Erfüllung des freien Abzugs? wir kennen die Treue der Türken.«

»Mein Wort,« entgegnete der junge Araber stolz, »der Eid Abdallah's ben Zarugah, und die Sterne würden eher in ihrem Lauf zurückgehen, als daß ein Hauch des Eides bei seinem Bart nicht gehalten würde.«

Der griechische General lachte verächtlich.

»Du magst redlich genug sein für einen Araber, aber die Türken, Deine Brüder, sind Pesevenks, Schurken. Wir verlassen uns auf die Jungfrau und unsere Flinten, wenn Du keine bessern Bedingungen giebst. Zieht Euch zurück nach Janina, laßt die Berge frei, und ich will Dir Pferd und Weib unbeschädigt zurückgeben. Willst Du nicht, so mache, daß Du fortkommst.«

»Hund! Sohn eines Juden und einer Hündin, willst Du Abdallah in den Bart lachen?« rief der Emir wild, indem er sein Roß wandte und den schützenden Zweig hinwegwarf. »Dein Blut komme über Dich! Allah Akhbar – zum Kampf!«

Eine Kugel pfiff dicht an seinem Haupt vorbei, aber die Bewegung des Pferdes rettete ihn und er jagte unverletzt davon, – die Griechen sparten ihr Blei für den Kampf auf Tod und Leben, der, wie sie wußten, jetzt folgen mußte.

Kaum war der Emir zu der Gruppe unter den Feigenbäumen zurückgekehrt, so wurde auch das Zeichen zum Beginn des Kampfes gegeben, und die beiden leichten Feldgeschütze eröffneten ihr Feuer gegen die Palanka.

Die Geschütze waren jedoch zu schwach, um auf diese Entfernung hin von energischer Wirkung zu sein, und sie beunruhigten und gefährdeten kaum die Personen du Vertheidiger. Die Kugeln übten gleichfalls nur geringe Zerstörung an den dicken Marmorquadern des Thutmes und wühlten den ohnehin halb zerstörten Wall auf, – die Einnahme der Palanka konnte allein von dem Sturm mit gewaffneter Hand erwartet werden.

Dieser ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Die Maini's sahen den jungen kühnen Führer gleich einem Pfeil von einem der Posten zum andern jagen, welche das etwa 50 bis 60 Fuß über das Thal emporragende Plateau umgaben, und ihnen seine Befehle [50] ertheilen. Sie bestanden größtentheils ans seinen berittenen Arabern, und diese rückten jetzt bis auf Schußweite ihrer langen Luntenflinten heran und begannen ein scharfes Feuer auf alle Oeffnungen des Thurmes und auf den drei ihnen zugekehrten Seiten des Walles, während eine Abtheilung des Nizam an den Seiten des Felsendammes und auf diesem selbst vorrückte.

Sobald sie auf etwa 200 Schritt heran gekommen, gab der General das Zeichen zur Eröffnung des Feuers, und Schuß auf Schuß aus den sichern Flinten der Mainoten schlug in die Reihe der Stürmenden, und zwölf Todte oder schwer Verwundete deckten den Weg, ehe sie bis an die Spalte herankamen, welcher jetzt die verbindende Brücke fehlte. Die Untenstehenden versuchten zugleich, an der hier etwa vierfache Manneshöhe haltenden Felswand heraufzuklimmen, während ihre Gefährten vom Damm aus ein heftiges Feuer auf die kleine Schaar der Vertheidiger unterhielten; aber Grivas hatte drei seiner besten Schützen eilig nach dem zweiten Stockwerk der Kula gesandt und ihre Kugeln schlugen Tod bringend in das Gedränge der Türken auf dem Wege oder warfen Mann um Mann zerschmettert von der mit Mühe erklommenen Felswand zurück in die Tiefe, während die beiden auf dem Dach des Thurmes postirten Krieger unter gleichem Erfolg mit den herandrängenden Trupps der Araber im Thale Kugeln wechselten.

Die Offiziere der Türken sahen ein, daß sie ohne andere Vorbereitungen nutzlos ihre Leute dem tödtlichen Feuer der Griechen aussetzten und befahlen den Rückzug.

Ueber zwanzig Todte lagen bereits auf dem Kampfplatz, zahlreiche Verwundete schleppten sich zurück aus dem Gefecht.

Man sah die Offiziere des abgeschlagenen Nizam und die Buluk-Baschi's der Arnauten Selim's um das Lager des verwundeten Pascha's sich versammeln und Kriegsrath halten. Inmitten der Phistans, der bunten Kleidung der Albanesen und der dunkelblauen Röcke der Offiziere, wehte der weiße Burnus des Arabers, und seine heftigen Gestikulationen zeigten, mit welchem Feuer er sprach.

Sein Rath schien Beachtung gefunden zu haben und ein Beschluß gefaßt zu sein, denn während seine Boten den größten Theil der Reiter um ihn versammelten, wurden die Artilleristen und eine Anzahl Nizams an die Kanonen kommandirt, und man versuchte eine derselben durch Menschenhände auf dem Felsendamm vorwärts [51] und näher dem Eingange der Palanka zu bringen. Mit vieler Mühe und nach langer Arbeit gelang es, eine Kanone bis auf 300 Schritt heran zu bringen. Noch in dieser Entfernung trafen die Kugeln der Griechen und namentlich aus der Büchse des Generals oft ihr Ziel, und die Türken hielten es daher für räthlich, hier ihren Halt zu machen.

Unterdeß hatten die um den Emir Abdallah versammelten Araber sich auf die erhaltenen Befehle nach allen Seiten hin zerstreut. Der Führer der Mainoten hatte alle diese Anstalten der Feinde eifrig und nicht ohne Besorgniß beobachtet. Der entfernte, fortdauernd von Zeit zu Zeit rollende Donner des Geschützes benachrichtigte ihn, daß in der Ferne gleichfalls ein harter Kampf geschlagen wurde gegen seine Truppen, die des Führers durch seine eigene Unvorsichtigkeit beraubt waren.

Mit einem kleinen Fernrohr, das er bei sich hatte, verfolgte er die Araber, die sich in die Berge zwischen die Bäume und Büsche verloren – er konnte sehen, wie sie mit ihren Yatagans leichte Zweige und Aeste abhieben und zu starken Bündeln zusammen banden.

Im Augenblicke stand die Absicht der Gegner vor seinen Augen – sie machten Faschinen, um die Schlucht, die sie vom Platean trennte, zu füllen.

Seine Augen flogen umher, um ein Gegenmittel zu suchen und fanden es. Zwischen dem Wall und dem Thurme lag ein ziemlich großer Vorrath von trockenen Reisern, Röhricht und Binsen aus den Sümpfen, den die Hirten hier zu ihrem Gebrauch aufgehäuft.

Dasselbe Mittel, das ihr Verderben bereitete, sollte die Gegner schlagen.

Während zwei der Mainoten fortwährend auf dem Thurme Wache hielten, traf der kühne Palikarenführer seine Vorbereitungen.

Stunden waren mit dem ersten Angriff und mit diesen beiderseitigen Vorkehrungen seither vergangen – der Mittag nahte und die Zeit, da die Kranken und Verwundeten in die Hand des schwarzen Engels gegeben sind.

Eine furchtbare – entsetzliche Scene hatte im Thurm der Palanka, im Kerker des Türkenmädchens, begonnen, den weder Grivas noch sein Neffe wieder betreten.

Die Feder weigert den Dienst, jene Thaten niederzuschreiden, mit der die Krieger des Kreuzes die heldenmüthige Vertheidigung [52] der Palanka von Protopapas entweihten; doch der Schriftsteller hat die Pflicht der Gerechtigkeit, und mit Grauen über die Bestialität in der menschlichen Natur, muß er Scenen schildern, wie sie zwischen Völkern vorkommen, welchen seit Jahrhunderten Tyrannei und Fanatismus, Rohheit und Haß das Entsetzliche zum Gewöhnlichen gemacht haben.

Zu dem General kam der Mainot Constantin Comodouro und meldete ihm, daß der Engel des Todes an das Lager seines Verwandten getreten sei, und daß dieser wünsche, von ihm Abschied zu nehmen und zum Sterben eingesegnet zu werden.

Die rauhen Krieger der Maina, deren Religion noch immer ein phantastisches Gemisch von altem Aberglauben und den Lehren der griechischen Kirche ist, während sie seit Jahrhunderten bereits muthig für das Kreuz in den Tod gehen, – hängen fanatisch an ihren Priestern. Wenn der Tod sie fern von denselben ereilt, ist es der Capitano, der das Recht hat, jenen zu ersetzen und ihnen die Absolution und den letzten Segen zu ertheilen.

Ein sterbender Krieger verlangte ihn, und der wilde Palikarenführer zögerte nicht, den Wunsch zu erfüllen, so lange die Waffenruche es erlaubte. –

Ein Halblicht, durch zwei enge hochangebrachte Schießscharten der Mauer, zu denen steinerne Stufen führten, hereinfallend, beleuchtete das ziemlich große Gemach, an dessen einer Wand halb aufgerichtet der Sterbende ruhte, während auf der andern Seite auf dem Lager von Binsen und Laub das gefesselte Türkenmädchen lag, mit dem Gesicht – nach dem Krieger gekehrt, dem ihre Kugel den Tod gebracht, und ein Zug hohnlächelnden Frohlockens war in ihren dämonischen Augen und um den festgeschlossenen Mund.

Der General betrat allein das Gemach und setzte sich auf einen Stein an die Seite des Verwundeten. Es war ein Kakavouniot, der wildeste und grausamste Stamm der wilden und grausamen Mainoten, ein Mann, längst über das mittlere Lebensalter hinaus und ein Häuptling seiner Familie, der bereits mit dem General in mehreren Schlachten des ersten Befreiungskrieges gefochten. Die Natur von Eisen, die an vierzig Jahre lang den blutigsten Kämpfen getrotzt, unterlag jetzt der Kugel eines Mädchens.

Grivas reichte dem Getreuen die Hand und verkündete ihm die Stellung des Gefechts und die Vorbereitungen, die der Feind und er selbst getroffen, – das war sein Trost zum Tode, und die [53] Augen des alten Klephten funkelten bei der Erzählung des Empfangs, den seine Gefährten den Türken bereiteten.

»Lebt wohl, Capitano,« sagte er, »und mögen die Heiligen Euch beschützen und die Unterirdischen Euch helfen! Ich gehe zum Acheron und die Panagia möge mir gnädig sein. Habt Ihr die Zeit, so laßt ein Grab für mich bereiten, damit die Moslems, wenn der Teufel ihnen den Sieg giebt, nicht meinen grauen Kopf nehmen. Gebt mir den Segen, Capitano, denn mein Athem ist kurz und ich habe noch von den Kindern der hohen Maina zu scheiden.«

Der General sprach ein kurzes Gebet und machte das Zeichen des Kreuzes über ihn. Dann fragte er, ob er vielleicht das Türkenmädchen entfernen solle, damit ihr Anblick seine letzten Augenblicke nicht störe. Der Klephte aber machte heftig das Zeichen der Verneinung, und noch ein Mal ihm die Hand reichend schied Grivas von dem Krieger.

Draußen befahl er dem Neffen, am Eingang des Walles Wache zu halten; er selbst übernahm den Posten auf der Höhe des Thurmes, die sechs Mainoten zu ihrem sterbenden Genossen sendend. –

Die wilden Gestalten der Krieger knieten um den Gefährten, den Comodouro, sein leiblicher Vetter, unterstützte. Der sterbende Klephte sprach in leisen Worten zu ihnen, er sprach von dem Kampf, in den sie gehen würden, und von der Tapferkeit, die er von ihnen erwartete. Dann sprach er von den Seinen in der Heimath und von den Tscheta's, – den Blutfehden, – die er seiner, Familie zurückgelassen. Er gab ihnen Allen die Grüße an die Heimath und seine letzten Bestimmungen, damit, wenn Einer von ihnen den Türken entrinne, dieser sie den Seinen überbringe. Zuletzt sprach er von seinem Tode und von der Pflicht der Rache, die er ihnen hinterlasse.

»Ich sterbe von der Hand eines Weibes, Fluch über ihr Geschlecht! Der Tod durch Weiberhand ist kein Tod im Kampf, und das Gesetz unserer Väter verlangt, daß er gerächt werde.«

»Der General ist kein Sohn der Maina,« sagte Constantin, »er kennt nicht das Gesetz der Blutrache. Das Weib wird sterben von meiner Hand!«

Der Verwundete winkte abwehrend mit der seinen. – »Der Capitano hat befohlen, daß ihr Leben geschont werde. Sie ist seine Gefangene – und wir sind freie Krieger, die ihm Gehorsam geschworen. Das Weib darf nicht sterben, – es würde der Tod eines Tapfern sein

[54] »Der Deine muß dennoch gesühnt werden, Andunah Vati, oder Dein Schatten wird die Unterirdischen verlassen und Fluch bringen über die Schwelle unserer Häuser.«

»Er soll es!«

Der Sterbende warf einen Blick wilden Hasses auf das Mädchen, das bisher gleichgültig dem schaurigen Auftritt beigewohnt. Er flüsterte mit dem Auge auf ihr ein Wort.

Der Klephte nickte stumm.

»Alle – Alle! Fluch und Schmach über sie!«

Sie neigten Alle das Haupt.

»Ich danke Euch, Brüder. – Das Auge wird dunkel – lebt wohl, Maini's, und vergeßt Euren Schwur nicht! – Heilige Jungfrau, bitte für mich und vernichte die Moslems – –«

Die Sechs begannen einen Gesang zu murmeln – eintönig, mit jener plärrenden unangenehmen Weise der Griechen, die sich einzig in zwei Tönen bewegt – den Sterbegesang eines Kriegers – halb Psalm, halb Hymnus!

Die Augen des Sterbenden ruhten mit glühendem Haß auf dem Türkenmädchen, starrer und immer starrer, während seine Hände über die Brust gefaltet waren. Dann begannen seine Glieder sich zu strecken – ein unheimliches Gurgeln quoll die Kehle herauf und ein Zucken erschütterte die Glieder.

Der Wolf des Taygetos hatte geendet!

Die Wölfin von Skadar schauderte unwillkürlich zusammen, – eine furchtbare unbestimmte Ahnung überkam die wilde Amazone der Berge. Starr, wie das des Todten, haftete ihr Auge auf der Gruppe um denselben.

Fort und fort murmelten die Maini's den Sterbegesang.

Dann erhoben sie sich Alle zusammen und schlugen das griechische Kreuz, während Constantin Comodouro der Leiche die Lider über die großen starren Augen drückte und sie lang auf das Blätterlager ausstreckte. Der Blutsfreund des Todten leitete die Leichenceremonieen – dazu gehörte die Rache!

Er winkte nach der Gefangenen, die noch immer mit aufmerksamen Blicken jede seiner Bewegungen beobachtete, den Tod erwartend. Sie that es trotzig und furchtlos – ihr Auge zeigte nur Verachtung und Haß.

Er nahm aus der Tasche seiner Jacke zwei Würfel und alle Sechs kauerten sich im Kreise neben den Todten.

[55] Sie würfelten – Comodouro begann! Sollte das Spielerglück entscheiden, wer ihr den Todesstoß gab?

Comodouro warf Sechs!

Hassan Stavro – Acht!

Georg Zanet – Eilf!

Panagotti Zanetacchi – Vier!

Georg Mauromichalis – Fünf!

Demetri-Bey – Zwölf!

Das Loos fiel auf ihn – aber seltsam – was sollte das bedeuten? – er begann seine Waffen von sich zu legen, – die Waffen, die der Klephte nie von seiner Seite läßt, außer –

Die Fünf zogen ihre Yatagans und nahten sich der Thür. Ein höhnisch frecher, faunenartiger und gehässiger Blick fiel auf das türkische Mädchen und den von den Würfeln Erwählten.

Der Mainote Demetri-Bey, ein Mann von wildem Aussehen und riesigen Körperformen, von etwa dreißig Jahren und in der Fülle seiner Kraft, begann ein seidenes Tuch knebelartig zusammenzudrehen.

Dann nickte er den Gefährten. Sie verließen schweigend die Halle – hinter ihnen fiel die Thür zu. Sie gingen, draußen am Wall mit ihren Yatagans ein Grab zu schaufeln.

Der Maini – der Todte – und die Türkin waren allein!

Die Blicke der beiden Lebenden begegneten sich – die des Mainoten bohrten sich frech auf das blasse, aber dämonisch schöne Antlitz des Weibes und die Wellenformen ihrer gefesselten Gestalt –

Die Blicke des Weibes sprachen Haß, Verachtung, aber zugleich Entsetzen.

Die Augen des Todten sagten Nichts – sie waren geschlossen für dieses Leben und geöffnet für das furchtbare Jenseits, wohin er seinen sündigen Haß mit hinüber genommen und wo er gewogen wurde von der Schale des ewigen Richters, der keinen Haß kennt, nur Gerechtigkeit!

Die Türkin sah den Mainoten auf sich zukommen, seine Linke hielt den Knebel! Schritt um Schritt – jetzt war er an ihrer Seite!

Ihre Hände rangen sich wund, die ledernen Bande zu sprengen.

Noch kam kein Laut von ihren Lippen.

Dann – – – –

Fußnoten

1 Gleich 48 Drachmen oder circa 17 Gulden, 1 Drachme = 100 Lephtas oder 21 Kreuzer.

2 Dieselbe lautete:

»Wir Unterzeichnete, Bewohner der (Türkischen) Provinz Arta, sehr unterjocht und mit Abgaben überhäuft, Unsittlichkeiten und Gewaltthätigkeiten gegen unsere Jungfrauen erduldend von diesen wilden und barbarischen Türken, setzen fort den gemeinschaftlichen Krieg von 1821 und schwören auf den Namen Gottes und des geheiligten Vaterlandes, daß wir unsere Waffen nicht eher niederlegen wollen, bis wir unsere Freiheit errungen haben. Wir hoffen bei dieser Fortsetzung des Kampfes von 1821, daß nicht nur alle freien, sondern auch die noch unter der Knechtschaft der Türken senfzenden Griechen die Fahne der Freiheit erheben werden, um den Kampf für Glauben und Vaterland fortzukämpfen. Dieser unser Kampf bleibt ein heiliger, ein gerechter, begründet im Nationalrecht, deshalb wird uns Niemand unser Vorhaben verdenken. Wohlauf denn, Brüder in Griechenland, Epirus, Macedonien, Thessalien und Anatolien, erhebet auch Ihr die Fahne und steht uns bei im Kampf für Freiheit und Glauben. Gott und die Heiligen mögen unser Beginnen segnen.«

3 Kreise.

4 Sein Gesuch lautete:

»Majestät! Mein engeres Vaterland grenzt an den Schauplatz des Krieges, welchen die Nachbarn und Landsleute, die Epiroten, gegen die türkische Tyrannei begannen. Was der gehorsamst Unterzeichnete zuerst bei seiner Ankunft hier vernahm, war der Waffenlärm der für Glauben und Vaterland kämpfenden Brüder und das Echo einer fernen Stimme, welche mich selbst wieder auf das Schlachtfeld rief. Diese Stimme ist die des Vaterlandes, die Niemand unbeachtet lassen kann, ohne Verräther an der Heimath und sich selbst zu werden. Indem ich auf diese Stimme meines unterdrückten Volkes horche und ihm zu Hilfe eile, bitte ich Ew. Majestät, mein Gesuch um Entlassung von meiner Stelle als Militair-Oberst, welche Ew. Majestät mich würdigten, zu bekleiden, gnädigst anzunehmen. In tiefster Ehrfurcht Ew. Majestät gehorsamer Diener und Unterthan

Sotiris Stratos

5 Allgemeine Benennung der Bewohner von Albanien.

6 Die Führer der Freischaaren.

7 Tapfere.

8 Klan oder Stamm.

9 Kriegsgefang.

10 Familienhaupt, Hausherr.

11 Griechische Benennung der heiligen Jungfrau.

12 Mäntel von Ziegenhaaren.

13 Fehde.

14 Stammes.

15 Madame.

16 Wehrwölfe.

17 Secte des Ali, im Gegensatz zu den Suniten, den gewöhnlichen Türken.

18 Mausoleum.

19 Stellvertreter des Pascha's oder Gouverneurs.

20 Georg Kastriota, genannt Scanderbeg; seine Nachkommen, zum Islam übergetreten, regierten drei Jahrhunderte lang die Landschaft Toskarien oder Mutasche.

21 Der Kampfruf der Araber.

22 Mainoten.

Das Bombardement der Civilisation
[56] Das Bombardement der Civilisation.

Es war am Nachmittag des 21. April, am Charfreitag des russischen Osterfestes, als auf der schönen Straße von Kiew her nach Odessa eine der gewöhnlichen russischen Courier-Kibitken mit dem Dreigespann, der Troitza, eilig daher rollte. Der Insitzende, ein Mann in Civil, zwischen Vierzig und Fünfzig, durch das Begegnen zahlreicher Estafetten und Ordonnanzen während des ganzen Tages aufmerksam gemacht, hatte bereits auf der vorletzten Station die sich mit Blitzesschnelle verbreitende Nachricht erhalten, daß das vereinigte französisch-englische Geschwader unter Vice-Admiral Hamelin und Admiral Dundas am Tage vorher auf der Höhe der berühmten Handelsstadt erschienen sei und daß man jeden Augenblick ein Bombardement erwartete. Zahlreiche Militair-Kommando's, die in Eilmärschen, von Depeschen requirirt, auf Odessa zurückten, hatten während des Vormittags die Straße gesperrt, und nur der Umstand, daß der Reisende, dessen Aussehen zwar den Militair verrieth, der aber nur wenig Russisch sprach, einen vom Kriegsminister selbst unterzeichneten Courier-Paß und Befehl zur Pferdestellung besaß, und auf der vorletzten Station einem der ausgesandten Ordonnanz-Offiziere des General-Adjutanten Baron von Osten-Sacken, der in Odessa kommandirte, höflich die Mitfahrt angeboten, hatte ihm die Mittel zur Fortsetzung der Reise verschafft. Der Offizier, vom Tschugujeff'schen Lancier-Regiment »Graf Nikitinn,« verstand in russischer Manier die Pferde zu erzwingen und gab unterwegs seinem Begleiter, den er durch den kaiserlichen Befehl als genügend legitimirt für das russische Interesse ansah, einen Bericht über die Ereignisse der letzten Tage.

[57] Am 8. April war die englische Dampffregatte »Fourious« auf der Rhede von Odessa erschienen und hatte unter Aufhissung einer Parlamentairflagge ihren Weg in den Hafen fortgesetzt, bis die Abfeuerung von zwei blinden Schüssen von der Hafenbatterie ihr Halt gebot. Sie zeigte hierauf die englische Flagge und hielt sich außerhalb der Schußweite, ohne jedoch Anker zu werfen, indem sie ein Boot mit weißer Fahne nach dem Molo absandte. Dies wurde von dem diensthabenden russischen Offizier empfangen, dem der Parlamentair, Lieutenant Alexander, erklärte, daß er den englischen Consul sprechen – wolle. Der Russe erwiderte, daß beide Consuln – da die Kriegserklärung bereits am 27. März erfolgt sei – schon vor drei Tagen Odessa verlassen hätten. Verschiedene andere Fragen nach der Anwesenheit englischer und französischer Unterthanen und Schiffe, mit denen der Parlamentair offenbar einige Zeit hinzubringen suchte, wurden mit der endlich determinirten Erklärung abgeschnitten, daß man jede weitere Auskunft verweigern müsse und das Boot sofort zu seinem Schiff zurückzukehren habe.

Dies geschah; – das Boot jedoch, statt den direkten Weg nach der »Fourious« einzuschlagen, beschrieb einen halben Bogen entlang den Hafenbatterieen. Zugleich hatte der Capitain der »Fourious«, William Loring, obschon allerdings die Maschine des Schiffes außer Thätigkeit war, die Nordwestbrise benutzt, um sich von derselben nach der Seite der Rhede, dem innern oder Quarantainehafen, hintreiben zu lassen, und befand sich bereits innerhalb der Kanonenschußweite.

Es lag demnach absichtlich oder unabsichtlich dasselbe Manöver vor, welches von der »Retribution« im Januar auf der Rhede von Sebastopol versucht worden, und der Kommandant der Batterie des Molo, dessen Befehl lautete, kein feindliches Kriegsschiff innerhalb Kanonenschußweite herankommen zu lassen, ließ daher auf die Fourious, die, vergeblich durch die blinden Schüsse gewarnt, sich zu nahe herangewagt hatte, ohne auf ihr Boot zu warten, von der Batterie Feuer geben. Es fielen sieben Schüsse, ehe die Fregatte sich außer den Bereich der Kanonen legte 1 und fortsegelte.

[58] Am 14. erschienen bereits die drei Dampffregatten »Retribution«, »Tiger« (englisch) und »Descartes« (französisch) vor der Rhede und kündigten noch vor der Forderung einer weiteren Erklärung ihre Ankunft mit mehreren scharfen Schüssen gegen die Hafenbatterieen an. Auf die hiernach gestellte Anfrage, warum man auf das Parlamentairschiff geschossen, gab Baron von Osten-Sacken eine schriftliche, die Anschuldigung zurückweisende Erklärung des Vorganges, indem er zugleich in einer Proclamation die Bewohner von Odessa aufforderte, im Angesicht der Gefahr einer Blokade oder selbst einer Beschießung der Stadt ihre Habe landeinwärts in Sicherheit zu bringen. Die feindliche Schiffsdivision hatte sich unterdeß außerhalb des Bereichs der Hafenbatterieen aufgestellt und fing alle nach Odessa gerichteten russischen Schiffe auf. Während der Nacht gab sie mehrere volle Lagen auf die am Hafen befindlichen Magazine, von denen eins in Flammen aufging. Am andern Tage ging sie mit 14 Prisen zurück in der Richtung von Varna.

Am Freitag den 20. waren hierauf die am 17., ohne die Antwort des Gouverneurs von Sebastopol abzuwarten, von Kavarna aus unter Segel gegangenen vereinigten Geschwader auf der Rhede vor Odessa erschienen und warfen etwa 3 Seemeilen östlich von der Stadt Anker. Erst hier, am 21., erhielt nach dem eigenen Bericht der Admiral Dundas das Antwortschreiben des General-Gouverneurs von Osten-Sacken durch die nachkommende »Retribution«. – Bis hierher lautete der Bericht des Offiziers, den der russische Gouverneur an die in der Umgegend stationirten Truppen zur Herbeiholung von Verstärkungen abgesandt.

Zahllose Fuhrwerke mit Habseligkeiten der Bewohner und diesen selbst begegneten ihnen, je näher sie der Stadt kamen. Von der niedern Höhe, auf welcher die Stadt in einiger Entfernung vom Hafen liegt, überblickten sie das Meer und die feindliche [59] Flotte. Sie zählten 28 Segel, darunter 6 Dreidecker, 13 Zweidecker und 9 Dampfschiffe.

Am Eingang der Stadt und in den Straßen war das Gedräng so stark, daß der Wagen oft längere Zeit still halten mußte. Der Offizier benutzte eine solche Pause, um einen vorübergehenden ihm bekannten Militair um weitere Nachrichten zu fragen. Es war ein junger Mann von etwa 24 Jahren in der Fähnrich-Uniform der Artillerie, der mit einem Studenten Arm in Arm daher kam.

»He, Schtschegolew,« rief der Offizier, »Gott grüße Dich und Herrn Poel an Deiner Seite, die Ihr wie Castor und Pollux stets bei einander zu finden seid. Komm hierher und sage mir, was seit gestern geschehen ist, daß alle diese Leute so in Aufregung sind?«

Der Fähnrich mit dem characteristisch russischen Gesicht, der breiten gepreßten Stirn und einer Muth und Entschlossenheit verrathenden Kinnbildung, trat zu der Kibitke.

»Der Himmel erhalte Dich, Gospodin 2 und Euer Wohlgeboren. Wir werden morgen harte Arbeit bekommen. Die Admirale haben einen groben Brief an Seine Excellenz heute geschrieben und wollen eine Entschädigung, wie sie es nennen, dafür haben, daß wir vom Molo auf ihre Fregatte geschossen. Sie verlangen blos, daß ihnen alle französischen, englischen und russischen Schiffe, die bei der ›Festung‹ oder den Batterieen von Odjessa liegen, bis Sonnenuntergang ausgeliefert werden, außerdem sie Gewalt brauchen würden. K tschortu 3! Als ob wir eine Festung hätten! wir wollten's ihnen alsdann zeigen 4

»Ist Artillerie eingetroffen?«

»Nur wenig. Mehr kann vor morgen Nachmittag nicht hier sein, wie ich mir habe sagen lassen. Die leichte reitende Batterie [60] Nr. 11 mit Oberst Galitzin ist angekommen, aber wir zählen außerdem nur 48 Geschütze.«

»Das ist schlimm. Hat Seine Excellenz schon eine Antwort gegeben?«

»Ich höre nein,« sagte der Student, »Krusenstern hatte eine derbe bereit, aber Seine Excellenz der General-Gouverneur hält es für schicklicher, gar Nichts zu erwidern.«

»Ich werde meinen Weg zu Fuß fortsetzen, denn das Gedräng hält mich zu lang auf und Oberst Baschkirzoff wartet nicht gern,« sagte der Offizier, aus der Kibitke springend. »Entschuldigen Sie mich, mein Herr, und nehmen Sie meinen Dank für die Gesellschaft. Fähnrich Schtschegolew, Du wirst mich verbinden, wenn Du diesen Herrn nach dem Hôtel Impérial weisest, wo er absteigen will. Sie kommen zu einer üblen Zeit nach Odjessa! Adieu!« Damit verschwand er eilig in der Menge, der Fähnrich aber gab dem Postillon Anweisung, weiter zu fahren, indem er mit seinem Freunde vorangehend dem Gefähr Bahn machte. So kamen sie bald bis zum Hôtel, wo gleichfalls große Verwirrung herrschte und der Fremde die beiden Herren und den Postillon verabschiedete. Nur mit Mühe konnte er des Wirthes Herr werden, der ihm Zimmer anweisen ließ und auf die Frage, ob Graf Lubomirski hier logire, bejahend antwortete und ihn in die Wohnung desselben im zweiten Stockwerk zeigte.

Der Fremde traf jedoch blos die Nichte des Grafen, die Gräfin Wanda Zerbona, zu Hause, der er sich als einen Freund ihres Oheims vorstellte. Von ihr hörte er, daß sie sich bereits seit länger als einer Woche in Odessa aufhielten, indem sie gehofft, für sie hier noch eine Gelegenheit zur Ueberfahrt nach dem kaukasischen Ufer zu finden und so den Landweg zu sparen, daß aber das Bekanntwerden der Kriegserklärung der Westmächte dazwischen gekommen sei. Bogislaw, der wackere Jäger des Grafen, wurden eiligst ausgeschickt, um seinen Herrn zu suchen, der ein Fuhrwerk zu ermitteln gegangen war, mit dem sie die bedrohte Stadt verlassen könnten.

Mit Erstaunen fand der zurückkehrende alte Pole den unerwarteten Gast, zu sehr aber Herr seiner Selbst, um sich in Gegenwart Anderer zu verrathen, nahm er ihn alsbald bei der Hand und führte ihn in ein zweites Zimmer, wo Beide ungestört sich unterhalten konnten.

[61] »Um des Himmels Willen, General, wie kommen Sie hierher in eine russische Stadt und in diesem Augenblick? Ich glaubte Sie nach den letzten Nachrichten in Constantinopel oder mindestens an der Donau. Wo kommen Sie her?«

»Direct von Petersburg,« sagte lächelnd der Fremde, den der Graf mit dem Namen General bezeichnet und dem der Leser bereits in verschiedenen Scenen und Unterhandlungen mit dem türkischen Exminister des Auswärtigen begegnet zu sein sich erinnern wird. »Direct aus dem Kabinet des Kaisers Nicolaus.«

»Sie scherzen!«

»Dazu haben Leute unsers Schlages wenig Zeit. Aber in der That – ermangeln Sie denn der Nachrichten aus Paris und ist es Zufall, daß ich Sie noch hier treffe?«

»Seit drei Wochen fast bin ich außer Rapport und erwartete hier Mittheilungen, die wahrscheinlich durch die nöthigen Umwege verspätet sind. Mein Aufenthalt war für den April in Odessa angemeldet.«

»Das wußte ich, und darum fragte ich auf gut Glück nach Ihnen. Demnach ist Ihnen der Schlag, den Louis Napoleon am 26. März gegen den Bund zu führen versucht, auch noch unbekannt?«

»Vollständig.«

Der General gab ihm eine kurze Mittheilung des Geschehenen. »Am andern Tage bereits ging ein Bote an mich ab,« fuhr er fort, »der mir Ihr Memoir mit dem Auftrag überbrachte, die Vorschläge sofort an geeigneter Stelle zu machen. Ich war zum Glück an der Donau. Der Beschluß kam mir am 3. zu, ein russischer Paß ist leicht beschafft und am 5. war ich bereits unterwegs nach Petersburg, was ich für das Beste hielt, nachdem ich mit dem Fürsten unterhandelt hatte.«

»Und der Erfolg?«

»Ich hatte zwei Unterredungen mit Nesselrode und eine mit dem Kaiser selbst. Alle unsere Pläne und Vorschläge scheitern an dem Worte ›Republik‹. Es scheint ihm so verhaßt, daß er selbst den handgreiflichen Vortheil dagegen opfert.«

»Aber haben Sie ihm denn nicht bewiesen, daß dies mit einem Schlage die Türkei in seine Hände geben, daß es all' seine Gegner und zweideutigen Freunde vernichten, und daß es Rußland allmächtig machen würde?«

[62] »Mehr als dies; ich bewies ihm klar, daß eine magyarischslavische Republik der zuverlässigste Freund und Bundesgenosse Rußlands sein und daß das Ländergebiet ihm doppelt und dreifach ersetzt werden würde, ja daß wir von dem größten Theil Polens ganz abstrahiren wollten. Seine Antwort war: ›Jede Republik wäre ein Fluch für Europa und der Kaiser von Oesterreich sei sein Freund und Bundesgenosse. Er wolle nur sein Recht und keine Machtvergrößerung.‹«

Der Graf lachte bitter.

»Das ist die Einbildung, mit der sich dieser Mann von Granit selbst täuscht. Ich habe soviel gesehen und gehört hier und auf dem Wege hierher, daß ich weiß, er muß unterliegen, wenn er unsere Hilfe verschmäht. Oesterreich spekulirt bereits auf die Fürstenthümer und Preußen wird ihn unter keinen Umständen unterstützen, denn außer der französischen giebt es dort bereits eine wichtigere englische Partei, zu der sich selbst viele Ultraconservative neigen.«

»Persien,« sagte der General, »auf das die russische Intrigue sicher rechnete, hat gleichfalls alle Rüstungen wieder eingestellt. Ich weiß bestimmt, daß von England bereits mit Sardinien wegen Theilnahme an dem Kriege unterhandelt wird, um durch dessen Contingent ein gewisses Gleichgewicht gegen Frankreich herzustellen. Ich begreife übrigens den Kaiser nicht; bei aller seiner Consequenz und seinem Haß gegen die Revolution stützt er sich doch hauptsächlich auf eine solche der Griechen und sein Kabinet sucht durch ganz Anatolien die Völkerschaften gegen den Halbmond aufzuregen.«

»Die religiöse Anschauung dieses Mannes beherrscht seine politische, er haßt den Islam und bildet sich in der That ein, einen Religionskrieg für die Befreiung der griechischen Kirche zu führen, während seine Umgebung von Nesselrode an sehr wohl weiß, daß der Krieg ein rein politischer ist. Ebenso täuscht er sich über die Institutionen, die er geschaffen. Er hielt sie für genügend zu dem Kriege und wußte nicht, wie wir, daß er um zehn Jahre zu früh begonnen. Doch wie sind Sie mit ihm auseinander gekommen, und hierher mach Odessa?«

»Ich habe ihm mein Ehrenwort als Soldat geben müssen, Rußland ohne weitere Verhandlungen und Schritte auf dem geradesten Wege, für mich also, da ich nicht durch Oesterreich und Preußen gehen konnte, über Odessa und in der kürzesten Frist zu [63] verlassen. Er ist Soldat und wir verhandelten wie zwei sich gegenüberstehende Feldherren mit einander. Er hat ausdrücklich jede Begleitung meiner Person verboten, sich auf mein Wort verlassend, 5 und ich bin daher durch Ehrenpflicht gebunden.«

»Haben Sie Etwas von Bakunin erfahren?«

»Er ist noch in Schlüsselburg, genießt aber größerer Freiheit. Ich hörte, daß sein Onkel Murawieff sich für ihn zu interessiren beginnt.«

»Er hätte uns den Weg zu der slavischen Republik bahnen können; es war ein Unglück, daß er sich in das nutzlose Spiel in Dresden mengte. Was haben Sie nun nach der Scheiterung unseres Vorschlags beschlossen?«

»Es bleibt uns Nichts übrig, als vorläufig an den alten Plänen festzuhalten. Es stürzt Europa wenigstens für Jahre hinaus in Verwirrung und ermattet es. Wir haben noch immer den Vortheil, die günstige Gelegenheit ergreifen zu können, und da Rußland nicht mit uns sein will, müssen wir mit allen Kräften zu seiner Niederlage beitragen. Die höchste Gewalt richtet ihr Hauptaugenmerk jetzt auf Sardinien. Ich muß um jeden Preis sofort nach Constantinopel, um dort jeden Verdacht zu vermeidend.«

»Das wird schwer sein,« meinte der Graf, »der General-Gouverneur hat das Embargo auf alle Schiffe gelegt und kein Boot darf den Hafen verlassen.«

»Glauben Sie an ein Bombardement?«

»Ich erwarte es, vielleicht schon morgen.«

»Sind keine der Unsern in Odjessa?«

»Ich habe zufällig den Capitain eines Marseiller Kauffahrers, des ›Antilles‹, aufgefunden. Er gehört dem zweiten Grade. Sein Schiff liegt im Quarantainehafen mit voller Getreideladung, aber unter Embargo und unter den russischen Kanonen.«

»Wir müssen auf jede Chance vorbereitet sein. Lassen Sie uns ihn aufsuchen.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Bombardement, von Odessa eine von London her befohlene Revange für die Schlappe [64] von Sinope war. England konnte es nicht ertragen, daß Rußland einen, Seesieg erfochten haben sollte, und die englischen und französischen Journale wetteiferten mit einander, den offenen und ehrlichen Angriff auf die feindliche, in feindlichen Handlungen beschäftigte türkische Flotte, wobei durch die Stellung derselben ein Theil der nahen Türkenstadt nothwendiger Weise von den russischen Kugeln bestrichen werden mußte, für eine Handlung der Barbarei auszugeben, »wie sie in der Kriegsführung civilisirter Nationen unerhört sei!«

Durch diese – gegenüber dem späteren Verfahren, namentlich der englischen Flotte im Schwarzen Meere und der Ostsee, mehr als verächtlichen – Rodomontaden suchte man sich zu einem Rächer der beleidigten Civilisation zu stempeln, eine Phrase, die in dem orientalischen Kriege überhaupt zum Ueberdruß albern gebraucht worden ist, um unter dieser Firma eine Reihe von wirklich bisher in der Kriegsführung civilisirter Nationen unerhörter Handlungen zu begehen, indem man neben einem Raub- und Plünderungssystem zur See alle irgend zugangbaren unbewaffneten und unbeschützten Orte und Vorräthe nutzlos zerstörte, die Hunderttausenden hätten Nahrung geben können!

Die englischen Schiffe betrachteten es, wie gesagt, offenbar als ihre Hauptaufgabe, die russischen Handels-Etablissements zu vernichten, und mit welchem Ruhm auch die Landheere Frankreichs und zum Theil auch Englands vor Sebastopol sich bedeckt haben, die Thaten der Flotte bleiben schmachvoll aufgezeichnet im Buche der Geschichte.

Der erste Schlag sollte gegen Odessa geführt werden, die Handelskönigin des Schwarzen Meeres, die Kornkammer eines großen Theils von Europa. Die Veranlassung war leicht gefunden in der muthwillig herbeigeführten Beschießung des Parlamentairschiffes, das offenbar den Auftrag des Spionirens oder des Zankapfels hatte. Daß das Bombardement bereits vor allen Erörterungen mit den russischen Behörden beschlossen war, zeigen die einzelnen Daten der Operationen und die bereits am 14. und 15. vorgenommenen Probebeschießungen.

Unsere Leser wissen, daß wir uns im Laufe dieses Buches auf einem möglichst unparteiischen Standpunkte gehalten haben, aber wir glauben auch da durch berechtigt zu sein, nach unserer [65] Ueberzeugung ein hartes und scharfes Urtheil an bestimmten Orten auszusprechen.

Wir haben bereits erwähnt, daß das Bombardement schon beschlossen und die Correspondenz der Vice-Admirale daher nur eine Sache der Formalität war. Die Auslieferung der Schiffe wäre eine Feigheit gewesen, deren sich kein Soldat schuldig gemacht hätte, die angemessene und der militairischen Ehre entsprechende Consequenz der angedrohten Gewalt aber blieb das »Herausholen« der geforderten Schiffe.


Auf beiden Seiten wurde die Nacht mit den Vorbereitungen des Angriffs und des Widerstandes verbracht.

Am Sonnabend den 22. Morgens 61/2 Uhr gingen nach den Dispositionen der beiden Vice-Admirale die zum Angriff bestimmten acht Dampffregatten – fünf englische und drei französische – gegen den Hafen vor. Zunächst legten sich die beiden französischen Fregatten, »Vauban« von 16 Kanonen (Capitain d'Herbinghen) und »Descartes« von 16 Kanonen (Capitain Darricau), mit den beiden englischen Fregatten, »Tiger« von 16 Kanonen (Capitain Giffard) 6 und »Sampson« von 16 Kanonen (Capitain Jones), etwa 5–6000 Fuß weit von der Pratika, den Batterieen gegenüber.

In zweiter Linie standen die englischen Dampffregatten, »Terrible« von 21 Kanonen (Capitain Claverty), »Furious« von 6 Kanonen (Capitain Loring), und »Retribution« von 26 Kanonen (Capitain Drummond), so wie die französische, »Mogador« von 24 Kanonen (Capitain de Wailly). Das englische Linienschiff »Sans-Pareil« nebst der Dampfcorvette »Highflyer« hielten sich an der äußersten Gränze der Tragweite der Batterieen, um nöthigenfalls den Fregatten zur Unterstützung zu dienen. Außerdem stand ein Detaschement von Kanonenböten unter Commandeur Dixen in der Kampflinie.

Der russische »Molo« und die Verteidigungslinie der beiden Häfen zählten 6 Batterieen mit zusammen 48 Kanonen, die im [66] Augenblick des Angriffs in Odessa concentrirten Truppen an 25,000 Mann.

Die Zahl der Geschütze, welche gegen einander feuerten, betrug daher ungefähr 150 gegen 50. In den obigen Angaben der Schiffsarmirung sind nur die schweren Geschütze à la Paixhans begriffen, und das Kaliber derselben übertraf durchgängig das der russischen Geschütze in kolossalem Verhältniß, wodurch es den Schiffen möglich wurde, sich in einer großen Entfernung zu halten, so daß z.B. die Hafenbatterieeu Nr. 3 und 5 gar nicht thätig am Kampf Theil nehmen konnten, während sie dem feindlichen Feuer doch ausgesetzt blieben.

Auf der rechten Seite der Rhede lag die Batterie Nr. 1, und die Batterieen liefen bis zu der Vorstadt Perecop, wo sie mit Nr. 6 schlossen.

Wenige Minuten vor 7 Uhr feuerte die »Sampson« den ersten Schuß gegen die Batterieen vor dem Pratikahafen – den die Berichte der Admirale den »kaiserlichen« nennen – ab, und hiermit begann der Kampf, indem die feindlichen Schiffe fast durchgängig das Manöver brauchten, unter Dampf zu fechten und einen beweglichen Kreis von etwa einer halben Meile Durchmesser zu bilden, so daß im Vorüberfahren jedes Schiff seine Breitseite gab, was natürlich das Ziel der Russen neben der Entfernung – zuerst circa 5000 Fuß, später etwas über 3000 Fuß – noch erschwerte.

Dennoch antworteten die Kanonen auf dem »Molo« kräftig und nicht ohne Glück. Nach dem Verlauf von etwa anderthalb Stunden mußte der »Vauban« die Kampfreihe verlassen, von drei glühenden Kugeln getroffen, wovon die eine mehrere Speichen seines Schaufelrades zertrümmert und die anderen seine Windwand in Brand gesetzt hatten. Eine dieser letzteren war zwischen die Radlücken eingedrungen und verglühte inwendig die Wand. Die Feuerpumpen der Fregatte spielen, um den Brand zu löschen, aber vergeblich – und der »Vauban« muß sich zurück- in die Mitte des Geschwaders flüchten, wo ihm von allen Seiten Hilfe kommt, so daß er endlich um 12 Uhr wieder zu dem Gefecht stoßen kann.

Unterdeß hatten die Admirale der zweiten Division das Signal zur Theilnahme gegeben und die vier Fregatten rücken gegen 10 Uhr in den Gefechtskreis und beginnen ihr Alles niederwerfendes furchtbares [67] Feuer, einen Hagel von Bomben und Granaten auf den Hafen und die anliegenden Stadttheile, größtentheils Magazine, schleudernd.

Dennoch war Anfangs der angerichtete Schaden verhältnißmäßig nicht bedeutend und die aufflammenden Feuersbrünste waren bald wieder gedämpft, bis die sechs englischen Kanonierschaluppen den Versuch machten, am nordwestlichen Theil des Dammes, wo keine Batterie errichtet war, mit Mannschaften zu landen, indem sie zugleich eine Masse 24pfündiger Raketen aus die Schiffe des Hafens und die umliegenden Gebäude warfen.

Bald standen dadurch sechs Magazine in vollen Flammen und die Dampffregatten näherten sich, um das Werk der Zerstörung kräftiger zu betreiben und die im Freihafen eingeschlossenen Schiffe noch schneller zu verbrennen. Unter denselben befand sich ein einziges kaiserliches Dampfpacketboot, der »Andié«, das von dem Capitain sofort versenkt und so gerettet wurde. Das Gleiche geschah mit mehreren anderen russischen Küstenschiffen. Acht derselben und ein österreichisches Schiff, die »Santa Caterina«, verbrannten. Der schöne Woronzow'sche Palast wurde durch Bomben in Brand geschossen, das Palais-Royal mit der Statue Richelieu's zerstört; mehrmals verließen einzelne Linienschiffe das Geschwader und legten sich gegen den Strand, um aus der Ferne das auf der Höhe befindliche Landhaus des Generals Lüders zu beschießen.

In diesem gefährlichen Augenblick erschien aus der Höhe des sandigen Strandes in der Nähe der Vorstadt Perecop eine Feldbatterie von 6 Geschützen mit 6 Compagnieen Infanterie zur Deckung, um die Landung der Schaluppen zu hindern, und eröffnete gegen diese mit solchem Erfolg das Kartätschenfeuer, daß die Schaluppen sich mit Verlust zurückziehen und mehrere der Fregatten das Feuer aufnehmen mußten. Ein Theil der Vorstadt Perecop ging hierbei in Flammen. –

Unter der Menschenmenge, welche den Quai am Morgen vor dem Beginn des Bombardements füllte, befanden sich auch der General und sein Freund. Der Hafen war bedeckt von hin- und herfahrenden Böten.

»Sie wollen also dennoch den Versuch wagen?«

»Wenn der Capitain seine Schuldigkeit gethan«, sagte der General, »und während des Bombardements nicht unglücklicherweise eine Kugel gleich das Schiff segelunfähig macht, hoffe ich, [68] den günstigen Augen blick benutzen zu können. Leben Sie wohl, Freund, und fahren Sie fort in Ihrem Wirken. Sind Sie Ihrer Nichte ledig, werden Sie sich ungenirter bewegen können. Die Verbindung durch das griechische Handlungshaus haben wir besprochen und Sie erhalten von Constantinopel aus weitere Nachricht, wo ich das Eintreffen des französischen Prinzen abwarten werde. Halten Sie die russischen Lieferanten im Auge, diese haben den Krieg in Händen. Und jetzt – wo ist das Schiff? ich erkenne es in diesem Gewirr nicht.«

»Der ›Antilles‹ ist das dritte vom Ausgang des Hafens, sehen Sie dort, ein anderer französischer Kauffahrer, ›Adèle‹, liegt hinter ihm. Hier ist das Boot und so leben Sie wohl – die Zeit drängt.«

In diesem Augenblicke donnerte bereits der erste Schuß der »Sampson« und der General sprang nach einem kurzen Händedrucke in die Barke. In dieser Zeit der Verwirrung fragte Niemand nach Legitimation oder Berechtigung, und der Quai leerte sich rasch von Menschen.

Schuß auf Schuß krachte von der Rhede her und vom Molo entgegen, während das Boot an die Seite des französischen Kauffahrers flog und der Fremde an Deck sprang. Dort war Alles voll Aufregung. Der russische Embargo-Beamte hatte das Schiff verlassen und der Capitain sofort seine Leute versammelt und ihnen den Vorschlag gemacht, die Verwirrung eines bevorstehenden Angriffes zu dem Versuche zu benutzen, aus dein Hafen und somit aus der drohenden russischen Gefangenschaft zu entfliehen. Seine feurigen Worte hatten die kühnen Matrosen willig gefunden, und Alle erklärten sich bereit, dem doppelten, Kugelhagel zu trotzen. Als der General an Bord kam, war bereits Alles in voller Thätigkeit, das Schiff segelfertig zu machen. Ein Boot hatte den Capitain des zweiten Schiffes von dem Vorhaben benachrichtigt, und in dem Augenblick, als durch die Demonstration der Kanonenböte die Aufmerksamkeit der Vertheidiger abgelenkt wurde, verließen beide Schiffe, indem sie ihre Anker kappten, den Hafen, sobald sie außerhalb des Einganges waren, die französische Flagge aufziehend. Der »Antilles« kam glücklich ohne erhebliche Beschädigung seiner Wände und Masten durch das furchtbare Kreuzfeuer und erreichte das Geschwader und das französische Admiralschiff »Stadt Paris«, wo Admiral Hamelin dem Capitain den Rath gab, sofort nach Constantinopel [69] weiter zu gehen. Am 29. ankerte es mit seiner Ladung von 3500 Tschetwert Getreide glücklich im Bosporus. Das andere Schiff, »Adèle«, erhielt zwar einige Kugeln im Wind und erlitt einige Havarie der Takelage, gewann jedoch gleichfalls bei dem ziemlich heftig während des ganzen Kampfes wehenden Winde die hochgehende freie See. –

Die Batterie Nummer 6 am Ende des Molo war es, die den feindlichen Schiffen den meisten Schaden that, und auf welche dieselben daher bei ihrem Kreislauf ihr concentrirtes Feuer richteten. Bereits zu Anfang war eines der vier Geschütze der Batterie demontirt und dabei der kommandirende Offizier schwer verwundet worden. Der Artillerie-Fähnrich Schtschegolew übernahm sofort das Kommando, da jedoch der Feind außerhalb des Bereiches der dritten Kanone stand, so konnten nur die beiden Kanonen der linken Seite operiren, und mit diesen beiden Geschützen hielt der tapfere junge Offizier sechs Stunden hindurch Stand gegen die feindlichen Dampfboote, zuletzt gegen acht Dampfer und die Segel-Fregatte »Arethusa«.

Der Pulvervorrath bei der bereits halb demontirten Batterie wurde jedoch durch eine Rakete in Brand gesteckt und flog in die Luft. Der Artillerist, welcher den neuen Pulverkarren herbeiführte, fiel tödtlich verwundet und der Kugelregen über den Weg war vernichtend – die Batterie längere Zeit ohne Munition. Da ergriff der herbeikommende junge Freund des tapfern Kommandanten, der Student Poel, die Zügel des Gespanns, und den eisernen Hagel nicht achtend, führte er glücklich den Pulverkarren in den Schutz der Batterie. Seinen Rock abwerfend, blieb er hier bei dem Freunde, der nur von sechs Artilleristen noch unterstützt war, in der Bedienung der Kanonen helfend und die Kugeln herbeitragend. Auch die dritte Kanone wurde zum Schweigen gebracht, mit ihr fielen zwei Mann!

Unerschrocken setzten Schtschegolew und seine Tapferen das Feuer mit der vierten fort. Erst Nachmittags 2 Uhr, als die von der Batterie gedeckten Schiffe sämtlich in Flammen aufgegangen und die Batterie selbst in Brand gerathen war, verließ der Fähnrich mit dem Studenten und den letzten drei Artilleristen sein letztes Geschütz und gelangte glücklich zu den Seinen 7.

[70] Die Bomben, welche die Schiffe von Zeit zu Zeit auf die Stadt geworfen, hatten außer dem bereits bezeichneten wenig Schaden gethan, da die Entfernung zu groß und die zurückgebliebene Einwohnerschaft, die sich während des Kampfes sehr gut genommen hatte und unter dem Feuer den kämpfenden Artilleristen Lebensmittel brachte, mit Löschanstalten bereit stand. Nach 4 Uhr stellte die angreifende Division, der noch die französische Dampfcorvette »Caton« sich angeschlossen hatte, ihr Feuer ein und kehrte zu dem Gros der Flotte zurück, vier ihrer Schiffe, den »Descartes«, »Vauban«, »Mogador« und die 8 »Terrible« im Schlepptau, wovon die Havarie zweier das Werk der Batterie Schtschegolew's war. Die Verluste an Mannschaften auf der Flotte waren verhältnißmäßig sehr unbedeutend, kaum nennenswerth, in Folge der weiten Entfernung, die Russen jedoch hatten 200 Todte und etwa 300 Verwundete.

Sechszehn Schiffe und die Magazine und Etablissements des Freihafens größtentheils waren zerstört,keines der geforderten Schiffe dagegen genommen.

Solches war die erlangte »Genugthuung« der civilisirten Westmächte, deren amtlicher Bericht meldet:

»Es konnte uns nicht in den Sinn kommen, der Stadt Odessa das geringste Leid zuzufügen, eben so wenig wie ihrem Handelshafen.«

Am andern Tage, am griechischen Ostersonntag, erwartete man die Wiederholung des Bombardements. Während der Nacht hatten die Russen so viel als möglich ihre Batterieen wieder hergestellt, neue Verschanzungen aufgeworfen und starken Zuzug erhalten.

Es näherte sich aber blos die Dampfcorvette ›Fury‹ zur Recognoscirung des Hafens, an dem mehrere Gebäude noch brannten, und warf einige Granaten auf den Strand, wurde jedoch mit einem starken Feuer empfangen, das ihren Capitain verwundete. Ein Dampfboot, welches auf der Höhe von Sebastopol zur Beobachtung der russischen Flotte mit acht anderen Kriegsschiffen kreuzte, brachte dem Admiral Dundas die Nachricht, daß an den russischen Schiffen, vor Sebastopol eine ungewöhnliche Bewegung bemerkt werde, und [71] ein Auslaufen derselben möglich sei. Die vereingte Flotte legte sich auf diese Nachricht weiter hinaus auf die See.

Am 26. Morgens 8 Uhr verließ die Escadron auch diese Stellung, indem drei der havarirten Damffregatten und ein Linienschiff die Richtung nach Varna einschlugen, der Rest der Flotte nach Süd-Osten sich wandte. Um Mittag waren die letzten Schiffe außer Sicht.

Fußnoten

1 Die Erklärung des englischen Capitains Loring vom 21. April 1854 sagt, daß der erste Schuß gegen das Boot gerichtet gewesen, aber 180 bis 210 Fuß von der Barke abseits (also nicht auf dieselbe gezielt!) in's Meer gefallen sei, und läßt die Wirkung und Entfernung der andern ganz unberührt. Auch aus dem weitern Wortlaut geht hervor, daß das Schiff dem »Molo« damals näher war, als das Boot. – Der englische Capitain mußte wissen, daß es einem feindlichen Kriegsschiffe nicht gestattet werden konnte, auf Kanonenschußweite in den Hafen zu kommen, und es ist den Admiralen auch nicht eingefallen, die gleiche Behandlung der »Retribution« am Eingang des Hafens von Sebastopol – zur Zeit, als der Krieg noch nicht einmal erklärt war! – für Bruch des Völkerrechts auszugeben und dafür Sebastopol zu bombardiren. Hiernach ist die nachfolgende Handlungsweise rechtlich zu beurtheilen.

2 Herr; die zweite Anrede bezieht sich auf den Fremden.

3 Zum Henker!

4 In der That sprechen die Schreiben und Bülletins der westmächtlichen Admirale immer von einer Fe stung und einem Kriegshafen von Odessa, während weder die eine noch der andere dort existirt. Die Häfen sind beide längst nur Handelshäfen und zwar ist der eine – der frühere Kriegshafen – der jetzige Pratika- oder Freihafen, welcher die Handelsschiffe nach überstandener Quarantaine aufnimmt, der andere der Quarantainehafen. Beide werden nur von sechs Batterieen geschützt; im Uebrigen ist Odessa eine ganz offene Handelsstadt.

5 Es ist Thatsache, daß während des Donaufeldzugs von den Häuptern der revolutionairen Propaganda der russischen Regierung ein solcher Vorschlag gemacht wurde, aber an der Abweisung des Kaisers scheiterte.

6 Dasselbe Schiff, das am 12. Mai in der Nähe von Odjessa auf den Strand gerieth und im Kampfe von den herbeigeeilten russischen Batterieen trotz der Hilfe zweier heranfahrender großer Schiffe gezwungen wurde, die Flagge zu streichen und sich zu ergeben. Nachdem die Mannschaft gelandet, wurde es in Brand geschossen.

7 Baron von Osten-Sacken begrüßte bei der Rückkehr den Tapfern als Ritter des Militair-Verdienstordens. Der Kaiser beförderte ihn zum Stabs-Capitain und die Batterie, die er so tapfer koimmandirt, erhielt seinen Namen.

8 Die Franzosen nennen gewöhnlich ihre Schiffe mit dem männlichen Artikel, die Engländer mit dem weiblichen.

[72] Aug' um Auge, Zahn um Zahn!

Wir kehren zurück in die Kula von Protopapas.

Ein grauenhafter – schrecklicher Kampf hatte sich dort entsponnen, um so schrecklicher, als er schweigend von beiden Theilen geführt wurde, und der einzige Zeuge, außer Gott – stumm war.

Der riesige Klephte warf sich auf die Türkin – den ersten ungehört verhallenden Auffschrei der weiblichen Angst, – den Ruf: »Nicolas, herbei!« benutzte er, um den seidenen Knebel ihr zwischen die Zähne zu pressen.

Von dem Augenblicke an sprachen nur ihre Augen – eine furchtbare, jeden Anderen, als den wilden Sohn des Taygetos entsetzende Sprache.

Der Kampf des gefesselten Mädchens, während die rohe Hand des Maini's ihre Kleider in Stücken riß, war lang – schrecklich! Die Brust keuchte in dem vergeblichen Widerstand unter der riesigen Kraft des Mannes, verdoppelt durch die wilde Erregung aller Nerven und Sehnen.

Dann unterlag sie endlich – ruhig, still – mit der Gleichgültigkeit der Verzweiflung. Nur in den dunkeln, krampfhaft starren Augen lag es wie ein furchtbarer Schwur.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Zu den fünf Gefährten, die mit ihren Yatagans das Grab des erschossenen Maini's gruben, trat Demetri-Bey und nickte schweigend mit grauenhaft frechem Blick an Georg Zanet, indem er ihm den Yatagan aus der Hand nahm und selbst zu schaufeln begann.

Der Mainot George Zanet hatte eilf Augen geworfen, er ging nach der Kula.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[73] Nach Georg Zanet kam Hassan Stavro – acht Würfelaugen!

Ihm folgte der Vetter des Erschlagenen – Constantin Comodouro – Sechs!

Ohne ein Wort zu sprechen, lösten sich die sechs Mainoten an der Gruft ab.

Als der Letzte – Panagotti Zanetacchi – zurückkehrte, war das Grab fertig.

Jetzt entfernten sich Alle Sechs nach dem Thurm, den Todten zu holen. Sie warfen keinen Blick nach dem Opfer der furchtbaren Rache, sondern faßten stumm den Körper und trugen ihn hinaus.

An der Wand lag die Türkin, der Knebel war längst aus dem Munde gefallen – aber kein Laut hatte mehr die grimmige Resignation unterbrochen, mit der sie nach dem erschöpfenden Kampf Alles geduldet. Gleich einer Todten lag sie da – das Auge geschlossen, geisterhafte Blässe auf dem Antlitz, und ihr langes, dunkles Haar floß wirr auf den Boden. Die mitleidigere Hand des Letzten hatte die leichte Decke ihres Mantels über die Unglückliche geworfen – darunter lag sie und nur ein krampfhaftes Zucken, das von Zeit zu Zeit über ihre Glieder schauerte, verkündete das Leben in der sonst regungslosen Gestalt.

Mit demselben eintönigen Gesang, der den Tod des Kriegers begleitet, begannen sie jetzt ihn in sein Grab zu legen.

Da scholl der Ruf des Generals von der Platform des Thurmes und Nicolas Grivas sprang von seinem Posten auf der Höhe des Walles herunter in die Umringung.

In demselben Augenblicke zischte es durch die Luft und prasselte es zwischen die Erde und die Steine des Walls und die einschlagende Kugel streute sie weit umher.

Ein schwerer Stein traf die Leiche, gleich dem rächenden Donnerstrahl des Himmels, und warf sie aus den Händen der Träger kopfüber in das Grab.

Alle Sechs waren von leichten Splittern leicht verwundet, – Schrammen nur, – wenige Blutstropfen, die kein Mann achtet, am Wenigsten der wilde Krieger der Maina.

Doch – sie waren gezeichnet!

»Zu den Waffen, Kameraden, an Eure Posten!« befahl der General, von der Stiege des Thurmes herabeilend. »Die Feuer angezündet und dann deckt Euch hinter den Wällen.«

Zwei schon vorher bereitete Feuer von Reisig und Geröhr [74] im Innern des Zuganges und möglichst gedeckt, qualmten alsbald empor.

Um dieselbe lagen Bündel von trockenen Zweigen, Laub, Binsen, Gras, mit Streifen leichten Zeuges durchwunden, in welche der Mantel und Schleier der Verkleidung des jungen Griechen zerrissen worden war.

Kugel auf Kugel schlug jetzt in kurzen Pausen an Thurm und Wall und endlich, als die Artilleristen das Ziel gefunden, in die Stein- und Holzbarrikade des Einganges.

Den Vertheidigern der Palanka schadeten die Kugeln wenig, sie lagen theils im Thurm versteckt, theils wohl geschützt hinter dem Wall; die Wachen aus den Schießscharten des Thurmes beobachteten ungefährdet die Gegner.

Die Kanonade hatte eine halbe Stunde gedauert und die Barrikade des Einganges am klaffenden Felsenspalt war jetzt zerrissen.

Dann schwieg das Feuer und von der Höhe des Thurmes tönte der Ruf der Wache:

»Sie kommen.«

Die Griechen sprangen empor aus ihren Verstecks und sammelten sich um den Führer, der bereits Jedem seinen Antheil am Kampfe bezeichnet hatte.

Nur Einer – Panagotti Zanetacchi – wurde als Wache auf den Thurm zurückgesandt, die Anderen machten sich zum Kampf bereit, Jeder untersuchte sorgfältig das Schloß seiner Flinte und der langen Pistolen und lüftete den Handjar.

Frische Reisigbündel wurden auf die Feuer gelegt, die anderen näher zur Gluth geschoben; dann nahm Jeder seinen Posten am Wall ein, so gut gedeckt als möglich und doch mit freiem Blick auf den nahenden Feind.

Und er kam heran – diesmal waren es die Arnauten Selim-Bey's, geführt in Stelle des Pascha's, von Abdallah, dem jungen Emir. Auf dem Felsenwall und zu beiden Seiten desselben drängte es wieder heran in dichten bunten Haufen, jeder Mann vor sich ein oder zwei große Reisigbündel tragend, die seinem Körper zugleich Schutz gewährten gegen die Kugeln der Griechen.

Aber die Kugeln der Mainoten blieben aus; der General hatte ihnen streng befohlen, den Schuß zu sparen, bis der Feind in größter Nähe und jede Kugel ihres Zieles sicher war.

Als die Anrückenden etwa die Hälfte des Dammes zurückgelegt [75] hatten, gab der Emir, den Säbel schwingend, mit dem arabischen Kampfruf: »Allah Akhbar!« das Signal zum Angriff und die ganze Masse, etwa Dreihundert an der Zahl, von denen die Hälfte in dichten Gliedern den Damm einnahm, stürzte in wildem Lauf vorwärts.

Sie waren zwanzig Schritt vom Felsspalt, als die Büchse des Generals das Zeichen zur Salve gab. Fast gleichzeitig knallten die sechs Flinten und die Kugeln warfen die Vordersten zu Boden oder hinab vom Felskamm auf ihre Kameraden. Einige Kugeln hatten in dem dichtgedrängten Haufen Mehrere verwundet, – keine gefehlt, aber die Arnauten hielten sich nicht auf mit einer Erwiderung des Feuers, sondern stürzten mit jener Todesverachtung vorwärts, die den Moslem auszeichnet. Ueber Todte und Verwundete drängten die Krieger zum Rande des Felsenspaltes, auf dessen Grund zu beiden Seiten bereits die Kameraden ihre Reisigbündel emporthürmten.

Zugleich warfen sie die ihren in den Grund, und viele Leiber, von den Pistolenkugeln der Mainoten in dieser Nähe durchbohrt, halfen den Spalt füllen.

In wenig Augenblicken war die Füllung bis auf einen Nest von Mannshöhe geschehen, und die wilden Krieger stürzten sich, von den Folgenden gedrängt, reihenweise hinab und begannen an der anderen Wand empor zu klimmen, an den Zacken des Gesteins sich haltend oder Einer auf des Andern Schultern.

In der Bresche standen jetzt Grivas, sein Neffe und drei der Maini's, mit dem Säbel, der Kolbe und dem Yatagan die Heraufstürmenden abwehrend, während die beiden anderen Mainoten fortwährend die Pistolen luden, und Panagotti Schuß auf Schuß von der Höhe des Thurmes in den dichten Haufen sandte.

Das Allahgeschrei, der Kampfesruf der Anstürmenden war furchtbar, sinnebetäubend; schweigend – jeden Athemzug zu einer Kraftanstrengung sparend, kämpften die Griechen. Herüber, hinüber knatterten die Pistolenschüsse, die Gegner schauten einander in's Weiße der Augen!

Und immer höher thürmte sich die Füllung des Spaltes, Reihe auf Reihe stürzte sich hinab und klomm empor, und für den zerhauenen Schädel, die vom Arm getrennte Faust, die zerschossene Brust, drängten zehn Andere empor!

»Allah Akhbar! Zum Kampf! Zum Kampf!«

[76] Der wilde Ruf des Führers spornte sie zu immer neuen Anstrengungen.

Die Griechen waren sämtlich verwundet bis auf den jungen Grivas, der vergeblich im Handgemenge den Tod zu suchen schien – ihn floh der finstere Gesell mit jener schneidenden Koketterie des Grabes, das den Begehrenden von sich stößt.

Demetri-Bey lag, zum Tode getroffen, am Boden; Georg Zanet kämpfte, an den Wall gelehnt, aus zwei Wunden Ströme von Blut vergießend, gleich dem sein Ende fühlenden Eber.

Zwölf Augen! – Eilf Augen! Ein Teufel schüttelt die Würfel! –

Da erscholl über das Toben des Kampfes hin ein schneidender Pfiff des Generals, der im Handgemenge wie jeder seiner Krieger focht.

Die beiden Schützen am Wall sprangen zu den Feuern und rissen die flammenden Bündel heraus, mit dem Fuße neue hinein schleudernd.

Wie qualmende rauchende Ballen flogen sie im nächsten Augenblick hinunter in die Masse der stürmenden Türken.

Die leichten Gewänder erfaßten die sprühenden Funken – die Stürzenden theilten das Feuer den aufgehäuften Faschinen, der Bekleidung der Erschlagenen mit – und von der Hand der Mainoten flog Bund auf Bund, in Flammen gehüllt, hinab in den Menschenknäuel.

Ein furchtbares Geschrei stieg zum blauen wolkenlosen Himmel, eine Mauer von Rauch und Qualm wälzte sich aus der Felsspalte empor – in sie zurück warfen die Kolbenschläge und Yataganshiebe der Mainoten die verzweifelnd Emporklimmenden.

Noch wenige furchtbare Augenblicke, dann verstummte der Kampfruf vor dem wahnsinnigen Geschrei des Schmerzes und die Arnauten wandten sich auf allen Seiten zur wilden Flucht.

Vergebens waren alle Anstrengungen des jungen Führers. Die Flucht der orientalischen Völker ist nie zum Stehen zu bringen.

Sie fühlten sich erst sicher im Schutz ihrer Kanonen; – zahlreich waren die Opfer an Todten und Verwundeten. Acht Griechen hatten den Sturm von dreihundert tapfern Kriegern abgeschlagen, die Palanka seit neun Stunden vertheidigt.

Hätten jetzt die Moslems auf die zum Tode Erschöpften einen neuen Sturm mit den frischen Kräften gewagt, die ihnen zu Gebote [77] standen, so wäre der Sieg ihnen sicher gewesen. Doch mit jener Langsamkeit, welche sie charakterisirt, mußten sie erst den erhaltenen Schlag überwinden und sich auf's Neue vorbereiten. –

Sehnsüchtig wandte General Grivas vor der Höhe der Kula den Blick nach Westen, wo seine fernen Tapfern gestanden und gefochten. Der Geschützdonner hatte aufgehört und die Befürchtung lag schwer auf seiner Seele, daß der Angriff der Türken seine Schaar zersprengt habe. Zum Wahrzeichen und als trotzige Herausforderung seiner Gegner ließ der General zugleich an einer Stange auf der Brüstung des Thurmes eine aus Stücken von Bekleidung der Gefallenen roh gebildete blaue Fahne aufstecken, an welche die Mainoten von Fetzen der Fustanellen die Form des griechischen Kreuzes geheftet hatten.

Ein wildes Geschrei der Türken und das wiederholte Feuern aus ihren Kanonen antwortete dieser Herausforderung. –

In dem den Kugeln am wenigsten ausgesetzten Gefängniß Fatinitza's hatten Demetri-Bey und Georg Zanet, Beide schwer verwundet, die Stelle des jetzt begrabenen Andunah eingenommen. Die Hilfe, die ihre Kameraden ihnen leisten konnten, war gering, der Krug mit Wasser, den die Maini's am Abend von der Quelle im Thalgrunde geholt, längst erschöpft, und doch ist der Durst nach Wasser bekanntlich gerade das, was die Verwundeten am meisten quält. Der Wall war von den Kugeln der Türken jetzt so demolirt, daß an ein Halten desselben nicht mehr zu denken war, und Grivas vereinigte seine verringerten Streitkräfte in dem zweiten Stockwerk und auf dem flachen Dach der Kula, nachdem die Steine und Balken, welche zur Barrikadirung des Wallzugangs gedient hatten, zur Befestigung der schmalen Pforte verwendet worden, welche in das Innere des Thurmes führte und die zum Glück durch ihre Seitenrichtung nicht den Kugeln der Geschütze ausgesetzt war.

Zu wiederholten Malen hatte es Nicolas Grivas versucht, sich zu dem verrathenen Türkenmädchen zu begeben, doch immer wieder war er am Eingange zurückgekehrt, von dem niederdrückenden Gefühl seines Verraths und dem Gedanken an ihre verächtliche Behandlung zurückgetrieben. Fatinitza, von dem Kampfgetöse aus ihrer Erstarrung erweckt, saß jetzt, den Mantel um sich gezogen, aufrecht an der Mauer. Ihr Antlitz war noch immer todtenbleich, doch ihre Züge waren jetzt finster und entschlossen, gleich aus Marmor gehauen wie die der Medeia! Die dunklen Augen, starr und [78] unbeweglich auf die beiden verwundeten Maini's gerichtet, funkelten und glühten doch in dämonischem Feuer.

So saß sie bereits stundenlang, ohne sich zu rühren, und die wilden Söhne des Taygetos schauderten vor dem Auge des geschändeten Türkenmädchens und kehrten ihr Gesicht nach der Wand des Thurmes, um ruhiger zu sterben.

Es war am Nachmittag gegen vier Uhr, als über die Berge von Westen her von Neuem der ferne Donner groben Geschützes an das Ohr der Mainoten schlug – bald darauf konnten sie selbst die Salven des Kleingewehrs undeutlich hören.

Zugleich sahen sie, daß die Türkeit vor ihnen sich zu einem neuen Angriff rüsteten.

Der General versammelte die fünf noch kampffähigen Vertheidiger um sich. – »Kameraden, Brüder des heiligen Kreuzes«, sagte er, »unsere Freunde sind uns nahe, ob Sieger oder geschlagen, wir wissen es nicht, aber wir werden uns mit ihnen vereinen können, wenn es uns gelingt, die Fahne dort oben aufrecht gegen den Sturm zu erhalten, der uns droht. Unsere Bedränger werden dann genug zu thun haben, sich selbst zu wehren. Laßt uns daher den Thurm vertheidigen bis zum letzten Blutstropfen, es ist die einzige Aussicht auf Rettung und unsere Pflicht als Söhne Griechenlands. Nur die Flinte kann uns in diesem letzten Kampfe nützen, zielt fest, laßt keinen Schuß vergebens fallen und uns jetzt noch ein Mal unsere Hilfsmittel prüfen.«

Während Zanetacchi wieder als Wache zurückblieb auf dem Dache des Thurmes, stieg der General mit den übrigen Vier hinab in das zweite, und untere Geschoß, ihnen Anweisungen zum Kampfe ertheilend. Das obere Stockwerk ragte auf breiten steinernen Trägern etwa anderthalb bis zwei Fuß über das Erdgeschoß hinaus, und die Seitenwände waren mit schiefen trichterförmigen Schießscharten versehen, so daß von hier aus die nähere Umgebung des Thurmes unter wirksamem Feuer gehalten werden konnte. Die Schießscharten der untern dicken Mauern waren dagegen, wie bereits erwähnt, so hoch angebracht, daß von Außen nicht dazu zu gelangen war. Der schmale Eingang der Kula war vollständig mit Steinen und Balken verrammelt und durch die Schießscharten über ihm gedeckt. Grivas beschloß daher, seine wenigen Vertheidigungsmittel in dem zweiten Stockwerk zu concentriren, das den Wall und den innern Ring bestrich, und in dessen Schutz sie am [79] wenigsten den Kugeln der Gegner ausgesetzt waren. Um die Verwundeten dahin bringen zu lassen, betrat er die hintere Abtheilung – Nicolas und die drei Maini's folgten ihm.

Der junge Mann vermied, das Auge auf das Mädchen zu richten, und trat mit dem Oheim zu den beiden Verwundeten. Die Verblutung war indeß so stark gewesen und die Beschaffenheit ihrer Wunden so gefährlich, daß ein Transport in das obere Stockwerk ihnen unzweifelhaft große und nutzlose Schmerzen verursachen mußte; der General entschied daher, daß sie gelassen werden sollten, wo sie waren, da sie hier fast eben so sicher sich befanden. »Auch die Türkin mag hier bleiben«, befahl er, »sie ist hier am wenigsten im Wege.«

Jetzt erst wagte der junge Mann einen hastigen verstohlenen Blick auf das Mädchen, aber so kurz er auch war, zeigte er ihm doch die Zerstörung in ihrem Aeußern, und er sprang wie vom Blitz getroffen auf sie zu mit dem Ruf: »Fatinitza – was ist geschehen? – um der Panagia willen, sprich!«

Mit einer rachsüchtigen Gleichgültigkeit gegen das Heiligste des Weibes warf das Mädchen durch eine Bewegung den Mantel von ihren Gliedern, und die um Brust und Hüften hängenden Fetzen ihrer Kleidung zeigten der Schaam Hohn sprechend den furchtbaren Kampf, den sie bestanden, und verriethen das schändliche Verbrechen, das an ihr verübt worden war.

Selbst der wilde Führer der Klephten schauderte zurück.

Die Stirnadern des jungen Mannes schwollen zu rothen Strängen an, nachdem Todesblässe einen Moment lang sein Gesicht bedeckt. Dann drehte er sich wild zu dem Kreise seiner Gefährten und seine Augen schienen Blitze zu sprühen, während seine Hand die Pistole aus dem Gürtel riß und den Hahn spannte.

»Verfluchte! – Ihr!«

In diesem Augenblick vernahm er das erste Wort von den Lippen des Mädchens, seitdem er sie verrathen. Sie schnellte empor auf ihre gebundenen Füße, und die gefesselten Arme von sich streckend, warf sie sich zwischen ihn und die Maini's, die bereits gleichfalls zu den Waffen gegriffen. Ihre Augen sprühten Haß und Verachtung, der Ton, mit dem sie ihm ihr »Halt ein, Verräther!« zuherrschte, schien von den Steinmauern wieder zu gellen.

»Nicht Du!« sagte sie mit bitterer Verachtung, »nicht Du, meineidiger Christ! Dein eigen ist Fatinitza's Schande, und verflucht [80] und verfolgt sei'st Du dafür bis zum Ende der Tage, das Dein Prophet verkündet hat!«

Dann sank sie zurück auf das Lager und blieb in finsterm Vorsichhinstarren gleichgültig gegen ihren Zustand liegen.

Der junge Mann hatte das Gesicht in seine Hände verborgen, denen die Pistole bei den vernichtenden Worten entfallen.

Der General schaute finster aus die Maini's. »Wer hat das gethan gegen meinen Befehl?«

»Wir Alle,« sagte trotzig Comodouro. »Dein Befehl, General, lautete, uns nicht am Leben der Türkin zu vergreifen! Was wir gethan, war das Vermächtniß unsers sterbenden Bruders – sein Tod ist gerächt worden an seiner Mörderin.«

Ein halb mitleidiger Blick des wilden und grausamen Häuptlings streifte die Unglückliche; dann wandte er sich schweigend nach dem Eingang und führte seinen Neffen hinaus.

Zur selben Zeit klang von der Höhe der Allarmruf Panayotti's: »Zu den Waffen! Die Moslems kommen!« und die Mainoten stürzten an ihre Posten. –

Fatinitza war mit den Verwundeten allein – mit wildem Frohlocken haftete ihr Blick auf der geschlossenen Thür und hörte sie den drohend näher dröhnenden Schlachtruf ihres Volkes, das »Allah il Allah!« das wild an allen Seiten der Palanka empor zu gellen schien.

In der That rückten die Türken diesmal von allen Richtungen gegen die kleine Feste, nur Wenige zurücklassend zum Schutz des verwundeten Pascha's und der Geschütze. Die Flintenschüsse der Araber, der Arnauten und des Nizams krachten vereint gegen den Thurm, und von den vier Seiten suchten die Moslems das Plateau, zu ersteigen.

Kugel auf Kugel aus den Schießscharten der Kula traf unter die Stürmenden, – jede Kugel warf ihren Mann von der erstiegenen Felswand, aber den Stürzenden folgten Andere, und die sechs Flinten der Vertheidiger konnten die Ueberzahl nicht zurückhalten, der jubelnde Ruf der Arnauten und der Ansturm gegen die Barrikade des Eingangs verkündeten bald der Türkin, daß die Ihren Meister des Plateau's geworden.

Hierhin an die Schießscharten, welche die Pforte bestrichen, warf der General jetzt seine besten Schützen, während die Uebrigen [81] fortwährend die abgeschossenen Flinten luden. Ein Wall von Todten lag bald vor dem Eingang.

Das wilde Getümmel der Schlacht war der Augenblick, den die Wölfin von Skadar ersehnt. Das mißhandelte Mädchen erhob sich aus die Knie, – auf den Knieen rutschte sie langsam den beiden Verwundeten näher – die Augen mit teuflischer Freude auf diese geheftet.

Die sterbenden Mainoten sahen sie auf sich zu kommen, – näher und näher, gleich dem finstern Engel des Todes.

Sie blickten dem großen Würger furchtlos und trotzig in's Angesicht, aber sie begannen sich zu fürchten vor dem dämonischen Auge des rächenden Weibes.

Vergeblich versuchten sie zurückzuweichen, – ihre Glieder waren machtlos, die Arme bleischwer von dem vergossenen Blut; bei dem Bemühen, sich zu erheben und der Feindin zu begegnen, lösten sich die leichten Verbände, und auf's Neue quoll der rothe Lebenssaft aus den geöffneten Wunden.

Jetzt versuchten sie zu schreien, – der wüste Demetri-Bey rief angstvoll nach seinen Gefährten.

Ihr schwacher Ruf verklang unter dem Krachen der Flinten hoch vom Thurm, rings um den Thurm.

Jetzt war das Türkenmädchen am Nächsten – Demetri; – langsam, unter dämonisch befriedigtem Lächeln ihrer scharfen Züge erhob sie die gefesselten Hände und faßte das. Messer, das in dem Gürtel des Mainoten steckte.

Er vermochte nicht zu hindern, daß sie es hervorzog.

Dann beugte sie sich über ihn, – das Auge des Dämons haftend auf dem bangen starren Blick des Sterbenden. – –

Die gefesselte Hand stieß das Messer ihm zwischen die Zähne und bohrte es tief und immer tiefer bis zum Griff in den Hals des Maini's, die Zunge zerschneidend, die Röhren und Arterien des Lebens zerreißend.

Ein Strom dunklen Blutes quoll den zerschnittenen Hals herauf und floß über die Lippen; – auf diese bleichen und kalten Lippen, die frech und frevelnd die ihren entweiht, heftete der Dämon in Weibergestalt – der Vrokoklak – die seinen und tränkte sie mit dem Blute.

Dann erhob sie sich blutig und finster wieder auf die Knie und kroch zu ihrem zweiten Opfer.

[82] Andreas Zanet hatte mit stierem Auge das Ende seines Gefährten geschaut – der Todesschweiß der Angst perlte auf seiner Stirn, denn er zweifelte keinen Augenblick, den bösen Geist, den Vampyr vor sich zu sehen, der das Blut trinkt und die Seelen dem, ewigen Pfuhl überliefert. Aller Aberglauben seiner Religion füllte seine Seele und verzweifelnd sah er sich diesseits und jenseits verloren.

Die Vrokoklak war über ihm – sein Schicksal erfüllt – –

Lautlos, nur von den Schüssen der Stürmenden umdonnert, wiederholte sich die schreckliche Scene.

Dann kroch sie zurück, die junge schöne Megäre, das Pistol, das der verrätherische Geliebte von sich geworfen, unter ihrem Lager verbergend.

Fort und fort hörte sie die Schüsse um sich herkrachen – dann erhob sich plötzlich auf der Höhe des Thurmes ein lautes wildes Triumphgeschrei, das über den Lärm des Kampfes hinausgellte. Denn auf den Berghöhen im Westen zeigten sich starke Schaaren griechischer Krieger und begannen herabzuströmen. In ihrer Mitte flatterte die blaue Fahne mit dem weißen Kreuze.

Wie aus Verabredung schwieg für Minuten lang der Kampf an und aus der Kula.

Man konnte jetzt in größerer Nähe über den Bergen die Salven eines heftigen Gefechts hören, das die auf dem Rückzug begriffenen Schaaren des Generals Grivas an Abdi-Pascha lieferten.

Immer neue Abtheilungen quollen über die Bergkuppen, – von der Kula aus konnte man sehen, wie sie sich zum Angriff sammelten.

Deutlich konnte der General durch sein Fernrohr die Seinen erkennen – Anastasius Caraiskakis, den Czernagorzen Bogdan.

Vom Schmerzenslager des Pascha's her jagte Bote auf Bote, dem jungen Führer der Stürmenden den Befehl zum Rückzug zu bringen. Die steinernen Mauern der Kula trotzten seinem Zorn – die melancholischen Töne der gebogenen Hörner des Nizams gaben endlich das Signal zum Sammeln, und zähneknirschend führte der Emir die Seinen zurück zum Lager des Bey's, wo ihre Colonnen gegen die anrückenden Griechen Position nahmen.

An hundert Todte und Verwundete hatten die Türken in den drei Stürmen aus die Palanka verloren; zwölf Stunden lang hatte Grivas mit seinen acht Kriegern dieselbe gehalten! –

[83] Aus Aesten und Lanzen war schon früher eine Tragbahre gefertigt worden für den schwer verletzten Pascha. Auf dieser wurde er jetzt weiter geschafft, und langsam traten die Türken ihren Rückzug nach der Richtung des See's vor den andrängenden Griechen an und waren bald im Rücken der Palanka. In einiger Entfernung nahmen sie eine günstige Stellung ein und begannen von hier aus mit ihrer einen Kanone die Griechen ziemlich unschädlich in dieser Weite zu beschießen. Das andere Geschütz fiel in die Hände der Feinde, da es den Topschi's 1 nicht möglich war, es so rasch von dem Felsengrate zurück zu schaffen, doch konnte es von jenen nicht benutzt werden, da es ihnen an Minition fehlte.

Jubelnd warfen sich die verwundeten Mainoten auf die Barrikade, die sie gegen die Feinde geschützt, und noch ehe ihre Befreier den Felsenaufgang erreicht hatten, waren die Balken und Steine fortgeräumt, von den erstern der Uebergang über die Felsspalte hergestellt, in der noch die Leichen der Arnauten lagen, und Grivas mit den Mainoten eilte den Befreiern entgegen.

Es war wenig Zeit zu verlieren, denn Abdi-Pascha, der im Lauf des Morgens Verstärkungen aus Janina an sich gezogen, bedrängte hart den Rückzug der Griechen. Er hatte am Morgen den Posten des Capitani Caraiskakis angegriffen, als dieser eben erst durch den Knaben Mauro die Kunde von dem Leben seines Bruders und der Gefahr des Generals erhalten und eilig Boten nach dem Obersten Stratos gesandt hatte. Dieser bald darauf von dem Nizam Abdi-Pascha's und den Aegyptern von Arta her bedrängt, ohne daß General Tzavellas ihm zum Beistand eilte, schlug sich durch die Erstern, vereinigte sich mit der stark gelichteten Schaar des Caraiskakis, der bis Mittag sich am Kloster tapfer gehalten, und setzte mit ihm den Rückzug gegen Metzovo fort, Beide kaum noch hoffend, den General unter den Lebenden anzutreffen.

Um so größer war der Jubel und der Feuereifer der Griechen, als sie die improvisirte Fahne von der Brustwehr der Kula wehen und zugleich die Bedrängniß der Ihren sahen, und Caraiskakis hatte alsbald zum Angriff gerüstet, während Oberst Stratos noch auf den Berghöhen die Türken in Respekt hielt.

General Grivas übernahm nach einer kurzen freudigen Bewillkommung [84] seines Neffen sofort den Oberbefehl; und als ihm Anastasius und Bogdan sagten, daß sein Stiefneffe Nicolas in Janina am Leben, theilte er ihnen zu ihrem Staunen mit, daß derselbe den Heldenkampf der Verteidigung der Palanka mitgefochten und in wenigen Augenblicken sie selbst begrüßen werde. Ein Wink von ihm jedoch wehrte sie von der Palanka ab mit dem Bedeuten, daß Jener dort noch einen Auftrag allein zu vollziehen habe.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Während der General und seine vier verwundeten Mainoten zu den Freunden eilten, trat der junge Grieche in das Gefängniß Fatinitza's. Ein kurzer Blick auf die Maini's überzeugte ihn, daß sie todt, und näher tretend, kniete er an ihrem Lager nieder und durchschnitt schweigend die Bande an ihren Händen und Füßen.

»Fatinitza,« sagte er dann weich und stehend zu ihr, »höre mich, denn wenige Augenblicke nur sind mir und Dir zur Entscheidung vergönnt. Was ich gethan – meine Flucht, die Warnung an die Meinen – ich will es jetzt nicht verteidigen. Mein Bruder, mein Oheim waren unter den Bedrohten. Bei dem ewigen Gott, zu dem Christen wie Türken beten, ich konnte, ich durfte nicht anders, aber ich bin schuldlos an der Schmach, die Dich betroffen hat und bereit, sie mit meinem Herzblut zu sühnen oder zu rächen.«

Das Mädchen verharrte in ihrem verächtlichen Schweigen, ihr Blick war von ihm abgewandt.

»Höre mich, Fatinitza – wir sind Beide jetzt frei und im Schutz meines Oheims – folge mir nach Chios, wo meine Mutter ein kleines Eigenthum mir hinterlassen, fern von dieser Stätte und diesen blutigen Menschen. Folge mir und sei mein Weib.«

Dasselbe Schweigen.

»Fatinitza,« – flehte er verzweifelnd, – »so laß mich Dir folgen – ich will Dein Sclave sein, – Dich lieben – ich – will den Glauben Deines Propheten zu dem meinen machen, nur gegen mein Volk kann ich nicht kämpfen!«

Die Mirditin schaute ihn durchdringend an.

»Du brauchst den Glauben Deines Kreuzes nicht zu verrathen, meineidiger Christ,« sagte sie finster, – »Dein Weg geht dorthin – der meine dahin! Verlaß mich!«

»Fatinitza – höre mich!«

Er lag zu ihren Füßen.

[85] »Kannst Du vergessen,« unterbrach sie ihn mit finsterm Hohn, auf ihre zerrissenen Kleider deutend, – »Fatinitza, die man die Wölfin von Skadar nennt, und die eine Taube war gegen Dich, wird es nie! Ein Mal verzieh ich Dir den Verrath, denn ich liebte Dich! Jetzt hat meine Seele nur Haß für Dich und Deine Christenbrüder! Sieh hin – nicht an den Kugeln der Meinen starben die Beiden, Fatinitza's Hand sandte sie zur Hölle, ihre Lippen tranken ihr Blut, wie sie geschworen beim Grabe ihrer Mutter in furchtbarer Stunde. – Geh'! – Vier leben noch – Du bist der Fünfte, und wir sehen uns wieder!«

Er schauderte unter ihrem Auge und barg das Gesicht in den Händen. Endlich erhob er sich – überzeugt, daß jedes seiner Worte vergeblich wäre.

»So lebe denn wohl – Weib ohne Herz und ohne Vergebung – lebe wohl und möge Allah Dir gnädig sein, wie Gott meine Schuld mir an Dir vergeben möge. Ein Dämon hat mich in Deine Arme geführt, und ein Dämon, Du selbst, treibt mich von Dir. – In dem Vorderraum der Kula steht das Pferd des Arabers, – Nicolas Grivas ist kein Dieb an fremdem Eigenthum, – nimm es und kehre zu Deinem Vater zurück. In einer Stunde ist der Weg frei – ich werde sorgen, daß bis zu unserm Abzug Keiner den Thurm betritt, denn Bogdan, Dein Todfeind, ist unter den Meinen.«

Sie sah ihn kalt und verächtlich an und deutete nach der Thür, – noch einen Blick warf er auf sie, dann entfloh er.

Sie war wieder allein mit den Leichen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Allein war sie noch am Abend, als die ersten Sterne am Himmel zu funkeln begannen, denn Nicolas hatte sein Wort gehalten und jede Annäherung der Seinen an die blut- und fllichbeoeckte Kula verhindert. Ohnedies blieb den Griechen wenig Zeit dazu, denn der General Grivas setzte eilig den allgemeinen Rückzug nach Metzovo hin fort, wo er die Führer in Thessalien an sich zu ziehen und so verstärkt auf's Neue, den Türken die Spitze zu bieten hoffte, die ihn noch eine Strecke weit verfolgten. – –

Von der Höhe der Kula hatte sie den Abzug der Griechen und der Ihren verfolgt. Mit jenem raschen Uebergang des Tages zur Nacht, den die südlichen Länder bieten, wölbte sich über ihr bereits der dunkle Himmelsdom mit tausend blitzenden Sternen.

[86] Sie führte das Roß des Arabers hinaus aus dem Thurm und über den Felsendamm, auf dem noch die Leichen der Ihren der bergenden Erde harrten, in's Freie. Dort stand sie, an die Kruppe des Pferdes gelehnt, und schaute hinauf in die helle schöne Nacht, gleich als suche sie da mit den großen brennenden Augen Trost und Frieden, und die stürmisch schwellende Brust saugte gierig die kühle Luft des Abends, die Orangen- und Myrthendüfte, die der Windhauch der Gebirge von den elysäischen Gärten herübertrug.

Aber in dieser Brust blühte kein Paradies, schwarz und schwer wogte das Meer der Gedanken und Gefühle gleich dem acherontischen Strom, und in ihrem Herzen herrschten die Eumeniden, deren grauenvoller Altar einst wenig Meilen davon im pelasgischen Tempel von Paleassa, dem Paleste der Alten, an den acroceraunischen Küsten stand.

Einsam war sie und allein – sie wußte wohl, daß keine Heimkehr war zu den Ihren und daß selbst die Liebe des Vaters ihr nicht verzeihen durfte gegen die Sitten des Volkes, die streng und unnachsichtlich jeden Fehltritt des Weibes mit dem Tode bestrafen. Einsam und allein – verrathen von dem Geliebten, alle dämonische Gluth – allen dämonischen Haß allein im Busen tragend – kein Wesen auf der weiten Welt, das jetzt zu ihr stand, der Verlassenen, das Theil nahm an ihrem Kampf. – –

Und dennoch irrte sie sich! – Was raschelte durch die Oleander- und Myrthenbüsche und kam daher in langen Sprüngen und kos'te mit der lechzenden Zunge ihre Hand? – Scheitan, der Molosserhund, die treue Dogge, die den Wolf ihr ersetzt hatte, den Nicolas Grivas im Kampf für den Blutbruder ihr erschlagen.

Wenn der Albanese eine lange Reise antritt, wenn er auszieht, der Landsknecht des neunzehnten Jahrhunderts, der Schweizer des Morgenlandes, als Söldner zu dienen in den Corridors des Vatikans, im Schloß von Neapel, wie in den Serails von Bagdad, Cairo und Marocco, auf den Kreidewällen Malta's und in den Hallen der moldau-walachischen Bojaren, näht ihm sein Weib in seine Kleider einige Stücken von ihren eigenen Gewändern, so wie sie ihrerseits das, was ihrem Gatten am theuersten ist, bei sich behält. Diese Gegenstände hat sie immer unter den Augen, um daraus eine Vorbedeutung zu entnehmen. Bellt dann des Nachts ohne besondere Veranlassung sein Hund, so ist sie in bangster Sorge, denn sie weiß, daß er die Wehklagen seines Herrn erwiedert, der[87] eben in der Sandwüste von Tunis oder Palmyra gefangen genommen, oder vielleicht gar ermordet wird!

Um die Mittagszeit des Tages hatte die Dogge, die im Castro von Janina bei der stummen Sclavin Aejischa zurückgelassen worden, ein jammervolles Geheul erhoben, wie die Hunde thun, die den Sterbenden wittern, und ihre Pfoten hatten an den verschlossenen Thüren gekratzt. Da hatten die Wache haltenden Arnauten, das Omen achtend, die Thüren geöffnet, und hinaus und davon in mächtigen Sprüngen schoß die Dogge.

Als sie zu ihren Füßen sich schmiegte, mit jedem schmeichlerischen Zeichen der Treue und Anhänglichkeit, da wurde es zum ersten Male wieder warm um das Herz des wilden, verrathenen und geschändeten Mädchens, und sie beugte sich über den Hund und erwiederte seine Liebkosungen.

Dann bestieg sie das Roß und ritt langsam, von der Dogge gefolgt, das Thal entlang in der Richtung, wohin ihre Krieger gezogen – – – – – – – – – – – –

Die Truppen der Pascha's von Skadar und Janina hatten die Griechen noch eine kurze Strecke aus dem Wege nach Gozista und Metzovo hin verfolgt und sich dann nach Dervendzista zurückgezogen. Es war in der Nacht, als Fatinitza die Nähe des Dorfes erreichte, und an den weißen Gewändern erkannte sie, daß die Araber des Emirs die äußeren Posten hielten.

Sie näherte sich dem Einen und auf seinen Anruf antwortete sie, ohne sich zu erkennen zu geben und verlangte, den Emir zu sprechen. –

»Bist Du ein Kind des Propheten,« sagte der Araber, »so bleibe an jenem Feigenbaum und versuche nicht, Dich zu nähern, denn unsere Befehle sind streng. Der Emir wird in einer Stunde hier vorüberkommen, denn sein Haupt kennt den Schlaf nicht, wenn er auf den Fersen der Feinde ist und seine Seele ist traurig um den Verlust seiner geliebten Stute Eidunih.«

»Ich kann sie ihm wiedergeben.«

»Gesegnet sei alsdann Deine Hand. Aber bleibe, wo Du bist.«

Die Mirditin verweilte, in ihren Mantel gehüllt, stumm an der angewiesenen Stelle. Nach einer Stunde erschien in der That Abdallah ben Zarugah, und als ihm der Araber verkündet, daß ein Bote in der Nähe, der ihm seine Stute zurückbringe, eilte er hastig dahin.

[88] Im ersten Augenblicke erkannte er Fatinitza nicht, die ihr Antlitz in ihrem zerrissenen Schleier nach türkischer Sitte verborgen, und die Freude über das Wiederfinden seines geliebten Pferdes beherrschte ihn ganz.

»Du gehörst sicher zu den guten Geistern dieses Landes, Frau,« sagte er, »daß Du mir zurückgiebst, was ich verloren glaubte für immer. Wie kann Abdallah Dir danken dafür?«

»Sage mir, Sohn der Wüste,« entgegnete leise Fatinitza, »wie es Selim-Bey, meinem Vater ergeht?«

»Fatinitza?!« rief der Krieger erstaunt, denn auch er hatte mit den Andern in der Ferne die Gestalt Aphanasia's, der Frau des Primaten, unter den abziehenden Griechen für Fatinitza gehalten.

»Still, Araber – der Name sei todt für Deine Lippen. Ich gab Dir Dein Pferd, beantworte meine Frage.«

»Unglückliche,« sagte der junge Mann, »ein Zauber hat Deine Sinne verwirrt und Dich in die Arme der Christen geführt. Dein Vater ist zwar noch am Leben, aber tödtlich verwundet von jenem unglücklichen Sturz. Wir haben ihn nach Janina gebracht und ihn einem weisen Helim übergeben. Aber er hat einen Eid gethan bei seinem Bart, daß sein Auge die Reuige nicht wieder schauen will.«

Das Mädchen lachte grell aus. – »Die Reuige? – Kennt Selim-Bey die Tochter seines Fleisches so wenig? – Ich erwartete den Fluch meines Vaters und dennoch hätte Selim nicht also handeln sollen an seinem Blut. Lebe wohl, Araber, und wenn Du den Pascha noch lebend wiedersiehst – sage ihm: Fatinitza, die Wölfin von Skadar, Selim's Tochter, habe das Toskenblut ihrer Mutter in den Adern und werde leben, um sich und ihn zu rächen.«

Sie wandte sich zu gehen, doch der Araber hielt sie am Mantel zurück. Der Herabfallende zeigte im Mondlicht das Mädchen im Männergewand der griechischen Krieger; die Todten in und vor der Palanka hatten ihr Kleidung und Waffen zur Genüge geliefert.

»Harre noch einen Augenblick,« sagte der Emir. »Kann Abdallah ben Zarngah Etwas thun für Dich? Sein Herz ist bei Deinem Unglück.«

Sie nickte verneinend 2, dann, sich besinnend, deutete sie auf [89] den Hund. »Nimm Scheitan zu Dir,« sagte sie, »und bewahre ihn mir, bis ich ihn fordern lasse. Er ist treu, aber mir hinderlich auf dem Weg, den ich jetzt gehe. Werdet Ihr die Christen verfolgen?«

»Wir erwarten die großen Büchsen von Janina,« berichtete der Emir. »Wenn die Sonne zum zweiten Mal über jene Berge kommt, werden wir auf ihren Fersen sein. Nimm diesen Ring, Mädchen, er ist geweiht an der schwarzen Kaba von Mekka und ein Kleinod der Zarugah. Wenn Du ihn Einem meines Stammes zeigst, wird er Dir beistehen bis zum Tode.«

Sie nahm den Ring. »Lebe wohl!« – als er von dem letzten Gruß wieder empor schaute, war sie verschwunden. –


Am nächsten Mittag stand Grivas mit seiner stark geschmolzenen Schaar, die kaum noch Zweitausend zählte, vor den Thoren Metzovo's. Hier hatte nach längerem Streit der türkisch und griechisch gesinnten Partei die letztere die Oberhand behalten und öffnete dem General die Thore, der sich alsbald zum Oberherrn der Stadt machte und der Bevölkerung eine Steuer von 200,000 Piastern (10,000 Thlr.) auferlegte, die auch willig bezahlt wurde. Die größern Opfer jedoch, die Grivas nach zwei Tagen ihnen für die Sache des Freiheits-Kampfes ansann, indem er von den Notabilitäten und Reichen der Stadt die Darbringung ihrer silbernen und goldenen Luxusgegenstände als freiwillige Gabe verlangte, erregten Unzufriedenheit unter den Bewohnern.

Unterdeß rückte Abdi-Pascha auf die Nachricht von der Besetzung Metzovo's mit frischen Truppen und einer ziemlich zahlreichen Artillerie gegen die Stadt, und die Uneinigkeit unter den griechischen Führern sowohl in Albanien als Thessalien ließ sie den General nicht in der Behauptung dieses Knotenpunktes der Straßen nach dem Epirus, Macedonien und Thessalien unterstützen.

Am 18. April kam es vor Metzovo zu einem harten Treffen und Grivas wurde vollständig geworfen und gewann kaum Zeit, sich nach der Stadt zurückzuziehen, der für den nächsten Tag schon ein ernster Angriff drohte. Der General sah ein, daß er sich hier nicht länger zu halten vermöge, und er beschloß die Verwüstung der bisher blühenden und wohlhabenden Stadt und den Rückzug [90] gegen die Quellen, des Asprospotamos – des Achelaus der Alten, und Radartzi.

Es war am Abend des Schlachttages, als der General in den Straßen der Stadt das Schicksal derselben und den Befehl verkünden ließ, daß die Einwohner sich in der Hauptkirche versammeln sollten, die zugleich zur Aufnahme der Verwundeten, über 200 an der Zahl, gedient hatte. In Zeit von einer Stunde waren mehr als 4000 Personen in der Kirche und deren Umgebung versammelt, mit bleichen, angsterfüllten Gesichtern des Kommenden harrend.

In der Kapelle der Kirche, auf den Stufen des Altars lag in den Armen einer Frau ein schwer verwundeter Krieger, Anastasius Caraiskakis, der tapfere Capitano des Postens am Kloster der armen Heiligen. Eine Kanonenkugel hatte ihm im Treffen des Tages das Bein unter dem Knie zerschmettert und bei dem Mangel an ärztlicher Hilfe war die Amputation des Beines, die allein ihn hätte retten können, unterblieben. In seiner Nähe lagen zwei der tapfern und wilden Maini's die den Thurm von Protopapas vertheidigt: Hassan Stavro und Georg Mauromichalis, und im Kreise umstanden ihn seine tapfern Kämpfer, an seiner Seite Grivas und der junge Czernagorze, der mit Löwenmuth die Schlacht mitgeschlagen.

Kummer und Schmerz lag auf dem strengen Antlitz des Führers, als er sich niederbeugte zu dem verwundeten Neffen.

»Deine Krieger, Anastasius,« sagte er leise, »haben mich um die Erlaubniß gebeten, Dich auf ihren Schultern mit sich fortzutragen beim Aufbruch.«

»Wozu?« fragte ruhig der Kranke, »hast Du Thiere und Karren genug aufgetrieben, um alle unsere verwundeten Brüder mit mir fortzuführen?«

»Du weißt, daß es unmöglich ist; nicht den zehnten Theil Derer, die uns nicht selbst folgen können, vermag ich fortzuschaffen. Unser Rückzug muß eilig sein und in spätestens zwei Stunden beginnen.«

»Du kennst alsdann, was wir beschlossen,« sagte der Verwundete ernst, »und Du wärest nicht würdig, der Führer freier Männer zu sein, wenn Du schwanken wolltest in diesem Entschluß, weil Anastasius Caraiskakis Dein Neffe unter denen ist, welche Euch vorangehen.«

Der General schaute ihn schmerzlich an.

[91] »Dein Bruder Nicolas hat mich verlassen, nachdem die Jungfrau ihn uns kaum zurückgegeben. Er weigerte sich, zu kämpfen in unsern Reihen und ich ließ ihn ziehen. Du bist der Letzte meiner Anverwandten, der stets zu mir gestanden, und ich kann Dich nicht missen. Es ist noch Rettung für Dich, wenn wir den fränkischen Arzt erreichen, der den Capitano Chatzi begleitet.«

»Kann ich gehen?« fragte der Kranke.

»Nein.«

»Ist ein Krieger des Kreuzes besser denn der Andere?«

»Nein – aber«

»Willst Du mich lebend in die Hände der Moslems fallen lassen, die ihre Schmach von Protapapas zu rächen haben?«

»Bei der Panagia – eher will ich selbst sterben.«

»So geh', Oheim Grivas, und thue, was wir beschlossen. Diese elenden Feiglinge von Metzovo, die, wenn sie und die verrätherische Schaar von Hadschi-Petros tapfer zu uns gehalten, uns den Sieg verschafft hätten, mögen wenigstens die Mittel geben, den heiligen Kampf des Kreuzes fortzuführen. Geh!«

Der General erhob sich; in den Falten seiner Stirn lag jener kalte Entschluß, der vor Nichts mehr zurückbebt und dem ebenso die richtende Stimme der Mitwelt gleichgültig ist.

In der That haben auch selbst die griechischen Zeitungen 3 für die nachfolgend beschriebenen Handlungen – die wir keineswegs auch nur entschuldigen wollen, die aber eine furchtbare Nothwendigkeit veranlaßte – den General auf alle Weise angegriffen und herabzuziehen gesucht, wie viel mehr erst die westmächtliche Presse!

Der General trat in die Kirche auf die Stufen des Hochaltars, nachdem er einigen Capitani's Befehle gegeben. Ohne daß sie es merkte, wurde die in und vor der Kirche versammelte Menschenmasse von einer Chaine der griechischen Krieger umgeben. Mit wenigen Worten verkündete Grivas den ängstlich harrenden Einwohnern, daß er in zwei Stunden die Stadt verlassen werde, daß es aber seine Sicherheit erfordere, diese zum Theil zu zerstören. Dabei wiederholte er das Verlangen der Auslieferung alles Goldes und Silbers, da der Kampf für die Freiheit ein solches Opfer auf dem Altar des Vaterlandes fordere. Zugleich [92] wurden Tücher und Teppiche auf den Stufen ausgebreitet zur Empfangnahme dieser Gaben.

Dennoch flossen diese nur spärlich. Da, auf einen Wink des Generals, begannen die Klephten die Kirche zu räumen, indem sie die unglücklichen Einwohner, die natürlich bei der Nachricht von der drohenden Zerstörung der Stadt Alles, was sie an werthvollem, tragbarem Eigenthume besaßen, mit sich genommen, in kleinen Abtheilungen herausholten, sie alles Schmucks und aller Gold- und Silbersachen beraubten, und sie dann in die Stadt jagten, unbekümmert um das Zetergeschrei, das diese Gewaltthat verursachte.

Die Beute war ungeheuer. Bei der Fingerfertigkeit und Uebung der räuberischen Klephten war dieser erste – wir möchten sagen merkantile – Akt des furchtbaren Drama's in einer Stunde abgespielt. Dann begann der zweite, blutige.

In vollen Pontifikalibus, mit den Diakonen voran, bleich und zitternd vor dem schrecklichen Auftrag, der ihm geworden, aber gezwungen von den ihn mit den geladenen Gewehren umgebenden Kriegern, trat der Bischof von Metzovo aus der Sacristei und schritt zum Hochaltar. Hinter ihm drein wurden der verwundete Caraiskatis und die beiden Mainoten getragen und auf die Stufen zwischen die Haufen von Kostbarkeiten niedergelegt.

Eine lautlose Stille trat ein, dann sprach der General mit fester tiefer Stimme:

»Brüder des Kreuzes, die heute mit mir in der Schlacht gestanden gegen die ewig verfluchten Moslems, und verwundet in diesen Hallen liegen, ich fordere alle Die auf, die Kraft genug in sich fühlen, unserem Ausmarsch sich anzuschließen, ohne uns hinderlich zu werden, jetzt die Kirche zu verlassen und an das Thor von Larissa sich zu begeben.«

Mehrere, die leichter verwundet, oder von einer bangen Ahnung getrieben waren, erhoben sich und schwankten den Thüren zu. Die Reihen öffneten sich vor ihnen, ohne ihnen Hilfe zu leisten; Einhundertfünfundsechszig Verwundete blieben zurück. Auf einen Wink des Generals wurden sie sämtlich im Halbkreis um den Hochaltar gelegt.

Dann begann der Bischof eine Messe zu lesen. – Viele schauten sich befremdet an – es war eine Todtenmesse.

Mit feierlicher leiser Stimme sprach der Geistliche ein ehrwürdiger [93] Greis im Silberhaar mit langem weißem Bart, am Schluß den Segen über die Versammlung.

»Brüder!« sagte hierauf der General mit dumpfer zitternder Stimme, »unsere Zeit ist gekommen! Es ist unmöglich, Euch fortzuschaffen – mit blutendem Herzen verkünde ich's Euch – Ihr müßt hier zurückbleiben.«

Ein tiefes schmerzliches Aechzen ging durch die traurige Versammlung.

»Wollt Ihr den Feinden Eures Glaubens, den Tyrannen Eures Vaterlandes lebendig in die Hände fallen?«

»Nimmermehr!« rief mit festem Tone Caraiskakis. »Niemals!« wiederholten die beiden Mainoten an seiner Seite und »Niemals!« klang es von verschiedenen Seiten.

»Was wollt Ihr dann? – sprecht – meine Augenblicke sind gezählt!«

»Den Tod! – Den Tod von Bruderhand! – Den Tod für die Freiheit statt der Martern der Barbaren!«

Keine Stimme wagte den festen stolzen Worten des sterbenden Capitani's zu widersprechen, – der Stolz des Kriegers unterdrückte bei Vielen die bleiche Furcht.

»So sei es denn, und mögen Euch Gott und die Jungfrau gnädig sein und Eure unsterblichen Seelen in das Himmelreich aufnehmen. Amen!«

Und wiederum winkte er mit abgewandtem Gesicht dem Bischof und der Greis stieg herab, das Allerheiligste in der Hand, und begann mit seinen Diakonen die Reihen der Blutenden zu durchwandeln und ihnen die Sterbesakramente auszutheilen.

An der Seite seines Neffen kniete der General, Abschied von ihm zu nehmen für dieses Leben. An dessen andern Seite war Aphanasia, die Griechin, bleich und ruhig, die Hand des dem Tode sich weihenden Helden in der ihren. Mit Befremden blickte der General sie an, als sie nach dem Freunde gleichfalls die Hostie aus der Hand des Priesters empfing und ihre Lippen das heilige Blut berührten.

»Was thust Du, Frau? es ist Zeit, daß Du scheidest von dieser furchtbaren Scene. Entferne Dich – ich werde für Deinen Schutz Sorge tragen.«

Die Frau sah ihn trübe lächelnd an. »Das heilige Sakrament,« sagte sie ruhig und ernst, »das uns einst für das Leben vereinigen [94] sollte hat uns wenigstens zum Tode verbunden. Trenne die nicht nochmals von dem Manne ihrer Liebe, Grausamer, die Du von dem Manne ihrer Pflicht getrennt hast. Aphanasia Delanyi hat keine Wahl mehr, als zu sterben mit Anastasius Caraiskakis!«

»Wahnsinnige – denkst Du nicht an Dein Kind?«

»Du nahmst ihm den Vater – möge es auch die Mutter vergessen lernen. Bring' es an meiner statt den Meinen und möge die Jungfrau es segnen.«

»Vertraue mir das Mädchen, Frau,« sagte eine jugendliche Stimme an ihrer Seite, »ich werde es schützen mit meinem Leben, wie ich es auf dem Wege hierher geschützt.«

Es war Bogdan, der junge Czernagorze, der gesprochen und die unglückliche Griechenfrau nahm eine Perlenschnur von ihrem Hals und reichte sie ihm.

»Gieb sie dem Kinde und Gott lohne Dir, was Du an der doppelten Waise thust, denn ihr Erzeuger liegt unter den Todten vor der Palanka von Protopapas, wie ich vernommen habe.«

»Bei dem Haupte meines Vaters, das auf den Wällen von Skadar bleicht,« schwor der junge Mann, »Dein Kind soll einst das Weib des Hauptes der Martinowitsch werden, wenn mein Haus ihr genügt!«

Die Griechin nickte ihm freundlich zu und schloß den kranken Freund dann in ihre Arme, sich und ihn mit dem Chlamis umhüllend, und deutete dann nach dem Bischof.

»Unsere Zeit ist gekommen,« sagte sie, »mögen die Heiligen für Euch bitten, wie sie es für uns thun.«

Der greise Bischof wankte zurück nach der Sacristei, nochmals stehend die Hände gegen den General ausstreckend.

Vergeblich!

»Lebe wohl, Anastasius! lebt wohl, meine Brüder!«

Noch ein Mal stürzte er an seine blutende Brust, dann riß er sich empor.

Die dunklen Schatten der Nacht hatten sich während der heiligen Handlung auf das Gewölbe gesenkt, nur die ewige Lampe brannte in ihren silbernen Ketten und von dem Hochaltar leuchteten matt die heiligen Kerzen. Dicht zusammen gedrängt in Gruppen hatten sich die dem Tode Geweihten.

»Griechenbrüder,« fragte die helle Stimme des verwundeten Capitani's, »seid Ihr bereit?«

[95] »Wir sind es!« – Die Worte klangen dumpf und hohl.

»Heilige Jungfrau, erbarme Dich unser! Kreuz und Griechenland – Feuer!«

Die Salve der Klephten donnerte durch das Gewölbe der Kirche und zersprengte die Fenster – drei Mal wiederholte sie sich – dann ward Alles still – der letzte Schrei des irdischen Schmerzes war verstummt – einhundertsechsundsechszig Leichen mit der todten, ihrer Liebe gestorbenen Frau deckten die Marmorfließen der Kirche von Metzovo 4. –

Längst hatte der General sie verlassen und die wilden Klephten, die sich vom Tode seiner Opfer überzeugt, waren ihm gefolgt. Aus dem Pulverdampf, der das weite Gewölbe erfüllte, schlich eine einzelne Gestalt vom Altare her, ein junger Krieger in griechischer Tracht mit krausem entstellenden Bart, die Flinte in der Hand. –

Die ewige Lampe warf ihren falben Schein auf ihn, als er unter ihr hinschlüpfte, und wurde zurückgespiegelt von dem blitzenden dunklen Auge. –

Seine Lippen waren roth von Blut. –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das brennende Metzovo leuchtete dem Rückzug des griechischen Generals – viele Bewohner der unglücklichen Stadt, die Rache der siegenden Türken fürchtend, die entsetzlich wütheten in den christlichen Phistans des Gebirges, hatten sich ihm angeschlossen.

Ein griechischer Krieger, am Fuß verwundet und außerdem den rechten Arm in ein Tuch gebunden, war zurückgeblieben von dem Hauptzug und schwankte, auf die Schulter eines jungen Kameraden gestützt, langsam hinterdrein. Schon am Thor von Metzovo hatte dieser sich zu ihm gefunden und ihn hilfreich unterstützt. Es war derselbe, der zuletzt die Kirche verlassen.

Das Gehen hatte die Schmerzen der Wunde arger gemacht, nur langsam kam das Paar vorwärts. Dennoch verließ der menschenfreundliche Helfer den verwundeten Mainoten nicht.

»Bei der Panagia,« schwor dieser, »ich wollte, ich läge bei den erschossenen Brüdern in der Kirche von Metzovo, so sehr schmerzt mein Bein und so sauer wird mir der Weg. Die Heiligen mögen Deine Hilfe lohnen, Panagotti Zanetacchi aber wird ewig Dein Freund sein.«

[96] »Gieb mir Deine Waffen – sie belasten Dich,« sagte der Andere. Zugleich nahm er ihm die Flinte ab und hing sie um, ebenso die Pistole und den Handjar.

Wiederum wandelte das Paar längere Zeit dahin, nur von den einzelnen Schmerzenslauten des Verwundeten ward das Schweigen unterbrochen.

»Wohin führst Du mich? – wir sind von der großen Straße abgekommen und keiner der Nachzügler ist mehr zu sehen. Wir werden den Türken in die Hände fallen.«

»Ich bin in diesen Gebirgen zu Hause, tapferer Maini, und dieser Pfad kürzet die große Straße und führt über jenen Höhen uns wieder mit dem General zusammen. Stütze Dich auf mich.«

Eine halbe Stunde waren sie gewandert, dann warf der Mainote sich erschöpft auf den Boden.

»Du thust wohl daran, es ist Zeit, daß Du ausruhst.«

Der Mond schien hell auf den Berghang zwischen den dichten Büschen von Thymian, wildem Wein und Oleander – durch eine Oeffnung leuchtete in der Ferne noch immer das brennende Metzovo.

»Bis hierher,« sagte der Führer. »Es ist Zeit, zu enden.«

»Wie meinst Du das? – Willst Du mich hier verlassen?«

»Nicht ich, Mainote – aber Du mich.«

»Ich verstehe Dich nicht. Gieb meine Waffen zurück!«

Der Führer lachte hell auf, dann schleuderte er behende Flinte und Handjar in die dichten Büsche und trat, die Pistole in der Hand, vor den Erschrockenen, der sich auf den gesunden Arm aufrichtete.

»Kennst Du mich?«

»Wer bist Du? – sprich – bin ich in die Hände eines Verräthers gefallen?«

Wieder lachte der vermeintliche Grieche höhnisch auf, dann riß er mit einem Griff sich den falschen Bart voll Lippen und Wangen, den Feß vom Haupt, und die schwarzen Flechten eines Weibes rollten hernieder, Fatinitza's dunkle dämonische Augen blitzten schadenfroh den verwundeten Krieger an.

»Weib – Teufel – was willst Du von mir?«

»Frage Dein schwarzes Herz, Maini, und es wird Dir Antwort geben. Ich habe geschworen, Dein Blut zu trinken.«

»Dämon der Unterwelt – weiche von mir!«

[97] »Du mußt sterben, Maini, wie Deine Brüder gestorben sind von der Hand der Wölfin von Skadar. Zwei in jenem Thurme von Protopapas, auf der Stätte meiner Schmach – Einer im Schlachtgewühl vor Metzovo und Zwei in der Moschee des Christengottes. Fluch über sie! – Du warst der Letzte und bist der Letzte – bereite Dich zum Tode!«

Er wollte empor, doch sie hielt die Pistole ihm entgegen. »Du hattest wenigstens Mitleid mit meiner Schmach und warfst den Mantel über meinen entehrten Leib. Darum hab' ich Mitleid mit Dir und gönne Dir ein Gebet zu Deinem Propheten. Aber Keiner darf leben, der sich rühmen darf der Schmach Fatinitza's. Eile jedoch, die Geister Deiner Brüder erwarten Dich.«

Der Maini, jung und noch lebenskräftig und muthig, warf sich plötzlich empor und faßte die drohende Feindin. Einige Augenblicke dauerte das ungleiche Ringen, aber es gelang ihm nicht, ihre Hand zu erfassen. Während er ihren Leib noch umklammert hielt und sie zu Boden zu reißen suchte, fühlte er die kalte Mündung der Pistole an seiner Schläfe, – im nächsten Augenblick zerschmetterte der Schuß seinen Schädel, daß sein Gehirn das dämonische Weib bespritzte.

Diesmal schien sie selbst zu schaudern vor dem grauenhaften Anblick und wandte sich von ihm, ohne den Todten zu berühren.

»Sie sind dahin,« sagte sie dumpf, »und Fatinitza's Schmach ist gerächt! – Jetzt, Vater, der Du bereits im Schooß des Propheten weilst, gilt es die Sühne Deines Blutes und den letzten Kampf. Wehe dem Verräther!«

Sie wandte sich nach der Heimath.


Der Verrath Tzavellas's an der gemeinsamen Sache und die Eifersucht Hadschi-Petros's, von dem eine Schaar von 1000 Mann nahe dem Kampfplatz von Metzovo unthätig gestanden, weil sie sich dem Befehl des Generals Grivas nicht unterordnen wollte – rächten sich schwer. Am 25. April erlitt Tzavellas mit 3000 Mann durch Osman Pascha bei Peta eine vollständige Niederlage und mußte sich nach Griechenland zurückziehen. Fuad-Effendi zog in Janina ein; 8000 Gewehre, welche die russische Negierung für die Griechen in belgischen Fabriken hatte anfertigen lassen, und die bereits glücklich den größten Theil des Weges zurückgelegt, wurden [98] an der sicilianischen Küste von einem englischen Kreuzer aufgefangen und nach Malta gebracht; die albanesische Küste war von englischen Schiffen blokirt, im Golf von Volo an der thessalischen Küste schoß eine französische Dampffregatte mehrere, mit Freiwilligen besetzte griechische Schiffe in den Grund, und Damoko wurde von Salim-und Schiakir-Pascha entsetzt. Theodor Grivas mit 400 Kriegern hatte sich nach Agrapha zurückgezogen und gab den Kampf auf. Im ganzen Epirus waren die Türken Sieger.

Einen neuen Zuzug zwar erhielt der griechische Aufstand durch das Herbeiströmen der aus dem türkischen Gebiet ausgewiesenen Griechen, von denen allein 20,000 von Constantinopel und Smyrna auswanderten. Von Athen aus angefeuert und mit neuen Führern versehen, – Spiro Milio und Vlakopulos an der Gränze, Grizanos, Priovos, Giakas und dem kühnen Papakosta in der Provinz selbst, – stand ganz Thessalien bald wieder unter Waffen und mit 12,000 Kriegern dem neu ernannten Gouverneur, Ali Rizza Pascha und seinen 16,000 Mann gegenüber.

Doch alle Anstrengungen des kleinen Griechenlands scheiterten an der drohenden Stellung der Westmächte, die sich nicht entblödeten, selbst über die Abdankung des Königs Otto zu verhandeln. Fürst Danilo von Montenegro, der auf seine kühne Proklamation vom 10. März 5, von dem russischen Agenten Oberst Kowalewski [99] angefeuert, 8000 Krieger des Hochlands in Cettinje versammelt hatte, und ebenso Serbien, das bereits in voller Rüstung stand, wurden von Oesterreich gezwungen, neutral zu bleiben, und so der ganze große Aufstand der slavisch christlichen Völker, südlich der Donau, unterdrückt, der offenbar sonst der türkischen Herrschaft in Europa ein Ende gemacht und Rußland den Sieg gesichert hätte. Wir haben bereits gezeigt, wie Kaiser Nicolaus die Verbindung mit der Revolution im Norden der Donau und Save zurückgewiesen, sowohl um der eigenen Grundsätze, als um Oesterreichs Willen, das auf diese Weise seine Rücksicht lohnte. Die Karte von Europa hätte sonst sicher – nicht von der Seine, sondern von der Donau aus – eine andere Gestaltung gewonnen.

Fußnoten

1 Türkische Artilleristen.

2 Wir haben bereits erwähnt, daß unser Zeichen der Bejahung bei den Türken die entgegengesetzte Bedeutung hat.

3 Der Spectateur de l'Orient, Observ. Triest etc. etc.

4 Wir wiederholen es, die furchtbare That ist Wahrheit!

5 Der Aufruf lautet:

»Von uns, Danilo Petrowich, Fürst der Czernagora und der Brda, Gruß dem Capitain. Ich wünsche, daß auch wir Czernagoren jetzt, wie auch sonst immer, uns tapfer und heldenmüthig zeigen, gleich den Griechen und andern Nationen, gleich unsern stets siegreichen Gros- und Urgroßvätern, die uns als ihr Vermächtniß die Freiheit hinterließen, auf welche wir jetzt vor der Welt stolz sind. Darum will ich jene Soldaten kennen, welche früher conseribirt wurden, daß ich weiß, ob ich mich auf sie verlassen kann, und befehle Euch, Capitaine, daß jeder seinen Stamm versammle. Jeder Soldat sage freiwillig, ob er mit mir kämpfen will gegen den Türken, den verfluchten Feind unsers Glaubens und unserer Gesetze. Der Capitain verzeichne jeden solchen Freiwilligen und berichte mir darüber nach Cettinje. Das aber sage ich Jedem im Voraus, wer nicht beabsichtigt, mit mir des Todes gewärtig zu sein, den beschwöre ich bei dem großen Gott, er möge zu Hause bleiben, und wer mit mir dann ziehen will, der vergesse Weib, Kind und Alles, was er auf dieser Welt besitzt, und sage dies dem Capitain, daß er ihn einschreibe. Ich sage Dir, meine wackere Nation, und Euch, meine lieben Brüder, wer nicht mit mir sterben will, bleibe unbehindert zu Hause, denn ich weiß sehr wohl, daß ein Einziger, der freiwillig und muthig in's Feld zieht, besser ist, als Fünfzig, welche furchtsam von mir herziehen; darum fordere ich jeden wackern Mann, der ein muthiges und kein Weiberherz hat, und welcher nicht ansteht, für das heilige Kreuz, die rechtgläubige Kirche und das Vaterland sein Blut zu vergießen, auf, daß er mit mir theile Ruhm und Ehre. Sind wir denn nicht, theure Brüder, Söhne jener alten czernagorischen Sieger, welche drei türkische Veziere auf einmal bewältigen, welche französische Truppen schlugen und des Sultans Festungen mit Sturm nahmen? Sind wir keine Vaterlandsverächter, mißachten wir nicht den Ruhm unserer alten Helden, so versammeln wir uns und schlagen los im Namen Gottes! – Bleibt gesund.

Cettinje, 16. März 1854.«

Madara
[100] Madara.

Man kann sich unmöglich darüber täuschen, daß die, durch die politischen Verhältnisse hervorgerufene und von Petersburg befohlene schwankende Haltung der Russen in den Donau-Fürstenthümern und ihre anfänglich viel zu geringe Machtaufstellung das Schicksal des Donau-Feldzuges herbeigeführt haben. Erst nachdem die Absichten der Westmächte selbst der politischen Naivetät klar sein mußten, erhielt am 10. März Fürst Gortschakoff von Petersburg die Weisung, sich nicht länger auf die Vertheidigung des »genommenen Pfandes« zu beschränken, sondern die Offensive gegen das rechte Donauufer zu ergreifen und diejenigen Punkte auf demselben zu besetzen, welche allenfalls bei dem weiteren kriegerischen Vorgehen auf feindlichem Boden zu Pivots dienen könnten.

Die Wahl dieses Vorgehens hatte ihre besondere Schwierigkeiten, und man hat den erwählten Weg dem Fürsten Gortschakoff – indem man ihm nur das Talent eines tüchtigen Taktikers und Artilleristen läßt – zu einem großen strategischen Fehler gemacht. Es läßt sich indeß Vieles zu seiner Rechtfertigung sagen.

Mit einem Uebergang an der Gränze der kleinen Walachei, zwischen Rustschuk und Widdin, hätte die russische Armee die türkische allerdings zu einer allgemeinen Schlacht zwingen und durchbreche können. Es stand ihr dann, da die feindlichen Festungen dieser Operationslinie (Sistowa, Nikopolis, Rahowa) nur unbedeutend waren, die Hauptstraße im Isker Thal nach Adrianopel offen, und ein Monat hätte sie vielleicht dahin gebracht. Abgesehen aber davon, daß die Türken mehr denn doppelt so stark waren als 1828, und mit einer Artillerie versehen, die sich mindestens mit der russischen [101] messen konnte, war damit der Rücken und die rechte Flanke der schon damals sehr bedenklichen Haltung der Oesterreicher und ihrem angedrohten Einrücken in Serbien Preis gegeben, und die Verpflegung einer so bedeutenden Armee bei den grundlosen Straßen aus dem langen Landwege um so schwieriger. Die Küsten des schwarzen Meeres mußten auch hierbei von einem starken Corps besetzt gehalten werden, um eine Operation der Türken und ihrer Alliirten von dieser Seite zu verhindern. Der Aufstand in Griechenland und der erwartete in Montenegro waren noch nicht so weit gediehen, um davon bedeutende Hilfe hoffen zu können.

Der andere Weg war der schon in den frühern Feldzügen gewählte durch die Dobrudscha. Der strategische Plan des türkischen Oberbefehlshabers erleichterte sogar den Angriff auf diesen Punkt, indem Omer, auf die Flotten der Westmächte bauend, sein Hauptaugenmerk und seine Kraft nach der oberen Donau und Widdin-Kalafat geworfen, um die Verbindung mit Serbien und Rumelien zu hindern, und Mustapha-Pascha zur Besetzung der untern Donau und der Dobrudscha nur 10 Bataillone Nizam, 8 Bataillone Redifs, 3000 Baschi-Bozuk's und 4000 Reiter mit 48 Kanonen zur Disposition gestellt hatte. Bei dem Stoß gegen die Dobrudscha behielten zugleich die Russen stets ihre Basis an der Moldau und dem eigenen Gebiet.

Freilich fehlte ihnen diesmal gegen die früheren gleichen Feldzüge die Unterstützung ihrer Flotten und die Beherrschung des Meeres.

Dennoch wurde dieser Angriffspunkt gewählt und zunächst der Uebergang an vier Stellen bestimmt.

Mustapha-Pascha erhielt durch die zahlreichen Spione, die sich auch im russischen Lager befanden, bereits am 22. Nachricht von den beabsichtigten Operationen, konnte sie jedoch, obschon er aus sein dringendes Verlangen 6000 Mann Verstärkung erhalten, nicht hindern, da die russische Hauptarmee hier eine Macht von 90,000 Mann hatte 1.

[102] Am 20. ging Oberst Suroff mit einem Detachement von 2000 Mann durch die Donaufurt, 2 Meilen unterhalb Hirsowa, und setzte sich gegen die zum Schutze der Feste errichteten Schanzen in Bewegung. Sein rascher Angriff wurde durch das Feuer von Kanonenböten unterstützt, mußte aber, da die Türken wüthend kämpften, drei Mal erneuert werden. Am 21. waren die Schanzen genommen, am 22. begann die Cernirung, am 23. die Belagerung der Citadelle Hirsowa's. Am 30. Morgens wurde sie mit Sturm genommen, nachdem ein Theil durch das Bombardement ein Raub der Flammen geworden war.

Am 23. ließ der Oberbefehlshaber, Fürst Gortschakoff, nachdem am 22. bereits ein lebhaftes Feuer auf die bei Matschin errichteten türkischen Verschanzungen vom linken Ufer aus eröffnet worden, unter dem Schutz von 24 Zwölfpfündern und 6 Achtzehnpfündern eine Pontonsbrücke nach birago'schem System bei Ibraila über die Insel vor Gedschid an das rechte Donauufer, schlagen und setzte mit einem starken Corps über. Die Türken zogen sich nach Matschin zurück.

Gleichzeitig schlug General Lüders eine zweite Brücke von Galacz aus das rechte sumpffreie Ufer zwischen Matschin und Isaktscha und überschritt unter Kanonendonner den Strom mit dem Lublin'schen und Samoszki'schen Jäger-Regiment und den Infanterie-Regimentern Modlin und Bragasch, nebst Kavallerie und Artillerie.

An demselben Tage erzwang auch auf dem vierten Punkte General Uschatoff nach blutigem Kampf den Donauübergang von Ismaël aus, dessen weiße Mauern durch Byron's »Don Juan« gefeiert sind, oberhalbTultscha, und nahm die türkischen Redouten mit Sturm.

Am 24. wurden bereits Matschin, Isaktscha und Tultscha belagert. Die Besatzung von Matschin, das mit bedeutenden Proviant und Munitionsvorräthen versehen war, – etwa 6000 Mann – ergab sich am Morgen des 27., nachdem die Festung zwei Tage lang beinahe ununterbrochen mit Bomben beworfen und zwei Mal gestürmt worden.

Am selben Tage fielen Isaktscha und Tultscha, – die Russen befanden sich also am 30. im Besitz sämmtlicher festen Punkte an der Donau unterhalb des alten römischen Trajanswalles, der an dem schmalsten Punkt von der Donau zum Meere führt und an [103] der Erstern von Tschernawoda und Karassu, an der See von Küstendsche flankirt wird.

Mustapha Pascha mußte daher die Verteidigung von Babadagh – der Position im Innern der jetzt eingeschlossenen Halbinsel Dobrudscha, – so eilig aufgeben, daß sämtliche Vorräthe in die Hände der Feinde fielen, und sich auf den Trajanswall zuzückziehen.

Nachdem in den ersten Tagen des Aprils auch die Operationen gegen Silistria von Kalarasch aus begonnen, räumte der türkische General vom 6. bis 11. auch Tschernawoda und Karassu, und zog sich auf der Straße nach Basardschik zurück, so daß sich die Russen im vollen Besitz der obern Dobrudscha befanden. –

Kaiser Nicolaus hatte unterdeß den Veteran seiner Schlachten, den General-Statthalter von Polen, Feldmarschall Fürsten Paskiewitsch, auf den Kampfplatz beordert und diesem die obersten strategischen Anordnungen übertragen.

Der Fürst traf in den ersten Tagen des Aprils in den Fürstenthümern ein und nahm die einzelnen Stellungen der russischen Streitkräfte in Augenschein, zunächst vor Kalafat, das General Liprandi jetzt näher cernirt hielt, und wo in den letzten Tagen des März einige blutige Gefechte vorgekommen waren.

Aus dem Helden von Eriwan war aber auch ein Diplomat geworden – es galt nicht mehr, Schlachten zu schlagen, sondern auch zu fragen, ob sie geschlagen werden dürften?

Der Allianztractat zwischen Oesterreich und Preußen mußte dem Ersteren eine drohende Stellung in Bezug auf die Fürstenthümer geben, und obschon der preußische Kriegsminister, General Bonin, der offene Gegner der russischen Interessen, seinen undiplomatischen Erklärungen bei Berathung der Creditbewilligung auf die Beschwerde Rußlands bald darauf zum Opfer fiel, war damit die freie Hand Oesterreichs nicht beseitigt. Von den Tractat-Verhandlungen und der verabredeten Somnation gegen die fortdauernde Occupation der Fürstenthümer, hatte natürlich die russische Diplomatie zeitige Kunde und diese, so wie die Unterdrückung der Aufstände in Czernagora und den türtisch-griechischen Provinzen bewogen ihn, schon am 16. dem General Liprandi den Befehl zu ertheilen, die Cernirung Kalafat's aufzugeben und seine Streitkräfte auf das Ufer des, die kleine von der großen Walachei trennenden Flusses Aluta zurückzuziehen. Sofort wurden die Spitäler aufgehoben und der Belagerungspark [104] in Sicherheit gebracht. Am 23. sammelten sich bereits die Truppen in Krajowa und setzten am 25. ihren Marsch gegen die Aluta fort. Die Türken drangen sofort von Kalafat nach, setzten an mehreren Punkten über die obere Donau, und es kam, namentlich am Schyl, zu blutigen Gefechten, in denen meist die Türken Sieger blieben.

Am 16. hatte ein bedeutendes russisches Streifcorps die Donau bei Oltenitza passirt, wurde aber gleichfalls durch die Bajonnetangriffe der Türken zurückgeworfen.

Auch in der Dobrudscha war es zu harten Kämpfen gekommen, und General Lüders wurde in einem blutigen Gefecht bei Tschernawoda am 20. nach einem sechsstündigen Kampf geschlagen und verlor an 500 Todte, 250 Gefangene und 15 Kanonen. Doch mußten die Sieger vor der anrückenden Hauptcolonne der Russen wieder weichen. An der oberen Donau schlug Sali-Pascha die Gegner bei Turnul und Nikopoli, Suliman-Pascha erstürmte Radowan, so daß Ende des Monats die Türken Herren des grüßten Theils der kleinen Walachei waren. –

Am 27. April war Fürst Paskiewitsch in Kalarasch eingetroffen und die Bewegungen zur Cernirung von Silistria, in der letzten Hälfte des April von General von Schilder begonnen, concentrirten sich. Nachdem die Verbindung zwischen Kalarasch und den Donauinseln hergestellt worden, beschossen die Russen die türkischen Uferbatterieen und die türkische Flotille vor Silistria. Die Festung, die zwar 179 Geschütze, aber keine Feldbatterie zur Disposition hatte, wurde von Mussa-Pascha anfangs mit mir 9000 Mann vertheidigt. Der Sirdar eilte daher, Verstärkungen von Schumla her hinein zu werfen und ein Theil der Corps aus Kalafat und Widdin wurde zum Ersatz eilig herangezogen.

Am 3., 4. und 5. waren bereits Truppen der Westmächte in Varna eingetroffen.

Nachdem wir hiermit die Kriegsereignisse im Allgemeinen bis zum Mai nachgetragen, nehmen wir den Faden unserer Erzählung wieder auf.


Es war in der ersten Hälfte des köstlichen lieblichen Mai, des Wonnemonds, von dessen Wonne und Köstlichkeit wir Nordländer gewöhnlich Nichts erfahren und von dein wir allein die Erinnerung haben, daß der Hexentag auf dem Blocksberg ihn eröffnet.

[105] Anders ist es im Süden – da quellen die Wonnen wirklich aus Busch und Strauch, von Matte und Baum, von Thal und Berg, da öffnet die Natur in voller Milde und Lieblichkeit den Busen, und der balsamische Hauch des neuen Blumenlebens, die milde Luft des blauen Himmels schwellt die Herzen.

Der helle Mondschein goß sein Licht über eine rauhe wilde Gegend am Paß nach Ternowo aus der Höhe des Gebirges. In tiefen Uferwänden sprudelte ein lebendiger kleiner Gebirgsfluß, – üppiges Rankengewächs überdachte die springende von Stein zu Stein fallende klare Fluth, kolossale Felsblöcke rahmten das Ufer ein und zogen sich bis zur hohen Basaltwand, die, mit dichtem Gesträuch bekleidet, emporstieg. Ahorn-, Wallnuß-, Feigen- und Maulbeerbäume, umrankt und verbunden durch den kleinblättrigen wilden Wein füllten mit ihrem frischen Laub die Umgebung, und ihre Blätter zitterten und spielten in phantastischen Effecten, bald im Mondstrahl, bald im langen Lichtschein, der von einer Stelle zwischen zwei mächtigen Feldstücken hervorbrach. Dort lagerte um ein Feuer eine bunte Gesellschaft, wie sie die wilden Verhältnisse des Gebirges und der Zeit zusammengeführt – eine Anzahl Männer und zwei Frauen, letztere hinter dem Kreis der Männer mit einem jungen Mohren an den Resten des Mahles beschäftigt, das ihre Herrn und Gebieter eben gehalten.

Acht oder neun der wilden Gestalten, die um das Feuer saßen, behaglich den Schibuk im Mund und von Zeit zu Zeit die Rakihflasche im Kreise umhergehen lassend, gehörten offenbar ihrer Kleidung und Bewaffnung nach zu den freien Bewohnern der Berge, den kühnen und unermüdlichen Feinden der Türken, den Haiducken, mit den weißen wollenen Röcken und dem in zwei lange Flechten geheilten Haar des Hinterkopfes. Um so mehr fiel zwischen ihnen, und augenscheinlich ihnen befreundet, die Gestalt eines greisen Moslems auf, in blauen weiten Halbbeinkleidern und rothen Strümpfen, blauer Aermeljacke und einer hohen, oben breiten, weißen Mütze, mit dem langen rothen Sack. Wer vor dem Juni 1826 Constantinopel besucht, kannte die Tracht sehr wohl, – es war die der Ienethtschjeri oder Janitscharen, der alten gefürchteten Krieger des Reiches.

Zur Seite des Buluk-Baschi's oder Capitains der Haiducken, saßen zwei Europäer, Doctor Welland, der Arzt des Lazareths von Widdin, und ein französischer Genie-Offizier, Capitain Depuis, [106] aus der Begleitung des Seraskiers, der in letzter Zeit wieder nach Kalafat gekommen war, um die Verschanzungen gegen die vorrückenden Russen zu verstärken.

Beide waren, bei dem Rückzug der Russen von Kalafat und der Auflösung der dortigen türkischen Stellung, auf dem Marsch nach der ersten Bestimmung des Arztes, nach Silistria, begriffen und hatten den Weg durch die Gebirge auf Schumla eingeschlagen. Ihre heutige Tagereise hatte jedoch bereits am Nachmittag ein unerwartetes Ziel gefunden, denn der Saptieh, jene Sorte türkischer Spitzbuben von Gensd'armen, die als bewaffnete Wachen und Wegführer den Reisenden von Station zu Station begleiten, gewöhnlich aber, wenn ihnen nicht ein größerer Vortheil durch die Ehrlichkeit in Aussicht steht, mit den Räubern des Gebirges zur Plünderung ihrer Schutzbefohlenen im besten Einvernehmen stehen, hatte sie auf Nebenwege geführt, eine Sache, die bei dem Zustande der Straßen in der Türkei leicht genug ist, und bei dem Erscheinen eines kleinen Truppes von Haiducken spurlos verlassen. Ein Widerstand der beiden Männer und ihrer zwei Diener gegen die wilden Söhne des Gebirges hätte nur nutzlos ihr Leben gefährdet, und so machten sie sich bereits auf eine vollständige Ausplünderung gefaßt, als zu des Arztes Verwunderung der Mohrenknabe Nursah den Anführer der Haiducken anrief und nach einer kurzen Besprechung in türkischer Sprache zu seinem Herrn führte.

»Du bist der fränkische Hekim-Baschi, der in der Lokanda des Slowaken Alexo zu Widdin gewohnt hat?« fragte der Capitano.

»Ja. Kennst Du mich?«

»Ich habe Dich oft gesehen, wo Du mich nicht sahest, und weiß, daß Du ein Bulgare und unser Freund bist. Ich bin Michael Miloje, der Schwiegersohn des Handscha Gawra vor dem Thore Widdin's, und weiß, daß Du der Mutter meines Weibes beigestanden in schwerer Krankheit, und für den Handscha gesprochen hast bei dem Vali 2 von Widdin. Sei mir gegrüßt, Bruder, Du und die Deinen, Ihr seid sicher unter dem Schutz Miloje's und werdet seine Gastfreundschaft nicht verschmähen.«

Obschon der Arzt sich des Haiducken nicht erinnerte, war die unerwartete Umwandlung desselben in einen Freund doch viel zu willkommen, um sie nicht mit beiden Händen zu ergreifen, und wiewohl [107] die Reisenden gern ihren Weg fortgesetzt hätten, mußten sie sich doch bequemen, die gebotene Gastfreundschaft des Haiduckenführers anzunehmen und ihn in das Innere des Gebirges zu begleiten.

Die kleine Karavane wandte sich demnach unter Führung Miloje's auf ungebahntem Weg zwischen Felsen und Gestrüpp nach der Höhe der Berge und kam nach einem Marsch von etwa einer Stunde auf dem prächtigen Felsenhang an, auf dem die Schaar ihr fliegendes Lager aufgeschlagen und von wo sie in einzelnen Streiftrupps die jetzt sehr belebte Straße durch die Pässe belästigte und häufig selbst größeren Abtheilungen der Türken ernste Scharmützel lieferte.

Da fast alle Mitglieder der Gesellschaft auf solchen Streifereien nach der Niederung entfernt waren, fanden sie unter den von Strauchwerk, Fellen und Stangen flüchtig errichteten Hütten nur Marutza, jetzt die Frau des Führers nach der kühnen Entführung, und das Weib eines anderen Haiducken, nebst dem oben beschriebenen alten Janitscharen und einem anderen Mann.

Alsbald wurden Anstalten zum Mahle gemacht, das aus dem unvermeidlichen Nationalgericht, dem Gaourt (geronnener saurer Milch) und der Hälfte eines in einer Grube zwischen Steinen gerösteten Schafes bestand. Hier, in den Oeden des Gebirges, hörten die Reisenden die neuesten Nachrichten von dem augenblicklichen Schauplatz der Kämpfe.

Mit Triumph erzählte der Bulgar von der Uebergabe Matschins mit einer frischen Garnison von 6000 Mann und guten Wällen an seine Freunde, die Russen. Im ganzen Volke und selbst in der Armee war damals die Fabel verbreitet, daß Omer-Pascha eine ungeheure Belohnung von den Russen bekommen, um Kalafat an sie zu verrathen, und daß eben deshalb Achmet-Pascha, sein Freund, so träge und thatenlos sich in den großen Verschanzungen gehalten habe. Der Plan sei aber dadurch vereitelt worden, daß man außerhalb der Schanzen einen Brief Achmet's an den russischen General gefunden, worin er diesem die Stunde angab, in welcher ihm Kalafat überliefert werden sollte. Stender-Pascha, Mustapha-Pascha und Ismaël-Pascha hätten sich dein Verrath widersetzt, und so sei Omer genöthigt worden, seinen Freund Achmet im Kommando durch Halim-Pascha zu ersetzen und ihn als Generalstabschef zu sich nach Schumla zu berufen, worauf er alsbald die [108] Russen am andern Ende der Donau bei Matschin in's Land gelassen habe. In dieser Weise wurde die kluge Defensive des Muschirs in der ganzen Türkei ausgelegt und von seinen vielen Feinden in der alttürkischen Partei selbst in Constantinopel verbreitet. Es ist bekannt, daß sein erbitterter Gegner Riza-Pascha auf die Nachricht von der Einnahme Matschins ein Gastmahl gab und sie seinen Gästen mit den Worten verkündete: »Ich habe es immer gesagt, der Dschaur wird uns die Dschaur's in's Land herein lassen!« –

Da Welland während des Jahres seines Aufenthalts in der Türkei bereits ziemlich gut die türkische Sprache erlernt hatte und auch der lustige französische Capitain das Kauderwälsch der Lingua Franca einigermaßen handhabte, ging die Unterhaltung ziemlich geläufig von Statten. Der Arzt und der Franzose mußten von den fernen Ländern erzählen, denen sie angehörten, und der Erstere benutzte die Gelegenheit, möglichst viel von den Sitten und Gebräuchen des Volkes zu erfahren, unter welches das Schicksal ihn geführt.

Ihm gegenüber saß ein Mann im mittleren Alter, dessen keckes, mit mehr als einer Narbe bedecktes Gesicht von dem abenteuerlichen Leben zeigte, das er geführt, und den die Fremden bei ihrer Ankunft im Lager dort und im Gespräch mit dem alten Janitscharen gefunden hatten. Er sprach fertig italienisch und seine Reden zeigten, daß er weit in der Welt umher gekommen. Auf sein Befragen erfuhr der Doctor, daß er einer jener Kiradschia's sei, gewöhnlich geborene Bulgaren, die als Agenten, Hausirer oder Spediteure der Großhändler alle Provinzen durchstreifen und bis nach Syrien, ja bis zum Kaukasus hin Waaren an bestimmte Handlungshäuser befördern und von da auf ihren kleinen Balkan-Pferden oder Kameelen neue Ladung mitbringen, häufig auch Hausirgeschäfte auf eigene Hand machen. Diese Menschen zeichnen sich durch eine erprobte Ehrlichkeit aus; eher könnte man die Sonne von ihrer Bahn ablenken, als die Kiradschia's von dem Wege des Rechts, das heißt jenes Rechts, das unter diesen Völkern als solches gilt, denn sie kaufen und vertreiben eben so gern die ›ehrlich‹ erworbene Beute der Räuber, was freilich nach unsern Begriffen für Hehlerei angesehen werden würde. Als weit gereiste Leute haben sie immer höchst interessante Abenteuer zu erzählen: bald serbische, walachische und moldauische Hofintriguen, bald Klatschereien [109] von den Höfen zu Cairo, des Pascha's von Bagdad und der Drusen- und Maronitenhäupter; bald wilde Räuberzüge und Kämpfe am Kuban oder aus den Oeden der arabischen Wüste; kurz, sie sind das Orakel der Dorfbewohner und die Vorsehung der umherstreifenden ›Freien‹ im Balkan wie am Libanon. Sie kaufen zu ehrlichen Preisen ihren Raub und liefern ihnen Pulver, Waffen und alle sonstigen Bedürfnisse.

Paswan, der Kiradschia, war seit einer Woche bei der Bande des Michael Miloje, und seine Vertraulichkeit mit allen Mitgliedern zeigte, daß er hier ein häufiger, sein wohlgefülltes Gepäck, daß er ein willkommener Gast sei. Er wollte am andern Morgen zugleich mit den Fremden aufbrechen und diese bis Schumla begleiten, und erzählte jetzt bei dem Keff 3 um das Feuer von seinen Wanderschaften.

Ein zufälliges Lüften seiner Kopfbedeckung hatte den Fremden gezeigt, das; er sein linkes Ohr eingebüßt, und der Blick danach war den scharfen Augen des Kiradschia's nicht entgangen.

»Ihr müßt nicht denken, Franken, ich sei aus eine schlimme Weise darum gekommen,« sagte er. »Es ist ein Andenken an diese Berge und meine Knabenzeit, und wenn's Euch gefällt, will ich Euch erzählen, warum ich Paswan der Einohrige heiße.«

Der Arzt und der Offizier baten um das Abenteuer und der Hausirer begann:

»In den Felsenklüften des Balkan wohnt neben dem Eber, dem Hirsch und dem Wolf auch der Bär, und er ist für die zahlreichen Hirten unseres Landes das gefährlichste Thier. Er ist der Feind des Bulgaren, denn wenn er ein Rind oder ein Pferd zu Boden reißt, so muß der Bulgare es dem Spahi ersetzen. Schon von meiner frühesten Jugend an half ich meinem Vater die großen Heerden hüten, die seiner und eines seiner Vettern Aufsicht von dein Kiaja anvertraut waren. Unser Vetter hatte einen Knaben, der in meinem Alter war, – ich hatte dreizehn Winter gesehen, – wo er jetzt ist? Gott allein weiß es, und wir Beide hüteten gewöhnlich gemeinschaftlich eine Heerde von Pferden an dem nördlichen Abhange des Gebirges, von dem der Osma herabströmt, eine Tagereise von Ternowo, der heiligen Stadt unseres Landes, wo die Gräber sind unserer letzten Krals.

[110] Seit einiger Zeit hatte eine Bärenfamilie, die in der Tiefe des Gebirges ihr Lager zu haben schien, den Heerden unseres Celo arg zugesetzt und bereits mehrere Pferde zerrissen. Vergeblich waren alle Streifzüge, welche die Männer der Gegend nach den Schluchten unternommen hatten; eines Abends aber kam, während ich mit meiner Heerde am Fuße der Berge weidete, Weliko, mein junger Vetter, aus seinem besten Schimmel angejagt und ich konnte schon an seinem frohen Aussehen merken, daß er eine besondere Kunde auf dem Herzen habe. Er war am Morgen in's Gebirge geritten, um eine entlaufene Stute wieder aufzusuchen. – ›Paswan,‹ sprach er zu mir, indem er vom Pferde sprang, ›wenn Du Muth hast, so können wir das Schußgeld für einen Bären verdienen. Aber Du mußt mir versprechen, daß Du keiner menschlichen Seele davon ein Wort sagst, sonst behalte ich für mich, was ich gesehen habe.‹ – Ich schwor ihm dies bei der Sweta-Horata hoch und theuer, und der Junge, er war kaum ein halbes Jahr älter als ich, erzählte mir nun, daß er ganz nahe an unseren Weideplätzen zufällig auf einem Felsen das Lager eines Bären entdeckt habe, das unsere Jäger so weit im Gebirge gesucht hatten.

Er hatte bei dem Suchen des Pferdes den Bären gesehen und war ihm gefolgt, bis er sich sicher überzeugt, daß das Thier sein Lager gefunden. Aus die Klauen eines erwachsenen Bären waren damals von der Regierung des Paschaliks 50 Piaster gesetzt, auf die der Jungen die Hälfte; außerdem hatte das Fell einen guten Preis, und wir Burschen glaubten in unserer Dreistigkeit, uns das Geld so gut verdienen zu können, wie ein alter Jäger, und machten danach unseren Plan, indem wir beschlossen, am anderen Tage das Lager aufzusuchen.

Die Heiligen seien mir gnädig, aber ich war damals ein wilder Bube. Mein Vater hatte eine alte Trombole in seiner Hütte – er ist längst im Paradiese, wie mir der Popa gesagt, der mich schwere Dukaten dafür zahlen ließ! – und Niemand achtete mehr darauf. Weliko, mein Vetter, übernahm es, seinem Vater Pulver und einige Kugeln zu stehlen, während ich das Gewehr bei Seite zu bringen versprach. Nachdem wir Alles auf's Beste verabredet, trennten wir uns; ich trieb meine Pferde in den Pferch und es gelang nur glücklich, die Trombole wegzubringen und in der kleinen Hütte von Weidengeflecht zu verbergen, in welcher ich gewöhnlich mitten unter den Pferden die Nächte zubrachte. Als [111] ich am andern Morgen mit Hilfe meines Vaters die mir überwiesene Heerde ausgetrieben und dieser sich mit der seinen nach der andern Seite entfernt hatte, kehrte ich rasch zurück und holte mir das Gewehr. Es war um Mittag, als Weliko zu mir stieß, der einen andern Buben beredet hatte, während unserer Abwesenheit die Pferde zu beaufsichtigen und sie nötigenfalls heimzutreiben. Wir machten uns daher sofort aus den Weg nach der Richtung, in der Weliko das Lager des Bären wußte, ohne daß eine menschliche Seele weiter von unserem Anschlag erfahren hatte. Unterwegs luden wir das Gewehr mit dem ganzen Pulver, das mein Vetter gestohlen, und zwei Kugeln, und füllten die Mündung außerdem bis an den Rand hinauf mit Kieselsteinen an. Triumphirend schleppten wir die Waffe auf unseren Schultern und stiegen so die Berge und Felsen hinauf. Die Sonne war bereits stark im Sinken, als wir uns endlich dem von Weliko bezeichneten Platze näherten. Der Felsen, auf dem er sich befand, war ziemlich hoch und mit dichtem Gestrüpp und Buschwerk bewachsen. In diesem krochen wir fort, bis wir eine ziemlich freie Stelle erreichten, wo mich Weliko festhielt und, nach dem Hintergrund zeigend, an dem eine hohe Felswand den Platz abschnitt, mir zuflüsterte, daß dort das Lager der Bären sei. Wir lauschten eine Weile, ohne indeß eine Spur von der Bärin zu merken, und faßten endlich Muth genug, uns naher an das Lager zu wagen. Hier trafen wir richtig in einer Vertiefung des Felsens und in einem von Buschwerk und Gras förmlich zusammengebauten Nest zwei junge Bären, etwa sechs Wochen alt, die munter wie Kätzchen mit einander spielten. Wir beriethen, ob wir nicht lieber mit diesem Fang uns begnügen und eilig das Weite suchen sollten, und waren schon dazu entschlossen, als uns ein leises Brummen vom Fuße des Felsens herauf die Gewißheit gab, daß die Bärin in der Nähe und uns also der Rückweg abgeschnitten war. Es blieb uns demnach Nichts übrig, als an unserm ersten Plan festzuhalten und nach der Bärin zu schießen. Wir sahen uns zunächst nach einer geeigneten Stelle um, von der wir unbemerkt das Thier belauschen und unseren Schuß anbringen könnten, und glaubten eine solche hinter einem Felsblock gefunden zu haben, an dessen Seiten ein junger Wallnußbaum in die Höhe wuchs. Schon vorher war großer Streit zwischen uns gewesen, welcher von uns Beiden den gefährlichen Schuß thun solle; ich behauptete, das Anrecht darauf zu haben, [112] weil ich das Gewehr geschafft, Weliko dagegen, weil er Pulver und Blei geliefert und der Aeltere war. Trotz unserer wenig sicheren Lage zankten wir uns daher jetzt auf's Neue, als plötzlich ein lautes Brummen, eben nicht mehr sehr weit von uns entfernt, dem Streit ein Ende machte, und ich erschrocken das Gewehr fahren ließ, das in Weliko's Händen blieb. Wir waren kaum hinter das Felsstück gekrochen, als wir von der anderen Seite die Bärin herauftraben sahen, die zuerst nach ihren Jungen ging, gleichwie eine Baba besorgt nach den Kindern schaut, dann aber schnüffelnd auf unsern Versteck zukam. Ich rief Weliko zu, fest zu zielen und sich nicht zu übereilen; doch die Furcht mochte ihn in diesem Augenblicke auch wohl stark erfaßt haben, und die Trombole entlud sich alsobald mit einem großen Knall und mit einem durch die unvernünftige Ladung so heftigen Stoß, daß er uns Beide, die wir dicht an einander kauerten, zu Boden warf. Der Bär zuckte zusammen und hob sein linkes Vorderbein in die Höhe, das von dem, Schuß ganz zerschmettert war; außerdem hatten wir ihn aber auch nicht weiter verletzt. Zugleich sprang Weliko auf, warf die Flinte von sich und begann so eilig als möglich das Felsstück und den jungen Wallnußbuam hinaufzuklettern; ehe ich aber noch aufstehen und ihm folgen konnte, war das Thier bereits zur Stelle und hob sich an den Hinterfüßen an dem Baum empor. Sie können denken, daß dies nicht wenig dazu beitrug, die Schnelligkeit meines Vetters zu vermehren, der mich so kläglich im Stiche ließ. Meine Lage war in der That schlimm genug, denn jede Bewegung mußte sofort die Aufmerksamkeit der Bestie aus mich ziehen. Der Bär gab auch bald den Versuch auf, den Baum zu erklettern, wahrscheinlich, weil er mit seiner zerschossenen Pranke nicht fort konnte, und er wandte sich nun gegen mich. In diesem Augenblicke, Gott allein weiß es, wo ich ganz rath- und hilflos war, fuhr mir plötzlich die oft gehörte Erzählung durch den Sinn, daß der Bär nie einen todten odemlosen Menschen berühren soll, und indem mich das Thier bereits mit der Schnauze anstieß, beschloß ich, mich todt zu stellen und hielt den Athem an. Die Bestie stellte sich nun quer über mich und begann mich von oben bis unten zu beschnüffeln. Ich konnte, indem ich die Augen geschlossen hielt, den heißen Athem des Thieres und seine feuchte kalte Schnauze auf meinem Gesicht fühlen, und mir mit Anstrengung aller Willenskraft gelang es mir, die Augen geschlossen zu halten. Schon fing [113] die Kraft, den Athem zu halten, an, mir auszugehen, als ich mich plötzlich von der gesunden Tatze der Bestie gestoßen und mich um und um gerollt fühlte. Dies wiederholte sich mehrere Male, bis mir die Luft völlig ausging und ich es nicht länger auszuhalten vermochte. Ich öffnete daher zugleich Mund und Augen und sah mich zu meinem Entsetzen dicht am Abhange des Felsens, der hier in einer fast senkrechten Wand wohl über 50 Ellen tief in eine Schlucht fiel. Das boshafte Thier hatte, keinen Athem an mir spürend und dennoch mißtrauisch, versucht, mich mit seiner gesunden Tatze an den nahen Abhang zu rollen und gab mir eben den letzten Stoß, der mich hinunter werfen sollte. In der Todesangst faßte ich zu und ergriff im Fallen glücklich die wunde Klaue der Bärin. Der Ruck meines Falles war so heftig, daß ich meinen dicht am Abgrund stehenden Feind mit hinunter riß und er nur noch Zeit hatte, sich mit der rechten gesunden Klaue an einer vorlaufenden Wurzel des Randes festzuklammern. Er brüllte grimmig vor Schmerzen in dem wunden Bein, an dein ich mich festhielt, und versuchte vergeblich, nach mir zu schnappen, oder mit seinen Hinterfüßen an der glatten Felswand einen Halt zu fassen; während dem gelang es mir, mit den Beinen und Armen den Rücken des Bären zu umklammern, und so einen bessern Halt zu gewinnen. Ich rief Weliko aus allen Kräften zu, mir zu Hilfe zu kommen, sah ihn aber nur von dem Wipfel seines Baumes herunterrutschen und hörte ihn dann eilig davonlaufen, ohne auch nur den geringsten Versuch zu machen, mir in meiner gefährlichen Lage beizustehen. Der Bär bemühte sich nun, mit seiner linken Pfote gleichfalls den Felsrand zu fassen, doch ließ ihn der Schmerz der zerrissenen Muskeln nicht dazu kommen. Dagegen sah ich, daß seine Kraft unmöglich lange die doppelte Last an einer Tatze würde tragen können und glaubte uns Beide in wenig Augenblicken schon zerschmettert auf dem Grunde der Schlucht. Meine Augen rollten in der verzweifelten Lage hilfesuchend umher, als sie plötzlich etwa 6 Fuß unter mir und etwas zur Seite auf einen dort aus der Felsenritze hervorgewachsenen, jedoch vom Sturm wenige Fuß über dem Boden abgebrochenen jungen Baum fielen. Ich begriff im Augenblick, daß hier die einzige Möglichkeit der Rettung lag, und ohne mich weiter zu bedenken, ließ ich mich an dem Körper des strampelnden und arbeitenden Thieres hinunter gleiten. Während ich den nach der Seite des Baumes hin gerichteten Hinterfuß umklammert [114] hielt, suchte die Bestie mich mit dem anderen von sich abzustreifen und riß mir dabei mit der Klaue das linke Ohr vom Kopfe, verletzte mich auch sonst im Gesicht und an den Armen, daß meine Kleidung ganz zerfetzt war, und das Blut aus vielen Wunden und Schrammen herausfloß. Dennoch gelang es mir, mit meinem Fuß den Stamm des Bäumchens unter mir zu erfassen und, mich allen Märtyrern empfehlend, ließ ich den Bären los und mich rittlings auf den neuen Stützpunkt niedergleiten. Der Stamm war glücklicher Weise zähe und fest genug, um den Stoß und meine Last zu tragen, und ich fand mich auf ihm reitend in einer, wenn auch nicht sehr bequemen, doch wenigstens vorläufig gesicherten Lage. Ich schaute nun nach meinem Feinde hinauf und bemerkte bald, daß, obschon von meinem Gewicht befreit, seine Kraft doch nicht mehr zureichte, ihn länger zu halten. Nach einem letzten verzweifelten Versuch, empor zu klimmen, ließ die Tatze los, und der Bär stürzte dicht neben mir und mich im Falle berührend, in den Abgrund, aus dessen Tiefe sein Aufschlagen dumpf emporschallte. Gott gab es, daß ich mich in dem verhängnißvollen Augenblick fest an meinen Sitz geklammert hatte, so daß mich die streifende Masse nicht aus dem Gleichgewicht brachte. So war ich nun zwar meines grimmigen Feindes los, doch meine Lage wahrlich nicht um Vieles besser; denn vom Blutverlust und von der Angst ermattet, saß ich hier zwischen Himmel und Erde auf einem schwankenden Baumstamm, der jeden Augenblick nachgeben konnte, und ohne fremde Hilfe war es mir unmöglich, den Felsenrand zu gewinnen, der mehr als fünf Ellen über mir lag.«

»Der lose Mund der Weiber hat Dir also mit Unrecht nachgesagt,« meinte Miloje, indem er gleichmüthig den Schibuck aus dem Munde nahm, »daß die Moslems Dir in Constantinopel das Ohr abgeschnitten, weil Du ihnen falsches Gewicht verkauft!«

»Fluch über sie!« murrte der Kiradschia ärgerlich, indem er nach dem Handjar in seinem Gürtel faßte. »Ich wollte, es wagte es ein Mann, um ihm die Lästerzunge auszureißen.«

Die ganze Gesellschaft, mit Ausnahme des alten Janitscharen, lachte bei dem listigen Augenzwinkern des Anführers, aber Capitain Depuis, der sich für die Geschichte als Jäger interessirte, bat eifrig den Gekränkten, fortzufahren. Nachdem er ein Paar lange beruhigende Züge von Dampf aus Mund und Nase von sich geblasen, erzählte er weiter:

[115] »Gott weiß es, mir war schlimm zu Muthe, aber ich hoffte, daß Weliko, obgleich er mich so feig verlassen, bald mit herbeigeholter Hilfe zurückkehren werde, um mich aus meiner verzweifelten Lage zu befreien, und suchte unterdeß eine möglichst bequeme Stellung anzunehmen, das Blut zu stillen und den Kopf mit einem Lappen meiner Kleider fest zu umbinden. Aber Zeit auf Zeit verging, die Sonne war schon versunken und der Mond warf bereits sein Licht über die Felsen, ohne daß sich von Weliko oder, einer menschlichen Hilfe etwas sehen ließ, und mein Geschrei verhallte ungehört im öden Gebirge. Dagegen kam es mir vor, als hörte ich ein leises Brummen immer näher und näher kommen, und bald konnte ich mich nicht länger tauschen; der Bär, an den wir gar nicht, oder ihn nach seiner Gewohnheit entfernt, auf eigene Hand jagend, gedacht hatten, befand sich in der Nähe und kehrte zu seiner Familie zurück. Das Brummen erscholl jetzt laut und als ich empor blickte, sah ich über den Rand des Felsens den Kopf des Thieres hervorragen, das mich mit grimmigen Blicken und die Zähne nach mir hinunterfletschend, betrachtete. Es war der Blutwitterung seiner Gefährtin gefolgt und fand mich hier in meiner hilflosen Lage; freilich war ich außerhalb des Bereichs seiner Klauen und Zähne, aber schon der grimmige Anblick des Thieres, wie es so auf mich herunterstarrte, war hirnverwirrend und ich mußte alle Kraft aufbieten, um meinen Verstand zu behalten. Ich schloß die Augen und blieb lange Zeit so sitzen; wenn ich aber unwillkürlich, ja, halb gezwungen, wieder emporblickte, sah ich stets über mir den Rachen des Bären, und seine grünlich, gleich leuchtenden Käfern, funkelnden Augen. Stunde auf Stunde verging so in dieser entsetzlichen Lage, ohne daß mein Feind wich; endlich tauchte das erste Morgengrauen über die Felsen und Wälder auf. Mit allen Gebeten an Gott und die Heiligen, die ich irgend auswendig wußte, begrüßte ich das Licht und schöpfte neue Hoffnung, als ich das Thier jetzt sich bedächtig zurückziehen sah. Aber es geschah nur, um einen so boshaften als wohlüberlegten Plan vorzubereiten, und es sage mir Keiner, daß der Bär nicht Verstand hat, mindestens so viel wie ein Türke. Es dauerte nämlich nicht lange, so kam mein Gegner zurück und trug in seinen Vordertatzen einen Stein, den er über den Felsrand nach mir herunterstieß. Das wiederholte er mehrere Male, zum Glück aber waren die Steine entweder klein, oder es gelang mir, durch Bewegungen nach rechts und links [116] ihnen auszuweichen, so daß ich nur unbedeutend beschädigt wurde. Jetzt aber hörte ich deutlich, wie die Bestie sich bemühte, ein größeres Felsstück zu der Stelle zu schieben und in meiner Angst schrie ich laut auf, als plötzlich ein Schuß und ein Freudengeschrei diesem Hilferuf antwortete, worauf noch ein zweiter Schuß und ein Schmerzensbrüllen des tödtlich getroffenen Bären folgte, und mein Vater mit mehreren Nachbarn an den Rand des Felsens geeilt kam und mich so unverhofft in meiner freilich kläglichen Lage wieder erblickte. Sofort wurden mir Stricke zugeworfen, die ich um mich knotete und an denen man mich in die Höhe zog. Ich war so schwach, daß ich nicht stehen konnte, und man mußte mich die Felsen hinunter bis dahin, wo die Pferde hielten, tragen.«

»Alle hatten mich längst verloren und höchstens meine Gebeine zu finden geglaubt,« fuhr der Kiradschia nach einer kleinen Pause und einem tüchtigen Schluck Rakih fort, »aber Gott und die Heiligen hatten es anders gewollt. Weliko hatte sich nach seiner Flucht still nach Hause geschlichen und dort, ohne ein Wort zu sagen, voll Angst über das angestiftete Unheil, versteckt. Erst als ich bei Einbruch der Nacht noch nicht wieder erschienen, wurde mein Vater aufmerksam. Er ging nach dem Pferch und fand zwar die eingetriebenen Pferde, aber mich nicht. Erst später gelang es ihm, zu ermitteln, wer diese zurückgebracht und der Bursche erzählte nun, daß er mich und Weliko mit einer Flinte habe nach den Felsen gehen sehen. Weliko wurde endlich aus seinem Versteck hervorgeholt und eine tüchtige Tracht Schläge brachte ihn bald zu dem Bekenntniß unsers Unternehmens und des ganzen Vorganges, wobei er denn angab, daß er erst dann geflohen sei, als er mich bereits von der Bärin hätte zerreißen sehen. Mein Vater und die Nachbarn brachen alsbald auf und schleppten ihn mit sich, bis zu der bezeichneten Stelle, wo sie so glücklich noch zur rechten Zeit eintrafen. Den mit so vielen Gefahren verdienten Preis für die beiden Bären und die drei Jungen erhielten nun freilich weder ich noch Weliko, sondern den steckten wohlweislich unsere Väter ein. Dafür aber wurden wir Beide, nachdem erst mein Kopf geheilt war, noch weidlich ausgepeitscht zur Warunug, daß es uns nicht wieder einfallen möge, auf eigene Hand zur Bärenjagd zu gehen. – So bin ich auch um mein Ohr gekommen!«

»Und zu einer Tracht Schläge,« sagte Miloje. »Schade, daß Du nicht ein Jäger geworden bist!«

[117] »Gott wollte es so!« meinte der Erzähler seufzend. »Ich habe später manchen Bären geschossen, aber es hat mir keiner so viel Angst gemacht, und bei jedem dachte ich an die Prügel, die mir mein Vater gegeben. Er war ein ächter Bulgare, mögen die Heiligen gut mit ihm sein.«

»Wallah!« sagte der Janitschar, »was hilft es, zu klagen, wir müssen Alle sterben. Mir ist der Tod näher wie Dir gewesen, und ich bin ihm entgangen. Das Schicksal wollte es und da sitze ich auf meine alten Tage, der ich ein Länderbesitzer war und ein Haus in Constantinopel hatte, und rauche mit den Djaurs!«

»Erzähle es uns, Effendi,« bat der französische Capitain. »Meinst Du Dein Entwischen aus der Niedermetzelung der Janitscharen? – Ich wünschte schon lange, den Hergang etwas umständlicher zu erfahren, als damals die Zeitungen meldeten und die Bücher erzählen.«

»Mashallah,« entgegnete der alte Türke melancholisch, »was ich Euch erzählen will, Fremdlinge, regt eine Wunde in meinen Eingeweiden auf, die das Alter und fast dreißig Sommer nicht haben schließen können. Allah sende ihm Unglück, der dies gethan – es liegt Staub auf dem Grabe des Großherrn Mahmud und die Inglis und Franken wären nimmer nach Stambul gekommen, wenn die heiligen Orta's nicht vertilgt worden aus dem Strahl der Sonne! – Der Prophet zürnt mit den Gläubigen und hat ihr Land in die Hände der Dschaur's gegeben.

Wißt Ihr, wer mit Euch spricht, Fremdlinge? Melek-Ibrahim, der Oda-Baschi 4 der Zagrandschi's von der 64. Orta 5 des heiligen Stambul.

Ich hatte ein Weib genommen und zwei tscherkessische Sclavinnen, denn mein Einkommen war reichlich und der Tschor-Baschi 6 mein Freund. Wir wohnten in einem eigenen Hause in Cassi-Pascha 7 und nur im Sommer zog ich alljährlich nach dem Balkan auf mein Spahilik, das ich von Selim, meinem Bruder, geerbt [118] im Ejalet 8 von Widdin. Mein Weib und die Sclavinnen vertrugen sich anscheinend gut bis auf kleine Zänkereien, denn ich führte kräftig den weißen Stab und litt es nicht, daß die Frauen mir in den Bart lachten. Zwei Kinder erfreuten mein Herz, ein Knabe und ein Mädchen, die mir beide meine Lieblingssclavin geboren, denn mein Weib war unfruchtbaren Leibes.Irene, die Mutter meiner Kinder, war schön wie die guten Geister, die den Gläubigen umschweben. Ihr Antlitz war wie die Mandelblüthe und ihre Lippen glichen den rothen Granaten.

Aber das Kismet läßt sich nicht abwenden. Schwarze Wolken zogen auf am Himmel der Ienethtschjeri und das Antlitz des Großherrn verdunkelte sich gegen seine tapfersten Kinder vor den Einflüsterungen falscher Franken, und man nahm uns unsere Rechte und wollte uns zwingen, zu fechten gleich den Christen.

Der Bluttrinker hatte den Nizam gemacht und die Topschi's 9, die unsere Feinde und Neider waren von Anfang an. Es kam damals viel Unheil über die Müsselmans, denn Alles sollte anders werben, als es die Väter hinterlassen, und der Großherr haßte uns, weil wir dem widerstanden und man ihm fälschlich hinterbracht, daß Viele aus den Orta's der Buluk 10 den Glauben des Propheten schmähten und heimliche Christen wären.«

»Fluch über die Gräber der Lügner!«

»Ich wohnte, wie ich gesagt, im eigenen Haus, wie viele meiner Brüder, und nicht in der Oda 11 unsers Corps. Aber täglich war ich bei meiner Orta und wußte, was vorging. Es war im selben Mond, den wir jetzt schreiben, im Jahre Zwölfhundertundvierundvierzig der Hedjira 12, als der Bluttrinker die neuen Krieger machte, die man Askeri-Muhammedije nannte. Wir sollten unsere Kaserne hergeben oder Alle in ihr wohnen, keine Reißkuchen mehr vor den Thoren des Divans erhalten, und andere Führer haben, als die wir selbst erwählt.

Der Aga der Ienethtschjeri war ein Verräther, ohne daß wir es wußten, unb er hatte uns dem Hunkiar längst verkauft, [119] bevor wir es ahnten. Aber der Kjetchuda-Bey 13 Mohamed und sein Kul-Kjetchuda 14 waren treue Ienkridschari's und standen zu uns mit ihrem Blut. Es war am Abend des dreizehnten Tages im Monat 15, als ich zu meiner Oda vor dem Thore von Pera kommend, das nach Therapia führt 16, die kupfernen Kessel ausgehängt und die Männer des Buluk in wilder Aufregung fand 17. Ein Hat 18 war verkündet worden, worin uns Hussein-Aga befahl, die Waffen, die wir schon längst nicht mehr tragen durften in den Straßen Istambols, abzuliefern in's Arsenal, und daß ein Jeder sich einschreiben lassen solle in die Bataillone der Askeri-Muhammedije, oder keinen Sold empfangen werde, wie Sultan Orkan seligen Andenkens doch bestimmt hat. Da zerrissen wir unsere Jacken und schwuren bei den Kesseln, daß wir den Schimpf und die Unterdrückung nicht länger dulden wollten. In allen Oda's Constantinopels waren die Koridschi's 19 diese Nacht versammelt und es gingen und kamen Boten von einer zur andern. Als der große Halbmond der Aya 20 geröthet war vom ersten Sonnenstrahl, da zogen von allen Seiten herbei die Orta's: die Zagrandschi's oder Aufseher über dir Hunde, die Samsondschi's, die Aufseher über die Bullenbeißer, die Tumandschi's, die Wächter der Windhunde und Falken, und die Orta's der Sumangs, der Schützen. Am Platz der Oda, welche der gesegneten Moschee des Fürsten Schekzade gegenüberlag, stießen die Orta's zusammen und die Straßen waren von mehr als zwanzigtausend Ienethtschjeri's gefüllt. Dann erhob sich eine Stimme aus der Menge und rief uns auf, zum Palast des Hussein-Aga zu ziehen, der uns verrathen, und von ihm unsere Rechte zu fordern. Der Palast lag unsern des Thurmes der Feuerwächter und wir zogen dahin und zerstörten ihn, bis er der Erde gleich war. Dann nahmen wir [120] den Weg gegen das Serail und lagerten vom Horn bis zur goldenen Pforte und forderten Gerechtigkeit von dem Großherrn.

Wir waren die Herren von Constantinopel, aber wir waren Kinder in unserm Willen und Staub vor dem Hauch der Verräther. Die Boten des Sultans erschienen vor uns und verkündeten uns, daß alle Beschwerden untersucht und abbeholfen werden sollten, wenn die Orta's sich in ihre Kaserne zurückziehen und dort verhandeln wollten. Wir glaubten den Versicherungen lind gingen, die Becken schlagend, nach unseren Oda's zurück, obgleich Viele von uns ein bedenkliches Gesicht machten, denn wir wußten, daß die Topschi's, unsere Feinde, bereit standen, und die Schiffe des Kapudan, mit dessen Galiondschi's wir stets in Streit lagen, hatten sich vor die Stadt gelegt. Dennoch gehorchten wir dem Befehl unserer Führer; Fluch dem Teufel, der uns blendete, es war unser Verderben. Das Schicksal wollte den Untergang der Ienethtschjeri's.

Während wir in den großen Höfen der Oda's lagerten, kamen Boten des Großherrn zu uns und redeten mit uns, Bismillah! Einer so und der Andere anders, Alles Wind, was von ihren Lippen kam. Sie sollten uns nur hin halten, bis die Mörder bereit waren: was kann ich sagen, – sie brachten uns einen Sack voll Lügen und auf dein Grunde war der Tod.

Auf dem Atmeidan hatte der Sultan indeß die geheiligte Fahne des Propheten erhoben gegen die Ienethtschjeri's, und das Volk glaubte der Verläumdung, daß wir heimliche Christen wären, und war gegen uns. In großen Haufen zogen sie heran, an ihrer Spitze die Topschi's mit den Kanonen, und der Scheik ul Islam schleuderte seinen grimmigsten Fluch gegen unsere Häupter.

Zu spät sahen wir ein, daß wir Thoren gewesen und wir beschlossen, wenigstens als Männer zu sterben. Ich habe nicht das Verderben meiner Brüder in Stambul geschaut, wie sie niedergemetzelt wurden, gleich einer Heerde von Schlachtvieh, aber wir hörten das Geheul der Schlächter bis zu uns dringen auf den Höhen der Griechenstadt. Durch die Straßen Stambuls stoß das Blut in rothen Strömen und auf dem Atmeidan, der so oft unsere Spiele gesehen, lagen die Leichen der Tapfern hoch übereinander, und das Volk spie sie an und verunreinigte die Gräber ihrer Väter.

Inshallah! es war um die Stunde, da der Imam am Abend [121] den Azam vom Minaret singen soll, – aber es dachte Niemand der heiligen Pflicht, – als die Würger sich gegen uns kehrten. Wir hatten selbst das große Thor der Oda verrammelt und hielten uns in den Gemächern und auf dem Hof, als sie vier Kanonen herbeiführten und vor dem Thor aufstellten. Schande, Schande! es waren ihrer Viele und sie umgaben das ganze Haus mit einer langen Reihe.

Wir hatten zwar Waffen, die Pistolen in unseren Gürteln, die Flinte auf unserm Nacken – aber das Pulver hatte man längst aus den Oda's geholt und es blieben uns wenige Schüsse zur Vertheidigung des Lebens.

Man forderte uns auf, einzeln herauszukommen und die Waffen abzulegen. Viele von uns glaubten ihnen und gingen heraus, aber als sie entwaffnet unter ihnen standen, fielen die Topschi's über sie her und schnitten ihnen die Köpfe ab.

Da beschlossen wir zu sterben – tausend tapfere Krieger, tausend Männer voll Kraft und Muth!

Wir schlugen auf die Becken und häuften Koth auf die Gräber ihrer Väter. Darauf befahl Hussein-Aga, der Verräther, der selbst herbeigekommen, Feuer anzulegen an die Oda des Buluk.

An vier Seiten wurde das Feuer gehäuft und die rothe Flamme stieg lustig in die Höhe, wie grimmig wir auch gegen die Mordbrenner kämpften. Viele versuchten, aus den Fenstern zu entkommen, aber die Kugeln und die Bajonnete unserer wachsamen Feinde tödteten sie. Immer unerträglicher wurden die Hitze und der Qualm, und die Flammen füllten jeden Raum. Gar viele tapfere Ienethtschjeri gingen im Feuer in des Propheten Schooß.

Dann räumten wir selbst die halbverbrannten Balken fort, mit denen wir das Thor verrammelt, und öffneten weit die Pforte. Ein dichter Haufe von Kriegern ergoß sich hinaus, um den Weg der Rettung mit dem Säbel in der Faust sich zu bahnen. Drei Mal versuchten wir es, drei Mal warf der Strom der Kartätschen aus ihren Geschützen den Strom der Menschen zurück und hohe Wälle von Leichen thürmten sich vor dem Thore.

Ein altes Gesetz heißt die Ienethtschjeri drei Mal gegen den Feind anrennen. Als wir es zum dritten Male vergeblich versucht, ohne daß Allah uns Sieg und Rettung gegeben, fügten die Meisten sich in das unabänderliche Schicksal und erwarteten ruhig das Ende.

[122] Denn die Mörder wollten uns nicht lebendig, und während die Mauern umher brannten, sandten fort und fort die Kanonen ihren eisernen Hagel durch das Thor und die züngelnden Flammen.

Aman! Aman! In Bergen lagen die Leichen umher und der Gestank der verbrennenden Leiber und die Hitze waren fürchterlich! –

Was soll ich noch sagen? – Wir waren unserer an Zwanzig, die sich im Schutz einer Mauer im Innern des Hofes zusammengefunden, Viele, darunter auch ich, zu Pferde, wie wir in die Kaserne gekommen. Wir beschlossen, fechtend zu sterben oder uns durch die Feinde zu schlagen, und als das Feuer der Kanonen einen Augenblick schwieg, brachen wir durch ein Seitenthor über Leichenhaufen und Trümmer hervor. Rauch und Qualm umgab uns und wir waren mitten unter ihnen, ehe sie es wußten. Was soll ich Euch erzählen von dem Schlachten, das erfolgte, – Mashallah! es war ein Meer von Blut, von blitzenden Säbeln, von Bajonneten und pfeifenden Kugeln um mich her, – was kann ich sagen? als ich wieder von mir selbst wußte, jagte ich über die Felder von Demetri mit einer tiefen Wunde in der Schulter, ohne Mütze und Waffen, und um mich war Nacht, nur in der Ferne erhellt durch die Feuerströme gen Himmel, in denen der Großherr die alten Stützen seines Reiches verbrannte. Auf dem Campo zwischen den weißen Gräbern stürzte mein Pferd – Bismillah! – es war ein treues Thier und hatte mich aus der Gefahr getragen. Ich setzte den Weg zu Fuß fort nach meinem Hause – und es war mein Glück, daß Angst und Furcht noch alle Thüren und alle Fenster verschlossen hielt. Der Morgenstern begann bereits zu erlöschen, als ich in die Nähe meiner Wohnung kam, aber ich war so schwach, daß ich auf einen Stein niederfiel. In der Ferne hörte ich wilden Lärmen durch die Straßen und meine Eingeweide erzitterten. Da stand plötzlich ein Mann vor mir und rief meinen Namen. Ich wußte, daß ich verloren und beugte mein Haupt dem Todesstreich. Aber eine freundliche Hand half mir empor und zog mich fort. Es war Paswan, der Kiradschia, der jetzt an meiner Seite sitzt. Sein Haar war damals schwarz, seine Haut jung und glatt, und obschon er ein Dschaur war, hatte er doch das Herz eines Gläubigen.«

Der greise Janitschar unterbrach seine Erzählung und nickte freundlich mit dem Haupt nach dem Genannten.

[123] Dann fuhr er fort:

»Zwei Jahre vorher hatte das Kismet es gewollt, daß ich dem Kiradschia begegnete und ihn aus der Hand schlimmer Albanesen befreite, die seine Waaren in Beschlag genommen und ihn tödten wollten eines Zankes halber. Seitdem waren wir Freunde geblieben und er kam zu mir, so oft seine Geschäfte ihn nach Stambul führten.

›Unglücklicher, wo willst Du hin?‹ fragte mich mein junger Freund, ›weißt Du nicht, daß Tod für Dich lauert aus jedem Schritt?‹ – ›So will ich Abschied nehmen von den Meinen und sterben. Der Zorn des Würgers ist über uns.‹ – ›Komm,‹ sagte Paswan, ›ich werde Dich retten. Man wird die Häuser aller Ienethtschjeri durchspähen und Dein und der Deinen Verderben wäre dann sicher. Ich war bereits an Deinem Hause, um Dich zu warnen, und will Dir jetzt helfen, da Gott Dich bewahrt hat.‹ –

Er verband, so gut es ging, an der einsamen Stelle, an der wir uns befanden, meine Wunde, hüllte mich in seinen Mantel und setzte mir seine Mütze auf. So führte er mich in die engen Gassen des Griechenquartiers bis zu dem Schuppen eines Handelsfreundes. Dort verbarg er mich zwischen Ballen und Koffern.

Es war ein böser Tag, den ich da zubrachte, und wohl zehn Mal wollte ich mich herausstürzen, um das Verderben meiner Brüder zu theilen, das noch immer, gleich dem schwarzen Engel, seine Flügel über Stambul breitete. Ich hörte das Umherziehen der Würgerschaaren, wie sie die Häuser erbrachen, um die versteckten Ienethtschjeri aufzusuchen, und das Geschrei der Weiber und Kinder. Christen, an diesen drei Tagen, denn ich blieb zwei Tage und zwei Nächte in meinem Versteck, waren achtzehntausend Ienethtschjeri im Kampf umgekommen und hingerichtet worden. Der Scheik ul Islam hatte durch einen Fetwa den Fluch aus unser Geschlecht geworfen.

Zwei Mal im Laufe der zwei Tage erschien Paswan in meinem leichten Versteck, aus dem er ohne Gefahr mich doch nicht fortführen konnte, wusch meine Wunden und brachte mir Nahrung. Mein Herz dürstete aber nur nach Kunde von den Meinen. Endlich am dritten Morgen kam er und sein Auge war trübe, sein Antlitz bleich.

›Freund Ibrahim,‹ sagte er zu mir, ›die Stunde ist da, [124] wo Du zeigen mußt, daß Du ein Mann bist. Ziehe diese Kleiner an, färbe Deine Arme und Dein Gesicht mit dieser Schwärze und laß mich Deinen Bart abschneiden. Die Soldaten des Großherrn halten scharfe Wache und ein Zucken Deines Auges kann mich verderben, wenn Du nicht genau meine Worte erfüllst.‹

Aber meine Frauen und meine Kinder! Ich schwöre bei meinem Bart, daß ich Stambul nicht verlassen will, wenn ich nicht zuvor mein Haus wieder gesehen.« –

»›Wenn Du bei den Kesseln der Orta gelobst,‹ entgegnete Paswan, ›daß Du damit zufrieden sein und erst weiter forschen willst, wenn wir Stambul im Rücken haben, soll Dein Verlangen erfüllt werden.‹ –

Ich gelobte und litt geduldig die Schmach, daß der Christ meinen Bart abschor und mir die Kleidung eines schwarzen Sclaven anlegte. Dann führte er mich heraus aus meinem Versteck und bis zu einem entfernten Hofe, in dem zwei beladene Pferde standen, nebst zwei anderen für uns bestimmt. Wir schwangen uns in die Sättel und nahmen Jeder den Zügel eines der Packthiere; so ritten wir auf die Straße.

Es war ein schlimmer Anblick für mich. Auf den Plätzen, über die wir kamen, sah ich überall die abgeschlagenen Köpfe meiner Brüder aufgesteckt und hörte die Verwünschungen des betrogenen Volkes gegen uns. Meine Eingeweide zitterten, als mein Freund zur Straße einbog, die zu meinem Hause führte. Ein Blick von ihm mahnte mich zur Vorsicht, aber obschon ich ein Mann war und in Schlachten geprüft, schrumpfte mein Herz zusammen, als ich von Ferne vieles Volk um die Stätte versammelt sah, da mein Haus gestanden hatte. Denn meine Augen suchten vergeblich nach ihm, es war von der Erde vertilgt und nur eine Brandstätte noch, von der der Dampf empor qualmte. Zwischen den rauchenden Trümmern stand auf einer Stange eine Tafel mit den Worten:

›Melek-Ibrahim, der Oda-Baschi der verfluchten Ieuethtschjeri, ist verflucht mit Allen seines Geschlechts!‹

Das Kismet hatte mich schwer getroffen und ich wollte mich herabstürzen vom Pferde und die Asche meines Glückes streuen auf mein Haupt, aber Paswan war an meiner Seite und mahnte mich an mein Gelöbniß, und seine Hand faßte die Zügel meines Pferdes und führte mich davon. Inshallah! es war mein Schicksal [125] und das Unglück über mir. Erst als wir die süßen Gewässer hinter uns hatten und auf der Straße von Edrene davonritten, die wir bald wieder in's Land hinein verließen, um aller Verfolgung zu entgehen, erzählte mir der Bulgare von dem Schicksal der Meinen. Die Khanum, die ich an meinem Herzen gehabt, mein rechtmäßiges Weib, war der Teufel gewesen, der mein Glück zerstört hatte. Schon lange hatte sie still in der Brust, ohne daß ich es bemerkt, Eifersucht und Haß getragen gegen die griechische Sclavin, die mir zwei Kinder geboren, und als die Verfolgung der Jenethtschjeri begann und sie wußte, daß sie Nichts von mir zu fürchten hatte, da war sie davongegangen und hatte mich angeklagt als heimlichen Christen und die Würger selbst in mein Haus geführt. Die Mutter meiner Kinder hatten die Henker als Sclavin verkauft, meine Diener waren verjagt und meine Kinder verschwunden, verkauft vielleicht auf einem fernen Slcavenmarkt, trotz des Propheten Gebot, und Keiner wußte ein Wort von ihnen zu sagen, ich war ein entblätterter Stamm.

Was soll ich weiter sagen – mein Schicksal ist besiegelt. Mein Retter führte mich glücklich durch den Balkan und ich fand Schutz bei Mollah-Pascha, dem Vali von Widdin, der den Jenethtschjeri heimlich Freund war und gegen die Neuerungen des Großherrn kämpfte. Aber der Würger meines Stammes selbst kam in's Land, Hussein ward vom Sultan zum Dank für die Vernichtung meiner Brüder zum Pascha von Widdin gemacht und ich mußte nochmals fliehen aus meinem Spahilik vor meinem grimmigsten Feinde. Wiederum war es Paswan, der mir die Kunde der Gefahr brachte und mich zu seinen Verwandten in's Gebirge führte. Mein Schicksal wollte es, ich habe mit ihnen gefochten gegen die Krieger des Großherrn, bis ich alt geworden bin und das, was Ihr von mir sehet. Ich werde bald eingehen zum Paradiese des Propheten, denn siebenzig Winter liegen auf meinem Haupte, aber, wenn ich ihrer noch siebenhundert lebte, das Herz Ibrahim's, des Jenethtschjeri, würde dankbar bleiben für Paswan, den Bulgaren.«

Der alte Janitschar schwieg melancholisch und dampfte große Wolken aus seinem Tschibuk. Er war vielleicht der Einzige, der noch übrig geblieben von jener einst so furchtbaren Schaar, dem Schrecken Europa's. Sein Freund, der Kiradschia, noch im kräftigen Mannesalter und wohl fünfzehn Jahre jünger als er, reichte [126] ihm die Rakihschaale. – »Es war Dein Kismet, Freund Ibrahim, – wer kann es ändern?«

»Und hast Du auch später keine Kunde erfahren, was aus Deinem verrätherischen Weibe und den Kindern geworden ist?« fragte theilnehmend der Arzt.

»Allah bilir – Gott allein weiß es. Ich habe vernommen, daß vor einiger Zeit ein altes Weib in Madara gestorben ist, deren nachgelassene Habe die Zeichen der 64. Orta der Jenethtschjeri und den Namen Ibrahim trägt. Ein altes Weib ist ein großes Uebel, aber dennoch wird es Paswan nicht versäumen, nachzuforschen, wenn er morgen mit Euch in Madara übernachtet.«

»Das Ziel unserer nächsten Tagereise ist das berühmte Dorf Madara?« fragte der französische Capitain.

»So ist es. Es liegt abwegs im Gebirge, aber Ihr werdet sicherer reisen in meiner Begleitung,« sagte der Kiradschia.

»Ei, Ventre bleu!« lachte Depuis, »ich würde auch einen stärkern Umweg nicht scheuen, um das berühmte Amazonennest zu besuchen. Sie kennen seine Geschichte, Doctor?«

»Ich bin nicht so glücklich.«

»Dann rüsten Sie sich, Doctor, und schicken Sie vorläufig alle Prüderie und Keuschheit zum Henker. Madara ist das Paradies der türkischen Frauen in dieser Welt und die Opferstätte der Männer. Es ist der einzige Ort in der ganzen Türkei, wo die Frauen Frauen sein dürfen und lieben, wen sie wollen, ohne gleich fürchten zu müssen, dafür gesackt und geköpft zu werden. Madara ist das Capadocien der alten Amazonen und die Wlaskaburg der böhmischen Mägde. Weiß der Teufel, ob seine Rechte sich noch, aus der alten Heidenzeit herschreiben, so viel aber ist sicher, daß weder Christ noch Türke die Vorrechte dieses seltsamen Asyls je zu brechen versucht. Es ist ein Weiberstaat im Kleinen. Hierhin flüchten sich alle Frauen und Mädchen aus der ganzen Türkei, die irgend einem grimmigen Vater oder Mann entlaufen sind. Wenn sie die Grenze dieses kleinen Reiches überschritten haben, sind sie freie Bürgerinnen desselben bis zu ihrem dreißigsten Jahre. Kein Mensch, selbst der Sultan nicht, darf sie zurückfordern, aber eben so wenig dürfen sie vor jener Zeit freiwillig das Asyl wieder verlassen. Mit ihrem dreißigsten Jahre hört die Zeit des Vergnügens und der Freiheit auf, die Aelteren müssen, wollen sie den Ort nicht verlassen, dann die Geschäfte der Dienerinnen versehen [127] und für ihre jüngeren Schwestern putzen, waschen, kochen, braten und backen, säen und ernten, was weiß ich! Kurz, so viel ist sicher, daß es junge Schönheiten und alte Weiber zur Genüge in Madara giebt!«

»Und sind die Männer ganz daraus verbannt?«

»Ei, mit nichten! Das ist eben das Vortreffliche an der Sache. Man munkelt darüber höchst seltsame Geschichten, die meine Neugier auf's Aeußerste gespannt haben. Ventre bleu! Man wird mich beneiden in der ganzen französischen Armee, wenn ich eine Nacht wirklich und wahrhaftig in Madara zugebracht habe. Effendi Paswan, Ihr zernarbtes Spitzbubengesicht, wißt gewiß mehr von den Geheimnissen des Amazonendorfes zu erzählen. Heraus damit!«

Der Kiradschia lächelte.

»Als ich noch jünger war,« sagte er, »führte mein Weg mich wohl öfter dahin, ich will es nicht läugnen. Ich war gern gesehen unter den Frauen und bin es noch, denn ich bringe ihnen Seide von Brussa, Stickereien von Constantinopel, die Wohlgerüche von Edreneh und die Leckereien von Chios. Nicht Jeder darf über die Grenze der Frauen, aber wer mit einem Freunde kommt und ein freier Mann ist, ist ihnen willkommen.«

»Aber die Bedingungen? die Bedingungen des Eintritts, Alter?« forschte eifrig der Capitain.

»Was soll ich sagen – Ihr werdet es selbst schauen. Wer eintritt in Madara, muß sich den Gesetzen des Dorfes fügen – Ihr seid Beide noch jung und werdet schwerlich ein Nachtlager auf dem Grase der Berge vorziehen. Doch es ist nöthig, daß wir das unsere halten, denn wir müssen aufbrechen, ehe die Sonne die Gipfel der Berge röthet. Schlaft wohl, Franken!«

Er hüllte sich in eine große wollene Decke und stützte sein Haupt auf eines seiner Waarenpackete. Wenige Minuten darauf war er in tiefem Schlaf, indeß Ibrahim, der greise Janitschar, unverändert an seiner Seite sitzen blieb und Wolke auf Wolke hinaus in die Nachtluft qualmte.

Miloje, der Capitano der Schaar, lud gleichfalls seine beiden unfreiwilligen Gastfreunde ein, die Ruhe zu suchen und führte sie nach einer der leichten Hütten, die er ihnen allein zu ihrer freilich sehr geringen Bequemlichkeit überließ. Bald war das Feuer erloschen und heilige Stille um die Schläfer her, nur unterbrochen [128] von den plätschernden Wellen des Gebirgsbaches oder dem Schrei eines Nachtvogels. – – –

Mit dem ersten Tagesgrauen weckte der Kiradschia seine Reisegefährten. Ehe sie ihre Hütte verließen, hatte er bereits seine zwei Packpferde mit ihrer Last versehen und Nursah und die Haiducken hatten die Pferde gesattelt. Paswan drängte zum Aufbruch, das Frühstück, aus Kaffee und hartem Brot bestehend, war bald verzehrt und nach wenigen Augenblicken saßen sie im Sattel.

Miloje und einige seiner Gefährten begleiteten sie zurück bis in die Nähe der großen Straße, dann schieden sie mit herzlichem Händedruck. Die kleine Gesellschaft war auf dieser erst eine kurze Zeit vorgegangen, als ihr Führer sie wieder verließ und einen kaum erkennbaren Seitenweg einschlug. Doch schien er mit dieser Gegend auf das Genaueste vertraut, denn die wilden Pfade, die er sie führte, wurden von ihm ohne die geringste Zögerung gewählt und waren, wenn auch mühsam, doch gangbar für die Pferde. Unter verschiedenen Gesprächen, zu welchen die eigentümlichen Sitten ihrer nächsten Lagerstätte nicht den wenigsten Stoff abgaben und die vielfach durch die Erzählung eines Abenteuers des Kiradschia's in den verschiedenen Ländern gewürzt wurden, kamen sie vorwärts, und als die Sonne sich zu neigen begann und die türkische Tagesrechnung ihrem Ende nahte, sagte der Führer ihnen, daß sie nahe am Ziel wären.

Obschon die wilde oft Grausen erregende Natur des Hochgebirges, rauhe Felsenmassen, abwechselnd mit üppig grünen Matten, seine Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch nahmen, war es doch dem Arzt nicht unbemerkt geblieben, daß sein Diener Nursah wieder während des ganzen Tages ein unruhiges, seltsam befangenes Wesen zeigte. Bald ritt er träumerisch dahin, in tiefe Gedanken versunken, bald drängte er sich hastig und auffallend an seinen Herrn, und seine Blicke hingen ausdrucksvoll und doch mit einer gewissen Scheu an diesem.

Sie hatten den Gipfel des Balkans überstiegen und befanden sich bereits – wenn auch im Hochgebirge, auf den südlichen Abhängen desselben, die schon von den milden Winden des ägeischen Meeres bestrichen werden und auf denen die Rose, der Wein, die Myrthe und die Feige in üppiger Fruchtbarkeit gedeihen. Zwischen rauhen Felsenmassen dahin reitend, dem Zug eines Gebirgsbaches [129] folgend, öffnete sich plötzlich vor ihnen ein weites Gebirgsthal mit aller üppigen Vegetation der tiefer liegenden Landschaft Zagora. Von hohen Bergen umschlossen und geschützt vor den rauhen Stürmen des Hochgebirges lag es da in seiner grünen Pracht, die Prairie mit ihrem fast mannshohem Grase, üppige Getreidefelder von Myrthen- und Feigenhecken eingehegt, an den Platanen und Eichen die Ranken des Weins emporstrebend, weite Gärten von Rosen und wohlriechenden Kräutern, ein Hauch wollüstigen Duftes und lieblicher Schönheit über dem ganzen Eden!

Madara!

Es war die Colonie der türkischen Frauen, jenes so selten erreichte Zauberland der Reisenden im Balkan.

Von der Höhe, wo sie hielten, konnten sie das aus zahlreichen Grünen versteckten und zierlich gebauten Häusern bestehende Dorf und die seltsamen Bewohnerinnen in Gruppen versammelt sehen – in dem klaren Gebirgsstrom ihre Abendwaschungen verrichtend, auf munteren Pferden umherjagend durch das Thal, oder durch die Felder schweifen, Kränze windend von duftenden Blumen – alle bunten Trachten des Orients, wallende farbige Gewänder, die Schönheit unverhüllt prangend im Strahl des Lichts.

Reizendes Madara! Oase im Frauen- und Liebesleben des Orients!

Sie lenkten ihre Pferde zum Thal, bezaubert von dem wunderlieblichen Anblick, aber schon waren auch sie bemerkt, und die Gruppen der Frauen und Mädchen in der Tiefe begannen sich zu sammeln. An den Trümmern eines Thurmes, der weit über das Thal ragte, sprengte ihnen eine Gruppe von Frauen entgegen, Frauen, die, obschon theilweise noch schön und frisch, doch offenbar schon jenen Wendepunkt überschritten hatten, den die Erzählung des Kiradschia, als die Trennung von ungezügelter Freiheit zum Leben der Arbeit und der Mühen des kleinen seltsamen Staates, angegeben hatte. Ihre Hand führte keck den Zügel, die Flinte hing am hohen Sattel, im Shawl, der die Hüften umschlang, steckten blanke Feuerwaffen. Schon von ferne ertönte ihr Haltruf.

Als sie näher heran kamen, ritt ihnen Paswan, der Kiradschia, entgegen, und kaum, daß sie ihn erkannt, erhob sich ein gellendes Freudengeschrei in die blaue Mailuft, denn wo in öden Ländern wäre der wandernde Kaufmann nicht willkommen, der Kunde bringt von dem Leben draußen hinter den Bergen oder den Wäldern, der [130] Putz und Zier, Schmuck und alle jene hundert Gegenstände mit sich führt, die Frauenaugen lieben und bewundern.

»Seid gegrüßt, Kiradschia Paswan, Du und Deine Gefährten,« sagte die Führerin des Zuges. »Mögen sie eintreten in Mdara's geheiligte Gränzen und Brot mit uns brechen, wenn sie unseren Gesetzen sich fügen wollen. Sage uns, ob Deine Freunde freigeborene Männer sind, die allein Anspruch haben auf die Rechte unserer Gäste?«

»Sie sind es, o Khanum, bis auf einen armen nubischen Sclaven.«

»Möge er zur Bedienung seines Herrn mit ihm gehen. Die Weiber von Madara werden ihm ihren Leib, aber nicht ihr Brot verweigern. Deine Freunde sind bereit, unser Gesetz zu erfüllen?«

Der Kiradschia blickte nach seinen Reisegefährten lächelnd um.

»Sie werden es, Licht meiner Augen!«

»So seid uns willkommen und möge Euer Eingang gesegnet sein!«

Sie schoß ihre Flinte in die Luft ab und wandte ihr Roß; ihre Gefährtinnen folgten dem Beispiel und Alle jagten den Abhang hinab, während die Fremden langsam folgten, mit gespannter Aufmerksamkeit auf das nun kommende Schauspiel. Bald darauf verkündete ihnen ein lautes Freudengeschrei, wie die Wächterinnen des Thales dessen Bewohnerinnen wahrscheinlich die frohe Nachricht gebracht, daß ein Kiradschia mit seinen Waaren komme, sie zu besuchen; denn von allen Seiten sah man die Frauen zu dem Eingang des Dorfes eilen.

Als die Reisenden um ein dichtes Gebüsch bogen, das ihnen einige Zeit die Aussicht auf das Dorf benommen hatte, kam ihnen von dessen Eingang her ein seltsamer, überraschender Zug entgegen, eine Anzahl junger und schöner Frauen oder Mädchen, einige das Tambourin oder Becken schlagend, andere aus zierlich geflochtenen Körben mit Rosen den Weg bestreuend, und Alle ein bulgarisches Lied singend, das mit seinen eigenthümlich melancholischen Klängen sie, willkommen hieß.

Die Frauen umringten die Pferde der Reisenden und, Blumenkränze durch ihre Zügel schlingend, führten sie die Gäste im Triumph in ihr merkwürdiges Dorf, und bis in die Mitte desselben, die einen freien Platz bildete. Es kam dem Arzt ganz eigenthümlich vor, sich hier umgeben von mehr als drei- oder vierhundert [131] schöner Frauen zu sehen, die sie umdrängten, alle redend, durcheinander schnatternd, alle ihn mit offenen Blicken musternd, unverhüllt durch den häßlichen Yaschmak, ihren Putz und ihre Schönheit zur Schau tragend, beweglich, froh und frei, statt der trübseligen bewachten Gestalten, die er seit Jahresfrist fast allein zu schauen bekommen hatte.

Der französische Capitain wußte sich vortrefflich in die Lage zu finden und kauderwelschte und scherzte bereits nach allen Seiten hin, so gut es ging. Auf dem Platz, an dem der Zug hielt, stiegen sie von den Pferden, und alsbald wurden diese, nachdem sie des Gepäcks entledigt worden, nach einem offenen Schuppen geführt und mit reichlicher Nahrung versehen. Wie die Beiden von dem Kiradschia erfuhren, waren sie, obschon in der Kriegszeit das Thal häufiger besucht, als sonst, ja ein Mal sogar mit Einquartirung belegt wurde, doch heute die einzigen Gäste, und der Eifer, sie zu bewirthen und zu unterhalten, daher desto größer.

Es schien zur Aufnahme der Fremden eine Anzahl zierlicher Wohnungen in dieser seltsamen Republik in Bereitschaft gehalten zu werden, denn der Kiradschia, der Arzt und der Capitain, so wie dessen Diener, wurden Jeder zunächst in ein abgesondertes Häuschen geführt, um von demselben Besitz zu nehmen, und dann eingeladen, ein türkisches Bad zu nehmen, in dem alte Frauen sie bedienten. Nur der schwarze Sclave Nursah durfte das Haus seines Herrn theilen, da die orientalischen Frauen das Princip haben, das häufig auch in der civilisirten Welt zur Anwendung kommt, den Sclaven oder Diener nicht für einen Mann anzusehen.

Als sie, von dem Bade nach dem langen Ritt gestärkt, wieder auf dem Platz erschienen, waren Teppiche für sie ausgebreitet, und während der Kiradgia seinen Waarenballen öffnete und dessen Inhalt vor den funkelnden Augen der Menge enthüllte, die Waaren und Geschmeide Hand in Hand gingen und der Kauf- oder Tauschhandel geschlossen wurde, umgaben andere Frauen den Arzt und den Offizier, ihnen Kaffee, Sherbet und Früchte vorsetzend, die Nargileh's in Brand haltend und sie mit tausend neugierigen Fragen bestürmend.

Zugleich wurden von den älteren Frauen Anstalten für die Abendmahlzeit gemacht. Jeder Franke gilt im Orient für einen Hekim-Baschi oder Arzt, und als der Kiradschia verrathen hatte, daß der Eine seiner Begleiter ein berühmter Doctor der Armee sei, [132] wurde der Sturm der Fragen, die für allerlei eingebildete Uebel Heilmittel verlangten, immer größer, theilte sich aber komischer Weise auf den Capitain und den Arzt, denn da beide militärische Kleidung trugen, schien es den schönen Hilfesuchenden ziemlich gleich, welcher von ihnen der Rechte sei.

Der Schlag auf ein großes Becken schaffte ihnen endlich Ruhe, indem er den Beginn der Abendmahlzeit verkündete, und die schönen Bewohnerinnen des seltsamen Dorfes lagerten sich in Gruppen und Kreisen um die Gäste, während alte Frauen, die allein das Gesicht in türkischer Weise verhüllt trugen, die Platten und Schüsseln mit Pillaw und gekochtem und gewürztem Geflügel oder den mit gehacktem Fleisch gefüllten Gurken herbeitrugen.

Die zierlichen, oft eben nicht allzu reinen Finger der Schönen fielen nach türkischer Sitte alsbald über die Gerichte her und für einige Zeit herrschte Stille in der sonst so lebendigen und lauten Gesellschaft, da die ewig beweglichen Zungen und Lippen mit der Mahlzeit beschäftigt waren.

Die Fremden, reichlich und mit dem Besten bedient, ließen es sich gleichfalls schmecken und Welland beobachtete mit Vergnügen, wie der martialische Capitain von zwei schönen, ihm rechts und links sitzenden Frauen, deren offene Kleidung seine lüsternen Augen in Bewegung hielt, gleich einem sybaritischen Pascha sich füttern ließ.

Die beiden Frauen rollten die Kugeln des Pillaw in der Fläche der Hand und stopften sie mit großen Fleischstücken und Oliven ihm unbarmherzig in den Mund, und der galante Franzose warf dankbar-verliebte Blicke nach rechts und links, während er fast erstickte.

Als die Mahlzeit vollendet war und man wieder Pfeifen und Kaffee zur Hand nahm, wobei der Kreis der Frauen den Männern Gesellschaft leistete, begann der Tanz. Aus den Reihen um sie her traten blumengeschmückte schöne Mädchen hervor, faßten einander an weißen Tüchern an und tanzten den Rundtanz um die in der Mitte stehende Koriphäa oder Vortänzerin, indem sie in türkischer, griechischer und bulgarischer Sprache improvisirte Lieder sangen und Andere das Tambourin oder eine kleine Trommel dazu schlugen. Dann ergriff Eine oder die Andere die Guzla, lagerte sich im Kreise ihrer Gefährtinnen und sang in monotonem Declamiren ein Gedicht voll Sehnsucht und Liebe, voll Schwermuth und wollüstigem Hauch, in das der Schlag der Nachtigal einstimmte, die [133] aus den Wipfeln der überall einzeln oder in Gruppen durch das Thal verstreuten Kastanienbäume, Eichen und Cypressen ihre lockenden Töne flötete. Die Rosen hauchten ihren Duft durch die würzige Abendluft, leuchtende kleine Käfer funkelten durch die Gebüsche und schwebten umher gleich beflügelten Sternen.

Dazu klang das heitere Lachen silberner, jugendlicher Frauenstimmen aus den zahlreichen Gruppen und Kreisen auf dem großen Platz, leichte Gestalten eilten umher, bald dem eintönigen Vortrag einer Massaldschi oder Märchenerzählerin lauschend, bald eintretend in die Kreise der Tanzenden, oder neugierig sich herandrängend in jene, die sich um die Fremden gebildet hatten. Und wenn ein Tanz oder ein Lied beendet war, dann traten die Tänzerinnen und Sängerinnen näher zu den Gästen, knieeten nieder vor ihnen und breiteten ein weißes Tuch vor ihnen aus, in das Jene einige Piaster warfen; oder sie boten ihnen knieend Blumen zur Auswahl, und wenn die Hand der Wählenden glücklich die Blume getroffen, die sich die Darbietende zum Sinnbild erwählt, klatschte sie fröhlich in ihre Hände und ihre schönen Gefährtinnen sandten ihr neidische Blicke zu.

An der Thür des bescheidenen aber zierlichen Hauses, das dem Deutschen zum Aufenthalt bestimmt worden, stand der schwarze Knabe Nursah und schaute eifrig nach der Gruppe um seinen Herrn.

Sein Auge leuchtete mit einer gewissen Angst und Gluth, – die Blume, die sein Herr zog, – das Jauchzen der Frauen, wenn er – was zwei Mal geschah, die richtige getroffen, schien wie ein scharfer Stahl durch sein Herz zu dringen, so zuckte die ganze Gestalt zusammen, und die kleine Hand preßte fest in der ihren die welke des alten Weibes, das neben ihm stand und mit Luchsaugen die Vorgänge beobachtete, und bald anregende, bald beruhigende Worte dem Mohrenknaben in's Ohr flüsterte. Dazu klimperten die Finger der Alten lustig und gierig in ihrer Tasche und der helle scharfe Klang verrieth die Goldstücke.

Immer lustiger, immer munterer wurden die Kreise auf dem Platz. Der Capitain leerte seine Börse, um Putz und Schmuck sachen für die tanzenden und singenden Schönen zu kaufen, und die Mädchen und Frauen drängten ihm jubelnd die Blumen auf, ihm selbst die symbolischen Blüthen in die Hand drückend, daß der galante Franzose mit den duftigen Frühlingskindern wie überschüttet war. Die weißen Hände der jungen Frauen und Mädchen kredenzten [134] Wein in Schaalen und Bechern, den goldenen, süßen, milden Wein, der an den Höhen des Balkan und drüben auf den Hügeln der Walachei wächst, das dunkle Purpurblut von Gallipoli, den schwarzen Traubensaft vom Olymp, den milden Duft von Brussa oder das glühende Feuer von Chios und den Vulkanen Santorins.

Und immer höher schwoll und stieg die Lust – bacchantisch rasten die Frauen, durch die schwarze Nacht summten leuchtend die glühenden lüsternen Käfer, aus dem Platanengipfel schlug die Nachtigal girrende, verlangende Töne, das Tambourin klang zum lustigen Tanze, die Düfte der Rosen, der Myrthen und der hundert würzigen Kräuter verdichteten die Luft, – die bunten Papierlaternen, die den Gruppen geleuchtet, verloschen, – der Kiradschia war in sein Haus gegangen, – zwei Mädchen im Arm, das Kind eines Pascha's und das junge entwichene Weib eines alten Griechen, jubelte der Capitain und brüllte französische Opernarien und lockere Grisettenlieder, – stiller und stiller wurde es auf dem weiten Platz, – auf die ausgebreiteten Teppiche, in ihre Decken und Schleier gehüllt, lagerten die süßen Amazonen von Madara, oder legten ihr Haupt in den Gemächern und den Tschardaks auf weichen Polstern oder dem harten Holze zur Ruhe – stiller und stiller wurde es ringsum – nur einzelne verhüllte Gestalten nahten in der duftigen, warmen, üppigen Mailuft den vier Häuschen, die den Fremden zur Wohnung angewiesen waren.

O, Madara, süßes phantastisches Madara, poetische Oase im Schmuz des Orients!

Lange schon hatte der Deutsche sich in sein Gemach zurückgezogen und ausgekleidet auf die weichen Kissen geworfen, die sein Lager bildeten. Er hatte es kaum bemerkt, wie sorgfältig die Jalousieen geschlossen waren, wie tiefes Dunkel rings um ihn herrschte, als er die Lampe ausgelöscht.

Er wußte, was folgen würde, er kannte jetzt die Gesetze und Gebräuche der seltsamen Republik und er war kein prüder, engherziger Tugendprahler, der sich den Sitten und Gebräuchen des Landes entzog. Durch seine Adern rollte feurig und kräftig das unverdorbene Blut, die Phantasie malte ihm süße köstliche Bilder des Naturgenusses und vor ihm gaukelten die dunkeln, feurigen, mandelförmigen Augen, die schmachtend in die seinen gesehen, die Reize, die zum ersten Male ihm unverhüllt erschienen waren.

Leise Schritte schlürften heran, ein Flüstern vor der Thür [135] ward laut, dann hörte er, wie der Besuch die klappernden Pantoffeln als Zeichen der Anwesenheit vor der Thür stehen ließ und hereinschlüpfte in das mysterienvolle Gemach.

Die Thür ward verschlossen, alles dichte Finsterniß, dichtes Geheimniß ringsum.

Ein betäubender Rosenduft erfüllte die Luft des Gemachs – ihm war, als hörte er das wogende Athmen eines Busens, den leisen sehnsüchtigen und dennoch ängstlichen Seufzer, der über halbgeöffnete Lippen quoll.

Er hatte sich halb aufgerichtet auf dem Lager – seine Pulse wogten fieberisch!

Sein halb erstickter Ruf verkündete seine Erregung, – im nächsten Augenblick warf sich ein voller, weicher, warmer, üppiger Körper an seine Brust, zärtliche Arme umfingen ihn, heißer Odem mischte sich mit dem seinen und glühende trunkene Lippen preßten ihm den Mund.

Dazwischen aber klang es wie leises Weinen und ängstliches Schluchzen.

Aber der Sturm der Leidenschaft, der erregten Sinne ließ ihn Nichts achten und hören, als deren glühende Befriedigung; Brust an Brust, Lippe auf Lippe sanken sie in die Kissen.

Er verwünschte das Dunkel der Nacht, das ihn hinderte, die leuchtenden Augen, die süßen Züge zu sehen, aber er wußte, daß sie jung und schön war, denn nur Jugend und Schönheit tragen den Hauch und Duft der Liebe. Voll glühender Zärtlichkeit umschlangen ihn ihre Arme und dennoch fühlte er, wie er sie in den seinen hielt, daß sie zitterte in Schaam und Angst.

So vergingen die Stunden – wie Minuten flogen sie ihm dahin. Zwei Mal im Laufe der Nacht hörte er, wie draußen an der Thür Schritte trippelten, Stimmen flüsterten; erst leise, dann erregt und zornig, dann wieder beruhigt und sich verloren im geheimnißvollen Schweigen der Nacht, und jedes Mal fühlte er, wie das Weib in seinem Arme heftiger zu zittern begann, wie ihre Brust sich in ängstlicheren Athemzügen hob und sie das Gesicht furchtsam an seiner Brust verbarg, ihn umschlingend, gleich, als wolle und könne sie nicht von ihm und ihn einer Anderen lassen.'

Mit Schmeichelworten suchte er sie zu beruhigen, und als ihr Mund in türkischer Sprache ihm zuflüsterte, daß sie ihn liebe, daß diese Nacht ihr höchstes Glück sei, daß sie seiner gedenken werde [136] immer und ewig, so lange sie lebe, da war es ihm, als wehten ihn bekannte Klänge an, als öffne sich ein lange verschlossener Schrein in seinem Herzen, als sei ihm diese Liebe und Wonne, die, wie die Rose sich entfaltet im wollüstigen Hauch der warmen Abendsonne, entsprossen war aus dem Sturm der Sinne, aus den unsichtbaren, mystischen Reizen der dunklen Nacht, – etwas längst Vertrautes und Bekanntes und Empfundenes. Die Stimme des Weibes in seinem Arm war leise und zagend, aber süß und wohllautend, und ihre Worte zeigten von tiefem natürlichen Gefühl und einem Denken und Empfinden, das gewöhnlich den jeder Bildung des Herzens und Geistes ermangelnden, in launenleerem Geplauder sich ergehenden türkischen Frauen fehlt.

»Wer bist Du, seltsames Wesen,« fragte der Deutsche in diesem seligen Rausch, »Du, die mir Liebe so zärtlich betheuert, und mir dennoch erst vor wenigen Stunden zum ersten Mal begegnet ist im Leben, die mein Auge nicht ein Mal unterschieden hat im Kreise ihrer Gefährtinnen, die ich nicht wieder kennen würde, wenn der Morgenstrahl mir nicht Deine Züge verriethe, und die dennoch ein Gefühl in mir weckt, wie es der ruhige, verständige Mann, über die Jahre der Leidenschaft hinaus, noch nie empfunden?«

»Sage mir,« flüsterte die Stimme, »bist Du glücklich, o Franke, an meinem Herzen?«

»Ich bin es – aber ....«

»Forschest Du dem milden Hauch der Abendluft nach, der Dein Gesicht kühlt? Kannst Du den Duft schauen, der Deine Sinne erfreut?«

»Und dennoch sehne ich mich, Dir in's Auge zu sehen, Deine Züge in mein Herz zu prägen für immer. Ich werde es, wenn der erste Sonnenstrahl dies Gemach erhellt.«

Sie antwortete nicht.

»Nimm diesen Ring, Mädchen,« sagte er, indem er einen einfachen Granatreif von seinem Finger zog und an den ihren steckte, »er ist ein Geschenk meiner Schwester und mir lieb. Ich möchte, daß, wenn ich fern von Dir bin, Du Dich meiner erinnern mögest, wie ich es thun werde.«

Er fühlte, wie sie die Hand emporhob und den Ring an ihre Lippen drückte, und zog sie an seine Brust.

Lange vorher, ehe das erste Morgengrauen durch die Jalousieen des Gemaches schimmerte, lag er in tiefem festen Schlaf.

[137] Als der Ruf des Kiradschia ihn später aus wilden aber süßen Träumen weckte, streckte sein Arm sich vergeblich nach der Gefährtin der wonnigen Nacht aus – sein Lager – das Gemach waren leer.

Er sprang empor – sollte denn Alles ein Traum gewesen sein? Unmöglich – er war in Madara – dort auf den Kissen noch der Eindruck des Hauptes der seltsamen Geliebten, – er kannte jetzt die Rechte der Republik, er wußte, daß eine Frau bei ihm gewesen.

Die Mahnung des Kiradschia hieß ihn sich beeilen. Er rief nach Nursah, seinem Diener, aber erst auf wiederholten Ruf erschien dieser, und es war, als scheute sich der sonst so zutrauliche, auf jeden Wink merkende Knabe vor seinem Herrn.

Bald saßen sie auf; Capitain Depuis mit seinem Diener kam von dem Hause her, in dem er die Nacht zugebracht. Sein Aussehen war erschlafft, matt und zeugte von den Schwelgereien der Nacht; sein Faunenblick traf den deutschen Arzt und jagte diesem das Blut in das Männerangesicht.

Aber man hatte wenig Zeit zur Verständigung – der Kiradschia drängte zur Abreise, denn sie mußten am nächsten Tage Schumla zu erreichen suchen, und aus den Hütten und Häusern des seltsamen Dorfes strömten bereits wieder die heiteren Bewohnerinnen zusammen und umgaben mit jubelndem Morgengruß die Reisenden. Vergeblich schaute der Arzt nach irgend einem Erkennungszeichen seines nächtlichen Besuches sich in der Menge um, überall schöne, heitere, neckende Gesichter, aber nirgends ein seiner Frage begegnender Ausdruck, nirgends ein Bild, das zu dem seiner aufgeregten Phantasie paßte. Zu fragen scheute er sich, denn er fürchtete den Spott des Offiziers und des Kiradschia's, und so mußte er denn mit ungestillter Neugier sich ihnen zur Abreise anschließen.

Ein ähnlicher Zug wie der, welcher sie empfangen, geleitete sie bis zum Ausgang des Thales, wo das Gebiet des seltsamen Weiberstaates endete und die Reisenden schieden hier, nachdem sie die Begleitung nach ihren Mitteln reichlich beschenkt hatten. Die Frauen schossen wiederum ihre Pistolen und Flinten in die Luft und jagten davon.

»Nun, Doctor,« sagte lustig der Capitain, als sie einen Augenblick auf der Höhe des Bergpasses hielten und zurückschauten auf [138] das ferne Thal, »was denken Sie von unserm Abenteuer und wie haben Ihnen die Gebräuche der höchst ehren- und achtungswerthen Republik gefallen? Der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht, aller Censur zum Trotz, eine verlockende Beschreibung in den Moniteur einrücken lasse. Ich bin überzeugt, die Sitte findet in Frankreich Nachahmung.«

»Gut für Ihre orientalischen Hilfstruppen, Capitain, daß es nur ein Madara in der Türkei giebt. Sie könnte sonst ihr Capua finden, nach Ihrer eigenen Miene zu urtheilen.«

»Pah – es sind wahre Teufelsweiber, eine pariser Grisette ist eine Vestalin dagegen. Aber sorgen Sie nicht, Doctor, unsere Soldaten werden aus den wohlverbarrikadirten Harems unserer werthen Bundesgenossen Madara's genug zu machen verstehen, trotz aller Tagesbefehle des Marschalls. Tausend Donnerwetter, ich denke mir ein Regiment unserer Jäger oder der Zuaven in unser eben verlassenes Nachtquartier einmarschiren. He, Monsieur Kiradschia, alter Sünder – wie ist's Euch ergangen in dieser Nacht?«

»Hast Du Etwas erfahren in Betreff des Auftrags Deines Freundes, des Janitscharen-Baschi's?« fügte der Arzt hinzu.

»Wenig genug, Signoris,« sagte der Führer, »und dennoch hat uns das Gerücht nicht getäuscht. Das alte Weib von dem wir hörten, daß es in Madara gestorben, muß in der That das verrätherische Weib Melek Ibrahim's, meines Freundes, gewesen sein. Sie war seit länger als zwanzig Jahren in Madara und muß mich oft dort gesehen haben, wenn ich sie auch nicht wieder erkannte; denn der Oda-Baschi hielt streng auf das Geheimniß seines Haremliks und ich habe sein Weib nur in dichtem Schleier geschaut.«

»Woher schließest Du dies Alles?«

»Höre weiter, Signor. Das Weib hatte einen bösen Ruf, selbst in Madara, und war zänkisch und boshaft. Die jungen Frauen fürchteten sie wie den Teufel. Sie war schwer erkrankt und mochte ihr Ende fühlen, obschon sie zwanzig Jahre weniger zählt, als der Jenethtschjeri, ihr Gatte. Ich weiß nicht, ob sie je erfahren hat, daß er gerettet wurde aus dem Gemetzel zu Constantinopel, aber ich vermuthe es jetzt, daß sie Kunde bekommen von unseren späteren Nachforschungen und deshalb sich nach Madara geflüchtet hat. Als der Tod ihr auf der Zunge saß, hat sie [139] einen Schreiber aus der Nachbarschaft kommen und ihn einen Brief schreiben lassen. Diesen und ein Paket hat sie den Aeltesten des Dorfes übergeben, die sie mir aushändigen sollten, wenn ich wieder nach Madara käme. Also ist es geschehen.«

»Zum Donner! die Sache wird ja ordentlich romantisch. Und was enthält der Brief, Freund Kiradschia?«

»Gott weiß es, wie die Moslems sagen,« entgegnete der Alte, »ich habe ihn noch nicht geöffnet, es hat Zeit, bis unsere Pferde Rast halten in der Mittagsstunde. Die Botschaft eines Unheils kommt immer noch früh genug, und was kann ein altes Weib anders bringen als Schlimmes!«

Mit diesem Trost mußten seine beiden Gefährten sich denn auch begnügen bis zu der festgesetzten Zeit. Als sie in der brennenden Mittagssonne im Schatten riesiger Kastanienbäume an einer Quelle die Pferde fütterten und, im Grase ausruhend, ihr einfaches Mahl verzehrten, öffnete der Kiradschia sein in ein Lammfell gebundenes Paket.

Es enthielt außer dem erwähnten Briefe ein Kästchen von jener Art, wie sie in Constantinopel so vorzüglich gemacht werden. Der Schlüssel lag in dem Brief, dieser aber lautete:


»An Paswan, den Kiradschia, einen Bulgaren und in Ewigkeit verfluchten Christen!


Vernimm meine Worte, o Paswan, der Du ein Freund meines Gatten warst und, wie ich vor Jahren gehört habe, ihn gerettet hast vor dem Zorne des Padischah und der Vernichtung der verfluchten Jenethtschjeri. Auf Dein Haupt komme es. Ich weiß nicht, ob der Höllensohn noch lebt, aber ich glaube es nicht und setze Dich darum zu meinem Erben ein, statt dieser alten Weiber, die mich schlecht behandelt haben und nun nur behalten mögen, was werthlos ist. Ich habe Melek-Ibrahim, den Oda-Baschi gehaßt und dies mit Recht, denn er hat mir viel Uebels gethan, und die schlechte Sclavin war über mir in seinem Hause, blos weil sie ihm Kinder geboren hat. Wah! war ich nicht seine rechtmäßige Freude? Er hat meine Rache empfunden. Nun aber will der Prophet, daß man Böses gut mache vor seinem Tode und ich habe mich dazu entschlossen, da Eblis, der schlimme Engel, hinter mir sitzt. Ich habe den Kindern meines Gatten Uebles gethan, aber das Schicksal wollte es so. Sie sind verkauft [140] worden als Sclaven, Jussuf, der Knabe, der zehn Sommer zählte, auf ein maltesisches Schiff, das die Rosalba hieß, und ich weiß nicht, wo er geblieben ist. Aber der Wille Allah's kann Dich ihn finden lassen und ich sage Dir, daß er ein Kennzeichen hat, die Anfangsbuchstaben des Namens seines Vaters auf der linken Schulter, eingezeichnet mit einer Nadel und eingerieben mit Pulver und Salz, daß sie fortwachsen mit seinem Leben. Das Mädchen, Zuleika, zählte erst vier Jahre, und ich hörte, daß sie gestorben sei. Was aus ihrer Mutter geworden ist, weiß ich nicht, – Fluch über sie und die Gräber ihrer Eltern. Aber die Habe, die ich mitgenommen, gehörte nach dem Gesetz den Kindern meines Mannes, und so gebe ich sie Dir, o Kiradschia, von dessen Redlichkeit die Leute Großes erzählen, obgleich Du ein Dschaur bist, damit Du sie dem Knaben wiedererstattest, wenn er sich finden sollte. Gott ist groß und in seiner Hand ruht Alles. Ist Deine Mühe vergeblich, so siehe das Erbe als das Deine an. Besser in den Händen eines Dschaurs, als dieser tollen Weiber, deren Dienerin ich geworden bin. Allah beschütze Dich und gebe mir ein gutes Ende. Am fünften Tage des Monats Zilkadé, im Jahre Zwölfhundertundneunundsechszig 21. Unterschrieben von Zulmah, der Frau des Melek-Ibrahim.«


In dem Kästchen lagen ein Menge sehr werthvolles Geschmeide, Rosenkränze und Amulets, nebst einer nicht unbedeutenden Anzahl Goldstücke.

»Beim Henker!« sagte der Capitain, »ich möchte der Erbe der alten Verrätherin sein. Schade, daß meine Abkunft auf der Mairie registrirt ist! Was wollt Ihr nun thun in der Sache, würdiger Kiradschia?«

»Was ich thun will, Signor Capitano?« fragte erstaunt der Bulgare. »Was kann ich anders thun, als meinem Freunde Ibrahim sein Eigenthum zustellen. Es kann Sonnenstrahlen werfen auf die Tage seines Alters. Mögen die Märtyrer mir beistehen, daß ich ihm von seinem Sohne einst Kunde bringen kann!«

»Das möchte etwas schwer werden, alter Freund, nach achtundzwanzig Jahren und in dieser Völkerwanderung dreier Welttheile. Wer weiß, an welchem Galgen der Bursche längst hängt, [141] oder wo er gespießt worden. Ich rathe Dir, mach' Dir keine vergebliche Mühe und Kosten, sie sind weggeworfen.«

»Wie Gott will,« sagte der Kiradschia treuherzig und fromm. »Die Wege der Heiligen sind wunderbar, und ich werde sein Erbe bewahren. Laßt uns aufbrechen, Freunde.«

Nach wenig Augenblicken waren sie in den Sätteln und auf dem Wege nach Schumla.

Hinter dem filmenden Gebieter ritt der Knabe Nursah und sein Auge hing mit seltsamem, fast zärtlichem Ausdruck an der Gestalt seines Herrn.

Fußnoten

1 Unsere Leser, denen nicht gleich eine Karte zur Hand ist, wollen sich erinnern, daß die in der Aufwärtsbiegung der Donau von Silistria zwischen dieser und dem Meer liegende Dobrudscha von Silistria ab durch folgende befestigte Punkte vertheidigt wurde:

Rassowa, Tschernawoda, Hirsowa, Matschin, Isaktscha, Tultscha.

2 Gouverneur.

3 Das türkische dolce farniente.

4 Lieutenant.

5 Die Janitscharen zerfielen in 4 Hauptabtheilungen, deren jede eine Anzahl Orta's oder Unterabtheilungen zählte.

6 Suppenkoch – der Hauptmann der Orta, so genannt, weil er die Suppe vertheilte.

7 Eine Vorstadt Constantinopels auf der nördlichen Seite des Horns.

8 Gouvernement.

9 Artilleristen.

10 Die Hauptabtheilung, bei der der Großherr selbst als Janitschar eingeschrieben war.

11 Kaserne.

12 1826.

13 Der zweite Befehlshaber.

14 Sein Lieutenant.

15 Am 13. Juni.

16 Die Artillerie-Kaserne steht jetzt an dieser Stelle.

17 Die kupfernen Kessel, zum Kochen des Pillaw dienend, wurden zum Zeichen einer Versammlung der Janitscharen ausgestellt und ihr Verlust durch den Feind galt als Schimpf.

18 Befehl.

19 Name der Janitscharen, die in Constantinopel standen.

20 Aya-Sophia.

21 1. Juli 1853.

Der Kampf um Silistria
1. Der Sturm
[159] Der Sturm.

Der Kriegsrath, den der Fürst von Warschau mit den Führern des Belagerungscorps, es waren sechsundfunfzig Generale vor der Festung versammelt, – an diesem Nachmittag im Dorfe Kanara, dem Hauptquartier des Fürsten Gortschakoff, gehalten, war vorüber, und der Fürst machte sich eben bereit, nach Kalarasch zurückzukehren, wie er alle Abende that.

[159] Vor der Thür der durch flüchtige Anbauten von Holz und Zelttuch vergrößerten Bauernbaracke standen die Generale, Adjutanten und höhere Offiziere in eifrigem Gespräch über die eben berathenen Gegenstände, die einzelnen Ansichten und Vorschläge nochmals erörternd, da eine Entscheidung noch nicht erfolgt war. Die beiden Fürsten und Führer der Armee dagegen waren noch in dem Gemach, in dem die Berathung stattgefunden und an dessen Eingang von Außen zwei Unteroffiziere Wache hielten.

Der greise Feldmarschall saß in der straffen Haltung, die er trotz seiner zweiundsiebenzig Jahre noch immer beobachtete, in einem Feldstuhl, und seine hohe, wenn auch magere, dünne Figur machte noch immer eine imposante Wirkung.

Ihm gegenüber stand der ihm jetzt untergebene bisherige Ober-Befehlshaber der Donauarmee, Fürst Gortschakoff, die Hand auf die Tafel gestützt, das von der tiefgesenkten Stirn etwas zusammengedrückte Auge nachdenkend auf den Feldherrn gerichtet.

»Sie sind zwanzig Jahre jünger als ich, Fürst,« sagte der greise Krieger, »und haben noch eine Zukunft vor sich. Gott allein weiß, welchen Ruhm Sie in diesem Kriege noch erwerben mögen. Mein Ruf, mein Besitz ist die Vergangenheit, und ich möchte sie nicht gern auf's ungewisse Spiel setzen in diesem Feldzuge, in dem wir an Händen und Füßen gefesselt sind. Du Franzosen und Engländer stehen bereits vor uns und haben das Meer; sie verstärken sich mit jedem Tage und bilden schon eine nicht zu verachtende Zahl. In unserm Rücken lauert unser alter Freund Oesterreich mit seiner perfiden Politik; – selbst die Proklamation an die Bulgaren hat uns getäuscht und ich habe eine bittere Erfahrung mehr gemacht! Die griechischen Aufstände können uns nicht mehr nützen – meine Ansicht, die ich noch heute unserm Herrn, dem Kaiser, melden werde, ist, daß wir Eile haben müssen, uns mit Ehren aus diesen unglücklichen Fürstenthümern zurückzuziehen.«

»Die Straße nach Schumla ist frei – der Muschir nicht im Stande, uns aufzuhalten.«

»Ich weiß es, Fürst – aber – der Fehler dieses Krieges von seinem Beginn! wir haben nicht die Macht zur Disposition, die nöthig wäre. Sie selbst wissen am Besten, wie viele Russen den Pruth überschritten haben.«

»Hundertundsechszigtausend Mann!«

»Wir sind unter uns, Fürst – wir machen keine Berichte [160] für die europäischen Zeitungen. Wie hoch rechnest Du unsere Verluste in diesen neun Monaten?«

Der Fürst beugte traurig das Haupt.

»Fünfundsechszigtausend, Durchlaucht! Kalafat hat uns allein an Fünfzehntausend gekostet: die Krankheiten haben furchtbar gewüthet.«

»Heiliger Andreas! mehr als der dritte Mann! – Wenn wir das Lüders'sche Corps – und Lüders liegt noch immer krank in Kalarasch – und Chruleff hier zurücklassen, behielten wir noch nicht vierzigtausend Mann, um den Balkan zu forciren. Es geht nicht.«

»Ich habe oft genug um Verstärkungen und Zufuhr gebeten, indeß – –«

»Der Kaiser täuscht sich über den Zustand der südlichen Provinzen, die Communikationsmittel sind erbärmlich«

»General Kleinmichel hat seit Jahren Millionen darauf verwandt.«

Der greise Fürst sprang heftig empor, alle diplomatische Ruhe schien mit einem Schlage ihn verlassen zu haben.

»General Kleinmichel ist ein – – und der Teufel hole die Millionen, die in seinen Büchern stehen. Ich weiß, was ich von seinem System in Polen zu leiden habe und bin wahrlich nicht der Mann, der so geduldig zusieht. Was, Fürst, willst auch Du hier den Hofmann spielen, unter vier Augen, und diesem fluchwürdigen System des Truges noch den Mantel halten?« – Er ging hastig auf und ab in dem kleinen Gemach. – »Es geht nicht – ich sehe es deutlich und klar, die Mißstände sind zu groß und zu tief mit dem ganzen System und dem Volk verschmolzen, als daß selbst ein Riesenwille, wie der des Kaisers, sie in einem Menschenleben ausrotten könnte. Ich fürchte, ich fürchte, die Schuld der Einzelnen könnte sich ein Mal schwer an dem Ganzen rächen. – Doch wir müssen wenigstens zu Ende kommen mit diesem Nest, das sie eine Festung nennen. Was meinst Du zu Schilder's Vorschlag?«

»Wir haben bereits vier Mal gestürmt,« sagte ausweichend der Fürst, »und an zweitausend Mann geopfert.«

»Ich weiß, ich weiß, Sie sind Artillerist, Durchlaucht, und trauen zu viel auf die Macht der Kanonen.«

Ein flüchtiges Lächeln des Stolzes zuckte über das Gesicht [161] des berühmten Artillerie-Generals – er hoffte, noch ein Mal Gelegenheit zu haben, die volle Gewaltigkeit seiner Waffe bekunden zu können.

»Lasse Dir sagen, Kamerad,« sprach der alle Fürst und legte vertraulich die Hand auf die Achsel seines jüngeren Gefährten, »es bereitet sich eine Revolte in dem Befestigungssystem vor und Du wenigstens wirst es noch erleben, daß der Stein ganz dem Spaten und der Erde weicht. Ich habe da eine vortreffliche Arbeit eines Deiner jüngeren Offiziere gelesen – Tottleben heißt er und ich empfehle Dir den Mann. Rußland, Fürst, hat schon eine Menge seiner Siege dem ruhigen Wirken der Hacke und des Spatens zu danken!«

»Die beiden Forts der Ostseite können sich nicht länger halten, die Batterieen haben sie zusammengeschossen.«

»Ich habe mich bereits überzeugt – senden Sie morgen früh dem General Schilder zehntausend Mann Verstärkung und lassen Sie um Mittag, wenn das Geschütz seine Wirkung gethan, stürmen. Wir müssen sie haben, aber sie werden uns wenig nützen. Die Stärke des Feindes liegt in der neuen Citadelle, die sie nach dem Sultan nennen. Haben wir die Außenwerke, dann mag Schilder seinen Minenkrieg beginnen. Jetzt aber leben Sie wohl, Durchlaucht. Ich habe noch meine Berichte zu machen und will morgen zeitig wieder bei Ihnen sein.«

Der Fürst geleitete ehrerbietig den greisen Feldherrn bis zum Wagen, die Adjutanten und Offiziere der Suite warfen sich auf die Pferde und der Zug rasselte davon, der zweiten Pontonbrücke zu, die man eben weiter unterhalb der ersten über den Strom vollendet hatte.

Während des Gesprächs der Führer hatte vor dem Quartier die Unterhaltung in den Gruppen fortgedauert, die von Offizieren jeder Charge und Waffe gebildet waren.

Eine solche stand in der Nähe einer alten halbverwitterten Kastanie und schien mehrere Personen von Bedeutung zu enthalten; denn um zwei durch ihre Uniform als kommandirende Generale ausgezeichnete Männer hatte sich ein großer Kreis von Offizieren versammelt. Der Aeltere von Beiden, ein Mann von 68 bis 70 Jahren, nahm wenig Theil an dem Gespräch und ließ, – an den Baum gelehnt, – die Blicke über den Kreis hinausschweifen in die rothen Abendwolken, welche die unter den Horizont sinkende Sonne[162] hinter den Werken von Silistria gleich blutigen Streifen über den Himmel schoß. Es war eine hohe Greisengestalt, hager wie der Fürst von Warschau, aber keineswegs von dessen stattlichem Aussehen. Die reiche goldbeladene Genie-Uniform hing unordentlich und aller militairischen Accuratesse entbehrend um die dürren Glieder und über der ganzen Figur lag etwas Träumerisches, Unheimliches, gleich als gehöre sie nicht dieser Welt an. So mag man sich Swedenborg denken, oder einen der alten Seher des schottischen Hochlandes, mit dem doppelten Gesicht begabt. Namentlich war es der Kopf und das Auge, was diesen unheimlichen, aber nicht würdelosen Eindruck machte: eine jener Adlerbildungen des haarlosen, nur an der Seite mit spärlichen weißen Locken versehenen Schädels, wie wir sie zuweilen so scharf ausgeprägt finden; – überaus tief in den Höhlen liegende Augen, mit buschigen weißen Brauen darüber, so tief, daß es nur wie ein Feuerstrahl daraus hervorfunkelte und die Farbe der Pupille ganz unsichtbar blieb; unter der großen schnabelartig gebogenen Nase ein dichter grauer Schnurrbart: – das war der General-Adjutant, Ingenieur-General Schilder, einer der berühmtesten und sowohl durch seine militairischen Talente als durch seine Seltsamkeiten bekanntesten Soldaten Rußlands, der nun zum zweiten Mal vor der türkischen Festung lag.

General Chruleff an seiner Seite unterhielt sich eben mit dem General-Lieutenant Selwan, dessen Division den linken Flügel der Aufstellung gegen Silistria bildete und die Trancheen gegen das Fort Abdul-Medjid führte. Der Stabschef des General-Lieutenants, Oberst Graf Orloff, der Sohn des berühmten Freundes des Kaisers, stand dabei, mit einem Adjutanten des Fürsten und einem jungen Genie-Capitain sprechend, und ab und zu mengten sich Andere des zahlreichen Offizier-Kreises in die Unterhaltung.

»Erinnern Sie sich unsers Wirthes, Capitain, von dem Abend in Bukarest, als wir vom Ball zu dem blutigen Tanz von Oltenitza geholt wurden?« fragte einer der Offiziere den Adjutanten.

»Des preußischen General-Consuls von Meusebach?«

»Richtig, Baron – er besuchte uns heute Morgen während des Bombardements in den Schanzen und erkundigte sich auch nach Ihnen.«

»Was hat Herrn von Meusebach hierher geführt?«

[163] »Ei, die Neugier – er war bereits bei dem Schlagen der ersten Brücke gegenwärtig, als der kleine Kotzebue fiel – und wollte sich von unsern Fortschritten überzeugen. Wir konnten ihm leider den gehofften Sturm nicht aufführen, denn es fehlten die Ordres, aber er hat eine recht hübsche Kanonade mit angesehen. Kennen Sie seinen Pudel Caro?«

»Ich habe nicht die Ehre,« sagte lächelnd der Adjutant, »doch habe ich von den Bären des Herrn von Meusebach gehört.«

»Ei, liebster Meyendorf, wahrhaftig, da verlieren Sie viel. Es ist ein ausgezeichnetes Vieh und apportirt wunderbar. Glauben Sie wohl, daß der Preuße – der wirklich ein Soldat zu sein verdient, denn er spazierte ganz ruhig im Feuer umher und ließ die Cigarre nicht ausgehen, – die Paßkugeln durch seinen Hund appportiren ließ? Das Thier wußte die Bomben und Granaten dagegen ganz vortrefflich zu unterscheiden und hielt sich stets aus ihrem Bereich. Karamsin, der an der Aluta steht, lehrte ihn das Kunststück in Bukarest.«

»Herr von Karamsin,« sagte eine dumpfe Stimme neben ihnen, »wird keine Hunde mehr das Apportiren lehren.«

»Wie können Sie das behaupte, General?« warf der Graf ein.

»Oberst Karamsin,« sagte der alte Ingenieur-General – denn dieser war es, der die eigenthümliche Prophezeihung in den Kreis geworfen, – »hat von den Türkenhunden heute genug bekommen. – Israël ist ausgezogen den Philistern entgegen in den Streit. Die Philister aber hatten sich gelagert zu Aphek und rüsteten sich gegen Israel. Und der Streit theilte sich weit; und Israël ward von den Philistern geschlagen und sie schlugen in der Ordnung im Felde bei viertausend Mann.«

»Ei was, Kamerad,« sagte halblachend der General-Lieutenant Selwan, »verderben Sie uns mit solchen düsteren Gedanken nicht die Laune. Der Kaiser Alexander, allen Respekt vor ihm, wird diesmal hoffentlich falsch berichtet sein.«

Der alte General wandte sich zu ihm und sah ihn starr an.

»Und es kam ein Gericht über die Spötter und sie wurden zu Schanden in ihrer Weisheit. – Gehe heim, Mann, und bereite Dich vor, denn Du wirst eher vor Dem stehen, der Himmel und Erde gemacht, als Einer von diesen Allen – jenen dort ausgenommen.«

[164] Der magere Finger des Generals zeigte vor sich hin, und mit einem unwillkürlichen Schauder wichen Alle zur Seite, bis nur ein entfernterer Offizier – der Oberst-Lieutenant eines Jäger-Bataillons – ihm gegenüberstand, der gar nicht wußte, von was die Rede war und deshalb näher hinzu trat.

»Herr Kamerad,« sagte der General-Lieutenant mit einem gewissen Unwillen, »für wen von uns auch die Stunde kommen mag, sie wird uns als Männer und Soldaten finden, auch wenn wir nicht an Kartenschlagen und Wahrsagen glauben.«

Er verließ den Kreis.

Eine tiefe unheimliche Stille hatte sich über denselben verbreitet – Jeder kannte die Seltsamkeiten des alten Generals und seine Visionen, die ihm namentlich in der Dämmerung und in den einsamen Stunden der Nacht das Erscheinen des verstorbenen Kaisers Alexander vormalten, obschon selten Jemand darüber zu spotten wagte. –

Der Abend hatte seine stillen melancholischen Dinten rings umher auf die Flur gesenkt – nur von den Donauschanzen her donnerte in langen Pausen ein Schuß. In dem sinkenden Lichte stand die hohe schmale Gestalt des Generals und sein geisterhaftes Auge starrte dem Fortgegangenen nach. Ringsum im Kreise herrschte ein auffallendes Schweigen, das um so schauerlicher abstach gegen die lachende, lärmende Unterhaltung der entfernten Gruppen.

»Der Thor! – da geht er hin in seinem stolzen Muth,« sprach die hohle Stimme des Greises, – »und schon ist er Nichts als Staub und Asche. Als ob mein todter Freund und Herr sich irren könnte – sein Auge schaut das Unglück, das heraufzieht über das heilige Rußland. So wahr mir der Dreizehnte Gefahr und Tod bringt, so wahr wird jener Uebermüthige im Staube liegen vor der Hand des Herrn, noch ehe die Sonne wieder die Gipfel der Berge vergoldet.«

»Kommen Sie, Freund,« sagte zutraulich und teilnehmend General Chruleff, »wir wollen aufbrechen, unser Weg bis Girlitza ist nicht der kürzeste.«

»Die Pferde, Herr General?«

Der alte Krieger, noch immer mit seiner Vision kämpfend, legte die welke Hand auf den Arm des jungen Obersten, der die Frage gethan.

»Schau' Dich um, Graf Orloff, damit Du die schöne Welt [165] siehst und jene Wolken, auf denen der Gott Israels thront. Schau um Dich das Land, das er gemacht hat und die Himmel, die seiner Hände Werk! Wo ist Dein Auge, Graf, – die Höhle ist leer – Deine Hand ist voll Blut – wehe über Jerusalem!«

Die hohe greise Gestalt schauerte unwillkürlich zu sammen – auch der junge Graf – – da wirbelten die Trommeln und die Wache trat in's Gewehr, die beiden Oberstkommandirenden erschienen im Eingang des zeltartigen Quartiers.

»Guten Abend, Gortschakoff! – Guten Abend, meine Herren und gute Wache!«

Dahin rasselte die Equipage – nach allen Seiten zerstreuten sich die Mitglieder des Kriegsraths mit ihren Suiten. – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Halb Eilf! – Der General-Lieutenant Selwan hielt eben, von dem Chef seines Stabes begleitet, eine Nachtrunde durch die Trancheen und die Postenkette entlang, als ihm ein zerlumpter türkischer Knabe zugeführt wurde, – Mauro, der junge griechische Spion. –

»Oberst Daragan,« meldete der begleitende Unteroffizier, »zeigt an, daß der Bursche an den äußersten Posten nach dem kommandirenden General gefragt hat und eine eilige Nachricht überbringt.«

»Wer bist Du?«

Der General wandte sich zu dem Knaben.

Mauro schüttelte mit dem Kopf, er verstand kein Russisch.

»Spricht Einer von Euch Türkisch oder Griechisch oder die Lingua franca – die Zeit ist kostbar!«

Graf Orloff redete ihn auf Italienisch an, das der Junge leidlich verstand.

»Bist Du der General?«

»Dieser Herr hier.«

»Dann laß uns im Geheimen reden, ich habe einen Brief für ihn.«

Die Offiziere und Soldaten traten zurück – im Schatten der Brustwehr hatte einer der Sappeure rasch eine Laterne angezündet und an die Lafette gehängt.

»Den Brief, den Brief, Bursche!«

Der Junge brachte ihn sorgfältig aus dem Schuh zum Vorschein. –

[166] »Man hat mich so lange an den Vorposten aufgehalten, Herr – die Zeit muß bald da sein, um eilf Uhr greifen die Türken an.«

Der Graf ließ die Uhr repetiren, während der General-Lieutenant den Brief durchflog.

»Drei Viertel auf Eilf! Schorte wos mi! auf welcher Linie soll der Angriff erfolgen?«

Der General sprang empor. –

»Lassen Sie, ich weiß genug! wir können heute einen tüchtigen Schlag thun, Orloff, und vielleicht das ganze Nest nehmen! – Ein Kosackenoffizier!«

Ein Kosack sprang vor.

»Dein Pferd?«

»Kaum hundert Schritt von hier, Väterchen!«

»Carriere zu den Schanzen des Generals Schilder an der Donau – die Türken werden um eilf Uhr einen starken Ausfall vom Babadagh-Thor machen. Eine Rakete von der Citadelle das Signal. Pascholl und schone das Pferd nicht. Pepotoff!«

Ein zweiter Offizier stand bereit.

»Du hast gehört –: fort mit gleicher Meldung nach Girlitza zu Schilder und Chruleff.«

»Wohl, Excellenz!«

Der Galopp des Kosacken klang bereits über die Ebene.

»Orloff!«

»Excellenz!«

»Welche Truppen haben wir auf den Umkreis einer Viertelstunde zur Disposition?«

»Nur das dritte Bataillon des poltawskischen Regiments, das dritte des alexopolskischen und das erste der samoszkischen Jäger.«

»Es genügt. Michalowitsch!«

»Zu Befehl.«

»Zu Oberst Daragan in die vorderste Linie – er soll das Bataillon zum Sturm sammeln.«

Der Offizier schwang sich über die Brustwehr und sprang querfeldein.

»Du, Komajeff, zu Boussaye – das Bataillon muß in fünfzehn Minuten an der letzten Tranchee sein. Fort! – Lieutenant von Möller gleiche Ordre dem General-Major Golowaschewski!«

»Aber der Brief, Excellenz, der Brief – er muß zum Fürsten!«

[167] »Du hast Recht, Graf. Hier,« – er warf dem Knaben seine Börse zu, – »sieh', wo Du bleibst. Laß ihn zurück über unsere Posten, wenn er will. Fürst Braginski – schnell zu Pferde und nach Kanara zum Oberstkommandirenden diesen Brief und sage ihm, wenn der Ausfall sich bewahrheitet, was wir in zehn Minuten wissen werden, würde ich einen Sturm versuchen auf die südöstliche Front, die dann sicher nur schwach besetzt ist –«

»Excellenz – bedenke –«

»Ich weiß, was Du sagen willst, Orloff, aber die Gelegenheit ist zu gut, um zu zaudern. Ein Armee-Corps oder eine Kugel – Beides ist zu gewinnen. Sorge, daß Popoff mit den anderen vier Bataillonen in Reserve nachrückt und nicht zu spät kommt. Ich gehe voran nach dem Platz – zehn Minuten nach dem Aufsteigen des Signals beginne ich den Sturm.«

Der General eilte davon – nach allen Seiten flogen die Boten und Ordonnanzen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Gleich dem dämonischen Reiter, der in den Sagen der Völker durch Nacht und Sturm braust, flog die graue Gestalt des jungen Kosacken-Offiziers auf dem kleinen wilden Pferde mit der langen Mähne und den feurigen Augen über die Ebene, jedes Hinderniß im rasenden Anlauf überspringend, über Stein und Sumpf, Graben und Buschwerk – nur ein Kosakenpferd konnte solchen Lauf unternehmen, nur ein Reiter der Steppe ihn ausführen! – Immer in gerader Linie fort auf die Trancheen zu, die sich in zweiter Linie bereits zwischen der Stadt und den Weinbergen weit in's Land über die Straße nach Rassowa und bis zu dem Punkt erstreckten, wo der Oberst Graf Oppermann, der die Arbeiten in den Trancheen leitete, den Bau der Redoute begonnen, von der man das Fort Abdul-Medjid im Rücken beschießen wollte.

Plötzlich that das Pferd des Ordonnanzoffiziers einen furchtbaren Sturz, es war in eine der im hohen Grase angebrachten Schützengruben mit den Vorderbeinen gestürzt und hatte beide morsch gebrochen. Der Offizier flog aus dem Sattel über den Kopf des Pferdes hinweg, raffte sich aber, nur wenige Augenblicke betäubt, wieder empor; das hier mannshohe Gras versperrte ihm die Rundsicht, der bedeckte Himmel gestattete ihm nicht einmal, sich nach den Sternen zu orientiren.

Da knisterte und zischte es links in der Ferne vor ihm in [168] die Höhe – hoch in den dunklen Nachthimmel stieg von der Citadelle der majestätische Strahlenschweif einer Rakete und streute auf dem Zenith seine glänzenden Leuchtkugeln in das Dunkel ringsum – auf Augenblicke Tageshelle verbreitend.

»Heiliger Iwan, schütze sie!« Der Lichtstrom hatte ihm die Lage der Forts gezeigt, wie ein gejagter Hirsch brach er sich Bahn zur Rechten durch das Gestrüpp und Gras –

Kaum zweihundert Schritt weit –

»Stai! – die Parole!«

Victoria – er war an der Tranchee! – »Constantin und die Flotte! – Allarm, Allarm! Zu den Waffen – die Türken machen einen Ausfall!« –

Ein Musketenschuß, dann eine Salve links in der Entfernung eines halben Wersts krachte bereits die Antwort, in der nächsten Minute brach der Allahruf der Moslems durch die Luft und eine Kavallerie-Attaque donnerte quer über das Feld.

»Festgestanden! – Fertig! – Feuer! – Drauf mit dem Bajonnet!«

Die Säbel und Handjars der Irregulären blitzten zwischen dem kleinen Posten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In dunklen Massen, unter wüthendem Allahruf brachen die Kolonnen des Nizam auf die vorderen Linien der Trancheen und die errichteten Batterieen, im ersten ungeahnten Anlauf die Postenkette über den Haufen werfend und unaufhaltsam bis zur ersten Linie vordringend. Erst hier, an den Abhängen der Weinberge und unterm Schutz der russischen Batterien am Donau-Ufer gelang es dem Obersten Grafen Oppermann, die Seinen zum Stehen zu bringen und die Truppen zu sammeln.

Die Verwirrung und der nächtliche Lärmen waren furchtbar, das Schlagen der Trommeln, die Allarmsignale der Hörner auf allen Seiten, der Ruf der Offiziere, das Knattern der Flinten und Pistolenschüsse – das wilde Geschrei der Türken, dem nur das grimmige Zähneknirschen des Feindes, die lautlose aber desto verzweifeltere Gegenwehr antwortete, das Alles war sinnverwirrend, betäubend, der Hölle entstiegen!

In der ersten Viertelstunde war der Kampf ein Knäuel gegenseitigen Ringens und Würgens, Faust gegen Faust, Mann an Mann – ja Zahn gegen Zahn, denn der Fallende faßte rasend [169] mit seiner letzten natürlichen Waffe oft noch den Gegner, und am Boden würgten sich die Feinde unter den Füßen der Kämpfenden. Siegesjubelnd gellte das Allah der Türken und immer weiter und weiter drängten die Massen vor, während im Rücken bereits die Geschütze der erstürmten Schanzen vernagelt, die Laufgräben von hundert rüstigen Händen verschüttet wurden und die Hyänen der Schlachtfelder, die regellosen Marodeurs und die privilegirten, trotz aller Befehle des Muschirs von den Pascha's geschützten und geduldeten Kopfabschneider der Tabors oder Compagnieen ihr gräuliches Geschäft an den Leichen und Verwundeten der Russen begannen.

Dazu strömte Zug auf Zug aus dem geöffneten Thor, zur Unterstützung von dem vorsichtigen Mussa-Pascha beordert, und stürzte sich in den Kampf.

Kiriki-Pascha mit den berittenen Bozuks hatte sich zur Rechten geworfen, um die Verbindung mit dem Centrum zu durchbrechen und dem ungestümen Angriff war es im ersten Augenblick gelungen. Cavallerie kämpfte hier mit russischer Infanterie und den Artilleristen, die wüthend mit den Ladestöcken und Hebebäumen sich verteidigten, und sich einzeln an den Kanonen erschlagen ließen, ehe sie von dem anvertrauten Gute wichen. Mitten in den Reihen der Bozuks befand sich der englische Garde-Capitain, das wilde Gemetzel betrachtend und nur hin und wieder den am Faustgelenk hängenden Säbel zur Abwehr schwingend. Den Jägern, die diesen Theil der Trancheen hielten, war es jetzt gelungen, an einer eben erst angelegten Batterie Posto zu fassen unter dem Commando eines jungen Artillerie-Offiziers, des Lieutenant Potemkin, und zwei Geschütze gegen den Feind zu richten. Während sich an der Kehle der Batterie die orloffskischen Jäger wüthend gegen die Reiter schlugen, krachte der Kartätschenhagel in den dichten Haufen der Feinde, Reiter und Pferde zerreißend und zu Boden schmetternd, die ersten Kanonenschüsse, die von russischer Seite in diesem furchtbaren Kampfe fielen.

Rat – tat – rat – tat – tat! Der kurze Schlag des Sturmmarsches schien den Höllenlärmen des Kampfes zu durchbrechen und mit dem grollenden Donner des Himmels zu wetteifern, den die immer höher heraufziehenden Gewitterwolken, schon mit Sonnenuntergang drohend, jetzt mit dem Leuchten der Blitze durch die Nacht warfen. Gleich einer Strahlengarbe fuhr es von [170] den Donauschanzen jetzt hinauf in die dunklen Wolkenschichten, eine Garbe großer Raketen, die Gegend ringsum auf eine Minute weithin mit Tageshelle überglänzend.

In dem hellen Schein sah man das Anrücken der russischen Kolonnen, das zweite Jäger-Bataillon vom Regiment »Fürst von Warschau« unter Anführung seines tapfern Obersten Kloot von Jürgenburg eilte seinen bedrängten Kameraden zu Hilfe, ihm zur Seite im Sturmmarsch dicht schon an den wilden türkischen Reitern General-Major Inseroff mit dem zweiten Bataillon des Jeletzkischen Regiments.

Das »Hurrah!« der Russen überdonnerte den Donner, von Kanara her gellte das »Kuli!« des Tamanskischen Kosacken-Regiments, das der Oberfeldherr zu Hilfe sandte – von den Weinbergen herab drängte in dunklen Massen mit den im Blitzstrahl blitzenden Bajonnetten die Infanterie-Colonnen General Chruleffs.

Das rollende Hurrah mischte sich mit dem wüthenden Allahruf, mit dem Donner des Himmels – der zuckende Blitz – das blendende Licht der Raketen und Leuchtfeuer – zeigte den grimmigen Gegnern das Weiße im Auge, glänzte auf dem blinkenden Stahl, spiegelte blutroth im strömenden Blut. Dazu schien der Himmel seine Schleusen zu öffnen und vom sich erhebenden Wirbelwind gepeitscht, stürzte ein dichter Gewitterregen herab.

Alle Schrecken der Hölle schienen vereint auf diesem blutigen Flecke von des Allmächtigen lieblicher Erde!

Rat – tat – rat – tat – tat! Neue Regimenter der Russen im Sturmschritt herbei – durch die engen Wege der auslaufenden Donausümpfe von Girlitza schmetterten die Trompeten der Prinz-Friedrich-Carl-Husaren heran zum Angriff.

Hussein-Aga gab das Zeichen zum Rückzug; über die Kämpfenden hinweg zischten bereits die Paßkugeln des Capitain Grach aus dem Tschengell-Labiassi in die russische Stellung, und die Müftirieh-Batterie donnerte mit schweren Kanonen.

Kiriki's Reiterei hatte längst den Rückzug begonnen. Schritt um Schritt schlug man sich jetzt mit dem drängenden Feinde; Muchlis-Pascha am Commando – Kiriki durch den Leib geschossen, vom Arm des englischen Capitains unterstützt, während seine Bozuks sich Bahn hieben, nahte man schon den Forts!

»Hier ist der Hekim-Baschi – Allah sei gepriesen und sein Prophet!«

[171] »Goddam! Das ist ein Glück, daß Sie hier sind, Doctor. Ich fürchte, der Pascha ist schwer verwundet!«

Er hob mit Hilfe einiger Männer den Verletzten vom Pferde, das selbst von einem Bajonnetstich blutete.

»Es ist in diesem Getümmel wenig zu machen,« sagte Welland, den der Eifer seines Berufs aus dem Schutz der Forts und den Truppen nachgetrieben hatte. »Wir wollen ihn forttragen; faßt an, Bursche. Wie steht die Schlacht, Capitain?«

»Nennen Sie's ein Schlachten, ein Gemetzel. Hell and damnation! Selbst in Indien hab' ich ein solches Blutbad nicht gesehen, und dazu Finsterniß und Regen statt des versprochenen Mondscheins. Wir müssen eilen, uns zurückzuziehen, Doctor, die Russen gewinnen jetzt das Feld.«

Schon war es zu spät. Das Hurrah und Kuli der Kosacken brauste heran wie ein Bergstrom und trennte sie von den Ihren und drängte sie fort – wen kümmerte jetzt der verwundete Pascha unter den Hufen der Pferde und den Füßen der Menschen, wo Jeder genug an sich selbst zu deuten hatte. Capitain Morton, wieder zu Pferde, an dessen Mähne sich der Arzt hielt, focht für das Leben wie jeder der Reiter, hin und her drängte der Stoß der Massen.

»Herauf, Doctor, hinter mir auf die Kruppe, oder Sie werden erdrückt!«

Welland schwang sich mit Turnergeschicklichkeit empor – in dem Augenblick warfen Blitze und Raketen ein neues Licht und er sah die zum Stoß gehobene Lanze eines Kosacken und dicht neben sich einen feindlichen Offizier.

»Heiliger Gott! Doctor Welland – Sie hier?«

Der Säbel des russischen Offiziers schlug die Lanze des Steppenreiters in die Höhe.

»Capitain Meyendorf!«

»Fort, fort mit Ihnen – Gott schütze Sie – da hinaus!«

Der englische Capitain, mit zwei Gegnern beschäftigt, hatte sich kaum umgesehen, doch die französisch gesprochenen Worte gehört, und benutzte den Rath, das Pferd zur Seite werfend – der Chock herbei eilender türkischer Infanterie machte Luft, nach einigen Augenblicken hatte sich die türkische Kavallerie herausgehauen, und während sie selbst nun gegen den Feind ansetzte, von Beiram-Pascha geführt, flüchteten die Doppelreiter in den Schutz der Forts und [172] gewannen den Eingang, indeß die Kartätschen über ihre Köpfe hinweg in die anstürmenden Colonnen der Russen hagelten. Der Rückzug war blutig, fürchterlich, so blutig und verderblich wie der Ueberfall selbst, und nur die Nacht und das wohl gezielte Feuer des Capitain Grach wahrte die tapfern Truppen vor der Rache der Gegner.

Kaum wußten die Führer auf den Bastionen am Babadagh-Thor, daß im selben Augenblick eine zweite Schlacht auf der Südseite der Stadt geschlagen wurde. Unter dem Toben des Kampfes vermochte Keiner den entfernteren Kanonendonner zu unterscheiden.

Dennoch wüthete dort der Kampf fast eben so blutig. Wir haben bereits gesehen, daß der auf der linken Flanke kommandirende General-Lieutenant Selwan – der Commandeur der 8. Infanterie-Division – ohne die Befehle des Ober-Kommandirenden zu erwarten, beschlossen hatte, den Ausfall zu benutzen, um das gegenüber liegende und die Südseite deckende Fort Arab-Tabia zu stürmen, indem er der Ansicht war, daß die Türken in diesem Augenblick dort nur eine schwache Besatzung zurückgelassen haben würden.

Wir müssen auch diesem Kampfe folgen, da in seinem Schein von Feuer und Blut zwei Begegnungen stattfanden, die für die Personen unserer Geschichte bedeutungsvoll sind.

Im Dunkel der den Mond verbergenden aufsteigenden Gewitterwolken reihten sich die Bataillone an dem äußern Rand der Laufgräben mit möglichster Stille: drei Compagnieen des dritten Bataillons des poltowskischen Infanterie-Regiments, das dritte Bataillon des alexandropolschen und das erste Bataillon des samoszkischen Jäger-Regiments, begleitet von einer Sappeur-Compagnie und der Mannschaft einer Feldbatterie.

Es war wenige Minuten vor 11 Uhr, als noch eine Anzahl in der Nähe bivouacquirender oder zufällig benachrichtigter Offiziere herbeikam und sich dem General zur Disposition stellte, darunter der Oberst Kostanda von der reitenden Artillerie der Leibgarde.

Aller Augen hafteten auf den dunklen Massen des Abdul-Medjid-Forts, von dem, wie sie wußten, das Signal kommen mußte. Links zeichneten sich am Horizont die schwarzen Linien des Arab-Tabia aus; – kein Geräusch – kein Laut von drüben her, Nacht und Schweigen bis auf das melancholisch herübertönende La illah-Allah il Allah! einer Schildwache als Gruß an die Ronde, und als Zeichen ihrer Wachsamkeit. Auch diesseits Alles Schweigen, [173] nur leises Flüstern in den Reihen, die Offiziere auf die Degen gestützt, die Soldaten das Gewehr im Arm – die Sappeure vorn mit Faschinen, Aexten und Leitern.

Plötzlich – mit dem Minutenzeiger auf Eilf schoß der feurige Strahl der Rakete vom Fort in die Höhe.

Also Wahrheit – die Botschaft des jungen Spions hatte nicht gelogen, und manches Herz, das noch immer gezweifelt, wappnete sich fester bei der Gewißheit der nun bevorstehenden blutigen Stunde, jedes Ohr lauschte gespannt – Todtenstille ringsum –

Der Oberst Kostanda hatte sich auf den Boden geworfen, um besser zu hören – zehn Minuten darauf ließ sich undeutlich in der weiten Entfernung der Schall einer Gewehrsalve vernehmen.

»Sie sind an einander, Excellenz – Gott lasse die Unsern bereit sein!«

»Pascholl! Bei Todesstrafe kein Schuß ohne Befehl!«

Schweigend – ein gespenstiges Ungeheuer, Tod und Verderben in seinen Ringen – drängten die Reihen vorwärts. – Um den Horizont zuckte das Wetterleuchten und mit den dunklen Menschenwolken zusammen zogen die Wolken des Himmels gigantisch gegen einander zur Feuerschlacht der Elemente.

Jetzt waren die Tirailleurs bis auf 200 Schritt an die äußere Circumvallation heran, die hinter einem – bei der höheren Lage des Forts nach dem Bergplateau zu – trotz des hohen Wasserstandes der Donau kaum drei Fuß tief mit Wasser gefüllten Graben lag. Keine Ahnung noch schien die Moslems vor der drohenden Gefahr zu warnen.

Der grelle Schein des Blitzes enthüllte jetzt plötzlich die Bataillone der Russen.

»Mashallah, die Moskows! Zu den Waffen! zu den Waffen!«

»Sturmschritt! – Vorwärts!« Die russischen Trommeln schlugen den kurzen Appell und ehe die Bataillone heran kamen, waren die Glacis vor dem Graben durch die Bajonnette der Tirailleurs von den türkischen Wachen geräumt und die Colonnen, die Sappeurs voran an der Brücke und dem Graben, und ihr Hurrah donnerte herausfordernd durch die Lüfte. Die Faschinen flogen in das Wasser, die Leute sprangen und stürzten die Böschungen hinunter und begannen mit der den russischen Soldaten eigenen Halsstarrigkeit und Gleichgültigkeit gegen den Tod bis steilen Wände des Walles emporzuklimmen. Das Heckenfeuer der [174] Jäger bestrich kräftig die Wälle, und der Zuruf, die Todesverachtung der Offiziere ermunterte die Leute zu riesenhaften Anstrengungen.

Aber der Angriff scheiterte an der Wachsamkeit der Artillerie und dem Umstande, daß Mussa-Pascha es für räthlich gehalten hatte, gleich in einer Ahnung des Kommenden und in der Absicht, während des Ausfalls die Kräfte des linken russischen Flügels durch eine Eröffnung des Feuers zu beschäftigen, die, seine Südseite und die Straße nach Schumla deckenden Forts, Arab-Tabia und Yania, mit einer starken Besatzung zu versehen, und daß sich – eben jener Demonstration wegen – die fremden Offiziere, die nicht am Ausfall Theil genommen, in den Forts befanden. Der Pascha, nachdem er das Zeichen zum Ausfall gegeben, war mit seiner Umgebung noch in der Nähe der Batterieen, welche die neue Citadelle, Abdul-Medjid, mit Silistria verbinden, als der Angriff des General-Lieutenants Selwan begann, und umsichtig und entschlossen warf er alle disponiblen Kräfte dahin, während die Citadelle ein Flankenfeuer gegen den russischen Angriff eröffnete.

In diesem Augenblick war es, als das Gewitter mit Sturm und Regen in seiner vollen Heftigkeit ausbrach. Ein Flammengürtel schien plötzlich rings um den Wall der Arab-Tabia sich zu öffnen und sprühte seinen Kartätschenhagel gegen die Stürmenden. Der Donner des Geschützes rollte mit dem des Himmels, mit der Fluth der Wolken goß sich der eiserne Strom über die Feinde.

Der französische Colonel, – Capitain Depuis – auch der Baronet Maubridge, der sich der Begleitung des Pascha's angeschlossen, – befanden sich unter den türkischen Offizieren auf dem Fort und warfen sich in den Kampf. Die Tabor's 1 der in der Stadt gebildeten Freischaaren, die unberittenen ägyptischen Baschi-Bozuks hielten standhaft die Wälle.

Dennoch gelang es dem samoszkischen Jäger-Bataillon wirklich, auf dem großen Wall Fuß zu fassen und es entspann sich hier ein wüthender Kampf. Mann gegen Mann, – die Jäger ihre Hirschfänger auf die Büchsen gesteckt, die Bozuks und Freiwilligen mit Säbel, Pistole und Handjar oder den Flintenkolben. In der Nahe dieses Getümmels kämpfte am Wall auch der englische Baronet mit seinem Diener gegen das Andrängen der Stürmenden. Der Diener des Briten, den er erst in Schumla angenommen, [175] eine wilde, breitschultrige, verwogene Gestalt in Arnautentracht, lud und schoß kaltblütig seine Pistolen auf die heraufklimmenden Russen ab. In seiner Nachbarschaft, durch den Kampf dahin gedrängt, focht Jussuf, der schwarze Courier, schon vor einer Stunde abgelöst von seinem Posten.

In diesem Moment gelang es dem Obersten Grafen Orloff, auch hier mit einer Abtheilung der alexopolskischen Infanteristen den Wall zu erklimmen und er griff mit dem Säbel in der Hand die Verteidiger an. Ein Pistolenschuß des vorhin erwähnten Dieners fuhr ihm von der Seite quer über das Gesicht und ein grober Schrootkorn durchbohrte sein Auge, dennoch kämpfte der Tapfere weiter. Aber auch der Arnaut hatte keine Zeit mehr, die lange Pistole am Riemen über den Rücken zu werfen und sich der blanken Waffe zu bedienen, denn zwei Infanteristen stürzten über ihn her und der Kolbenschlag des Einen warf ihn blutend zu Boden, und schon sprang der Zweite gegen ihn und hob das Bajonnet zum Todesstoß.

»Sukiensyn 2! Geh' zu Deinem falschen Propheten!«

Ein kräftiger Yataganhieb traf Waffe und Arm des Russen, daß beide machtlos niederfielen, ein zweiter spaltete ihm das Gesicht bis tief in den Hals hinein, und über dem zu Boden Gestreckten stand der Mohr, den Kameraden gegen den anderen Feind kräftig verteidigend und schützend, wenige Hiebe und Stöße, und, obschon aus einer leichten Wunde blutend, die das streifende Bajonnett ihm in die Seite gerissen, hatte doch seine größere Gewandtheit auch diesen Gegner gefällt.

Der Kampf hatte nur wenige Augenblicke gedauert, Jussuf hob den Gefallenen empor.

»Diavolo! – Das ging hart her – Dank, Kamerad!«

Das Auge des Mohren fiel bei dem Klange dieser Stimme aufmerksam auf das Gesicht des Geretteten und die Feuer des Himmels, wie die Blitze aus Menschenhänden, die fortwährend das Dunkel erhellten, ließen ihn trotz der Blutbefleckung das Gesicht des Andern klar und deutlich erkennen. Es schien wie ein electrischer Schlag durch die Glieder der großen kräftigen Gestalt zu zucken und die Muskeln krampften sich zusammen, wie zum gewaltigen Sprung, seine Augen blitzten wie die des Tigers, der sich [176] auf seine Beute werfen will. Aber nur einen Moment lang – dann schien ein gewaltiger Entschluß jede Fiber zu beherrschen, ein Entschluß, der sich in den leise zwischen den Zähnen zischenden Worten kundgab: »Von meiner Hand – allein; erst soll er mich kennen!« und den vom gewaltigen Kolbenschlag noch Halbbetäub ten – der Nichts von dem grimmigen Triumphe des ihm ganz fremden Helfers gemerkt – umfassend, zog er ihn schützend aus dem gefährlichen Gewühl.

Die kaum errungenen Vortheile der Russen waren gegen den Andrang der von Mussa-Pascha herbeigerufenen Verstärkungen nicht zu halten; von einem Handjarstoß durchbohrt, stürzte der tapfere Führer der samoszkischen Jäger, Oberst-Lieutenant Gladysch, – kaum vermochten seine Krieger den Sterbenden den siegreichen Vertheidigern zu entreißen; in den Graben zurückgestürzt, mit Kartätschen überschüttet, war der Kampf der Russen nur ein Kampf der Ehre und der Verzweiflung, und ihr allzukühner Führer, der selbst bis an den Graben vorgedrungen, konnte sich der Ueberzeugung des Mißglückens nicht länger verschließen.

»Popoff läßt uns im Stich,« sagte er zu dem neben ihm stehenden General-Major Wesselinski, »geben Sie den Befehl zum Rückzug. Ich selbst bin verloren, ich« – – –

Er ließ den Säbel fallen, hob die Arme in die Höhe und drehte sich um sich selbst, ehe er schwer zu Boden stürzte – eine Kärtätschenkugel hatte ihm den Leib aufgerissen und das Kriegsgericht erspart.

»Um Gotteswillen, Excellenz – ermannen Sie sich – ich höre den Sturmmarsch unserer Reserven – Popoff rückt an –«

»Zu spät – der Rückzug – – Gott sei mir gnädig!«

Ehe sie den Körper aufhoben, war der tapfere Offizier bereits eine Leiche und die unheimliche Prophezeiung des Generals Schilder erfüllt, wie in Betreff der Anderen.

Kühn und frisch rollte der Trommelwirbel des Sturmmarsches durch Wetter und Kampf, unter dem General-Major, Popoff mit vier Bataillonen als Reserve von der rechten Seite jetzt herbeistürmte und sich todesmuthig gegen das Fort warf. Aber die Besatzung desselben war jetzt dermaßen verstärkt, daß sie den heldenmüthigsten Anstrengungen trotzen konnte. Der General-Major, Fürst Urusoff, mit dem ersten Bataillon des alexopolskischen Jäger-Regiments stürzte sich in den Graben und eilte den Kameraden zum [177] Beistand – der Führer selbst einer der Ersten, die den Wall erstiegen.

»Oberst Wassilkowitsch, vor mit Deinem Bataillon – wir müssen diese Kanonen zum Schweigen bringen.«

Das graugrüne Auge des Offiziers funkelte, indem er den Degen hob, als Zeichen zum Angriff. Der galante alte Roué aus dem Salon der Fürstin Lieven zu Paris, die kriechende, im Verborgenen ihr Gift in die jungen Herzen ergießende Schlange, – der reiche, an jede Ueppigkeit des Lebens gewöhnte Graf war verschwunden und dem grimmig-tapferen Offizier gewichen, der seine Bataillone, wetteifernd mit dem jungen Fürsten, zum Sturm führte. Die ersten Reihen füllten, von den Nachdrängenden achtlos gegen das billige Menschenleben in die Tiefe gestürzt, den Graben, – über dem Damm von Leibern erklommen die Stürmenden den Wall – breite Lücken rissen die Kartätschen in ihre Reihen, aber neu und neu füllten sich die blutigen Breschen und das siegreiche Hurrah der Russen donnerte auf der Höhe der Embrasüren.

Aber die Augenblicke des Sieges konnten nur kurz sein – von rechts und links schmetterten die wohlbedienten Geschütze der Besatzung das Verderben in die russischen Glieder, und in der Front drangen mit jubelndem Triumph die Moslems auf die Haufen, die die Brustwehr erklommen, ein französischer Offizier kühn und ermunternd voran.

Die minutenlange, fast Tages-Helle zeigte klar und deutlich die kriegerische Gestalt, das edle feurige Antlitz des Vicomte de Miéricourt. –

»Feuer auf sie! Feuer auf den Offizier! Hundert Rubel dem, der ihn trifft!«

Die Gewehrsalve krachte, – aber unverletzt und glorreich stand unter den pfeifenden Kugeln der brave Zuaven-Offizier und stürmte auf die Gegner.

»Ha – Graf Wassilkowitsch! Heran zu mir!«

Die Säbelklingen kreuzten sich, – Schritt vor Schritt wichen die Russen, bis an den Rand der Embrasüren, jeden Zollbreit des gewonnenen Bodens nur mit ihren Leichen, mit ihrem Blute den grimmigen Gegnern zurückverkaufend.

Drüben vom Glacis her ließen die Hörner in bringender Weise den Befehl zum Rückzug ertönen – auf den anderen Stellen hatten die Russen bereits den Wall geräumt und klommen in wilder Flucht [178] aus dem Graben empor, von den Kartätschen der Artillerie haufenweise zu Boden geschmettert!

»Ergeben Sie sich, Graf Wassilkowitsch, – Sie sind verloren!«

»Der Hölle eher, als dem Todfeind!«

Ein mit aller Kraft des erbittertsten Hasses geführter Säbelhieb galt dem Haupte des Vicomte, aber die geschickte Hand desselben parirte ihn, daß die Klinge des Russen am Griff zersprang, dann war der kühne, in den Kämpfen Algerien's mit allen Künsten der Wehr vertraute Zuavenführer an ihm und hatte ihn an Hals und Lenden gepackt und im nächsten Augenblick über die Brustwehr hinunter in den Graben gestürzt. Wem es nicht gelang, eilig zu fliehen, der fiel ohne Barmherzigkeit auf dem Fleck, auf dem er gekämpft; – die Flucht der Russen war allgemein, blutig, verderblich, – der voreilig und ohne die nöthige Unterstützung unternommene Sturm glänzend abgeschlagen. Nicht das Armee-Corps, sondern den Tod hatte er dem trotzigen Führer gebracht.

Der Verlust der Russen in dieser Episode des blutigen Kampfes war überaus schwer; sie selbst geben ihn auf 250 Todte, und 39 verwundete Offiziere, und 548 Soldaten an – in Wahrheit betrug er weit über tausend Mann. Unter den Verwundeten befanden sich außer dem schwer am Aug' und in der Schulter getroffenen Obersten Grafen Orloff – der Commandeur der Reserven selbst, General-Major Popoff und Oberst Kostanda. Todt am Wall von Arab-Tabia lagen – wie der greise Geisterschauer es ihnen verkündet – General-Lieutenant Silvan und der Führer der tapferen Jäger, Oberst-Lieutenant Gladisch.

Diese Nacht kostete den Russen über zweitausend Mann. Auch der Verlust der Türken war bedeutend.

Fußnoten

1 Abtheilungen.

2 Hundssohn!

2. Auf und unter der Erde
Auf und unter der Erde.

Auf einem Rohr-Divan mit schlechten Polstern lag Doctor Welland, ausruhend von den Strapazen und Mühen der Nacht, die er – es war mehrere Tage nach dem blutigen Ausfall – an der Seite der Kranken und Verwundeten zugebracht.

Nursah, der schwarze Knabe, schaute durch den gehobenen Vorhang herein, ob sein Gebieter wach sei, und als er sich davon überzeugt, [179] kam er näher und legte demüthig einen klein zusammengefalteten und schwarz gesiegelten Brief vor ihm nieder, der statt der Adresse den bloßen Namen des Arztes trug.

»Woher der Brief?«

»Jussuf fand ihn am Morgen auf der Schwelle der Thür.«

Der Doctor betrachtete das Blatt, das offenbar keine dienstliche Mittheilung enthielt, von allen Seiten, wie wir wohl zu thun pflegen bei Briefen, von denen wir nicht wissen, woher? obschon das Oeffnen uns jedes Nachdenken leicht ersparen würde, und sagte:

»Ich sah Deinen Bruder gestern in Gesellschaft eines Menschen, der jetzt der Diener des Engländers zu sein scheint, welcher mich neulich mit seinem Landsmann besuchte. Ich müßte mich sehr irren, oder wir haben Beide den Mann schon in Widdin gesehen bei Handlungen, die keineswegs für seinen Charakter sprechen. Warne Deinen Bruder.«

»Er hat dem Italiener bei dem Sturm auf Arab-Tabia das Leben gerettet und Signor Lucia beweist ihm seitdem große Dankbarkeit.«

»In dem Auge des Mannes liegt Tücke und Verbrechen – ich wiederhole es: warne Deinen Bruder.«

Ein leichtes kaum merkliches Lächeln flog über das dunkle Gesicht des jungen Dieners, als er sich verbeugte und zurückzog, während Doctor Welland den Brief erbrach.

Der Brief war vom Capitain Meyendorf geschrieben und lautete:


»Bei unserer Begegnung im Sturm der Schlacht erst erfuhr ich mit Gewißheit, daß mein Befreier aus der türkischen Gefangenschaft zu Widdin in Silistria weilt. Nur wenige Augenblicke bleiben mir heute, da ich wieder im Stabe des Fürsten bin und die Folgen des Ausfalls noch alle Kräfte in Anspruch nehmen, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich Ihr Schuldner bin. Erhöhen Sie diese Verpflichtung, indem Sie mir Weiteres mittheilen und jede Nachricht über den Gegenstand geben, der uns Beide verbündet, – es ist für mich von Werth, das Geringste zu erfahren. Wie schwierig auch der Verkehr sein mag, ich werde Mittel finden, ihn zu unterhalten, und wenn Ihnen eine Person den Namen nennt, der unsere Loosung ist, können Sie ihr sicher jede Botschaft auftragen. Leben Sie wohl und möge der Himmel Sie schützen. Ihr

Alexander von Meyendorf.«


[180] Der Arzt las den Brief, mit einer tiefen Rührung des traurigen Schicksals jenes wackern edlen Kriegers gedenkend, der auf der Seite der Feinde stand und für den er doch so viel Theilnahme empfunden. Er steckte das Blatt zu sich und beschloß, noch genauere Nachforschungen anzustellen, wie es in seine Wohnung gekommen, da es offenbar bewies, daß die Russen ihre Spione in der belagerten Festung hielten.

Der Eintritt der Capitaine Grach und Morton, wiederum begleitet von Sir Maubridge, machte seinem Nachdenken ein Ende.

»Wir haben uns nur wenige Augenblicke seit der Nacht des Ausfalls und dem großen Sturm gesehen, den die Russen am Tage darauf unternahmen. Indem wir dem Feind die zerstörten Vorwerke am Babadagh-Thor überlassen haben, können wir unsere Mittel concentriren, und auch ich habe dadurch mehr Zeit gewonnen. Wie geht's mit Ihren Verwundeten und Kranken, Doctor?«

»Es ist mir lieb, Sie zu sehen,« entgegnete der Arzt, »und ich bitte um Ihre Unterstützung beim Pascha. Ich bin mit meinen Collegen darüber einig, daß für die Rettung unser Aller ein Waffenstillstand von einigen Stünden unbedingt nothwendig ist, wenn nicht der Typhus, ja noch Schlimmeres, Alles verschlingen soll.«

»Wie meinen Sie das?« fragte der Capitain.

»Sie selbst müssen bereits die Verpestung der Luft durch die zahllosen Leichen von Thieren und Menschen empfunden haben, die um die Forts aus den zwei letzten Stürmen und den täglichen kleinen Gefechten liegen geblieben sind. Ich habe alles Mögliche gethan, um im Innern der Stadt die sofortige Beerdigung aller unserer Leichen durchzusetzen, aber Sie kennen zur Genüge die Fahrlässigkeit und den Schmuz der Moslems, und die Cadaver der Thiere bleiben unbeachtet auf den Straßen. Hier haben wir nicht die Hilfe der Hunde, wie in Constantinopel. Ueberdies geschieht auch das Begraben der menschlichen Leichen äußerst sorglos, und die großen Gruben, die zu ihrer Aufnahme dienen, werden nur mit einer dünnen Schicht von Erde bedeckt. Die Hitze ist im Steigen und es entwickeln sich auch in der Festung Miasma's, die mit dem Pesthauch von außen vereint zehnfach tödtlicher wirken müssen, als alle feindlichen Batterieen. Die Cholera ist bereits stark im Zunehmen!«

»Goddam!« meinte der englische Offizier, »es ist eine verteufelte Aussicht, wie ein Hund zu sterben.«

[181] »Aber die Russen,« warf der Baronet ein, »haben denselben Nachtheil wie wir.«

»Darauf eben gründe ich meinen Vorschlag. Unsere Kanonen verhindern sie, ihre zurückgelassenen Leichen zu begraben. Ein vorgeschlagener Waffenstillstand zu diesem Zweck wird als eine Noblesse unsererseits angesehen werden und ihnen sehr willkommen sein. Wir aber ziehen den besten Vortheil davon.«

Der Capitain hatte aufmerksam und nachdenkend zugehört.

»Sie haben Recht, Doctor, und wir werden Ihren Vorschlag ernstlich bei dem Pascha unterstützen. Es wird am besten sein, wenn Sie ihn sofort und in unserer Gesellschaft anbringen. Mussa hat mir außerdem einen Auftrag an Sie gegeben. Ich glaube, der Knabe, der uns am Sonntag die letzten Nachrichten und Depeschen aus Schumla in die Festung schmuggelte, befindet sich bei Ihnen.«

»So ist es.«

»Master Welland,« sagte spöttisch der Baronet, »scheint eine ganze orientalische Familie in seiner Begleitung zu haben.«

»Ich besitze einen einzigen Diener, Sir,« entgegnete der Arzt ruhig, »der hier seinen Bruder gefunden hat. Ueber Beide bin ich meinen Vorgesetzten jede Auskunft zu geben bereit. Was den Knaben betrifft, so ist er das Vermächtniß eines treuen, aber mißleiteten Mannes an einen theuern Freund. Daher kenne ich ihn.«

»Etwa des Räubers Jan Katarchi für Herrn Caraiskakis?« fragte spitzig der Engländer.

Capitain Grach unterbrach ihn unwillig.

»Was geht das uns an, Sir! Wollen Sie hier im Orient den Stammbaum eines Jeden prüfen, ehe Sie mit ihm verkehren, so möchten Sie seltsame Geschichten zu hören bekommen. Hier ist die Frage, ob Sie den Burschen für geschickt genug zur Ausführung eines Auftrags halten und ob er ihn übernehmen will?«

»Das Erstere beantwortet sein Hiersein, daß Zweite ist leicht zu entscheiden, indem wir ihn rufen.«

»Nehmen Sie ihn mit, Doctor, und begleiten Sie uns zum Pascha. Es handelt sich darum, Briefe nach Schumla zu bringen und Nachricht von dort zu holen über die beabsichtigten Bewegungen zu unserm Entsatz, damit wir vielleicht eine unterstützende Diversion aus der Festung machen können.«

Mauro wurde gerufen und der Arzt begleitete mit ihm die Offiziere, um den Kommandanten aufzusuchen.

[182] Sie fanden ihn auf der nämlichen, zu einer Art Paradeplatz der Truppen dienenden Stelle, auf der wir ihm zuerst begegnet sind. Das Bombardement der Stadt hatte den ganzen Vormittag gedauert und Mussa-Pascha denselben auf den Wällen zugebracht, mit Anordnungen und Ermunterungen beschäftigt. Hussein-Aga und die beiden französischen Offiziere waren wieder in seiner Begleitung. Der Knabe wurde sogleich dem Pascha vorgestellt.

»Bismillah,« sagte Mussa, »der Bursche sieht aus, als trüge er die ganze Welt in dem Winkel seines Auges. Getraust Du Dich, sicher nach Schumla zu kommen, ohne den Moskows in die Hände zu, fallen, wenn ich Dir zwanzig goldene Ghazi's verspreche und eben so viel bei der Rückkehr?«

»Ich bin ein Kind, Hoheit – die Moskows achten nicht auf mich.«

»Ai dschänum! das ist eben der Grund, weshalb wir Dich wählen. Wie heißest Du, Knabe?«

»Mauro.«

»Du bist im Glauben an den heiligen Koran erzogen? Wer sind Deine Eltern?«

»Möge Dein Schatten lang sein, Hoheit, und der Ruhm Deiner Tapferkeit über dem des Sirdars. Ich bin ein Grieche von Geburt, aber habe seit meiner Jugend keine Eltern mehr und diene den Müssilmännern.«

Der Pascha fühlte sich durch das Compliment zu geschmeichelt, um Mißtrauen zu zeigen.

»Sprich zu einem Griechen von Gold und er verkauft seine Seele! Dieser Knabe wird zuverlässig sein, er hat bereits seine Probe abgelegt und es ist gefährlich, einen andern Boten zu schicken. Geh' mit Selim, meinem Divan-Effendi, er wird Dir die Briefe einhändigen und die Hälfte des Geldes, denn es ist nothwendig, daß Du zur Stelle und ohne weiter mit Jemand in der Stadt zu verkehren, die Wälle verlassest. Es fehlt den Moskows leider nicht an Spionen in Silistria, und unsere besten Unternehmungen werden oft vereitelt. Selim wird Dich dem Offizier des südlichen Thurmes Yania übergeben und Allah möge Deine Augen, Deine Ohren und Deine Füße stärken, damit Du den Feinden glücklich entkommst. Geh', denn wir haben noch mehr zu thun.«

Der Knabe ward auf seinen Wink fortgeführt, nachdem er demüthig den Rock des Pascha's berührt und die Hand des Arztes [183] geküßt hatte. Capitain Grach machte hierauf den Commandanten mit den schweren Besorgnissen der europäischen Aerzte und dem Vorschlag des Doctor Welland bekannt. Alle in der Umgebung des Pascha's befindlichen europäischen Offiziere stimmten sofort den erhobenen Bedenken bei und erkannten die Nothwendigkeit und Dringlichkeit der Abhilfe an. Nur Hussein-Aga machte einige Einwendungen.

»Bei meiner Seele,« sagte er, »diese Dschaurs werden sich einbilden, wenn sie die weiße Fahne auf unsern Wällen sehen, wir dächten an Uebergabe.«

»Desto bitterer werden sie sich getäuscht fühlen,« widerlegte ihn der Capitain. »Ich dächte, die Russen hätten die Kraft Deines Armes und die Unbezwingbarkeit Deines Muthes bei dem letzten Ausfall genug kennen gelernt, tapferer Aga, um zur Genüge zu wissen, was sie zu hoffen haben.«

»Du hast Recht, Jüs-Baschi 1 Grach,« entschied der Pascha, »und Dein Rath ist immer weise gewesen, wie Dein Muth groß. Ich habe noch heute Gutes von Dir geschrieben an den Sirdar. Wir wollen die Fahne des Waffenstillstandes aufstecken auf dem Thurm der Citadelle und einen Unterhändler senden in das Lager der Moskows. Wen räthst Du, zu wählen?«

Der Pascha hatte – während die Zwischenreden unter den türkischen Militairs und die Instruction des kleinen Spions in türkischer Sprache geführt worden – bei der die europäischen Offiziere interessirenden Frage sich wieder des Französischen bedient und war daher Allen verständlich gewesen. Der Baronet, welcher der ganzen Verhandlung mit großer Aufmerksamkeit gefolgt war, nahm die Gelegenheit wahr, eine Bemerkung zu machen, die er offenbar schon lange anzubringen wünschte.

»Vielleicht würde Doctor Welland selbst der beste Bote der Vermittelung sein, da er, wie ich von Capitain Morton vernommen, besondere Freunde unter den russischen Offizieren zählt.«

Aller Augen wandten sich bei der unerwarteten, einer Anklage ähnlichen Bemerkung auf den deutschen Arzt, der in der That von der Bosheit des Gegners überrascht, einige Augenblicke verlegen und unsicher blieb. Das Gefühl, wie nöthig es sei, keinen unwürdigen Verdacht aufkommen zu lassen, gab ihm indeß die Fassung [184] zurück und er erwiderte ruhig und fest dem Angreifer in's Auge schauend:

»Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen, Sir, und was überhaupt das Bekümmern um meine Person und meine Angelegenheiten bedeuten soll?«

»Der Baronet,« sagte scharf Capitain Morton, »scheint auf die zufällige Aeußerung von mir hinzudeuten, daß in dem Augenblick, als Sie, mein Freund, bei dem Ausfall am Sonntag so aufopfernd uns in's Kampfgewühl folgten und wir in großer Gefahr waren, von einer Abtheilung der Kosacken niedergemacht oder gefangen zu werden, ein russischer Offizier unser Beider Entkommen ermöglichte, weil er in Ihnen wahrscheinlich einen Bekannten früherer Zeit wiedersah, ebenso wie wir selbst uns schon im früheren Leben getroffen haben.«

»So ist es, Sir, und ich glaube nicht nöthig zu haben, mich darüber zu verantworten.«

Der Zuaven-Colonel hatte mit sichtlichem Unwillen der Wendung des Gesprächs zugehört.

»Das ist eine Sache, die sich von selbst versteht und die einzig wir Offiziere zu beurtheilen haben,« fügte er mit unverhehlter Verachtung gegen den versteckten Ankläger bei und indem er dem Arzt die Hand reichte. »Ich habe Gelegenheit gehabt, diesen Herrn trotz meiner erst kurzen Anwesenheit in seiner Pflichterfüllung zu beobachten, und möchte wünschen, daß die türkische und die verbündete Armee viele Männer seiner Ehrenhaftigkeit in ihren Reihen besitze. Ich selbst zähle viele liebe Bekannte in der feindlichen Armee und werde mit Vergnügen auch auf dem Schlachtfelde die Erinnerung früherer Zeiten anerkennen.«

Doctor Welland verbeugte sich erfreut gegen ihn.

»Ich danke Ihnen, mein Herr; Sie haben mir nur Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

»Der Vorschlag war überhaupt unpassend,« bemerkte Capitain Grach, während sich der Baronet mit einer hochmüthig höhnischen Miene, als verachte er die Kritik seines Benehmens, zurückzog, »da zu der Sendung nur ein Offizier verwendet werden kann. Die Sache ist jedoch dringend, Hoheit, und Du wirst gut thun, sofort die nöthigen Befehle zu geben.«

»Lasse die Fahne ausstecken, und Du, Hussein-Aga, sende zwei Offiziere ab an die Posten der Moskows. Mashallah! Wir [185] möchten gern, wie es tapfern Soldaten ziemt, im Kampf gegen unsere Feinde und auf den siegreich behaupteten Wällen sterben, nicht auf dem Krankenlager an der scheußlichen Pest.«

Der Ruf des Muezzims vom Minaret: »La Illa illa Allah, we Muhammed Resul Allah 2!« unterbrach seine Worte. Der streng seine religiösen Pflichten ausübende Pascha wandte sich sofort gegen die Moschee.

»Der Azam ruft uns zum Assar,« (das dritte oder Nachmittags-Gebet,) »laßt uns das Heiligthum betreten und Allah und dem Propheten danken, daß sie uns bisher den Sieg gegeben. Möge Azraël, der Engel des Todes, uns ...«

Der Tapfere sprach die Worte nicht aus; durch die Luft über ihnen knisterte und zischte es, und es krachte nieder mit gewaltigem Schlag tief in den Erdboden.

»Eine Bombe! Nieder mit Allen!«

Capitain Grach rief's, indem er sich zu Boden warf und Alle – bis auf den ziemlich starken und etwas unbeholfenen Pascha – seinem Beispiel folgten oder wenigstens zur Seite sprangen. Fast im selben Augenblick, als die Bombe den Boden berührte, platzte sie auch schon und die Eisenstücken sprühten rings umher. Doctor Welland war der Erste wieder empor, und sein Auge fiel sogleich auf den unglücklichen Kommandanten. Der Brave stand aufrecht, aber wankte wie ein Mann, der einen harten Stoß erhalten, und seine beiden Hände preßten sich auf die linke Seite und den Leib, während zwischen den Fingern durch ein Strom dunklen Blutes hervorquoll. Der Arzt sprang auf ihn zu und umfaßte ihn, im Augenblick waren auch Capitain Grach und die andern Offiziere ihm zur Seite.

»Um Gottes willen, Hoheit – bist Du schwer getroffen?«

Der Pascha machte einige Versuche zu sprechen – Blut quoll mit jedem Athemzug über seine Lippen.

»Es ist mein Kismet! – Der Tag des Todes ist gekommen – mögen Munkir und Nekir 3) gnädig mit mir verfahren! – Freunde, gebt mir die Kiblah 4

[186] Mehrere der türkischen Offiziere hoben ihn empor und trugen ihn in die Vorhalle der Moschee, wo sie ihn an einen Pfeiler lehnten, mit dem Antlitz gen Mekka. Der Arzt war eifrig um ihn beschäftigt und untersuchte die schreckliche Wunde.

»Ist Hoffnung vorhanden?«

Der Capitain frug es auf Deutsch – Doctor Welland antwortete in derselben dem Sterbenden unverständlichen Sprache.

»Keine,« sagte er hastig, »in wenigen Augenblicken steht er vor dem allmächtigen Richter. Das Eisenstück hat die Lebensarterien getroffen und steckt noch in seiner Seite. Jeder Versuch würde ihm nur unnützen Schmerz machen.«

Alle standen um den sterbenden Kommandanten bestürzt und stumm und das mit Blitzesschnelle sich verbreitende Gerücht füllte schnell die Halle der Moschee und den Platz vor derselben mit Menschen an. Der Verwundete athmete mühsam, aber er blieb bei voller Besinnung.

»Der Padischah hat mir diese Stadt vertraut, aber Gott bestimmt es anders. Hussein-Aga, Dir übergebe ich den Schlüssel des Thores, vertheidige ihn wie Deinen Bart und achte auf den Rath dieser Franken. Möge der Prophet Eurer Tapferkeit den Sieg geben!«

Der Arzt, der neben ihm kniete und seinen Puls mit den Fingern bewachte, winkte mit den Augen den Umstehenden. Hussein-Aga legte seinen Tisbeh oder Rosenkranz ihm zwischen die Hände und einige Augenblicke hörte man zwischen dem entfernten Donner der Kanonen und dem Krachen der einschlagenden Kugeln keinen Laut, als die röchelnden und immer kürzer werdenden Athemzüge mit jenem schauerlichen Gurgeln in der Kehle, das bei Bluterstickung den Tod verkündet. Dann quoll ein schwarzer Strom dieses Blutes aus dem Mund, die kräftige Gestalt des Pascha's zuckte zusammen und streckte sich – her tapfere Krieger hatte geendet.

»Er ist zum Barzakh 5 eingegangen,« sagte Hussein-Aga ernst, »die Mizam 6 des Barmherzigen wird seine Thaten wägen und ihm das Dschennet 7 der sieben Himmel öffnen. Bei Eblis, dem [187] finstern Geiste, wir wollen seinen Schatten rächen mit dein Tode von tausend Moskows!«

»Möge der Sieg Dich begleiten, Bey, Du bist unser Kommandant nach dem Willen des Todten, und der Sirdar wird sicher Deine Tapferkeit ehren.«

Die türkischen Offiziere machten dem neuen Befehlshaber ihren demüthigen Gruß.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Den russischen Generalen war der Antrag eines Waffenstillstandes zur Beerdigung der Leichen nur willkommen gewesen, da ihre Truppen noch mehr wie die Türken von dem Miasma litten und die Krankheiten bereits in ihren Reihen wütheten. Die weiße Fahne, die auf den Bastionen Silistria's wehte, ließ die Nachricht von der Uebergabe der Festung die Runde durch Europa machen, aber schon am andern Tage – am 3. Juni – nachdem beide Theile ihre Todten begraben hatten und auch der Kommandant von Silistria seine Ruhestätte unter den so tapfer vertheidigten Wällen gefunden hatte, entbrannte der Kampf auf's Neue und mit verdoppelter Energie. Die Russen unternahmen an diesem Tage einen allgemeinen Sturm und griffen die Forts an, während ihre Flotille die Stadt bombardirte. Der Kampf war mörderisch, aber ohne Erfolg für die Angreifer. Gegen Abend war es diesen zwar gelungen, eine Mine unter der ersten Batterie von Arab-Tabia herzustellen, aber die Capitaine Depuis und Grach hatten rechtzeitig eine Gegenmine geschlagen, und diese sprengte an 400 Mann der Angriffs-Colonne in die Luft, als diese auf das Sprengen einer Bresche harrten. In der durch die unerwartete Explosion entstandenen Verwirrung machten die Türken einen Ausfall und zerstörten die nahe liegenden Schanzen.

Von diesem Tage an ruhten kurze Zeit die Sturmangriffe und es begann der furchtbare Krieg unter der Erde, jener Krieg mit der Bussole und dem Spaten, der Krieg der lebendig Begrabenen – der Bergleute des Blutes und des Todes!

Das war der unheimliche gespenstische Kampf, zu dem man wie zum Orkus aus dem hellen Sonnenlicht hinabstieg und in dem General Schilder, der gespenstische Seher der Zukunft, ein Meister war.

Die Russen drängten Tag um Tag, Stunde vor Stunde ihre Laufgräben vorwärts gegen die schwer bedrohte Stadt, und in der [188] Heimlichkeit, in dem Schutz der aufgeworfenen Erde wühlte der General gleich dem Maulwurf seine Gänge gegen die Wälle und Bastionen.

Es war ein Glück für die Festung, daß der neue, noch jungkräftige und kecke Kommandant doch die Manen seines Vorgängers dahin achtete, die Talente und Kenntnisse der europäischen Rathgeber zu ehren. Während er den Krieg der Ausfälle und offenen Vertheidigungen leitete, überließ er den beiden Genie-Offizieren die unbestrittene Leitung der Befestigungsrenovationen und der Gegenarbeiten. Trotz der verdoppelten Thätigkeit der Vertheidiger konnte man sich dennoch nicht verhehlen, daß die Fortschritte der Belagerung, wenn auch langsam, doch jeden Tag bemerklicher wurden. Es war bereits mehrfach zwischen den Minirern und Gegenminirern zum erbitterten unterirdischen Gefecht gekommen. Am 8. hatten die Russen eine Sappe aus Schanzkörben, mit Baumwolle gefüllt, bereits bis an den Rand der südöstlichen Contreescarpe getrieben, hinter welcher sich die Minirer mit dem Ausgraben zweier Schachte beschäftigten. Die Führer entwickelten dabei eine unablässige Thätigkeit. Was der fortwährende Kartätschen- und Granatenhagel der Türken bei Tage niederwarf, zeigte sich am anderen Morgen wieder aufgebaut.

Am 7. und 8. hatten kleine Ausfälle und Gefechte mit wechselndem Glück stattgefunden. Der 9. Juni war ein blutiger Tag gewesen. Nachdem des Morgens eine Mine gegen zwei der Wasserforts gesprengt worden, versuchten die Russen die Breschen zu nehmen, wurden aber mit bedeutendem Verlust von den neuen Hilfstruppen, denen es, 3000 Mann stark, unter Rifat-Pascha am Tage nach Mussa's Tode gelungen war, von Rasgrad her sich in die Festung zu werfen, zurückgeschlagen. Zu gleicher Zeit machte Paskewitsch selbst mit einer bedeutenden Truppenzahl – 31 Bataillonen Infanterie, 32 Schwadronen Kavallerie und 8 Sotnien Kosaken mit 12 Feldbatterieen – eine große Recognoscirung um alle Befestigungen bis zu dem Flecken Kalopetra auf der südöstlichen Seite. Hier stieß die Colonne auf türkische Kavallerie aus der Festung und zwang dieselbe, sich in das Fort Abdul-Medschid zurückzuziehen, das nunmehr ein heftiges Feuer eröffnete. Eine matte Kugel, die zu den Füßen des Pferdes des Fürsten von Warschau niederfiel und dasselbe zu Boden riß, fügte dem greifen Führer selbst eine Contusion an der rechten Hüfte zu. Der Feldmarschall achtete [189] jedoch nicht darauf und blieb bis zum Ende der Kanonade zu Pferde. Wir führen den Leser an demselben Abend wieder in's russische Lager.

Es ist in Kalarasch selbst, dem Hauptquartier des Fürsten, wo wir die Scene wieder aufnehmen. Der greise Statthalter lag in dem frühern Quarantainegebäude, das zu seinem Quartier eingerichtet worden und mit Stabs- und Ordonnanz-Offizieren überfüllt war, auf einem freistehenden Feldbett in halb sitzender Stellung, neben sich einen niederen Tisch mit Papieren bedeckt. Das Gemach war ziemlich ärmlich ausstaffirt, aber glänzend erhellt, indem große Kerzen auf silbernen Leuchtern überall umherstanden. Der Leibarzt des Fürsten, der schon bei seiner Rückkehr in's Lager bedeutende Schmerzen gefühlt und nur mit Anstrengung nach Kalarasch gelangt war, – hatte so eben die Verletzung untersucht und ihm erklärt, daß sie zwar nicht gefährlich sei, ihn aber mehrere Wochen hindern werde, zu Pferde zu steigen. Während der Arzt fortfuhr, lindernde und frische Umschläge auf die verletzte Stelle zu legen, hatte der Fürst bereits sich zu wichtigen Geschäften gewendet. Es befanden sich außer dem Arzt und dem Stabschef General-Major Wranken, der eben auf die Nachricht der Verletzung eingetroffene Fürst Gortschakoff und General-Lieutenant Chruleff mit einem dritten hohen Offizier im Gemach, der, am Ruhebett stehend, dem Fürsten eine Depesche überreicht hatte, mit deren Durchsicht dieser eben beschäftigt war. So sehr der alte Krieger und Staatsmann auch Herr seiner Mienen sein mochte, war es doch allen Anwesenden sichtlich, daß der Inhalt des Briefes, dessen grünes Couvert und Siegel ein Handschreiben des Kaisers erwiesen, von großer Wichtigkeit sein mußte und einen tiefen Eindruck auf den Fürsten machte. Er faltete endlich das Papier langsam zusammen, steckte es wieder in das Couvert und schien einige Augenblicke in schwere Gedanken verloren. Dann – sich ihnen entziehend – wandte er sich zuerst zu dem Arzt:

»Kann ich Deiner Hilfe auf eine Stunde entbehren, lieber Tschetukin?«

»Ich fürchte, nein, Durchlaucht – muß ich Sie jetzt verlassen, so kann ich für die Folgen nicht stehen – die Contusion ist vernachlässigt und die Geschwulst bereits eingetreten.«

»Und wenn ich Dich gewähren lasse, in welcher Zeit bin ich fähig, das Lager zu verlassen?«

[190] »Ich verlange nur für morgen Ruhe, Durchlaucht – zu Wagen sollen dann Ihre Bewegungen unbehindert sein.«

»Gut, Staatsrath, – ich kenne Dich und weiß, daß ich mich auf Deine Verschwiegenheit verlassen kann. Kümmere Dich nicht um uns und fahre fort mit Deinen Mitteln, da die Erhaltung dieses alten Körpers in den nächsten Wochen vielleicht unserm Herrn, dem Kaiser, noch einigermaßen nützlich sein mag. Wir sind sämtlich hier treue und bewährte Söhne des heiligen Rußlands und ich kann daher ungescheut sprechen, wie es die ernsten und schweren Umstände erfordern. Nimm Platz, Schebesky, und Du Wranken, wir haben eine ernste und lange Berathung vor uns. Ihre Ankunft, Fürst, hat mir erspart, Sie rufen zu lassen. Der Tag hat wichtige Nachrichten gebracht.«

»Auch ich habe dergleichen, Durchlaucht.«

»Gut. Einer nach dem Andern. Hast Du vielleicht auch Nachricht von dem Gesandten aus Wien?«

»Mein Bruder benachrichtigt mich von dem Ausgang der Zusammenkunft des Kaisers von Oesterreich und des Königs von Preußen in Tetschen.«

»Verdammniß über die österreichische Dankbarkeit, – ich wollte, wir hätten Ungarn den Rebellen gelassen. – Es ist, wie ich gefürchtet, Oesterreich wird in die Donau-Fürstenthümer einrücken und hat sich den Rücken gedeckt durch das Garantie-Cartell mit Preußen.«

»Es sind Differenzen entstanden zwischen den beiden Herrschern über die Auslegung des Cartells.«

»Ich weiß, ich weiß, – aber der Nutzen ist nur passiv. Preußen hält das wiener Gelüst in Schranken, aber nur, wenn wir auf unserm eigenen Gebiet stehen. Oesterreich kann nicht offen operiren, aber sein Druck zwingt uns zurück. Dennoch ist das nicht das Schlimmste. Ich habe heute wichtige Berichte über die Zusammenkunft in Varna erhalten.«

»Die Rapporte unserer Agenten über den Kriegsrath am 19. liegen seit acht Tagen vor.«

»Das ist es eben, Fürst, was uns getäuscht hat. Die Halunken taugen Nichts, – Marschall Arnaud und Lord Raglan wissen sehr wohl, daß sie von unseren Spionen umgeben sind, und was mit den Türken berathen wird, in der kürzesten Zeit uns bekannt ist. Ich sage Dir, Fürst, Deine Agenten in Schumla sind[191] Dummköpfe und haben nur erfahren, was alle Welt weiß. Wie lautete doch der Bericht?«

Fürst Gortschakoff, einigermaßen pikirt, nahm aus seinem Taschenbuche ein Papier und entfaltete es:

»Hier ist die Abschrift der Chiffern: ›Der Zusammenkunft am 19. in Varna wohnten der Marschall St. Arnaud, Lord Raglan, Omer Pascha, die Admirale Dundas und Hamelin und der Kriegsminister Riza-Pascha bei. Oberst Tignir machte den Dolmetsch, auch Aguiah-Pascha, der neu ernannte Pforten-Commissair im Lager des Muschirs, war zugezogen. Das Resultat war, daß Herrn von Saint-Arnaud die Leitung der Kriegsoperationen sämtlicher am Kriegsschauplatz aufgestellter Streitkräfte übertragen worden ist. Der Muschir erstattete über die Lage Silistria's Bericht und der Ersatz wurde beschlossen. Die beiden Generale sind vollständig auf die Pläne Omer's eingegangen und die Dampfboote mit den Ordres nach Skutari und Gallipoli abgegangen, um einen Aufbruch in Masse anzuordnen.‹ – Die Berichte gingen uns allerdings spät zu, da die unglückliche Verhaftung unserer Hauptagenten in Constantinopel einige Verwirrung in die Sache gebracht hat.«

»Sind das alle Ihre Nachrichten, Fürst?«

»Bis auf die neuen Meldungen über die Ersatzoperationen, die ich eben empfangen und später vorzutragen die Ehre haben werde, ja.«

Der alte Feldmarschall lächelte.

»Sei nicht ärgerlich, Kamerad, Deine Nachrichten sind gut, aber ich habe wichtigere. Nach der Rückkehr der Generale nach Varna hat eine zweite Berathung, aber diesmal ohne die Türken, auf dem französischen Flaggenschiff stattgefunden, und die Expedition gegen Sebastopol ist beschlossen worden.«

Ein leises Lächeln, gedämpft durch die Ehrfurcht vor dem greifen Haupt des Fürsten-Statthalters ging durch den kleinen Kreis der Generale, doch blieb es von jenem nicht unbemerkt.

»Du hast Unrecht, Fürst, und glaubst, weil Du ein Artillerist bist, daß es eine Unmöglichkeit sei, die furchtbaren Batterieen von Sebastopol zu überwinden. Ich bin kein Seemann und weiß nicht, was Schiffe gegen Granitwälle ausrichten können, aber ich sage Dir, ich wünschte, Fürst Mentschikoff verließe sich nicht allzusehr auf sie, – ich kenne diese Franzosen und sie werden irgend ein Auskunftsmittel finden, ihren Zweck zu erreichen.«

[192] »Darf ich etwas Näheres von den Nachrichten Eurer Durchlaucht erfahren?« fragte einlenkend der Zweitkommandirende.

»Der Versuch gegen Sebastopol ist ausdrücklich beschlossen, aber man wird mindestens zwei Monate mit den Vorbereitungen zubringen. Diese sollen möglichst geheim betrieben und die Truppen in Varna unter dem Anschein concentrirt werden, zum Entsatz von Silistria zu dienen. Die Aufgabe bleibt aber dem Muschir selbst überlassen. Die Uebertragung des Ge samt-Oberbefehls an Herrn von Saint-Arnaud ist eine leere Comödie und Omer-Pascha nicht sehr gesonnen, sich unterzuordnen. Er trifft umfassende Anstalten zum Entsatz durch seine eigenen Truppen.«

»Das Letztere stimmt mit meinen Nachrichten überein. Sie können Ihrem Berichterstatter vollkommen trauen, Durchlaucht?«

»Er hält sich bereits zwei Monate in Varna auf und ist mir von Bodinianoff in Constantinopel, als volles Vertrauen verdienend, empfohlen. Er ist ein Bruder des Führers der Griechen im Epirus, Caraiskakis ....«

»Ich kenne den Namen und habe bereits selbst Beweise seines Eifers für die russische Sache erhalten. Ich glaube, daß auch unsere Verbindungen in Silistria unter seinem Einfluß stehen.«

»Ehe wir zu einem Resultat kommen, sage mir Deine eigenen Nachrichten.«

»Der Knabe,« berichtete der Fürst, »der am 28. die Nachricht von dem Ausfall an Selwan und später die Depeschen Mussa-Pascha's an den Muschir uns zur Durchsicht brachte, ist aus Schumla diesen Abend zurückgekehrt.«

»Hat man ihn wieder als Boten benutzt?« fragte hastig der Feldmarschall.

»Man scheint blindes Vertrauen in ihn zu setzen und Nichts von der Eröffnung der Depeschen gemerkt zu haben. Hier sind die neuen.«

Er legte mehrere Briefe auf den Tisch. Die Siegel waren durch das gewöhnliche Mittel heißer Dämpfe nach Abformung des Petschafts in Staniol geöffnet.

»Der Inhalt, Fürst?«

»Hier ist der Auszug. Der Muschir bestätigt Hussein-Bey im Kommando, setzt ihm jedoch Rifaat-Pascha als ältern Offizier zur Seite. Ein vollständiger Plan des Entsatzes durch eine combinirte Truppenbewegung und einen Ausfall der Garnison ist für [193] den 13. und 14. bestimmt. Said-Pascha in Rustschuk hat 30,000 Mann zum Aufbruch bereit, und Iskender-Bey von Widdin, der den Angriff von dieser Seite leiten soll, ist bereits über Nicopolis eingetroffen. Die Vorposten des Corps stehen bei Baba und Turkosimich. Zugleich wird Giurgewo angegriffen werden. Im Hafen von Rustschuk liegen zwei türkische Dampfschiffe und an achtzig Boote bereit, um die Expedition zu unterstützen. Der Muschir selbst wird mit Mehemed-Pascha von Schumla her in zwei Colonnen eine Diversion unternehmen. Sein rechter Flügel lehnt sich an die Anhöhe des Taiban-Dereh, – seine linke Flanke an den Dristra, das Centrum steht bereits bei Erekli an der Straße von Schumla nach Silistria.«

»Wer führt die Vorhut und wie stark ist der Muschir?« unterbrach der Feldmarschall.

»Der Renegat Czaikowski mit den sogenannten türkischen Kosacken. Die Depesche giebt die Stärke des Südcorps auf 70,000 Mann an, also mit Said-Pascha an Hunderttausend. Am 13. soll das gemeinsame Vorrücken beginnen. Am 14. werden die Corps in der Nähe von Silistria stehen und am Morgen des 15. angreifen, indem Hussein-Pascha zugleich auf drei Stellen an den Wasserforts, aus dem Babadagh-Thor und Abdul-Medjid einen Ausfall machen soll.«

»Wie stark sind wir in diesem Augenblick hier?«

»Mit Pawloff nur 64,000 Mann. Wir haben vor Silistria bereits über 6000 gelassen.«

Das Gespräch, das bisher allein zwischen den beiden Führern gepflogen worden, verstummte jetzt ganz, – der greise Feldmarschall war in ernste Betrachtungen versunken und seine Hand faßte unwillkürlich zwei Mal nach dem Briefe des Kaisers.

»Wir müssen zu einem Entschluß kommen. Recapituliren wir die Sachlage. Auf der einen Seite Bessarabien und die Krim über kurz oder lang bedroht; – unsere Stellung in der großen Walachei nicht länger haltbar – kaum noch in der Moldau; – Silistria fast noch eben so fest wie beim Beginn der Belagerung, und ein starkes Entsatzcorps in der Nähe. Die Truppen kaum genügend, den Gegnern die Spitze zu bieten, – an einen Uebergang über den Balkan nicht mehr zu denken und keinerlei Vortheil im längern Beharren auf dieser Seite der Donau. Wägen Sie selbst ab, meine Herren.«

[194] »Was würde man in Petersburg dazu sagen!«

»Schebesky kommt von dort. Er kann uns den besten Bescheid geben.«

Der angerufene General zuckte die Achseln.

»Ich glaube, man hält dort die Donau-Besetzung jetzt selbst für einen Fehler. Man hätte am Bosporus stehen oder innerhalb der russischen Gränzen bleiben müssen.«

»Sehr wahr. Aber wir dürfen Silistria nicht aufgeben ohne des Kaisers ausdrücklichen Befehl,« sagte ziemlich heftig General Chruleff.

Der Feldmarschall nickte ihm zu und zog dann langsam den Brief seines kaiserlichen Herrn aus dem Couvert.

»Wollen Sie des Kaisers eigene Worte hören?«

Alle schwiegen ehrfurchtsvoll.

»Hast Du, Fürst Iwan Feodorowitsch,« las der Feldmarschall, »bei Empfang dieses Briefes die Festung Silistria genommen, so wollen wir Gott und den Heiligen für diesen Sieg Rußlands danken. Weht der Halbmond noch auf ihren Mauern, so will ich Dir überlassen, was Du das Beste zu thun hältst. Bedenke jedoch, daß Rußlands Ehre nur in Rußland selbst liegt. Ich wiederhole die Vollmacht, die ich Dir bei der Uebernahme, des Kommando's ertheilt habe.«

Der Fürst-Statthalter schwieg; General Chruleff war der Einzige, welcher eine rasche Antwort hatte:

»Wir können unmöglich von hier gehen, ohne wenigstens noch einen Schlag versucht zu haben.«

Der alte Fürst lächelte.

»Nein, tapferer Chruleff,« sagte er freundlich, »das sollst Du auch nicht. Ich sehe, daß wir einig sind über die Nothwendigkeit des Rückzuges, doch darf er natürlich nicht übereilt werden. Es gilt zunächst, die Combination des Muschirs zu vereiteln.«

»Wir haben die Depeschen in unserer Hand.«

»Ganz recht, aber ich halte es für zweckmäßiger und weiser, sie richtig in die Hand des neuen Kommandanten gelangen zu lassen, um nicht sein Mißtrauen wachzurufen. Es handelt sich blos darum, Zwiespalt und Verwirrung in ihre Beschlüsse zu bringen.«

»Man könnte den Datum um zehn Tage ändern!« sagte General Schebesky kaltblütig.

[195] Der Fürst von Warschau lächelte sein.

»Das war meine Meinung; im Kriege ist jede List erlaubt. Sobald dies mit der nöthigen Vorsicht geschehen, womöglich noch diese Nacht, Fürst, lasse den Boten nach Silistria laufen, triff aber Anstalten, daß wir genau von allen Vorgängen in der Stadt unterrichtet bleiben. Ich bin entschlossen, wie ich in Warschau beabsichtigte, mein Hauptquartier bis zum Eintreffen weiterer Befehle des Kaisers nach Jassy zu verlegen. Es ist der geeignetste Punkt – 32 Meilen von Silistria, 20 von Kamienecz und 22 von Odessa, – wir übersehen da das Feld. Du, Fürst Gortschakoff, übernimmst von diesem Augenblicke an wieder den Oberbefehl der moldau-walachischen Truppen. Lasse morgen das Bombardement gegen die Festung von den Inselbatterieen wieder beginnen, fange aber an, Dein anderes schweres Geschütz auf das linke Ufer zu bringen. Schilder muß so weit fertig sein, daß am 13. ein Versuch gegen die Citadelle gemacht werden kann. Beordere Pawloff, von Tuturkai aus sich dem Zuzug von Rustschuk entgegenzuwerfen, indeß Chruleff den Renegaten Mehemed 8 und den Muschir angreift. Dadurch wird der ganze Operationsplan der Gegner zerstört und wir erhalten Zeit, zu sehen, was sich mit der Festung noch beginnen läßt.«

»Ich werde die Befehle noch diese Nacht ertheilen. Ich höre, Lüders befindet sich auf dem Wege der Besserung?«

»So ist es. Gott und den Heiligen sei Dank; dafür werden wir den braven Orloff verlieren. Ich bedaure seinen Vater, meinen alten Freund! – Verdammt, Doctor, ich glaube, die Schmerzen nehmen wieder zu!«

»Wenn Euer Durchlaucht sich nicht sofort einige Ruhe gönnen, stehe ich für Nichts, am wenigsten für die Möglichkeit, abzureisen.«

Die Generale verabschiedeten sich.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war am Morgen des 13. – Dienstag –, in der seit zwei Tagen durch ein unaufhörliches Bombardement schwer bedrängten Festung erwartete die Besatzung jeden Augenblick einen Sturmangriff der Russen, sobald die Minen des Generals Schilder ihr Werk gethan, deren bereits einige von den Russen in den letzten Tagen gesprengt worden, ohne daß sie jedoch mehr als leicht wie [196] derherzustellende Mauer- und Erdrisse zu Wege gebracht hatten. Jedermann wußte, daß sie hauptsächlich gegen das Fort Abdul-Medjid gerichtet sein mußten, und daß hier die Entscheidung des Tages und des Schicksals der Stadt lag. Die Capitaine Grach und Depuis und selbst der alte Chef des Geniewesens, Mehemed-Bey, so weit seine Fähigkeiten reichten, waren indeß nicht müßig gewesen und der Spaten unter der Erde arbeitete rüstig an den geheimen, furchtbaren Gängen, bestimmt, die eindringenden Feinde in die Luft zu schleudern. Schon zwei Mal waren unter der Erde die feindlichen Mineurs aufeinander gestoßen und das blutige Würgen hatte das schauerliche Grab im wahren Sinne begraben. Das Sprengen der Minen war das Einzige, wovor die türkischen Soldaten, zum Theil aus ihrem bewußten Ungeschick, zurückbebten, während der passive Gehorsam der Russen darin bekannt war, und die Bewachung und Sprengung der türkischen Minen blieb daher einer Anzahl Freiwilligen anvertraut, die aus den kecksten und jedem Wagstück Trotz bietenden fremden Abenteurern gewählt waren und durch reichen Lohn gelockt wurden. Hussein-Aga oder, wie er jetzt bereits hieß, Hussein-Pascha, und sein Gefährte im Kommando, der Ferik Rifaat hatten am Tage vorher für den Morgen des 13. – auch ohne Kunde von den Demonstrationen der Ersatzcorps zu haben, – einen allgemeinen Ausfall beschlossen, und die Truppen standen daher, kampfgerüstet, innerhalb der Wälle und Thore.

Auch diesmal hatten die Russen keine Ahnung davon – wir werden im Verlauf der Geschichte hören, durch welche Ursache, – und der Sturm gegen die Festung war erst für den Nachmittag 3 Uhr festgesetzt, nachdem drei große Minen, welche die Russen gegen die Forts Abdul-Medjid, Arab-Tabia und Yania gerichtet hatten, gesprengt sein würden. – – –

Eine finstere undurchdringliche Nacht füllte wieder den etwa drei Fuß breiten, langen, winkligen Gang, der aus dem Souterrain der Bastion von Arab-Tabia unter dem Graben gegen den äußern Wall führte und dort in einer Kammer von etwa zehn Fuß Quadrat und Mannshöhe endete. Die schwarze Finsterniß dieser Kammer wurde gebrochen durch das matte Licht einer sorgfältig verwahrten Laterne von dickem Glase, die auf dem Fußboden am Eingang des Ganges stand und ihren Schein auf mehrere, an den feuchten Seitenwänden aufgestellte Fässer und zwei Männergestalten[197] warf, die in der Mitte des engen Raumes in der gewöhnlichen türkischen Stellung auf dem Boden kauerten.

Die Deckel der Fässer waren aufgeschlagen, schwarz, wie die Umgebung rings umher, war der Inhalt derselben – ein starker Zündsack lief von einer der Oeffnungen zu der andern. Am Eingang der Erdkammer hing an einem in die Seitenwand gestoßenen Querholz eine große Klingel, von deren Griff eine Schnur sich in das Dunkel des Ganges verlor.

Die beiden Männer waren die Wächter der Mine, – in der Tiefe des einmündenden Ganges, um die Ecke des Winkels biegend, verlor sich eben der letzte Lichtschein einer sich entfernenden Laterne, – Capitain Grach mit seiner Ordonnanz, der eben die Minengänge nochmals revidirt hatte.

Die Runde schien ein inhaltschweres Gespräch der beiden der Todesgefahr keck trotzenden Wachen gestört zu haben, denn als kaum jener letzte Lichtschein verschwunden war, begann es auf's Neue. Obschon in dieser Tiefe der Erde, weit entfernt von der Ausmündung der Gänge, selbst der lauteste Schrei von keinem menschlichen Ohr weiter gehört werden konnte, wurde das Gespräch doch leise, fast flüsternd geführt, – gleich als verböten die Schauer des grabähnlichen Ortes jeden lauten Ton.

Der Schein der Laterne fiel auf die beiden Gesichter, wie sie manchmal in seinem Dunstkreis sich vorwärts beugten – auf das dunkle Antlitz des Mohren Jussuf mit den großen gelbweißen Augen, die er gedankenvoll auf den Zweiten gerichtet hielt, auf seinen neuen Freund und fast unzertrennlichen Gefährten – Sta Lucia, den ehemaligen corsischen Banditen.

»Der Hekim-Baschi vermißt seit zwei Tagen einen wichtigen Brief,« sagte langsam der Mohr. »Bak – sieh – er glaubt, daß Du ihn gestohlen hast, während Du bei mir warst, denn er hat mich und meinen Bruder gewarnt vor Dir. Doch der Prophet weiß es, ich kann nicht von Dir lassen, und darum bin ich mit Dir in dieser Höhle der Schrecken, wo Eblis herrscht, der Fürst der Finsterniß.«

Der Corse lachte.

»Barbuasso! bekommen wir nicht glänzendes schönes Gold dafür, daß wir den gefährlichen Posten übernommen, der nur Gefahr droht den Feigen und Ungeschickten, und hätten wir die Zechinen des Pascha's Andern lassen sollen? – Aber genug, ich [198] hatte noch eine andere Ursache, Dir den Posten vorzuschlagen, um unbelauscht hier sprechen zu können.«

Er griff in seinen Gürtel, zog einen ledernen Beutel heraus und öffnete ihn im Licht der Laterne.

»Kennst und liebst Du das?«

Der Beutel enthielt etwa 30 bis 40 Goldstücke.

»Bismillah! Kamerad – wie kamst Du dazu?«

»Höre mich an, Jussuf,« sagte der Andere, indem er den Beutel wieder einsteckte, »Du sollst halb Part haben und noch mehr als dies. Antworte mir aufrichtig bei Deinem Propheten: Hältst Du große Stücke auf den Hekim-Baschi, Du und Dein Bruder?«

»Was soll ich sagen, Freund – es ist so und es ist anders. Nursah, mein Bruder, ißt sein Brot; aber er ist ein Franke, ein Dschaur. Was geht ein Ungläubiger mich an?«

Der Corse sah den schlauen beobachtenden Blick nicht, den sein Gefährte bei den Worten auf ihn schoß.

»Per bacco! das ist Recht, – ich konnte es mir denken. Jussuf, es ist wahr, ich habe den Brief.«

»Wallah! ich dachte es mir! Ein Brief ist ein Brief und eine Erfindung des Teufels. Ich spucke auf alle Briefe und ihre Väter und Mütter. Was thust Du mit dem Briefe?«

»Ei zum Teufel! Mir selbst ist wenig an dem Wisch gelegen, aber desto mehr, wie es scheint, dem Engländer, der die Ehre hat, mich jetzt als eine Art Leibdiener und Khawaß in seinen Diensten zu haben!«

»Dem Inglis?«

»Ja. Ich will Dir Etwas sagen – der Hekim-Baschi, Dein – oder vielmehr Deines Bruders Herr, ist ein Spion der Russen, er verkehrt mit ihnen und sendet ihnen Botschaft aus der Festung.«

Er sah den dunklen, blutigen Blick nicht, der auf ihn schoß.

»Ich weiß nicht, ob Du mit zu dem Complot gehörst,« fuhr der Corse ruhig fort, »aber ich möchte es fast glauben. Du weißt, was einem Verräther nach dem Kriegsgesetz droht?«

»Inshallah! wohl weiß ich es! Aber Du wirst nicht von hier gehen, um es weiter zu erzählen.«

»Narr! laß Deinen Handjar ruhig im Gürtel stecken. Ich fürchte Dich nicht; wenn ich nicht eine gute Absicht mit Dir hätte, würde ich mit Dir nicht hierher gegangen sein und Dir jetzt nicht [199] offen meinen Verdacht oder vielmehr meine Gewißheit in's Gesicht gesagt haben.«

»Was konnte ich thun? – ich bin ein armer Sclave und meine Haut ist schwarz.«

»Der Hekim-Baschi hat Dich und Deinen Bruder mit Gold bestochen, aber Du sollst mehr verdienen und ohne Gefahr, alle Tage eine Kugel durch den Kopf zu bekommen. Ich bin Dir Dank schuldig, denn Du hast mein Leben gerettet vor dem verfluchten Russen und Du sollst sehen, daß Sta Lucia kein undankbarer Schuft ist, wenn auch sonst mein Gewissen sich gerade nicht viel Kummer macht.«

»Meine Ohren sind offen.«

»Mein Herr haßt den Deinen – das Warum? geht uns Nichts an, ich weiß es auch nicht. Kurz und gut, er sinnt auf sein Verderben oder will ihn wenigstens in seine Gewalt bekommen, um irgend einen Zweck von ihm zu erpressen. Am Tage, da der Zufall gerade Dich zu meinem Lebensretter gemacht hat« – er unterbrach sich und beugte sich horchend nach vorn. »Was ist das für ein Geräusch, – mir ist, als hörte ich es neben uns?«

»Du irrst, Freund, – vielleicht ein Posten, der über die Mine geht. Fahre fort, in des Propheten Namen.«

»Also an diesem Tage hatte mein Herr den Doctor zufällig hier wieder gefunden, und als er hörte, daß Du, der mich so sorgfältig in den beiden ersten Tagen pflegte, im Dienst seines Feindes ständest, oder doch unter seinem Dache wohntest, gab er mir den Auftrag, mich an Dich zu machen und mit Dir gute Freundschaft zu halten.«

Die Zähne des Mohren glänzten weiß zwischen den dicken Lippen hervor.

»Ich weiß nicht, woher er gleich den Verdacht eines Verkehrs des Hekim-Baschi mit den Russen hatte, aber genug, er hatte ihn und ich hätte nicht Sta Lucia sein müssen, wenn ich nicht, ehe acht Tage vergingen, gewußt hätte, daß sein Verdacht Wahrheit sei. Der Brief ist in seinen Händen.«

»Wah! was ist ein Brief! der Hekim-Baschi hat Freunde!«

»Ich sage Dir, er und Ihr Alle seid in unsern Händen. Meinst Du, wir würden es bei einem Beweise gelassen haben? – Der türkische oder griechische Knabe, den Dein Herr zu seinen Botschaften gebraucht, ist in unserer Gewalt; wir fingen ihn gestern[200] Abend auf, als er am Wall umherschlich. Der Bursche kam geduldig, als ich ihn rief, und merkte Nichts eher, als bis ich ihn in meinen Händen hatte, aus denen kein Entrinnen ist. Wir haben die Briefe, die er bei sich trug, gefunden.«

Der Mohr war bei der Nachricht erschrocken zurückgefahren, hatte sich aber bald gefaßt.

»Und was habt Ihr mit dem Knaben gemacht?«

»Wir haben ihn eingesperrt in des Beisädih's 9 Wohnung.«

»Es ist ein Unglück – was kann ich dafür? Was beabsichtigst Du, mit uns zu thun?«

»Hab' ich Dir nicht gesagt, daß Du Nichts zu fürchten hast? – Es soll kein Haar der Wolle auf Deinem Schädel in Gefahr sein, wenn Du meinem Rath folgst. Der Beisädih hat mich beauftragt, mit Dir zu sprechen. Der Junge, den wir bereits in der Hand haben, wird festgehalten bis zu der Zeit, da der Lord für nöthig hält, die Anzeige zu machen. Bis dahin beobachtest Du den Hekim-Baschi genau und theilst mir Alles mit, was er thut und treibt, dann treten ich und Du als Zeuge gegen ihn auf. Nursah, Dein Bruder, erhält des Doctors Habe und wir einen reichen goldenen Lohn von meinem Herrn. Er kennt mich und weiß, daß er sein Versprechen halten muß. Jetzt rede und sage Deinen Entschluß.«

Schon seit einiger Zeit hatte der Mohr wiederholt den Kopf vorgebeugt und während er mit dem einen Ohr der Rede des würdigen Genossen zu lauschen schien, angestrengt nach der andern Seite hin gehorcht. Jetzt machte er eine Bewegung mit der Hand, wie um dem Anderen Schweigen zu gebieten, und warf sich dann lang auf Boden, das Ohr auf die Erde pressend.

»Was hast Du? – Demonio! – jetzt hör' ich auch ....«

Jussuf war bereits wieder auf den Füßen.

»Bismillah! Ich glaube, die Moskows arbeiten neben uns, überzeuge Dich selbst, o Freund.«

Der Bandit schlich zu der Wand, aus deren Richtung sehr entfernt und undeutlich und nur durch den dumpfen Wiederhall des Erdbodens hörbar ein einförmiges Geräusch herüber dröhnte. Er kniete auf dem Boden nieder, weit vorgebogen und den Kopf horchend unten an die Erdwand gedrückt, das andere Ohr mit der [201] Hand hohl bedeckend, wie man zu thun pflegt bei Anstrengung der Gehörnerven. In dieser Stellung konnte er nicht sehen, was hinter ihm vorging.

»Höre genau, Freund!«

»Zum Teufel! – schweig'!«

Hinter ihm stand, wie lauschend, gleichfalls gebückt, die Gestalt des schwarzen Couriers, aber seine Rechte hatte leise den Handjar aus dem Gürtelshawl gezogen und hielt die graue mattglänzende Klinge hinter dem Rücken verborgen.

Es war eine jener wunderbaren, unscheinlichen Klingen, wie sie Damascus in früheren Zeiten aus zusammengeschweißten Drähten gehärtet, ein matter schwarzgrauer Stahl mit wirren Damastfiguren, der in der Hand eines Moslems – und selbst von diesen verstehen ihn nur noch Auserwählte zu führen – nicht mit dem Schlag und der Kraft des Armes, sondern durch die rasche und sichelförmige Führung und seine unglaubliche Härte und Schärfe Eisen und Daunen durchschneidet.

»Die Moskows sind – – Marzocco! was thust Du?!«

Er wollte empor springen, doch es war zu spät. Der Mohr hatte ihn mit der Linken am Genick gefaßt und drückte seinen Kopf zu Boden, während seine Rechte rasch und gewandt mit der Schärfe des Handjars einen anscheinend nur leichten Schnitt über die ihm zugekehrte innere Seite der Beine seines Gefährten führte. Dann ließ er ihn los und sprang zurück, zugleich den neben der Laterne liegenden Handjar des Verwundeten aufhebend und die Waffe in den Gang schleudernd.

Der Bandit, der nur eine geringe Verletzung empfunden hatte, wollte wüthend sich erheben und auf den verrätherischen Freund werfen. – »Hund von einem Neger! Du mußt sterben!«

Aber die Beine versagten ihm den Dienst, er fiel kraftlos zusammen, gleich als wären die Füße ihm am Knie amputirt – der Handjar des Mohren hatte mit einem Schnitt die vier Kniemuskeln, welche innerhalb des Kniees Schenkel und Bein verbinden, durchschnitten, er war unheilbar in einem Augenblick zum machtlosen Krüppel geworden und die Wahrheit durchfuhr bei dem zweiten vergeblichen Versuch seine schwarze Seele.

»Manigoldo 10! Noch habe ich meine Arme, um Dich zur [202] Hölle zu senden!« Er griff nach den Pistolen in seinem Gürtel, ließ aber die Hand alsbald mit einem wilden Fluch kraftlos sinken: er erinnerte sich, daß nach strengem Verbot Niemand eine Schußwaffe in die Minengänge mitnehmen durfte und schon aus eigener Besorgniß nicht mitnahm.

Der Mohr hatte die Bewegung gesehen und lachte spöttisch.

»Warum hast Du mir das gethan, schwarzer Teufel, nachdem Du selbst mir das Leben gerettet?«

»Bana bak, ai gusum! – Schau' mich an, Licht meiner Augen! – öffne den Brunnen Deiner Gedanken, und Du wirst es wissen,« sagte höhnend der Schwarze. »Du hast ein schlechtes Gedächtniß, Freund Lucia, und mich hat Allah mit einem vortrefflichen gesegnet. Aber es ist Zeit, daß wir unsere Rechnung schließen, Eblis, der Engel des Unheils, könnte uns die Moskows auf den Hals schicken und mich um meine Rache betrügen.«

»Komm' mir nicht zu nahe, Schurke! – Zu Hilfe, Kameraden!«

Der Mohr machte eine verächtliche Bewegung, die das Nutzlose des Rufs an menschliche Hilfe zeigen sollte, dann zog er aus der langen Seidenbinde um seine Hüften eine dort verborgene starke Schnur und warf sich damit auf sein Opfer.

Es erfolgte ein langer heftiger Kampf, bei dem Keiner der Kämpfenden einen Laut hören ließ. Der Corse wehrte sich verzweifelt und mit riesiger Kraft. Aber der Blutverlust, der Schmerz seiner Wunden und die Unbehilflichkeit, in die er durch dieselben versetzt worden, mußten ihn bald unterliegen machen. Er fühlte seine Brust und Arme von der verhängnißvollen Binde zusammengeschnürt und in wenig Minuten sich eine hilflose, fast regungslose Masse, die wie ein Stück Holz am Boden lag.

Der Schwarze betrachtete spöttisch sein Werk und rollte mit dem Fuß den Körper rundum. Hätten die wuthfunkelnden Augen des besiegten Feindes ihn durchbohren können, sie wären wie tausend Dolchstöße gewesen!

»Schwarzer Teufel – sprich – was habe ich Dir gethan? – was willst Du von mir?« keuchte der Corse.

»Was Du mir gethan hast, Brüderchen?« fragte langsam der Courier. »Bei den sieben Thoren des Paradieses, Du sollst es hören. Zuvor aber will ich mir die Freiheit nehmen, Deine Taschen zu untersuchen. Bei der Reise, die Du nun bald in [203] Gesellschaft jener Moskows antreten wirst, deren Nähe Du hörst, bedarfst Du des Gepäcks nicht.«

Er begann ruhig die Taschen und den Leibbund des Hilflosen zu plündern.

»Höre mich, Jussuf! Wenn es Gold ist, was Dich reizt, ich will Dir Alles lassen, was mein ist – ich schwöre Dir bei der heiligen Jungfrau, ich will mich nicht rächen an Dir und Dir vergeben, daß Du mich zum Krüppel gemacht hast, nur bringe mich an das Licht des Tages!«

»Du sollst dahin kommen, verlaß Dich d'rauf!«

Er hatte seine Plünderung beendet und das Gold und mehrere Schlüssel, die er bei dein Banditen gefunden, zu sich gesteckt; dann setzte er sich neben ihn.

»Wenn Deine Laune gut ist, o Effendi Lucia, so laß' uns plaudern. Wir haben noch einige Minuten Zeit. Erinnerst Du Dich eines Abends im Monat Schewal und an ein kleines Geschäft, das Du an einem schwarzen Mann auf der Straße nach Silivria verrichtetest, dem Du hundert Zechinen und einen Brief stahlst? – Du scheinst das Briefstehlen zu lieben!«

Ein kalter Schweiß begann die Stirn des gefesselten Banditen zu bedecken. Er fing an, zu begreifen, daß er einem mitleidslosen Rächer in die Hand gefallen.

»Du – der Courier – wo hatte ich meine Augen!«

»Was weiß ich! Allah hat die meinen besser gemacht. Als Du meinen wunden Körper auf Deinen Armen zu jener Schlucht von Tschekmedsche trugest und ihn in die blauen Wellen des Meeres versenktest, traf mein Auge Dein Antlitz und, wenn ich Ibrahim's 11 Alter erreicht hätte, ich würde es nimmer vergessen haben.«

»Erbarmen, Jussuf – ich habe Gold – viel Gold – –«

»Weißt Du, wer meine Wunden heilte? wer mir das Wasser des Lebens gab, von dem meine Glieder wieder ihre alte Kraft bekommen, jene Kraft, die Dich gebändigt hat? – Der Hekim-Baschi war es, den Du verfolgst und den der fränkische Hund, Dein Herr, bedroht!«

»Erbarmen, Jussuf – ich will Alles thun, was Du willst – ich will den Engländer tödten, wenn er die Papiere nicht herausgiebt oder dem Doctor Schlimmes thun will.«

[204] »Narr! Du bist zu Nichts mehr gut, selbst nicht zu Deinem Handwerk, dem Meuchelmorden. Du bist wie ein Kloß Erde und wirst Erde werden. Wisse, daß der Hekim-Baschi, den Du verderben wolltest, nicht einmal Schuld und Ahnung hat von dem Verrath an die Moskows. Selbst hier warst Du auf falschen Wegen, und Allah wird nur die Mittel geben, das gut zu machen, was Du böse gemacht.« –

Man hörte in der Pause, die Jussuf seinen Worten folgen ließ, jetzt dumpf aber deutlich das Arbeiten, Hacken und Schaufeln zur Seite der Minenkammer in einiger Entfernung.

»Die Moskows sind uns nahe – kaum zehn Schritt breit Erde trennen sie von uns – Du wirst in ihrer Gesellschaft zu Ladha 12 fahren, wo Du die Teufelsköpfe von Zakhum fressen wirst, die Deine Eingeweide zerfleischen werden, verrätherischer Christ!«

»Verfluchter! Die Moskows werden mich retten! Zu Hilfe!«

Er begann mit aller Kraft seiner Lunge zu schreien, doch im Nu hatte sich der Mohr aus ihn geworfen und preßte ihm ein Tuch in den Mund.

»Thor – Du beraubst Dich selbst des Trostes, Dein letztes Gebet sprechen zu können!«

Er lauschte – die Arbeit der Russen schien für einige Augenblicke eingestellt, sie hatten den gewaltigen Ruf vielleicht als dumpfen Klang zu sich dringen hören und horchten. – Als Alles stumm blieb, setzten sie bald die Arbeit fort.

Mit fast aus den Höhlen dringenden Augen folgte der machtlose Bösewicht den Vorrichtungen, die sein Todfeind jetzt begann. Jussuf schleppte eines der Pulverfässer an die Oeffnung des Ganges und stellte es dort auf. Dann zog er den Banditen in die Mitte des Raumes und warf ihn dort achtlos hin, mit dem Gesicht dem Eingange zugekehrt. Er hob die Laterne, leuchtete seinem Opfer in's Gesicht und hielt sie dann vor sein triumphirend grinsendes Antlitz, gleich als wolle er Jenem dessen Züge für die letzten Augenblicke noch schreckensvoll einprägen.

Dann nahm er sorgfältig das Licht aus der Laterne, putzte es mit den Fingern und trat in den Gang zurück vor das Pulverfaß. Sorgfältig die Flamme mit der Hand umhüllend, steckte [205] er die Wachskerze in das Pulver – langsam tiefer und tiefer – bis die Flamme kaum noch einen Zoll von der Pulverschicht entfernt war.

Sein schwarzes Antlitz mit den großen gelbweißen Augen und den glänzenden Zähnen schien dem Verlorenen das Haupt des dunklen Engels Eblis im rothen Schein des Lichts, der darüber fiel.

Dann richtete sich sorgfältig, vorsichtig der Mohr wieder auf. Er hob wie zum Abschied den Finger in die Dunkelheit empor.

»Gedenke Jussuf's des Couriers und der Straße von Silivria!« –

Er verschwand gebückt und langsam im Dunkel des Ganges, jeden Luftzug vermeidend.

Mit ihm sank des Corsen letzte Hoffnung. Der Mörder, der reuelos das Blut so Vieler vergossen, saß jetzt, halb aufgerichtet – in dem eigenen Grabe, in der Gewißheit des Todes, des furchtbaren Todes, dessen Nähe auch der verhärtetsten Seele Alles in einem andern Licht erscheinen läßt.

Kalter Schweiß drang Tropfen aus Tropfen aus seinen Poren, wirre Gedanken zuckten durch sein Hirn, wie er das Schreckliche wenden möchte. Der Knebel im Munde erlaubte ihm kaum das Athmen, – aber nur leben! den Schmerz der Wunden fühlte er nicht – nur leben! – ob er es als jammervoller Krüppel müsse, – was that es? – nur leben, ach, nur leben! –

Seine Augen hafteten stier auf dem brennenden Licht – mit Todesangst beachtete er jede Bewegung der Flamme, wenn sie ein Luftzug aus dem Minengang zur Seite trieb.

Er versuchte, sich dem Pulverfaß näher zu wälzen, sich aufzurichten – vergeblich, die zerrissenen Sehnen hielten ihn an den Boden gefesselt. Dann kam es ihm in den Sinn, daß jede Bewegung das Licht erschüttern und umfallen machen könne, daß seine Hände gefesselt, um es zu ergreifen, daß sein Mund verschlossen sei, um die Flamme in seinem Innern zu begraben.

Seine Anstrengungen, die Bande der Arme zu zerreißen, waren furchtbar. Plötzlich traf ein Laut sein Ohr – die Klingel am Eingang war in Bewegung gesetzt, – sie schellte – – –

Heilige Jungfrau, Mutter des allsühnenden und vergebenden Heilands, er war gerettet, – Menschen waren nahe – – –

Nein – die Schwingungen des Glöckchens verhallten – kein Laut ließ sich hören! Mit teuflischer Bosheit der Rachgier hatte [206] der Mohr beim Austritt aus dem Minengang die Schnur in Bewegung gesetzt, durch welche den Wachen im Innern der Erde die Befehle signalisirt werden sollten.

Der erste Zug der Schnur bedeutete: »Fertig zum Zünden!«

Des Unglückliche fühlte den schneidenden Hohn – ein Hauch konnte das furchtbare, immer tiefer und tiefer brennende Licht verlöschen und er war gerettet! aber dieser Hauch – er war eine Unmöglichkeit für ihn.

Nochmals verdoppelte er seine Anstrengungen, die Arme, die Hände, die Zunge loszuringen – das Blut schien ihm aus den Augen dringen zu wollen vor der gewaltigen Anspannung aller Nerven! –

Vergeblich!

Da versuchte er, zu beten! zum ersten Mal vielleicht wieder seit seiner Kindheit – seit jener Zeit, da er den schwarzen Lockenkopf in den Schooß der Mutter gelegt, da sie ihn zum Kirchlein geführt auf der Felsenhöhe von Capo Calvi, von wo der Blick des Kindes hiuausschweifte über das blaue, sonnige, liebliche Meer, über Fels und Thal – –

Und er sollte Meer und Thal und Fels nie wieder schauen?

Um ihn schwarze Finsterniß – das Grab – das ewige furchtbare Grab –

Die Gebete seiner Seele wurden zu Lästerungen – entsetzlihe Bilder tanzten und tauchten aus der Finsterniß um ihn her –

Lauter und lauter schallte durch die dicke Erdwand das Arbeiten der russischen Minirer zu ihm herüber. Ihm däuchte, er könne schon die einzelnen Stöße der Spaten, das Murmeln der Stimmen, das Commando des Ingenieurs vernehmen – –

Ein Blick auf die Kerze – er hatte sie eigentlich nie aus den Augen gelassen – belehrte ihn, daß jede Hoffnung vergeblich sei – kaum linienbreit noch schwebte die Flamme über dem Pulver.

Da begannen bleiche drohende Gestalten vor ihm sich zu erheben, die er so lange zurückgedrängt; die blassen Todten von Ajaccio – die geschändeten Mädchen und gemordeten Greise aus den Schreckenstagen Roms – Paduani in der Straße von Pera – das schreckensbleiche Gesicht, die starrenden Augen des armen Dieners in der Villa zu Hietzing vor den Thoren Wiens – auch dessen Augen allein hatten Sprache, auch dessen Zunge fesselte der Knebel –

[207] Jahre der Angst und der Furcht vor dem Ewigen lagen in den wenigen Minuten, die seit dem Verschwinden des Mohren doch erst vergangen, und doch waren sie so kurz, so kurz – –

Näher und näher dröhnten die Spatenstiche der Russen – er hörte es deutlich, sie hatten die Richtung nach ihm eingeschlagen, von dem dumpfen Klang der Höhlung geleitet – er hörte das versuchende Pochen – deutlich den Befehl des Offiziers – kaum wenige Fußbreit noch – –

Allbarmherziger Gott – Rettung – Rettung – –

Da – da –

Es knisterte an der Flamme des Lichts – es zischte – ein, zwei Körner sprühten –

Dann – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Mit der fahlen Bleiche, welche die schwarze Farbe annimmt, durch welche der grelle Sonnenstrahl des Aequators die Wesen jener glühenden Länder gezeichnet hat, stürzte Jussuf, der Courier Mariam's, mit hastigem Schritt aus den Gewölben der Bastion, die zu den Minen führten.

Er sah das goldene Mittagslicht, den blauen Himmel über sich – der Sonne Strahl blendete sein Auge, das aus der Nacht des Grabes kam.

»Der On-Baschi – der On-Baschi – wo ist er?«

Man trug ihn halb den Capitainen entgegen, die auf die Meldung eilig herbei kamen.

»Fasse Dich, Mann! – Was ist geschehen? – wo ist Dein Gefährte?«

Der Mohr stand vor den Offizieren, deren Kreis sich mit jedem Moment vermehrte; er hatte alle seine Fassung wieder erhalten.

»Die Moskows, o Aga, sind in der Nähe der Minenkammer, wir hörten deutlich ihr Arbeiten – vielleicht keine zehn Ellen uns zur Seite –«

»Ich will mich überzeugen!«

Capitain Grach eilte nach der Kehle der Bastion.

Der Mohr warf sich ihm in den Weg.

»Wallah! es ist zu spät – mein Kamerad wird zünden, so bald er die Russen nahe genug hält, – er muß jeden Augenblick erscheinen; ich eilte voran, es zu verkünden.«

[208] »Das Glück ist für uns!« rief der französische Capitain, dem rasch die Worte übersetzt worden. »Eilen Sie zu Hussein-Pascha, Herr Kamerad, damit er die Truppen zum Ausfall bereit hält. An die Geschütze, meine Herren, und fertig zum Feuern!« Er sprang die Böschung hinauf, auf die Wälle der Bastion – Capitain Grach war davon geeilt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Durch die vorderste Linie der gegen Arab-Tabia vorgeschobenen Trancheen kam mit seinem Adjutanten der greise Chef des russischen Geniewesens. Sein kalt-graues aufmerksames Auge prüfte genau jede Linie, die Höhe der Brustwehr, die Anlage der Embrasüren, die Arbeiten zum Aufstellen der Kanonen, die Richtung der fertigen Geschütze, die bereits in vollem Feuer gegen die Bastionen waren. Zuweilen aber machte er eine plötzliche unheimliche Bewegung, wandte das weiße Haupt zurück, gleich als wolle er Jemand sehen, der ihm folgte, und schien, in's Leere starrend, auf Worte zu horchen, die nicht gesprochen wurden.

An der Kehle der Sappe rief er den kommandirenden Artillerie-Offizier. – »Lieutenant Potemkin!« – es war derselbe, welcher so kühn und umsichtig in der Nacht des großen Ausfalls die ersten Geschütze in's Feuer gebracht – »welche Nachricht von den Minirern?«

»Capitain Ochalski hat vor fünf Minuten melden lassen, daß er das Bett des Grabens bis zur Mitte erreicht hat. Man beginnt das Pulver hinabzuschaffen.«

»Gut! Sobald die Sache beendet, schnellen Rapport. Er findet mich an der zweiten Mine gegen die Citadelle.« Er brach plötzlich ab und wandte sich hastig um, als sähe er Jemand hinter sich stehen. »Zum Henker! kann ich des Kaisers heute denn gar nicht los werden? Gespenster passen nicht zum Dienst! – Was winkt der Schatten fortwährend mir und raunt mir in's Ohr, als ob ich nicht wüßte, daß heute der Dreizehnte! – Der Fürst läßt mir melden, Lieutenant, daß in einer Stunde die zum Sturm bestimmten Truppen in die Linien rücken werden. Vergessen Sie die Botschaft an Ochalski nicht, daß ich schleunigen Rapport haben muß; – ich hoffe, ehe die Sonne sinkt, dort drüben die Fahne mit dem Adler flattern zu sehen!«

Er wandte sich, um nach den Pferden zurückzukehren, die in einiger Entfernung ihm langsam nachgeführt wurden.

[209] Der General hatte kaum zwei Schritte gethan, als die Erde unter ihm zu rollen begann, wie bei einem Erdbeben – dann erfolgte ein gewaltiger Stoß, der ihn und alle in der Nähe Befindlichen zu Boden warf; – die Erde schien sich zwischer der Sappe und der letzten Batterie zu öffnen und hoch in die Luft sich zu erheben; ein ohrzerreißender Knall – ein dichter Regen von Erde und Steinen, menschlichen Leibern und Gliedern füllte fast minutenlang Alles rings umher, Geschützstücke selbst flogen weit über die Trancheen hinaus und fielen zerschmetternd nieder – die Wände der Laufgräben waren weithin eingestürzt, die Sappe ein hohler Krater, die nächste Batterie in die Luft gesprengt, – ein Theil der diesseitigen Böschung des Grabens in diesen zusammengestürzt.

Ein Jammerruf – ein wildes schmerzliches Gewimmer drang zugleich aus den dicken Pulver- und Staubwolken, die rings umher fast wie dichte Nacht die Luft füllten.

Der junge Artillerie-Offizier, der den General zurückgeleitet, war erst wenige Schritte wieder entfernt und der Erste, der – wunderbar allen Verletzungen entgangen – aus der Erde der Brustwehr, die ihn überschüttet, sich emporraffte.

»Excellenz, wo sind Sie? sind Sie verwundet?«

Er sprang durch den Dampf und Rauch nach der Stelle zu – der General stand bereits aufrecht, bleich, aber ruhig.

»Die Gräber öffnen sich und bringen die Todten zurück – mein kaiserlicher Herr und Freund – ich seh' Dich licht und hehr aus den Wolken der Finsterniß daher schreiten – sprich – ist die Stunde Deines Dieners gekommen?«

»Um der Heiligen willen, Excellenz, fassen Sie sich!« – der junge Mann wagte es, seinen Arm zu ergreifen – »ein unglücklicher Zufall muß die Mine Ochalski's zu früh gesprengt haben.«

Der Name des einem gräßlichen Schicksal erlegenen Offiziers führte den greifen General in die Wirklichkeit zurück.

»Tscherti tjebie by wsiali! Hinauf auf die Brüstung! Du hast junge Augen – was siehst Du?«

Der junge Mann stand schon oben, ein Adjutant des Generals folgte ihm.

»Das Fort ist unbeschädigt – ich sehe Nichts von unseren Arbeiten – Alles scheint verschüttet – der Dampf –«

»Herunter, Bursche! – nicht uns're Mine ist es; die Türken [210] haben eine gegen uns gesprengt und wir werden gleich mehr von ihnen hören.«

Eine Kartätschensalve, die von der Bastion über das Glacis daher prasselte, bestätigte die Befürchtung des Generals.

»Die Pferde! die Pferde! Die Tölpel vor dem Abdul-Medjid sind thöricht genug, ihre Mine zu sprengen in dem Glauben, daß ich hier das Signal gegeben. Verdammt sei der Tag!«

Er eilte mit jugendlicher Kraft zurück über die Trümmer und Erdstürze, welche die Trancheen füllten, bis zu der Stelle, wo die Pferde zurückgelassen worden.

»Gott geleite Sie, General!«

»Narr! Deine Batterie ist Atom – hierher zu mir; es ist keine Schande für den Krieger, in solchem Fall sich zu retten!«

Noch ehe sie die Pferde erreichten, gellte bereits der Allahruf der Türken, den Ausfall verkündend – –

Die Pferde waren glücklich verschont geblieben – der General stieg mit Potemkin's Hilfe auf das seine und jagte querfeldein davon, den russischen Werken vor der Citadelle Abdul-Medjid zu. Er hatte den Hut verloren, sein langes graues Haar flatterte im Winde.

Wer eines Rosses habhaft geworben, folgte ihm.

Ein Hagel von Kugeln peitschte über die offene Fläche – mehrere Reiter stürzten – das Pferd des Generals ward von einer Paßkugel am Hintertheil getroffen und schleuderte, zusammenbrechend, den alten Offizier weit von sich, daß er zum zweiten Male niederstürzte. An vier Stellen brachen die Ausfallscolonnen der Türken aus den drei Forts – die egyptischen Truppen – Kavallerie – im hellen Sonnenstrahl blitzten die hochgeschwungenen Waffen der anstürmenden Geschwader. Aber schon war der junge Artillerie-Offizier, dem es geglückt, in der Verwirrung eines der Pferde zu nehmen, an der Seite des Generals, sprang aus dem Sattel und half ihm hinein. – »Vorwärts, Väterchen; was ist an einem Lieutenant gelegen! Erhalte Du Dich dem Kaiser!« Er sprang neben dem Pferde des Generals her, der auf's Neue den russischen Schanzen zu galoppirte; da überschlugen sich plötzlich Roß und Reiter – eine Kanonenkugel hatte des alten Offiziers linkes Bein dicht unter'm Knie zerschmettert – –

»Kaiser Alexander – Kaiser Alexander –!«

Wieder stand im Nu der junge Lieutenant neben ihm, den [211] Säbel in der Faust, bereit, in seiner Vertheidigung das Leben zu lassen – kaum tausend Schritt weit jagte türkische Kavallerie bereits daher – aber sie warf sich zum Glück rechts hin gegen die Trancheen – Offiziere sammelten sich auf Potemkin's Ruf um den verwundeten General – von der naheliegenden Schanze eilte ein Kommando herbei – im Augenblick war er von der Last des schlagenden Pferdes befreit und auf mehrere Gewehre gelegt, auf denen laufend die Soldaten ihn zurücktrugen aus dem blutigen Gemetzel, das sich auf allen Punkten der langen Linie entspann.

Der Erfolg des Ausfalls war ein vollständiger, alle Erwartungen übertreffender, denn die Russen, in keiner Weise auf den Angriff vorbereitet und den ihren auf die vorhergehende Sprengung von Breschen basirend, wurden vollständig überrascht und bis hinter ihre ersten Linien zurückgeworfen. Das Donauufer entlang der Festung fiel in die Hände der Belagerten und blieb darin. Auf der Ost- und Südostseite wurde der größte Theil der Belagerungsarbeiten der Russen zerstört, mehrere Fahnen und eine Mörser-Batterie blieben in den Händen der Türken, die dritte Mine, die nach der voreiligen Sprengung der gegen das Abdul-Medjid-Fort noch übrig blieb, wurde verschüttet – die Belagerung mußte auf's Neue begonnen werden. Tausend Todte ließen die Russen in den zerstörten Laufgräben – der Verlust der Türken war nur wenig geringer, denn heldenmüthig hatten in ihren Werken sich die Posten gewehrt, ehe die Hilfe herbeikam.

Schon beim Beginn des Kampfes hatte Jussuf, der Mohr, sich eilig und still aus dem Fort entfernt, und während die Schlacht tobte, eilte er mit beschwingtem Fuß durch die engen Straßen, bis er an der Hofmauer des Hauses anhielt, das, wie er wußte, der Engländer Maubridge bewohnte. Mit Hilfe der Schlüssel, die er dem Todfeind abgenommen, der jetzt bereits vor dem ewigen Richter und Rächer stand, gelangte er leicht in das Innere, wo jetzt nur ein altes, ängstlich dem Bombardement lauschendes Weib zugegen war, und dieses, durch sein grimmiges Aussehen und die Todesdrohung erschreckend, führte ihn bald in die einsame und wohlverwahrte Kammer, wo er den Knaben Mauro eingesperrt fand. Er nahm ihn an der Hand und führte seine Beute glücklich davon. Durch die zum Ausfall geöffneten Thore und im Gewirr der ein- und ausdrängenden Truppen gelangten Beide rasch in's Freie, und während zu ihrer Linken noch donnernd[212] und blutig der Kampf ras'te, schlugen sie eilig die Straße nach Schumla ein. – –

Am 13. war Mehmed-Pascha – der Renegat Czaikowski – mit den bei Erekli stehenden Truppen vorgerückt und traf am 15. mit dem Chruleff'schen Corps bei Baldakidi zusammen. Gleichzeitig hatte Said-Pascha die bei Turkossimich auf der Straße von Rustschuk stehenden Truppen unter Iskender-Pascha gemäß dem allgemeinen Operationsplan vorrücken lassen, während er selbst Giurgewo und die Mokan-Insel angriff. Aber Pawloff's Division, rechtzeitig benachrichtigt, warf sich den Truppen des ehemaligen Grafen Ilinski in den Weg und verhinderte ihre Vereinigung mit Silistria und dem türkischen Südcorps. Bis in die Nacht hinein dauerte die Kanonade.

General Schilder ward noch im Lager amputirt und dann nach Kalarasch gebracht. Aber der Brand trat in die Wunde und es mußte eine zweite Amputation am obern Schenkel vorgenommen werden.

Doch auch diese rettete den greifen Krieger nicht. Seine Stunde war am 13. gekommen, wie das Traumbild seines verewigten Kaisers ihm verkündet: – er starb am 23. in den Armen des jungen Artillerie-Offiziers, der ihn vor der türkischen Gefangenschaft gerettet und den er nicht wieder von seiner Seite ließ. Er starb – indem er noch das Leid hatte, die Aufgabe der Belagerung und den Rückzug der Russen vom rechten Donauufer zu erfahren.

Beides erfolgte in den letzten Tagen des Monats, nachdem schon seit dem 15. jeder active Angriff auf gehört und die Belagerung sich auf eine theilweise Cernirung durch das Corps des Generals Grotenjhelm auf den von Jassy angelangten Befehl des Fürsten-Statthalters beschränkt hatte. Fürst Gortschakoff und die Generäle Lüders und Chruleff trafen schon am 19. wieder in Bukarest ein, alle Drei leidend und krank. Das Einrücken der Oesterreicher in die Donau-Fürstenthümer wurde bereits ganz offen proclamirt. Im Angesicht der österreichischen Truppenmärsche, welche den ganzen Raum von der serbischen Gränze an über Siebenbürgen bis zur Bukowina bedeckten und Flanken und Rücken der russischen Armee bedrohten; bei der Aufstellung neuer Truppen an der Gränze bei Krakau und der Bildung eines Reservecorps [213] in Mähren war auch die Stellung in der Moldau bedroht und es erfolgte der Befehl zum Rückgang über den Pruth. Damit endete der erste Akt des großen orientalischen Drama's.

An zehntausend Todte ließen die Russen allein vor Silistria zurück, darunter sechs Generäle und fünf Obersten.

Der Donau-Feldzug hatte sie mit der furchtbaren Verheerung der Krankheiten an achtzigtausend Menschen gekostet.

Fußnoten

1 Hauptmann.

2 Es giebt keinen Gott als Allah, und Muhammed ist Allah's Prophet.

3 Die Folterengel, die den Begrabenen befragen.

4 Die Richtung nach Mekka, die stets beim Gebet und in der Sterbestunde jeder Mahommedaner nimmt.

5 Nach dem Koran der Zustand zwischen dem Tode und der Auferstehung.

6 Die Waage, auf der die Thaten der Guten und Bösen gewogen werden.

7 Das Paradies.

8 Czaikowski.

9 Sohn eines Lords – Benennung vornehmer Engländer.

10 Schuft von einem Scharfrichter!

11 Abraham's.

12 Hölle.

Kaleidoscope
1. Auf der Rennbahn
Auf der Rennbahn.

Der vierte Tag – Dienstag, der 20. Juni – der so rasch im Sporting berühmt gewordenen Berliner Rennen nahte sich bereits dem Ende. Obschon der Hof bald nach den Festlichkeiten zur Feier der silbernen Hochzeit des Prinzen und der Prinzessin von Preußen, an der das ganze Land so patriotischen Theil nahm, sich nach der Provinz Preußen begeben hatte, war doch noch immer viel hohe und vornehme Gesellschaft in der preußischen Königsstadt versammelt und namentlich das diplomatische Corps vollständig geblieben, da jeder Tag jetzt neue wichtige Botschaften und Verhandlungen brachte.

[215] Ein leichtes Gewitter war gegen Abend heraufgezogen, der kurze dünne Regenschauer hatte jedoch nur dazu gedient, den Staub des weiten Sandfeldes, auf dem die Bahn ausgesteckt ist, zu mildern, ohne die zahlreichen Sportsmans vom innern Turf zu vertreiben oder die farbenreichen Toiletten der Damen – denn die Berlinerinnen lieben das Bunte – zu verderben, welche in großer Zahl und etwas pikanter Mischung die Tribünen rechts und links von der erhöhten Hofloge füllten, während das Publikum zu Vier-Groschen, das man bereits zum Volke zählt, seine Stehplätze auf den Flanken behauptete, unterstützt von den nie fehlenden fliegenden Marketenderinnen in Kümmel und Schinkenstullen.

Der Platz im Innern zeigte ein lebhaftes Treiben – sehr viele Offiziere, die mit großer Vorliebe an den Aufregungen der Bahn hängen, die Mitglieder des Rennvereins und des Jockey-Clubs, viele Aristokratie aus den Provinzen, die Wollmarkt und Rennen hierher geführt, hohe Beamte, Attaché's, pferdeverständige Banquiers, jene zahlreiche Sorte berliner Flaneurs, theils Juden, theils Christen, die überall sind, ohne daß man weiß, wer sie sind, überall unverschämt und absprechend – des Morgens in irgend einem vornehmern Weinlokal, zur Caffeezeit auf der Kranzler'schen Rampe, Abends im Foyer des Opernhauses oder im Kroll'schen Garten, aber niemals an einem Mittagstisch. Da waren die vornehmen Industriellen in Gold, Edelsteinen, Seide und Bronce, die, weil der Hof bei ihnen kauft, glauben, sie gehörten dazu, die im März 1848 auf's Schleunigste das Hoflieferanten-Wappen bei Seite brachten, in der Vossischen Zeitung mit einem anständigen Beitrag für die Hinterbliebenen der Märzhelden zeichneten und jetzt über den Undank die Nase rümpfen, daß sie noch nicht das Hohenzollern-Kreuz erhalten haben, einstweilen aber keine Galla-Vorstellung im Opernhause und keine Gelegenheit versäumen, wo das Entree ihnen erlaubt, sich unter Hof und Adel zu mischen. Da fehlten auch nicht die markirten Physiognomieen, die ein Conto gegen 150 Prozent offen halten für die Ehrenscheine junger Sprossen aus Preußens alten Familien, jene Blutegel am großen Grundbesitz der Aristokratie. Die berliner Börse endlich in ihren ältern und jüngern Prachtexemplaren, die junge Litteratur und die Hotelbesitzer, die ihre Fremden zum Rennen fahren, wenn die Frau Gemahlin nicht etwa die Equipage mit Groom und Bedienten für sich selbst gepreßt hat.

[216] Kurz Alles Bewegung, Alles Glanz, Alles Sehen und Gesehenwerden.

Das Hürden-Rennen um den von des Königs Majestät gesetzten Preis war eben im Gange; die vier Pferde, von den adligen Besitzern oder Offizieren geritten, hatten das letzte Hinderniß dicht zusammen genommen und es entwickelte sich nun ein interessanter Kampf. Selbst auf den Tribünen hatte sich Alles erhoben und war in Bewegung, die Linien im Innern des Platzes drängten möglichst weit vor zum Aerger des Flanken-Publikums, das seine Rechte mit lautem Rufen vertheidigte, und die Aufregung und Theilnahme hatte selbst Männer erfaßt, die sonst herzlich wenig um den Turf sich zu kümmern pflegen.

»Caurire siegt – Breidbach ist eine Länge voraus! Hundert Friedrichsd'ors Paré! Haben Sie Lust, Baron?«

»Angenommen, Hoheit – ich wette auf den ›Shake speare‹. Lüttwitz weiß, wann es Zeit ist.«

»Sie kommen – sie kommen! – ›Trial‹ und der ›Emperor‹ bleiben zurück!« –

»Sie werden galant sein und mich zwei Louisd'ors gewinnen lassen,« flüsterte es aus der ersten Reihe der Tribüne zu dem Herrn mit starker Nase und Backenbart, Frack von Heymann unter den Linden, der an der Linnenwand der Tribüne auf die Bank gestiegen, mit allerlei schwedisch-gymnastischen Körperverdrehungen dem Lauf der anstürmenden Pferde folgte, gleich wie die Kegelschieber die edle Gewohnheit haben; – »ich wette auf die Blaukappe – die Equipage an den Renntagen ist so theuer!«

»Avec plaisir, reizende Amanda! Was werd' ich nicht thun! – Wollen Sie zwei Friedrichsd'ors auf den ›Shakespeare‹ halten, Herr von Walther?« – Der galante Verlust der Wette war so gesichert.

»In des Teufels Namen, stehen Sie doch ruhig, Herr Wolf. Sie werfen noch die Bank um. Ich wette nie!«

Ein lauter Jubel begrüßte die jetzt am Pfosten vorüber stürmenden Pferde – »Shakespeare« voran, »Caurire« als Zweiter.

»Das macht mit den gestrigen Wetten vierhundertundzwanzig Friedrichsd'ors, Hoheit!«

»Ich weiß, ich weiß! – wir haben morgen noch das Jagdrennen, – der Brin d'Amour siegt gewiß!«

»Heute Abend, holder Engel, bringe ich's!« flüstert Herr Wolf [217] und springt von der Bank, sich unter das Gedränge mischend, das wieder den Platz füllt und die dampfend zur Waage zurückkehrenden Pferde umgiebt. »Wissen Sie, lieber Freund, wie viel ich eben hab' verloren auf die ›Caurire‹? – Zwanzig baare Louisd'ors! Aber 's schadet nischt – 's ist an eene vornehme Dame!«

Alles drängt durcheinander, die Freunde den Sieger begrüßend, Andere mit den Besiegten jeden Satz der Pferde discutirend.

»Sind Sie heute Abend zu Hause, Herr Meyer?«

»Zu unterthänigstem Befehl. Wie viel? – Es ist schwer, Geld aufzutreiben – die Cöln-Mindener und Ludwigshafen-Bexbacher nehmen Alles in Anspruch – 115 Procent heute!«

Ein verächtliches Achselzucken. – »Das ist Ihre Sache – ich kann mich hier nicht mit Ihnen aufhalten; um neun Uhr schicke ich.« –

Die jugendliche Bettelgeneration mit Blumensträußchen macht ihren letzten Angriff – einzelne Equipagen nehmen bereits ihre Besitzer auf – die Prinzen haben die Königliche Loge verlassen und bewegen sich freundlich plaudernd über das eben beendete Rennen unter der Menge – die neuen Nummern werden aufgezogen und sechs Jockey's machen sich fertig zum nächsten Handicap.

Zwei Herren gehen aus und ab in der Bahn, an den Tribünen entlang – beide offenbar keine Sportsmans, doch den gebildeten Klassen angehörend; der Eine in Reiserock und Mütze.

»Ich wußte Sie wirklich all keinen Ort zu führen, lieber Doctor,« sagte der Andere, »der Ihnen, da Sie zum ersten Male in Berlin sind, rascher und prägnanter ein Bild unseres Lebens und der Klassen, Sünden und Annehmlichkeiten der Berliner Gesellschaft gegeben hätte. Sie finden in der That hier Alles, was auf diesen Namen Anspruch macht, und ein buntes pêle-mêle ist es in der That.«

»Bitte, bezeichnen Sie mir einige pikante oder hervorragende Persönlichkeiten.«

»Da sehen Sie unsern preußischen Premier; Sie kennen ihn bereits. Er unterhält sich eben mit dem Chef unserer Polizei.«

»Herr von Hinckeldey hat in der That sich bereits einen europäischen Ruf erworben.«

»Ich fürchte, er wird an diesem und seiner Energie scheitern. Bei der Macht ist es schwer, die richtige Gränze zu treffen.«

[218] »Die öffentliche Stimme nennt Ihre Finanzen, Ihr Postwesen und Ihre Polizei vortrefflich.«

»Ich erkenne an, daß ohne einige kleine Sünden gegen die Paragraphen über die persönliche Freiheit nicht Ordnung zu halten ist. Dennoch lieben wir auch hier manche Neuerungen aus dem Jahre 1848 nicht.«

»Sie haben wenigstens in Preußen den Vorzug, daß zu Ihren Sicherheitsbeamten stets nur Personen von unbescholtenem Ruf und bewährter Treue, keine Vidocq's gewählt werden.«

Der Preuße zeigte nach einem Herrn, der im seinen Reitfrack vorüberging, den weißen Bibi auf dem etwas kahlen Kopfe und einen großen Brillant im Chemisett. – »Wissen Sie, daß der Mann dort, der rechts und links grüßt, zehn Jahre in Spandan gesessen hat und einen der berüchtigsten Gaunernamen der Residenz trägt?«

»Und er kommt hierher?«

»Warum nicht! Sie werden noch ganz andere Dinge auf unserer Runde erfahren. Der Mann ist reich und man antichambrirt bei ihm unter den Linden. – Sehen Sie den kleinen Herrn dort – er trägt einen vornehmen Namen, ist ein rastloser thätiger Geist und hat Vieles geleistet auf dem Felde der politischen Intrigue in den bösen Jahren. Er hat manchen künftigen General-Consul gemacht. Man hätte ihn zum Diplomaten creiren sollen, wenn er nur nicht eben so gut im Hause der Wucherer, als im Hotel der Minister bekannt wäre.«

»Der Herr, um den er eben einen Umweg macht?«

»Ein ehemaliger Schulkamerad von mir; vor ihm und seinem Bruder liegt viel Zukunft, obschon ihn die Gegenwart in eine schiefe Stellung gebracht hat. Die Majestät soll 1849 von ihm gesagt haben: ›Der ..... will wohl gar Minister werden?‹ – Und dennoch, Freund, wird er's einst sein und ich wünsche es ihm, denn er ist vielleicht am meisten von der conservativen Partei mit Undank behandelt worden. Ich weiß, welche zähe Thätigkeit er im Jahre 1848 entwickelt hat! Es sind Viele in den Reihen unserer Kammeropposition, die damals Männer voll Treue und Aufopferung waren.«

»Man sagt im Auslande, das Princip der preußischen Regierung nach dem Jahre 48 sei mehr darauf gerichtet gewesen, [219] die Nichtbewährten an sich zu ziehen, als das Verdienst der Bewährten anzuerkennen?«

Das Gesicht des Andern wurde ernst. – »Das Gleichniß vom verloren gegangenen Lamm,« sagte er mit einem gewissen Hohn, »ist christlich, aber nicht politisch. Die Treue ist kein Verdienst, aber die Untreue ist eine Schmach; das ist ein ewig geltender politischer Satz, und für das Rechtsgefühl treuer und ehrlicher Herzen ist es eine tiefe Verletzung, Leute sich jetzt brüsten und blähen und überall mit ihrem Patriotismus für König und Thron sich in die vordersten Reihen drängen zu sehen, die, als die Wogen hoch gingen, nicht blos feig den Posten verlassen, sondern die zu den offenen Gegnern und Schmähern des Thrones gehörten.«

»Sie haben zwei Stände in Ihrem Lande, deren Gesinnung sich unverbrüchlich bewährt hat: den Adel und das Heer.«

»Sie sprechen da eine schwere Beschuldigung aus, die ich auf meinem Vaterlande nicht haften lassen kann. Das ganze Land ist treu dem Throne und ehrlich conservativ – der Graf wie der Bauer, der Soldat wie der Bürger. Was schlecht und faul war und ist, das sind zwei Dinge: der Schachergeist des christlichen und orientalischen Judenthums und der rabulistische Advokatengeist von Westen. Beide sind Früchte der gepriesenen Neuzeit.«

»Ihr Adel –«

»Unser Adel – sehen Sie hin da auf jene zahlreiche Gesellschaft, markige frische Gestalten und Gesichter – ich liebe die geborene Noblesse des Körpers! Unser Adel hat sich brav bewährt und ich gönne ihm selbst seine stark wieder hervortretende Exclusivität. Aber der Schachergeist nagt leider auch an ihm, schmuziger Rost an gutem Stahl, die Spiritusspeculation und der Handel ruinirt mir den noblen Eindruck. Der berliner Wechselwucher hat schon manchen berühmten Namen fallen machen.«

»Es sind dies leider Corruptionen, die Sie überall finden – die Sucht, reich zu werden, die Börse, die sogenannte Geldaristokratie, sind Uebel, die nicht allein demoralisiren, die auch materiell untergraben.«

»So möge man den kaufmännischen Geist, den so genannten Segen des Handels, nicht allzusehr poussiren. Ich bin kein Feind des Judenthums als solches, Freund, aber ich hasse das Judenthum als sociale Macht aus tiefster Seele, und unser ganzes Ringen,[220] unser ganzer Kampf ist hauptsächlich mit ihm. Wollen Sie materielle Beweise? – Berlin bietet sie in reichem Maaße. Seit 1848 sind erst sechs Jahre verflossen. Gehen Sie durch den Thiergarten – mehr als die zweite prächtige Villa ist jüdischer Besitz. Sehen Sie unsere Etablissements, unsere Banquiergeschäfte, den Getreidehandel, die glänzenden Waarenbazars, die Schneider- und Tischlermagazine, – Handel und Wandel – Besitz und Arbeitgebung an – zwei Drittheile befinden sich in den Händen der Juden. Der Handwerkerstand ist durch die Speculation der Geldmacht förmlich ruinirt. Das Judenthum herrscht in der Kunst – unsere ersten Schauspieler sind fast sämtlich Juden! – wie in der Litteratur und Wissenschaft. Ich wiederhole es Ihnen, ich bin kein Feind der Juden als Juden, und habe liebe, geschätzte Freunde unter ihnen, – aber ich hasse das speculative zersetzende Judenthum, das Alles unter die Herrschaft der Zahlen bringt.«

Der fremde Arzt lächelte. – »Sie werden eifrig in Ihrem Thema. Das sind Fragen, über die Staatsmänner und Zeitungen verhandeln mögen.«

»Entschuldigung für die Abschweifung, und den noch wird sie Ihnen auch einigermaßen hiesige Verhältnisse characterisiren, die Factoren des jetzigen berliner Lebens: den Hof, den Adel und das Militair, – das Geheimerathsthum, – die jüdische Geldherrschaft und zuletzt – das bürgerliche Philisterthum.«

»Sie vergessen Ihre Presse, zu der Sie ja selbst gehören und die immer eine Macht ist.«

Der Berliner lächelte. – »In Berlin nicht. Es giebt in der ganzen Residenz zwei Blätter von journalistischer Würde und Gesinnung: die Kreuzzeitung und die Nationalzeitung. Die Presse? Wissen Sie, aus was unsere Presse besteht? Aus einem kleinen Häufchen anständiger und gesinnungsvoller Männer, aus einigen wenigen Talenten, aus einem Schwarm politischer Apostaten und aus einer ziemlichen Anzahl unfähiger Judenjungen, die in andern Geschäften nicht vorwärts kamen. Bewährte Republikaner redigiren conservative Organe, von Eitelkeit geplagte Krämer fabriciren Leitartikel, Frauen und Narren machen die Kritik, ehemalige Bänkelsänger und durchgefallene Referendarien die Politik und naseweise Jungen die Correspondenzen. Es giebt verteufelt Wenige, zu denen man mit Anstand sagen kann: Herr College! und die Collegenschaft der Anständigen ist so jämmerlich, daß sie noch niemals den geringsten [221] Gemeingeist gezeigt hat, selbst gegenüber der polizeilichen Zuchtruthe des Herrn von Hinckeldey.«

Sie waren Beide stehen geblieben im Gespräch und schauten dem Abritt der Jockey's zum neuen Rennen zu, als zwischen ihre Köpfe sich der eines hochbeinigen, störrigen Gaules streckte. Vergebens zerrte der jugendliche Sonntagsreiter, in einen jener duftigen Gummiröcke gehüllt, die das Grauen der Damennerven sind, an den Zügeln, um der Rosinante eine andere Richtung zu geben, der Gaul wollte nicht, und eine Gruppe lachender, junger Offiziere und Sportsmans bildete sich um den Unglücklichen.

»Verehrungswürdiger James,« sagte der Journalist spöttisch, »verschiedene Thiere aus dem alten Testament waren auch höchst störrischer Natur, also ärgern Sie sich im neuen nicht; für den Aufkauf der Billets zum Auspfeifen meines letzten Stückes will ich Ihnen den Gefallen thun, Ihren alterthümlichen Fuchs gleich einem Hirsch in's Feld galoppiren zu machen.«

Er gab lachend dem Gaul einen Hieb mit dem Spazierstöckchen, und der unglückliche junge Orientale galoppirte wirklich zum Gelächter der Tribünen – deren ständische Flanken ihn mit dem Rufe: »Pietsch kommt!« begrüßten – über die Bahn. –

»Ein Sprößling jener Aristokratie, die Sie vorhin so sehr anfeindeten?« fragte lachend der Arzt.

»Ein Candidat des künftigen berliner Löwenthums. Der Vater ein verständiger Geschäftsmann, der junge Narr ein Affe, der noch nicht begreift, daß Lächerlichmachen das größte Uebel. Er hatte ein pikantes Vorbild an seinem Oheim, der viel Geld an die Schreier von Achtundvierzig verlieh und natürlich Nichts wiederbekam. Ich sah ihn an einem Ballabend im Gesellschaftshause das Champagnerglas zwei Mal mit blanken Dukaten füllen und es einer Phryne für seine Wahl bieten, das Mädchen, schlug sie lachend aus und wählte ihren Louis – Sie kennen doch die Benennung von Herrn Arago her, gesandtschaftlichen Andenkens!«

»Wer ist der Herr dort, der mit der Gruppe von Offizieren spricht und Sie vorhin grüßte?«

»Ah – das Embonpoint Ueberall und Nirgends? Seine Familie ist vor Kurzem geadelt worden und zeugte Künstler, Banquiers, Diplomaten und Bummler. Der Herr da ist der stereotype Flaneur aller öffentlichen Orte, eine gutmüthige Haut und seit seiner verunglückten theatralischen Carriere in Dessau von der[222] Familie als amüsanter Müßiggänger unterhalten. Da drüben sitzt seine Schwester ohne ›von‹, und das ist ein trüber Kummer, der sich vielleicht durch eine vornehme Heirath redressiren läßt. Papa gab zur Feier seiner Adelung einen prächtigen Ball, zu dem nur pure Aristokratie geladen war. Das Fräulein vom Hause tanzte mit einem unbekannten, durch seine noblen Manieren ausgezeichneten Cavalier und amüsirte sich an seinen pikanten Bemerkungen über die Toilette der Gäste. ›Vraiment, Monsieur le Baron, Sie machen höchst scharfsinnige Bemerkungen über die Garderobe der Herren!‹ – ›Meine Gnädige, warum sollte ich auch das nicht verstehen? ich arbeite doch schon drei Jahre bei Heymann unter den Linden!‹ – Sie können den Eclat denken!«

Beide lachten. Der Journalist erwiederte mit kaltem Nicken den Gruß eines Vorübergehenden. »Der Mann rühmte sich, am 18. März den Lieutenant von Zastrow vom Pferde geschossen zu haben. Doch seine Küche ist gut.«

Ein großer Herr mit kahler Stirn grüßte im Vorbeigehen.

»Sie haben meinen Artikel noch immer nicht gebracht, Doctor?«

»Es ist unmöglich, auch nur zwei Worte zu lesen. Ich besitze keine Dechiffrir-Anstalt. – Ein schmuziger Geizhals,« sagte er im Weitergehen, »obschon einer der ersten Spiritusbrenner und einst der Vorstand einer ganzen Provinz. Jetzt hat er das Verdienst, jedes Mal mit seinen Reden die Bänke der Kammer zu leeren. – Doch sehen Sie da die beiden Herren – sie sind in der That aus dem Herrenhause und Beide Träger erster Namen Preußens, der Eine der Nachkomme eines berühmten Generals, der Andere der Sohn eines energischen Ministers. In diesen beiden Gestalten liegt wahre Aristokratie und Noblesse.«

»Die dunklen runden Augen des Zweiten haben einen ergreifend melancholischen Ausdruck.«

»Sie meinen den, der eben mit dem Polizeipräsidenten eine Verbeugung wechselt – vom Scheitel bis zur Sohle ein Edelmann. Der Offizier, mit dem er spricht, machte in Paris Aussehen durch seine Reiterkünste. Es fließt hohes Blut in seinen Adern und er ist einer unserer bekanntesten Cavaliere. Die Künstlerinnen wissen davon zu erzählen. Ah! – da – sehen Sie die stolze Figur dort, die Donna Diana unserer Bühne? Ihr Bett soll einen förmlichen Pavillon abgeben, größer als das der Königin von England, das ein besonderer Courier im Schlosse von Brühl einrichtete.«

[223] »Sie haben eine böse Zunge.«

»Man lernt dergleichen in Berlin; es gilt, sich zu wehren. Der Angreifer hat den Sieg. Die Glocke hat uns von der Bahn gejagt, lassen Sie uns im Vorübergehen die Schönheiten der Tribünen mustern.«

»Die Damen da dicht an der Königlichen Loge?«

»Es sind die einzigen Plätze, die sich die hohe Aristokratie und die Repräsentation der Westmächte zu bewahren vermocht hat. Und dennoch werden auch diese bereits blokirt. Sehen Sie die vierschrötige Gastwirthin dort, die sich gar zu gern in die zweite Reihe drängen möchte? Sie wusch einst für einen gutmüthigen Rentier, und seit ihr würdiger Gemahl in patriotischen Concerten machte, fiel sie während der Bade-Saison auf allen Wegen den höchsten Damen durch ihr Knixen zur Last, bis Beide endlich, um sie los zu werden, ihren Zweck erreicht haben.«

»Und Jene dort mit dem blassen orientalischen Gesicht?«

»Wahrhaftig, diesmal nur in der zweiten Reihe? – die Mama mit der ganzen Familie von sieben hoffnungsvollen Sprößlingen ist zu spät gekommen. Die junge Dame trägt nur Unterröcke von Valencienner Kanten, hat damit einem reichen jungen Handlungsherrn durch ihren Papa bloß 60,000 Thlr. als Abstandsgeld einer Heirath abgegaunert, tanzt ziemlich schlecht und läßt mit dem Gelde Wuchergeschäfte machen. Die Familie ist ganz vorzüglich auf ähnliche Speculationen dressirt und ausgezeichnet geachtet.«

»Ich muß Ihnen gestehen, ich begreife die Möglichkeit einer so gemischten Gesellschaft nicht.«

»Ich auch nicht, mein Lieber, aber wie gesagt, das Geld gewinnt bei uns alle Tage mehr Boden. Reines Blut ist wahrhaftig bald nur noch in den Vierfüßlern von Race zu finden. Sehen Sie – da kommt die Carriere an, Graf Reichenbach's ›Despair‹ voran.«

Die Aufregung im Turf war groß, denn der Sieg blieb lange unentschieden. Despair, Brandenburg und des Fürsten Sulkowski Renner »Exhibition« rangen wacker Kopf an Kopf.

»Zum Henker! der Pole hat wahrhaftig gesiegt!«

Das Gedräng' hatte sie hinter zwei Personen gebracht, deren Aeußeres einen scharfen Contrast bot. Die Eine breit und aufgeschwemmt mit einem nichtssagenden, gedunsenen, fast bleifarbenen [224] Gesicht, aus dem allein die runden Augen Schlauheit und Bosheit leuchteten, zeigte in allen Bewegungen großes Phlegma und Sicherheit; die Andere von ziemlicher Größe, schlanker Statur und einem gewissen aristokratischen Aussehen wies jene unruhige Bewegung und Rastlosigkeit, die auf den Sanguiniker oder ein schlechtes Gewissen schließen läßt.

Die Hinterstehenden hörten unwillkürlich einige Worte des Gesprächs.

»Was sagte Ihnen der Franzose?« fragte der Dicke.

»Nichts als das Loosungswort und die Bestellung auf heute Abend 11 Uhr in den Thiergarten.«

»Dann können wir das gelbe Tuch einstecken, es hat seine Dienste gethan. Wird Ihr Mann auch sicher kommen?«

»Um 10 Uhr mit der Bahn von Potsdam. Sie wissen, der Eine wenigstens begleitete den König und –«

Die beiden Männer wandten sich im Fortgehen und das Auge des Dicken begegnete dabei dem finstern und festen Blick des Journalisten. Er zuckte sichtlich zusammen und sein fahles Gesicht wurde fast noch aschbleicher, während er seinen Gefährten fortzog.

»Ein fatales Gesicht!«

»Und ein Schurke im Innern durch und durch. Ich war einst thöricht und unvorsichtig genug, ihn zu benutzen und durch seine Eigenschaften als vortrefflicher Gesellschafter bestochen, viel mit ihm umzugehen. Er lohnte mir zahllose persönliche Wohlthaten mit einer öffentlichen Verleumdung.«

»Und was thaten Sie?«

»Was konnte ich thun? Ich ohrfeigte ihn, als ich ihm das erste Mal wieder begegnete, auf offener Straße, und damit war die Sache abgethan. Er ist jedoch einer der gefährlichsten Menschen Berlins und ich möchte wohl wissen, zu welcher Nichtswürdigkeit er seinen Begleiter dort verlocken will – denn er selbst als Winkeladvokat ist schlau genug, sich stets zu sichern. Am 19. März saß er bei der Fahrt der Polen neben dem Fanfaron Mieroslawski.«

»Wer ist der Andere?«

»Ich glaube, ein ehemaliger Polizei-Officiant, ein Herr von Hassenpflug oder dergleichen, ich kenne ihn nur vom Sehen.«

»Man bricht auf; ich dächte, auch wir suchten unsern Wagen.«

Die Hof-Equipagen mit jenen prachtvollen Gespannen preußischer Zucht, die selbst in England Staunen erregt haben, waren [225] bereits abgefahren, Reiter und Wagen füllten den Weg, betreßte Lakaien suchten ihre Herrschaften, Herren und Damen ihre Equipagen, berittene Constabler die Ordnung aufrecht zu erhalten. Das Gedränge und die Verwirrung waren trotzdem ziemlich groß.

»Sehen Sie, Doctor, da fährt eben der russische Gesandte ab, dem Sie morgen vor der Abreise nach Warschau Ihre Aufwartung machen wollen, der hagere blasse Herr.«

»Sein Einfluß und seine Thätigkeit hier scheinen bedeutend zu sein?«

Der Journalist lächelte.

»Sie haben keinen Begriff von der Apathie der Russen – sie waren der Ansicht, sie hätten Deutschland im Sack und das ist ihr Unglück. Glauben Sie wohl, daß mir neulich noch ein angehender russischer Diplomat, als ich mit ihm über die Stimmung der deutschen Presse sprach, im vollen Ernst sagte: Wir werden ihnen mit unsern Kanonen antworten!«

»Ich glaube selbst, daß ich manche Erfahrungen in Rußland machen werde.«

»Ich erinnere mich beiläufig einer guten Anekdote, die mir dieser Tage erzählt wurde. Bei der vorletzten Anwesenheit des Kaisers Nicolaus wollte dieser einem von ihm sehr geschätzten und stets sehr freundlich behandelten hiesigen Künstler ein Zeichen seines Wohlwollens zurücklassen und es sollte in Form einer werthvollen goldenen Uhr geschehen. Einige Tage darauf kommt der Hofmaler zu einer hohen Person und diese sagt ihm: ›Ich gratulire, mein lieber X., zu der schönen Uhr, die Sie vom Kaiser erhalten haben.‹ – Der Künstler zieht dieselbe lächelnd hervor und frägt: ›Wollen Eure Hoheit sie sehen?‹ – Die hohe Person nimmt das mohnblattartige Fabrikat in die Hand, besieht es staunend und sagt entrüstet: ›Das ist wohl kaum möglich, da muß ein Irrthum stattgefunden haben. Ich bitte, lassen Sie mir die Uhr, der Kaiser kommt morgen zurück und ich möchte sie ihm zeigen.‹ – Das geschieht, und der Kaiser, als er die Uhr sah, antwortete lachend: ›Voilà que je connais mon Prince de ...... off!‹«

»Sie müssen in Ihrem bewegten Leben einen Schatz von Anekdoten gesammelt haben.«

»O ja – so ziemlich. Meine Memoiren sind so reich, wie die meines kleinen pikanten Freundes, den wir heute Morgen trafen. Doch – was geht da vor? – welche Unverschämtheit!«

[226] Es hatte sich dicht neben ihnen eines jener kleinen Dramen entsponnen, wie sie oft so hohnneckend einschneiden in glänzende Scenen und glänzendes Leben.

Eine noch junge, elegant gekleidete Frau, sichtlich den höchsten Ständen der Gesellschaft angehörend, war mit ihrem Gatten die Stufen der Tribüne herunter gestiegen und dieser hatte sie einen Augenblick allein gelassen und sich entfernt, um seine Equipage zu suchen.

Die Dame war groß und schlank, aber von blassem, leidendem Aussehen. Wer ihr damals unter das verhüllende Capuchon und den Schleier geschaut hätte, wie jenes dicke, vom Branntwein und der Völlerei geröthete Weibsstück es einst gethan, das jetzt bei dem fliegenden, von einem Hunde gezogenen Marketenderkarren stand und kein Auge von der blassen Dame schlug, der hätte leicht darin die Gräfin Marie wiedererkannt, die wir im ersten Bande unseres Buches mit dem heimlich Geliebten zu der Wiege ihres armen verstoßenen Kindes begleiteten.

Eines Jahres Gram und Schmerzen vermögen im glänzenden Sommer des Lebens die Züge noch nicht so zu verändern, daß sie nicht wiederzuerkennen wären – das ist den Herbststürmen aufbehalten!

Plötzlich ließ das Weib die Karre stehen und sprang auf die Dame zu, mit der schmuzigen schwieligen Hand die seidene Robe derselben erfassend und festhaltend, gleich als solle die Beute ihr unter keiner Bedingung entwischen.

»Donnerwetter! – der Teufel soll mich holen, oder dat is ja des gnädige! Madamken von de Jöhre, des Marieken, das ick jepeppelt habe. Se werden mir doch noch kennen, de Müllendorfern aus de Luisenstraße?«

Die Blässe der Dame ging in's Leichenhafte über, als ihr Blick auf das Weib fiel, und ein Schauder überlief ihre Glieder bei der Berührung. Dennoch hatte sie Muth und Fassung genug zu dem leisen Versuch, ihr Kleid loszumachen: »Ich kenne Sie nicht, Frau.«

Das Weib, dem man ansah, daß sie während des Nachmittags ihrem eigenen Verkaufsartikel reichlich zugesprochen hatte, bekam jetzt ein ganz rothes Gesicht, stemmte den Arm in die Seite und schrie, ohne die Dame loszulassen:

»Wat – Sie kennen mir nich, mir, de Müllendorfern, die [227] Ihren Bankert sieben Monate lang jepeppelt? Na, det sollt' mir fehlen! Meenen Sie, ick hätte keene Augen nich? Eenen eenzigen Blick – und ob Sie zehn Schleiers hätten, ick kenne meine Leute wieder.«

Die Geängstigte stammelte:

»Was wollen Sie von mir? – gehen Sie!«

»Aha!« schluchzte das Weib, die in ihrem Rausch jetzt anfing, die Gekränkte zu spielen; »sehen Sie, nu kommt man die Erinnerung. Der arme Wurm, ick hatte ihn so lieb und hätt' ihn niemals nich von mir jejeben, wenn mir nich der Neid anjeschwärzt bei die Polizei von wejen die Jöhre mit die Masern, Sie wissen's schon, da im Korbe, und der Kummissarius mich die Kinder verboten hätte. Aber ich habe noch eene Rechnung für Extra-Milch und Medicin – die Zeiten sind schlecht – Drei Thaler und zehn – nee, zwanzig Iroschens – Ihr Amant war mir wegjeblieben und ick halte mir an Sie!«

Die Dame war mehr todt wie lebendig, fliegende Röthe und Blässe wechselte mit Gedankenschnelle auf ihrem schönen Gesicht, während ihr Auge ängstlich in der Ferne suchte.

»Um Gotteswillen, Frau – ich habe kein Geld bei mir – Sie sollen mehr als das haben, nur machen Sie jetzt kein Aufsehen.«

»Nee, ick kenne die Vornehmen – daruf läßt sich die Müllendorfern nich fangen.«

»Heute Abend – 10 Uhr, am potsdamer Thor links – ich komme bestimmt.«

In dem Augenblick drängte sich der Journalist durch einige Neugierige, die sich bereits um die Scene sammelten, deren Schauplatz zum Glück etwas abseits und durch einen Vorsprung vom Menschenstrom gesondert war.

»Gnädige Gräfin, ich bitte, meinen Schutz zu genehmigen.«

»Befreien Sie mich von dieser Frau, mein Herr – um Gotteswillen – beruhigen, befriedigen Sie sie, oder ich bin verloren! Mein Gemahl kommt ...«

Der Journalist winkte dem Freunde.

»Geben Sie schnell dieser Frau das Geld, was sie verlangt, lieber Koch.«

Er bot der Dame den Arm und führte sie dem herbeikommenden Grafen entgegen.

Dieser war eine große, hagere Gestalt, schon über die Mitte [228] des Lebens hinaus – ein kaltes graues Auge – ein hochmüthiges, etwas abgespanntes Gesicht.

»Was hatten Sie da, meine Liebe? ich sah Sie von Leuten umringt und beeilte mich – dieser Herr ...«

»Dieser Herr,« sagte die Gräfin mit gewaltsamer Fassung, »hat mich aus einer großen Verlegenheit befreit, in die Sie mich durch Ihr Alleinlassen gebracht. Eine unverschämte Bettlerin belästigte und insultirte mich.«

Der Graf verbeugte sich mit süßlich kaltem Lächeln gegen den Zurückgetretenen und griff nach seiner Börse.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden – Sie haben für meine Gemahlin eine Auslage gemacht – darf ich bitten –«

Die Gräfin legte erröthend rasch die Hand auf den Arm ihres Gemahls und der Schriftsteller, dem bereits eine spitzige Antwort auf der Zunge saß, hörte, wie sie ihm das Wort: »die Karte!« zuflüsterte.

»– um Ihren Namen?« beendete der vornehme Herr seine Rede.

Jener nahm schweigend die Karte aus dem Portefeuille und übergab sie mit einer kalten Verbeugung. Der Graf hielt die Lorgnette an's Auge und las den Namen.

»Ah! Herr Walther, es freut mich, bei der Gelegenheit Sie kennen zu lernen, habe von dem Namen viel gehört; gehören ja gewissermaßen zu uns. Ich hoffe, Sie bei mir zu sehen. Leben Sie wohl indeß, mein Lieber.«

Die Gräfin saß bereits in der glänzenden Equipage – ein flehender dankender Blick der schönen Frau traf ihn, während ihr Gemahl einstieg, und deutete dann rasch nach der Gegend, wo sie jenes drohende Weib verlassen hatte. Der Journalist verstand, seine Augen senkten sich zusagend, eine wiederholte Verbeugung und dahin rollte der Wagen.

Als er zurückkam zu der Gruppe um den Marketenderkarren, sah er voll Verdruß und Besorgniß, daß der Winkelconsulent mit dem bleigrauen Gesicht sich herangemacht hatte und mit dem Weibsbild eine Unterhaltung pflog. Sein Hinzutreten scheuchte Jenen zwar hinweg, aber er bemerkte wohl, wie er fortfuhr, sie aus der Ferne zu beobachten, und von dem Freunde erfuhr er, daß der Bleifarbene, während jener dem Weibe fünf Thaler gab, auf die sie ihre offenbar aus der Luft gegriffenen Ansprüche steigerte, unter dem Vorwande, einen Kümmel zu trinken, hinzugetreten war und [229] allerlei neugierige Fragen über ihr Gespräch mit der Dame an sie gerichtet hatte.

»Seine Schurkenseele,« sagte verstimmt der Journalist, »wittert ein Geheimniß, durch dessen Kenntniß er eine Familie bedrohen und im Trüben fischen zu können hofft. Es muß hintertrieben werden.«

»Ich stelle mich gern zu Ihrer Disposition. Die arme Frau that mir in der Seele leid.«

»Gut, so nehme ich Ihre Güte für einen Weg zu Fuß in Anspruch, statt daß wir fahren. Ich kenne zufällig Einiges aus dem Leben jener vornehmen Dame, und dies giebt mir ein trauriges Licht zu der erlebten Scene.«

»Darf ich das Einige wissen?«

»Warum nicht? Sie sind ja fremd hier und vergraben morgen schon die kurze Mittheilung in die weiten Steppen Rußlands. Die Dame ist die Tochter einer unserer ältesten Familien, ihr Vater war ein vielgenannter Staatsmann, aber die Lenkung der öffentlichen Angelegenheiten ließ ihm wenig Zeit, sich um das Vertrauen seines einzigen Kindes zu kümmern. Stolz und Koketterie ließen ihn und die Tochter in der Jugend manche Partie ausschlagen, vielleicht suchte sie auch Besseres, als eine Convenienz-Heirath. Die Jahre vergingen – sie kam darüber in jene, deren Zahl unverheirathete Damen ein Decennium lang nicht überschreiten – sie kam an die Dreißig. Zu dieser Zeit scheint das Herz seine Rechte gefordert zu haben und man flüstert von einer geheimen Liebe mit einem Abenteurer – einem fremden Offizier – der sich einige Zeit hier aufhielt und auf irgend eine Weise Carriere zu machen suchte, nachdem er vergeblich den Liberalismus und die Revolution zur Leitersprosse benutzt hatte. Seiner ehrgeizigen Speculation scheint jetzt eine Chance sich zu bieten – man nennt seinen Namen als Zugabe zum orientalischen Feldzug. Ich kenne das Nähere jener tendre liaison nicht und weiß nicht, wie sie zum Abbruch gekommen, sondern nur, daß die Gräfin im letzten Winter von ihrem Vater genöthigt wurde, ihren jetzigen Gatten, den Typus steifer, hohler Form und geistlosen Hochmuths und ihr an Jahren weit überlegen, zu heirathen. Einen Monat darauf starb ihr Vater, das neue Ehepaar aber ist erst vor zwei oder drei Wochen von seiner Reise zurückgekehrt.«

»Aber das Verhältniß zu jenem Weibe, das doch den untersten Volksklassen angehört?«

[230] »Das, lieber Freund, kann ich vielleicht fürchten, mag ich aber nicht wissen, ehe mir die Kenntniß nicht von anderer Seite aufgedrängt wird. Glauben Sie mir, man lernt in Berlin manche trübe Blicke in das Leben der Familien thun, die allen Schimmer und allen Glanz zum Moder machen und zeigen, wie selten das ›Hemd des Glücklichen‹ zu finden ist. Es ist so viel Schein, so viel Trug und Elend in der großen Stadt, die dort vor uns sich hinstreckt, daß dem scharfen Beobachter bange wird um's Herz, wenn er ein solches hat. Wahre Humanität fehlt.«

»Ich habe stets gehört, daß Berlin eine so große Anzahl wohlthätiger Anstalten und Stiftungen besitzt, wie keine andere protestanische Stadt.«

»Sie haben Recht; die Könige und Königinnen Preußens haben mit offener Hand und weiser Umsicht wahrhaft Erhabenes für die Leiden und unermeßlich mehr geschaffen, als diese Stadt ihnen je gedankt hat, weil sie sich einbildet, vor dem ganzen Lande ein Recht darauf zu haben. Da drüben das Gehölz verhindert uns, eine der erhabensten Stiftungen frommen Wohlthuns zu sehen: Bethanien. Auch die Privatwohlthätigkeit thut unendlich viel und giebt bei allen Gelegenheiten gern und viel. Ich erinnere Sie an den Brand von Hamburg. In neuerer Zeit jedoch fängt an, die Eitelkeit des Gebens überhand zu nehmen. Man beginnt mit zwei gefährlichen Dingen ein böses Spiel, das leicht das wahre Gefühl abstumpfen kann, man macht in ›Wohlthätigkeit‹ und in ›Patriotismus‹, eine Art Annoncen- und Prahlerei-Geschäft gleich den sich überbietenden Kleiderhändler-Affichen. Es ist wahr, der Berliner hat gern zu Allem sein Stück Vergnügen, und wenn er liest: Der große Künstler X.X. wird sich zum Besten der und der Ueberschwemmten beide Beine abschneiden lassen und dann auf dem Kopf eine Polka tanzen, so steuern Tausende und aber Tausende zu dem guten Zweck höchst neugierig bei. Indeß es ist ie Pflicht der Volkserziehung hier, das Ne quid nimis zu halten und namentlich die häufig im Hintergrunde lauernden eigennützigen oder ehrgeizigen Speculationen der Einzelnen zu beschränken, sonst untergräbt das vorhin besprochene christliche Judenthum selbst uns diese beide schönen und ehrenden Gefühle 1. Auf der, einen Seite das [231] fortwährende Gift des Liberalismus und Materialismus, auf der andern das Lächerlich- und Widrigmachen – das genügt, um auch den Granit eines im Ganzen noch braven Volkssinnes zu untergraben.«

»Sie sehen finster!«

»Das beiläufig; – es ist traurig, daß man immer wieder auf das politische Feld hinüberschweift, während ich Sie doch blos von socialen Gebrechen unterhalten wollte. Doch dort eben bietet sich mir ein geeignetes Bild zur Rückkehr. Sehen Sie dort die Equipage, den Herrn mit dem starren Aktengesicht und der hochnäsigen, breiten, wohlhäbigen Miene darin, mit Frau und drei Töchtern – alle Toilette von Gerson. Der Geheimerath – es steht zwischen dem Geheimen und dem Rath freilich noch ein Wort in der Mitte, aber es ist in Berlin Styl, hier zu abbreviren, und die Gesellschaft wimmelt von Geheimeräthen und Doctoren (selbst Ihr Ergebenster par courtoisie), gerade wie von Dresden von Baronen, Wien von Herren Von's und die rheinischen Fremdenlisten von Mhlady's! – also der Geheimerath hat ein ganz anständiges Einkommen, gerade so viel wie acht wackere Subalternbeamten in seinem Büreau, und dennoch petitionirt er beim Minister alljährlich um Gratification zur Badereise und Zulage zu Weihnachten, und wo irgend ein Diäten-Extraordinarium in der Luft schwebt, schnappt er es den Untergebenen vor der Nase weg. Dabei lebt der Mann für gewöhnlich zu Hause viel schlechter, als ein Subalternbeamter in der Provinz. Warum? Um im Winter seine Empfangsabende und Soiréen zu geben, bei denen ein jammervoller Thee, ein dünn gestrichenes Butterbrot mit durchsichtigen Schinkenscheiben, ein Punsch oder Cardinal mit zwölf Theilen Wasser und einem Theil Rum oder Wein, aber unendlich viel Toilette, Musik, Gelehrsamkeit, Singakademie und lebenden Bildern gereicht wird; um alle Concerte und Opern mitzumachen, dazu nie die werthe Familie zu Fuß gehen, sondern beim trockensten Wetter vorfahren zu lassen u.s.w. u.s.w. Glücklich und ehrlich, wenn er noch mit den häuslichen Entbehrungen davon kommt und sich nicht auf's Schuldenmachen legt!«

»Die allgemeine Genußsucht ist überall im Steigen«

»Das ist's, was ich sagen wollte. Eine bescheidene Lebensfügung schwindet immer mehr. Ich weiß in der That nicht, wie viele Subalternbeamten- und andere Familien, deren Einkommen [232] man doch ziemlich genau überschlagen kann, in der Gegenwart das Alles mitmachen können, was man sie mitmachen sieht. Die zufriedenen Leute werden immer seltener. Sehen Sie den darauf folgenden eleganten Miethswagen – ein unbekannter ungarischer Jude, der mit sehr gutem Gehalt an der Bühne engagirt zu werden das unverhoffte Glück hatte. Er war noch kein halbes Jahr im Engagement, so hatte er die Unverschämtheit, bei einer Höchsten Person um einen Pump von zweitausend Thalern zu bitten – weil er nicht auskommen konnte! Und nun sehen Sie die Dame in dem nächstfolgenden Wagen, die mit dem pariser Hut, den der Staub der Rennbahn und des Weges an dem einen Tage verdorben, mit dem Kinde auf dem Rücksitz. Ein Kind ist jetzt Mode bei unsern Loretten! Neben ihr die Mutter – die Tochter ernährt sie und sie speculirt bereits darauf, sich von ihrer Tochter einst wieder ernähren und kleiden zu lassen. Pfui über den Schacher mit dem Mädchenleib!«

»Es geht in Paris,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »leichtsinniger und frivoler zu, als hier, aber selbst dort ist die Speculation nicht so raffinirt ausgebildet. Sie werden nie sehen, daß diese Hermaphroditen zwischen Frau und Mädchen Knaben haben – immer wieder Mädchen! Die Schande speculirt in die Zukunft, der Fluch unserer Zeit, die Speculation auch in diesem Genre. Da zwischen dem Wagen durch drängen sich mehrere junge Mädchen – wissen Sie, was sie verdienten, ehe sie das Seidenkleid, das sie tageweise leihen, auf dem Leibe trugen? Drei und vier Silbergroschen in Strohhutfabriken, sechs mit Hemdennähen, denn verhältnißmäßig sehr wenige bringen es zur Selbstständigkeit einer Schneidermamsell mit zehn Silbergroschen täglich und der Kost, – wenn sie Bestellungen haben. Aber jene armen Geschöpfe wollen auch leben mit ihren vier Groschen, – sie wollen Frühstück, Mittag- und Abendessen, sie wollen bekleidet sein und ein Kämmerchen haben, – wo das Alles hernehmen von dem Verdienst? Jedes Dienstmädchen ist besser daran, als diese armen Geschöpfe mit dem warmen Herzen und dem leichten Blute in den Adern. So fallen sie! Es ist ein sehr beachtenswerthes Zeichen für die berliner Mädchenwelt, daß sich selten Eines entschließt, sich in einem jener abscheulichen Häuser als Sclavin zu begraben. Die Meisten auch der Gefallenen arbeiten lange Zeit noch ehrlich während des Tages, und nur der Abend ist die Zeit des Leichtsinns und – des [233] Verderbens. Hier ist der Krebsschaden, auf den ich vorhin deutete, hier sollte mit allen Kräften, allen Mitteln geholfen werden. Je mehr man dem weiblichen Geschlecht ermöglicht, ein ehrliches und züchtiges Mädchen zu bleiben, desto besser wird es mit der Gesellschaft überhaupt stehen.«

»Können Sie es tadeln, daß man zum Beispiel die sogenannten Biermamsells abgeschafft hat?«

»Ja und Nein. Man hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Es gab viele Orte hier, die sogenannten Polkakneipen, die schaamloser waren, als das gemeinste Bordell. Die Polizei würde weit wohlthätiger wirken, wenn sie sich weniger mit dem einzelnen Individuum zu schaffen machte, als mit der Beaufsichtigung und Controlle der öffentlichen Vergnügungsanstalten, und die Concessionen dazu nur den moralisch Gewähr leistenden Personen gäbe. Das Ueberbieten der Wirthe mit unsinnigen Plakaten und Anzeigen fängt bereits an, in gefährlichem Maaße zuzunehmen. Hierbei wäre eine Censur ganz am Ort. Man hätte jene nichtswürdigen Kneipen schließen sollen, die zum Scandal so lange bestanden, man hätte die Wirthe für Zucht und Ordnung mit der Concessionsentziehung verantwortlich machen sollen, wie man doch Buchdrucker und Buchhändler, trotz der Preßfreiheit, damit zu nöthigen weiß. Aber man hat durch jene Maaßregel auch Hunderten von Mädchen die Gelegenheit genommen, auf eine ehrliche Weise ihr Brot zu erwerben. Wenn man nichts Besseres an die Stelle setzen kann, muß man das Mindest-Gefährliche oder Schlechte lassen, das ist einmal eine, wenn auch traurige, doch nothwendige Maxime des gesellschaftlichen Zustandes.«

Sie waren unter diesen Gesprächen – immer in einiger Entfernung hinter dem Marketenderkarren jenes Weibes hergehend und sie beobachtend – über den Berg gekommen, auf dessen Höhe nach Westen das prächtige eiserne Denkmal der neuerschütterten heiligen Alliance steht, zu dem 6. August 1848 die Bauern von Tempelhof her, Choräle singend, mit ihren schwarz-weißen Fahnen zogen, während aus der Metropole bereits sich der lange Zug berliner Gewerke, fliegender Buchhändler, demokratischer Tribunalsräthe und Abgeordneter, der versammelten Lindenclubbs und Zubehör mit allen jenen Harlequinszeichen der berliner Revolution wälzte, um am Fuß des Denkmals preußischer Ehre vom Reformator Held die Huldigung an den Reichsverweser empfehlen zu lassen. Längst schon [234] hatten sie den Mann, dessen Zusammentreffen mit dem Weibe der Journalist eben vermeiden wollte, mit seinem Gefährten in einem Thorwagen an sich vorüberkommen sehen, und Jener glaubte die Gefahr vollends zu beseitigen, indem er am Fuß des Berges, wo der Weg sich rechts und links abzweigt, der Frau nochmals ein Geldgeschenk unter der Bedingung machte, daß sie zu einem der andern Thore ihren Weg nehmen sollte. Die Vorsicht erwies sich bei'm Weitergehen nicht als unnütz, denn die Freunde bemerkten später in einem der zur Seite der Straße liegenden Lokale das spionirende Auge des Consulenten.

Dennoch sollte die Bosheit durch die unglückliche Begünstigung des Zufalls ihr Ziel erreichen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war schlechtes Wetter geworden bei der Rückkehr von der Rennbahn, und der Abend finster und abwechselnd regnerisch. Es war gegen 10 Uhr, als unter dem Schutz ihrer Schirme in der Nähe des potsdamer Thores zwei Männer umherstrichen, auf die Ankunft des Bahnzugs wartend.

»Sie wollen also bestimmt nicht bei der Zusammenkunft zugegen sein?« fragte der Größere, Elegantere der beiden Männer, in dem man im Licht der städtischen Gaslaterne leicht jenen Gefährten des Winkelconsulenten von der Rennbahn wiedererkennen konnte.

»Warum auch, lieber Freund?« entgegnete der Andere. »Sie wissen, ich verstehe wenig Französisch und die Gegenwart eines. Dritten könnte überhaupt nur geniren. Wir haben es ja ausgemacht, daß ich ganz aus dem Spiel bleibe und Sie nur mit meinem guten Rath und meiner Gesetzkenntniß unterstütze. Ich will weder wissen, was der Inhalt dessen ist, was Sie von der dritten Person erhalten, noch, was Sie damit thun. Ich kann Ihnen nur sagen, daß Privatgeheimnisse, mit Ausnahme der Beichte und des Arztes, von keinem Gesetz geschützt werden.«

»Sie sind sehr vorsichtig!« sagte der Erste bitter.

»Vorsicht ist die Mutter der Sicherheit; meine Lage ist ziemlich precair und ich habe Familie, Sie aber stehen so gut wie frei und es wäre Thorheit, wenn Sie den Vortheil und die Gelegenheit nicht benutzen wollten. Ueber einfältige Scrupel sind Männer wie wir doch wohl hinaus. Da tönt das Signal, der Zug kommt eben an, – ich wünsche ein gutes Geschäft und Sie[235] wissen, wo Sie mich bis um 11 Uhr treffen. Nur keine Unvorsichtigkeit vor den Leuten.«

Er ließ den Gefährten, ohne seine Antwort zu erwarten, allein und ging die Straße an der Mauer entlang. Dann aber wandte er sich rasch links nach dem Thiergarten. Er war kaum einige Schritte gegangen, als er vor sich her ein Frauenzimmer gehen sah, das manchmal, wie halbtrunken, einzelne Worte vor sich hinmurmelte. Ein Etwas in der Gestalt schien ihm nicht unbekannt, der Schein der nächsten Straßenlaterne, der auf das rothe gemeine Gesicht fiel, belehrte ihn, daß er das Weib vor sich hatte, das am Nachmittag auf der Rennbahn die Dame attaquirt – im Augenblick übersah er den Zweck des Ganges, und sein schlechtes Herz jubelte über den glücklichen Zufall. Er mäßigte seine Schritte, ging auf die andere Seite des Weges und behielt sie scharf, aber vorsichtig im Auge. So gelang es ihm, an dem Kreuzweg der Belle vue-Allee zeitig genug eine Frauengestalt zu sehen, die dort, tief verhüllt, zu warten schien, und noch ehe das Weib diese erblickte, unbemerkt in den dunklen Gang zur Rechten zu gelangen, wohin er mit teuflischer Schlauheit berechnete, daß sie ihren Weg nehmen würden.

Als nach einer Viertelstunde die beiden Frauen sich trennten, wobei in der Hand der ehemaligen Haltefrau schwer eine Rolle von Thalern blieb, folgte der Lauscher eben so gewandt und schlau der arglosen Dame, die mit einem Dank zu Gott für die glücklich abgewandte Gefahr muthig ihren einsamen Weg durch die dunkelsten Gänge zum Thore wählte.

Die schlimmere, drohendere schlich hinter ihr – die Schlange, welche aus dem Geheimniß ihres freudenlosen Lebens einen Quell der perfidesten Erpressungen machen wollte. Der graue Winkelconsulent rieb sich die Hände. – »Die Politik entläuft mir nicht,« sagte er abgebrochen vor sich hin, »sie sind heute sicher vor mir, hier ist ein besserer und leichterer Gewinn. Aufgepaßt also!« –

Kein schützendes Auge, das diesmal über der armen Frau gewacht hätte, – keine schirmende Hand, die den lauernden Schurken zu Boden geschlagen hätte! – wenige Minuten darauf sah er sie in eines der glänzenden aristokratischen Hotels der Wilhelmsstadt eintreten. – – – – – – – – – – – –

Der Zug von Potsdam war eingetroffen, Droschken und Fußgänger drängten sich durch das Thor. An der ersten der halb [236] verkommenen Bildsäulen zur Linken des Leipziger-Platzes lehnte der Gefährte des Consulenten wartend. Nach wenigen Augenblicken schon kam ein Mann, in den Mantel gehüllt, aus dem Strom der Fremden und wandte sich nach der Stelle, wo Jener stand. Der Ankommende war ein alter Mann, etwa siebenzig, wie sein weißes Haar zeigte, von großer magerer Statur, das Gesicht faltenreich, spitzig und schlau.

Am Briefkasten bei'm Thore hielt er einen Augenblick still, sah sich rasch um und steckte dann schnell zwei Briefe hinein. Die Adresse des Einen lautete an einen britischen Namen in einem der Hauptstationsorte der Bahn nach dem Rhein, und es lag offenbar eine Absicht zum Grunde, daß der Fremde, der von Potsdam kam, den Brief in Berlin zur Post gab. Der zweite Brief war nach Helgoland adressirt. Gleich darauf schaute der Alte sich nach dem Harrenden um, und als er ihn bemerkt, trat er zu ihm.

»Guten Abend, Lieutenant! Sie sehen, ich bin prompt.«

»Bringen Sie Nachrichten?«

»Einige. Lassen Sie uns hier zur Seite gehen nach der Verbindungsbahn, wir sind dort ungestört. Haben Sie die Verhandlung angeknüpft?«

»Es ist geschehen und Alles geordnet; man rechnet auf meine regelmäßigen Mittheilungen. Ich habe mir, wie Sie mich angewiesen, ausdrücklich bedungen, daß man nicht forscht, wie und woher.«

»Und die Bezahlung?«

»Die Frage wird heute noch geordnet werden und gewiß zu Ihrer Zufriedenheit. Was bringen Sie für Berichte?«

»Die Kabinetsordre zur Realisirung der Hälfte der Anleihe ist am 17. unterzeichnet worden. Am selben Tage war Graf Münster von Petersburg in Gumbinnen und hatte eine zweistündige Audienz. Der russische General Grünwald hat ein Handschreiben überbracht.«

»Haben Sie Nichts über den Inhalt erfahren?«

»Noch nicht. Der Kabinetsrath hat unsern Mann mitgenommen und zu schreiben an mich habe ich ihm verboten. Der Andere hat mir heute Morgen jedoch die Abschrift eines früheren Briefes aus Petersburg gebracht, der wichtige Details über die wahren Verluste an der Donau, die Stärke der russischen Truppen bei'm Rückgang über den Pruth und die gegenwärtigen Aufstellungen [237] und disponiblen Mittel in den südlichen Gouvernements in sehr genauen Zahlen enthält. Der Brief ist etwas werth!«

»Geben Sie her – mein Wort! ich werde daraus zu machen suchen, was möglich ist, und Sie sollen redlich Ihre Hälfte erhalten.«

Mit einem habsüchtigen Zögern reichte ihm der Alte einige Papiere.

»Wollen Sie mich nicht vielleicht selbst mit der Person zusammenbringen?«

»Das geht vorläufig unter keinen Umständen, denn ich selbst spreche sie zum ersten Male,« entgegnete der Andere entschieden. »Die Einleitung hat mich viel Mühe gekostet, da man selbst von jener Seite mit großem Mißtrauen verfährt; Sie müssen sich also vorläufig auf meine Ehre verlassen. Ich bekümmere mich nicht um Ihre ursprünglichen Auftraggeber und Ihre kleinen Nebengeschäfte, aber was ich in die Hand genommen, will ich auch selbst durchführen. Sie hatten das Vertrauen zu mir, mich zum Mitwisser zu machen, haben Sie es also auch ferner. Unser Vortheil geht Hand in Hand.«

»Meinetwegen denn – wir werden ja sehen, ob man sich honorig zeigt, und haben die Fortsetzung oder das Abbrechen der Verbindung ja in Händen. Geben Sie sich nur keine Blöße und nennen Sie keine Namen. Noch Eins, wenn man's noch nicht weiß. Der Minister-Präsident wird übermorgen nach Bromberg entgegen reisen. Der Telegraph hat ihn citirt.«

»Meine Ansicht ist, wir geben möglichst wenig Nachrichten über hiesige Vorgänge.«

»Mir recht! Nun adieu, Kamerad, denn ich muß jetzt zur Stadt und mein altes Quartier aufsuchen. Machen Sie gute Geschäfte – wir treffen uns also bestimmt morgen früh um Neun, ehe ich zurückfahre?«

»Bestimmt! Gute Nacht, Lieutenant!«

Die Beiden trennten sich – der Alte ging, nachdem er seinen Gefährten hatte aus dem Thor gehen sehen, die Straße entlang und wandte sich links; der Andere richtete seinen Weg nach dem Thiergarten.

Viele Gedanken schienen ihn zu bestürmen – Zweifel – Bedenken – vielleicht Gewissensbisse. Er blieb wiederholt stehen und murmelte einzelne Worte vor sich hin – – – mehrmals [238] auch wischte er sich den Schweiß von der Stirn. – Zeigten sich ihm ahnungsvoll die verdienten Schrecken der Zukunft? – sandten giftgeschwängerte Dünste der Sümpfe des glühenden Guyana, die furchtbaren öden Sandküsten des Aequators ihre warnenden Schatten in seine Seele?

»Es ist Nichts,« sagte er leise; »was geht mich Rußland an? mag es seine Geheimnisse selbst wahren! – Es ist nicht mein Vaterlands – ich bin kein Verräther an diesem – es giebt kein Gesetz – ein bloßer Handel, wie jeder andere!« – Er schien entschlossen und wandte sich nach den dunklen Laubgängen.

Auf einer der Steinbänke saß ein Mann, in einen Paletot mit hohem Kragen gehüllt.

»Bon soir, Monsieur!«

»Quelle heure de la nuit?«

»Les comödies ont finies et le spectacle commence.«

»Ah, le mot! – Je vous attends déja une demi heure.«

Der Rubikon war überschritten.

Fußnoten

1 Eine Befürchtung, die leider sich immer mehr nur allzu gegründet zeigt.

Anmerkung des Uebersetzers.

2. In der Steppe
In der Steppe.

Hui! Hui!

»Väterchen, halte Dich gut, mein Liebling! Denke, daß wir in drei Stunden die Station erreichen müssen. Pfui, Brauner, wer wird stolpern, wo der Boden so fest und das Gras so weich ist! Strenge Deine Muskeln und Sehnen an, Närrchen, die gnädige Herrschaft will es, die gnädige Herrschaft zürnt mit dem armen Jämschtschick 1, wenn wir vor Nacht die Stanzia nicht erreichen.«

Es war auf der Steppe – gegen Abend, – ein schwüler Abend, der auf die glühende Tageshitze des Juli-Anfangs gefolgt war. Der heiße Sommer lag schon auf der nogaischen Steppe, die sich vom Dniepr bis zum Asowschen Meere hinzieht und den Zugang der Krimm von der Landseite bildet. Zwei Straßen, wenn man die Bahn durch die trockene Wüste so nennen kann, laufen nach dem Eingangspunkt der Landenge von Perekop, welche die [239] taurische Halbinsel mit dem Festland verbindet: westlich von Odessa und Cherson her in der Nähe des Meeres über Aleszki und Kalanczig, – vom Norden, dem Wege von Czarkow und Jekaterinoslaw sich anschließend, die Straße von Berislaw über Czaplynka.

Kennst Du die Steppe? – Nein – Du kennst sie nicht, Leser, diesen Anfang einer großen Zukunft, diese Hoffnung Rußlands im Süden. Die mächtigen weiten Strecken, die sich von den Donaumündungen um den Pontus bis zu den Felsenwänden des Kaukasus hindehnen, auf der Karte wie in der Wirklichkeit nur unterbrochen durch die großen Ströme Don, Dniepr, Bug, Dniestr und wenige Städtenamen; auf den Karten nur bezeichnet durch die Namen: Kosackenlinie, nogaische Steppe, Steppe von Otschakow, Taurien. Unermeßliche Grasfelder unter der schattenlosen Gluth der Sonne, die im Sommer breite Erdspalten in den braunen Boden reißt, über die im Winter der eisige Orkan braust. Weite endlose Ebenen, aus denen sich nur die Mogilen, die geheimnißvollen Grabhügel vergangener Völkerschaften, erheben, – die nur das schilfbedeckte tief eingeschnittene Flußthal der großen Ströme oder der sumpfigen Limans unterbricht, – oder die jähe Regenschlucht, vielleicht das seit Jahrhunderten ausgedörrte Bett eines Nebenstromes.

Das Land der Scythen, – das so lange unbekannte Gebiet, von dem einst die Ströme wilder Barbarenhorden sich über das gesittetere Europa ergossen, nach Süden bis zu den Mauern des goldenen Byzanz, nach Westen bis in die Fluren des sonnigen Italiens und Frankreichs, nach Norden hinauf bis zum blutigen Lechfelde, bis zu den Thürmen Merseburgs, bis zum Felde von Wahlstatt, wo der Sohn der heiligen Hedwig mit seinen Rittern fiel; von dem aus Pugatscheff den Thron der Czaren bedrohte.

Seit Peter der Große das erste russische Kriegsschiff aus dem Don in's Asowsche Meer gleiten ließ, seit Catharina ihren Gemahl am Pruth losgekauft mit ihrem Schmuck aus den Händen der Türken, seit ihre große Nachfolgerin und Namensschwester durch den Frieden von Kainardschi 2 die Krimm und das schwarze Meer eroberte, ist Unendliches schon geschehen für diese Länderstrecken. Große Handelsplätze entstanden, wo sonst nur der Tartar seine wilden Rosse getummelt, die Oede der Steppe wurde zum Garten [240] an ihrem Rande, Oasen blühenden und fruchtbaren Landes tauchten auf aus diesem endlosen Gebiet, hervorgerufen durch den Fleiß fremder Colonisten, die religiöse oder politische Unduldsamkeit aus ihrer Heimath vertrieben und die hier Schutz und Reichthum fanden; blühende Militair-Colonieen entstanden, weite Strecken trugen das goldene Korn und die öde Graswüste wurde zur Fruchtkammer des halben Europa's, das an den Molo's von Odessa sein Brot holt.

Dennoch ist es noch immer die Steppe, die sich hier ausdehnt, und alle jene Städte, Gärten und fruchtreichen Colonieen sind eben nur Oasen in der grünen Wüste. Tagelang findet der Reisende, der sie auf der Britschka durchfliegt, nur die einsame Militair-Stati on, wo er die Pferde wechselt, die aus der Steppe oft meilenweit erst geholt werden, oder die Rasenhütte des Tabunschik 3 und selten die freundlich weiße Colonie des deutschen Menoniten.

Die Steppe ist schön in ihrem Frühlingsschmuck, so weit das Auge trägt ein bunter duftiger Teppich von Blumen und Gräsern, von frischen Quellen bewässert, die der Winterschnee genährt hat. Aber es sind nur wenige Monate. Wenn der Sommer kommt, verdorren Blumen und Gräser – die Quellen vertrocknen – der Boden wird zur harten Rinde, von tausend Falten und Rissen durchzogen, die Heerden der mächtigen Rinder, der wilden Rosse und geduldigen Schafe drängen sich zusammen und suchen das letzte trübe Schlammwasser der Cisterne; eine dumpfe, staubige Hitze ruht auf dem braunen Erbreich und die wunderbaren Bilder der Fata Morgana täuschen den verschmachtenden Reisenden.

Denn der Mensch trotzt auch hier der Natur und ihren Schrecken; durch die weite dürre Wüste marschirt die Colonne, die der Wink des Kaisers von weiter Ferne her zum Süden sendet, fliegt der Wagen, der den eilenden Courier, den unermüdlichen Reisenden trägt.

Die Rosse, die der eingeborene Jämschtschik mit Schmeichelworten antrieb, waren vor einen ziemlich eleganten pariser Reisewagen gespannt und zogen ihn rasch über die öde Fläche. Die Reisenden, welche anfangs die Straße von Aleszki am Meere entlang gewählt, hatten dieselbe schon nach dem ersten Drittheil auf den Rath des Postmeisters verlassen, der sie versicherte, daß sie [241] auf keiner Station weiter Pferde bekommen würden, da dieselben für die Regierung in Beschlag genommen, und sie versuchten daher, quer durch die Steppe reisend, die große Straße von Berislaw nach Perekop zu erreichen.

In dem gegen die Hitze fest verschlossenen Wagen saß ein russischer Offizier, den gebrochenen linken Arm in der Binde, und auch am Kopfe Spuren tragend von durch Quetschungen oder einen heftigen Fall erlittenen Verletzungen. Sie waren gewiß nicht im Stande, das hagere Gesicht mit der hoch-kahlen Stirn, dem aufgeworfenen Munde und dem grünlich grauen Auge zu verschönern.

Die Dame war groß und schlank, das Haar cendré, der Teint und das Auge matt und dennoch voll Lüsternheit, das fest geformte Kinn Entschlossenheit ausdrückend.

Sie war voller Ungeduld und Ermattung. Bald brauchte sie heftig den Fächer, bald das Flacon, oder öffnete und schloß das Glas der Wagenthür, ohne auf ihren Nachbar viel Rücksicht zu nehmen.

»Lassen Sie das Fenster ruhen, Celeste,« sagte dieser endlich in französischer Sprache; »Sie verbessern das Uebel der Hitze dadurch nicht und lassen unnütz den Staub herein.«

»Abscheulich!« rief die Dame; »nennen Sie das ein Land, in dem man athmen kann, Graf? Was versprachen Sie mir Alles in Bukarest? – den Himmel Italiens oder der Provence, Orangendüfte und die prachtvollsten Scenerieen, und hier sind wir, eingeschlossen in einem Wagen, in einem Meer von Staub und erstickender Hitze, kein menschliches Wesen zu sehen, als höchstens ein Mal des Tages einige Halbwilde und eine Baracke, die Sie ein Posthaus zu nennen belieben.«

»Warten Sie!« sagte der Russe gleichgültig.

»Warten! Geduld!« rief die Französin heftig; »das mögen Sie Ihren Leibeigenen empfehlen, nicht einer Dame. Warum ließen Sie mich denn nicht lieber in Bukarest, wo doch noch ein Schimmer von Civilisation und Gesellschaft herrscht, statt mich solchen Fatiguen auszusetzen?«

»Sie sind unverständig, Celeste. Herr Bibesco, Ihr sogenannter Gemahl ...«

»Mein Herr,« unterbrach ihn heftig die Dame, »keine Beleidigung!«

»Nun, Ihr wirklicher Gemahl,« verbesserte sich spöttisch der [242] Offizier, »sitzt im Gefängniß und wird für seine Correspondenz mit den türkischen Ministern entweder erschossen oder wenigstens über den Pruth mitgenommen werden. Ueberdies wissen Sie sehr wohl, daß sein Vermögen hin, der Rest mit Ihrer freundlichen Hilfe verschwendet ist und daß Sie von seiner Familie Nichts zu erwarten haben. Als ich nach meiner Verwundung beim Sturm auf Silistria – der Teufel gesegne es dem französischen Schurken! – in Ihr Haus nach Bukarest gebracht wurde und Sie die Güte hatten, sich meiner körperlichen und – Herzenspflege anzunehmen, wofür ich Ihnen dankbar die Hand küsse, waren die Verhältnisse zwar noch nicht zum Eclat gekommen, indeß geschah es doch bald darauf, und ich glaube, ich war damals Ihre Hauptstütze.«

»Man hat es mir bitter zum Vorwurf gemacht.«

»Bah! – ich weiß es, daß der größere Theil der Bojaren gerade nicht sehr russisch gesinnt ist, aber ich wiederhole Ihnen, von der Familie Ihres Gatten hätten Sie ohnehin wenig zu erwarten gehabt, und Sie hätten mit Ihren Eroberungen, an deren Erfolg ich keineswegs zweifeln will, von vorn beginnen müssen. Unter diesen Umständen konnte der Vorschlag, meine Begleiterin und Freundin zu sein, als ich zur Erholung von meinen Verletzungen einige Monate Ruhe oder wenigstens leichten Dienst in dem schönen Klima der taurischen Küste genießen sollte, Sie nur verschiedenen Verlegenheiten entreißen.«

»Ihr Antrag war nicht der einzige, Graf, ich hatte die Wahl,« sagte die Dame mit jenem schaamlosen Hochmuth der pariser demi monde, der aus solchen Verhältnissen ein gesellschaftliches Recht macht.

»Ich weiß das, schöne Celeste,« erwiederte der Russe halb galant, halb apathisch, »und daß Sie mir den Vorzug gaben, ist mir sehr schmeichelhaft. Aber Sie müssen sich doch auch in das Unvermeidliche fügen. Der Weg, den wir gezwungen sind zu machen, hat allerdings sein Unangenehmes und seine Beschwerden, namentlich für Damen. Aber sie sind unvermeidlich, um an unser Ziel zu gelangen, da der Seeweg für die Dampfboote gesperrt ist.«

»Warum haben Sie uns dann nicht wenigstens den Weg an der Küste fortsetzen lassen?« beharrte die Dame eigensinnig. »Ich hätte dort doch weniger von der Hitze und dem Staub zu leiden gehabt, auch sollen die Stationen zahlreicher sein, als in dieser Wüste.«

[243] »Sie haben selbst in Kostogrysowo gehört, Celeste, daß auf der ganzen Tour keine Pferde mehr zu haben waren und daß auch die Reisenden, – gleichfalls eine Dame, – die eine Stunde vor uns abgefahren sind, vorgezogen hätten, die Hauptstraße zu erreichen. Noch einige Stunden, und wir sind auf der Station und werden die Nacht dort zubringen.«

»Es dunkelt bereits,« sagte furchtsam die Dame; »sehen Sie dort drüben die düstre Wolke, die so rasch am Horizont emporgestiegen ist? Diese öde Gegend ist doch sicher?«

»Bah! – Es lebt des Gesindels genug hier, denn alle entlaufenen Leibeigenen flüchten in die Steppen und alle Verbrecher lassen sich hier nieder, weil Niemand frägt, wer und woher? Aber selten finden sich hier Leute genug zusammen, um eine Gefahr besorgen zu lassen. Doch – die Wolke da drüben ist seltsam – die Sonne muß noch hoch über dem Horizont stehen und dennoch ist kein Schein mehr zu sehen – Skotina 4! warum hält der Wagen? was ist's mit den Jämschtschiks, Ossip?«

Er hatte das Fenster geöffnet und fragte den auf dem Bock neben dem einen Postillon sitzenden Leibdiener.

»Dort hält ein Wagen, Erlaucht, die Telege, die uns vorangegangen ist, aber mehrere Reiter sind um sie her.«

»Paschol! Vorwärts, Tölpel – die Leute haben vielleicht ein Unglück gehabt – je eher wir hinkommen, desto eher werden wir es erfahren.«

Der Wagen, aus dem man die etwa anderthalb Werst noch entfernte Gruppe am Rande der immer tiefer und näher sich senkenden Wolke bemerkt hatte, rasselte auf's Neue über das dürre Erdreich – aber die Pferde schienen wild und unruhig und wurden es mit jedem Augenblicke mehr. Auch die Postillone schien eine bestimmte Besorgniß zu erfassen, sie riefen sich in tatarischem Idiom mehrfach zu und fuhren sichtbar nur mit Widerwillen weiter.

Um sie her schien sich jetzt die Steppe zu beleben. Die zierlichen Gestalten der Erdhasen huschten an ihnen vorüber oder suchten ihre Löcher. Zwei große Trappen mit erhobenen Flügeln und vorgestreckten Köpfen rannten scheu an ihnen vorüber, hoch aus der Luft tönte das scharfe Geschrei eines Adlers, der über ihnen weite [244] Kreise zog und sich über die immer näher und näher kommende Wolke empor zu schwingen schien.

Wiederum, etwa noch einen starken halben Werst von jener Gruppe entfernt, hielt der Wagen. Schon seit einigen Augenblicken hatte ein leises eigenthümliches Summen und Schwirren in der Luft begonnen. Die Räder schienen über weiches knirschendes Gras zu gehen, das halb verdorrte Gestrüpp der weiten Steppe schien sich, obschon kein Lufthauch zu spüren war, zu regen und lebendig zu werden.

»Was giebt's?«

»Erlaucht,« sagte der nächste Jämschtschik, »möge der heilige Iwan Dich segnen – aber es sind die Heuschrecken!«

»Tscherti tjebie by wsiali! was geh'n die Heuschrecken uns an? – vorwärts!«

Nur Einer, der diese furchtbare Landesplage noch nie in der Nähe gesehen, konnte so sprechen, und noch ehe die Equipage jene Gruppe erreicht hatte, wurde der Oberst inne, daß er sich hier in ein Uebel gestürzt, das keine Macht und nur Geduld zu beseitigen vermochte.

Nicht Tausende, sondern Millionen und aber Millionen dieser widrigen seltsamen Insekten füllten den Boden und schwirrten zum Theil durch die Luft; dennoch bildeten diese Massen offenbar nur die Flanke des fliegenden Stromes, denn wie die Reisenden jetzt deutlich bemerkten, bestand die große Wolke, die nun massiv an ihrer Seite hing, die Strahlen der sinkenden Sonne gänzlich verbergend und zu Anfang von ihnen für eine Wetterwolke gehalten, nur aus Myriaden ziehender Heuschrecken.

Sie waren jetzt dicht an der früher bemerkten Gruppe und die Jämschtschiks hielten zum dritten Male an, diesmal offenbar mit dem Willen, nicht weiter zu fahren. Die Pferde schnoben und schlugen um sich her und waren kaum zu bändigen. Der Oberst, um nicht genöthigt zu sein, die Scheiben länger geöffnet zu halten, öffnete auf der dem Anzuge der Insekten entgegengesetzten Seite die Thür für einen Augenblick und sprang heraus. Sein Fuß zertrat mit jedem Schritt Hunderte des Gewürms und er stand sofort bis an die Knöchel in dem widerlichen Strom.

Vor ihm hielt eine halb offene, aber durch einen ausgespannten Leinenschirm vor den Sonnenstrahlen geschützte und möglichst bequem eingerichtete Telege, in der zwei Damen saßen, die Eine [245] jung, zart und schön, offenbar den vornehmen Ständen angehörend, die Andere anscheinend die Zofe, Beide eifrig beschäftigt, sich von dem Gewürm möglichst frei zu halten, welches, theils durch die Luft fliegend, theils an den Rädern emporkriechend, den Wagen, die Kleider, ja Hände und Gesicht der Reisenden bedeckte. Zur Seite des Wagens, dessen Bespannung verschwunden war, stand ein kräftiger Mann in der Halblivree eines Jägers, ohne auf sich zu achten, bemüht, die junge Dame vor der lästigen Plage zu schützen, die sie übrigens mit großer Fassung ertrug.

Um die Telege hielten auf ihren kleinen mit Feldgepäck belasteten Pferden ruhig fünf Kosacken, deren Kleidung und Ausrüstung zeigte, daß sie nicht zu den regulairen Truppen, sondern zu den freien Contingenten gehörten, welche die nomadisirenden oder Steppenvölkerschaften stellen. Vier waren noch jung, der Fünfte jedoch ein Greis von riesiger Figur, das braune asiatische Gesicht von Narben und Furchen durchzogen und mit einem Auge – das zweite war durch eine quer über das ganze Gesicht laufende und dasselbe spaltende Wunde verletzt und geschlossen – versehen, das wie ein Feuerstrahl unter den buschigen weißen Augenbrauen funkelte. Langes weißes Haar und ein eben solcher Bart faßten sein durch die große Narbe wirklich Furcht erregendes Antlitz ein. Bei einer Bewegung des Greises, die seinen grauen Militair-Mantel öffnete, sah der Graf, daß er unter diesem eine alte mit drei oder vier Orden und Medaillen dekorirte Uniform trug. Alle Kosacken rauchten, wie die Jämschtschiks, aus kurzen Pfeifen einen eben nicht sehr duftigen Taback, der jedoch den Vortheil hatte, das fliegende Gewürm wenigstens von ihrem Gesicht abzuhalten; um das Andere kümmerten sie sich wenig.

Das Alles hatte der Graf mit einem Blicke aufgefaßt; denn die zwar keineswegs wirkliche Gefahr mit sich führende, ja halb lächerliche, aber um so widrigere Lage erlaubte kein langes Besinnen. Indem er an die Telege trat, sagte er höflich:

»Ich bin der Oberst Graf Wassilkowitsch und ein Reisender durch die Steppe gleich Ihnen. Sie scheinen sich jedoch in einer noch schlimmeren Lage als wir zu befinden, und ich erlaube mir die Frage, in wiefern ich Ihnen nützlich sein kann?«

Ehe noch die Dame antworten konnte, nahm der Jäger das Wort:

»Unsern Dank, gnädiger Herr! – die GräfinWanda Zerbona [246] ist meiner Fürsorge anvertraut und auf dem Wege nach der Krimm, um von Kertsch aus ihre Verwandtin, die Fürstin Tscheftzawade im Kaukasus, zu erreichen. Die Halunken von Postillons haben, als die Heuschrecken nahten, die Stränge abgeschnitten und sind auf- und davongeritten.«

»Wie kommen diese Kosacken hierher?«

»Die braven Leute sind uns begegnet und auf unsere Bitten und das Versprechen einer Belohnung bei uns geblieben. Wir befinden uns bereits fast eine Stunde in dieser unangenehmen Lage.«

Der Oberst wandte sich zu dem alten Kosacken.

»Wer bist Du?«

»Iwan, der Steppenteufel, Batuschka!«

»Skotina! – Woher Du kommst? ob Du Soldat bist?«

»Zweiundfünfzig Jahre war ich's, Väterchen, theils für den Czar, theils auf eigene Hand. Der Czar ist mir gnädig gewesen, ich bin der Ataman meines Stammes.«

Er wies auf die Dekorationen seiner Brust.

»Bist Du hier zu Hause? – sprich rasch!«

Der alte Kosack lachte, wenn das Grinsen dieses verwitterten Gesichts ein Lächeln zu nennen war.

»Die heilige Mutter von Kasan beschütze Dich. Ich bin kein Tatar, sondern ein ehrlicher Kosack vom Don. Das sind meine Enkel, und zwei habe ich fortgeschickt, die spitzbübischen Jämschtschiks für diese armen Leute zurückzuholen. Wir hörten, daß der Czar im Süden Soldaten brauche und da sind wir.«

Der Offizier sah, daß er von dieser Seite keine Auskunft erhalten könne, er wurde aber in den weiteren Nachforschungen durch seine Begleiterin unterbrochen, die mit weiblichem Takt und Theilnahme ihm zurief, die fremde Dame in ihren Wagen bringen zu lassen, der mehr Schutz gegen die Belästigung gewährte, als die offene Telege. Das geschah augenblicklich durch den Jäger Bogislaw und den Diener des Grafen.

»Wie weit sind wir hier noch von der großen Straße entfernt, oder ist irgend ein Ort in der Nähe, wo wir Schutz vor diesem abscheulichen Gewürm finden können?«

»Die Straße ist noch fünfzehn Werste entfernt, Erlaucht,« sagte der älteste Postillon, »und die Stanzia 5 noch weiter. Aber [247] auf der Hälfte des Weges zur Rechten ab liegt eine Colonie der Frommen.«

»Wahrscheinlich Menoniten,« erläuterte Bogislaw.

»Zum Henker! mögen sie sein, wer sie wollen, wir müssen sie zu erreichen suchen. Wir müssen den Strom dieser Armee von Heuschrecken durchbrechen, denn umzukehren würde nunmehr Nichts nützen. Bringt rasch die werthvollsten Sachen aus der Telege nach meinem Wagen und dann müssen zwei von Euch den Mann hier und das Mädchen zu sich auf die Pferde nehmen, denn im Wagen ist kein Platz.«

»Unser Gepäck ist vorausgesandt, wir sind fertig.«

»Desto besser – die Sache wird unerträglich. Zehn Rubel Jedem von Euch Trinkgeld, wenn Ihr uns glücklich durch diese Wolke von Gewürm bringt.«

Er sprang in den Wagen zurück.

Der Jäger hatte die sich sträubende Zofe beruhigt und, den Plan des Grafen verbessernd, zu Ossip auf den Kutschbock gehoben, während der Jämschtschik, der diesen Platz bisher eingenommen, sich auf das linke Pferd des hinteren Dreigespanns schwang und Bogislaw selbst das rechte Seitenpferd bestieg.

»Vorwärts, Kamerad,« rief er dem alten Kosacken zu, – »es bleibt bei der Belohnung. Brich uns die Bahn.«

Der Alte pfiff seinen Enkeln. Fest aneinander jagten die fünf Reiter in die dunkle Wolke von Gewürm hinein, die Jämschtschiks gaben ihren Pferden den Kantschuh und zwangen die sich bäumenden und schnaubenden Thiere, im Galopp den Reitern zu folgen.

Einige Minuten lang vernahm man Nichts als das Schnauben der Thiere und das weiche zermalmende Knirschen der Räder, denn selbst der ermunternde Zuruf der Männer war verstummt, weil jedes Oeffnen des Mundes diesen sofort mit den eklen Geschöpfen gefüllt hätte.

Ringsum war die Luft von ihnen verdichtet, der Boden mehrere Zoll hoch bedeckt – jedes Gestrüpp, jeder Halm, auf den sie niederfielen, war im Nu verzehrt und auf ihrem Wege durch's Land die öde Steppe in wenig Augenblicken noch öder geworden.

Wenn die Gluth des Sommers kommt und die Sonnenstrahlen heiß und giftige Dämpfe entwickelnd auf die sumpfigen Gegenden fallen, dann erheben sich aus den endlosen Morästen der Dobrudscha die Myriaden jener häßlichen Insekten und nehmen, gleich [248] Gewitterwolken vom Winde getrieben, ihren Weg nach dem Süden oder über das schwarze Meer hinüber nach Bessarabien und der Krimm und ziehen oft weit hinein in die Steppen des südlichen Rußlands. Millionen und aber Millionen dieser Geschöpfe verschlingt das Meer, – doch was ist das in der Menge – wo sie niederfallen, da sind sie dichter wie die Tropfen des Regens, verwüstender wie der gewaltige Orkan, und nur selten vermag der Mensch mit allem seinem Witz seine Ernte gegen sie zu schützen.

Die Glieder der Pferde, die Räder, der ganze Bau des Wagens, die Körper der Reiter waren mit den Insekten bedeckt, die selbst die Stoffe der Kleider anfraßen. Das Mädchen und der Diener des Obersten hatten ihre Köpfe, so gut es ging, in Tücher verhüllt und ließen alsdann den kriechenden Strom über sich ergehen. Selbst die in der durch Glasscheiben geschlossenen Kutsche Sitzenden litten außer der drückenden widrigen Atmosphäre von dem Gewürm, denn Hunderte waren bei dem Oeffnen eingedrungen und krochen durch alle Ritzen zu, so daß sie fortwährend in einem Kampf bleiben mußten. Die Französin war fast ohnmächtig, nur Gräfin Wanda unterwarf sich ruhig und thätig dem überkommenen Mißgeschicke.

Der Zug hatte sich geradezu in den Strom der Heuschrecken geworfen, um ihn an seiner schmalen Seite zu durchbrechen. Die Eingeborenen wußten, daß er auch hier wohl eine Viertelmeile breit, aber gewiß das Doppelte und Dreifache lang sein konnte. Man war bereits ziemlich weit gekommen, als ein Augenblick wirklicher Gefahr zu drohen schien. Der Zug der Heuschrecken veränderte aus einer noch unbekannten Ursache plötzlich seine Richtung und erhob sich; das Tageslicht, ohnehin schon geschwächt durch den sinkenden Abend, schien auf Minuten lang gänzlich verfinstert, denn die Luft umher war buchstäblich gefüllt mit schwirrenden fliegenden Insekten, die Pferde, die anfangs schnaubend und wild sich in dem Schwarm geberdet, standen nunmehr zitternd und ruhig, und selbst die Männer der Steppe hatten jetzt, so gut es ging, ihren Kopf verhüllt und überließen sich gleichgültig dem Kommenden.

Selbst das Athmen wurde immer schwieriger – die französische Dame im Innern des Wagens war leichenblaß vor Furcht und Erschöpfung.

»O, dieses verwünschte Land – Wasser, Wasser! – ich ersticke!« –

[249] Zum Glück dauerte dieser Zustand nur wenige Minuten. Wir haben bereits bemerkt, daß ein den Reisenden noch unbekannter äußerer Einfluß auf den Zug der Insekten einzuwirken schien. Sie erhoben und drängten sich immer mehr und erhielten eine Eile, die ihnen nicht erlaubte, sich an Gegenstände zu hängen. Nach kurzer Zeit wurde es lichter, das Gewirre in der Luft umher hörte auf und Menschen und Thiere vermochten freier zu athmen.

Das erste Geschäft, was Alle vornahmen, gleichgültig gegen alle sonstigen Beobachtungen, war natürlich, sich von den Ueberresten des widrigen Abenteuers zu reinigen, und die Nüstern und Ohren der Pferde von einzelnen zurückgebliebenen Insekten zu befreien. Die Jämschtschiks mit dem Jäger waren eifrig damit beschäftigt, denn sie wußten, daß jetzt die Pferde, nachdem ihre Angst überstanden, durch das kleinere Uebel scheu und unbändig gemacht werden konnten.

Die Gesellschaft im Wagen war jetzt auch im Stande gewesen, die Fenster niederzulassen, um frische Luft zu schöpfen. Die Postillone saßen auf und waren bereit, auf's Neue davon zu fahren, doch zögerten sie noch einige Augenblicke, da sie unschlüssig schienen, nach welcher Richtung sie sich wenden sollten.

Die Aussicht war nämlich, obschon der furchtbare Schwarm sich immer mehr und immer rascher verlor, noch immer gesperrt. Eine graubraune Wolkenwand schien den ganzen Horizont zu bedecken und die Sonnenhitze des Mittags auf's Neue mit sich zu bringen. Die Reisenden befanden sich eingeschlossen wie in einem Thale, ohne selbst die Richtung der Himmelsgegenden beurtheilen zu können.

»Diese Thiere scheinen einen widrigen brandigen Geruch zurückzulassen,« sagte die junge Gräfin; »es ist noch immer so schwül und drückend. Bedienen Sie sich meines Flacons, Madame!«

Der Oberst, ohne sich um die Frauen viel zu kümmern, lehnte aus dem Fenster.

»Was soll das Zaudern? Vorwärts, Tölpel! – Was soll's?«

Die letzte Frage war an den alten Kosacken und den Jäger Bogislaw gerichtet, die nach einer kurzen Besprechung auf den Wagen zukamen.

»Väterchen,« sagte der Kosack mit jener, den gemeinen Russen so eigenthümlichen Manier, einer directen Antwort auszuweichen, [250] – »die Heiligen haben Dich und die Frauen zu keiner guten Stunde die Reise antreten lassen.«

»Um es kurz zu machen, Herr Graf,« fiel der entschlossene Jäger ein, – »denn die Augenblicke sind kostbar – diese mit dem Lande vertrauten Leute meinen, es drohe uns eine größere Gefahr, als die vergangene: die Steppe stehe in Brand!«

Die beiden Damen hatten zum Glück die russisch gesprochene Meldung nicht verstanden, doch sahen sie an dem Zurückfahren des Obersten, an der Blässe, die unwillkürlich sein Gesicht überzog, daß eine große Gefahr im Anzuge sein mußte, und die verwöhnte pariser Lorette, die entführte Bojarendame, faßte laut aufschreiend seinen Arm.

»Mein Himmel! Graf, was giebt es? was spricht der Mann? ich will es wissen!«

Der Oberst machte sich ungestüm frei.

»Zum Henker, Madame! das ist kein Augenblick für Ihre Narrheiten. Unser Leben steht auf dem Spiel. – Woraus schließest Du das?«

Der Jäger wies auf die Wolkenwand ringsum, die immer dichter emporstieg und in der einzelne hellweiße Wolken emporzukräuseln schienen. Ruhig hielt der alte Kosack an der Seite des Wagens, während seine Enkel beschäftigt waren, den Jämschtschiks im Bändigen und Festhalten der fünf Pferde zu helfen.

»Athmen der Herr Graf nur die Luft, die Sinne werden Sie bereits überzeugen.«

In der That wurde der brandige Geruch immer schärfer, die Schwüle immer drückender.

»Wie ist das Feuer entstanden – woher kommt es?«

»Gott weiß es! – Die Colonisten oder Hirten haben es wahrscheinlich zum Schutz vor den Heuschrecken angezündet. Ich muß gestehen, daß ich selbst rathlos bin, da ich nicht einmal die Richtung des Himmels anzugeben vermag. Euer Erlaucht würden am besten thun, diesem alten Mann zu vertrauen.«

Der Oberst wandte sich zu diesem:

»Du siehst, daß ich Stabsoffizier bin und daß es Deine Pflicht ist, mir zu gehorchen. Wo ist die Gefahr für uns?«

Der Alte deutete ruhig ringsum im Kreise.

»Ueberall? – Sollen wir umkehren?«

Der Kosack schüttelte mit dem Kopfe.

[251] »Es nützt Nichts, Väterchen. Unter den Heuschrecken würdest Du desto schneller verbrennen.«

»Weißt Du einen Ausweg – kannst Du uns führen, uns retten? denn ich hoffe, Du wirst uns nicht verlassen.«

»Nein, Väterchen, Iwan wird bei Dir ausharren. Du bist ein vornehmer Herr, aber Du verstehst Nichts von der Steppe. Willst Du mir die Anordnung überlassen?«

»Es sei! Hundert Rubel für Dich und Jeden der Deinen, wenn Du uns rettest.«

Der Alte hielt sich, nachdem er auf diese Weise das Recht, zu befehlen, erlangt hatte, mit einer Erwiederung nicht auf, sondern wandte sich sofort an seine Enkel:

»Wanka, jag' dem Feuer entgegen und sieh', wel che Richtung es nimmt. Alexei Petrowitsch, fort, nach Mittag zu und schau', ob dort ein Ausweg.Olis, mein Liebling, wende Dich gegen Abend. Möge der heilige Iwan über Euch sein, Ihr hört unser Pulver. Fort!«

Die drei jungen Kosacken sprengten nach verschiedenen Richtungen in die Wolkenwand hinein.

Während der Alte mit dem seltsamen 6 Namen dem Jäger Bogislaw, den er rasch als den Thätigsten und Geeignetsten der ganzen Gesellschaft erkannt, einige Instructionen gab, deren Inhalt sich bald dadurch zeigte, daß Bogislaw von Zeit zu Zeit eine Pistole in die Luft schoß und wieder lud, – suchte der Graf die Damen zu beruhigen, denen die Natur der Gefahr längst nicht mehr verborgen war. Celeste war außer sich, bald weinte sie zaghaft, bald stieß sie mit französischem Wortschwall die bittersten Vorwürfe gegen ihren Beschützer aus, bald wieder bat und flehte sie, daß man die Pferde antreiben und dem Feuer entfliehen möge. Auch der Oberst war mehrere Male im Begriff, den Befehl zu geben, die Rosse, die nur mit größter Mühe festgehalten werden konnten, loszulassen, doch gab ihm ein Blick auf die ruhige Haltung des Kosacken und die Ueberlegung die Ueberzeugung, daß man der Erfahrung und dem Instinkt des greifen Eingebornen der Steppen am besten vertrauen und jede Anordnung überlassen werde.

Die Hitze war fortwährend gestiegen, die umgebenden Rauchwolken begannen bereits eine röthliche Farbe anzunehmen. Durch [252] den Wolkennebel hatten sie häufig dunkle Gestalten in vollem Lauf vorüberhuschen sehen – die Wölfe, die wilden Hunde und anderes Gethier der Steppe – aus der Luft herab hörten sie das ängstlich kreischende Geschrei großer Schwärme wilder Enten und anderer Wasservögel, die von der Gluth aufgescheucht, hoch über dem Brand weg zu ihren sumpfigen Nestern eilten. Die Minuten, die sie in der quälenden Ungewißheit zubrachten, schienen Stunden.

Der Kosack Wanka war der Erste, der im vollen Carriere seines kleinen zottigen Pferdes, dem Mähne und Hufhaar verbrannt waren, zurückkam.

»Fort, Djeduschka, – das Feuer ist hinter mir – kaum drei Werste entfernt und nimmt die Richtung hierher.«

»Haltet die Pferde bereit, Lieblings! Schließ' die Fenster Deiner Karosse, Väterchen. – Auf!«

Aus dem Nebel zur Rechten jagte Alexei Petrowitsch.

»Hierher! hierher! es ist eine Lücke in der Wand von Rauch und der Boden nur von den Heuschrecken verwüstet.«

»Schießt Eure Pistolen zusammen los, daß Olis uns hört. Der heilige Andreas schütze den Jungen! Feuer! – Und nun vorwärts, dort hinein!«

Die Pferde wurden zur Seite gerissen und im Galopp jagte die Kutsche, von den Reitern umgeben, in die Rauchwand – von Zeit zu Zeit feuerte der wackere Jäger noch einen Schuß ab.

Der Wagen war etwa zweihundert Schritt vorgedrungen, als die Dunst- und Wolkenwand sich lichtete und sie in eine verhältnißmäßig freie Atmosphäre kamen. Es zeigte sich, daß ein leiser Luftzug die Dampfwolken vor sich her trieb und die klare, helle Gluth schlug zu ihrer Linken in die Höhe und knisterte über die weite Ebene.

Die Rosse jagten wie toll über die Fläche und rissen den Wagen in wilden Sprüngen über die Risse und Unebenheiten des Bodens. Züngelnd liefen die Flammen über diesen, wenn auch der Luftstrom sie in bestimmter Richtung vorwärts trieb, und an vielen Stellen jagten geradezu die Pferde durch die bereits emporschlagende Lohe.

Celeste lag ohnmächtig im Wagen, die Gräfin athmete schwer, das Gesicht an das Wagenfenster gepreßt, dessen Scheiben in der Gluth bereits zersprungen waren, während der Graf mit finsterer Entschlossenheit die schreckliche Scene beobachtete.

[253] Plötzlich sperrte ein breiter Erdspalt die Fahrt und die Postillone hielten still. Der vordere Jämschtschik sprang sogleich aus dem Sattel und begann die Stränge seiner zwei Pferde zu lösen.

»Was thust Du, Canaille?«

»Wo der Tod uns vor Augen, hast Du uns Nichts zu befehlen, Väterchen. Diese Pferde hindern nur den Wagen, die Heiligen werden uns durchhelfen, wenn wir allein sind!«

»Sukiensyn!« – Eine Pistolenkugel pfiff dicht am Ohr des ungehorsamen Postillons vorüber.

»Gnade, Excellenz, ich bin Dein gehorsamer Knecht!«

»Den Ersten, der uns zu verlassen wagt,« schrie der Oberst durch das geöffnete Fenster, »schieße ich nieder! Iwan – wo bist Du?«

»Hier, Erlaucht,« entgegnete der alte Kosack, »ich untersuchte die Erdspalte. Wiederholt das Schießen! Pascholl!«

Wiederum donnerte der Wagen davon, rechts und links von ihnen schlugen am Gestrüpp die Flammen bereits in die Höhe – die Fesseln, die Mähnen, die Schweise der Rosse waren abgesengt, kaum noch vermochten die Menschen zu athmen.

»Heilige Mutter Gottes, vergieb mir Sünderin!« jammerte Celeste in der Angst des Todes. »Das ist die Strafe dafür, daß ich die arme Nini um ihr Eigenthum bestohlen, welches mir der Russe gab, daß ich nun mit diesem Manne so elend verderben muß.«

Gräfin Wanda hatte die Hände gefaltet, sie betete still – vor ihrer Seele stand in dieser letzten Stunde das Bild des jungen Tschetschenzen-Offiziers, des Imams Sohn, der einst mit ihr die ähnliche Stunde der Todesnoth getheilt.

Heilige Mutter von Kasan! – das war ein Schuß aus der Ferne, ein Signal, das nicht von den Männern um die dahin fliegende Equipage kam!

»Kuli! Kuli! Olis – hierher!« donnerte die Stimme des alten Atamans.

Ein zweiter Schuß –

Dann brach aus der Rauchwand vor ihnen ein kleiner Reitertrupp, fünf Männer zu Pferde: zwei junge russische Offiziere und ein älterer Mann in braunem langschößigem Rock, die weiße weite Halsbinde trotz der Hitze sorgfältig um den Hals geknüpft, einen dreieckigen Hut von altmodischer Façon auf dem, mit langem schlichtem Haar umgebenen Kopf. Mit ihnen zwei Kosacken.

[254] »Zu Hilfe! zu Hilfe! Hierher!« schrie der Oberst – im nächsten Augenblick waren die beiden Offiziere am Wagen – –

Ein gellender Schrei erscholl aus diesem.

»Da ist er! da ist er! Vergebung, Fürst, einer Sterbenden! ich ließ sie im Elend!«

»Schorte wos mi! Fürst Iwan Oczakoff, Sie in dieser Höllengluth?«

»Oberst Wassilkowitsch, so wahr ich lebe! Wir wagten uns in die Gefahr, um eine Dame zu retten.«

»Sie ist hier – doch sprechen Sie rasch, giebt es einen Ausweg aus dieser Höllengluth, die uns lebendig röstet?«

»Für den Wagen schwerlich. Hesekiah, wissen Sie Rath und Hilfe?«

Der Menonit wandte sich zu ihm.

»Es muß ein Tabun hier in der Nähe sein, ich kenne den Tabuntschik, obschon er ein finsterer, menschenscheuer Greis ist. Aber es ist unmöglich, mich in diesem Rauch zu orientiren und es giebt hier überall gefährliche Erdspalten.«

»Halt!« schrie der Kosack – »still, Väterchen, so lieb Euch Euer Leben ist, ich höre einen Ton – ein Signal!«

Die Jämschtschiks hatten auf einer vom Feuer noch nicht erfaßten Stelle die Pferde angehalten. Alle lauschten gespannt, einige Augenblicke lang war Nichts zu hören, wie das Knistern und Zischen der Flammen, die fast ringsum empor schlugen – dann klang es erst leise und immer lauter, wie der Ton einer metallenen Glocke, – bald war eine Täuschung unmöglich.

»Das ist die Glocke des Tabuns für die Heerden,« sagte ruhig der Menonit, – »Gott vergebe es mir, daß ich dem Manne kaum diese Menschenfreundlichkeit zugetraut habe. Der Herr ist mit uns – wir dürfen nur dem Schall der Glocke folgen, doch rathe ich Dir, Freund Offizier, die beiden Gespanne zu trennen. Diese Frauen werden sicherer fahren mit der Troika.«

Der Rath war bei der rissigen Beschaffenheit des Bodens zu gut, um nicht befolgt zu werden. Im Nu waren die Stränge der zwei Vorderpferde vom Jäger Bogislaw und den Kosacken abgeschnitten, und der Erstere befahl dem Jämschtschik, voran zu reiten nach dem Schall der Glocke, um zugleich den Zustand des Weges zu prüfen. Die Todesgefahr war so groß, daß der junge Postillon, kaum die Möglichkeit der Rettung vor sich sehend, [255] und von der drohenden Pistole des Obersten befreit, wie blind und toll davonjagte. Hinter ihm her flog, von den Reitern umgeben, der Wagen durch Rauch und Flammen.

»Links! links, Freund! so lieb Dir Dein Leben ist!« schrie der junge Menonit, während schon näher und näher der Schall der Glocke erklang und sie bereits den Zuruf einer menschlichen Stimme zu hören vermochten.

Es war zu spät –

Ein wilder, furchtbarer Schrei des Entsetzens – und vor ihren Augen verschwanden im Nebel und Rauch, kaum zehn oder fünfzehn Schritt vor ihnen, die Gestalten des Jämschtschiks und seiner zwei Pferde, wie von der Erde verschlungen.

»Links! links! Gott sei Seele und Leib gnädig!«

Der Menonit hatte sich mit seinem Pferde quer vor das Gespann geworfen, Bogislaw riß mit Aufbietung all seiner Kraft das rechte Sattelpferd, das er bestiegen, zurück und drängte das Gespann nach Links – so flogen sie davon dem Rufen und Läuten entgegen, ohne daß Einer von dem schrecklichen Schicksal des jungen Postillons Kunde nehmen konnte; wenige Augenblicke darauf war das Läuten vor ihnen –

»Paßt auf, Brüder,« rief der Menonit, »der Graben kommt – hopp!«

Er setzte mit seinem Pferde hinüber, Iwan folgte – dann der Jämschtschik mit dem Dreigespann – ein Ruck, Angstgekreisch, – der Wagen stürzte um, aber war glücklich über den rettenden Graben, den die Hirten zur Sicherung ihres Tabuns gegen das Feuer aufgeworfen.

Die Voransprengenden hatten jenseits desselben noch den jungen Kosacken Olis gesehen, wie er eifrig eine kleine Glocke schwang, die zum Herbeirufen der Heerden zu dienen schien, und neben ihm eine hohe Greisengestalt in wildem Costüm, theilnahmlos die Arme übereinander geschlagen und den Anstrengungen des jungen Mannes zuschauend.

Im nächsten Augenblick waren Alle – mit Ausnahme des seltsamen Greises – um den umgefallenen Wagen beschäftigt, um den Insitzenden herauszuhelfen. Der Oberst war der Erste, der durch die geöffnete Thür sich herausschwang, sein kranker Arm schmerzte ihn durch den Stoß heftig und schien auf's Neue beschädigt. Er rief nach seinem Leibdiener und befahl, sogleich aus [256] dem geretteten Gepäck ein Arzneinecessaire zu suchen, während die Damen herausgehoben, in her Nähe eines gegen die Hitze verdeckten Brunnens niedergesetzt und von den beiden jüngeren Offizieren mit Wasser benetzt wurden. Gräfin Wanda, die erst bei dem Todesruf des Jämschtschiks die während, der ganzen furchtbaren Scene bewahrte Fassung verloren und ohnmächtig geworden, erholte sich zuerst und leistete nun mit dem Kammermädchen der Französin Hilfe.

Sie schlug die Augen auf, – ihr erster Blick fiel auf den jungen Fürsten, den sie auf dem Ball des General-Consuls von Meusebach sich hatte vorstellen lassen, und der sie mit sichtlichem Interesse betrachtete

Eine dunkle Röthe – bei der Erinnerung an Worte, die sie in der Todesangst ausgestoßen – überzog das Gesicht der ehemaligen Lorette.

Während diese kurze Erkennungsscene unter der Gruppe der vornehmen Reisenden spielte, die sich so eigenthümlich zusammengefunden, war ein noch seltsamerer Auftritt unfern von ihnen vorgegangen.

Der Tabuntschik hatte sich von der zahlreichen, so plötzlich auf sein Gebiet eingedrungenen Gesellschaft zurückgezogen. Die Scene umher gewährte einen eigenthümlichen Anblick. Obschon das Feuer, so schnell wie es gekommen, sich nach dem raschen Verzehren des trockenen Grases entfernte und den Tabun – die Niederlassung der Roßhirten – ganz unberührt, gelassen hatte, da derselbe – auf der einen Seite durch die tiefe, jähe Regenschlucht, auf der andern durch einen von den Hirten aufgeworfenen und mit befeuchteter Erde abgedämmten Graben gesichert worden, so sah man doch an einzelnen, dichter mit Gestrüpp bewachsenen Stellen in der Nähe noch immer die Flammen emporschlagen, und Rauchwolken ballten sich über die freigebliebene und abgebrannte Stätte hin. Wo sie sich öffneten, sah man große Heerden Viehes – Pferde und Schaafe dicht zusammengedrängt auf der gesicherten Oase, von den Hirten oder den Knechten des Tabuntschiks bewacht, und ein eigenthümliches Schauspiel gewährte es, als diese jetzt zwischen den Schaafen zwei Wölfe hervorzerrten, die sich in der Angst vor dem Feuer unter die Heerden schmiegsam verkrochen hatten, und die sonst so gefährlichen Bestien ohne Widerstand todtschlugen.

Der Tabuntschik stand in der Nähe seiner Semlanke – der kaum mannshoch aus dem Boden hervorragenden, größtentheils [257] in diesen gegrabenen aber geräumigen Hütte, – deren Dach nach beiden Seiten hin in den Rasen selbst auslief. Er war eine hagere aber kräftige Gestalt, fast nur Sehnen und Muskeln, das von einem weißen krausen Bart umgebene Antlitz lederfarben geworden von der Gluth der Sonne und den eisigen Wettern des Winters. Ein dunkles unruhiges Auge lag unter den buschigen Brauen, die linke Wange zeigte eine tiefe querüber laufende Narbe. Die ungebeugte kräftige Haltung, durch den fortwährenden Aufenthalt im Freien, die Art seiner Beschäftigung und die einfache Nahrung über die gewöhnliche Zeit des Menschen hinausgebracht, ließ das Alter des Mannes nicht erkennen, dennoch mußte es hoch und selbst über die Jahre des greisen Kosacken reichen. Er war ganz in gegerbtes Fohlenleder gekleidet; eine eng anschließende Jacke, Beinkleider, an denen die Haarseite nach außerhalb gekehrt war, und derbe hochhinaufreichende Stiefeln von Roßleder mit starken Sporen bildeten seine Tracht. Eine lederne Kaputze mit eingeschnittenen Oeffnungen für Augen, Ohren und Mund hing ihm über den Nacken; in dem breiten Gürtel, auf den er die Hand stützte, staken ein kurzes Beil und verschiedene Zangen, Werkzeuge und Büchsen, die er in seinem Beruf als Besitzer großer Roßheerden brauchte; die Hand hielt die derbe kantschuhartig geflochtene Peitsche.

Der alte Kosack, der um die Geretteten genug Personen beschäftigt sah, hatte sich von ihnen gewandt und näherte sich dem einsam stehenden Tabuntschik.

»Die Heiligen mögen Dich segnen, Väterchen. Wir sind gekommen, bei Dir Hilfe und ein Nachtlager zu suchen, Du wirst uns nicht von Dir weisen.«

»Ich lade Niemand zu mir,« sagte finster der Roßhirt, »doch weigere ich auch Niemand mein Brod und Salz. Du bist mein Gast. – Weshalb starrst Du mich so an, alter Mann?«

Das Tageslicht war zwar dem Erlöschen nahe, aber seine letzten Strahlen brachen eben noch scharf durch die sich theilenden Rauchnebel und fielen auf das Antlitz des greifen Roßhirten.

Der Ataman sprang auf ihn zu und faßte seinen Arm:

»Dies Gesicht kenne ich und wenn es Methusalem's Alter hätte – schau' diese Narbe auf meinem Gesicht an, Kaisermörder, und erinnere Dich an die Nacht des 23. März!«

Seine Rechte faßte nach der Pistole in seinem Gürtel.

[258] Das Antlitz des alten Tabuntschik war fast schwarz geworden, seine tiefliegenden Augen schienen Blitze zu schießen.

»Tschort w twaju Duschu! 7 Du bist verrückt.«

»So wahr die Heiligen an meinem Sterbelager stehen und die finstern Geister verscheuchen mögen – ich kenne Dich, Fürst Michael, und Gott der Herr hat dem armen Kosacken der Steppe das Leben erhalten, um noch an der Pforte des Grabes seinen Todfeind zu finden.«

Der Tabuntschik lächelte blos verächtlich.

»Lege den Finger auf Deine eigene Wange und Du wirst das Zeichen finden, mit dem der Degen des Czaren Dich gebrandmarkt. Du mußt sterben von meiner Hand!«

Er zog den Hahn des Pistols – doch die Hand des Roßhirten drückte es jetzt zur Seite:

»Ich weiß nicht, wer Du bist und welchen Anspruch Du an mich hast,« sagte derselbe finster. »Aber bedenke, daß Du mein Gast bist und ich Dein Wirth, und Fluch auf den Russen, der die heilige Sitte der Väter verletzt. Wenn die erste Stunde eines neuen Tages da ist, wirst Du, ein Greis wie ich, mich über der Gränze dieses Tabuns finden, bereit, Dir Rede zu stehen.«

Er wandte sich unerschüttert von ihm und verschwand in die Semlanke.

Der alte Kosack blieb in tiefem Sinnen, auf seinen Säbel gestützt, zurück.

Fußnoten

1 Postillon.

2 21. Juli 1774.

3 Roßhirt, Heerdenbesitzer.

4 Tölpel, Narr.

5 Station.

6 Historischen.

7 Der Teufel in Deine Seele!

3. Varna
Varna.

Das Geschick der Städte und Orte wechselt wie das der Menschen; Metropolen versanken in Schmuz und Trümmer; wo der Handel der Welt einst sein Gold streute und Tausende fleißiger Hände thätig waren, herrscht ein Jahrzehend darauf Einsamkeit und Elend. So auch umgekehrt – die öde Stätte, die kaum genannt wird unter den Namen, läßt ein plötzlicher Umschwung zum wichtigen Stapelplatz werden. Eine halbe Welt versammelt [259] sich an der Einsamkeit der Gräber und Glanz und Leben vergolden schmuzige Baracken.

Nirgends mehr zeigt sich dieser plötzliche Wechsel, diese zauberhafte Veränderung, als gerade im Orient, jenem seltsamen Gemisch von Lethargie und flammender Leidenschaft.

Wenn der Schiffer aus dem Bosporus an den felsigen, seltsam schroff geformten Westküsten des Pontus Euxinus mit günstigem Wind hinaufstreift, an der Stätte des alten Apollonia vorüber, wo jetzt das Dorf St. Nicol seine Fischerhütten ausgestreut, gelangt er mit dem milden Hauch des Südens zu einem breiten schönen Golf, der sich so weit hineinstreckt in's Land, daß die Flotten der Welt hier stattlich, wenn auch eben nicht sehr sicher vor Anker liegen könnten. Der Golf wird von dem Ausfluß des Dewno-See's in's Meer gebildet, oder der See bildet eine Fortsetzung des Golfes, wie man will. Im Süden erheben sich begränzend die Felsen des Galata-Vorgebirges, die Nordseite steigt in leichter Hebung plateauförmig bis an den Fuß des mächtigen Hämus, dessen breiter Kamm mit unzähligen Ausläufen vom Schwarzen Meere bis zu den Felsenwänden der Adria die bulgarischen und slavischen Provinzen der Türkei durchschneidet. Zwischen dem Gebirge und dem Golf, seine Wälle und Mauern unmittelbar in die blauen Wellen des Letzteren tauchend, liegt Varna, das Obessus der Alten.

Stets ein wichtiger militairischer Vorposten Constantinopel's in den seit 140 Jahren andauernden russisch-türkischen Kriegen, war Stadt und Festung, nachdem ihre Wälle bei der letzten Eroberung durch Diebitsch und bei dem Bombardement durch Admiral Greigh im Jahre 1828 zerstört worden, in Schmuz und Unbedeutendheit versunken, bis plötzlich die rollenden Donner des orientalischen Krieges sie mit einem Zauberschlag zum wichtigsten Stapel- und Sammelplatz zuerst der türkischen Donau-Armee, dann selbst der westmächtlichen Expeditionscorps machten. Durch das Verdrängen der russischen Flotte aus dem Schwarzen Meere concentrirte sich der ganze Transport auf Varna; Truppenmassen wandten sich von hier aus nach dem Feldlager des Krieges, Schumla, oder bildeten in weiten Lagerungen um die Stadt eine neue; kolossale Vorräthe aller Art wurden hier aufgehäuft und der breite Golf wimmelte von Kriegs-und Transportschiffen jeder Gattung.

Vom April bis zum Ende August 1854 war das sonst kaum [260] 16,000 Einwohner zählende Varna eine Weltstadt, in der sich drei Welttheile – Europa, Asien und Afrika – ihr kriegerisches Rendezvous gegeben hatten. Es wird nöthig sein, einen kurzen Rückblick auf die militairischen Operationen der Schutzmächte der Türkei zu werfen, ehe wir zur Beschreibung der vorliegenden Scenen übergehen.

Wir haben am Schluß des zweiten Bandes erwähnt, daß bereits zu Ende Februar die Sendungen französischer und englischer Truppen nach dem Orient begonnen hatten. Am 20. März wurden auch die ersten afrikanischen Truppen eingeschifft; General Canrobert traf mit Bouat und Espinasse zu Anfang April in Gallipoli ein, was zum ersten Sammelpunkt der anglo-französischen Armee bestimmt war. Der Marschall St. Arnaud, der am 22. April mit einer Proclamation in Marseille den Oberbefehl übernommen, folgte im Mai; Prinz Napoleon, der Vetter und präsumtive Thronerbe des Kaisers, hatte sich, mit einem Divisions-Commando betraut, am 1. April eingeschifft, war nach Beseitigung der über die Ausweisung der Griechen zwischen dem französischen Gesandten und der Pforte entstandenen Differenzen in Constantinopel eingetroffen und hatte den Palast von Defterdar-Burnu bezogen. Von englischer Seite folgten im März Lord Raglan, der britische Oberbefehlshaber, und der Herzog von Cambridge, dem vom Sultan das Palais Tschiragan eingeräumt wurde; – in der Mitte des April standen bereits 40,000 Mann englisch-französischer Truppen auf türkischem Boden.

Schon in Gallipoli zeigte sich der große Nachtheil, in dem die englische Armee durch die jammervolle Fahrlässigkeit ihrer Intendanzen und Verpflegungs-Commissariate gegen ihre kriegerischen und gewandteren Rivalen stand. Die Franzosen hatten rasch die besten Quartiere für sich genommen, während es dem ersten englischen Detachement, das ankam, selbst an Booten zur Landung fehlte. Es klingt unglaublich, aber es ist wahr, daß der englische Consul in Gallipoli nie Befehl erhalten hatte, für die Unterbringung der erwarteten Truppen Vorkehrungen zu treffen. Wenige Tage früher waren zwei Verpflegungs-Offiziere, die kein Wort türkisch verstanden, angekommen, um Proviant einzukaufen, das war aber auch Alles, was für die Expeditions-Armee geschehen war. Schon damals fingen daher die auf's Trefflichste bedienten Franzosen an, mit Spott und Achselzucken auf die Engländer zu [261] schauen und John Bull zu hänseln, was häufig zu ernsten Händeln führte.

Mitte April begannen auch die ersten Translokationen der Truppen nach Scutari, Adrianopel und Varna. Durch die strategischen Operationen der Russen gegen die Dobrudscha und Silistria beunruhigt, sahen die Alliirten ein, daß sie zum Schutz Constantinopels eine Position einnehmen müßten, um das bereits ziemlich lau gewordene Vertrauen der Türken zu stärken, und Varna wurde als Operationsbasis für alle weiteren Zwecke gewählt. Anfangs Mai trafen englische Sappeurs und Mineurs in Varna ein und steckten ein Lager am Südende der Bucht ab. Am 18. kamen Marschall St. Arnaud und Lord Raglan in Varna an, wo der bereits früher erwähnte große Kriegsrath über den Entsatz von Silistria gehalten wurde. Die Feldherren begleiteten Omer-Pascha nach Schumla und in der am Bord des Agamemnon, des Flaggenschiffs des Vice-Admirals Sir Edmond Lyons, nach ihrer Rückkehr gehaltenen Verathung wurde zuerst auf die Instruction des Kaisers die Expedition nach der Krimm berathen und beschlossen.

Tiefes Geheimniß sollte diesen Beschluß begleiten, dennoch war er bald den gewandten griechischen Spionen kein Geheimniß mehr. Freilich hatten sie das Schicksal Kassandra's, die auch bei der modernen Iliade nicht fehlen sollte, – die Russen glaubten sich sicher und Sebastopol uneinnehmbar – von der Seeseite. Eine Belagerung zu Lande hielt man für eine Unmöglichkeit.

Im Juni trafen die erste und dritte Division der französischen-Hilfs-Armee, die Divisionen Canrobert und Prinz Napoleon, zur See in Varna ein. Die Divisionen Bosquet und Forey (die zweite und vierte) folgten auf dem Landwege über Adrianopel.

Mitte Juli standen mit den Türken und Egyptern ungefähr 100,000 Mann in Varna. Die Engländer hatten ein festes Lager bei Dewno an der Straße nach Schumla und auf der Südseite des Golfes bezogen, die Egypter und Baschi-Bozuks lagerten neben den Zuaven auf dem Campo und das Hauptcorps der Franzosen hinter dem alten Wall der Festung.

Ein Treiben, wie die bewegteste Phantasie es sich nicht zu malen vermag, herrschte am Nachmittag des 20. Juli in den Straßen, Gassen und Gäßchen von Varna und auf dem Spiegel des Golfs. Eine starke Escadre der ankernden Kriegsschiffe machte sich offenbar fertig, in See zu gehen und nahm Munition und Wasser [262] ein. Am Dewno-Kai wimmelte es von Matrosen und Mariniers, Soldaten und türkischen Lastträgern, Pferden, Kameelen und Maulthieren. Bergehoch waren hier die Munition, die Tornister, die Brotsäcke aufgethürmt. Angebundenes Schlachtvieh brüllte und blökte, betrunkene Matrosen standen und lagen über all im Wege, Jeden mit Grobheiten tractirend, der in ihre Nähe kam, schreiende Griechen, plaudernde und lachende militairische Flaneurs, marschirende Kolonnen, Araber und Lastthiere aller Art. In den Straßen, die zum Staunen der gläubigen, über solche Neuerungen die Augen zu den sieben Himmeln des Propheten schlagenden Muselmänner von den Franzosen rasch mit Namen und Nummer versehen worden, war die Bewegung und das Gedränge nicht minder groß. Der Spahi mit seinem abenteuerlichen afrikanischen Costüm und dem wehenden Mantel, der Araber mit seinem schmuzigen Burnus, den nackten Beinen und dem gelben, durch einen Strick um den Kopf befestigten Tuch; die englischen Uniformen roth mit blauen Pantalons, den steifen erstickenden Halsbinden und den hohen Bärenmützen; die Franzosen mit den leichten Kaskets, die sie auf Befehl des Marschalls schon in Gallipoli gegen die schweren Tschako's vertauscht hatten, auf den Kopf gestellte Engländer, blau oben, roth unten; der Gamin der Armee: der Zuave mit den weiten, türkischen, rothen Pantalons, dem koketten Jäckchen und bloßen Halse und dem langen blauen Schweif am großen Feß; Marketenderinnen in ihrer kecken, zierlichen Tracht; griechische Kaufleute und bulgarische Ochsentreiber mit den quietschenden und knarrenden Wagen; Staabsoffiziere zu Pferde; die irregulären Aegypter in ihren Hosen und Jacken von gelb, roth oder weiß gestreiftem Kattun, die wie ein wandelnder Bettüberzug aussahen; Juden und Maulthiere, Jäger von Vincennes und Bergschotten, faule Moslems, die Hände auf dem Rücken, den langen Tschibuk hinter sich her schleifend; Baschi-Bozuks in ihrer malerisch wilden Tracht; Matrosen in den Rinnsteinen, lachende Midshipman, Mohren, Araber, Europäer, Nord- und Südländer, der Hut neben dem Turban, der Helm neben der braunen bulgarischen Pelzkappe, Filz und Seide, Gold, Tuch, Silber, blinkende Waffen, Pferde, Esel, Kameele, zwanzig Sprachen durch einander – das war das Babylon von Varna!

Welche Feder vermöchte die bunten Scenen zu malen! Dort die beiden Zuaven, die lachend, den Feß schief auf dem Ohr, daß [263] eine wahre Kunstfertigkeit dazu gehört, ihn auf seiner Stelle zu balanciren, zum Thor hereinschreiten, jeder in der Hand ein großes Huhn, während hinter ihnen schreiend und gestikulirend der Grieche herrennt, mit den vierzig Sons nicht zufrieden, die sie ihm als Kaufgeld octroyirt haben; – vor einer der zahllosen, rasch in den Straßen voll Knoblauchsgeruch, Staub und Schmuz etablirten offenen Schenken ein halb Dutzend französischer Offiziere und Unteroffiziere mit dem Frühstück aus freier Faust, der Wurst, dem Zwieback und dem Gläschen Absynth oder Wermuth; – ein betrunkener englischer Matrose mit einem Soldaten der irländischen Brigade zusammenrennend und Pat im nächsten Augenblick im derben Handgemenge, während die Franzosen einen Kreis um Beide bilden lassen; – der türkische Philister, neugierig zuschauend, bis er bei einer falschen Bewegung des Trunkenen selbst einen heftigen Faustschlag in's Gesicht bekommt, worauf beide Kämpen gemeinsam über ihn herfallen und das lange Nohr seines Schibuks auf seinem Rücken zerschlagen; – auf eine Araba, die nicht durch das Gedränge kann, klettern vier Chasseurs d'Afrique und ziehen ein schmuziges Spiel Karten hervor, mit dem sie, trotz aller Protestation des Fuhrmanns, eine Spielparthie dort etabliren; – um die Garküche des Türken, der mit seiner einfachen Dampfmaschine Hammelschnitte am hölzernen Spieß brät, eine Reihe Rothjacken, hungrigen Blickes auf das Garwerden des Bratens harrend, denn das Brot, was die englische Bäckerei liefert, ist nur halb gebacken und ungenießbar; – die Menge plötzlich rechts und links auseinander drängend: eine Kolonne, die vom Exerciren kommt, – eine Wache des Profoß mit zwei gefangenen, französischen Voltigeurs, die mit Gewalt in ein bulgarisches Haus eingedrungen sind, hinter dessen Jalousieen sie ein Paar Mädchenköpfe bemerkt haben, ein seltener Artikel jetzt in Varna; – oder gar vier Krankenträger mit zwei verhüllten Bahren, von Schildwachen begleitet, auf dem Wege zum Lazareth.

»Fi donc! La Cholera! – De quelle troupe les malheureux, mon brave?«

»Des huzards!«

»Merci! Place, Messieurs, pour les malades!«

Der Zuave stößt den langen Engländer bei Seite, der sich mit einer gewissen Unbehaglichkeit den Leib hält.

»Dam your eyes!«

[264] »Beliebt, Herr Kamerad?«

»No!«

Lachend, tobend drängt die Menge hinter dem Krankenzug wieder zusammen, der nahe Tod ist vergessen, so lange voll das Leben pulsirt. Auf dem Tschardak eines Hauses kramt ein armenischer Handelsmann sein Bündel aus, Pfeifenköpfe, Rosenöl, Filigranarbeiten, Wundpflaster und schlechte Seidentücher. Seine gewandte Zunge preist sie in einem Gemisch aller Sprachen den umdrängenden Flaneurs an. Ein englischer Dragoner, der seinen letzten Sold noch in der Tasche hat, kauft fünf Flaschen von der Rosenessenz, die Adrianopel nie gesehen. Die vergoldeten, in Böhmen gefertigten Flacons verlocken ihn und er will sie nach Hause schicken. Einstweilen vermehrt er sein Gepäck damit, das ohnehin 82 Pfund wiegt. – Ein Sürüdschi, mit dem Courier von Schumla sich Bahn brechend durch das Gedränge. »Wo ist der Konak des Pascha?« – »Bilmem!« – ich weiß nicht – mit »Olmas« – es giebt Nichts, kann nicht sein – die ewige Antwort der Türken! – an einer Ecke eine Gruppe Moslems und Engländer, auf das Schauderhafteste die beiderseitigen Sprachen in aller Höflichkeit mißhandelnd, das »Bono Johnny« oder »Francis bono« an allen Enden und wo es ungehört geschehen konnte, ein »Pesevenk Giaurs« oder ein giftiges Ausspucken hinterdrein – das war Varna im Sommer 54, und Sacristi! Marschall Saint Arnaud mit seinen pomphaften Proclamationen von künftigen Siegen oder Nimmer-Heimkehr hielt verdammt wenig Ordnung in diesem Gewühl!

Im Tschardak des »Restaurant des officiers,« wie sich pomphaft mit langen Buchstaben eine der schnell etablirten Garküchen in der großen Corso-Straße nannte, drängte es sich von ab- und zugehenden Offizieren aller Waffengattungen. Eben so im Innern, wo vor ziemlich schmuzigen, rings umher laufenden Rohrbänken Tische standen, die mit französischem Luxus servirt und von zwei gewandten Garçons bedient waren, wenn auch die Speisekarte fast so mangelhaft als die Speisen selbst blieb.

Die Unterhaltung flog von Tafel zu Tafel und jeder der Neueingetretenen gab ungenirt seinen Theil dazu.

Eine laute lärmende Gesellschaft saß in der Mitte des Zimmers.

»Erzählen Sie, Ducru. Also ein Kleeblatt von Jeanne d'Arcs in Constantinopel und wir werden sie hier sehen?«

[265] »Wie heißen sie? Wer ist die Dritte? Das Journal de Constantinople spricht ja Wunderdinge von ihr.«

»Von der Gräfin Zamoyska haben Sie bereits gehört. Parbleu – vor zwanzig Jahren mochte sie passiren, jetzt ist sie in der Zeit, wo das Todtgeschossenwerden ein Glück für sie sein könnte.«

»Lassen Sie das den Capitain Wisimski nicht hören, Vantourin, er war in Galizien einer ihrer alten Courmacher.«

»Bah – sie ist eine aufblühende Rosenknospe gegen den Drachen, die Prinzessin Kirajia Dscheladulha, eine alte kurdische Hexe, die mit 200 Spitzbuben vom Ararat gekommen ist und sich berufen glaubt, das Reich Mahomed's zu retten. Sie trägt nicht einmal einen Schleier, so sicher ist sie ihrer Tugend, und sitzt auf dem Pferde wie ein kranker Affe.«

»Aber die Dritte – sie soll jung und schön sein, und Gott verdamm' meine Augen, wie unsere lieben Alliirten zu sagen pflegen, wir leiden hier abscheulichen Mangel an Damen.«

Der junge Souslieutenant kräuselte sich schwermüthig dabei den Bart.

»Sie können eben so gut einer mit Kartätschen geladenen Batterie in die Mündungen sehen, Villard,« lachte der Erzähler, »als in die Augen dieses kleinen Teufels, das Einzige, was aus der Umhüllung des widerlichen Jaschmaks zu sehen ist.«

»Aber woher weiß man da, daß sie jung und schön?«

»Alle Welt in Constantinopel sagt es. Sie war erst acht Tage vorher mit ihren hundertundfünfzig Arnauten eingetroffen. Sie soll die Tochter eines verstorbenen Pascha's sein und sehr reich, denn sie erhält ihre Schaar aus eigenen Mitteln.«

»Ihr Name?«

»Sie nennt sich bloß die Rächerin!«

»Bah – eine Komödiennärrin! Und sie kommt hierher?«

»So hörte ich.«

»Da ist der Adjutant. Willkommen, Bertholin – was Neues?«

»Der Briefsack ist mit dem ›Roland‹ eben angekommen, der die Dritten von den Zuaven gewacht hat. Hier, einige Briefe für Sie.«

»Geben Sie her. – Peste – das ist von der kleinen, Clairon im Variété, sie schreibt immer mit gelbem Couvert.«

»Mir den Charivari!«

[266] »Eine Nummer des Moniteurs – will Niemand?«

»Ah, bah – wir lesen der offiziellen Albernheiten genug in den Proclamationen des Marschalls.«

»A propos – ist es unehr, daß eine Ordre wegen der Brunnenvergiftungen erlassen ist? Das Wasser ist so verteufelt schlecht, daß man wahrhaftig daran glauben sollte.«

»D'rum trinken Sie auch nur Bordeaux, Commandant.«

Der ziemlich corpulente Bataillonschef faßte sich an die rothe Nase.

»Diantre, er ist nur so abscheulich theuer in diesem verfluchten Nest!«

»Hat Jemand von Ihnen den Capitain de la Tremouille gesehen?« fragte der Adjutant, »hier ist ein Brief für ihn.«

»Er ist heute Morgen an der Cholera gestorben,« sagte eine Baßstimme vom Nebentisch. »Lieutenant Walton machte ihm Platz im Lazareth.«

»Peste – diese Lazarethe, man bekommt das Fieber, wenn man daran denkt.«

»Neuigkeiten von Paris? Leblanc, ich beschwöre Sie, was sagt man im Foyer der Oper?«

An den Krieg, an den bevorstehenden Feldzug dachte kein Mensch.

»Es ist allerdings der Befehl gegeben,« erzählte der Adjutant, »daß kein Grieche oder Türke sich den Brunnen im Innern der Stadt nähern darf. Schildwachen sind ausgestellt und haben Ordre, in der Nacht auf Jeden zu feuern, der nicht zu den Truppen gehört. Man hat in dem einen an der kleinen Moschee Choleraleichen gefunden.«

»Pfui! – Mir wird übel werden, wenn ich noch ein Mal Wasser ansehe.«

»Roqueplan 1 hat in der That mehr Glück als Verstand – der Kaiser bezahlt nochmals die Schulden und er soll Direktor bleiben. Das hat er der Cruvelli zu danken, die mit Fould gut steht.«

»Hören Sie – Barthelemi hat wirklich vom Sultan eine Dose mit Brillanten bekommen für das jämmerliche Gedicht im Constitutionnel: Das Bombardement von Odessa.«

»Ich wünschte, wir hätten den Versemacher hier, um vor Sebastopol die Melodie zu seinem Opus pfeifen zu hören.

[267] Der Moniteur dementirt hier die Nachricht, der Marschall sei zum Generalissimus ernannt. Omer soll in Constantinopel seine Demission für den Fall verlangt haben.«

»Bêtes! – diese türkischen Dickköpfe begreifen nicht einmal die Ehre, unter den Adlern der großen Nation zu fechten!«

In der Ecke des Gemaches, an einem kleinen runden Tische, saß der Lieutenant-Colonel Vicomte de Méricourt mit einem Offizier in Husarenuniform bei einer Flasche Bordeaux. Der Colonel führte sichtlich zerstreut das Gespräch, seine Miene war ernst und nachdenkend, und seine Blicke musterten häufig forschend die Eintretenden, gleich als erwarte er Jemand.

»Graf Branicki,« erzählte der Husarenoffizier, »reist morgen nach Constantinopel ab, um mit dem ersten Dampfer nach Marseille zu gehen. Der Prinz sendet ihn, um dein Bericht des Marschalls das Paroli zu bringen.«

»Ich hörte von den neuen Zwistigkeiten, aber nicht den Grund, Sazé

»Bah, Freund,« lachte der frühere Flaneur, »was wollen Sie noch für einen Grund? Seit der Marschall Constantinopel betreten, zanken sie sich. Der Empfang des Sultans mag ein solcher Grund sein. Der Prinz ist bequem, und der Marschall chicanirt ihn.«

»Aber die Veranlassung der neuen Scene?«

»Der Prinz nahm sich Bosquet's an bei einem Widerspruch und es soll zu sehr anzüglichen Worten gekommen sein. Er kam mit rothem Kopf zurück und ließ selbst das Diner stehen, was bei ihm viel sagen will. Er schloß sich sofort mit dem Grafen ein und die Reise desselben ist das Resultat.«

»Haben Sie Etwas über den heutigen Kriegsrath gehört?«

»Er kann erst jetzt zu Ende sein – offenbar die Expedition von Canrobert und Sir George Brown. Ich fürchtete schon, man hätte Sie mit commandirt.«

»Es gehen nur regulaire Truppen; aber die geringe Zahl ist auffallend.«

»Zwölftausend Mann – Regimenter der Division Bosquet und Engländer.«

»Damit kann man unmöglich einen Angriff gegen Sebastopol wagen?«

»Alle Welt sagt's – es ist ein lautes Geheimniß.«

[268] »Bon jour, Commandant!« grüßte ein hinzutretender Ingenieur-Capitain. »Diantre! ich habe heute Morgen Ihre orientalischen Spahi's exercieren sehen, wie der Marschall unsere metamorphosirten Bozuks benennt, und ich muß Ihnen das Compliment machen, Sie haben Merkwürdiges in den zwei Wochen geleistet.«

»Der Mann, der Ihnen bei Arab-Tabia die Mine sprengte, Capitain Depuis, ist einer meiner besten Unteroffiziere oder On-Baschi's, wie es heißt. Ich verdanke seinem Eifer viel.«

»Ich erinnere mich – ein Mohr – sein Gefährte verunglückte in der Mine. Das ist eine schwarze Krähe unter den Geyern. – Sie werden des Gesindels genug haben füsiliren lassen, ehe sie gehorchen lernten.«

»Sie erinnern mich mit dem Worte an ein trauriges Thema – haben Sie von dem deutschen Arzt gehört?«

»Doctor Welland – mein Reisegefährte von Widdin? – was ist's mit ihm – an der Cholera gestorben? ich hörte eben von Santerre aus dem Bureau des Oberstaabsarztes, daß wir täglich an fünfzig Todte zählen.«

»Die Engländer fünfzig Prozent mehr,« warf ein Capitain der Artillerie ein, der dicht daneben ein Huhn verspeiste. »Eine Schlacht mit den Russen könnte kaum so aufräumen, wie wir in der letzten Woche decimirt worden sind.«

»Schlimmer als das, Depuis – Sie scheinen also nicht zu wissen, daß in diesem Augenblick Kriegsrecht über ihn gehalten wird?«

»Fichtre! Warum? ich komme vor einer Stunde erst von Baltschik, wo ich fünf Tage Gurken mit Hammelfüllsel gefressen.«

»Eine unglückliche Denunciation – man behauptet, er habe in Silistria mit dem Feinde correspondirt – es sollen Briefe mit seiner Adresse aufgefangen sein.«

»Ce serait bien le diable! Ich kann es kaum glauben.«

»Ich auch nicht – ich sah den Mann in seiner Pflichterfüllung und lernte ihn achten. Aber ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen verbündet sich gegen ihn.«

»Wer bildet das Kriegsgericht?«

»Leider die Türken – er steht in türkischem Dienst. Es sind zwar ein französischer und ein englischer Beisitzer zugezogen auf Bestimmung des Marschalls, sonst aber blieb Alles Sali-Pascha überlassen und dieser ist ein eingefleischter Türke.«

»Wer bestimmte den französischen Offizier?«

[269] »Bosquet. Ich bat ihn persönlich, mich zu commandiren, da ich in Silistria gewesen. Aber er schien seltsamer Weise ein Vorurtheil gegen den Angeklagten zu haben, denn als er sein Notizbuch nachgesehen, schlug er es rund ab.«

»Kennen Sie die politische Gesinnung des Deutschen?«

»Wie so?«

»Der General, so heißt es, ist Republikaner.«

»Das sind auch Andere, aber der Arzt ist zu unbedeutend, um irgend politische Antipathieen auf sich gezogen zu haben. Ich weiß nicht, wie. – Endlich, Capitain Morton

Der Engländer, dem dieser Zuruf galt, und dem wir in Silistria schon begegnet sind, war hastig in das Haus getreten und hatte sich suchend umgeschaut. Sein Blick war finster, sein Gesicht zeigte deutlich Aufregung. Er trat hastig zu dem Tisch.

»Nun, Herr Kamerad – welche Nachricht?«

»Er ist verurtheilt und soll morgen früh erschossen werden.« – Er stürzte ein großes Glas Rothwein hinunter. – »Goddam! mein eigenes Zeugniß hat den Ausschlag gegeben.«

»Ich bitte, erzählen Sie!«

»Verdammt! daß ich es sagen muß, aber wir haben dem Doctor den Ankläger selbst zugeführt. – Sie erinnern sich meines Landsmannes, des Baronet Maubridge, Vicomte. Er ist es, der aus einer mir unbekannten Ursache den Mann verfolgt und denuncirt hat. Er hat Briefe übergeben, die unzweifelhaft beweisen, daß eine verrätherische Verbindung aus Silistria mit den Russen unterhalten und der Feind vielfach von dem Zustand der Festung und den beabsichtigten Ausfällen unterrichtet worden ist.«

»Aber das ist noch kein Beweis, daß der Doctor darum gewußt hat. Daß es an Spionen in Varna nicht fehlte, ist eine bekannte Thatsache.«

»Der Baronet behauptet, daß er die Briefe am Abend des 13., – Sie erinnern sich der Minensprengung am andern Tag und des großen Ausfalles, bei dem General Schilder fiel – selbst dem Knaben abgenommen habe, der für Mussa Pascha mehrfach Spionendienste verrichtete. Der Knabe ist entflohen oder befreit worden, – aber Sie wissen, daß er sich während der Anwesenheit in der Festung bei Welland aufhielt.«

»Spione dienen häufig beiden Parteien,« bemerkte Depuis.

»Der Hauptbeweis ist leider ein Brief, der an den Doctor [270] selbst gerichtet und von einem Offizier aus dem Stabe Gortschakoff's unterzeichnet ist. Er spricht ganz klar von einer früheren Befreiung des Schreibers aus türkischer Gefangenschaft durch den Arzt, von einem fortbestehenden Einverständniß, und der Angeklagte hat ihn anerkennen müssen.«

»Der Unglückliche!«

»Er weigert jede nähere Auslassung über das Verhältniß, in dem er zu dem Schreiber steht, betheuert aber mit seinem Ehrenwort, daß er nie eine seine Pflicht verletzende Mittheilung gemacht und daß der Brief auf unbekanntem Wege ihm zugegangen und durch seinen Diener auf der Schwelle seiner Wohnung vorgefunden worden sei.«

»Hat man den Diener befragt?«

»Der junge Mohrenknabe ist seit der Verhaftung seines Herrn verschwunden und nicht aufzufinden. Es wurde leider durch Zeugen bewiesen, daß der Doctor nach seiner Ankunft von Silistria in Varna mit Griechen verkehrt hat, die in gegründetem Verdacht der Verrätherei stehen und von der Polizei des Pascha's verfolgt werden.«

»Aber Ihre eigene Aussage, Capitain?«

»Sie erinnern sich des Wortwechsels mit meinem Landsmann kurz vorher, ehe Mussa-Pascha fiel. Ich mußte zugeben, daß bei dem nächtlichen Ausfall am 28. Mai, als ich Kiriki-Pascha aus dem Getümmel brachte, und die Russen uns überfielen, ein feindlicher Offizier, derselbe, der den Brief geschrieben, den Doctor und mich aus den Händen seiner eigenen Leute befreite und entkommen ließ.

So wäre der Unglückliche wirklich verloren – ich weiß nicht, es sträubt sich ein Gefühl in meinem Innern, an seinen Verrath zu glauben.«

»Dasselbe ist bei mir der Fall. Ich schulde ihm eine Freundlichkeit von Paris, die Rettung in jener Nacht und es grollt mich, daß ich seinem Feinde selbst die Gelegenheit geboten. Ich habe dem Baronet meine Erklärung gemacht und erwarte seine Botschaft.«

»Ich stehe in jeder Beziehung zu Diensten. Wohin hat man den Doctor gebracht?«

»Er wird im Hause Sali-Pascha's gefangen gehalten, nahe an dem großen Magazin. Man hat mir den Zutritt verweigert.«

»Wäre, Canrobert nur hier! – doch er ist bereits nach [271] Baltschick aufgebrochen. Vor Allem müssen wir Aufschub der Vollstreckung erlangen, – eilen Sie Beide zu Ihren Freunden, ich werde den Prinzen für den Unglücklichen zu interessiren suchen.«

»Zum Henker, Kommandant,« sagte eine Stimme neben ihnen, »ich suche Sie seit einer Stunde. Ordre im Dienst!«

»Zu Ihren Diensten, Capitain Marcell!«

»Soll mich freuen, Kommandant, denn ich habe gern brave Kameraden neben mir. Aber sputen Sie sich, unsere Brigade ist die erste. Wir sollen dem Prinzen um zwei Etappen voraus sein und Oberst Bourbacki mit seinen Zuaven ist schon aufgebrochen. Sie wissen, der tolle Afrikaner duldet keine Verspätung. Au revoir unterwegs, Kamerad!«

Der Vicomte hatte unterdeß die Ordre gelesen.

»Heiliger Gott! – ich muß in einer Stunde mit meinen Spahi's auf dem Marsch sein. Der Aermste – Doch halt, Sazé, Sie müssen meine Stelle vertreten und dem Prinzen die Bitte vortragen – es gilt ein Menschenleben.«

»Ich bin zu Ihrer Verfügung und werde thun, was ich vermag.«

»Kommen Sie eilig, Capitain Morton und Depuis begleiten uns; ich muß meine Befehle geben und unterwegs hören Sie das Weitere.«

Sie verließen hastig den Restaurant, doch war es kaum möglich, von dem Tschardak sich durchzudrängen. Die Corsostraße herauf von dem Dewno-Kai her wogte es in dunklem Gedränge – Militairmusik, das donnernde Vive l'empereur! aus tausend kräftigen und durstigen Kehlen. Dann klang es lustig, trotz Staub und Hitze:


As-tu vu

La casquette,

La casquette?

As-tu vu

La casquette

Du père Bugeaud! 2


[272] – das berühmte Marschlied der Zuaven – das erste Bataillon, des dritten Zuaven-Regiments aus Algier, so eben ausgeschifft, rückte in die Festung, um jenseits derselben das Lager zu beziehen.

Das Interesse des Kommandanten wandte sich unwillkürlich dem militairischen Schauspiel der stattlichen Truppe zu, in deren Reihen er selbst seine Sporen verdient, als Lieutenant unter Canrobert bei der Belagerung von Zaatcha und im Aurasgebirge gefochten hatte.

Der Leser erinnert sich, daß der Vicomte am Morgen jenes Tages, an welchem er den Besuch der Fürstin Iwanowna empfing, seinen Abschied eingereicht hatte und daß dieser durch das Verschwinden des jungen Fürsten unnöthig gemacht worden. Bei Beginn des Krieges hatte der Vicomte um seine Versetzung aus dem Stabe des Kaisers zur activen Armee gebeten, und war zum Kommandanten des zweiten Bataillons des dritten Zuaven-Regiments ernannt worden. Verschiedene Kommando's beim Einschiffen der Truppen, nach Silistria und zuletzt zur Organisation der Baschi-Bozuks durch die Generale Yussuf und Beatson, hatten jedoch bis jetzt seinen Eintritt in das Regiment verhindert und er begrüßte es jetzt zum ersten Mal auf türkischem Boden.

Die Stabsmusik voran, das Trommlercorps seinen Marsch schlagend, Gamains von den Straßen der Hauptstadt, denen selbst das freie Leben im Antoine noch zu ruhig gewesen und die den Eltern und Lehrherrn davon gegangen, jetzt dem Stabe des bärtigen riesigen Tambourmajors folgten. Hinter der Musik die vier Marketenderinnen des Bataillons, drei junge frische Frauen mit kecker Grisettenmiene, und eine ältere, den Feß der Zuaven auf dem braunen kurzgeschnittenen Haar, blanke Tressen auf dem coquetten blauen Jäckchen, das lose um die Brust saß, und um den kurzen Rock von gleicher Farbe, unter dem die rothen Beinkleider hervorbauschten, – Jede das bekannte Fäßchen auf dem Rücken, die [273] Freudenspenderin der Soldaten. Und hinter den kecken Dirnen, die so oft im blutigen Schlachtgewühl zwischen Pulverdampf und dem Pfeifen der Kugeln ihren Freunden den letzten Labetrunk gereicht, der Oberst des Regiments mit seinen Adjutanten zu Pferde, die Offiziere, die lange Reihe bärtiger lustiger Gestalten in der kecken Nonchalance der französischen Marschhaltung, den Feß hinten auf das Ohr geschoben, das Gewehr leicht im Arm, den hellblauen Shawl mit unbeschreiblichem Aplomb um die Hüften geschlungen, an der Seite Scheersack und Proviantbeutel, auf den Rücken den Tornister, auf dem, mindestens ein Mal in jedem Zuge, die berühmte Katze kauerte, Mademoiselle Minette, der Liebling und Vorkletterer der Compagnie, der bissige, boshafte, Wache haltende, kleine Teufel, der die Kabylen auf 500 Schritt zu wittern verstand.

Der Vicomte sprang an das Pferd des Obersten, ihn zu begrüßen.

»Willkommen, Kommandant! Ich habe Ihr Bataillon offen gehalten und Sie können eintreten, sobald es morgen uns folgt. Du Moulin führt es unterdeß.«

»Nichts wäre mir lieber, Oberst,« berichtete eilig der Offizier, »aber ich bin noch kommandirt zu General Yussuf und seinen türkischen Spahi's und in einer Stunde marschiren wir nach der Dobrudscha.«

»Fatal! – vielleicht, daß wir Ihnen folgen müssen. Auf Wiedersehen also vor den Russen, Méricourt.«

Dieser trat zurück.

»Bon jour, Commandant! Avez-Vous oublié la petite vivandière de Marseille?« fragte eine freundliche Stimme neben ihm.

Es war die Marketenderin vom Quai der Hafenstadt.

»Nini Bourdon?«

»C'est ça, mon Commandant. Ich sehe, Sie haben meinen Namen behalten. Mein Bruder marschirt in der zweiten Compagnie.«

»Und der arme Irre, Dein Vetter?«

»Er bewacht mein Gepäck im Nachtrab. Au révoir, Monsieur – ich muß in meine Reihe.«

Sie sprang davon. Der Vicomte mit seinen drei Gefährten eilte weiter.

»Merken Sie auf, Sazé, das war die Marketenderin, von [274] her ich Ihnen sprach. Der Mensch, der eine so seltsame Aehnlichkeit mit Fürst Iwan hat, folgt ihr, wie sie sagt. Auf meine Ehre, dort ist er – blicken Sie hin, der blasse Bursche da auf dem Maulthier, ein zweites führend.«

»Wahrhaftig, – die Aehnlichkeit ist erschreckend!«

»Die Zeit drängt – lassen Sie uns eilen.«

»Einen Augenblick noch,« bat Depuis. »Ich höre so eben, daß eine Abtheilung Tunesen und die beiden Amazonen folgen, die in Constantinopel mit ihren Freischaaren Aufsehen gemacht haben.«

»So leben Sie wohl, der Dienst ruft mich. Sie wissen, was zu thun ist und der Himmel möge Ihren Schritten Erfolg geben.«

Der Vicomte drängte davon durch den Menschenstrom, den die Neuigkeit von der Ankunft der Freischaar herbeizog. Die anderen Drei verweilten, um das Schauspiel zu sehen, und den Zug vorüber zu lassen: – zunächst die Mohren von Tunis, die ersten Hilfstruppen, die der Bey gesandt und deren man sich in Constantinopel so bald als möglich entledigt hatte, wilde Gestalten, die Mordlust und Zügellosigkeit in den gelben Augen, auf den schwarzen, braunen und gelben Gesichtern, eine Horde, die die Hölle selbst losgelassen zu haben schien. – Dann das wilde Spiel der Zinke und der Trommel, eine gedrängte Schaar prächtig ausgestatteter Reiter in der bunten albanesischen Tracht, die lange Flinte auf dem Rücken oder die Lanze in der Faust, kühne stolze Gesichter. Und zwischen den bunten Albanesen die finsterblickenden dunkeln Söhne eines andern Welttheils, die Kinder des Ararats: die Kurden, broncefarbene Gesichter und Körper, eine rothe Jacke, welche die sehnichten Arme fast bloß ließ, dunkle Beinkleider bis zum Knie, die hohe Mütze von schwarzem Lammsfell auf dem Kopf, den dunklen Filzmantel um die Schultern, mit Flinte, Yatagan und Lanze bewaffnet.

Vor diesem gemischten seltsamen Haufen zog eine Gruppe her, welche aus drei Personen bestand und die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, die sich bei den Franzosen sofort in mancherlei spöttischen Acclamationen kund gab.

Die Mitte nahm, auf einem Kameel reitend, ein alter schmuziger Derwisch ein, in grauer Kutte mit nackten Beinen, nach der näselnden Manier der Orientalen Sprüche aus dem Koran laut hersagend, während er die Kugeln seines Rosenkranzes mit rapider[275] Schnelligkeit durch die Finger gleiten ließ. Ihm zur Linken ritt die kurdische Prinzessin, deren Fanatismus die Prophezeihung von einer Jungfrau, die das türkische Reich und den Islam erretten werde, in Bewegung gesetzt hatte. Aber die Jungfrau war längst zur runzlichen alten Jungfer geworden, und ihre etwas buckliche Figur und der ziemlich komische Aufzug, in dem sie auf ihrem Pferde saß, erregte das Gelächter der europäischen Truppen. Die reine Jungfrau trug wahrscheinlich in dem Glauben, daß die Russen vor der Holdseligkeit ihres Antlitzes davon laufen würden, dasselbe unverhüllt, schien sich aber gewaltig über die frechen Blicke der Männer zu ärgern, die von allen Seiten auf ihr ruhten. Sie mochte bereits einige fünfzig Jahre zählen, war klein und mager und nie ohne ihren Adjutanten, den alten schmuzigen Derwisch, zu sehen. Später, da sie allerlei Ansprüche machte und den türkischen Behörden lästig zu werden begann, schoben diese sie bei Seite, ja, man erzählt, daß Omer Pascha die alte Närrin ohne Weiteres auf ein Schiff packen und in Trapezunt an's Land setzen ließ, ihre rüstigen Krieger aber weislich unter seiner Reiterei behielt.

Ein höheres Interesse fesselte die Zuschauer jedoch an die dritte Figur der Gruppe, die geheimnißvolle Reiterin, von der Capitain Ducru erzählt. Ihre Figur war schlank und ebenmäßig und saß fest und sicher im Sattel, nicht hockend und plump, wie die türkischen Frauen gewöhnlich zu reiten pflegen. Ein Yaschmak von feiner schwarzer Spitzengaze verhüllte zwar ihr Gesicht nach muselmännischer Sitte, doch wies der sichtbare Theil der Nase und Stirn und das feuersprühende, dämonisch dunkle Auge, daß die Fremde jung und schön sein mußte. Sie führte mit sicherer Hand das feurige arabische Roß, das sie ritt; ein halb offenes Oberkleid von braunem Tuch mit dunklem Pelz besetzt und weite Beinkleider, von gleichfarbiger Seide bis auf die zierlichen Knöchel herabfallend, bildeten ihren Anzug. Ein reich verzierter Säbel hing an ihrer Seite, Pistolen waren in ihrem breiten Shawlgürtel.

An der Seite des Pferdes schritt unbekümmert um das Menschengewühl ein großer Molosserhund.

Das spöttische Gelächter, der höhnende Zuruf, der zuerst ihre beiden Gefährten begrüßt hatte, verstummte, als sich Aller Augen auf die dunkle Reiterin wandten. Bald murmelte es durch die Menge: »La Vengeresse! la Vengeresse!« und je weniger die Zuschauer von der Benennung verstanden, desto höher schwoll das [276] Interesse daran und brach alsbald in einen stürmischen Hurrahruf aus.

Die Türkin schien mit derselben Gleichgültigkeit und Verachtung auf die Beifallrufenden zu schauen, mit der sie vorhin ihren Hohn und Spott aufgenommen. Plötzlich aber zuckte es wie ein electrischer Funke durch ihren ganzen Körper. Sie preßte ihrem Roß die scharfen Spitzen der Bügel in die Flanken, daß es sich hoch bäumte, drehte es sicher auf den Hinterbeinen um und setzte mit einem Sprung auf die Menschenmauer zu, die erschrocken auseinander stob.

Das Pferd mit seiner wilden Reiterin hielt dicht vor zwei Armeniern, die in ihre weiten schwarzen Talare gehüllt, das Barett tief in die von dunklen Bärten halb verdeckten Gesichter gedrückt, zuschauend unter der Menge gestanden. Mit einem seltsamen Gemisch von Entsetzen und Aufregung blickte der Jüngere auf die Amazone, während der Aeltere ihn fortzuziehen sich bestrebte.

Nur einen Augenblick dauerte die Scene. Das Weib auf dem Pferde hob wie warnend die Hand und sagte langsam und deutlich: »Die Reihe ist an Dir, hüte Dich, Nicolas Caraiskakis!« und im nächsten Moment schon lenkte sie ruhig zurück in die Reihe und ritt weiter, gleich als sei Nichts geschehen und als habe ihr Roß nur durch Zufall gescheut, und der Menschenstrom schloß sich alsbald wieder um sie her.

Die Hand des ältern Armeniers aber zog den Erkannten mit sich fort aus dem Gedräng in die nächste enge Quergasse, durch einen kaum mannesbreiten Durchgang, und weiter, bis sie in die Griechenstadt kamen und zu der halbverfallenen Mauer eines Hofes. Auf ein eigenthümliches Klopfen wurde die Thür von Innen geöffnet und Beide traten in den engen Hof, aus dem sie durch einen langen Gang in das von der Straße gleichfalls durch Mauer und Thor abgesonderte Vorderhaus gelangten.

In einem Gemach zu ebener Erde, das an den Fenstern stark vergittert war, hielt endlich der Aeltere an und wandte sich zu dem Mann, der ihm geöffnet.

»Rufe Geurgios und wer sonst von den Brüdern im Hause ist.«

Dann, während der Diener sich entfernte, wandte er sich an seinen Gefährten.

»Das Weib erkannte Dich trotz der Verkleidung. Wer ist sie?«

»Fatinitza – die Wölfin von Skadar – die Tochter Selim-Bey's, des verstorbenen Pascha's von Skadar.«

[277] »Ich habe von dem Knaben Mauro Manches gehört von dem Character dieser Frau und Deinem Verhältniß zu ihr, während Dein Mund gegen den eigenen Bruder verschlossen blieb. Du hast sie zu fürchten?«

»Sie hat mir Verderben geschworen – in der Kula von Protopapas.«

»Sie möge ihre Macht probiren, – ehe die Sonne aufgeht über den Golf, wirst Du auf den Wellen des Mavri-Thalassa 3 schwimmen.«

Er legte das Barett, die falsche Haartour mit den langgewickelten dunklen Locken und den Bart ab, – es war Gregor Caraiskakis, der mit dem Bruder gesprochen.

Zugleich traten Geurgios der Fanariot und zwei andere Griechen in das Zimmer mit dem Knaben Mauro.

»Ist Nursah in seinem Gemach?«

Der Knabe bejahte.

»Der Bursche hängt mit Fanatismus an seinem Herrn und hat gedroht, Alles zu verrathen, ehe er ihn in Gefahr ließe. Die Nachricht, daß der Doctor verurtheilt ist und morgen erschossen werden soll, muß ihm verborgen bleiben.«

Es klang wie ein leiser Schrei durch das Gemach, und Caraiskakis blickte sich um, aber es war Nichts.

»Die Zeit des Handelns für uns ist gekommen. Höhere und wichtigere Interessen haben mich gezwungen, den Freund in die Gefahr zu bringen, die ihn jetzt bedroht. Fluch diesem Inglis, der ihn und uns verrathen. Meine Pflicht ist es jetzt, ihn zu retten und sei es mit meinem Blute.«

»Was gedenkst Du zu thun?« fragte Geurgios.

»Zuerst die Interessen unsers Glaubens und unsers Vaterlandes. Ich bringe schlimme Botschaft: Hadji Petros ist von Fuad, Zeinel-Pascha und Abdi geschlagen worden. Der General stand mit 4000 tapfern Hellenen bei Kalambaka, – Zacco und Katarachia deckten die uneinnehmbaren Pässe von Syrakos. Da sandten die Franken ihre Commissare zu Zacco und der Verräther gab ihren Lockungen und Versprechungen nach und räumte die Schanzen. Am andern Tage standen die Moslems vor Kalambaka. Hadji vertheidigte es mit viertausend Getreuen fünf Stunden lang gegen[278] Eilftausend, – kaum daß er verwundet selbst dem Gemetzel entkam. Sechshundert Christenköpfe schickten die Paschas auf Pferden nach Larissa 4. Das Kreuz ist in Thessalien gefallen, wie es im Epirus fiel!«

»Und der König? – die Königin?«

»Sie liegen in den Banden der Franzosen und Engländer. Ihre Soldaten, stehen im Pyräus, ihre Schiffe kreuzen vor unsern Häfen und durchsuchen unsere Fahrzeuge. Spiro Milios ist arretirt und mach Napolis gebracht, weil er dem Schurken Kalergis und den fränkischen Schergen nicht Rechenschaft geben wollte, woher das Geld ihm gekommen, mit dem er unsere Brüder besoldet. Kalergis und Maurocordato rütteln am Thron, die Macht ist in ihren Händen, unsere Freunde werden in den Kerker geworfen, der König, bis Königin werden offen beschimpft und verhöhnt, unsere Presse ist unterdrückt und der britische und der französische Gesandte gebieten an der Akropolis.«

»Christen gegen Christen! Fluch ihnen, die uns bei Navarin geködert, nachdem unsere eigene Kraft die Fesseln gebrochen hatte.«

Ein trauriges Schweigen folgte den Mittheilungen. Gregor nahm zuerst wieder das Wort.

»Das Unglück darf uns nicht entmuthigen, – wir sind Kinder des Schmerzes und mit dem Kampf gegen die Tyrannei großgesäugt. Unsere Hoffnung richtet sich nach Norden, und ob Ströme von Blut fließen, die Söhne der Hetärie, die Kinder der Elpis werden nicht ermüden in dem Kampf. In dem heutigen Kriegsrath unserer Bedrücker, denn der Franzose und der Engländer sind jetzt so gut der Feind unsers Volkes und Glaubens wie der Moslem selbst – ist Wichtiges beschlossen worden. General Epinasse mit drei Divisionen wird einen Zug nach der Dobrudscha unternehmen. Die Führer sind außer ihm der Araber Yussuf, General Bosquet und der Prinz selbst. General Lüders muß sofort durch einen Boten benachrichtigt werden, denn ein Theil der Truppen ist bereits auf dem Marsch.«

»Mauro soll sich bereit machen.«

»Die Flotte segelt morgen ab, 12 Linienschiffe und 6 Fregatten. Sie wird in Baltschik anlegen, um den General Canrobert und Sir George Brown einzuschiffen.«

[279] »Aber das Geheimniß ihrer Bestimmung – so gilt es wirklich Sebastopol? und der Fürst, der sich auf uns verlassen, hat keine Nachricht?!«

Gregor nahm die Hand seines Bruders:

»Er wird sie ihm bringen und so zugleich diese Stadt verlassen, in der die Ankunft eines Dämons in Frauengestalt ihm Verderben droht. Die Flotte ist nicht, obschon dies allgemein verbreitet wird, zu einer Expedition gegen Sebastopol oder Balaclawa bestimmt, sondern wird nur eine Recognoscirung des Ufers vornehmen und die russischen Schiffe herauszulocken suchen, indem man sich den Anschein giebt, in Balaclawa landen zu wollen. Sie geht an die Küsten von Colchis mit Munition und Waffen für die Bergbewohner.«

»Wie wird Dein Bruder nach Sebastopol gelangen?«

»Die smyrniotische Felucke ›Maria‹ liegt auf der Rhede mit englischer Ladung für Batum, bereit, jeden Augenblick in See zu gehen. Capitano Felicio hat bis diesen Abend gezögert, die Pässe zu holen. Er wird bis Mitternacht in der Stadt verweilen – Nicolas kennt den Ort, wo er uns erwarten wird; er und der deutsche Arzt werden ihn in der Kleidung von Galiandschi's begleiten. Die Felucke wird vierundzwanzig Stunden vor der Flotte das Cap Aya passiren. Nicolas versteht mit einem Boote umzugehen, und wird mit einem solchen die Küste erreichen.«

»Der Weg ist sicher,« meinte Geurgios. »Welche Aussicht hast Du, den Franken zu retten?«

»Der Schlag, den wir erst in drei Tagen zu führen gedachten, muß schon in dieser Nacht erfolgen. Vor Mitternacht muß das französische Arsenal und das große Lazareth in Flammen stehen, und möge diese Brandfackel das Verderben des Halbmonds und seiner Freunde beleuchten.«

»Aber die Unsern sind noch nicht bereit – die Brander nicht fertig.«

»Wir haben sechs Stunden Zeit, darin läßt sich der Untergang von ganz Varna bereiten. Ich will es an allen Ecken anzünden, ehe ich zugebe, daß der Freund ihr Opfer wird.«

»Und Dein Plan, ihn aus dem Konak des Pascha's zu befreien?«

»Wir wissen durch Vaso – Vassili, wie er im Dienst des Pascha's heißt, – daß er in demselben Seitenflügel des zweiten [280] Hofes gefangen gehalten wird, den der Inglese mit dem griechischen Mädchen bewohnt. Wir werden Eingang finden zu ihnen, ich und mein Bruder, das Wie? und Warum? kümmert Euch nicht, es ist eine Rechnung unter mir und dem Briten. Wenn die Flammen des Arsenals in den Nachthimmel emporschlagen, wird der Konak lebendig werden, und Alles zu dem nahen Feuer strömen. In der Verwirrung wird es uns leicht sein, den Gefangenen zu befreien und mit ihm bis in die Khandschia am Hafen zu gelangen, in der uns der Capitano erwartet. Die Thore der Wasserseite bleiben wegen der Flotte die ganze Nacht geöffnet. – Ist Jussuf, der Mohr, hier gewesen?«

»Vor kaum einer halben Stunde, um Abschied zu nehmen von dem Bruder. Die türkischen Spahi's, wie diese Franken die Räuberschaar genannt haben, verlassen die Stadt.«

»Ich, weiß es – und nun an unsere Geschäfte. Die Heiligen mögen uns schützen.«

Fußnoten

1 Der damalige Unternehmer der großen Oper.

2 Seit 1844 das Lieblingslied dieses eigenthümlichen und berühmten Corps. Sein Ursprung schreibt sich von folgender Anecdote: In einer Nacht überfielen die regulairen Truppen Abdl-Kaders das Lager des Marschalls Bugeaud und waren mitten darin, ehe die erstaunten Soldaten die Gefahr ahnten. Die Offiziere mußten sie mit ihrem Beispiel ermuntern. Der Marschall war einer der Ersten auf dem Platz und tödtete mit eigener Hand zwei Feinde. Bald war die Ordnung wieder hergestellt, die Zuaven, welche dies eine Mal so schlechte Wache gehalten, sammelten sich, rückten an und verjagten den Feind. Nach beendigter Schlacht bemerkte der Marschall bei der Helle der Bivouacfeuer, daß Alle, die ihn ansahen, verstohlen lachten. Er fährt mit der Hand nach seinem Kopf und findet diesen mit einer solennen – Nachtmütze bedeckt. Als er hierauf nach seiner Feldmütze ruft, erheben sich tausend Stimmen und schreien nach der Mütze des Marschalls. Am andern Morgen circulirte bereits das Lied und hat sich seitdem bei dem Corps erhalten.

3 Neugriechische Benennung des Schwarzen Meeres.

4 Historisch!

4. Im Tabun
Im Tabun.

Die Erdhütte des Tabuntschik bildete ein geräumiges Gemach mit zwei Ausgängen, deren einer auf mehreren Stufen hinauf in's Freie führte, während die zweite Thür nach einem anschließenden Vorrathsraum ging. Die Wände, von in der Sonne getrockneten Lehmsteinen aufgemauert, waren mit Wolfs- und Pferdehäuten bekleidet und mit einer Unzahl von bunten Heiligenbildern der schlechtesten Qualität beklebt. In einer Ecke brannte vor einer mit allerlei Flitterwerk ausstaffirten grobgeschnitzten und bemalten Holzfigur der Jungfrau mit dem Christuskinde und darunter vor dem Bilde des Schutzheiligen des Besitzers, eine Lampe. Grüne Zweige von Ginster und Wermuth waren an den Wänden aufgesteckt, Binsen deckten den Fußboden.

Die Gesellschaft der Reisenden hatte beschlossen, die Nacht in dem Tabun zuzubringen und mit der erwachenden Sonne, wenn die Steppe abgekühlt und jede Gefahr beseitigt war, ihre Reise fortzusetzen. Der Tabuntschik hatte es übernommen, nach der verlassenen [281] Telege der Polen zu sehen und dieselbe, wenn das Feuer sie nicht verzehrt, nach der Zufluchtsstätte holen zu lassen.

Die eben überstandene Gefahr warf noch ihre Schatten über die Geretteten. Das furchtbare Ende des jungen Postillous, der zerschmettert mit den beiden Pferden auf dem Grunde der tiefen Schlucht gefunden worden, hatte ihnen das Schicksal gezeigt, dem sie so leicht ohne den Schutz des Höchsten und die Aufmerksamkeit des Menoniten verfallen gewesen wären.

An dem Heerd in einem Winkel des Gemaches brodelte der Theekessel, dieses Labsal der Russen. Die beiden Damen saßen auf einem von den getrockneten Gräsern der Steppe und Thierhäuten gebildeten Lager, unfern von ihnen die Dienerin, während die Männer um einen roh zusammengezimmerten Tisch, als Bänken sitzend, von den Kriegsereignissen sprachen.

Am Feuer selbst kauerte der greise Tabuntschick, den brodelnden Kessel beachtend. Der Reisevorrath des Obersten hatte Rum und die nöthigen Ingredienzien des Mahles hergegeben, dessen Hauptbestandtheil ein vom Tabuntschik gekaufter Hammel bildete, von dem der größere Theil den Dienern und Kosacken überlassen worden war.

»Der Fürst-Gouverneur,« erzählte der junge Fürst Iwan, »hatte mich in die Steppe beordert, um an Hetman Kassalap die Aufforderung zum Sammeln der irregulairen Esotnieen zu überbringen. Ich war auf der Rückkehr und hatte in Uroczczerna den Lieutenant Potemkin getroffen. Wir verweilten auf der Colonie der Eltern jenes braven Menoniten, als die Gefahr der Heuschrecken ihre Felder bedrohte und man mit den gewöhnlichen Mitteln des Rauchs sie verscheuchte. Ich weiß nicht, ob hierbei durch Unvorsichtigkeit die Steppe in Brand ging.«

»Verzeih' Bruder,« bemerkte der Menonit, »das Feuer kam von der Küste her und brannte bereits seit gestern.«

»Gut! Die wackern Landleute hatten ihre Felder durch Aufwerfen von Gräben gesichert. Noch ehe die Gefahr uns so nahe, kamen die zwei Kosacken in die Colonie und erzählten von der Noth, worin die treulosen Jämschtschiks die polnische Dame gelassen. Die Ritterpflicht erforderte, ihr zu Hilfe zu kommen, und so machten wir uns auf den Weg durch das Feuer. Hesekiah führte uns.«

»Wir danken Ihren Bemühungen unsere Rettung,« sagte der Oberst.

[282] »Weniger uns, als den zweckmäßigen Maßregeln Ihrer Kosacken und dieses Roßhirten. Iwan Oczakoff, Väterchen, wird stets bereit sein, Dir seinen Dank zu beweisen.«

Der Tabuntschick, der sinnend in das Feuer gestarrt, wandte forschend seine Augen auf ihn:

»Du bist ein Oczakoff?«

»So ist es, Väterchen. Mein Vater war der Gouverneur von Kasan. Meine Mutter, eine Fürstin Wolkonski. Kennst Du meine Familie?«

»Ich habe gehört von ihr, denn der Wolkonski Güter liegen zum Theil in Taurien.«

»Schloß Aya an den von Myrthen und Orangen bekleideten Felsenküsten der Yalta ist mein Erbe. Meine Schwester weilt dort und ich hoffe, Oberst, daß, wenn Sie die Luft und die Milde des Südens genießen wollen, Sie über meine Besitzungen verfügen werden.«

»Ein echtes russisches Blut,« murmelte der Roßhirt. »Deine Mutter, Fürst, lebt sie noch?«

»Sie starb bei unserer Geburt. Iwanowna und ich sind Zwillingskinder.«

Der Tabuntschik schlug ein Kreuz:

»Die Heiligen seien ihr gnädig. Deine Mutter, Fürst, hatte drei Oheime, Brüder ihrer Mutter.«

Der junge Mann sah ihn mißtrauisch an.

»Wenn Du ihre Namen weißt, kennst Du auch ihre Schuld und ihr Schicksal. Sie sind todt.«

»Alle Drei – auch der Jüngste?«

»Ja!«

Der alte Tabuntschik versank in Schweigen, dann erhob er sich und ging hinaus; bald darauf folgte ihm der Menonit.

Der junge Fürst saß, den Arm auf den Tisch gestützt, in Nachdenken.

»Die Erinnerung an Deine Familie hat Dich betrübt, Fürst Iwan,« sagte der junge Artillerie-Offizier. »Was vergangen ist, ist vergangen.«

»Ich dachte der Thränen, die meine sanfte Mutter oft über den Fluch der grausen That geweint, die auf ihrer Familie lastet, Sie wissen wahrscheinlich, daß meine Großmutter eine geborene Fürstin Zuboff war.«

»Was kümmert uns die Vergangenheit,« meinte der Oberst. [283] »zwei Menschenalter liegen dazwischen und zwei Kaiser haben verziehen. Lassen Sie uns diese Damen bitten, jetzt an unserm Mahle Theil zu nehmen und den Thee zu bereiten.«

Die Damen erhoben sich und nahmen Platz, die Bojarenfrau, die ihre Verwirrung über die Erkennungsscene bereits überwunden und bemüht war, die etwaige Eifersucht des Obersten zu zerstreuen, konnte sich trotzdem nicht enthalten, nach dem Fürsten zu kokettiren.

»Ich habe Sie noch gar nicht gefragt, Furst Iwan, woher Sie Madame Bibesco kennen?«

»Ich hatte die Ehre, ihr in Bukarest vorgestellt zu werden.«

Ein Blick der schönen Bojarenfrau hatte ihm Vorsicht geboten.

Aber Graf Wassilkowitsch hatte den Blick gleichfalls aufgefangen und begriffen, daß irgend ein ihm noch unbekannter Bezug zwischen diesen beiden Personen bestehen mußte. Die ihm nächstliegende Erinnerung war Paris und der Cyniker lächelte, weit entfernt, eine Eifersucht zu fühlen oder zu verrathen, spöttisch, als er den Jüngling betrachtete. Es lag in seinen Plänen, ihn sich unterthan zu machen und ihn zu umstricken.

Während der Artillerist die beiden Damen unterhielt, nahm er die Gelegenheit wahr, mit dem Fürsten allein sich zu besprechen.

»Wissen Sie, Fürst, wem ich diesen gebrochenen Arm, eine gebrochene Rippe und diese Narben am Kopfe verdanke?« fragte der Graf. »Ihrem Freunde, dem Vicomte, dem ich auf den Wällen von Silistria begegnete, als der tolle Selwan uns zum Angriff führte.«

Eine dunkle Röthe färbte das schöne Antlitz des jungen Mannes.

»Blieb der Vicomte unverletzt?« fragte er hastig.

»Daß ihn der Teufel hole – ich ließ auf ihn schießen, aber der Bursche schien gefeyt gegen unsere Kugeln, und eh' ich ihm selbst zu Leibe konnte, lag ich unten im Graben, von seiner Hand hinuntergestürzt. So viel wissen wir jetzt, daß wir ihn in den Reihen unserer Feinde uns gegenüber haben. Wir können das gestörte Duell jetzt hoffentlich auf dem Schlachtfelde nachholen. Vielleicht befreit uns die Cholera oder eine Kugel von dem Schleicher und Verräther.«

Die dunkle Röthe lag noch immer auf der Stirn des jungen Mannes, um seinen Mund zuckte es wie zu einer bittern Antwort, doch bezwang er sich.

[284] »Ich glaube, Sie thun dem Vicomte Unrecht, Graf.«

»Den Teufel auch! Ein Offizier und Edelmann darf, auch wenn er der Anbeter einer Dame ist, sich nicht zum Klätscher und Spion herabwürdigen. Er hat Ihre Liebschaft in der Straße Saint Josef an die Fürstin, Ihre Schwester, und wer weiß an wen sonst verrathen. A propos! was haben Sie bei der schnellen Abreise mit der kleinen Grisette angefangen? Die Sache schien Ihnen wahrhaftig Ernst und die Kleine war hübsch. Sie würde Unterhaltung während des Feldzugs gewährt haben.«

Hätte er in diesem Augenblick das Gesicht des jungen Mannes schärfer beobachten können, als es der dunkle Schein der Lampe im Tabun zuließ, so würde er das Zucken des Mundes, das scharfe Aufhorchen des schönen Gesichts bemerkt haben.

»Ich weiß nicht, was aus ihr geworden,« sagte derselbe schüchtern.

»Ich erkundigte mich aus Interesse für Sie nach Ihrer erzwungenen raschen Abreise nach dem Mädchen.«

»Bitte, Graf, theilen Sie mir Alles mit, was Sie wissen.«

»Es ist wenig und selbst das Wenige Ihnen schwerlich angenehm.« Indeß, Fürst, ein junger Mann von Welt muß auf dem Gebiet der Liebe seine Erfahrungen machen. Diese pariser Frauenzimmer sind geborene Coquetten. Was ich gehört, ist übrigens eine Art pikantes Abenteuer. Sie erinnern sich, daß am Abend Ihrer Abreise ein Attentat auf den Kaiser Napoleon vor der komischen Oper verübt wurde; schade, daß es nicht gelang, die Frazosen hätten dann schwerlich ihre Finger in unsere Angelegenheiten gesteckt. Die Polizei war auf den Beinen und verhaftete mehrere Personen. Es scheint, daß sie die Flüchtigen bis in die Straße Saint Josef verfolgt und dort Haussuchungen gehalten hat. Mein fränzösischer Kammerdiener berichtete mir, daß dies auch bei Mademoiselle Nini geschehen und daß man zwei Männer dort gefunden, von denen der Eine der Liebhaber der Grisette war, der sie eben zum Ball führen wollte, der Andere der eingedrungene Mensch, den man als Theilnehmer an dem Attentat verhaftete.

»Und der Liebhaber des Mädchens?«

»Ah, Sie sind eifersüchtig, Fürst, gewöhnen Sie sich den Fehler bei Zeiten ab. – Der Liebhaber hat Ihre kleine Flamme zum Mabille oder in den Jardin des fleurs geführt – am andern Tage aber war Mademoiselle Nini spurlos verschwunden und hatte selbst ihre elegante Einrichtung im Stich gelassen. Da ich[285] keine Indiscretion mehr begehen konnte, ging ich selbst hin und beschaute sie mir. Ich mache Ihnen mein Compliment über Ihren Geschmack.«

»Wo können sie hin sein – wer war der Liebhaber? – wer – –«

Der junge Mann brachte nur mühsam die Worte heraus.

»Ja, das wissen die Götter, Fürst. Meine Meinung ist, das Mädchen hat gesehen, daß nach der Scene mit der Polizei die Doppelrolle, die sie gegen Sie gespielt, zu Ihrer Kenntniß kommen würde, und hat Ihren Rivalen vorgezogen.«

Fürst Iwan wandte sich ab. Seine Hände rangen krampfhaft in einander, seine Lippen preßten sich. Unhörbar für den Andern tönten die Worte aus seinem Munde:

»Wiederum jede Spur verloren!«

Der Oberst wandte sich auf's Neue zu ihm:

»Es wird gut sein, Freund, wenn Sie der Fürstin, Ihrer Schwester, Nichts von der Anwesenheit des Franzosen in Silistria sagen wollen. Die tendre Inclination wird hoffentlich im Nationalgefühl längst untergegangen sein. Befindet sich die Fürstin noch immer auf Ihrem Schlosse an der Yalta und darf ich zu ihrer Herstellung gratuliren?«

»Meine Schwester, Graf, ist allerdings noch dort, zwar wiederhergestellt, aber noch so leidend, daß sie die Einsamkeit vorzieht und nur wenig Besuche erhält. Doch das Schloß ist weitläuftig, der Theil, den meine Schwester bewohnt, auf einem abgesonderten Felsen erbaut und ich wiederhole daher meine Einladung.«

»Aber was soll ich mit Madame Bibesco anfangen? Wir Männer unter uns machen allerdings aus solchen Verhältnissen Nichts, doch ich kann sie unmöglich mit in's Schloß zur Fürstin nehmen.«

Der junge Fürst war leicht erröthet.

»Ich habe das bedacht,« sagte er mit einiger Verlegenheit und einem Blick auf die Französin, »allein ich hoffe, es wird sich machen lassen, und ich darf Sie Ihrer schönen Pflegerin nicht berauben. Ich werde meiner Schwester sagen, daß Madame Bibesco als eine Anhängerin unserer Sache aus Bukarest vor den Türken geflüchtet ist und auf meine Einladung nach Schloß Aya kommt.«

»Sie sind sehr galant, Fürst, und ich nehme es dankbar an, [286] verspreche Ihnen auch, so wenig eifersüchtig als möglich zu sein. Doch wenn wir noch einige Stunden Ruhe genießen wollen, so ist es die höchste Zeit, an unser Lager zu denken. Ich werde die Nacht in meinem Wagen zubringen und für Sie und den Lieutenant ist Raum in jener Kammer. Lassen Sie uns die Diener rufen.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Während die vornehmen Mitglieder der Gesellschaft in dieser Weise ihre Nachtruhe bereiteten, saß am andern Ende des Tabuntschiks im Schatten einer jener kleinen Mogilen, die gleich Maulwurfshügeln an tausend Stellen aus den Ebenen des südlich en Rußlands auftauchen, der alte Kosackenhäuptling mit seinen sechs Enkeln. Sie hatten eine Grube in den Boden gegraben, diese mit Steinen ausgelegt, Feuer darin gemacht und zwischen die erhitzen Platten dann die vordere Hälfte des Hammels gelegt, die ihnen überlassen worden. Auf den Befehl des Obersten hatte sein Leibdiener ihnen eine Flasche Rum gegeben, und sie hatten so eben ihr Mahl unter sich, abgesondert von den Hirten, beendet.

Der greise Kosack saß, den Kopf auf die Hand gestützt und aus einer alten silberbeschlagenen Reiterpfeife von Meerschaum rauchend, die er vor vierzig Jahren aus Deutschland mit zurückgebracht, in Gedanken versunken am obern Ende des Kreises, den seine Enkel bildeten. Selbst sein Liebling Olis, der neben ihm kauerte, wagte nicht, ihn darin zu stören. Nur flüsternd tauschten die Brüder und Vettern ihre Meinung aus.

»Die Heiligen seien ihm gnädig,« murmelte Wassili zu seinem Nachbar, »ich glaube, der böse Geist nimmt wieder Besitz von ihm, her über ihn kommt beim Neumond von seiner schlimmen Wunde her.«

»Schweig still,« gebot Wanka, »Du siehst, Djeduschka will reden.«

In der That erhob der greise Kosack das Haupt, dessen weiße Haare der bleiche Mondschein versilberte und schaute mit verstörten Blicken auf die Gruppe umher. Die breite Narbe, die zerfetzend quer über das Gesicht lief, verlängerte sich bis über den rechten Vorderschädel hin, und ihr rother Streif war deutlich sichtbar. Das eine Auge des Greises schien jeden Einzelnen der Gruppe zu durchbohren und starrte dann unheimlich hinaus in's Weite.

»Gieb Acht, Alexei,« flüsterte sein Bruder, »jetzt erzählt er uns eine der seltsamen Geschichten, die ihm in seinem langen Leben [287] begegnet – von dem Franzosenkrieg oder den Fahrten nach dem kalten Lande am Eispol, wo mitten im Sommer der Hauch des Mundes gefriert; von der schönen Czarin selbst oder von den Zügen gegen die Moslems, da unsere Väter jung waren. Wenn der Geist über ihn kommt, pflegt er es zu thun.«

Ein kräftiger Rippenstoß des Nebensitzenden brachte den Schwätzer Demetri zum Schweigen. Der Alte hatte den Mund geöffnet – er schien eine eintönige Melodie vor sich hin zu summen. Dann begann er plötzlich zu sprechen, Niemand wußte, ob zu den Söhnen, oder in's Unbestimmte hinaus zu unsichtbaren Gestalten.

»Ströme von Blut, – Ströme von Blut, heilige Jungfrau von Kasan! Fürbitterin der Söhne aus Ruriks Stamm, barmherzige Mutter Gottes, wende das Unheil ab vom heiligen Rußland. Ich sehe die Ströme des Landes und das weite Thor der Gewässer, die Gott der Herr mit Salz getränkt, roth schimmernd von Feuer und Blut. Mein Ohr hört ein Rollen und Getöse, mächtiger als das Krachen Deiner Donner in den Bergen, und die Erde hat sich aufgethan und speit die Schrecken der Hölle aus. Heiliges Rußland, heiliges Rußland, erwache und rüste Dich gegen die Legion Deiner Feinde!«

Nach einer kurzen Pause begann der Unkensang des Greises auf's Neue, während die jungen Männer stumm und befangen auf jedes seiner Worte horchten.

»Wehe mir, daß ich zum zweiten Mal das Gericht über Dich erleben muß, heiliges Rußland! Wohl erinnere ich mich aus den Tagen, da ich ein Mann ward, wie diese Narbe brannte im Mondlicht und ich vor mir sah die Schrecken, die da kommen sollten – die weiten Schlachtfelder und die Schneegefilde, bedeckt mit den starren Leichen, und wie die Flammen hoch emporschlugen aus der Stadt des heiligen Iwan. Und wie ich's gesehen, so kam's! Blut tränkte die russische Erde und des Franken Roß trank aus dem Weihkessel unserer Kirchen. Aber der Herr wandte sein Angesicht gnädig wieder zu unserm Volk und die Gebeine der Feinde bleichen auf den Feldern Rußlands.«

Schweigen lag rings umher auf der weiten Steppe, der weiße Mondstrahl sog und lastete auf dem kahlen Schädel des Alten – sie sahen es nicht, wie hinter ihnen an der Mogile, dem alten Heidengrab, langsam ein Schatten emporstieg.

»Was kommen muß, wird kommen,« fuhr der Alte fort, [288] »Blut und Tod, Schrecken und Verderben. Drei von den Söhnen deckt das Grab, aber Einer lebt noch von seinem Saamen – und der Todesschrei des gemordeten Vaters gellt in seinen Ohren. Er war ein Kind, als sich die Mörderhand gegen das geheiligte Haupt des Czaren erhob, aber der Fluch will sein Recht und trifft die Schuldlosen wie die Schuldigen. Und also wird sich's erfüllen, bis ein gekröntes Haupt sich selbst zum Opfer gebracht für das blutige Vaterland, das seinen Vater gemordet hat.«

Der Greis ließ sein Haupt sinken und barg es in die Hände. Als er es nach einiger Zeit erhob und im Kreise der stummen Enkel umherschaute, halte sein Auge, wiewohl noch immer traurig und finster, doch den unheimlichen Ausdruck der Geistesstörung verloren. Er sammelte sich einige Augenblicke und begann dann auf's Neue die Rede.

»Ich habe Euch eine Geschichte zu erzählen und Ihr selbst sollt das Urtheil fällen. Ost, als Ihr noch auf meinen Knieen schaukeltet oder ich Euch reiten ließ auf meinem Sattelknopf vor mir über die Haide, legtet Ihr Eure kleinen Finger an diese Narbe und frugt mich, woher sie gekommen, daß die Männer der Stämme mich Iwan den Einäugigen oder den Steppenteufel heißen. Ihr sollt jetzt erfahren, wem ich dies Zeichen danke, das mich begleiten wird in's Grab.

Ich war ein junger Mann, schlank und glatt wie Ihr, wenn ich auch mehr schon erfahren, denn als Knabe schon war ich den Fahnen des großen Hetmann Suwarow gefolgt, in das Land, das sie Italien nennen. Wenn der General erwachte, stellte er sich vor sein Zelt und krähte gleich dem Hahn, seine Krieger zu wecken, aber die Krieger hielten fest zu ihm und vollbrachten manche große That unter seiner Führung.

Der General hatte mich dem jungen Czaren gegeben, dem Sohn der großen Katharina, da er noch Großfürst war, und ich kam mit ihm von Schlüsselburg nach dem Winterpalast in der Nacht, da die Kaiserin starb, und wurde einer seiner Leibkosacken. Der Czar Paul war ein wunderlicher Herr, bald gerecht und gut, bald aufbrausend und jähzornig; aber mir war er ein Wohlthäter und ich war sein getreuer Knecht. Gegen die Vornehmen war der Czar hart und streng, und vergalt ihnen das Leid, das sie über den Armen brachten, dessen Leib und Seele ihnen gehört, d'rum [289] ward er gehaßt von ihnen bis auf's Blut. Aber das Volk liebte den Czaren.

Es war im Michaelspalast, am Abend des 23. März im Jahre Gottes achtzehnhundertundeins – vor länger als dreiundfünfzig Jahren. Ich zählte damals zweiundzwanzig Jahre und war ein Liebling des Herrn. Ich hatte an dem Abend die Wache im Vorzimmer seines Schlafgemachs, und der Czar, der seine Feinde unter den Fürsten und Grafen fürchtete, vertraute auf uns gemeine Leute. Der Nordwind pfiff draußen um den Palast und ich stand mit blankem Säbel auf meinem Posten, als der Czar aus seinem Gemach kam, die Wachskerze in der Hand, und mir in's Gesicht leuchtete.«

›Bist Du es, Iwan?‹ sagte der Herr, ›wenn Du wachst, weiß ich, kann ich ruhig schlafen.‹

»Er probirte Schloß und Riegel der Corridorthür und leuchtete an den verriegelten Fenstern umher, wie es seine Sitte war, denn er glaubte schon lange, daß sie ihm einmal an's Leben wollten. D'rauf, an der Schwelle der Thür, wandte er sich nochmals zu mir und sprach:

›Iwan, öffne keinem Menschen und unter keiner Bedingung. Das Leben des Czaren beruht auf Deiner Treue.‹

So nickte mir der Herr und ging, ohne sein Zimmer zu schließen. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Gott der Herr möge der Seele des Czaren gnädig gewesen sein!«

Er schlug mit dem Daumen das Zeichen des Kreuzes und fuhr dann fort:

»Ich stand mit meinem Säbel an der Thür und hielt als guter Soldat und treuer Russe meine Wache. Es mochte Mitternacht sein, als plötzlich die Krähen, die in den Gipfeln der Lindenbäume im Garten um den Palast nisteten, sich krächzend erhoben und mit vielem Geschrei durch die Nacht umher flogen, gleich als wollten sie eine Gefahr verkünden.

Gleich darauf hörte ich Schritte und man pochte an die äußere Thür, die mit Eisenblech überzogen war und deren Schlüssel ich hatte. Ich fragte, wer da sei, und die mir bekannte Stimme des deutschen Generals antwortete:

›General Benningsen und Graf Pahlen, der Vertraute des Czaren. Es ist Feuer ausgebrochen im Palast und wir müssen den Kaiser augenblicklich wecken.‹

[290] Noch zögerte ich, – aber ich kannte die Stimme des Generals und das Feuer konnte möglich sein und mein Herr verbrennen durch meine Schuld. Der Teufel verblendete mich – ich drehte den Schlüssel und zog den Riegel. Die da eintraten, waren der General und der Fürst Valerian Zuboff, der Begleiter des Großfürsten Alexander. Sie eilten in das Gemach des Kaisers und ich hörte alsbald den Herrn heftig reden.

Plötzlich ertönte seine Stimme laut und kräftig:

›Ich unterzeichne nicht! Fluch Euch! Ihr seid Verräther!‹

Da fuhr es mir wie ein Stich durch's Herz, daß ich seine Feinde zu ihm gelassen hätte und ich faßte den Griff meines Säbels fest, um für ihn zu sterben.

In dem Augenblicke kam der Fürst wieder heraus und eilte durch die Vorzimmerthür davon – ich hörte jetzt wieder ruhig sprechen und wartete. Plötzlich rief der Czar: ›Niemals! fort mit Dir!‹ und der General stürzte mit blankem Säbel durch das Gemach, der Czar aber stand halb bekleidet auf der Schwelle seines Schlafzimmers und sagte:

›Schmach über Dich, Iwan, daß Du die Verräther zu mir ließest!‹

Ich warf mich zu seinen Füßen, denn ich war schuldlos. Da wurde die Thür aufgerissen und herein stürzten die drei Brüder Zuboff mit dem Deutschen, die Generäle Talizin und Tartarinoff und viele Offiziere und wollten in das Gemach des Czaren dringen, der bei ihrem Anblick zurückgeflohen war. Aber ich warf mich vor die Thür und rief ihnen ›Zurück!‹ zu und wehrte mit meinen Händen den Frevlern, denn meine Waffe hatte ich am Boden gelassen, als ich vor dem Herrn kniete. Sie wollten mich fortziehen, aber ich klammerte mich fest an sie und rief mit lauter Stimme:

›Verrath! Rettet den Czaren!‹

Ihre Säbel und Degen blitzten, ich sah ihre blutigen Augen und hörte ihre drohenden Worte und dann traf ein furchtbarer Hieb meinen Schädel und schnitt quer über Auge und Gesicht, daß das warme Blut hervorspritzte aus hundert Quellen und ich zu Boden stürzte.

Wie im Traum hörte ich ein Getümmel um mich her, dann die Stimme des Czaren – zum letzten Mal! – einen wilden [291] Fluch – Gott und die Heiligen mögen ihn vergeben, und dann wurde es finster um mich und ich verlor das Bewußtsein.

Die Russen hatten ihren Vater ermordet! Zwei Mal hintereinander schlug die Mörderfaust an den Thron Rurik's und zwei Mal lastete Fluch auf dem heiligen Rußland!«

Der Greis schwieg und murmelte leise ein Gebet, auch die Andern thaten es. Dann erzählte er weiter:

»Seit der Schreckensthat liegt Blut auf Rußland, bis die Söhne, so da lebten, um sich auf den blutigen Thron zu setzen, neben ihm ruhen in der Kaisergruft von Alexander-Newskoi, und kein Blut mehr klebt an der Krone Dessen, der sie trägt. Von der Zeit an, da ich die Mörder zu meinem Herrn gelassen und ihr Säbel diesen Schädel spaltete, wohnt ein zweiter Geist in diesem Körper, über den ich nicht Herr werden kann. Ich konnte nicht sterben für den Czaren, den meine Unvorsichtigkeit in die Hände seiner Mörder geliefert. Als ich erwachte, lag ich in einer Klosterzelle, wohin mitleidige Kameraden mich gebracht. Ehrwürdige Mönche pflegten mich, und als ich genaß, saß längst der neue Czar auf dem Thron seines Vaters. Zum Glück für mich achtete Niemand auf den armen erschlagenen Kosacken und mein Mund blieb verschlossen über die Schrecken der blutigen Nacht.

Aber mein Leben schuldete ich dem todten Czaren, und wenn der Neumond kam und sein bleiches Licht auf mein wundes Gehirn brannte, da wurde es lebendig um mich von blutigen Gestalten, und ich ras'te in der Schlacht, oder in der Steppe auf wildem Roß, und sie nannten mich Iwan, den Steppenteufel, weil mein Antlitz gezeichnet war, wie das eines Teufels.

Ich schlug die Schlachten des heiligen Rußland's alle, aber keine brachte mir den Tod, den ich dem todten Czaren schuldete. Ich sah das erste Mal das Gericht heraufziehen über das Land und die Feinde ihre Rosse tummeln auf seinen Fluren! Die Hand Gottes schlug sie, denn die Hand des Herrn verläßt Rußland nicht, selbst in seiner Erniedrigung.

Drei der Söhne des Czaren liegen in der Kaisergruft und der vierte hält mit mächtiger Hand die Krone auf seinem Haupte. Er war ein Knabe zwar, als die Blutthat geschah und schuldlos daran; aber er ist von seinem Saamen, und zum zweiten Male seh' ich die Wetterwolken dräuen über den Söhnen des Gemordeten.«

Der Aelteste der Enkel, Boris, unterbrach die kurze Pause.

[292] »Erzähle uns, Djeduschka 1, was aus den Mördern wurde, die Hand gelegt an den gesalbten Leib des Czaren.«

»Das Gericht des Herrn wandelt sichtbar auf Erden. Der Erbe des Thrones wandte sein Angesicht von ihnen, nachdem die blutigen Hände ihn mit der Krone geschmückt. Die Einen starben in der Verbannung, die Andern fern an den Gränzen des Reiches unter den Schwertern der Feinde und dem schwarzen Odem der Seuche, Alle von den Menschen verachtet, von Gott verflucht.«

»Und der Mann, der Dich verwundet, als Du den Czaren vertheidigtest?« fragte Olis.

»Er ist der Einzige, den Gott übrig gelassen hat, auf daß ich sein Gericht an ihm vollziehe. Wie ich für meine Sünden als schlechter Wächter meines Dienstes, ist er von dem Herrn durch den Degen des gemordeten Czaren gezeichnet worden für's Leben. Und wenn er länger als fünfzig Jahre die Kainsstirn vor der Welt verborgen, – das Gericht sollt' ihn dennoch ereilen und der heilige Iwan, mein Schutzpatron, hat ihn am Ende meiner Tage in meine Hand geliefert, auf daß Iwan, der Steppenteufel, zu Iwan, dem Rächer werde! – Ihr, die Ihr jung seid und weder Haß noch Liebe habt für die vergangene Zeit, – Ihr sollt sein Urtheil sprechen.«

»Den Tod,« sagten Wanka und Alexei.

»Wir wollen Jeder mit Deinem Feinde kämpfen,« sprach Wassili.

»Er muß ein Greis sein, wie Du, Djeduschka,« bemerkte Olis. »Sag' uns seinen Namen und wo wir ihn finden mögen?«

»Es waren drei Brüder, die das Fürstenhaus der Zuboff gebar,« sprach der Alte. »Zwei der Mörder ihres Czaren ruhen im Grabe, der Dritte und Jüngste, derselbe, der mich zu Boden schlug, lebt! – es ist – – –«

Ein dunkler Schatten schien zwischen ihnen dahin zu gleiten, eine breite Hand legte sich auf den Mund des Atamans. Die hohe Gestalt des greisen Roßhirten stand unter ihnen – seine Linke wies nach dem Mond:

»Die Stunde ist da – komm!«

Die gebieterische Geberde des Tabuntschiks halte Alle verstummen gemacht. Schweigend erhob sich der alte Kosack und nahm [293] aus den neben ihm liegenden Halftern des Sattels seine Reiterpistolen, die er in den Gürtel steckte. Dann wandte er sich zu seinen Enkeln und deutete mit dem Finger auf die Mitte des Kreises.

»Bleibt und schweigt!« befahl er kurz.

Der Tabuntschik schritt voran – er war ohne alle Waffen, mit Ausnahme des kleinen Beils in seinem Gürtel; der Ataman folgte ihm eben so stumm.

So überschritten sie den Graben, der den Tabun von der Steppe schied, und wandten ihre Schritte nach der tiefen Regenschlucht, in der wenige Stunden vorher der arme Jämschtschik mit seinen Pferden den Tod gefunden hatte. Die Knechte des Tabuntschik hatten an derselben Stelle bereits ein Grab gegraben und die Leiche versenkt, die formlosen Massen der Pferde aber lagen noch zur Seite.

Unfern des Grabhügels, auf den der Mond durch den Eingang der Schlucht seine bleichen Strahlen warf, blieb der Tabuntschik stehen und wandte sich, die Arme über die Brust gekreuzt, zu seinem Begleiter.

»Diese Stelle,« sagte er ruhig, »liegt außer den Gränzen, die Dir Gastfreundschaft gewährt. Die freie Steppe ist Jedermanns Eigenthum und der Tag, da Du mein Salz gegessen, ist vorüber. Was willst Du von mir?«

»Dein Leben, Väterchen, wenn Du Fürst Michaël Zuboff bist.«

»Was sollte ich es leugnen, da Du der Einzige warst, der mich seit den dreißig Jahren erkannt hat, daß ich diese Steppe bewohne.«

»Dann mußt Du sterben!«

»Ich habe Dir bereits gesagt, Mann,« sprach der Tabuntschik finster, »ich kenne Dich nicht. Wenig liegt mir am Leben und ich hoffte längst auf die Ruhe des Grabes, die nicht kommen will für den Schuldigen. Aber wer giebt Dir das Recht, mich zu richten?«

»Erinnere Dich, Väterchen, der Nacht des 23. März,« entgegnete der alte Kosack, indem er langsam die Pistolen aus seinem Gürtel zog und ihre Schlösser prüfte.

Der Greis lachte wild und gellend auf.

»Skotina! meinst Du, daß ich je Dessen vergessen könnte, was wie höllisches Feuer hier brennt?«

Er deutete mit dem Finger auf seine Stirn.

[294] »Gedenkst Du des jungen Leibkosacken des Czaren, dessen thörichte Unvorsicht den Mördern die Thür öffnete? erinnerst Du Dich, als der leichtgläubige Diener seine Thorheit gut machen und die Schwelle seines Herrn mit seinem Leibe decken wollte, daß Dein Säbel ihn zu Boden schlug? – Schau' her, das Zeichen von Deiner Hand, das er dreiundfünfzig lange Jahre mit sich getragen durch die Welt.«

»Ich erkenne Dich jetzt.«

»Iwan, der Kosack.« fuhr der Alte fort, »will nicht morden, wie die Vornehmen thun. Nimm diese Pistole, Fürst, und laß uns kämpfen als Männer. Die Heiligen werden meine Hand leiten.«

Der Geächtete hatte sich auf einen Stein gesetzt.

»Ich werde die Meine nicht mehr gegen Dich erheben. Tödte mich, aber verschweige Denen, die da oben schlafen, meinen Namen.«

»Ich habe auf meinem Schmerzenslager einen Eid geleistet bei dem heiligen Andreas, dem Märtyrer,« sprach traurig der alte Kosack, »doch Du warst verschwunden damals, als ich Dich suchte. Jetzt bin ich ein alter Mann, aber ich muß ihn dennoch halten. Es thut mir leid, Fürst Michael, daß Du sterben sollst wie ein Hund in der Steppe, nicht wie ein Mann im Kampf, denn Du warst in Deiner Jugend ein Tapferer, bis die Blutschuld auf Dich kam. So laß uns denn beten, daß sie Dir vergeben werden möge, denn der Augenblick der Rache ist gekommen.«

Er spannte den Hahn seiner Pistole; – bewegungslos, das Haupt auf die Hand gestützt, saß der Tabuntschik, den finsteren Blick zur Erde gerichtet.

»Gott und die Heiligen seien Dir gnädig!«

Der Alte erhob die Pistole .......

Aber eine dritte Hand legte sich abwehrend auf seinen Arm und eine milde Stimme ertönte:

»Die Rache ist mein, spricht der Herr.«

Es war der Menonit, welcher gesprochen, dann fuhr er mit sanftem, in die Seele dringendem Tone fort:

»Wer bist Du, daß Du es wagst, die Hand gegen Deinen Bruder zu erheben? – Was dieses Mannes Vergehen auch sei, ich kenne es nicht, so wenig wie Dein Recht zum Richten, aber Gott, der Herr, hat mich noch zu rechter Zeit hierher gesandt, um Dir eine Todsünde zu ersparen. Wenn Gott vergiebt, wie viel eher [295] müssen wir Menschen nicht vergeben, die von seiner Gnade gemacht sind? Lege das Werkzeug des Mordes von Dir, alter Mann, der Du selbst bald vor Deinem ewigen Richter stehen wirst, und bete zu ihm um Vergebung für den Frevel, den Deine Hand begehen wollte.«

Der alte Kosack sah den Prediger unwillig von der Seite an, steckte aber die Pistole in seinen Gürtel.

»Du bist Einer von den Frommen, die hier wohnen, wie ich gehört habe,« sagte er, »dem eine ehrliche Kriegswaffe ein Greuel ist und die nicht einmal fechten wollen für Gott und die Heiligen. So bete Du denn zu Gott für uns Beide, denn was ich mit dem Manne dort abzumachen habe, kann weder Deine Hand noch Dein Wort zurückhalten. Unser Beider Leben ist dem heiligen Rußland verfallen. Wenn Du ein Mann bist, Tabuntschik, so folge mir.«

Der Angeredete erhob sich, doch der Menonit hielt sie zurück.

»Eure Schuld mag schwer sein, Brüder, daß Ihr also sprecht,« sagte er, »aber wäre sie tief wie das Meer und hoch wie der Ararat, Gottes Gnade und Vergebung ist höher und unergründlicher, so ein Sünder Reue fühlt. Wir lieben das Handwerk des Krieges nicht und unser Glaube verbeut uns, die eigene Hand zum Kampf gegen Mitmenschen zu bewaffnen. Aber wir achten die Tapfern, die für das Vaterland kämpfen. So Ihr Euer Leben schuldig zu sein glaubt, so weiht es Eurem Vaterlande und opfert es auf den Wege der Pflicht, denn auch die Hand des Alten und Schwachen vermag Mächtiges, wenn Gottes Schutz und das Recht mit ihr ist.«

Der Tabuntschik zuckte empor.

»Du hast Recht, Mann – das ist, was meiner Seele fehlte. Noch fühl' ich Kraft genug in diesem alten Leibe, um gegen die Feinde Rußland's zu stehen. Laß mich mit Dir ziehen, einen Greis, älter als Du, Iwan, und Beide unser Leben weihen auf dem Opferaltar, der Rußland heißt. An Deiner Seite will ich fechten, Mann, und Du wirst mich sterben sehen zur blutigen Sühne der Vergangenheit.«

Der alte Kosack schwieg einige Augenblicke, dann führte er den Tabuntschik zur Seite.

»Du kannst nicht fechten neben mir und meinen Söhnen, Fürst Michael,« sagte er fest, »denn Deine Hand raucht von Blut, und der Fluch würde bei den Unschuldigen sein. Aber ich weiß, daß ich Deinem Worte trauen darf. Willst Du schwören auf das [296] heilige Kreuz, daß Du sterben wirst für Rußland gegen seine Feinde?«

»Ich schwöre es!«

»So geh' – vergeben kann ich Dir nicht, aber die Sühne lege ich in die Hand des Herrn. Auf Wiedersehen vor dem Richterstuhl Gottes.«

Er wandte sich von ihm und verließ mit dem Menoniten die Schlucht, in der einsam am Grabe des Jämschtschiks der alte Kaisermörder die Nacht verbrachte.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Als nach Tagesanbruch die Gesellschaft zur Abfahrt sich anschickte, trat der alte Tabuntschik zu Fürst Iwan Oczakoff.

»Ich habe vernommen,« sagte er, »daß der Gouverneur von Taurien sich gegen die Franzosen und Moslems rüstet und Pferde braucht. Sage ihm, daß Michael, der Tabuntschik, mit dreihundert kräftigen Rossen in Baktschiserai sein wird, ehe der Mond sein letztes Viertel geendet. Du aber, junger Mann, gestatte einem Greise, daß er dann mit zehn rüstigen Knechten in Deine Dienste tritt, und unter Deinen Augen seine letzten Tage dem heiligen Rußland weiht.«

Fußnoten

1 Großväterchen.

5. Uursah
Uursah.

Die Hitze des Tages, des nämlichen, dessen Ereignisse in Varna wir in der vorigen Scizze zu erzählen begonnen, hatte schwere Gewitterwolken von Süden heraufgeführt, die, an der Bergkette des Balkan hinziehend, ihr fernes Wetterleuchten über Meer und Land gossen.

Der Konak von Sali-Pascha, dem türkischen Gouverneur von Varna, demselben, dessen Prozeß wegen Ermordung seiner griechischen Sclavin zwei Jahre später 1 die Aufmerksamkeit Europa's auf sich lenken sollte, war der Einquartierung so wenig wie jedes andere Gebäude Varna's entgangen, und es hatten in seinen vordern [297] Höfen zwei Compagnieen der schwarzen schottischen Schützen gelagert. Dieselben waren jedoch am Nachmittag auf den Schiffen der Expedition eingeschifft worden und ihre Stelle hatten die eingetroffenen kurdischen und arnautischen Freischaaren eingenommen.

Die Höfe standen voll Pferde, an den Mauern, unter jedem Vorsprung, unter jedem Dache lagerten die Gruppen der Reiter, nach ihren Landsmannschaften getrennt, während die Diener, Khawassen und Soldaten des Pascha's ab- und zugingen.

Selbst der hintere Theil der Wohnung des Pascha's war seinem eigenen Gebrauch nicht allein vorbehalten geblieben. Du eifersüchtige Moslem hatte sein Harem nach Constantinopel entfernt, um jede Berührung mit den Christen zu verhindern, und das Haremlik mit Sir Edward Maubridge getheilt, der der persönlichen Protection des englischen Oberbefehlshabers genoß und außerdem mit Sali-Pascha bekannt war, welcher vor dem Kriege zur Gesandtschaft in London gehörte und, – gleich vielen andern vornehmen Moslems – eine gewisse europäische Tünche des Aeußern sich zu eigen gemacht hatte.

In einem wohl erleuchteten Gemach dieses Haremliks, in dem mehrere Gegenstände, zur Reise gepackt, umherstanden, befanden sich am späten Abend noch drei Personen, zwei Männer und eine Frau; die Erstern waren der Baronet und Sali-Pascha, ein schöner, noch ziemlich junger Mann, dessen Antlitz jedoch in seiner matten Farbe und in den dunklen Ringen um die dunklen Augen die Erschlaffung der Haremsgenüsse verrieth, – die Frau war Nausika, die Begleiterin und Maitresse des Baronets, seit er ihr Rendezvous mit dem Midshipman gestört. Die Schlaue, die Gefahr ihrer früheren Erinnerungen einsehend, hatte jedoch ihren Namen geändert und nannte sich seitdem Nedela.

Während die beiden Männer nach europäischer Weise bei den Resten des Mahles am Tisch saßen, zwei Flaschen des milden Brussaweins vor sich, den der Pascha, sich wenig um die verbietende Satzung des Korans kümmernd, mit Genuß schlürfte, lag Nausika-Nedela auf den Polstern des Divans, und ihr feuriges, beobachtendes Auge wanderte von dem Einen zum Andern. Da der Baronet mit finsterer Miene, das Haupt auf die Hand gestützt, am Tisch saß, begegnete es häufig den leidenschaftlichen Blicken des Moslems mit einer aufreizenden Koketterie und einem Ausdruck, der auf ein Einverständniß zwischen Beiden schließen ließ.

[298] Zu dem Wesen des Baronets war eine gewisse Unruhe, ein Kampf seiner Seele bemerklich, den er durch hastiges Trinken zu betäuben suchte.

»Es waren am Abend zwei fränkische Offiziere hier,« sagte der Pascha, »die den Gefangenen sprechen wollten. Sie sind abgewiesen auf meinen Befehl.«

»Ich danke Dir.«

»Der verrätherische Giaur wird morgen sterben in der zweiten Stunde. Es vermag ihn Nichts zu retten. Wann schiffst Du Dich ein, Beisädih?«

»Mit Sonnenaufgang. Unsere Sachen sind größtentheils bereits an Bord der Brigg, deren Cajüte ich gemiethet habe. Doch Du kennst unsern Vertrag, Freund Sali?«

»Inshallah! was werd' ich nicht! Ihr Franken habt zwei Augen im Kopfe und Eure Zunge ist gespalten. Du hast den Hekim-Baschi unter das Schwert unserer Gerechtigkeit geliefert, der ihn alle Franken-Pascha's nicht entreißen sollen. Aber er mag entfliehen, wenn Du es so willst. Was ist an einem Hunde gelegen!«

»Er hat den Tod verdient,« sagte der Baronet, »denn ich weiß, daß er ein Verräther ist. Aber er besitzt ein Geheimniß, das sein Leben retten kann. Ich muß den Versuch mit ihm machen.«

»Was willst Du von ihm, o Beisädih?«

»Nur den Namen und den Aufenthalt eines Mannes, der mein Feind ist und dem ich ein Leben entreißen muß, das mir gehört. Meine Anstalten sind getroffen. Ich kann mich auf Deine Leute verlassen? denn ich mag die Hilfe meiner Landsleute nicht in meine Angelegenheiten mischen.«

»Arnud-Mustapha, der Führer meiner Khawassen, fürchtet den Scheitan nicht, und Hussein-Aga, mein Verwalter, ist mir treu ergeben. Sie harren mit Yaver-Mehemed Dein bei der Wache des Thores und werden Dir überall hin folgen. Vassili, mein griechischer Diener, wird Euch zu ihnen geleiten, sobald Du befiehlst.«

»Der Zugang zu dem Gefangenen ist also frei?«

»Bismillah! Ich habe ihn in das bestimmte Gemach führen und die Wache von seiner Thür entfernen lassen, da Du es wünschtest. Der Hof ist voll von Kriegern und seine Flucht unmöglich. Hier ist der Schlüssel zu seinem Kerker.«

[299] »Gut! – So will ich den Versuch machen, – es ist eine Stunde vor Mitternacht und Zeit, daß Du Dich zur Ruhe begiebst, Nedela. Wir müssen mit Sonnenaufgang zu Schiffe.«

Das Mädchen wechselte rasch einen Blick des Unwillens mit dem Moslem.

»Ich fühle mich unwohl, Herr, und möchte, daß Du mich auch diesmal zurückließest.«

»Es geht nicht oder Du mußt überhaupt auf meinen Schutz verzichten. Meines Bleibens ist in Varna nicht, auch wenn meine Absicht mißlingt, und Constantinopel ein besserer Aufenthalt für Dich, als dies Heerlager.«

Der Pascha hatte sich erhoben.

»Möge der Himmel Deinen Wünschen günstig sein, Franke,« sagte er, dem Engländer die Hand reichend. »Ich werde Dich morgen vor Deiner Abreise sprechen und erfahren, was das Kismet gewollt hat.«

Er neigte sich höflich vor der Griechin, deren Augen ihm bedeutsam winkten, und verließ das Gemach.

Noch kurze Zeit schritt der Baronet auf und nieder, dann nahm er aus einem Kästchen zwei Terzerole, prüfte die Schlösser und steckte sie zu sich. Er warf einen Offiziermantel um seine Schultern, setzte eine Militairmütze auf und trat so zu dem Mädchen, das stumm bisher seinen Bewegungen gefolgt war.

»Ich muß Dich verlassen, Nedela, für diese Nacht,« sagte er, »denn ich habe Wichtiges vor. Du wirst Dich nicht fürchten, allein zu bleiben?«

»Warum sollte ich mich fürchten,« entgegnete mürrisch die Schöne. »Ich bin gewohnt, daß Du mich allein lässest und all' die schönen Dinge unerfüllt bleiben, die Du mir versprochen hast, als Du mich aus Constantinopel führtest, wohin ich nicht zurückkehren mag. Bin ich eine Sclavin, die man einsperrt, oder bin ich ein griechisches Mädchen, das seine Freiheit hat, zu thun, was es will?!«

»Du bist thöricht, Nedela! Dieses Heerlager von Soldaten eignet sich nicht für ein Weib.«

»Und warum nicht? Ich bin jung, ich bin schön und werde Freunde finden in Menge, die mich mehr lieben, als Du, und weniger finster sind. Denn ich weiß, Herr, Du liebst mich nicht. Du ziehst rastlos umher und ich bin nur das Spielwerk Deiner [300] Laune und Dir längst zur Last. Ich mag nicht nach Constantinopel.«

»Du bist ein Kind, Nedela, und weißt nicht, was Du willst. Nachdem ich mich Deiner angenommen, kann ich Dich nicht hilflos verlassen. Ich will Dich zu Deinen Verwandten im Fanar zurückbringen, von denen Du mir erzählt, und Dich reichlich versorgen, wenn Du mich nicht ferner begleiten willst. Ueberlege Deinen Entschluß wohl bis morgen.«

Er verließ sie. Das eitle und gefallsüchtige Mädchen, das während der Abwesenheit des Baronets bereits ein Verständniß mit Sali-Pascha angeknüpft hatte und dessen Favoritin zu werden hoffte, sann unruhig auf Mittel, wie sie sich der Aufsicht ihres Beschützers entziehen könne, denn der vorsichtige Pascha hatte sich streng geweigert, einen Streit oder Bruch ihrethalben mit dem Gastfreund herbeizuführen.

In diesem Sinnen störte sie ein leises Kratzen an der Thür des Gemaches. Sie klatschte in die Hände, zum Zeichen des Eintritts und Vassili, der griechische Diener, erschien sofort auf der Schwelle und hob den Teppichvorhang.

Der arme verliebte Soldat, den Caraiskakis, unter Veränderung seines Namens Vaso in Vassili, in den Dienst des Pascha's gebracht hatte, war durch die Färbung seiner Haare, das Wachsen seines Bartes nach türkischer Sitte, während die Griechen das Kinn glatt geschoren tragen, und ein Pflaster auf einem Auge, völlig unkenntlich geworden. Selbst seine Stimme hatte der Wunsch, immer in der Nähe der früheren Braut zu sein und die Furcht, sobald er erkannt worden, von ihr gewiesen zu werden, zu verändern gewußt. Die Ergebenheit und der Diensteifer, den er bei jeder Gelegenheit für die Leichtsinnige zeigte, waren auch von ihr nicht unbemerkt geblieben und sie benutzte ihn für alle vertrauten Dienste.

Dennoch lag in diesem feigen zertretenen Herzen eine heftige Leidenschaft, eine glühende Eifersucht verborgen, die einst zur blutigen That werden sollte.

»Herrin;« flüsterte der Diener, »bist Du allein?«

»Ich bin's, Vassili, was hast Du?«

»Ein Armenier, der in das Konak gekommen, bittet Dich dringend, ihn zu sprechen. Er sagt, er brächte Dir Botschaft von Deinem Vater.«

Das Mädchen sprang empor, wie von einer Feder geschnellt.

[301] »Von Janos, meinem Vater? Es ist unmöglich!«

Vaso hatte die Thür geöffnet, der Armenier in Barett und Bart schlüpfte herein. Durch die Oeffnung sah man zugleich neben Vaso die Gestalt eines jungen türkischen Matrosen.

»Wer bist Du? woher kommst Du?« fragte hastig Nedela.

Der Fremde nahm Barett und Bart ab.

»Du bist Nausika, die Tochter Jani's, des Kameeltreibers,« sagte Gregor Caraiskakis, »erkennst Du mich, Mädchen?«

Die junge Smyrniotin hatte sich einige Schritte zurückgezogen, ihr Antlitz zeigte den schnellen Wechsel der Farben.

»Heilige Maria! Du bist der Mann, der mich Aermste aus dem Bosporus rettete, der im Fanar ... –«

Sie vollendete nicht, das Bild jener Nacht stand vor ihrer Seele, wenn auch mit einem unbehaglichen Gefühl der Erinnerung, denn die Erscheinung und die Ansprüche eines alten Liebhabers harmonirten keineswegs mit ihren Plänen.

Aber Gregor, von einem doppelten Gefühl erfüllt, der Erinnerung an den alten Freund, der mit seinem Blut die Treue besiegelt, und den Schwüren jener Nacht voll Wollust, Vergessen und Liebe, unterbrach sie.

»Höre mich an, Nausika,« sprach er hastig, »die Minuten sind uns gezählt, ich komme, Dich zu retten aus diesen unwürdigen schmachbedeckten Fesseln, in die Deine bedachtlose Jugend Dich geführt. Ich komme, um gut zu machen eine theure Schuld an Deinem Vater, eine Schuld an Dir. Welche Vergangenheit auch an Dir klebt, Gregor Caraiskakis wird Dich zu seiner Gattin machen und sein Namen wird jeden Flecken von Dir nehmen.«

Er breitete die Hände nach ihr aus, die ehemalige Odaliske schien jedoch wenig beeilt, sich seiner Sorge anzuvertrauen.

»Du kommst von Janos, meinem Vater – es sind Jahre vergangen, daß ich nicht von ihm hörte und ich bin seine Tochter nicht mehr.«

»Du bliebst es, denn Du warst ein willenloses Opfer des Frevels. Er hat ihn gerächt, aber er ist selber hinüber gegangen zu den Gefilden der Glückseligen. Ich vollziehe sein Erbe, indem ich Dein Retter und Schützer werde für's Leben.«

Selbst die Nachricht von dem Tode ihres Erzeugers, schien nur wenig Eindruck auf das in den Intriguen und Gelüsten des Harems verdorbene Herz der Schönen zu machen.

[302] »Wohin willst Du mich führen, wenn ich Dir folge?« fragte sie.

»Ich werde Dich an einen sichern Ort geleiten, wo Du bleibst, bis diese Kriegsstürme ausgetobt. Du wirst mit Nicolas, meinem Bruder, nach dem russischen Gebiet fliehen.«

Das Mädchen schüttelte verächtlich den Kopf.

»Wozu? ich habe Freunde hier – der Beisädih ist mein Beschützer.«

»Fluch über den Verräther! Sein falsches Herz hat das Leben meiner eigenen Schwester gebrochen, und er wird Dich eben so verstoßen, wie er sie verstoßen hat. Die Rache ist auf seinen Fersen.«

»Du bist sein Feind?«

»Bis über das Grab hinaus. Drei Dinge führen mich hierher: Dich zu holen, den gefangenen Freund vor dem schimpflichen Tode zu retten und mich an dem Inglis zu rächen. Wo ist er?«

Die Odaliske sah ihn mit einem seltsamen, forschenden Blick an.

»Meinst Du den deutschen Arzt, den der Inglese hat zum Tode verurtheilen lassen?«

»Denselben. Er kannte Deinen Vater – er ist für uns're Sache in Gefahr.«

»Und Du willst ihn retten vor seinen Feinden und diese verderben?«

»So wahr mir die Märtyrer helfen mögen, ja!«

Sie faßte seine Hand, – ihr Hauch blies die Lampe aus, daß er in dem Dunkel des Gemaches die frohlockende Miene nicht sehen konnte:

»Bist Du bewaffnet?«

Er legte ihre Hand auf seine Brust, sie fühlte unter dem Gewand die Knäufe der Pistolen und den Griff eines Dolches.

»So komm'!«

Sie zog ihn hastig durch mehrere Gemächer; die Matten und Teppiche dämpften das Geräusch ihrer Schritte. Dann auf eine letzte Thür deutend, deren Spalt einen hellen Lichtschimmer ausströmen ließ, flüsterte sie: »Dort! ich erwarte Dich!« und entfloh.

Gregor Caraiskakis näherte sich der Thür, durch die ihm zwei bekannte Stimmen entgegenschallten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In einem Gemach des steinernen Hauptgebäudes des Pascha-Konaks, wohin er nach dem Kriegsgericht gebracht worden, saß der [303] deutsche Arzt, bemüht, mit möglichster Fassung und Ergebung das traurige Schicksal zu erwarten, das ihm für den nächsten Morgen zuerkannt worden.

Er vermochte nicht zu entscheiden, ob seine Vertheidigung mehr an dem bösen Willen oder der Gleichgültigkeit der Beisitzer des Gerichts gegen ein Menschenleben gescheitert war, aber bei dem vollen Bewußtsein seiner Unschuld blieb er doch gerecht genug, anzuerkennen, daß die Beweise gegen ihn schwer und erdrückend gewesen. –

Die Nacht vor einem Duell, – die Nacht vor der Hinrichtung, – les derniers heures d'un condamné, – sind eine Zeit, die der Dramatiker und Romanschreiber wohl mit Redensarten von Ruhe und Heroismus ausfüllt, deren Furchtbarkeit aber selbst für das bestgeordnete Gewissen nur Der zu fassen versteht, der Aehnliches erlebt. –

Sterben – diese große Schlußscene des Lebens, auf die man sich niemals vorbereitet! – Sterben – dieses unsägliche und undurchdringliche Geheimniß des Daseins, mit dessen Lösung das größte Elend uns zufriedengestellt sehen würde, mit dessen unheimlichem Räthsel alles Glück und alle Güter der Erde uns schwarz erscheinen! – Sterben – jene Hoffnung der Liebe und des Unglücks, jene Marter des Gewissens und des Genusses! – Sterben – jene heilige Phantasie des Glaubens und jene schreckliche Leugnung der Selbstständigkeit des electrischen Funkens, Leben genannt durch die Aerzte und Philosophen! – Sterben – auf welchem denkenden Herzen lastete die furchtbare Aussicht nicht!

Thoren erzählen von dem Heroismus, mit dem Männer zum Tode gegangen. Thoren sehen nur die äußere Hülle, nur die göttliche Stolzeskraft der Seele, die den Körper aufrecht erhält – nicht die Gefühle des Herzens.

Sein Leben rollte Bild auf Bild an ihm vorüber, – die Kinderjahre im Hause des Vaters, auf dem Straßenpflaster der preußischen Residenz – die Universitätsjahre, der Eintritt in das wogende unverstandene politische Leben. Noth und Leichtsinn, Kummer und Stolz in Paris – die drückenden Fesseln des politischen Bundes, – die farbenhellen Bilder des Orients, Ruhe und Kampf, Jammerschrei und pulsirendes Leben – Blut neben Gold – Schlacht und Seuche – und jene Nacht! jene Nacht mit ihren geheimnißvollen Räthseln und Freuden – – –

[304] »Fare well!«

Die Riegel an seiner Thür rasselten, durch die geöffnete trat eine Gestalt, in den Militairmantel gehüllt, herein und blieb vor ihm stehen. Langsam entfernte sie die bergende Hülle, – der Baronet, Edward Maubridge, stand vor dem Verurtheilten. Sein Gesicht war bleich, sein Auge entschlossen.

»Sie hier? – was wollen Sie? – Sie haben Ihr Werk vollendet.«

»Hören Sie mich,« sagte der Baronet, »hören Sie mich ruhig an, wie es dem Mann zum Manne ziemt. Dann fassen Sie Ihren Entschluß.«

Er hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er, als habe er diesen Auftritt, jede Sylbe seiner Erklärung, durch seinen Entschluß festgestellt, ruhig fort:

»Das Schicksal hat uns zusammengeführt, die wir der Wege verschiedene wandelten. Es warf Sie in den meinen, als Gefährten eines Mannes, den ich hätte lieben können und den ich hassen und verfolgen mußte, und diesem Haß sind auch Sie zum Opfer gefallen.

Ich bin ein Engländer, – das heißt hartnäckig und stolz. Die Frauen sind meine Leidenschaft oder meine Schwäche. Ich sah in Smyrna die Schwester Ihres Freundes, Diona, und liebte sie. Bei dem Normannen-Blut meiner Väter! ich liebte sie! Nur die teuflische Einflüsterung des Schurken von Consuls in Smyrna ließ das Recht mich in Händen behalten, die Gültigkeit unserer Ehe je nach meinem Willen anzuerkennen oder zu verweigern. Bei Gott – hätten nur ihre Augen gesprochen, das Kind unter ihrem Herzen, mein besseres Ich hätte gesiegt und ich sie nach England geführt als meine Gattin.«

»Wozu mir das, einem Sterbenden?«

»Sie werden es sogleich erfahren, Sir. Als Sie mit dem Banditen Janos in unser Asyl einbrachen und Diona mir nahmen, fühlte ich erst recht die Stärke meiner Liebe; als Ihr Freund auf dem Verdeck des ›Niger‹ mir jedoch die Rechte seiner Schwester abtrotzen wollte, da stieg der Teufel meines Trotzes und Stolzes in voller Stärke in mir empor, und es begann ein Kampf zwischen mir und ihm, der vielleicht nur mit unserm Leben endet. Ein freundliches Wort hätte am Grabe des Achill, als ich die Pistole gegen ihn hob, wahrscheinlich unser Aller Schicksal gewendet.«

[305] »Das Wort auszusprechen, Sir, war an Ihnen.«

»Es ist möglich, – ich will nicht streiten darüber, es geschah nicht und der Kampf war begonnen. Sie wissen wahrscheinlich, daß mein Weib auf der See bei Geburt ihres Kindes starb, daß ich als Gefangener nach Sebastopol geführt wurde, daß Ihr Freund mich von meinem Kinde trennte und geschworen hat, es mir nie zurückzugeben. Schwur gegen Schwur, ich muß meinen Sohn haben und setze mein Leben daran. Caraiskakis war in meinen Händen, er wurde mir entrissen und ich glaubte ihn bei einer Scene des Aufstands im Fanar von Constantinopel erschlagen.«

»Ich wiederhole die Frage, – wozu mir das? einem Sterbenden?«

»Sie waren der Freund, der Vertraute des Mannes, den ich verfolgte. Sie wußten vielleicht um das gegen alle meine Spione wohlverwahrte Geheimniß des Kindes. Ihre Spur führte nach Silistria und ich ging dahin. Dort erhielt mein Verdacht die Bestätigung, daß Diona's Bruder, mein Gegner, am Leben, denn mit dem Briefe des Russen, den Ihnen mein Diener stahl, fiel ein solcher jenes Mannes in meine Hände: Er ist in Varna.«

»Es ist möglich.«

»Es ist gewiß; ich weiß es, aber es ist all' meinen Anstrengungen unmöglich gewesen, ihn aufzufinden. Sie kennen seinen Aufenthalt. Ihr Verrath in Silistria in Verbindung mit Ihrem Freunde ...«

Der Gefangene legte die Hand auf den Arm des Baronets.

»Halten Sie ein, Sir, und thun Sie einem Sterbenden nicht ein Unrecht. Sie wissen, daß ich unschuldig bin, daß von dem politischen Fanatismus des Mannes, den ich Freund nannte, mein Name, meine Diener gemißbraucht sind zu der entehrenden Spionage, daß ich selbst aber keinen Theil daran habe.«

»Ich weiß nicht, ob Sie unschuldig sind, oder schuldig,« sagte der Brite heftig, »die Beweise sind gegen Sie und Sie sind auf mein Zeugniß verurtheilt, das ich gegeben, wie ich es als Mann verantworten kann. Jedenfalls hat Sie Ihr Freund, in diese Lage gebracht, und Sie haben keine Rücksicht mehr auf ihn zu nehmen. Ihr Leben, Sir, Ihre Rettung liegt dagegen in meinen Händen.«

»Wie das?«

»Ich habe die Mittel, Sie noch in dieser Stunde aus Varna zu führen. Antworten Sie mir als Mann von Ehre: kennen Sie den Aufenthalt meines Kindes?«

[306] »Ich weiß nur, daß es in der Krimm von seinem Oheim zurückgelassen worden ist, Nichts mehr.«

»Sie kennen den Aufenthalt des Herrn Caraiskakis hier in Varna? – Sir, es gilt Ihr Leben.«

»Ich glaube ihn zu kennen.«

»Wenn ich Sie aus diesem Kerker noch in dieser Stunde befreie, wollen Sie mich und einige der Meinen zu ihm führen, daß ich mich seiner Person bemächtigen kann? – Merken Sie Wohl, ich will ihn nur zwingen, mein Kind mir auszuliefern, und Goddam! diesmal soll er mir nicht entrinnen. In dem Augenblick, wo er mir seinen Besitz abtritt, soll er frei sein.«

»Sir, ich bin kein Verräther – außerdem, ich kann mein Leben nicht durch Flucht retten.«

»Sie sind ein Thor! Er hat Sie betrogen und zum Werkzeug seiner Zwecke gemacht, wie Sie sagen, – er selbst hat das Band der Freundschaft, des Vertrauens gebrochen ...«

»Er ist hier, es einzulösen!« sagte eine leidenschaftliche Stimme, »Du aber, doppelter Feind und Verräther, nimm Deinen Lohn!«

In der Thür stand der Armenier, seine Augen funkelten ...

»Caraiskakis – Goddam, er selbst – ich verhafte Sie ...«

Gleich dem Tiger sprang der verkleidete Grieche auf ihn zu, das Messer blitzte in seiner Hand und sein Stoß warf den Baronet zu Boden ...

»Hell and damnation – zu Hilfe ...«

Sein Blut überströmte den Boden, mit der Linken hielt Caraiskakis seinem Opfer den Mund zu.

»Rasch, Nicolas, rasch – das Bündel mit den Kleidern.«

»Was haben Sie gethan, Gregor!?«

Der Arzt kniete zu dem Verwundeten und beschäftigte sich mit ihm. Der starke Blutverlust hatte den Baronet bereits ohnmächtig gemacht.

»Bei der Panagia, Freund, eilen Sie, wir haben keinen Augenblick zu verlieren – legen Sie diese Kleider an! Nicolas, bewache die Thür!«

»Lassen Sie mich, Herr – ich besudle meine Ehre nicht mit einer schimpflichen Flucht.«

»Um aller Heiligen willen, – Freund, – Bruder, keinen falschen Stolz! Ich habe mein Leben gewagt, Sie zu retten – Sie müssen entfliehen!«

[307] Der Deutsche achtete nicht auf ihn – er zerriß sein Tuch, um die Wunde des Engländers zu verbinden.

Plötzlich erhob sich in der Ferne ein furchtbares Geheul, das immer höher und höher schwoll – Trommeln wirbelten, Signalhörner bliesen, ganz Varna mit seinen Heermassen schien aus dem Schlaf der Nacht zu erwachen.

»Jangin-war! – Jangin-war 2

Der Feuerruf scholl in zehn Sprachen durch die Nacht, durch alle Straßen Varna's – im Konak wurde es lebendig, Menschen liefen umher, Geschrei, Fragen – –

»Um des Himmels Willen, ich beschwöre Sie, Welland, werfen Sie die Kleider über und fliehen Sie mit uns – jeder Augenblick Zögerung ist Verderben.«

Der Deutsche erhob sich, der Verband war angelegt.

»Entfernen Sie sich, Herr Caraiskakis,« sagte er streng. »Die Bande, die uns verknüpften, hat Ihr Trug zerrissen. Ich entschuldige Sie mit dem Fanatismus für Ihr Vaterland und vergebe Ihnen meinen Tod. Aber ich bin ein Preuße, Herr, und das graue Haupt meines Vaters werde ich nicht beschimpfen, indem ich durch feige Flucht die Anklage des Spionenhandwerks bestätige.«

»Ewiger Gott – – hören Sie mich ...«

»Gehen Sie – sichern Sie sich selbst, oder ich rufe um Hilfe. Gehen Sie und lassen Sie mich versuchen, dieses Opfer Ihres Thuns zu retten.«

Er beugte sich, gleichgültig gegen die Beschwörungen des früheren Freundes, wieder zu dem Verwundeten und begann mit der Sorgfalt des Arztes seinen Puls zu prüfen und die Wunde näher zu untersuchen, während draußen durch die Straßen der Stadt immer lauter der Feuerruf hallte, die Trommelwirbel schlugen, die Kommandoworte der hin- und herjagenden Offiziere ertönten.

Durch die dunklen Gänge des Konaks rannten die Khawassen und Diener des Pascha's, die Wachen heulten ihr Jangin-war, die Pferde bäumten und rasten – der ganze weite Konak war auf den Beinen.

In der Thür der Gefangenzelle erschien das bleiche Gesicht Vassili's, mahnend an die Flucht, Nicolas stürzte herein und riß [308] mit Gewalt den Bruder fort. – »Das Vaterland gilt mehr, als ein Leben, und sei es das kostbarste!« – so schleppte er ihn davon, denn aus allen Thüren stürzten Menschen, die Stimme Sali-Pascha's rief nach den Wachen, die treulose Nedela schrie jetzt Hilfe und Mord, Lichter erhellten die Vorplätze, über die Höfe goß die Feuersbrunst, deren Gluthwolken man hoch in den Himmel wirbeln sah, Tageshelle. Eine unbeschreibliche Verwirrung herrschte hier und Menschen und Pferde drängten durcheinander. Mitten im äußern Hofe sah Nicolas Grivas mit einem Blicke die Wölfin von Skadar auf dem schwarzen Roß halten und Befehle ertheilen, ihre Arnauten um sich sammelnd; von dem Balkon des Tschardaks heulte der Derwisch der Kurdin seine Sprüche in's Getümmel, den Untergang Varna's verkündend, weil der »Schatten Gottes« sich mit den Dschau'rs verbunden.

Einen Moment glaubte der junge Grieche sich von dem Auge der Rächerin gestreift und tauchte unter in dem Gewühl von Menschen; im nächsten waren sie außerhalb des Thores des Konaks und in dem Strom, der sich nach der nahen Stätte der Feuersbrunst ergoß.

Das Gedränge hier, der Lärmen waren wahrhaft fürchterlich. Die anrückenden Compagnieen der Pionire und Sappeure mußten sich mit Hieben ihrer Axtstiele Bahn brechen. Wer unter die Füße getreten wurde, war verloren, ein jämmerlicher Tod wartete seiner. Araber, Franzosen, Engländer, Türken – zehn Nationen bunt durcheinander. Einzelne Griechen suchten sich eilig durch die Menge zu winden und zu entfliehen, denn schon hatte sich das Gerücht verbreitet, daß Griechen die Feuersbrunst angestiftet und mehrere beim Anzünden des Magazins ergriffen worden seien. Wilde Rufe nach Rache ertönten und die Erbitterung steigerte sich immer höher, als man bemerkte, daß die Häuser, in denen Griechen wohnten, fest verschlossen waren und kein Bewohner sich zeigte.

Unfern des Konaks, wo die Straße zum sogenannten Corso und den Seethoren sich wendet, drückte Gregor dem Bruder die Hand. – »Fort mit Dir und er reiche das Schiff. Du weißt, wohin Du mir Nachricht zu geben hast. Die Heiligen schützen Dich!« – Er warf sich – während Nicolas seinen Weg verfolgte – in die Lücke, welche das rücksichtslose Dahersprengen mehrerer Generale in die Menschenmauer riß, und gelangte so zu dem Platz, auf dem die Feuersbrunst wüthete.

[309] Ein nächtlicher Brand in der Türkei ist ein schreckliches Ding, so häufig es auch vorkommt. An vernünftige, einigermaßen wirksame Löschanstalten ist selbst in Constantinopel nicht zu denken. Das, was vor Allem bei dem Löschen fehlt, ist Wasser! man müßte es geradezu kaufen. Die Bauart der Straßen und Häuser ist so eng und gefährlich, daß man sich meist damit begnügen muß, das brennende Quartier abzusperren und das Weitere dem Himmel anheimzustellen.

Das thut der Türke überhaupt immer – es ist sein Kismet.

Die Feuersbrunst auf dem übrigens ziemlich freien Platze war nicht weniger schrecklich, als wenn sie in dem engsten Quartier stattgefunden, furchtbarer noch durch die Stätten, die sie ergriffen.

Auf der einen Seite stand das Lazareth in vollen Flammen; auf der andern war ein großes Gebäude, das zum Militair-Magazin diente und an das sich gleich Schwalbennestern lange Reihen jämmerlicher Hütten klebten, zwar bereits von dem Feuer ergriffen, doch wurden die französischen Sappeurs, die rasend arbeiteten, denn in den untern Räumen lag eine bedeutende Quantität Pulver, – offenbar hier der Flammen Herr.

Desto furchtbarer, über alle Beschreibung, war der Anblick des brennenden Lazareths, das von den Mordbrennern an mehreren Orten angesteckt worden und durch seine leichte Bauart mit vielem Holzwerk der Verbreitung der Flamme weniger Widerstand entgegen gesetzt hatte, als das größtentheils aus Stein errichtete und nur von großen hölzernen Anbau's gefährdete Magazin.

Das Militair, namentlich ein französisches Linienregiment, das zum Aufbruch am andern Morgen bestimmt und daher marschfertig consignirt war, hatte bereits begonnen, eine Chaine um die Brandstätte zu bilden. Wasser war nicht zu haben, denn der nächstliegende Brunnen war bald erschöpft und das Meer zu weit entfernt; man mußte das Gebäude den Flammen überlassen und nur noch versuchen, die einem schrecklichen Tode verfallenen Kranken zu retten.

Aber es fehlte an Leuten, an allen Hilfsmitteln, die nicht die braven Truppen selbst herbeischaffen konnten. Durch die eingeschlagenen Thüren und Fenster des Erdgeschosses schwangen sich unbekümmert um Feuer und stürzende Balken, die Tapfern in den Flammenpfuhl und trugen auf ihren Rücken die Kranken heraus, gleichgültig gegen die Ansteckung der Seuche. Der ganze Boden umher, grell beleuchtet von der Flamme, war bedeckt mit [310] jammernden halbnackten Gestalten, oft schon in der Agonie des Todes, den Flammen entrissen, um im nächsten Augenblick doch dem unbarmherzigen Würger in die Arme zu fallen. Die Soldaten riffen ihre Mäntel vom Gepäck, um die Armen zu bedecken.

Dennoch fanden mindestens sechszig Menschen, Kranke und kecke Wagehälse, die sich in die Unmöglichkeit stürzten, ihren Tod in den Flammen, und wenn einer der Unglücklichen für Augenblicke an einer der obern Oeffnungen oder beim Einstürzen einer Wand erschien und die Arme vergeblich hilfesuchend nach Unten streckte, bis das stürzende Balkenwerk, der Flammenwirbel ihn verschlang, brach ein Gebrüll der Wuth und des ohnmächtigen Grimms aus der Menge, als wären tausend Tiger auf dem engen Raume versammelt.

Der Marschall Saint Arnaud mit dem Prinzen, den Generälen Bosquet und Epinasse und einem zahlreichen Stabe hielt auf dem Platz mitten im Gedränge und ertheilte seine Befehle, während um den englischen Oberbefehlshaber erst wenige Offiziere versammelt waren, da die meisten Truppen der Briten weit außerhalb der Festungswerke lagerten. Lord Raglan wandte alle Aufmerksamkeit der Rettung des Magazins zu, das Werk der Menschenliebe seinen Alliirten überlassend.

Plötzlich brach ein Geheul wilden Frohlockens über den Platz, Alles übertäubend, als jubelte eine Legion von Teufeln durch die Luft. »Les incendiaires! les incendiaires!« und wie ein Sturmwind flog die Nachricht über die Menge, daß in den Hütten am Magazin eine Bande der dahin geflüchteten Brandstifter, Griechen, entdeckt und ergriffen worden sei.

Das Getümmel wurde fürchterlich, unbeschreiblich.

»Zum Marschall! zum Marschall! In's Feuer mit ihnen!« heulte der Ruf. Mit Kolbenstößen, ja, mit Bajonnetstichen mußte die starke Escorte, welche die Gefangenen umgab, sich Bahn brechen durch die Menge und die Unglücklichen vertheidigen.

Tausend Hände waren gegen sie erhoben, tausend wuthflammende Gesichter umdrängten sie, ihnen hundertfachen Tod drohend. Einige der Gefangenen, – es waren ihrer sechs – mußten von Soldaten der Wache geschleppt werden, denn die ersten Mißhandlungen der wüthenden Franzosen hatten sie des Gebrauchs ihrer Glieder, beraubt oder betäubt – Einer dagegen, das bleiche Gesicht Blutstropfen überperlt, die aus einer Stirnwunde flossen, [311] ging fest und aufrecht; seine Hände waren mit einer Offizierschärpe auf den Rücken geschnürt.

Ein Blick genügte für Gregor Caraiskakis – er erkannte Geurgios, den Fanarioten. Hinter den Gefangenen, den bloßen Degen in der Hand, den Offizier der Escorte unterstützend, schritt der Capitain Depuis, an seinem Arm hing ein schwarzer Knabe, ängstlich sich zusammenschmiegend, – Nursah, der Diener des verurtheilten Arztes, und an seiner Seite Paswan, der Kiradschia.

Der Blick auf Geurgios und Nursah hatte dem Führer der Elpis alle drohende Gefahr enthüllt; dennoch konnte er sich nicht entschließen, nach dem Schlupfwinkel zu eilen, in dem die griechische Verschwörung das Netz ihrer Fäden concentrirt hatte, um zu sehen, ob hier noch ihre wichtigen Papiere zu retten seien; außer der Mauer von tobenden Menschen fesselte ihn das Interesse an dem Bundesbruder.

Die zaudernde Wahl sollte jedoch bald und schrecklich entschieden werden.

Kaum zehn Schritt noch von dem Marschall entfernt, brach plötzlich durch die finstern Blicke des Fanarioten voll Haß und Todesverachtung gereizt, eine Woge von Menschen, heulend, brüllend, durch die Escorte und riß den Unglücklichen aus ihren Reihen. Vergeblich waren alle Anstrengungen der Offiziere und Soldaten, ihn wieder zu befreien, man vernahm kein Kommando mehr, selbst die Befehle des Marschalls blieben unbeachtet in dem wüthenden Geschrei: »Zum Feuer! zum Feuer!« – Minuten lang sah man in der Gluth der noch immer hoch in die Luft schlagenden Lohe den Körper des Fanarioten über den Köpfen der Menge, wie er von Hand zu Hand weiter gelangt wurde, dann verschwand er einen Augenblick, um im nächsten wieder zu erscheinen, hoch durch die Luft geschleudert, hinein in den kochenden Heerd von Flammen.

Ein einziger gellender Schrei – dann folgte eine lautlose plötzliche Stille auf dem ganzen Platz. – –

»Fällt das Bajonnet! Nieder mit Jedem, der sich an den Gefangenen vergreift. – In das Pascha-Konak mit ihnen zum Verhör!«

Des Marschalls eigenes Kommando klang weithin über die Menge, das Klirren der Gewehre verkündete, wie die Reihen sich um die Bedrohten schlossen; von drüben her antwortete das Krachen der letzten einstürzenden Balken und Wände; der Marschall, [312] einem der Generäle das Kommando übergebend, wandte sein Pferd, gefolgt von seiner ganzen Umgebung.

Gregor Caraiskakis, in die Menge gekeilt, hatte stumm den Tod des Bundesbruders mit angesehen. Im Augenblick, da Bewegung und Luft in die Masse kam, verschwand er im Gedränge.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war gegen 11 Uhr gewesen, als die Schaar von Caraiskakis und Geurgios mit den verschworenen Griechen das Haus verlassen hatte, das ihnen zum Hauptschlupfwinkel diente, weil es ziemlich unbemerkt lag mitten in dem Griechenquartier und mehrere Ausgänge hatte. Da alle Hände gebraucht wurden für die Ausführung ihrer Beschlüsse, blieb die Bewachung des Hauses und des Sclaven Nursah einem alten Griechen überlassen.

Doch Nursah hatte sich müde geweint, er lag auf den Matten und schlief. Caraiskakis selbst hatte die Thür des Gemaches von Außen verschlossen.

Aber kaum war eine Viertelstunde vergangen und kein Geräusch mehr im Hause zu hören, so richtete der schwarze Knabe sich von seinem Lager empor, schlich auf den Zehen an die Thür und die Jalousieen und horchte hinaus. Da Alles ruhig blieb, öffnete er behend und leise die Letzteren und blickte hinaus. Das Gemach lag eine Treppe hoch und das Fenster war von einem Vorsprung des Hauses beschattet. Mit der Schnelligkeit einer Katze hatte Nursah die leichten Decken, die sein Lager bildeten, zerrissen und aneinander geknüpft und befestigte sie an den Jalousieen. Dann ließ er sich an ihnen hinab gleiten und gelangte glücklich in Hof und Garten, dessen Mauer er überstieg.

In dem Gäßchen angelangt, das die Mauer begränzte, blieb er einige Augenblicke stehen, um einen Entschluß zu fassen. Er wußte, daß Eile Noth that, wollte er seinen Herrn retten, denn er hatte bei der Rückkehr der beiden Caraiskakis an der Thür gelauscht und, obschon er das Neugriechische nur sehr mangelhaft verstand, doch erfahren, daß Jener zum Tode verurtheilt war und am nächsten Morgen erschossen werden sollte. Ebenso wußte er, daß Gregor einen Versuch zu seiner Rettung machen wollte, indem er die Magazine in Brand setzte. Schon als nach der Verhaftung des Arztes der junge Mohr zu dem Freunde seines Herrn geflohen war, hatte er ganz bestimmt erklärt, daß er sich lieber selbst opfern und ein offenes Geständniß über die Art und Weise, wie er in [313] Silistria den Spion gemacht, ablegen wollte, ehe er seinen Herrn in Gefahr ließe. Caraiskakis hatte ihn zwar durch die Versicherung beruhigt, daß eine solche nicht vorliege und der Arzt höchstens eine kurze Haft zu bestehen habe, da ihm Nichts erwiesen werden könne, aber er hatte es doch seitdem für nöthig gehalten, den Knaben nicht mehr aus dem Hause und auch dort unter Aufsicht zu lassen.

Das erregte Mißtrauen hatte den Mohren jedoch wachsam gemacht und einige Worte des Bruders beim Abschied hatten seine Aufmerksamkeit erhöht. So gelang es ihm, die Wahrheit zu entdecken.

Im Augenblick stand auch sein Entschluß fest, daß er sich nicht auf die Mittel der Griechen verlassen könne, sondern koste es sein Leben, selbst Alles aufbieten wollte, den Herrn, den er mit einer seltsamen Hingebung liebte, zu befreien, zu retten.

Jetzt stand er, um diesen Entschluß auszuführen, von seinen Hütern befreit, in der Straße, aber zugleich auch fiel die Schwierigkeit seines Unternehmens ihm auf die Seele. Er wußte, daß nur wenige Stunden noch zwischen jetzt und dem Tode lagen, und kannte nicht ein Mal die Namen der Richter seines Herrn, an die er sich zu wenden hatte. Ebenso fiel ihm die Unmöglichkeit bei, jetzt in der Nacht bis zu einem der Befehlshaber zu gelangen, wenn dies für den armen schwarzen Knaben überhaupt möglich war.

Er gedachte, wie wenig man sich überhaupt um ein Menschenleben kümmerte.

Der Name des Capitains fiel ihm bei, der ihr Reisegefährte gewesen auf dem Wege durch den Balkan nach Silistria. Er war ein gutmüthiger lustiger Mann und hatte oft mit dem jungen Mohren launig geradebrecht.

Aber wo ihn finden unter den Tausenden? – war er überhaupt noch in Silistria? – wie ihn suchen, da er nicht einmal der fremden Sprachen dieser Krieger mächtig war?

Er war hastig immer vorwärts geschritten und so in die belebteren Stadttheile gekommen, wo die Schenkhäuser und Restaurants noch immer geöffnet waren und Ab- und Zugehenden Erholung von den Beschwerden und dem Lärmen des Tages boten.

Trostlos sah der Knabe sich um und dann hinauf zu den Sternen. Er wußte ein großes Geheimniß, das vielleicht Hunderten das Leben retten konnte und wollte es verkaufen für das eines Einzigen, aber wem konnte er es bieten?

[314] Der Himmel selbst schien ihm Antwort zu geben auf sein Flehen. Indem er an dem Tschardak des »Restaurant des officiers« vorüberschlich, hörte er eine bekannte Stimme – – ein Mann mit einem Diener, der ein Pack trug, kam die Stufen herunter, er hörte, wie er diesem den Auftrag gab, die Packete nach her Karawanserai zu tragen und die Maulthiere fertig zu halten für den Aufbruch mit dem ersten Sonnenstrahl.

Der Mann war Paswan, der Kiradschia.

Mit einem Freudenrufe sprang der Knabe auf ihn zu – er verstand seine und der Fremden Sprache, er konnte helfen.

Nursah faßte seine Hand, seine Worte überstürzten sich anfangs so, daß der Händler ihn nicht zu verstehen vermochte, bis er ihn in den Lichtstrahl aus einem der offenen Fenster zog und erkannte.

»Armer Bursche,« sagte er mitleidig, »das traurige Schicksal Deines Herrn hat Dich wahrscheinlich auf die Straße geworfen und ohne Nahrung und Obdach gelassen. Du kannst mich begleiten, bis sich etwas Besseres für Dich finden wird. Heute Abend noch hörte ich vom Capitain Depuis, dem Franken, daß er morgen erschossen wird.«

»Der Capitano? – Wo ist er? – wo verließest Du ihn?«

»Vor wenig Augenblicken dort im Kaffeehause. So lustig er sonst ist, so sehr geht ihm das Schicksal des Hekim-Baschi nahe und daß er trotz aller Bemühungen es nicht zu wenden vermochte.«

Der Knabe warf sich ihm zu Füßen.

»Bei dem Christus, den er mich erkennen gelehrt, o Paswan, habe Erbarmen mit mir. Ich, ich vermag ihn zu retten. Ich kann seine Unschuld entdecken, ich kann diese Franken hier retten großem Unglück. Habe Mitleid mit ihm und laß mich mit dem Capitano sprechen!«

Der Kiradschia war erstaunt, doch er war ein Mann von gutem Herzen und versprach, den Wunsch des Knaben zu erfüllen. Er hieß ihn warten und ging zurück in das Kaffeehaus.

Bald kam er wieder mit dem französischen Capitain.

»Frage ihn,« sagte hastig der Knabe, »ob es meinen Herrn retten kann, wenn ich beweise, daß er Nichts von dem Verrath in Silistria gewußt und ich allein die Nachrichten an die Moskows gegeben und die Boten gesandt habe?«

[315] Der Kiradschia wiederholte die Worte des Mohren auf französisch, aber der Capitain schüttelte traurig den Kopf.

»Es wird wenig helfen und der Beweis Dir schwer sein. Der Spruch des Kriegsgerichtes ist gefällt und jeder Aufschub der Vollstreckung selbst der Empfehlung des Prinzen von dem Pascha abgeschlagen. Du würdest Dich unnöthig selbst in Gefahr bringen, wackerer Bursche; denn ich glaube, daß Dein Vorgeben blos ein freiwilliges Opfer Deiner Treue ist.«

Nursah hatte mit glühenden Augen an dem Munde des Offiziers gehangen und aus seinen Bewegungen die Antwort gelesen.

Er faßte krampfhaft den Arm des Kiradschia's.

»Frage ihn,« sagte er mit glühendem Gesicht, und er bediente sich der Lingua franca, gleich als wolle er den Kiradschia möglichst an einer Verheimlichung seiner Worte hindern, »frage ihn, ob sie ihn freigeben wollen, wenn ich ihnen ein wichtiges Geheimniß entdecke, eine Verschwörung, noch diese Nacht die Stadt in Flammen zu setzen?«

Der Kiradschia blickte erschrocken auf den Knaben – der Capitain jedoch, der einzelne Worte verstanden hatte, war aufmerksam geworden; so wiederholte Jener denn wörtlich die Frage.

»Diantre! Ist dies Wahrheit oder lügst Du, Bursche?«

Der Mohr hatte den Zweifel auf seinen Lippen gelesen.

»Bei der heiligen Mutter Gottes, an die ich glaube! bei den Gräbern meiner Eltern!« betheuerte er.

»Rührt Euch Beide nicht von der Stelle,« befahl der Capitain, »ich weiß, Du verstehst italienisch. Im Augenblick bin ich wieder bei Euch!« – Er sprang zurück in das Café, wenige Momente nachher kam er zurück mit einem Offizier. – »Erzähle diesem Herrn, was Du weißt, er spricht italienisch.«

Nursah berichtete mit fliegenden Worten, ohne den Zusammenhang mit der Rettung Welland's zu erwähnen, daß die Griechen um Mitternacht die Magazine der Franken in Brand stecken wollten, von dem Lazareth hatte er selbst nur Ungewisses verstanden.

Capitain Depuis hielt bereits die Uhr in der Hand, während ihm sein Kamerad die Nachricht übersetzte. Einige Worte genügten den Offizieren, um sich über die nöthigen Schritte zu verständigen. Während der Zweite in das Café zurück eilte, um Lärm zu machen und Meldung nach allen Seiten zu senden, zog Capitain Depuis den Degen.

[316] »Du weißt den nächsten Weg zu dem Magazin?« fragte er den Kiradschia.

»Ja, Herr!«

»Vorwärts denn und rasch, Ihr Beide weicht nicht von meiner Seite! Ist es, wie Du sagst, und kommen wir zeitig genug, so bürge ich Dir für sein Leben.«

Halb rennend verfolgten sie den Weg. Dem Unteroffizier einer Patrouille, die ihnen begegnete, befahl der Capitain, sich ihnen anzuschließen, – so, im vollen Lauf zuletzt, betraten sie den Platz und eilten nach der dunklen Masse des Gebäudes. Plötzlich strauchelte der Capitain.

»Morbleu! hier liegt ein Mensch!«

Er bückte sich, ihn zu fassen, zog aber schnell die Hand zurück. – »Es ist die Schildwache, sie ist ermordet!«

In demselben Augenblicke schoß eine Flammengarbe in die Höhe, das Lazareth an der anderen Seite des Platzes stand in Feuer. In dem hellen Schein, der sich weithin ergoß, huschten einzelne dunkle Gestalten an den Mauern und zwischen den Baracken hin.

»Höll' und Teufel! Die Mordbrenner haben das Lazareth angesteckt. Dort fliehen sie! hinter ihnen dr'ein!«

Der Kiradschia hielt ihn zurück.

»Das Magazin! das Magazin!«

Ein Blick belehrte die Franzosen, daß auch hier das bübische Werk im Gange sei: zwei, drei Flämmchen schlugen aus den Dächern eines angebauten kleinen Häuschens.

Der Flintenschuß eines Soldaten knallte hinter einer jener dunklen Gestalten d'rein, die an ihnen vorüberhuschen wollte; mit geschwungenem Degen sprang der Capitain auf eine zweite los, indem er dem Unteroffizier zuschrie, die Ausgänge des Platzes zu besetzen.

Zugleich rollten entfernte Trommelschläge durch die Straßen und fanden bald ihr hundertfältiges Echo. Menschen kamen in vollem Lauf herbei, mit jedem Augenblicke mehrte sich ihre Zahl.

Der Verfolgte war dem Capitain unter der Hand verschwunden. Während der Hilferuf Nursah's und des Kiradschia's bald Menschen genug herbeiführte, um für die Rettung des Magazins zu wirken, forschte der Capitain nach den Mordbrennern, da er überzeugt war, daß sie noch irgend wo in der Nähe verborgen sein müßten.

[317] Wir haben bereits gesehen, wie sie entdeckt worden. Geurgios und fünf seiner Gefährten, von den Franzosen überrascht, hatten sich in eine der Baracken geflüchtet, gewiß, in dem folgenden Gedränge zu entkommen. Die Aufmerksamkeit des Capitains verhinderte ihren Plan.

Auf Befehl des Marschalls waren die Gefangenen nach dem Pascha-Konak, als dem nächsten sich eignenden Platz, gebracht worden, der sofort wieder von französischen Wachen besetzt wurde, indem man ohne Weiteres die albanesischen und kurdischen Freischaaren hinausjagte und die aus dem Lazareth geretteten Kranken hier einquartirte. Obschon das türkische Regiment in der von den Alliirten besetzten Stadt eine Null geworden, machte doch der Marschall Sali-Pascha die bittersten Vorwürfe über die schlechte Polizei, die er übe und dieser hütete sich daher wohl, von dem Vorfall im eigenen Hause zu sprechen, um so mehr, als er ihn zu seinen besonderen Zwecken auszubeuten suchte.

Als nämlich durch das Geschrei Nausika's, der Nedela, – das sie erst erhob, nachdem sie die beiden Griechen hatte entfliehen sehen, und durch den Feuerlärm der Pascha herbeigeführt worden, hatte die Schlaue ihm allerlei Lügen von dem plötzlichen Erscheinen bewaffneter Männer bei ihr erzählt, um sich so gegen ihn und den Baronet sicher zu stellen, ohne jedoch ihre Bekanntschaft mit Caraiskakis zu verrathen, und die Aufmerksamkeit nach dem Gemach des Gefangenen gelenkt. Man fand die Thür von diesem selbst geschlossen und den Arzt noch immer mit dem Baronet beschäftigt.

Die Moslems haben einen unbegränzten Glauben an die Geschicklichkeit der fränkischen Aerzte, und der Pascha überließ daher den Verwundeten, nachdem er erfahren, daß ihn einer der eingedrungenen Diebe oder Mörder verletzt, der weitern Hilfe des Doktors, indem er zwei Khawassen als Wache dazu stellte, während er selbst sich mit jener türkischen Ruhe zur Brandstätte begab, die Alles Gott anheimstellt.

In dem Audienzzimmer des Pascha's war sofort ein Kriegsgericht gebildet worden, das die gefangenen Mordbrenner verhörte; – Adjutanten eilten hin und her, den Oberbefehlshabern ihren Rapport zu bringen, der Konak schien plötzlich zum Hauptquartier geworden.

Die Thatsachen lagen so klar, daß das Verhör der fünf Griechen nur kurz war. Das Zeugniß des Capitains bekundete, daß [318] man sie in der Nähe des Arsenals und der ermordeten Schildwache und noch verschiedenes Material zur Brandstiftung in ihren Taschen gefunden hatte; die Aussage Nursah's, daß der Plan ein verabredeter gewesen. Vier der Angeklagten leugneten auch weder die Absicht, noch die That, weigerten sich aber entschieden, ihre Freunde und Helfer und deren Verstecke zu verrathen. Nur Einer, von der wüthenden Menge übel zugerichtet, bezeichnete das Haus, in dem die Führer sich aufzuhalten pflegten und man die Beweise ihrer Verbindung finden würde, und dessen Lage der Knabe Nursah nur unvollkommen anzugeben vermocht hatte.

Vergebens hatte er während seiner kurzen Aussage versucht, auf die Unschuld seines Herrn zurückzukommen, der Vorsitzende des Kriegsgerichts, nur mit der Feststellung des vorliegenden Verbrechens beschäftigt, verwies alles Weitere auf später – oder an das türkische Gericht, das den Arzt verurtheilt.

Während das Kriegsgericht zur Fällung des Urtheils sich zurückzog, war Capitain Depuis mit einem türkischen Offizier kommandirt worden, mit Hilfe Nursah's den Schlupfwinkel der Griechen aufzusuchen und zu durchforschen. Als das Kommando sich auf den Weg machte, begann bereits die helle Nacht des Orients sich in die Klarheit jener wunderbaren Morgenröthe zu verwandeln, die Meer und Land mit ihren Farbendinten überschüttet.

Die Zeit wartet nicht – die Zeit fliegt.

Die Straßen waren noch gefüllt von dem Trubel der Nacht, die erbitterte Menge wich nicht von den Thüren des Konaks, sie verlangte die Hinrichtung der Mordbrenner, die ihre schutzlosen Kameraden geopfert. An andern Stellen machte sich die Bewegung bemerklich, die dem Aufbruch großer Truppenmassen vorangeht.

Mit dem Aufgang der Sonne sollten die noch zurückgebliebenen Colonnen nach der Dobrudscha aufbrechen, im Laufe des Morgens die Escadre unter Segel gehen.

Beim Licht des Tages gelang es Nursah, sich leichter zu orientiren und das Haus, aus dem er entflohen, zu finden. Eine unsägliche zu Angst spannte alle seine Geisteskräfte, beflügelte seine Schritte.

Aber das Haus war leer – Gregor Caraiskakis und die übrigen Verschworenen hatten Zeit gehabt, es zu räumen und Alles mitzunehmen, was ihnen Gefahr bringen konnte.

Die sorgfältigste Durchsuchung ergab keine Spur; indem sie [319] das Haus besetzt ließen, kehrten die Offiziere mit der Meldung zurück.

Aber die durch die Straßen ziehenden Colonnen verzögerten ihren Weg – die Sonne war aufgegangen und warf ihre klaren Strahlen über Stadt und Meer.

Je näher sie dem Konak kamen, desto größere Angst durchbebte das Herz des jungen Mohren; sein flehender Blick wandte sich jeden Augenblick vorwurfsvoll auf den Capitain, der ihm das Leben seines Herrn versprochen, und der ihn vergebens in seiner ihm unverständlichen Sprache zu beruhigen versuchte.

Schon auf dem Wege hatte sie das Gerücht erreicht, daß die Griechen zum Tode verurtheilt worden und auf Befehl des Marschalls sofort auf dem Glacis der Festung erschossen werden sollten, um die Erbitterung der Soldaten zu beruhigen.

Ein wildes tumultuarisches Geschrei voll bitterer Verwünschungen verkündete ihnen, als sie näher kamen, daß die Verurtheilten bereits ihren Todesweg angetreten.

Als sie den Eingang des Konaks erreichten, kam ihnen eine Gruppe englischer Matrosen entgegen, die eine Krankensänfte trugen; daneben ging ein alter englischer Schiffscapitain, von Zeit zu Zeit sorgsam nach dem Kranken sehend. Mehrere türkische Diener begleiteten den Zug und machten Platz für ihn.

Der Offizier war der Capitain des »Niger«, der Kranke, den er an Bord transportiren ließ, Edward Maubridge.

Nach der Feuersbrunst in der Nacht war der Capitain mit anderen Flottenoffizieren zur Stadt gekommen und hatte den Baronet aufgesucht. Er fand ihn unter den Händen des Arztes, der die letzten Stunden seines Lebens mit einem Werke der Menschenfreundlichkeit füllte. Dieser gab ihm die Versicherung, daß für das Leben des Baronets unter der Hand eines kundigen Chirurgen Nichts zu fürchten sei, indem der Stoß des Dolches keine Lebensarterien verletzt und nur starken Blutverlust zur Folge gehabt hatte, der den Kranken auch größtentheils bewußtlos ließ. Da zugleich der Befehl des Marschalls bekannt wurde, daß alle entbehrlichen Räume des Konaks sofort zum Lazareth in Stelle des abgebrannten Gebäudes eingerichtet und benutzt werden sollten, beschloß Capitain Warburne, den Verwundeten an Bord zu bringen und ihm dort die nöthige Pflege zu widmen, statt ihn unter Fremden und in der Ansteckung eines Lazareths zurückzulassen.

[320] Sali-Pascha hütete sich wohl, diesem Einrichtung zu widersprechen, und Nedela sah damit ihre Absichten erfüllt, da sich Niemand um ihr Zurückbleiben kümmerte.

Capitain Depuis hatte mit seiner Begleitung den Eingang des Konaks erreicht und ließ hier Nursah, im Schutz einer Wache zurück, um seine Meldung zu machen und zugleich nochmals für den Arzt zu sprechen und des jungen Mohren Eingeständniß vorzulegen. Aber er traf weder den Marschall, noch den Prinzen mehr im Konak. Dem Zurückkehrenden stürzte Nursah entgegen, den Kiradschia mit sich fortziehend. Die wilden verzweifelten Bewegungen des Knaben zeigten ihm sogleich, daß etwas Ungewöhnliches vorgegangen.

»Was ist geschehen – rasch! denn wir müssen eilen, den Befehl zum Aufschub der Execution zu erhalten, die um 6 Uhr vollstreckt werden soll.«

»Es ist zu spät!« jammerte Paswan, »alle Mühe ist vergebens, der Pascha hat die Gelegenheit benutzt, das Urtheil an dem Hekim-Baschi zugleich mit den Griechen vollstrecken zu lassen, ich sah den Unglücklichen vorüber kommen.«

»Diantre!« fluchte der Capitain, »sie können noch keine fünf Minuten Vorsprung haben, – wir holen sie ein! Ha – die Hilfe sendet uns Gott!«

Ein Reitertrupp kam die verhältnißmäßig geleerte Straße herauf, General Espinasse mit seinem Stabe, der Kommandirende der Expedition nach der Dobrudscha, um seiner Brigade zu folgen.

Der Capitain sprang an sein Pferd und salutirte.

»Monsieur le Général, retten Sie die verpfändete Ehre eines französischen Offiziers!«

Der General hielt einen Augenblick an.

»Was wünschen Sie, Capitain?«

Mit fliegenden Worten, während er neben dem Pferde des Generals herging, berichtete der Offizier die Vorgänge, das Wort, das er dem Knaben verpfändet für die Entdeckung des Complotts, die Geständnisse und die Selbstanklage desselben in Bezug auf die Spionage in Silistria; endlich den tückischen Streich des Pascha's, der die Stunde der Execution verfrüht. Der General sann einige Augenblicke.

»Ich habe von dem Verurtheilten gehört und daß man Zweifel an seiner Schuld hegte. Aber die Sache betraf die Herren Türken [321] allein und ging uns nicht an. Jetzt steht es anders. Sie verpfändeten Ihr Wort im Namen des Kommandirenden und das muß gehalten werden, wenn es noch Zeit ist. Wo soll die Hinrichtung vollstreckt werden?«

»Auf dem Glacis am Thor von Baltschick, auf Ihrem Wege, Excellenz.«

»Vorwärts, meine Herren! Sehen Sie zu, wie Sie nachkommen, Capitain, lassen Sie aber den jungen Spion nicht von der Seite, damit wir die Sache später untersuchen können.«

Der General setzte sein Pferd in Trab. Nursah lief neben ihm her, der Capitain folgte, so gut es ging.

Als sie am Thore ankamen, knallte eben eine Salve.

»Rechts, rechts, Herr!« schrie der Kiradschia, der mit dem angstkeuchenden Knaben neben den Pferden herrannte, »das waren die Griechen! – ich sehe das türkische Kommando dort!«

Der General sprengte im Galopp nach dem bezeichneten Ort durch die Platz machende Menge, die der Execution der Mordbrenner beigewohnt, an dem französischen Kommando vorüber, das um die Leichen der fünf Erschossenen aufmarschirt war – sein weißes Tuch winkte nach einer entfernteren Gruppe – –

Dort stand aufrecht am grünen Wall neben einer offenen Grube ein Mann, bleich, aber fest und muthig – –

Zehn Schritt von ihm traten eben zwölf türkische Nizams an, die Kolben ihrer Gewehre rasselten aus den Boden.

So rasch der General geritten – Nursah, der schwarze Knabe, war dennoch früher zur Stelle, als er, und stürzte sich zwischen die Soldaten und seinen Herrn, diesen umklammernd und mit seinem Leibe schützend.

»Rettung, Herr! Rettung! Du wirst leben!«

Aber der Arzt stieß ihn verächtlich von sich.

»Ich mag keiner Gnade ein ehrloses Leben verdanken. Jüs-Baschi, kommt zu Ende!«

Bei diesem aber hielt bereits der General.

»Sprecht Ihr französisch, Herr?«

»Du sagst es, Excellenz.«

»Was wollt Ihr mit dem Mann da thun?«

»Inshallah! Wie Gott will! Er soll erschossen werden. Er ist ein Spion und das Kriegsgericht hat ihn verurtheilt.«

»Dummheiten!« sagte der General. »Wir können unsere [322] Aerzte besser brauchen, als sie von Euch Türken erschießen zu lassen. Der Mann ist unschuldig und außerdem – packt Euch zum Teufel!«

Der Jüs-Baschi glotzte ihn groß an.

»O meine Seele! was soll ich sagen – der Mann, Excellenz, ist mir vom Pascha übergeben und ich muß ihn erschießen lassen.«

Der General wandte sich kaltblütig zu seiner Suite, die eben herankam.

»Montaigne, reiten Sie nach dem Thore zurück, das, wie ich sehe, eben das erste Regiment verläßt. Beordern Sie eine Compagnie hierher und lassen Sie den Platz mit dem Bajonnet räumen, wenn diese schmuzigen Schufte sich nicht bis dahin aus dem Staube gemacht haben.«

Ohne sich weiter um den erschrockenen Moslem zu kümmern, ritt er zu dem Verurtheilten, der staunend die unerwartete Scene mit angehört hatte.

»Sie sind frei, Herr,« sagte der General freundlich, »aber es wird gut sein, wenn Sie für einige Zeit ohne Zögern Varna verlassen. Doctor Maineville von den dritten Zuaven ist erkrankt und zurückgeblieben. Sie werden den türkischen Dienst quittiren und seine Stelle einnehmen.«

Der Uebergang von dem Gefühl des sicheren Todes zum frischen gesicherten Leben war zu plötzlich, zu überraschend, um nicht selbst das kräftigste Herz zu erschüttern. Einige Augenblicke wankte der Arzt, wie ein Betäubter, unter dem Schlage, dann raffte er sich auf und streckte beide Hände nach dem General aus.

»Excellenz – täuschen Sie einen Unglücklichen nicht – mein Name ist beschimpft, meine Ehre verloren! ich bin als Spion verurtheilt!«

»Ich weiß, ich weiß,« sagte ungeduldig der General. »Wir wollen das später in Ordnung bringen. Ihre Rettung danken Sie dem Capitain hier und dem Geständniß dieses schwarzen Burschen da, der, wie ich höre, die ganze Spionage geleitet hat.«

Der Mohrenknabe sah aus den Augen und Geberden, daß von ihm die Rede war. Er umfaßte demüthig die Füße seines Herrn. –

»O Vergebung, Effendi! Du, dem ich so viel verdanke, Dein Zorn wäre bitterer, als der Tod.«

[323] Aber der Arzt stieß ihn empört und heftig von sich, daß er weithin zu Boden taumelte.

»Verräther! Du hast meine Liebe und Güte mit Verrath Deines Herrn gelohnt, – geh' aus meinen Augen, für immer, Bube!«

»Nehmen Sie eines meiner Handpferde, Doctor, bis wir zur Colonne kommen,« befahl der General. »Capitain Depuis, nehmen Sie den schwarzen Burschen da mit zurück und übergeben Sie ihn dem Commandant de Place zur weiteren Untersuchung. Und nun, meine Herren, vorwärts, denn wir müssen die Verspätung einholen.«

Der Arzt saß bereits im Sattel des Pferdes, das ein Reitknecht ihm zugeführt. Depuis und der Kiradschia waren mit dem schwarzen Knaben beschäftigt, den die Hand des deutschen Arztes von sich geschleudert und der, betäubt, mit blutender Stirn, am Boden lag.

Der mitleidige Offizier hatte ihm Jacke und Tuch geöffnet und versuchte, ihn zum Leben zurück zu bringen.

Plötzlich sprang er erstaunt empor.

»Ein Weib, Excellenz, – es ist ein Weib!«

Der General blickte schlau und lächelnd bald auf den Arzt, bald auf die Gruppe. Es konnte kein Zweifel sein, – die Gestalt, die schwer athmend und eben erwachend vor ihnen lag, gehörte einem Weibe. Der volle üppige Busen in seiner Ebenholzschwärze quoll aus dem zerrissenen Obergewande den Blicken entge gen. Eine Schnur schlang sich um den festen kräftigen Hals und schien auf der wogenden Brust etwas Glänzendes, gleich einem Ringe, zu halten. –

»Parbleu!« sagte spöttisch der General, »das Abenteuer wird immer interessanter. Doch, Weiber, Capitain, haben stets das Privilegium des Verraths und deshalb lassen Sie die schwarze Schöne laufen, sobald sie wieder zu sich gekommen. Galopp, meine Herren!«

Dahin sprengte die Cavalcade. Einen Blick nur hatte der Arzt auf das ohnmächtige Mädchen geworfen und dieser eine ihm das Räthsel gelöst, das in dem Knaben ihm schon beim ersten Begegnen bekannte Züge gezeigt hatte.

Nursah – Nursädih!

Fußnoten

1 1856.

2 Es ist Feuer!

6. Cholera morbus!
[324] Cholera morbus!

Während bereits von Paris her die Krimm-Expedition im Geheimen beschlossen war und Marschall St. Arnaud seine Vorbereitungen in Varna traf, ergab sich die Nothwendigkeit, theils, um die Aufmerksamkeit der Russen von diesen Vorbereitungen abzulenken, theils, um dem weitern Umsichgreifen der Krankheiten zu steuern, die Truppen in weitern Distancen zu dislociren oder auf Expeditionen auszusenden. Die ungeheure Anhäufung von Menschen auf einem Punkte, die unerträgliche Hitze und die Ausdünstungen der Unreinlichkeiten aller Art, welche, trotz der strengsten Verbote, nach orientalischer Gewohnheit die Straßen und den Hafen Varna's füllten, hatten – wie wir bereits gesehen – die Cholera mit gefährlicher Heftigkeit ausbrechen lassen. Der Marschall sandte daher einen großen Theil der Flotte mit einer embarkirten Truppenzahl unter Canrobert und Sir George Brown mit geheimen Instructionen an die Küsten der Krimm ab.

Diese Instructionen gingen, wie die griechischen Spione richtig ahnten, nicht auf eine Landung und einen Angriff Sebastopol's aus, sondern Lauf eine möglichst genaue Recognoscirung der Küsten und ihres Fahrwassers.

Eine solche war um so nothwendiger, als die Russen das schlaue Manöver gebraucht hatten, Seekarten über die Ufer des Schwarzen Meeres zu verbreiten, welche absichtlich falsch und darauf berechnet waren, jeden Feind zu täuschen.

Zugleich mit der Expedition zur See war eine Landexpedition gegen die russischen Truppen beschlossen worden, welche die Dodrudscha noch besetzt hielten. Diese Expedition erfüllte, wie bereits erwähnt, den doppelten Zweck, das durch die Unthätigkeit bei der Belagerung von Silistria bereits erschütterte Vertrauen der Türken auf ihre Alliirten wieder zu kräftigen und die Truppen zu trennen.

Oberst Desaint, welcher die Dobrudscha durchstreift, hatte die Nachricht überbracht, daß zwischen Matschin, Tultscha und Babadagh noch 10,000 Mann russische Infanterie mit 2 Husaren-Regimentern sich befänden. 1200 Kosaken standen als Vorhut in der Nähe von Küstendsche.

General Yussuf, der berühmte afrikanische Partheigänger, hatte [325] mit Oberst Beatson eben die Organisation der Baschi-Bozuks, unter dem Namen der »orientalischen Spahi's« vollendet. Der Marschall vertraute ihm das Geheimniß der Krimm-Expedition und wie nöthig es sei, die Russen durch eine Diversion in anderer Richtung zu fesseln. Er erhielt demgemäß die Ordre, mit seinen 3000 umgeschaffenen Reitern und zwei Bataillonen Zuaven, unter Bourbaki in die Dobrudscha vorzudringen und die Russen zu beunruhigen. Zu seiner Unterstützung wurden staffelweise drei Divisionen aufgestellt, deren erste unter General Espinasse, dem Commandant en chef der Expedition, der leichten Avantgarde folgen sollte, während die Divisionen des General Bosquet und des Prinzen Napoleon als zweite und dritte Linie aufgestellt blieben.

Am 4. August sollten die Truppen wieder eintreffen, um sich am 5. zur Krimm-Expedition einzuschiffen.

Man hatte nur Eines in diesem Plane vergessen.

Dies Eine war – die Cholera.

Das Ziel des Marsches für die Division Espinasse war Küstendsche, wo der General sein Lager aufschlagen sollte, um von hier aus die fliegende Colonne Jussuf's zu unterstützen.

Es ist ein trauriges Land, die Dobrudscha, und eine Armee, die es durchzieht, hat mit unsäglichen Mühseligkeiten zu kämpfen, die sich steigern, je näher man dem Donau-Delta kommt. In der nächsten Umgebung Varna's, bis auf etwa 6 Meilen, durchwandert man waldiges Terrain; bald darauf aber sieht man keinen Baum, keine Schlucht mehr, nur von Entfernung zu Entfernung Senkungen des Erdreichs, in denen sich das Sumpfwasser sammelt. Das Auge schweift über die Flächen, ohne einem Gegenstande zu begegnen, der das geringste Interesse fesseln kann; nicht ein Bach frischen Wassers bewässert jenes trostlose Gelände. Am dritten Tag schlug die Division ihr Bivouac in Kavarnac auf. Von da an bestand das, was man Dörfer nannte, aus elenden Hütten von trockenen Steinen, aus denen sich die bulgarischen Familien bei der Ankunft der Franzosen geflüchtet hatten, auf ihren Armen oder ihren zerbrochenen Araba's davontragend, was sie ihr spärliches Besitzthum nannten.

Am 25. Juli kam die Colonne in Mangalia an – es lag in Trümmern. Schon am andern Nachmittag verließ sie wieder den Ort und wanderte durch trostlose Haiden, auf welche die Sonne ihre glühenden Strahlen sandte. Man nahte dem Trajanswall, [326] über den hinaus bereits Yussuf mit seiner mobilen Colonne schwärmte, und schlug das letzte Bivouac vor Küstendsche, zwischen zwei Höhenzügen, auf. Der Boden hob sich hier wellenförmig, die Oede war hin und wieder belebt, aber es waren nur Trupps wilder Pferde, die sie durcheilten. Schwärme wilder Gänse, die aus den Sümpfen mit lautem Geschrei aufflogen bei der Annäherung des Zuges, oder das Gekreisch der Adler, die in den Lüften ihre Kreise zogen und so wenig an eine Störung gewöhnt waren, daß sie die Soldaten dicht an sich herankommen und mit den Gewehren nach sich schlagen ließen, ehe sie sich erhoben.

Wenn die Nacht kam, dann umkreiste der wilde Hund oder der Schakal mit seinem klagenden Geheul das Lager und die Schildwachen sahen ihre formlosen Schatten über die Fläche stieben.

In dieser Nacht brach ein furchtbares Gewitter aus, das einen sinnbetäubenden Eindruck auf die ermüdeten Soldaten machte. In wenig Augenblicken war das ganze Lager durch hundert Gießbäche unter Wasser gesetzt. So kam man naß und erschöpft unter dem Strahl der glühenden Sonne am anderen Morgen in Küstendsche an, aber man fand einen Trümmerhaufen, dessen Ruinen zum Theil noch rauchten, so daß General Espinasse eine Stunde davon sein Lager aufschlagen mußte.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war am Abend des 28., als eine ziemlich starke Abtheilung der orientalischen Spahi's und zwei Compagnieen des ersten Zuaven-Regiments unter Lieutenant-Colonel oder Colonel, wie er unter den Organisirten genannt wurde, Vicomte de Méricourt, durch die öde, wellenförmige, zum Theil schon hier in Sumpf auslaufende Steppe vordrang. Die Tirailleurs hatten dem Commandanten angezeigt, daß in der Entfernung von einer Viertelstunde ein tartarisches oder bulgarisches Dorf zu liegen scheine, und der Vicomte, abseits des Yussuf'schen Corps detaschirt, hatte die Stelle zum Bivouac bestimmt.

Bei der Ankunft fanden sich in der That mehrere halb zerstörte, von Lehm und Binsen errichtete Erbhütten, die sonst den Aufenthalt jener wenigen aber genügsamen Menschen bilden, welche Gegend bewohnen.

Die Hütten waren leer, nur in einer derselben fand man – was seit vielen Meilen nicht geschehen war – drei der geängsteten Bewohner des Landes in ärmlicher Tracht.

[327] Es war ein Mädchen von hoher schlanker Figur, schönen Zügen und braunem Teint, das ruhig und zurückhaltend an dem ärmlichen Lager eines Kranken saß, der in Schaaffelle gehüllt auf getrockneten Binsen lag. Ein noch ziemlich junger Mensch mit verschmitztem Aussehen kam den Offizieren kriechend entgegen und erzählte in ziemlich verständlicher Lingua Franca, daß sie eine arme bulgarische Zigeunerfamilie und hier, als die Bewohner vor den Moskows flüchteten, zurückgeblieben wären, da ihr Bruder vom Fieber ergriffen, zu krank gewesen sei, um mit ihnen fortzuwandern.

Auf weiteres Befragen berichtete der Zigeuner, daß die letzten Russen vor vier Tagen an der Stelle gewesen, ein vereinzeltes kleines Commando Kosacken, und dann nach Isler zu abgezogen seien, wobei er aus den Reden der Reiter gehört habe, daß das ganze russische Corps, das noch die Dobrudscha besetzt hielt, auf dem Rückzug begriffen sei.

Zugleich kam die Meldung, daß die Soldaten in der Nähe das nothwendigste Bedürfniß des Kriegers auf dem Marsch, Wasser, in einem jener Brunnen gefunden hätten, die mehr aus Cisternen bestehend, äußerst spärlich über das traurige Land verstreut sind und jetzt noch größtentheils von den Russen verschüttet waren. Menschen und Thiere hatten sich sofort um den Rand der Cisterne zusammengedrängt, um mit dem Lebenselement die vertrockneten Gaumen zu netzen.

Die erhaltenen Nachrichten bestimmten vollends den Obersten, an dieser Stelle das nächtliche Bivouac aufzuschlagen. Sofort begannen, während die türkischen Reiter sich träge neben ihren Pferden lagerten und ihr hartes Brot verzehrten, die Zuaven jene fliegenden Gezelte aufzuschlagen, die ihre Erfindung sind, indem sie ihre Lagersäcke auftrennen und sie, je zwei und zwei zusammenbindend und durch Stäbe stützend, Windschirme daraus machen, in deren Schutz sie ihre Feuer anzünden. Die Erfahrung hat den Nutzen dieser Einrichtung erwiesen, und Bedeau, der ehemalige Oberst der Zuaven, regelte sie und führte sie bei dem ganzen Regiment ein. Während die Fouriere die Vertheilung der geringen Lebensmittel vornahmen, machte ein Theil der Mannschaften aus dem trockenen Dünger der Steppenthiere und Binsen Feuer an, um an der Flamme den Kaffee zu kochen, der im Nothfall die sonst beliebte Abendsuppe ersetzen muß, indem man das Zwieback in den Kaffee reibt und so eine Art von Pastete macht. Der Zuave hat [328] das Talent, überall etwas zu finden, wo kein anderer Soldat das Geringste entdecken würde, und so sah man denn auch bald mehrere der lustigen Krieger daher kommen, in ihren Mützen jenes der türkischen Steppe eigenthümliche Thier, die kleine Landschildkröte tragend, die ihnen zu einer kräftigeren Speise verhelfen sollte. Kaum war die Entdeckung gemacht, als die halbe Compagnie sich auf die Jagd begab, um Schildkröten zu fangen, und da bei jedem Zuge dieser eigenthümlichen Soldaten sich wenigstens Einer befindet, der sich rühmt, ein halber Vatel zu sein, so waren in Zeit von einer halben Stunde wenigstens zehn verschiedene Zubereitungen des Thieres im Gange.

Der Oberst hatte seine Lagerstätte in der Nähe der Hütte aufgeschlagen, in welcher er die Familie gefunden, es vorziehend, durch das Bivouacquiren unter freiem Himmel dem widrigen Schmuz und der dumpfen Atmosphäre dieser kaum für Menschen geeigneten Löcher zu entgehen. Dabei leitete ihn außerdem die Absicht, das wirklich in ihrer Racen-Eigenthümlichkeit schöne Mädchen vor den Zudringlichkeiten der französischen Soldaten zu schützen, die in diesem Punkt ein sehr weites Gewissen haben.

Nachdem der Colonel selbst die Posten revidirt, kehrte er zu seinem offenen Bivouac zurück, wo sich bereits die Offiziere der kleinen Schaar versammelt hatten und ihren Antheil an den gerösteten Schildkröten nahmen. Einer der Burschen hatte dazu in dem Wasserkessel mit einer Flasche Rum einen Grogk gebraut.

Die Gesellschaft debattirte eben über den abscheulich schlechten Geschmack des vorgefundenen Wassers trotz des Zusatzes von Rum, als der Colonel mit dem Capitain-Adjutanten Feverrier dazutrat.

»Pardioux!« schwor Capitain Brice de Ville, dessen gascognischen Ursprung das Wort verrieth, »die Fiebersümpfe am Auri-Gebirge enthalten wahrhaftig besseres Zeug als diese stinkende trübe Flüssigkeit. Prüfen Sie selbst, Colonel, unsere Leute müssen krank werden, wenn sie das Zeug genießen.«

»Was sollen wir machen?« lachte Lieutenant Lesorier, »können Sie wie Moses eine andere Quelle in der Wüste schaffen? Unsere Wasserschläuche sind bis auf den letzten Tropfen geleert.«

Der Vicomte hob den ihm dargebotenen Becher und prüfte mit Auge und Nase das Getränk. Es roch so abscheulich, daß er es ohne weitere Probe auf den Boden goß. Sein Auge fiel dabei zufällig auf den jungen, zerlumpten Zigeuner, der am Eingang [329] der Hütte kauerte und die Gruppe der Offiziere neugierig beobachtete, nachdem er sich zu verschiedenen Dienstleistungen eifrig hinzugedrängt hatte.

Er winkte ihn heran.

»Dein Bruder ist wahrscheinlich vom Genuß des schlechten Wassers dieser Gegend erkrankt?«

»Ich bin Dein Sklave,« sagte der Zigeuner demüthig. »Wir trinken von keinem Brunnen in diesem Lande, unsere Nahrung ist der Thau des Himmels, den wir auffangen.«

»Also sind die Quellen dieses Bodens gefährlich?«

»Es giebt gute und schlechte, wie sie Gott gemacht hat. Unser Gesetz befiehlt uns, das Wasser des Himmels aufzufangen.«

»Du kennst diese Gegend?«

»So ziemlich. Wir sind zwar auf der Flucht vor den Moskows hierher gekommen, aber ich habe sie in diesen Tagen viel durchstreift.«

»Du sollst uns morgen früh zum Führer dienen und gut dafür bezahlt werden.«

»Das Kind Aldobarans wird dem Befehl des tapfern Franken gehorchen. Welchen Weg befiehlst Du, daß ich Euch morgen führe?«

»Wir werden den Russen nach Isler zu folgen. Wie weit entfernt ist die See?«

»Kara Irman ist eine Tagereise von hier.«

»Der General,« wandte sich der Colonel zu den Offizieren, »wird auf der Hälfte des Weges zu uns stoßen.«

»Wissen Sie, Vicomte, wie weit Yussuf Befehl hat, vorzudringen?« fragte der Major, welcher die beiden Compagnieen kommandirte.

»Ich weiß nur, daß die Colonne am 5. in Varna zurück sein soll.«

»Sie glauben also an eine Einschiffung?«

»Alle Zeichen deuten darauf hin, doch ist Zweck und Zeit Geheimniß der Oberbefehlshaber.«

»Cap de Bious! Was kann es anders sein, als Sebastopol. Wir werden Sebastopol nehmen und gegen Moskau marschiren.«

»Der Weg möchte etwas weit sein, Capitain,« sagte lächelnd der Colonel.

Der letzte Theil des Gespräches war zwar französisch geführt [330] worden, dennoch horchte der Zigeuner eifrig darauf, gleich als könne er es verstehen.

Die Offiziere hatten ihre Zuflucht zu den Feldflaschen genommen, und das unvermischte Getränk – Rum, schlechter Cognac oder Wermuth-Liqueur – machte fleißig die Runde. Es war bereits finster geworden und die Soldaten begannen sich zu lagern.

»Pesth!« sagte der Gascogner, »es ist doch eine verfluchte Gegend, und mir ist immer, wenn ich mich umschaue, als müßte ich hier meine Gebeine lassen. Wenn die Herren Russen uns nur wenigstens noch einige Motion verschaffen wollten. He, Bursche!« er wandte sich zu dem jungen Zigeuner, »laß die junge Hexe, Deine Schwester, uns wahrsagen, oder uns etwas vorsingen und tanzen, Ihr Zigeuner versteht ja allerlei Teufelskünste.«

Die Offiziere fielen im Chor ein mit jener Ungenirtheit, die im französischen Dienst außer unter'm Gewehr zwischen den Offizieren aller Grade, ja selbst zwischen diesen und den Mannschaften herrscht, und die sich in ihrem Vergnügen wenig um die Gegenwart des Obern kümmert.

Der Zigeuner war in der Erdhütte verschwunden und kam gleich darauf mit dem Mädchen an der Hand wieder zum Vorschein. Der rothe Glanz des Feuers beleuchtete die in phantastische Lumpen gehüllte Gestalt, aus dem Kopftuch, das ihr schwarzes Haar umhüllte, schauten die dunklen Augen kalt und finster auf die Gesellschaft. Ihre Hand hielt die kleine, der Balaleika ähnliche Cither der Bulgaren.

Der Colonel wandte sich freundlich zu dem Mädchen.

»Willst Du uns eines Deiner Nationallieder vorsingen, so soll ein Geschenk Dir die Mühe lohnen.«

Der Zigeuner sprang dazwischen.

»Sarscha versteht die Lingua Franka nicht, blanker General. Sie spricht nur Türkisch und Bulgarisch.«

»Dann, meine Herren,« sagte lächelnd der Vicomte, »werden wir auf das Vergnügen eines nationellen Concerts als Nachtisch wohl verzichten müssen, denn mit unserm Türkisch ist es noch schlecht bestellt.«

»Nicht doch, Colonel. Wir rufen Franconville von Ihren Spahi's, der kann uns dolmetschen. Er spricht Türkisch wie Wasser.«

Nach wenig Augenblicken schon kam der Gerufene herbei, einer jener französischen Abenteurer, die sich seit vielen Jahren im Orient [331] aufhielten und jetzt vielfach als Dolmetscher von den Truppen verwendet wurden. Er war Unterlieutenant bei den neu organisirten orientalischen Spahi's und erklärte sich bereit, jeden Vers der Sängerin auf Französisch zu wiederholen.

»Laß Deine Schwester beginnen. Dieser Herr wird uns jeden Vers übersetzen.«

Das Mädchen sah mit einem seltsamen Blick auf die Gruppe, die neugierig und schweigend lauschte. Dann griff sie in die Saiten, daß die Dissonanzen widerlich hinaus schallten in den Kreis, der sich immer zahlreicher um sie bildete, und begann mit einer eintönigen und dennoch weithin dringenden Stimme jenen furchtbaren Gesang, in dem der apathische bulgarische Charakter alle jene Jahrhunderte alten Klagen gegen den Halbmond in der Geißel der Gegenwart zusammendrängt:


»Ueber das Gebirge kam die Pest,

Hinter Stambul ist ihr schwarzes Nest.


Grün war das Gebirg' und schön bethaut,

Aber es verdorrten Baum und Kraut.


Und das Heilkraut ist zuerst verdorrt,

All' die kleinen Vöglein flogen fort.


Dann vom Berge schritt die Pest in's Thal,

In Pravadi fing sie an die Qual.


Klopfend ging sie dort von Haus zu Haus,

Leichen warf man auf das Feld hinaus.


Erst nur Türken traf ihr schwarzer Hauch,

Später traf er fromme Christen auch.


Auch die Raben flogen fort vom Schmaus,

Nur der Storch blieb auf dem leeren Haus.


Auch der Treue fiel zuletzt vom Dach,

Und es fielen ihm die Jungen nach.


Schwarz vor Aerger ist die Pest zu seh'n,

Einen schwarzen Schleier läßt sie weh'n.


Sie ist eine stumme, alte Frau,

Welk ist ihre Brust, ihr Auge grau.


Nur wenn Jesus Christ in Schlummer fällt,

Steht sie auf und wandelt durch die Welt.


Als der Nordwind unsern Herrn geweckt,

Floh sie über's schwarze Meer erschreckt.«


[332] Der Lieutenant der Spahi's wiederholte Vers um Vers die Worte den Zuhörern.

Je weiter er kam, desto stiller wurde es im Kreise, desto unheimlicher lagerte sich das Grauen rings umher.

Der Gascogner sprang auf.

»Cap de Bious! – Halte ein mit diesem Unkensang, der Einem das Mark in den Adern erstarren macht. Es ist Zeit genug für den Soldaten, an die Krankheit zu denken, wenn sie uns beim Schopf hat.«

Ein einzelner, lauter, langgedehnter Schrei vom Ende des Bivouacs her schien ihm zu antworten.

»Der Doctor! wo ist der Doctor?«

Ein Zuave kam mit der Nachricht gelaufen, daß zwei Kameraden plötzlich bei ihrem Nachtmahl erkrankt seien.

Die beiden Chirurgen, die sich bei der Truppe und in dem Kreis der Offiziere befanden, erhoben sich ziemlich langsam und gleichgültig, bis ein ernster Blick des Colonel sie zur Eile mahnte. Der Gang der heitern Unterhaltung war durch das Lied und die Meldung gestört, und man traf daher allseitig Anstalten zum Nachtlager, während der Vicomte unruhig mit dem alten Major auf und ab schritt, bemüht, seine Besorgniß zu verbergen.

Die Zigeunerin war nach dem unheimlichen Liede wieder verschwunden, Niemand dachte mehr an die Possen, die man zur Unterhaltung mit ihr vorgehabt. Ein leichter Nebel, wie diese Sumpfgegenden stets bei Nacht aushauchen, hatte die weite Fläche eingenommen und gab den Gestalten und Gegenständen etwas Verschleiertes, Gespensterhaftes.

Plötzlich hörte der Vicomte in seinem Rücken eine Stimme sich anmelden:

»Monsieur le Colonel!«

Sich mit seinem Begleiter umdrehend, sah er den einen der beiden Chirurgen vor sich und das blasse erschrockene Gesicht des jungen Mannes schien ihm nichts Gutes zu verkünden.

»Was giebt es, Fremont?« fragte der Major. »Was fehlt den Leuten?«

»Ich rapportire,« sagte der Wundarzt mit leiser Stimme, »daß die beiden Leute von der Cholera ergriffen sind. Drei Andere zeigen gleichfalls Symptome.«

Die beiden Offiziere fuhren erschrocken zurück.

[333] »Morbleu!« rief der Major, »das fehlte uns in dieser Wüste noch! Sie werden ein gewöhnliches Uebel gleich für die Seuche halten.«

»Weder mein College noch ich können uns darüber irren, Herr Major,« sagte der Chirurg. »Wir haben in den Lazareths in Varna Dienste geleistet und verstehen, wenn wir auch keine promovirten Aerzte sind, doch genug von der Krankheit, um zu wissen, daß die vorliegenden Fälle der rapidesten Art sind.«

Der Vicomte nahm den Major am Arm.

»Schweigen Sie, Herr, über die Meldung, die Sie uns gemacht und den Charakter der Krankheit, auch wenn sich noch weitere Fälle zeigen sollten. Gehen Sie zurück und lassen Sie die Kranken absondern, ich werde sogleich zur Stelle sein.«

Während der Chirurg zu dem Lager zurückkehrte, führte der Vicomte den Major eine Strecke seitwärts.

»Der Zug nach der Dobrudscha,« sagte er, »ist hauptsächlich unternommen, um die Truppen der Krankheit wegen abzusondern, die in Varna furchtbarer wüthet, als die Bülletins zugestehen. Ich habe bestimmte Ordres für den Fall, daß die Krankheit ausbricht. Wir werden vier Stunden den Mannschaften Ruhe gönnen und uns dann auf den Weg machen. Gebe Gott, daß die Seuche sich nicht weiter verbreitet, denn – – –«

Er schwieg.

Der alte benarbte Major, der funfzehn Jahre lang in Afrika gefochten, sah ihn starr an.

»Denn – – – was dann?«

»Es ist unmenschlich, – aber die Befehle sind peremtorisch, – ich soll die an der Cholera Erkrankten auf dem Wege sich selbst überlassen.«

»Fluch dem, der diesen Befehl gegeben!« rief der alte Soldat entrüstet. »Möge er selbst nicht auf dem Felde der Ehre, sondern auf dem schlechten Krankenlager enden wie ein Hund. Geben Sie Ihre Befehle, Lieutenant-Colonel; Major Estolles wird zu gehorchen wissen, wenn er auch den Befehl für eine Schande der französischen Armee hält.«

Der Vicomte faßte seine Hand.

»Sie wissen, wie ich selbst darüber denke und wie sich mein eigenes Herz empört. Lassen Sie uns vereint alles Mögliche thun, um dem Uebel zu begegnen.«

[334] Sie begaben sich sofort zu dem Bivouac, wo statt des Schlafes bereits große Unruhe herrschte. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln hatte sich die Nachricht von dem Ausbruch der Cholera bereits verbreitet, und die unerschrockenen, leichtherzigen Krieger, die ohne Bedenken den Feuerschlünden einer Batterie entgegen gingen, steckten die Köpfe zusammen und zitterten bei dem Gedanken an den Tod durch die Seuche.

Die Befürchtungen waren leider nicht unbegründet. Von den dreihundert Zuaven waren, als die Offiziere an die Stelle kamen, die sofort durch Wachen isolirt wurde, bereits vierzehn Mann von der Krankheit ergriffen; vier davon rangen in Todeskämpfen und starben während ihrer Anwesenheit.

Der Aeltere der beiden Chirurgen erklärte, daß das Wasser des Brunnens den rapiden Ausbruch herbeigeführt haben müsse.

Der Colonel ließ Schildwachen an den Brunnen stellen und befahl, ihn bei dem nächsten Tageslicht zu untersuchen.

Außer den abseits lagernden und um die drohende Gefahr unbekümmerten Moslems schlossen nur Wenige in dieser Nacht die Augen. Die Rapports der Aerzte wiederholten sich von Stunde zu Stunde; als die Morgendämmerung anbrach, waren bereits vierunddreißig Erkrankungen unter den Zuaven, drei unter den Spahi's, gemeldet.

Der Vicomte befahl den Aufbruch, und – indem er es nicht über sich gewinnen konnte, die Kranken ihrem Schicksale zu überlassen, – deren Aufnahme in die nachfolgenden Araba's. Während er nach der Hütte der Zigeuner schickte, um den Führer holen zu lassen, – entstand ein wüthendes Geschrei in der Gegend des Brunnens.

Mit aschbleichem Gesicht trat der alte Major zu ihm; bei dem Tapfern, der vor keiner Gefahr gebebt, malte sich Abscheu und Entsetzen in allen Zügen.

»Die Höllenbrut!« sagte er, »meine Leute haben so eben auf dem Grunde dieser Cisterne, deren Wasser wir getrunken, drei Leichname russischer Soldaten gefunden. Der Schurke von Zigeuner mußte darum wissen, die ganze Familie soll baumeln!«

Aber die Ordonnanz brachte die Nachricht, daß die Hütte leer war. Selbst der Kranke war verschwunden. Eine Nachfrage bei den Wachtposten ergab, daß schon im Anfang der Nacht der Zigeuner und seine Schwester mehrmals hin und her gegangen waren, was die Wachen, da der ausdrückliche Befehl des Colonel [335] lautete, die Familie nicht zu belästigen, nicht beachtet hatten. So war es ihnen leicht geworden, auch über die Linie der ausgestellten Vorposten zu entwischen.

Der Eindruck, den der schauerliche, Ekel erregende Fund machte, war kaum zu bewältigen. Schon während der kurzen Anstalten des Aufbruchs mehrte sich die Zahl der Kranken. Als die Colonne sich über die öde Fläche beim ersten Sonnenstrahl bewegte, blieben mehrere Soldaten auf dem Wege zurück – alle Ermahnungen der Offiziere halfen Nichts, – die Krankheit machte bei Einzelnen so rasche Fortschritte, daß schon nach kurzer Zeit das Delirium eintrat.

Man war noch keine zwei Lieues marschirt, als der Major der Zuaven den Colonel rufen ließ, der sich bald bei dem Vortrab der Spahi's, bald bei dem Nachzug der Kranken-Escorte aufhielt, überall anordnend, antreibend.

»Freund,« sagte er ihm, »meine Stunde ist gekommen, der Ekel wird mich tödten. Ich fühle die Krankheit in meinen Eingeweiden; es bleibt keine Rettung für Sie und die Colonne, als daß Sie streng den Befehl des Generals befolgen. Lassen Sie mich mit den Andern zurück und suchen Sie das Corps Yussuf's zu erreichen, wo wenigstens Feld-Apotheken zur Hand sind. Ich empfehle Ihnen meine Braven, Kamerad, – retten Sie, was Sie können, davon. Dieser Feldzug wird viele französische Leben kosten.«

Der tapfere Veteran war vom Pferde gestiegen und saß an einem der Steppenhügel; schon zeigten sich die Vorboten der Krankheit, doch wollten ihn seine wackern Krieger unter keinen Umständen verlassen. Der Vicomte am wenigsten. Es mußte ein rascher Entschluß gefaßt werden; Méricourt ließ die Vorhut der Spahi's Halt machen.

»Fünfzig Mann des ersten Tabor's sitzen ab und schicken ihre Pferde für die Kranken zurück, die sie zu Fuß escortiren! In gleicher Weise wird mit den Kranken der Reiterei verfahren.«

Der Mulasim 1 übersetzte die Ordre; ein rebellisches Geheul der befehligten Abtheilung folgte.

»Fluch über die Dschaur's! Wir wollen ihre Mütter verdammt sehen, ehe wir den ungläubigen Hunden unsere Pferde geben! Mögen sie umkommen, es ist ihr Schicksal!«

[336] Das Rebellenblut der alten Baschi-Bozuks drohte in vollen Flammen auszubrechen, doch der Colonel verstand es zu behandeln.

»On-Baschi Jussuf!«

Der riesige Mohr, Nursädih's Bruder, ritt vor. Er verstand genug die Lingua franca, um die Befehle des Kommandirenden zu begreifen und war ein Liebling desselben, der sich, wie einst seine gemordete Gebieterin Mariam, auf seinen blinden Gehorsam verlassen konnte.

»Laß' den Burschen dort absitzen und sein Pferd zurückführen! – Bei der geringsten Weigerung weißt Du, was Du zu thun hast.«

»Pek äji, Beh!«

Der Mohr wandte sich zu dem nächsten Reiter:

»Inshallah! ist es Dir gefällig, von Deinem Pferde zu steigen, mein Bruder?«

»Olmas!«

Der Halunke starrte gemüthlich hinaus in die Luft, als sei der militairische Gehorsam ihm trotz der zahlreichen Prügel bei der Organisation ein unbekanntes Ding geblieben.

Ohne ein Wort zu sagen, schlug der Mohr ihn mit dem Knauf seiner Pistole so gewaltig an den kahlen Schädel, daß er aus dem Sattel zu Boden stürzte. Dann wandte er sich mit der gleich höflichen Frage an den Zweiten, der, so schnell es sein Phlegma erlaubte, dem Befehle gehorchte. Die Mulasim's machten es auf der anderen Flanke eben so und in fünf Minuten waren die Sättel geräumt und die Pferde zum Transport der Kranken bereit. So wie die Sache einmal durchgesetzt war, hörte man keinen Laut des Widerspruches mehr, und die Bozuks leisteten willig den Kranken alle Hilfe.

Trotz alles Beistandes jedoch kam der Zug nur langsam vorwärts und eine immer mehr anwachsende Zahl von Leichen bezeichnete seinen schaurigen Weg, je höher die Sonne stieg, je heißer ihre Strahlen über die Fläche brannten.

Aber Seuche und Oede sollten nicht ihr einziger Feind bleiben!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Angabe des Zigeuners, daß Krankheit des Bruders die Familie in dem Tartarendorf der Dobrudscha zurückgehalten, war insofern Wahrheit, als eines der Mitglieder der kleinen Gesellschaft allerdings am Fieber litt, doch war die Krankheit bereits den Heilmitteln [337] der Kinder der Steppe gewichen und hätte sie nicht an der Flucht gehindert. Das Zurückbleiben geschah vielmehr absichtlich, denn der junge Zigeuner war Mungo, der russische Spion, mit Sarscha, seiner Schwester und deren Liebhaber, Aleko Pelin, dem Bojarensohn, und streifte im Auftrage der russischen Befehlshaber durch die südlichen Steppen der Dobrudscha, um nach der Kunde, die der Knabe Mauro von dem Aufbruch der Expedition gebracht, den Weg der französischen Truppen zu belauern.

Als Sarscha ihr Unglück verkündendes Lied gesungen, schritt sie einsam und finster in den Abendnebeln davon, ohne in die Hütte zurückzukehren. Sie verachtete das Gewerbe des Bruders, ja, sie achtete wohl selbst nur wenig der leidenschaftlichen Liebe des jungen Bojaren, dennoch trieb sie die Vereinsamung, die auf ihrem Stamm lag, aus den Kreisen des Volkes und ließ sie dem Manne sich anschließen, der ein Herz für sie zeigte. Ueberdies lastete in der Heimath das Gerücht auf ihr, daß die Familie den Russen den Weg durch die Sümpfe von Oltenitza verrathen, und wenn auch Zinka, ihre Mutter, vor jeder Gefahr durch den Ruf des bösen Auges gesichert und in ihrer einsamen Sumpfhütte unbelästigt blieb, warfen die walachischen Bauern doch schlimme Blicke auf Sohn und Tochter. Darum hatte Mungo nach seiner Rückkehr von Krajowa Sarscha und ihren Liebhaber beredet, ihm auf das rechte Ufer der Donau in's Lager der Russen zu folgen.

Der junge Zigeuner stand durch die Schlauheit und Kühnheit, die er bei jeder Gelegenheit an den Tag gelegt und die durch Capitain Meyendorf gebührend gerühmt worden, bei den russischen Oberoffizieren in dem Rufe eines ihrer besten und zuverlässigsten Spione, und es fehlte ihm daher nicht an reichen Belohnungen, deren Ertrag er in der einsamen Hütte seiner Mutter verbarg. Umsichtig, keinen Laut verlierend, beobachtete er unter der Maske der kriechenden Angst und Demuth jetzt den Kreis der französischen Offiziere und die Aufregung, die bei der plötzlichen Kunde von dem Ausbruch der Seuche sich bald durch das ganze Bivouac verbreitete. Der günstige Augenblick der Flucht schien ihm gekommen, und indem er in die Hütte zurückkehrte, hieß er den Bojarensohn, sich der Krankenvermummung entledigen und sich dagegen in ein altes Gewand und Tuch Sarscha's verhüllen. Dann öffneten sie in der Rückwand der Hütte ein mit getrocknetem Schilf verstopftes Loch und krochen in's Freie. Der Nebel und die allgemeine Unruhe [338] erleichterten ihr Entkommen, und zwischen dem hohen Gras der Steppe gelangten sie bald außerhalb der Postenkette. Hier fanden sie Sarscha und alle Drei eilten nun über die öde Fläche einer etwa eine Meile entfernten Stelle zu, wo zwischen zwei Hügeln die halbverfallene steinerne Umfassung eines cisternenartigen Brunnens sich erhob, der gutes Wasser enthielt, dessen Dasein aber der Spion sorgfältig den Franzosen verschwiegen hatte.

In der Vertiefung des Bodens ruhten hier fünf jener kleinen Steppenpferde, auf denen der Kosack die Ebenen der Dobrudscha, wie die des Dnjepr und Don durchschweift. Auf der Mauer des Brunnens saß eine dunkle Figur, die lange schlank am Nachthimmel sich abzeichnende Lanze zeigte den Kosacken; ein zweiter lag schlafend am Boden.

»Stoi! – Wer da?«

»Gutfreund, Brüderchen,« lachte der Zigeuner. »Wecke rasch den Lieutenant, wir bringen Nachricht. Die Franzosen sind in der Falle.«

Der Ruhende sprang empor; es war der junge Kosackenoffizier, der die Meldung des unglücklichen aber tapferen Selwan in der Nacht des großen Ausfalls vor Silistria zu den Schanzen an der Donau hatte bringen sollen.

»Gott und die Heiligen mögen Deinen Weg segnen, Bursche. Was bringst Du für Nachricht? – Du hast mich lange warten lassen!«

Mungo berichtete, während Sarscha und ihr Liebhaber sich an dem Wasser des Brunnens erfrischten.

»K tschortu!« fluchte der Kosack, »es wird unmöglich sein, sie diese Nacht zu überfallen, denn der General ist zurückgegangen und steht über zwanzig Werste von hier entfernt. Gleichviel, er muß die Nachricht erhalten, und wenn Du die Richtung ihres Marsches gut verstanden, sind wir ihnen zur rechten Zeit auf den Fersen. Zu Pferde, Freunde! zu Pferde!«

Wenige Minuten darauf jagte die kleine Schaar nach Norden zu durch die einsame Steppe.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war um Mittagszeit, als die Franzosen und Spahi's auf ihrem traurigen Rückzug an einer Hügelkette angelangt waren, die sich nach dem Trajanswall hinzog. Hier ließ der Lieutenant-Colonel die Colonne rasten, denn selbst die Gesunden vermochten in der[339] brennenden Hitze nicht mehr vorwärts zu kommen. Die Krankheit wüthete furchtbar in den Reihen, das heitere Gelächter, der übermüthige Gesang der Zuaven war verstummt, – von den beiden Compagnieen fehlten bereits sechsundsiebenzig Leute, darunter der tapfere Major, der, eine Lieue von dem Halt entfernt, sein aus zehn blutigen Schlachten gerettetes Leben ausgehaucht. Eine tiefe Niedergeschlagenheit, ja Muthlosigkeit hatte sich der französischen Soldaten bemächtigt, während die Moslems jetzt die Zähigkeit ihres Charakters bekundeten und sich gleichgültig in alles Ungemach und alle Leiden des Zuges fügten.

Der Vicomte hatte verschiedene kleine Trupps zur Recognoscirung und zu Nachforschungen nach Wasser ausgesandt und sich eben finster und erschöpft auf den Boden gesetzt, um einige Augenblicke auszuruhen, während unsern von ihm mehrere Soldaten eine breite Grube in den dürren Boden schaufelten, bestimmt, die Leichen des Majors und der nach der Ankunft auf dem Lagerplatz gestorbenen Krieger aufzunehmen. Ringsum zeigte die Gegend den eigenthümlichen Charakter dieser Wüste. Auf den uralten Hünenhügeln saßen und flatterten mächtige Adler, gleich als begleiteten sie Tod und Beute witternd den Zug. Zahllose Völker von Rebhühnern stürzten schwirrend unter den Hufen der Pferde aus dem dürren Grase hervor, wenn einzelne Wachen von Hügel zu Hügel ritten. Große Heerden von Trappen strichen durch die Ebene, gleichsam zur Jagd verlockend – aber den Jägern fehlte die Lust und die Kraft, denn auf ihren Fersen saß selbst ein grimmer Feind, – der Tod in seiner furchtbarsten Gestalt! – Rechts und links und hinter ihm die stummen Gruppen der Soldaten, auf das glühende Erdreich geworfen, in finsterer Apathie erwartend, daß der Drache der Krankheit auch sie erfassen und verschlingen werde; – nur die Schildwachen, dem Gebote der militairischen Disciplin gehorchend, auf und ab gehend, oder mit bleichem Gesicht, auf das Gewehr gestützt, nach dem Hintergrund des Lagers hinhorchend, von wo der Leidensruf, das Todesstöhnen so manches tapfern Kameraden klang. Und über dies Bild von wilder Natur und menschlichem Elend, menschlicher Schwäche und Ohnmacht, der helle klare Himmel, der glühende, versengende Strahl der Julisonne! Der Vicomte schauderte bei der Betrachtung dieses seltsam-schrecklichen Bildes, als plötzlich der On-Baschi Jussuf mit zwei Begleitern mit verhängtem Zügel über die wellenförmige [340] Ebene dahersprengte. Zugleich vernahm das scharfe Ohr des Offiziers den entfernten Knall von Pistolenschüssen, und von mehreren Punkten her sah man die einzelnen Patrouillen zurückgejagt kommen.

Noch ehe der On-Baschi die Schildwachen der kleinen Lagerstätte erreicht hatte, war der Commandant auf den Füßen und ließ Allarm schlagen. Der Ruf: »Die Russen! die Russen!« ging mit Gedankenschnelle durch die Gruppen, und gleich als hätte das Wort, das ihnen einen neuen Feind verkündete, den Bann des Grauens und der verzweifelnden Apathie von Aller Glieder gelöst, kam Bewegung in die Menge, ordneten sich die Reihen rasch auf das Wort der Offiziere.

Die Ankunft des Mohren, der vor dem Colonel sein Pferd parirte, brachte die Bestätigung:

»Die Kosacken, Bey! sie sind zahllos wie die Heuschrecken!«

Der Vicomte hatte kaum Zeit, seine Anordnungen zu treffen, die mit raschem Ueberblick der Gefahr dahin gingen, die Seite des Hügelrückens zu halten. Während die Kranken sich selbst überlassen blieben, warfen die Offiziere die Zuaven vor als Postenkette rings um die Stellung. Ihnen schlossen sich die abgesessenen Spahi's an, die ihre Pferde zum Transport der Wagen und Kranken gestellt hatten; im Kreise dieser Kette ordneten sich die Reiterhaufen der Spahi's.

Es war das erste Mal, daß die Franzosen in diesem Kriege ihre alten Gegner von 1812 und 1813 wiedersahen, die Söhne der Steppe, wie ihre Feinde in Algerien die Söhne der Wüste waren. Es bedurfte kaum des Zurufs, der Ermunterung der Offiziere, um die Leute, die sich auf die Knie in dem hohen dürren Grase geworfen, auf einen tapfern Empfang des Feindes vorzubereiten.

Noch während die Spahi's in der Formirung ihrer Reihen begriffen waren, sah man über den Kamm der gegenüberliegenden Hügel die kleinen, hurtigen, beweglichen, grauen Gestalten auf unansehnlichen, aber lebendigen Pferden jagen, die schlanken, spitzen Lanzen in der Faust, diese gefürchtete Waffe, die einst die Franzosen von Moskau bis Paris gejagt hatte. Das »Kuli! Kuli!« der halbwilden Steppenkrieger schallte durch die klare dünne Luft Unheil drohend herüber, und im nächsten Augenblick erschien die dunkle Phalanx eines Kosacken-Regiments auf den Hügeln.

Kaum fünf Minuten lang hielt der Feind an, um sich zu sammeln [341] und die Front zu bilden. Man sah die Offiziere hin und her sprengen, auf die sichtbaren Schwadronen der orientalischen Spahi's deutend und dann diesen Wald von Lanzen sich senken und an den Hals der kleinen Pferde pressen. Ein gellender langgezogener Schrei erfüllte die Luft, dann kam, gleich einer Schwalbe im Stoß, die ganze dunkle Reihe im Galopp daher gejagt.

Der Tod bringende Empfang belehrte jedoch die russischen Offiziere bald, daß sie hier auf andere Gegner gestoßen, als auf ihre gewohnten Erbfeinde, die Moslems.

Der Chok des Kosacken-Regiments ging im vollen Galopp bis auf ungefähr 100 Schritt vor den ruhigen Colonnen der Spahi's. Da plötzlich entwickelte sich auf den Wirbel der Trommeln ein Feuer auf der ganzen Vertheidigungslinie, kaum 30 Schritt von den Anstürmenden, das mit sicheren Schüssen Pferde und Reiter zu Boden warf. Im Nu sprangen zugleich die Zuaven empor und bildeten eine Phalanx von Bajonneten, an denen die Wenigen zurückprallten, die das tödtliche Feuer noch so weit halte vordringen lassen.

Die Reihen des anstürmenden Regiments lösten sich rechts und links in wilder Flucht.

»Vive l'Empereur!«

»En avant, mes braves!«

Der Säbel des Colonel winkte. Im Carriere brachen die halbcivilisirten türkischen Reitermassen vorwärts und jagten die Kosacken weit hinüber über das Thal.

Erst der langgedehnte Ton der Hörner rief die Bozuks zurück. Das Auge des tapfern und umsichtigen Führers umfaßte das Schlachtfeld. Da links debouchirten dichte Massen von Feinden über die Hügelreihe herauf: ein zweites Regiment Kosacken und eine Colonne Infanterie, auf den Pferden der Steppenreiter mit zur Stelle befördert, kam über die Anhöhen.

Die Signale hatten die französisch-türkische Reiterei zurückgeführt. Die Zuaven sammelten sich in Gliedern zur kühnen Vertheidigung des Platzes, auf dem sie vielleicht dennoch bald ihr Leben der schrecklichen Seuche zum Opfer bringen sollten. Der Colonel war überall und ermunterte die Seinen.

Es that Noth, denn jeder Blick rückwärts lehrte, daß die ekle widrige Krankheit unaufhaltsam ihre Opfer forderte.

Der leichtherzige gascognische Capitain wankte an ihm vorüber, [342] die Faust, die noch den tapfer geschwungenen Säbel hielt, auf den Magen gepreßt.

»Das höllische Wasser wühlt mir im Leib! Ich muß zum Doctor, leben Sie wohl, Colonel – die Lanze eines Russen möge Ihnen ein besseres Ende geben, als meines!«

Er stürzte nach wenigen Schritten in Zuckungen zu Boden; der Vicomte ließ ihn aufheben und zu den Chirurgen tragen. Die zurückkehrenden Leute meldeten, daß nur der Eine noch seinen Dienst erfülle, der Zweite aber sich gleichfalls in den Schmerzen der Krankheit winde.

Einen traurigen verzweifelnden Blick warf der brave Commandant hinauf zu dem lichten, klaren Mittagshimmel, der so viel Elend überwölbte. Nicht die Ueberzeugung entmuthigte ihn, daß hier ihr Aller Grab gegraben – nur die bittere Empfindung, daß hie Krankheit ihr Sieger und Würger werde und die tapfere Schaar fast widerstandslos in die Hand des Feindes gegeben habe.

Und dieser ließ nicht warten. In aufgelösten Reihen plänkelte die Hälfte der Kosacken und die Infanterie rings gegen den Lagerplatz der Franzosen, während das neu angekommene Regiment in geschlossenen Sotnien den günstigen Augenblick abzuwarten schien, um sich auf die Bedrängten zu werfen. Der Colonel ließ im Rücken, wo das fliegende Lager sich an die hintern Hügel lehnte, so gut es in der kurzen Zeit ging, durch das Aufwerfen eines Grabens und die Aufstellung der Araba's, welche das Gepäck und die Kranken bisher geführt, eine Art Verschanzung bilden, welche wenigstens von dieser Seite gegen einen Choc der Reiterei sichern konnte, und sandte die Hälfte seiner Spahi's gegen die Plänkler, die andern und die geschmolzenen Glieder der Zuaven gegen einen Massenangriff zurückbehaltend.

Ueber die von hohem Steppengras bedeckte Ebene, die zwischen den zwei niedern Hügelzügen sich dehnte, entspann sich jetzt ein lebendiges Reitergefecht, in dem die Chancen ziemlich gleich waren, da beide Theile auf dieses Plänkeln und diesen Einzelnkampf gewöhnt und geübt waren. Nur hüteten die Kosacken sich, nachdem die Kugeln der Zuaven mehrere Sättel geräumt hatten, der Stellung dieser Gegner zu nahe zu kommen.

Eine Stunde mochte so vergangen sein, als der militairische Blick des Colonels bemerkte, daß ein neuer Impuls unter die Russen zu kommen schien. Reiter sprengten auf dem Hügelrücken [343] hin und her, die Signale riefen die Plänkler zum Sammeln und offenbar bereitete sich ein allgemeiner Angriff vor, der bei der Ueberzahl der Russen vernichtend wirken mußte.

Dennoch wollte er Leben und Sieg so lange als möglich vertheidigen und traf alle Anstalten zu einem kräftigen Empfange der Gegner. Das frühere Manöver konnte jetzt nicht mehr glücken und es galt, die Lanzenreiter festen Fußes zu empfangen. Der Colonel ließ die Zuaven die Mitte und die Spitze des Halbkreises einnehmen, und die Spahi's die Seiten bilden.

Der Sturm kam und das zweite Kosacken-Regiment in vollem Galopp heran, während zwei Sotnien des andern rechts und links angriffen. Der Stoß war rasch und blutig, aber das regelmäßige Feuer, die kecke sichere Haltung der Franzosen schlug noch einmal den Ansturm ab, während an den beiden Flanken der Stellung ein wildes Handgemenge entstand. Hierhin warfen die russischen Offiziere ihre Infanterie und der Vicomte sah, daß in wenigen Momenten der Kampf sich zu seinem Nachtheil entscheiden mußte.

In diesem Augenblicke vernahm er den unerwarteten Knall eines Feldgeschützes und das Pfeifen einer Kugel über ihren Köpfen hinweg. Ein zweiter und dritter Schuß folgten rasch dem ersten, bevor er noch Zeit hatte, sich aus dem Kampfgewühl los zu machen und von einer freien Stelle sich umzuschauen.

Die Kugeln waren gegen die vier Sotnien der Russen gerichtet, welche als Reserve vor den jenseitigen Anhöhen aufgestellt waren.

Von der Hügelwand über und hinter ihnen in einiger Entfernung qualmte der Rauch der Geschütze und blitzte das Feuer aus dem Pulverdampf, und auf den Anhöhen entlang jagten türkische Spahi's.

Hilfe in der Noth – das konnten nur französische Feldgeschütze, die Avantgarde des Generals Yussuf mußte in der Nähe sein – die Russen wußten davon und hatten einen letzten Coup versucht!

»Haltet Euch! Haltet Euch, meine Braven! Französische Hilfe rückt an!«

Aber es war zu spät – in demselben Augenblick durchbrach die russische Infanterie die gedehnte schwache Vertheidigungslinie, die Kosacken folgten, und einige Minuten lang war das ganze so tapfer vertheidigte Gelände eine wirre Masse von Kämpfenden,[344] so dicht gedrängt, daß oft nur der Stoß des Säbelgriffs gegen den Feind gebraucht werden konnte. Pferde stürzten und traten ihre Herren unter die Hufe, über Kranke und Sterbende ging das Gewühl schonungslos hinweg, Reiter und Infanteristen kämpften neben- und miteinander, oft nicht den Freund vom Feind unterscheidend, Weh- und Wuthgeschrei, der donnernde Siegesruf der Russen, das herausfordernde Kampfgeschrei der Franzosen, der Jammer der Sterbenden und Zertretenen, dazwischen die zum Rückzug rufenden russischen Signale – –

Mit Mühe gelang es endlich den russischen Offizieren, ihre Mannschaften aus dem Gewirr zu lösen und sie zurückzuführen. Aber der Rückzug löste sich bald in wilde Flucht, denn in Masse schwärmten jetzt die Spahi's des französischen Generals heran und von den näher gekommenen Geschützen hagelten Kartätschen und Granaten über den Steppengrund. Erst auf den jenseitigen Höhen, wo die vier Sotnien die Reserve bildeten, sammelten sich die Regimenter und traten, von der türkischen Reiterei umschwärmt, einen langsamen Rückzug an.

Auf der Stätte des kurzen aber blutigen Kampfes lagen die Leichen, Verwundeten und Kranken wüst durcheinander, Menschen und Pferde, die verstümmelten, von den Hufen der Pferde zertretenen Opfer der Seuche neben den Opfern des Säbels und der Lanze, Zuaven, Spahi's und Russen. Wer verschont geblieben von dem blutigen Gemetzel, selbst die Verwundeten und Kranken, schleppte sich jubelnd den Rettern entgegen, die jetzt in geschlossenen Colonnen, den General mit seinem Stabe voran, über die Hügel daherkamen.

Der Säbelhieb eines Kosacken hatte den Colonel über die Stirn getroffen und eine blutende, wenn auch nicht gefährliche Wunde zurückgelassen. Der starke Arm des On-Baschi Jussuf hieb einen Zweiten vom Pferde, dessen Lanze den Vicomte im Rücken bedrohte. Von dem Mohren und einigen Offizieren begleitet, sprengte der Vicomte jetzt dem berühmten Namensvetter seines Lebensretters entgegen.

»Ah ciel, Monsieur le Colonel! Sie bluten, die Russen haben Ihnen scharf zugesetzt; wir kamen, von dem Schießen geleitet, zur rechten Zeit!«

Der Vicomte rapportirte das Geschehene. Der weltberühmte kühne Abenteurer, der frühere Gouverneur von Constantine und französische Brigade-General, der einst der Kabburha, der Tochter [345] des Bey von Tunis Zunge, Hand und Auge des verrätherischen Mohren sandte, der ihre Schäferstunde belauscht, war, obgleich über die erste Blüthe des Mannesalters hinaus, doch noch immer ein Mann von kühner schöner Haltung, klein und zierlich von Wuchs, aber ein vollendeter Reiter. Sein scharf und ausdrucksvoll geschnittenes Gesicht verdüsterte sich merklich, als er von dem Ausbruch der Cholera in dem Detachement vernahm.

»Das ändert meinen Vorsatz,« sagte er, »und läßt diese Spitzbuben da drüben ungeschoren entkommen, deren Gros bei Babadagh ich mit einem Nachtmarsch überfallen wollte. Ich kann es nicht mißbilligen, Lieutenant-Colonel, daß Sie Ihre kranken Leute nicht im Stich gelassen, und scheere mich selbst den Henker wenig um die unmenschliche Ordre des Marschalls. Mit unserm Vordringen aber ist's vorbei und wir müssen unsere nächsten Lazarethe oder wenigstens bewohnte Gegenden wieder zu erreichen suchen. Sir folgen uns, Vicomte, mit dem Rest Ihrer Leute; ich werde ihnen sogleich Aerzte senden. Die Kranken und Verwundeten müssen auf die Bagagewagen vertheilt werden.«

Ehe eine Stunde verging, waren die Gräber zur Beerdigung der Gefallenen gegraben und das Corps auf dem Rückmarsch.

Es ist nicht unsere Aufgabe, die schrecklichen Leiden der einzelnen Abtheilung der Expedition weiter zu verfolgen. Der Tod, der in ihren Reihen wüthete, verbreitete sich bald auch unter die Truppen des Generals.

Um 8 Uhr Abends hatte man bereits 150 Todte und 350 Sterbende. Es war ein schreckliches Schauspiel, das die muthigsten Herzen mit Grauen erfüllte. Es handelte sich nicht mehr darum, einen Feind zu verfolgen, der stets vor den Blicken am unermeßlichen Horizont der Steppe verschwand, sondern einer Geißel Gottes zu entrinnen. Nur die Energie des tapfern Afrikaners trieb die Truppen auf dem Wege nach der Küste vorwärts, wo man hoffen konnte, Schiffe zu finden und durch die frische Seeluft die Krankheit gemildert zu sehen.

Die Colonne des Generals Espinasse war bis Kergeluk vorgedrungen, und der Todesengel hatte sie mit gleicher Wuth getroffen. Das brave Infanterie-Regiment, das die Kranken aus dem brennenden Lazareth in Varna getragen, hatte den Giftstoff der Ansteckung in seinen Adern mit in die Wüste gebracht und die Anstrengungen des Steppenmarsches ließen ihn bald zur vollen [346] Wuth ausbrechen. Todte und Sterbende lagen haufenweise unter den Zelten. Man hatte keinen Feind gesehen und dennoch bedeckten Leichen den Boden, wie nach einer Schlacht; man grub Gräber, um die gestorbenen Gefährten zu begraben, aber bei dem Aufwerfen der Schollen entquollen pestilenzialische Dünste dem Boden; so Mancher, der dem Kameraden ein Grab grub, legte die Schaufel nieder, ehe das Werk vollendet war, und warf sich schweigend an, den Rand der halboffenen Gruft, um nicht mehr aufzustehen. Die noch Lebenden wurden auf die Pferde gehoben oder von den Kameraden getragen, sogar auf die Fahrzeuge der Artillerie mußte man die Kranken laden. Diese verhängnißvolle Nacht war die zum 30. Juli. An dem andern Tage vereinigten sich die Colonnen der beiden Generale, und man konnte deutlich sehen, wie die Furcht vor einem ruhmlosen Ende auch die Häupter der Unerschrockensten zu Boden drückte. Da gegenseitige Hülfe nicht denkbar war, so galt es, jede größere Anhäufung von Menschen zu vermeiden. Die Yussuf'sche Colonne ging ohne Aufenthalt an den Kampfgefährten vorüber und bewegte sich gegen Mangalia, indem sie auf ihrem Wege als verhängnißvolle Etappen zahlreiche Gräber zurückließ, die den Pfad anzeigten, den sie gewandert. Bei diesem Marsch war es, daß der Vicomte durch ein kurzes Wiedersehen des deutschen Arztes die erste Nachricht von seiner Rettung erhielt. Doctor Welland war in voller Thätigkeit und lohnte mit energischer Aufopferung das edelherzige Einschreiten des Generals. So schrecklich die Verhältnisse waren, unter denen man sich wiederfand, so herzlich war die Begrüßung im Leben von beiden Seiten, und mit Vergnügen hörte der Vicomte, daß, wenn der schwarze Tod sie verschonte, sie bei seinem eigenen Regiment sich wiederfinden sollten.

Die Espinasse'sche Division erreichte mittlerweile ihr ehemaliges Bivouac bei Pallas, wo sie ein Bataillon mit den Tornistern der Infanterie, eine Section der Ambulancen und ihr anderes Gepäck zurückgelassen hatte. Da es unmöglich wurde, alle Kranken noch weiter zu schaffen und die Führer darüber einig waren, der grausamen Anweisung des Marschalls so lange als möglich keine Folge zu geben, so ließ man hier bei der Ambulance einen Theil der Kranken zurück und zugleich zwei Bataillone zu ihrem Schutze. Die Seuche wuchs an Heftigkeit und jede Minute vermehrte sich die Chiffre der Sterblichkeit. Am 31. war die Division vereinigt und entledigte sich ihrer Kranken nach Küstendsche, wo der »Pluto« [347] sie aufnahm. Bisher waren die Zuaven am meisten heimgesucht, obwohl alle Corps ohne Ausnahme viel zu leiden hatten. Warten war hier gleichbedeutend mit Sterben. Der General bestimmte daher, daß den anderen Morgen um halb 5 Uhr der weitere Rückmarsch nach Varna angetreten werden sollte – aber noch denselben Abend um 10 Uhr traf unerwartet der General Canrobert von seiner Argonautenfahrt vor Küstendsche auf dem »Cazique« ein. Von allen Seiten erhoben sich bei dem Anblicke des geliebten Führers in diesem durch die schrecklichste aller Krankheiten decimirten Lager die lebhaftesten Zurufe, Aller Arme streckten sich ihm entgegen; die Sterbenden erhoben sich, um ihrem General entgegen zu gehen; denn dem Unglücklichen erscheint jede Veränderung seiner Lage als eine Besserung, und nicht bald war ein General so von den Seinigen geliebt, wie Canrobert. Welches Schauspiel entrollte sich aber seinen Blicken. Auf allen Seiten lagen unter dem Schutze der Zeltdächer die Fieberkranken ausgestreckt. Ueberall hörte man Gestöhne, und der Tod mähte mit unbarmherziger Sichel in den Reihen der erschöpften Krieger. So fand Canrobert seinen schönen, stolzen, kriegslustigen Heerhaufen wieder, den er voll Leben und Kampfesdurst verlassen hatte. Ohne ein Wort zu sagen, reichte er seiner Umgebung die Hände und man sah Thränen seinen Wangen entrollen. Dann durchschritt er die Zeltgassen, hatte ein Wort des Trostes für alle Leidenden, belebte den Muth der Gesunden durch die Hoffnung auf nahen ruhmvollen Kampf, und beugte sich mitfühlend über jene herab, die im Begriffe waren, eine Beute des Todes zu werden. Mittlerweile wuchs die Sterblichkeit in der schreckbarsten Weise. In der Nacht und an dem folgenden Morgen wurden alle disponiblen Pferde der Artillerie, so wie die Packmaulthiere der Offiziere, requirirt, um 800 Neuerkrankte nach Küstendsche zu schaffen. Am 1. August verließ man Pallas und am 2. war die Zahl der Erkrankungen wieder so groß, daß die Sänften und Araba's nicht mehr genügten, um die von der Seuche Ergriffenen fortzuschaffen; man mußte endlich zu den Pferden der Offiziere und Generale seine Zuflucht nehmen. Zu allem Ueberflusse begannen unbegreiflicherweise die Lebensmittel zu fehlen. Canrobert gab einem von Küstendsche mit Cholerakranken abgehenden Schiffe die Weisung mit, von Varna Lebensmittel als Rückfracht nach Mangalia zu bringen. Zugleich wurde in der Nacht der Capitain Marcel zu Yussuf geschickt, der um einen Tagesmarsch voraus[348] war, mit der dringenden Aufforderung, den General mit Transport- und Lebensmitteln zu versehen. Glücklicherweise hatte eben ein Schiff in Mangalia Lebensmittel ausgeladen; Offiziere und Soldaten halfen 600 Pferde beladen und machten zu Fuß, die Pferde am Zügel, 6 Lieues, um ihren leidenden Brüdern Hilfe zu bringen. – General Espinasse, von der Cholera ergriffen und von seinem Geretteten treulich gepflegt, blieb mit einem Regimente zurück, um die nicht transportirbaren Kranken zu bewachen. Der Rest setzte sich in Marsch und stieß endlich auf die 600 Packpferde Yussuf's. Die braven Baschi-Bozuks gingen nun mit den leeren Pferden noch weiter zurück, um Espinasse's Regiment abzuholen, da aber die meisten Kranken kein Pferd mehr besteigen konnten, requirirte Canrobert Araba's, um sie zu befördern. Endlich kamen, als man Mangalia erreicht hatte, welches am Meere gelegen ist, Schiffe in Sicht, die 2000 Cholerakranke nach Varna schafften.

Das war das schaurige Ende der ersten französischen Expedition gegen die Russen!

Fußnoten

1 Lieutenant.

Die Almaschlacht
[349] Die Almaschlacht.

Der Roman hat den allgemeinen Gang der Begebenheiten so lange verlassen, daß wir den Leser mit einem kurzen Ueberblick derselben bis zu der Katastrophe führen müssen, die sich jetzt im Süden bereitete.

Wir haben die Resultate der Verhandlungen der europäischen Kabinette über die orientalische Frage am Schluß unseres zweiten Bandes, also bis zum Frühjahr 1854, berichtet.

Auf Grund des zwischen Oesterreich und Preußen geschlossenen Allianztractats zum Schutz der deutschen Interessen richtete das wiener Kabinet nach Petersburg Sommation auf Räumung der Fürstenthümer. Unter'm 29. Juni antwortete Graf Nesselrode mit der Erklärung, daß die Stellung in den Fürstenthümern nur noch eine militairische Position sei, die geräumt werden würde, wenn man Sicherheit habe, daß die Feindseligkeiten andererseits nicht fortgesetzt würden. Rußland stimme den Grundsätzen des Protokolls vom 9. April bei und wolle darauf den Frieden unterhandeln: Integrität der Türkei – Räumung der Fürstenthümer – Consolidirung der Rechte der Christen in der Türkei gemeinsam durch die Mächte.

Diese Note der russischen Regierung erwiderten die Kabinets von London und Paris mit folgenden vier Forderungen: 1) Europäische Garantie für die Rechte der Donau-Fürstenthümer; 2) Sicherung der freien Schifffahrt an der Donaumündung; 3) Revision des Vertrages von 1841 im Interesse des europäischen Gleichgewichts und im Sinne einer Beschränkung der russischen Macht auf dem Schwarzen Meere; 4) gemeinsame Förderung der Emancipation [350] der Christen, aber nur in einer mit den Souverainetätsrechten des Sultans vereinbaren Weise.

Diese Forderungen waren offenbar so anmaßend und politisch gefährlich für Rußland, als unwürdigchristlicher Staaten! Dennoch machte sie auch Oesterreich zu den seinen, während Preußen sich auf eine Vorlage in Petersburg und den Versuch beschränkte, sie mit den von Rußland vorgeschlagenen Grundbedingungen in Einklang zu bringen. Unter'm 26. August verwarf Graf Nesselrode die übersandten Bedingungen, die offenbar den Zweck der Demüthigung und Schwächung Rußlands zum Ziel hätten und höchstens einem durch langen Kampf geschwächten Reich geboten werden könnten. Zugleich erklärte er, daß aus strategischen Gründen die Truppen hinter den Pruth zurückgezogen seien und Rußland sich fortan völlig auf der Defensive halten werde.

In Asien waren während dieser Zeit die russischen Armeen fortwährend siegreich gegen die Türken gewesen. General Wrangel hatte ein feindliches Corps unter Selim-Pascha bei Bajazid vernichtet und beherrschte den Carawanenweg. Fürst Bebutoff schlug Zarif-Pascha bei Kurukdere auf's Haupt; aber die englischen Intriguen und englisches Gold, welche Schamyl bis unter die Mauern von Tiflis führten, nöthigten die Sieger, sich gegen diesen Feind zu wenden.

Im Norden hielt unterdeß die englisch-französische Flotte die Ostsee occupirt und englische Schiffe begannen jene Plünderung und Zerstörung unbeschützter Küstenstädte, die als eine ewige, aber keineswegs vereinzelte Schande auf der britischen Kriegsgeschichte haften wird. Wir führen als einziges Beispiel der englischen Humanität an, daß die Mannschaft einer Fregatte vierzig Frauen und Mädchen von einer der Alandsinseln auf ihr Schiff brachte, acht Tage lang sie zur Fröhnung ihrer Gelüste mit umher schleppte und dann die Unglücklichen fern von ihrer Heimath wieder an's Land setzte.

Aber es waren ja bloß Russen, gegen die man sich dergleichen schon erlauben darf!

Am 16. August bombardirte die vereinigte Flotte das einem solchen Angriff keineswegs gewachsene Bomarsund und die französischen Landungstruppen unter General Baraguay d'Hilliers zwangen den Kommandanten, General Bodisco, zur Uebergabe. Man zog diese einer spartanischen Aufopferung vor. – Die Befestigungen [351] der Alandsinseln, offenbar von der russischen Politik bestimmt, später ein Zwingpontus der Ostsee zu werden, waren noch im Entstehen begriffen; die Station dieser Inseln aber, wie wir bereits bei einer früheren Gelegenheit bemerkten, galt für die Truppen in Petersburg als der nordische Kaukasus, das heißt, als eine Art Exil. Es muß anerkannt werden, daß die Zerstörung Bomarsunds und die spätere Friedensclausel, welche die Befestigung der Alandsinseln verbietet, die nordeuropäischen Staaten vor einer großen politischen Gefahr oder wenigstens Bevormundung befreien kann.

Am 20. August war eine österreichische Armee in die Walachei eingerückt, Halim-Pascha schon am 8. mit einem türkischen Corps in Bukarest angekommen. Omer-Pascha folgte ihm mit 25,000 Mann am 22., und Fürst Gortschakoff, der nach der Abreise des greisen Fürsten von Warschau wieder allein das Obercommando führte, räumte zu Ende des Monats vollständig die Moldau.

Durch die Besetzung der Walachei nach dem Abzug der Russen verfolgte das wiener Kabinet unter all' diesen politischen Wirrnissen eine eben so selbstständige als schlaue Politik, die bei dem Streit der drei großen Nationen für die eigenen Interessen so viel als möglich im Trüben fischte. Am 6. September zogen die Oesterreicher in Bukarest ein. Oesterreichs Verlangen an den deutschen Bundestag, ihm auch bei einem weiteren aggressiven Vorgehen den Rücken zu decken und seine Besetzung der Donau-Fürstenthümer als eine deutsche Angelegenheit und für Deutschland unternommen zu schützen, scheiterte jedoch an der klaren und redlichen Politik des Königs von Preußen, der sich weigerte, den unter'm 20. April geschlossenen Allianztractat zu einer deutschen Mobilmachung gegen Rußland ausbeuten zu lassen, um von dessen Bedrängniß Zugeständnisse für Oesterreich zu erzwingen, und der die Fürsten des deutschen Bundes bewog, allen Verdächtigungen Oesterreichs, allen Drohungen der englischen und französischen Presse gegenüber sich seiner strengen Neutralität anzuschließen.

Preußens Ehrlichkeit rettete Rußland – das ist eine Thatsache, die erst die spätere Geschichte würdigen wird. Den Dank – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Goldener Sonnenschein lag über dem Pontus, dessen Wogen sich gleich der Brust eines Riesen hoben, bedrückt von einer, ungewohnten Last.

[352] Auf dem Hinterdeck der Fregatte »Niger«, nahe dem Steuer, stand ein bleicher Mann, die Hand auf die Wandtaue gestützt, und schaute auf das Gewühl ringsum, das den Spiegel des Meeres bedeckte, – auf die flache Küste, die sich von hohen Bergplateau's im Osten und Süden her hier in Steingerüll in das blaue Meer verlief.

Es war der dreizehnte September, der Jahrestag der Schlacht an der Moskwa; – eine Armada, zahlloser und stolzer als die des spanischen Philipp's, bedeckte das Meer; – die Küste vor den Augen des Mannes war die Küste von Eupatoria, die Bai von Kalamita, und der Mann mit dem kranken bleichen Gesicht der englische Baronet Edward Maubridge.

Das Verdeck des »Niger« war dicht gefüllt mit Offizieren und Soldaten des 42. englischen Infanterie-Regiments von der Brigade des Generals Campbell. Das Feldgepäck lag an den Seitenwänden hoch aufgethürmt, zwischen den dichten Gruppen der Soldaten bewegte sich oft nur mühsam das Schiffsvolk und nahm sich wenig in Acht, bei Gelegenheit durch einen Tritt oder Stoß seinen Groll an den verachteten Rothjacken und Landratzen auszulassen, die seine Decke ungangbar machten. Einzelne Weiber, dieser unvermeidliche Balast englischer Truppen, befanden sich im Vorderschiff.

Um den kranken Baronet drängte und lärmte es von Offizieren, die mit Capitain Warburne über die Mittel ihrer Ausschiffung verhandelten und seinen Porter tranken.

Der Adjutant des Generals, der Befehle wegen der Ausschiffung gebracht und dessen Boot unten an der Falltreppe auf den blauen Wellen schaukelte, trat zu dem Baronet.

»Ich freue mich, Vetter,« sagte er, »Sie so weit wieder hergestellt zu sehen, daß Sie Zeuge unserer ersten Operationen sein können. Wie ich hörte, wurden Sie durch das Messer eines griechischen Banditen in der Nacht des Lazareth-Brandes in Varna verwundet?«

»So ist es, Capitain Waller. Zum Glück glitt der Stoß an den Rippen ab, nur das dazu getretene Fieber hat mich sechs Wochen an's Krankenlager gefesselt. Es ist das erste Mal, daß ich das Verdeck ohne Hilfe betrete, und wahrlich, der Anblick um mich her muß ein englisches Herz beleben.«

Er war in der That großartig. Die schwimmende Stadt [353] bedeckte, in drei Linien formirt, so weit das Auge sah, das Meer: Segel an Segel, die wirbelnden Säulen von Rauch, die Flaggensignale, die tausend kreuzenden Boote gewährten ein ewig wechselndes Bild.

»Haben Sie noch einige Augenblicke Zeit, Vetter, so würden Sie mich durch eine kurze Uebersicht unserer Operationen verbinden. Bei dem Treiben im Schiff war in den letzten Tagen zu keinem vernünftigen Wort zu kommen.«

»Oberst Lofter schreibt seine Antwort und das dauert sicher noch eine Viertelstunde, die ich Ihnen sehr gern widme. Ich war zufällig gestern an Bord des ›Agamemnon‹, des Flaggenschiffs des Sir Edward Lyons, und hörte da ausführlich die Dispositionen.«

»Vor Allem, wie steht's mit der Gesundheit der Truppen?«

»Im Augenblick ziemlich günstig; es war aber die höchste Zeit, daß wir in Bewegung kamen. Bis Ende Juli waren von Portsmouth, Southampton, London, Marseille und Toulon 80,000 Mann bis Varna gebracht, aber die Cholera und die schlechte Verpflegung hatte uns im August auf 65,000 reduzirt. Die unglückliche Expedition nach der Dobrudscha hat die Franzosen allein 6000 Mann gekostet.«

»Ich hörte davon. Sie begann am Tage meiner Verwundung.«

»Der Zug nach der Krimm war zum August schon beschlossen, nur war man über die Landungsplätze und die Operationen selbst noch nicht einig. Sie wissen, daß am 5. die Einschiffungen begannen, am 9. trafen wir die vorausgegangene französische Flotte an den Schlangeninseln und das Gros ist seitdem vereint geblieben, 150 Kriegsschiffe einschließlich 32 Linienschiffe 1 und 80 Dampfer, dazu 600 Transportschiffe.«

»Wer hat die Letzteren geliefert?«

»Alle Welt, wir haben allein 73 Oesterreicher dar unter.«

»Kennen Sie die Stärke unserer Truppen?«

»Ganz genau. Wir zählen 32 Bataillone, 10 Schwadronen und 24 Geschütze, etwa 26,000 Mann 2; die Franzosen 38 Bataillone, [354] 4 Sappeur-Compagnieen und 72 Geschütze, dagegen an Kavallerie nur eine halbe Schwadron Spahi's, im Ganzen 3 32,000 Mann; doch ist, wie ich höre, gestern schon ein Dampfschiff nach Varna zurückgegangen mit dem Befehl für den Aufbruch der Reserven. Unsere würdigen Schutzbefohlenen, die Türken, sind 7000 Mann stark. Die Armee führt 5000 Pferde, Belagerungsgeschütze, auf 39 Tage Proviant für 65,000 Mann und 1000 Schuß für jedes Geschütz mit. Wenn Sie bedenken, daß jede dieser 14 bis 16 Batterieen mit ihrer Schmiede und ihrer Munition 30 oder 31 Wagen zählt, so ergiebt dies schon an 450 Wagen mit fast 2000 Pferden Bespannung. Rechnen Sie [355] dazu die Wagen mit Ingenieur-Geräthschaften, die Munitionswagen, die Lazarethwagen, das Gepäck und die Kavalleriepferde, so werden Sie sich einen Begriff dieses ungeheuren Transports machen, wie die Welt noch keinen zweiten gesehen.«

»Ich fürchte nur Unglück und Verwirrung.«

»Seien Sie unbesorgt, die Anstalten sind vortrefflich geordnet und, ich muß es gestehen, unsere jetzigen guten Freunde, die Franzosen, Meister in Arrangements. Die Oberbefehlshaber der Flotte, die Admirale Dundas und Hamelin, sorgen nur für die Sicherheit der Landung. Kriegsschiffe sind daher nach allen Punkten detaschirt, von denen eine Störung stattfinden könnte, selbst gegen Odessa. Vor Sebastopol kreuzen seit dem 10. die ›Vengeance‹, die ›Retribution‹ und die ›Fury‹. Jedes Dampfschiff hatte zwei Transportschiffe in's Schlepptau genommen. Sie sehen die drei Linien, welche die Schiffe drei (englische) Meilen lang bilden, links bis zum Cap Baba, rechts nach der Bai von Kalamita hin bis zu den Trümmern jenes alten genuesischen Forts, das Sie über dem tatarischen Dorf auf der Spitze des Hügels erblicken und das morgen der Mittelpunkt der Landung sein wird. Die Avisoschiffe trafen schon vorgestern auf den Stationen von Cap Baba bis zum Cap Lukull ein, und Lyons, der die Ausschiffung leitet, untersuchte selbst die Küsten. Die erste Linie der Schiffe bestreicht mit ihrem schweren Geschütz das Ufer weit hin und führt den größten Theil der Infanterie an Bord. Auf der zweiten befindet sich die Kavallerie, auf der dritten die Artillerie und das Gepäck.«

»Wann wird die Landung beginnen?«

Der Offizier sah nach seiner Uhr.

»Es muß sogleich geschehen, und wenn Sie ein erträgliches Fernrohr haben, werden Sie von hier aus sie vollständig beobachten können. Doch sollen heute nur so viel Truppen an's Land gesetzt werden, um festen Fuß in Eupatoria fassen zu können, das nicht stark besetzt scheint. Die Hauptlandung beginnt morgen weiter südlich und man hofft, jede Stunde 6–7000 Mann landen zu können.«

»Wann wird sich Lord Raglan ausschiffen?«

»Morgen. Er hat das genuesische Fort zu seinem Hauptquartier ausersehen. Marschall St. Arnaud jedoch, der sich dort an Bord der ›Ville de Paris‹ befindet, wird erst am nächsten Tage folgen. Man sagt, er sei nicht ungefährlich krank. Der [356] Herzog von Cambridge ist bei dem Lord, Prinz Napoleon und General Canrobert sind auf dem ›Valery‹ und ›Montebello‹.«

»Wie weit ist der Ausschiffungspunkt von Sebastopol entfernt?«

»Sieben französische Meilen in gerader Linie, doch wird er von zahlreichen Wasserscheiden durchschnitten.«

»Werden die Russen unserer Landung keinen Widerstand entgegen setzen?«

»An dieser flachen Küste wäre er unmöglich. Die Wahl, die Sir George Brown und Canrobert auf ihrer Recognoscirung im Juli getroffen, ist vortrefflich. Sehen Sie, Edward, da gehen die Signale vom Flaggenschiff des Admirals in die Höhe und da kommt auch meine Depesche. Werden Sie mit an's Land gehen, Vetter?«

»Ich werde vorläufig bei Capitain Warburne bleiben.«

»So leben Sie wohl und beeilen Sie sich mit Ihrer Genesung, um unserem Siege beiwohnen zu können.«

Er sprang in's Boot. Aller Augen und Aller Interesse an Bord war jetzt von der beginnenden Ausschiffung auf dem linken Flügel in Anspruch genommen.

Man konnte deutlich durch das Fernrohr die Operation verfolgen. Die Ausschiffung des bestimmten Corps von 10,000 Mann erfolgte zwischen Cap Baba und der kleinen Stadt Eupatoria. Zwei französische, zwei englische Regimenter und 3000 Türken wurden in der Zeit von zwei Stunden an's Land gebracht. Die Boote und Fähren lagen seitlängs der Schiffe, die ungefähr 1600 Ellen sich vom Ufer befanden und an deren Bord die Mannschaften in Abtheilungen geordnet standen, wie sie mit ungeladenen Gewehren in vollem Marschgepäck die Boote betreten sollten. Sobald ein solches seine Ladung hatte, setzte es sich gegen den Strand in Bewegung, bis auf die Entfernung von etwa 50 Ellen, wo die Mannschaften in's flache Wasser traten und nach dem Ufer wateten, auf dem sofort die Aufstellung erfolgte. Die Pferde wurden an den Schiffswinden aus dem Raum gehoben, in See gelassen und dort von den Gurten befreit, um nach dem Ufer zu schwimmen oder zu waten, wo man sie auffing.

Das Ganze – das Vorspiel des nächsten Tages – gewährte ein überaus belebtes Schauspiel. Ein französisches Jäger- und ein englisches Rifle-Bataillon waren die Ersten am Lande, Zuaven und Türken folgten. Sobald ein Bataillon festen Fuß gefaßt, [357] wurden Tirailleurs vorgeschickt, aber nirgends zeigte sich ein Feind, bis auf einige vereinzelte Kosacken, die sich in angemessener Entfernung hielten. Man glaubte, daß sich die russische Besatzung in Eupatoria zum energischen Widerstand rüste, und General Yussuf ging mit 4000 Engländern, Franzosen und Türken vor, um dir Stadt zu stürmen, als die Plänkler die überraschende Nachricht brachten, daß sie so gut wie verlassen war.

Auf die Meldung hiervon wurde beschlossen, nur ein zur Besatzung genügendes Corps, das sofort zugleich die Befestigung der Stadt beginnen sollte, hier zurückzulassen und die weitere Ausschiffung südlicher vorzunehmen. Während der Nacht lichteten die Schiffe die Anker und segelten an der Küste hinab in die Bai von Kalamita. Die »Ville de Paris« legte sich um 7 Uhr Morgens dem alten Fort gegenüber und die ganze Flotte in der vorher bestimmten Ordnung um sie her. Um 8 Uhr gab der französische Admiral das Signal zur Ausschiffung, um halb 9 Uhr wehte die erste französische Flagge am Ufer; General Canrobert und der Contre-Admiral Bouet-Villaumez pflanzten auf der Küste die drei Flaggen auf, welche die Ausschiffungspunkte für die drei Divisionen bezeichneten. Eine halbe Stunde darauf war die ganze erste Division gelandet; die Feld-Artillerie wurde dabei in Barken ausgeschifft. Um Mittag war die ganze französische Armee mit 20 Feldgeschützen am Ufer, am Nachmittag wurden Pferde, Kanonen und Gepäck an's Land gebracht. Sobald die Colonnen sich formirt hatten, schickten sie Tirailleurs voran und debouchirten das Ufer hinauf.

Die Engländer begannen ihre Ausschiffung um 93/4 Uhr und setzten sie mit Bequemlichkeit fort, so daß am Abend erst die Infanterie gelandet war.

Es war der Jahrestag des Einzugs in Moskau. Wie am Tage vorher ließ sich kein Feind sehen, um die Landung zu verhindern. Nur ein einzelner Offizier, von einigen Kosacken gefolgt, hielt ruhig und beobachtend am Strande, schien sich ausführliche Notizen zu machen und zog sich erst zurück, als die ersten Truppen landeten. Auch da noch sah man ihn mit großer Kühnheit und Ruhe in der Entfernung etwa eines Minié-Schusses verweilen und seine Beobachtungen fortsetzen. Da man noch keine Kavallerie am Ufer hatte, wurde kein Versuch zu seiner Gefangennahme gemacht.

Wir haben erwähnt, daß die Engländer ihre Landung erst begannen, [358] nachdem bereits ein Theil der französischen Infanterie ausgeschifft war. Einer der Ersten am Ufer war General Brown und er begann sofort mit seiner gewöhnlichen Furchtlosigkeit und Gleichgültigkeit gegen Gefahr die Schlucht hinauf zu steigen, welche den Bach in's Meer führte, und die in verschiedenen Wendungen in das sich nach und nach hebende Land hineinlief.

In seiner Begleitung befand sich allein der General-Quartiermeister Airey und Beide waren so eifrig in ihrem Gespräch, daß sie nicht bemerkten, wie weit hinaus sie die Linie der Vorposten überschritten.

Die Flanke der französischen Position nahm an dem Klippenhügel, auf dessen Höhe die Ruinen des genuesischen Castells sich befanden, zunächst der englischen Ausschiffung, das dritte Zuaven-Regiment ein. Die Mannschaften hatten ihre Gewehre zusammengestellt, jedoch die Ordre, beisammen zu bleiben. Plänkler waren durch die Ebene zerstreut und drangen langsam vor.

Auf der halben Höhe des Hügels, der mit Offiziergruppen jeder Waffengattung besetzt war, stand der Stab des Regiments um Oberst Polkes versammelt, theils über die Ausschiffung und die nächsten Schritte der Armee verhandelnd, theils dem Landen der Engländer zuschauend; unter ihnen der Lieutenant-Colonel Vicomte de Méricourt.

»Haben Sie über die Operationen Näheres gehört,Labrousse

Der Commandant des ersten Bataillons zuckte die Achseln.

»Ihr Freund Sazé wird Besseres wissen. Ich sehe ihn dort den Hügel herauf kommen.«

Der Ordonnanz-Offizier des Prinzen benutzte in der That einen freien Augenblick, um den Freund aufzusuchen, da nur wenig Pferde erst gelandet waren und er daher keinen Dienst that.

»So viel ich gehört,« sagte er auf die nach der Begrüßung an ihn wiederholte Frage, »liegen zwei verschiedene Systeme vor. Nach dem ersten soll die Armee nach der Landung eine Schwenkung nach links machen, nach der Landenge von Perecop marschiren, den Russen eine Schlacht liefern und dann, gegen die anrückenden Hilfskräfte gesichert, die Belagerung von Sebastopol vornehmen. Nach dem zweiten sollen wir uns rechts wenden, unverzüglich auf Sebastopol losrücken und es durch einen raschen Angriff nehmen, ehe Entsatz und Hilfe herbeizukommen vermag.«

[359] »Was werden wir thun?«

»Das wird in dem Kriegsrath beschlossen werden, der nach der Landung der Engländer beim Marschall stattfindet.«

»Sehen Sie da, meine Herren,« sagte ein großer hagerer Offizier mit spanischem Gesichtsschnitt, »der Russe hat wahrhaftig den Teufel im Leibe. Ich glaube, er hat es auf den englischen General abgesehen.«

»Wo – was giebt's?«

»Seit einer Stunde schon,« antwortete der Capitain, »beobachtet der Offizier dort, nebst seinen sieben Kosacken, der einzige Russe, der sich bis jetzt hat blicken lassen, unsere Ausschiffung. Da drüben den Hohlweg hinauf stiegen vor zehn Minuten zwei englische Generäle, die Klippen verhindern sie, die Nähe der Feinde zu bemerken und sie können leicht hier vor unsern Augen niedergestochen werden. Sehen Sie – der Russe hat sie bemerkt, und trifft seine Anstalten. Er scheint ein noch sehr junger Offizier, das Gegenstück zu dem Fratzengesicht an seiner Seite, – ich kann seine Mienen deutlich erkennen.«

»Erlauben Sie mir einen Augenblick Ihr Glas, Capitain de Lara

»Mit Vergnügen.«

Der Spanier reichte dem Vicomte das kurze Feldperspectiv; deutlich, mit bloßen Augen, konnten Alle der Scene folgen. Man sah, wie der Kosack neben dem Offizier mit der Lanze nach der Schlucht wies, in der man die Federhüte der beiden Generäle von Zeit zu Zeit zwischen dem Gestein sich nähernd erblickte, wie dann die Russen von den Pferden stiegen, die Einer hinter die vorspringenden Felsen führte, und wie sie zwischen diesen sich verbargen. Nur der junge Offizier blieb den Augen in seiner beobachtenden Stellung noch sichtbar.

Plötzlich preßte die Hand des Vicomte fest den Arm seines Freundes.

»Nehmen Sie das Glas, Sazé – blicken Sie hin – erkennen Sie ihn?«

»Die Cholera soll mich haben, wenn das nicht der Fürst ist. Die Aehnlichkeit ist übrigens merkwürdig – eben kam ich an dem Bivouac Ihrer kleinen Marketenderin vorbei und betrachtete mir das blasse Gesicht ihres verrückten Gehilfen.«

Die Gefahr der beiden englischen Oberoffiziere schien übrigens [360] auch von vielen Andern bemerkt worden zu sein, als von der Gruppe der Zuaven-Offiziere. Ein Adjutant des Generals d'Autemarre flog den Hügel hinunter und einige Augenblicke darauf hörte man die Hornsignale des Bataillons der afrikanischen Jäger, welches am weitesten voran stand, wie sie die Tirailleurs zum Avanciren commandirten.

Während die Bewegung ausgeführt wurde, sah man die beiden britischen Generäle auf dem Plateau erscheinen, plötzlich Halt machen und dann in vollem Lauf zurückfliehen. Zugleich knallten mehrere Flintenschüsse und der Rauch kräuselte sich über die Felsstücke her.

Mit athemloser Spannung hing jedes Auge an dem Punkt, um die Lösung der kleinen Scene zu erkunden. Dann sah man aus dem Schutz der Steinwände den russischen Offizier mit seinen sieben Kosacken hervorjagen und quer über die Ebene auf der Straße nach Sebastopol zu an der Kette der französischen Plänkler hinsprengen, die erfolglos den kecken Reitern mehrere Schüsse nachsandten.

»Wahrhaftig! der Bursche verdient, zu entkommen! Sehen Sie, wie er auf unsere Kugeln höflich salutirt – und da löst sich das Räthsel!« –

Aus der Schlucht kamen verfolgend etwa ein Dutzend britische Infanteristen hervor, die unbeachtet den Generälen nachgegangen und im glücklichen Augenblick zur Stelle gekommen waren, um mit ihrem Feuer die Kosacken zurückzujagen. Einer der Letztern – Olis, der Enkel des alten Häuptlings – wurde leicht in's Bein getroffen, – das war das erste Blut, das auf dem Boden der Krimm in diesem Kriege vergossen ward. Ströme sollten folgen! 4 – – –

Die Franzosen hatten am Nachmittag ihre sämtlichen Pferde und ihre Bagage an's Land gebracht, die Engländer aber gefeiert. Dieser Verzug der Bequemlichkeit rächte sich alsbald, denn schon am Abend änderte sich plötzlich die Witterung und von Mitternacht bis zum Morgen wütheten Windstöße und heftige Regengüsse. Die englische Armee mußte diesen Vorschmack des Kommenden unter freiem Himmel, ohne Obdach, ohne Zelte, zubringen. Die an hundert Bequemlichkeiten gewöhnten alten Generäle, Lords und [361] jungen Offiziere lagen im Platzregen am Ufer in durchweichten Decken, statt der Kopfkissen Salzwasserpfützen, ohne Feuer, ohne Grogk, ohne Aussicht auf ein warmes Frühstück, auf einen wohlthätigen Kleiderwechsel. Und rings umher zwanzigtausend pudelnasse Bursche, die sich in ihren Schiffsräumen von der Bescheerung Nichts hatten träumen lassen. Sir George Brown kampirte die Nacht unter einem umgestürzten Karren; der Herzog von Cambridge hatte einen ähnlichen Schlafsalon, denn die Franzosen hatten alle Räume des kleinen Dorfes und der Ruine in Beschlag genommen. Die Verzögerung rächte sich aber noch bitterer, indem das Wetter am 15. und 16. fortdauerte, und mit der Brandung der Wellen am Ufer die Ausschiffung der Pferde und Artillerie sehr erschwerte. Viele schöne Pferde gingen dabei verloren. Das nasse Bivouac übte seinen Einfluß auch auf den Gesundheitszustand aus und einzelne Cholerafälle begannen sich wieder zu zeigen.

Der Kriegsrath am 15. hatte sich für den directen Marsch nach Sebastopol, dessen Nordbefestigungen man im Sturm zu erobern hoffte, entschieden. Vier Tage waren jedoch durch die Zögerung der Engländer nöthig, um die übrige Artillerie, die Pferde, das Gepäck und die Proviantvorräthe an das Ufer zu schaffen, und um die Vorbereitungen zu dem Marsch zu treffen. Diese Zeit wurde zugleich benutzt, um aus Eupatoria eine feste Stellung zu machen, in deren Schutz man nöthigenfalls die Wiedereinschiffung bewirken konnte.

Dann setzte sich das Gros der Armee gegen den Almafluß in Bewegung, auf dessen Höhen, wie die tatarischen Spione die Nachricht brachten, Fürst Menschikoff seine Stellung genommen.

Die Armee rückte langsam und vorsichtig vor – die Flotten begleiteten sie zur Seite. –

Der General-Gouverneur von Taurien, Marineminister Fürst Menschikoff gebot in jenem Augenblick in der Krimm, außer der Flotte von Sebastopol und geringen Garnisonen in Kertsch, Baktschiserai und Perecop, nur über eine disponible Armee von 42 Bataillonen, 16 Schwadronen Kavallerie, 11 Sotnien 5 Kosacken, 72 Fuß- und 24 reitenden Geschützen, im Ganzen etwa 35,000 Mann. Es wäre ein schwieriges, ja, unmögliches Unternehmen gewesen, mit diesen geringen Kräften eine ausgedehnte Küste[362] gegen die Landung einer so übermächtigen Armee und Flotte vertheidigen zu wollen oder gar die Offensive zu ergreifen. Der Fürst beschloß daher, zur Vertheidigung Sebastopols an der ersten Wasserscheide des Weges an dem Flüßchen Alma auf den vortheilhaft gelegenen Höhen eine Defensivstellung zu nehmen, den Rückzug nach Sebastopol und zur Rechten nach den Höhen von Baktschiserai auf diese Weise sich sichernd.

Es ist ein unaufgeklärtes Räthsel geblieben, warum man, nach den langen Vorbereitungen der Alliirten für die Krimm-Expedition, die sich vom Anfang August nach der Rückkehr des französischen Corps aus der Dobrudscha nochmals bis zum September verzögerte, die Krimm nicht stärker besetzt hatte, als mit einer Anzahl, die in keiner Weise siegend dem Feinde die Spitze bieten konnte.

Man muß als Erklärung Folgendes annehmen. In Petersburg herrschte zunächst der Glaube, daß wenn ein Angriff auf Sebastopol versucht würde, derselbe von der Seeseite aus erfolgen werde. Hier kannte man die Stärke der Festung und wußte, daß sie gleich Kronstadt den vereinigten Flotten Trotz bieten könne.

Einen Landangriff erwartete man höchstens in Bessarabien.

Außerdem glaubte der Kaiser den Zustand der Communicationsmittel der Art, daß leicht bedeutende Truppenmassen rasch nach der Krimm geworfen werden könnten; er glaubte, nachdem er seit drei Jahren nicht in Sebastopol gewesen war, die Landbefestigungen der Stadt, für die gleichfalls ungeheure Summen verwendet worden, der Art, daß sie eine Belagerung aushalten könnten; er glaubte die Festung für ein halbes Jahr vollständig verproviantirt.

Dieser Glaube des Kaisers täuschte ihn, – all' seine Strenge hatte das Trugsystem des russischen Beamten und Lieferanten theils nur vorsichtiger zu machen, nicht zu unterdrücken vermocht.

Hierzu kam, daß in diesem Augenblick die russischen Behörden in den Heerlagern der Feinde schlecht bedient waren.

In Constantinopel war, wie wir früher gemeldet, der Hauptagent der russischen Interessen, BaronOelsner, entdeckt und unschädlich gemacht worden, nachdem der Sieg der Partei des Seraskiers seine Beschützer verdrängt hatte. Ein italienischer Arzt,Aska, den der Baron gewinnen wollte, verrieth ihn. Baron Oelsner, der, um die türkische Polizei zu täuschen, deren eigenen Agenten spielte und dafür ein Gehalt von 1000 Piastern monatlich bezog, hatte den Plan eines allgemeinen Aufstandes der Christen [363] und einer Massacre der Moslems in einer bestimmten Nacht entworfen. Den militairischen Theil des Aufstandes sollte der Engländer Planta, genanntHarrison, leiten, jener Mann, der im Norden Deutschlands eine seltsame und räthselhafte Rolle gespielt hat. Ein griechischer Schiffscapitain, Konstantin, ein Verwandter des griechischen Gesandten Metaxa, hatte es übernommen, vierzig andere Schiffscapitaine für die Sache zu gewinnen, auf ihren Schiffen Waffen und Munition nach Constantinopel zu bringen und mit sämtlichen Matrosen der vierzig Schiffe bei dem Aufstande Hilfe zu leisten. Oelsner stand durch Vermittelung des russischen Obersten Bodinianoff in Verbindung mit dem Fürsten Gortschakoff und dem Grafen Orloff, dem Freund und Günstling des Kaisers.

Wir haben gesehen, wie der Ausbruch dieser Pläne durch die Gegenwirkungen der alttürkischen Partei scheiterte; durch den Verrath des italienischen Arztes wurden die Umtriebe des Barons entdeckt und er im Serail gefangen gesetzt. Nur der Schutz mächtiger Freunde sicherte sein Leben.

Eben so haben wir gezeigt, wie der Hauptagent des Barons und der russischen Interessen in Varna, im Heerlager der Verbündeten, Gregor Caraiskakis, durch die Verkettung der Umstände aus Varna vertrieben wurde. Die Nachrichten, die seitdem das russische Gouvernement erhalten, waren schwankend und unsicher, und der trotzige starre Sinn des General-Gouverneurs von Taurien hatte die durch Nicolas Grivas ihm überbrachte Warnung unbeachtet gelassen. – – – –

Daher kam es, daß 65,000 Mann ohne Kanonenschuß, ohne Schwertschlag an der Küste der Krimm landen konnten, daß 65,000 Mann, von einer mächtigen Flotte flankirt, an den Höhen der Alma jetzt 35,000 Russen gegenüber standen.

Das Einzige, was die Russen bei dem Nahen der alliirten Flotte gethan, war die Räumung der Gegend zwischen Eupatoria, Baktschiserai und Sebastopol von allen Hilfsmitteln, und die Alliirten fanden nicht nur wenig frischen Proviant, den ihnen einige muhamedanische Tataren der Bevölkerung zuschleppten, sondern litten auch großen Wassermangel.

Am 19. begann das Vorrücken der Verbündeten, die Engländer auf dem linken, die Franzosen auf dem rechten Flügel, die Türken in der Reserve. Die Kavallerie des Lords Cardigan drängte [364] die Vorposten der russischen Stellung zurück und es entstand ein kurzes Plänklergefecht, worauf die Verbündeten Halt machten und an dem kleinen Flüßchen Bulganak, sieben Wersts 6 von der Alma entfernt, für die Nacht bivouacquirten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

An einem Bivouacfeuer der englischen Linie saßen gegen 11 Uhr Nachts noch mehrere Offiziere der schottischen Garde-Füsiliere und von Goldstream, im Gespräch über die Vorbereitungen zur Schlacht die Rückkehr ihres Führers von dem großen Kriegsrath erwartend, der in dem Hauptquartier des Marschalls, einem tatarischen Hof, gehalten wurde. Andere lagen, in ihre Mäntel gehüllt, am Boden und schliefen – vielleicht den letzten Schlaf.

Am Bivouac entlang im Nachtnebel kam eine Reitergruppe.

»Da sind die Schotten, Herr Kamerad,« hörte man eine tiefe Stimme sagen; »der Capitain muß dabei sein; Mac-Griffin wird Sie führen. Gute Nacht; auf glückliches Wiedersehen morgen auf jenen Höhen dort.«

Die Offiziere waren aufgesprungen, sie hatten die Stimme ihres Befehlshabers, Lords Bentink, erkannt und salutirten, während er vorüber ritt. Drei Offiziere, die sich von der Begleitung des Generals getrennt, kamen näher; zwei Franzosen waren darunter.

»Befindet sich Capitain Morton von den Füsilieren bei Ihnen, meine Herren?« fragte der Adjutant.

»Ah, Sie sind's, Griffin! willkommen; da werden wir hoffentlich Neuigkeiten hören.«

»Da liegt der Capitain schon seit einer Stunde und schläft, wie es scheint, ziemlich unruhig.«

»Goddam! wie kann man so faul sein, wenn ein Dejeuner von Kanonenkugeln und kaltem Stahl uns erwartet. Der Angriff auf die Russen ist beschlossen, ich bringe bereits die Dispositionen für die Garde. Aber wecken Sie den Capitain, hier sind zwei französische Bekanntschaften von ihm, die ihn zu sprechen wünschen.«

Die beiden Fremden waren zu Fuß und grüßten höflich die Gesellschaft; es waren der Vicomte und der deutsche Arzt. Aber es war nicht nöthig, Capitain Morton zu wecken, denn plötzlich fuhr er, der etwas abseits lag, aus dem Schlafe empor, sprang [365] auf und schlug mit dem Degen in der Scheide, den er im Arm gehabt, heftig in die Luft.

Die Offiziere umher brachen in ein lautes Gelächter aus.

»Sie träumen, Capitain; wir fechten erst morgen mit den Russen!«

Der Eine schüttelte ihn am Arm; der Schein des Feuers beleuchtete das blasse Gesicht des Briten, der mit wirren, offenbar noch von den Phantasieen des Traums erregten Blicken um sich starrte.

»Wo ist der Hellblaue hin? ich – sah ihn deutlich, wie er das Pistol hinter mir hob – –«

»Sie haben geträumt, Capitain, und sind hier unter lauter ehrlichen Rothjacken, bis auf die beiden Herren da, die Sie zu besuchen kommen. Selbst unsere Feinde tragen grüne Uniformen.«

Der Offizier fuhr mit der Hand über das Gesicht, wie um seiner Sinne wieder vollständig Herr zu werden.

»Es schüttelte mich auf aus dem Schlaf – ich sah ihn so deutlich vor mir, daß es kaum möglich ist, daß ich geträumt. – Ah! Sie, Vicomte, und Sie, mein alter Freund! Willkommen im Leben, das Sie für alle Leiden und Gefahren, die Sie bestanden, entschädigen möge.«

»Ich komme,« sagte der Arzt, »da bis jetzt mich immer Amt und Entfernung hinderten, Sie aufzusuchen, um Ihnen am Vorabend eines Tages, der uns leicht für immer trennen kann, meinen Dank zu sagen für die freundliche Theilnahme und Hilfe, die Sie, wie ich erfahren, meinem Schicksal gewidmet haben.«

Der Capitain reichte ihm beide Hände.

»Ich war gewissermaßen schuld an Ihrer Verurtheilung und hätte es mir nie vergeben können, wenn jenes schmähliche Urtheil vollzogen worden wäre, von dessen Unrecht ich von Anfang an überzeugt war.«

»Der Prozeß unseres Freundes,« fügte der Colonel ein, »ist auf Betreiben des Generals Espinasse revidirt und er ist völlig freigesprochen worden. Sein Hauptankläger weigerte sich, nochmals gegen ihn aufzutreten.«

»Ich danke das eben Ihrer freundlichen Bemühung, Vicomte,« sagte der Arzt, »so gut wie die Bestätigung meiner Anstellung in Ihrem Regiment durch den Marschall.«

Im Kreise der Offiziere wurde zugleich der Name genannt. [366] Der Adjutant erzählte, daß der Obercommandant alle Vorbereitungen zum Kampf seinem Generalstabe habe überlassen müssen. Lord Raglan und General Martimprey hätten in Gegenwart des Marschalls die Gefechtsdispositionen entworfen, wobei derselbe kaum im Stande war, durch Zeichen an der Berathung Theil zu nehmen.

»Im Kriegsrath,« fuhr er fort, »ist beschlossen worden, durch einen gleichzeitigen Frontalangriff beide Flanken des Feindes zu umgehen. Die Franzosen werden gegen den linken Flügel, wir gegen den rechten operiren. Unsere Truppen werden in doppelten, aneinander stoßenden Colonnen vorgehen, die Front aus zwei Divisionen wird von Tirailleurs und reitender Artillerie gedeckt. Die zweite Division unter Lach Evans bildet, wo wir jetzt lagern, unsern rechten Flügel und schließt sich an die Division Napoleon's. Sir George Brown nimmt den linken Flügel, Evans stützt sich auf Sir Richard England, Brown auf die Division des Herzogs von Cambridge und Sie werden morgen mit Tagesanbruch in diese Stellung rücken, meine Herren. Cathcart und die Kavallerie unter General-Major Graf Lucan bleiben in der Reserve, um Sie gegen die feindlichen Reiter zu decken. Das sind die Dispositionen und nun – gute Nacht, Gentlemans.«

Ferne Schüsse unterbrachen das Gespräch.

»Ich glaube, unsere Vorposten werden handgemein.«

Man vernahm Nichts weiter – erst am anderen Morgen verbreitete sich die Nachricht, daß der französische Oberst-Lieutenant de la Gondie bei der Rückkehr vom Herzog von Cambridge zum Prinzen im Nebel in die Hände der Kosacken gefallen war.

»Auch wir müssen scheiden,« sagte der Vicomte, »denn einige Stunden Ruhe werden uns nöthig sein für die morgende Anstrengung. Leben Sie wohl, Capitain; ich hoffe, Sie besuchen uns morgen Abend auf den erstürmten Höhen.«

Sir Morton hatte sie einige Schritte begleitet.

»Ich danke Ihnen für Ihren Wunsch, Kamerad,« sagte er ruhig und gefaßt, »indeß lassen Sie mich Ihnen Lebewohl sagen, Beiden, für immer! Ich werde den morgenden Abend nicht sehen.«

»Was machen Sie sich für Gedanken, Capitain! Niemand weiß den Fall der blutigen Würfel einer Schlacht, aber der Soldat darf sich nicht damit den Muth schmälern, sondern muß kühn auf Glück und Siegvertrauen.«

»Mein Muth, Vicomte,« sagte der Engländer ruhig, »wird [367] hoffentlich über jeder Probe stehen. Doch, Freund, ich stamme aus dem Hochland und Sie werden vielleicht gehört haben, daß in einigen unserer alten Familien die Gabe des zweiten Gesichts den Mitgliedern eigen ist.«

»Ich habe gehört davon!«

»Vielleicht erinnern Sie sich, Doctor, was ich Ihnen von dem Ende meines Vaters erzählte.«

Der Arzt nickte – er gedachte der Vorbedeutung, die er vor kaum einem Jahre dem Italiener Pisani im Peragarten zu Constantinopel mittheilte.

»Wohl – vor einer Stunde ist auch mir die Kunde meines Todes geworden. Der Blaue wird mich erschießen.«

»Sie haben lebhaft geträumt, Capitain. Selbst die Farbe kann Sie beruhigen; unsere Gegner tragen bekanntlich die grüne Uniform.«

Sir Morton schüttelte mit schmerzlich ernstem Lächeln das Haupt.

»Ich täusche mich nicht und kann meinem Schicksal nicht entgehen. Doch das ist Soldatenloos. Leben Sie wohl, meine Freunde, und gedenken Sie meiner.«

Er reichte Beiden die Hand und verließ sie eilig. Sie kehrten zu ihrer Division zurück, die am Meeresufer bivouacquirte.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der anbrechende Morgen zeigte einen heitern klaren Himmel, sonnig und hell lag er über Berg, Thal und See.

Die verbündeten Truppen verließen um 6 Uhr ihre während der Nacht inne gehabte Stellung und begannen den Vormarsch in der bereits angedeuteten Ordnung. Auf der Ebene, die sich vor der russischen Position ausbreitete, formirten sie ihre Schlachtordnung. Um 8 Uhr hatten die französischen Divisionen bereits ihre Stellung eingenommen und begannen den Angriff, während die Engländer mit ihrem gewöhnlichen Phlegma erst im Aufmarsch begriffen waren. Sämtliche Dampfboote hatten sich dem Vorgebirge Lukull genähert und machten sich fertig, das Feuer zu eröffnen. –

Die Position, welche der Fürst Menschikoff gewählt, lag auf dem linken Ufer der Alma, etwa 12 Wersts von der Nordseite Sebastopols entfernt. Die Höhen treten dort hart an den Fluß heran und erheben sich über denselben um mehr als 100 Fuß. Bei dem im Grunde gelegenen tatarischen Dorfe Burliuk führte [368] eine hölzerne Brücke über den Fluß, die einzige auf der ganzen Länge desselben. Zwar konnte er an mehreren Stellen mittelst Furthen von allen Truppengattungen leicht überschritten werden, doch ist das Flußthal durch die Abhänge und Weinberge so beengt, daß man bei einem solchen Unternehmen offenbar mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.

Obschon diese vertheidigende Stellung durch die günstig gelegenen Höhen manchen Vortheil gewährte, hatte sie doch auch in taktischer Beziehung ihre besonderen Nachtheile. Vorerst war die Position zu ausgedehnt, um hinreichend von der geringen Anzahl der russischen Truppen besetzt werden zu können, und weiter konnte sich der linke Flügel nicht an das Meer stützen, da er hier unter dem Kreuzfeuer der alliirten Flotte gestanden hätte.

Der Fürst hatte daher den linken Flügel 2 Werst vom Meer entfernt aufstellen müssen. Hier standen in Compagnie-Colonnen formirt die 4 Reserve-Bataillo ne des Bialystok'schen und Tarutinski'schen Jäger-Regiments mit der leichten Batterie Nummer 4 des 17. Artillerie-Regiments. Die Reserve des Flügels bildete auf einer rückwärts gelegenen Höhe das Moskau'sche Infanterie-Regiment und das 2. Bataillon des Minski'schen.

Im Centrum standen die leichten Batterieen 1 und 2 der 16. Artillerie-Brigade links von der Straße von Eupatoria, hinter ihnen das Borodin'sche Jäger-Regiment; rechts von der Straße die Batterie Nummer 1 in vortheilhafter Stellung, dahinter das Jäger-Regiment Großfürst Michael Nicolajewitsch und das Wladimir'sche Infanterie-Regiment.

Den rechten Flügel bildete das Susdali'sche Infanterie-Regiment mit 3 leichten Batterieen, weiter rückwärts das Uglitz'sche Jäger-Regiment mit 2 Batterieen. Die Haupt-Reserve stand an der Straße, aus dem Wolinski'schen und 3 Bataillonen des Minski'schen Regiments mit 1 leichten Batterie gebildet.

Rechts davon hielt die Husaren-Brigade der 6. leichten Kavallerie-Division mit 1 leichten reitenden Batterie. Eilf Sotnien Kosacken befanden sich auf dem rechten Almaufer, das 6. Schützen-Bataillon und das combinirte halbe See-Bataillon hielten die Weinberge und die Gärten der tatarischen Dörfer Burliuk und Alma-Tamak besetzt; die Sapeur-Compagnieen standen an der Brücke.

Der Marschall St. Arnaud war, trotz seiner Krankheit, am [369] Morgen des Schlachttages zu Pferde gestiegen und hielt 13 Stunden im Sattel aus.

Von dem rechten Flügel der Verbündeten drang die Division Bosquet auf dem beschwerlichen Uferweg vor. Die Divisionen Canrobert und Prinz Napoleon rückten mit ihrer Artillerie gegen das Dorf Alma-Tamak; ihnen folgten als Reserve die 4. Division unter Forey, die Artillerie-Reserve unter Roujoux und die türkischen Truppen. Eine dichte Plänklerkette aus Zuaven, den Jägern von Vincennes und algierischen Schützen ging der Schlachtlinie voraus.

Erst um 101/2 Uhr Morgens begannen auch die Engländer das allgemeine Vorrücken. Die Division Evans, von einer mit Stutzbüchsen bewaffneten Schützenlinie gedeckt, marschirte gegen das Dorf Burliuk; ihr zur Linken die leichte Division Brown. Die Division Cathcart und die Kavallerie-Brigade des Lord Cardigan folgten dem linken Flügel als Reserve.

Es war gegen Mittag, als sich an den Höhen am Meere ein lebhaftes Gefecht zu entfalten begann, indem die Franzosen die Position zu stürmen suchten. Zugleich begann die Flotte ihr Feuer, und wider Erwarten der Russen erreichten die Kugeln aus den schweren Geschützen ihre Truppen.

Unterm Schutz dieses Feuers überschritt die Brigade d'Autemarre, das 3. Zuaven-Regiment an ihrer Spitze, die Alma nahe ihrer Mündung und warf sich in die Schluchten, die steil von der Höhe abfallen.

Das erste Bataillon unter Commandant Labrousse versuchte, die Höhen zu erklimmen – das Feuer der vier russischen Bataillone warf es zurück.

Oberst de Bonnet ritt an das zweite Bataillon heran.

»Lieutenant-Colonel Méricourt, Sie haben da Gelegenheit, das Patent des Kaisers einzuweihen und zu zeigen, was die Herren von der Garde können.«

Der Vicomte salutirte stumm. Dann wandte er sich zu den Reihen seiner Tapfern, die unaufhaltsam im Sturmschritt vorgingen.

»Die freiwilligen Kletterer!«

Zwölf Mann sprangen vor – zwei davon große Katzen im linken Arm, in dem zugleich das leichte Gewehr ruhte; François Bourdon, das Mitglied der Marianne, unter ihnen.

Der Führer zeigte mit der Säbelspitze nach oben; die steile schroff abfallende Wand schien unerklimmbar. Einige Augenblicke standen die kühnen Wüstenkrieger und starrten die 100 Fuß hohe Felswand an, während die Kugeln der Russen in das Regiment schlugen. Ein bärtiger Corporal wandte sich zu dem jungen Pariser:

»Einen Kuß von Deiner hübschen Schwester, wenn ich dir den Weg zeige?«

»Sapristi! Sie wird mich auslösen! Zeige Deine Kust.«

Der Corporal streichelte im Kugelregen seine Katze:

[370] »Madame Minette, Sie werden mich nicht um einen Kuß von Mademoiselle Bourdon bringen. En avant, meine Theure!«

Er warf sie gegen die Bergwand; einen Augenblick besah sich die Katze die Wand und versuchte hinauf zu klettern, dann rannte sie an den Abhang entlang nach dem Meer zu. Ein heiteres Gelächter der ganzen Reihe und verschiedene ermunternde Zurufe begrüßten sie. Dann liefen in geübten Sprüngen die zwölf Vorkletterer ihr nach und verschwanden um eine Felswand. Gleich darauf erschien die Gestalt des jungen Parisers am Vorsprung und schwang den Feß.

»Sie haben den Weg,« rief Capitain Parguez.

»Vorwärts, meine Braven!« kommandirte der Oberst. »Lalanne, nehmen Sie die Spitze. Vorsicht, meine Herren; Ruhe!«

Er war vom Pferde gesprungen, das Bataillon bereits an der Felswand, die nach der See abfiel. Einige tiefe Gerinne, die das Regenwasser seit Jahrhunderten hinein gerissen, gingen bis zum Plateau. Das war der Weg, den die Katze genommen. Auf der Hälfte der Höhe sah man bereits die zwölf Zuaven klettern – einen Augenblick nachher war die ganze Felswand mit den rothen Feß's, den blauen Jacken der kühnen Männer bedeckt.

Das erste Bataillon hatte sich wieder gesammelt; das dritte versuchte eben den Aufgang, als sein Commandant fiel.

»Capitain de Lara, Sie nehmen das Commando! – Vorwärts!« befahl der General d'Autemarre. –

Wie die Katzen selbst kletterte die tolle Schaar an der Felswand hinauf, jeden Strauch, jeden Spalt benutzend, oft Einer auf den Schultern des Andern:

Erst das »Vive l'Empereur!« das von der Meeresseite her donnerte, belehrte die Russen, daß der unersteigbare Wall erstiegen, das Unmögliche möglich geworden war.

Die Brigade Bouat sollte die Zuaven und afrikanischen Jäger d'Autemarre's unterstützen, aber sie konnte das Terrain nicht so rasch überwinden und verlor ihre Verbindung. Das dritte Zuaven- und das fünfzigste Linien-Regiment und das Bataillon der afrikanischen Jäger, welche die Höhe gewonnen, befanden sich jetzt abgeschnitten und in schlimmer Gefahr, denn das Moskauische Regiment und zwei leichte Batterieen eilten der linken Flanke der russischen Stellung zu Hilfe und die Geschütze nahmen, trotz des heftigen Feuers der Schiffe, Stellung am Rand des Plateau's und eröffneten ihr Feuer gegen die Franzosen, während der Stoß der Infanterie-Colonnen sie in den Abgrund zu stürzen suchte.

Der Marschall sah die Gefahr seiner linken Angriffs-Colonne und sandte die Brigade Lourmel zur Unterstützung nach. Zugleich brachten die Adjutanten dem Prinzen und Canrobert den Befehl, das Dorf Alma-Tamak und die anschließenden Höhen nach dem Meere zu zu nehmen. Die Brigade d'Aurelle rückte zur Unterstützung [371] Canrobert's heran, welcher die Anhöhen bereits zu ersteigen begann und die Artillerie-Reserve Roujoux begann ihr Feuer.

Das schaffte den Verwegenen auf dem Plateau Luft, denn das Tarutinski'sche Regiment und die Reserve-Bataillone der Bialystok'schen und Brestk'schen Infanterie mußten sich gegen den Frontalangriff wenden. Vier starke französische Divisionen, unterstützt von siebenzig Geschützen, kämpften jetzt gegen den linken russischen Flügel. Dennoch wichen die Tapfern nur Schritt um Schritt. Drei Bataillone des Minski'schen Regiments, das Husaren-Regiment Großherzog Sachsen-Weimar und drei Batterieer eilten ihnen zu Hilfe, doch vergeblich; jeder Fußbreit wurde mit dem Bajonnet vertheidigt – vergeblich! Die Uebermacht drückte die Tapfern zurück und die Bomben der See-Artillerie fielen Verderben sprühend mitten in ihre Haufen. Oberst Prichodkyn, der Commandant des Minski'schen, General-Major Kurtia noff, der Führer des Moskauischen Regiments, sanken in ihr Blut – fast sämtliche Bataillons- und Compagnie-Commandanten beider Regimenter wurden in diesem wüthenden Kampfe verwundet.

Auf der Höhe an der Straße von Eupatoria hielt der Fürst mit seinem Generalstabe, die Schlacht beobachtend. Das finstre, trotzige Gesicht blieb den Engländern zugewandt, die er persönlich haßte und deren Intriguen er all' sein Mißlingen in Constantinopel zuschrieb. Das Dorf Burliuk, von den Russen angezündet, stand in vollen Flammen und der breite Flammengürtel verhinderte die Briten am geraden Vordringen. Zwei Regimenter der Brigade Adams forcirten eine Furth zur rechten Seite, während General-Major Pennefather mit dem 30., 55., 95. und 49. Regiment links das Dorf umging, von dem Feuer der russischen Schützen, des See- und Sappeur-Bataillons empfangen. Das Kärtätschenfeuer der englischen Artillerie warf die russischen Schützen aus dem Dorfe und den Weingärten und zurück auf das linke Almaufer. Jetzt sandte der Fürst den Befehl zum Abbruch der Brücke. Die Stabs-Capitaine Ananitsch und Janizin führten ihn unter dem heftigsten Kugelregen in 32 Minuten aus.

Während so die Division Evans das Centrum stürmte, warf sich die leichte Division General Brown's auf den rechten russischen Flügel. General Codrington suchte eine Redoute zu nehmen und wurde zurückgeworfen. Das 7., 23. und 33. britische Infanterie-Regiment verloren fast die Hälfte ihrer Leute; General Buller mit der zweiten Brigade rückte zur Unterstützung – aber ohne Erfolg; da sendet LordRaglan die Division des Herzogs von Cambridge und sie überschreitet den Fluß. Die Garden unter Bentink ersteigen unter dem Kartätschenfeuer von 36 Geschützen die Höhen; vergeblich wirft der General der Infanterie, Fürst Gortschakoff, welcher hier commandirt, Jäger und Artillerie in das Gefecht, die englischen Jäger besetzen die Weingärten, die Garde formirt sich [372] in Front auf der Höhe und eröffnet ein verheerendes Bataillons-Feuer und die Brigade Pennefather und die Highlanders 7 drängen das Centrum zurück.

Vergeblich auch stürzen sich das Jäger-Regiment des Großfürsten Michael Nicolajewitsch und das Wladimir'sche Infanterie-Regiment drei Mal mit dem Bajonnet auf den Feind; die Engländer bewahren in dieser einzigen Schlacht des orientalischen Feldzugs ihren alten Ruhm, und von den Kugeln ihrer Jäger fallen die russischen Offiziere und die Kanoniere an ihren Geschützen.

Dem Fürsten Gortschakoff werden zwei Pferde unter'm Leibe getödtet, sein Mantel ist von Kugeln durchlöchert, der Commandant der 16. Division, Ge neral-Lieutenant Kwizinski, beide Brigade-Commandeure, zwei Regiments-Commandanten sind gefährlich verwundet, fast sämtliche Bataillons- und Compagnieführer sind getödtet oder kampfunfähig; das Wladimir'sche Regiment allein hat 49 Offiziere und 1500 Mann verloren, die Artillerie muß wegen Mangel an Bedienung ihr Feuer einstellen.

Auch der Verlust der Engländer ist groß. Unter der tödtlichen Kugelsaat, unter den wüthenden Bajonnetangriffen der Russen bleibt Capitain Morton von der hochländischen Garde unberührt, – die Russen weichen, seine Kameraden spotten über sein zweites Gesicht.

Die Uebermacht der Alliirten durch die Zahl und die bessere Bewaffnung an Büchsen mußte den Sieg erringen. Fürst Menschikoff, welcher fürchtete, von Sebastopol abgeschnitten zu werden, befahl General Gortschakoff, das Centrum und den rechten Flügel nach der zwei Werst südlicher gelegenen Position an der Katscha zurückzuführen. Hier stieß auch der linke Flügel dazu, der bis zum Augenblick des allgemeinen Rückzugs, also fast vier Stunden lang, den Stoß der sämtlichen vier französischen Divisionen ausgehalten hatte.

Das Jäger-Regiment des Großfürsten Michael und die Trümmer des Wladimir'schen Regiments deckten den Rückzug der Artillerie. Obschon fast alle Artilleriepferde erschossen worden, blieben nur zwei Geschütze von der Batterie Nummer 1 der 16. Artillerie-Brigade in den Händen der Feinde. Der tapfere Commandant der russischen Artillerie, General-Major Kischinski, nahm auf dem nächsten Höhenrücken mit 24 Geschützen neue Stellung; das Wolinskische Infanterie-Regiment marschirte in Schlachtordnung auf und die Kosacken und Husaren warfen sich gegen die englische Kavallerie, die fast noch gar nicht am Kampfe Theil genommen. Ebenso waren die Türken und die Division Cathcart in Reserve geblieben.

Bei jener neuen Bewegung machten die Alliirten in ihrer Verfolgung Halt und der Fürst konnte seine Truppen bis an den [373] Katschafluß zurückziehen. Während der Nacht überschritt die russische Armee den Fluß, bezog Bivouaks, ohne vom Feind beunruhigt zu werden, und passirte am Morgen die Brücke von Inkerman. Die Russen hatten 1892 Mann an Todten – darunter 1 General und 46 Offiziere, 2698 Verwundete, darunter 3 Generale und 84 Offiziere, im Ganzen mit den Contusionirten und verwundet auf dem Schlachtfelde Gebliebenen fast 6000 Mann verloren. Der Verlust der Alliirten kann eben so hoch geschätzt werden, obschon ihn der officielle Bericht nur auf 4301 Mann angiebt, denn der Moniteur berichtete einige Wochen später, daß sich noch 2060 verwundete Engländer in den Hospitälern von Constantinopel befänden, und der Herzog von Cambridge schrieb nach der Schlacht in einem seiner Briefe nach London, daß, wenn die Engländer noch einen solchen Sieg erfechten würden, England keine Armee mehr habe. – – – – – –

Die Schlacht war zu Ende, auf den Höhen, die die britischen Garden genommen, lagerten, nahe den blutgedüngten Weingärten, die Garden des Brigade-Generals Bentink.

Es war Abend, die Gefahr vorüber, und Capitain Morton hatte bereits seiner Compagnie den Befehl gegeben, die Gewehre zusammenzustellen und das Bivouac zu bereiten. Mac-Griffin, der Adjutant des Generals, gratulirte eben spottend dem Capitain, daß dieser so glücklich dem Blutbade entkommen, glücklicher als er selbst, der den Arm in der Binde trug.

Plötzlich fiel ein Pistolenschuß aus einem nahen dürren Ginsterbusch und Capitain Morton, gerade durch das Rückgrat getroffen, sank leblos zu Boden.

Soldaten der Compagnie stürzten erbittert hinzu – sie fanden im Ginsterbusch einen schwer verwundeten russischen Husaren in hellblauer Uniform. Er lag im Sterben und schien mit letzter Kraft das Pistol auf den verhaßten Feind abgefeuert zu haben. Zehn Bajonnete durchbohrten seine Brust.

Das zweite Gesicht hatte sich erfüllt! 8

Fußnoten

1 15 französische, 10 englische und 7 türkische.

2 Die englischen Truppen waren folgendermaßen zusammengesetzt: Leichte Division des GeneralsBrown. 1. Brigade General Codrington, 3 Bataillone vom 7., 23. und 33. Infanterie-Regiment. – 2. Brigade General Buller, 3 Bataillone vom 19., 77. und 88. Infanterie- und das 2. Jäger-Regiment. – I. Division unter dem Herzog Cambridge: 1. Garde-Brigade unter General Bentink, 3 Bataillone Garde-Grenadiere, Coldstream und Schottische Garde-Füsiliere; 2. Brigade unter General Colin Campbell, 3 Bataillone vom 42., 79. und 93. Infanterie-Regiment. – II. Division unter GeneralLacy-Evans: 1. Brigade unter General Pennefather, 3 Bataillone vom 30., 55. und 95. Infanterie-Regiment; 2. Brigade unter General Adams, 3 Bataillone vom 41., 47. und 49. Infanterie-Regiment. – III. Division unter General England: 1. Brigade unter General George Campbell, 3 Bataillone vom 1., 38. und 50. Infanterie-Regiment; 2. Brigade unter General Eyre, 3 Bataillone vom 4., 28. und 44. Infanterie-Regiment. IV. Division unter GeneralCathcart: 1. Brigade unter General Goldie, 3 Bataillone vom 21., 46. und 57. Infanterie-Regiment; 2. Brigade unter General Torrens, 3 Bataillone vom 20., 63. und 68. Infanterie-Regiment. – Die Feld-Artillerie bestand aus 1 reitenden und 3 Fußbatterieen zu je 6 Geschützen. – Die leichte Kavallerie-Brigade des Lord Cardignan zählte 10 Schwadronen.

3 Die französische Armee zählte bei der Landung folgende Truppentheile: I. Division unter GeneralCanrobert: 1. Brigade General Espinasse, 4 Bataillone vom 1. Zuaven- und 7. Linien-Regiment und 1. Jäger-Bataillon; 2. Brigade General Vinoy, 4 Bataillone vom 20. und 27. Linien-Regiment und das 9. Jäger-Bataillon. – II. Division unter GeneralBosquet: 1. Brigade General d'Autemarre, 4 Bataillone vom 3. Zuaven- und 50. Linien-Regiment und 1 Bataillon afrikanische Jäger; 2. Brigade GeneralBouat: 4 Bataillone vom 6. und 82. Linien-Regiment und das 3. Jäger-Bataillon. – III. Division unter Prinz Napoleon: 1. Brigade General Monet, 4 Bataillone vom 2. Zuaven- und 3. See-Regiment und das 19. Jäger-Bataillon; 2. Brigade General Thomas, 4 Bataillone vom 95. und 97. Linien-Regiment. – IV. Division unter General Forey: 1. Brigade General Lourmel, 4 Bataillone vom 19. und 26. Infanterie-Regiment und das 5. Jäger-Bataillon; 2. Brigade General d'Aurelle, 4 Bataillone vom 39. und 74. Linien-Regiment. – Zu jeder Division gehörten 1 Sappeur-Compagnie und 12 Geschütze. Die Artillerie-Reserve unter Oberst Roujoux bestand aus 4 Batterieen zu 24 Kanonen.

4 Der Vorgang bei der Landung ist historisch.

5 Abtheilung von 100 Mann.

6 Eine deutsche Meile.

7 Hochländer.

8 Der Vorgang ist verbürgt.

[374] Ssewastopol

Wir haben den Leser bereits ein Mal in den Conferenz-Saal der neuen Admiralität auf der Südseite von Ssewastopol geführt und verlegen unsere Scene wiederum dahin.

Wie damals füllten Offiziere aller Grade und Waffengattungen den Vorplatz und die Räume des großen Gebäudes. Nur sah man diesmal eine große Anzahl der Versammelten die Spuren des furchtbaren Kampfes an der Alma in Binden und Pflastern tragen. Die alte Admiralität war zum zweiten Marine-Hospital eingerichtet und dort lagen die langen Reihen der zerschmetterten Kranken im Wundfieber.

Fürst Menschikoff war nach der Schlacht, ohne die Defensiv-Stellungen an der Katscha und dem Beljbek weiter zu beachten, um die Bai von Sebastopol und über die nachmals so berühmt gewordene Traktir 1-Brücke von Inkerman hinter die Tschernaja nach der Südseite Sebastopol's zurückgegangen, eine möglichst starke Garnison in den nördlichen Festungswerken zurücklassend. Wir haben bereits erwähnt, daß die alliirte Armee wegen der starken Verluste in der Almaschlacht jede Verfolgung aufgegeben. Erst am 22. September brach sie auf und rückte nach dem Beljbekfluß und nahm am Abend dieses Tages eine Stellung auf den Höhen dieses Flusses im Angesicht der Nordforts.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Unter dem Säulenaufgang des Admiralitätsgebäudes wimmelte es von Soldaten, Matrosen und Einwohnern, welche begierig auf Nachrichten lauschten, denn es hieß, daß die Stadt von den Bewohnern geräumt werden solle. Boote von den im Hafen und der Bai ankernden Kriegsschiffen legten fortwährend am Quai an und brachten obere Flotten-Offiziere; über die Schiffsbrücke vom Fort Nicolas her drängte und wogte es von Kommenden und Gehenden. [375] Ein weiter Halbkreis von Neugierigen füllte den Platz um die Admiralität, Muschiks; Kaufleute, Schiffsvolk, Tataren, – Handwerker und Beamte, Soldaten und Civilisten, Allee bunt durcheinander.

An eine der Säulen gelehnt stand Fürst Iwan Oczakoff mit mehreren Offizieren der Landarmee und Marine. Unfern von ihm befand sich die Gruppe des alten Kosacken mit seinen sechs Enkeln, die der junge Fürst gleichsam als Freizügler in seinen persönlichen Sold und Dienst genommen hatte und als Ordonnanzen verwandte. Zwei der jungen Männer trugen die Spuren leichter Verwundungen aus der blutigen Almaschlacht.

»Sehen Sie, Barjatinski,« sagte der junge Capitain zu einem Offizier in Marine-Uniform mit den Abzeichen eines ersten Lieutenants, »da kommt Einer, der Ihnen die Belohnung für Sinope vorweg genommen hat. Wahrhaftig, ich hätte es ebenso gut haben können, wenn mich der Fürst nach Petersburg geschickt hätte.«

»Sie würden schwerlich die Courierfahrt in fünf Tagen ausgehalten haben, lieber Freund,« sagte lachend der Offizier des »Wladimir.« »Ueberdies hatten Sie sich ja erst bei Oltenitza die Capitains-Epauletten geholt und müssen Anderen auch Etwas gönnen. Der Podpolkavnik 2 Konzaroff ist ein wackerer Offizier.«

»Ist die Anecdote wahr, die man von seiner Beförderung erzählt?« fragte ein junger Fähndrich vom lithauischen Jäger-Regiment.

»Gewiß, Drunewitsch, und weil Sie sich an der Alma-Brücke so brav geschlagen haben, will ich Ihnen, was ich als zuverlässig davon weiß, erzählen.«

»Sie werden mich verbinden, Herr Capitain.«

»Als die Nachricht von der Schlacht von Sinope in Odessa eintraf, befand sich Konzaroff unter den Ordonnanz-Offizieren in der Umgebung des Fürsten. Menschikoff fragte, in welcher Zeit man den Weg bis Petersburg zurücklegen könne, und Alle nannten die gewöhnlichen sechs Tage, nur Konzaroff erbot sich, es in fünf möglich zu machen. Der Fürst vertraute ihm die Depeschen an und der Capitain warf sich, wie er ging und stand, nur mit Geld versehen, in eine Britschka und jagte unterwegs zehn Pferde todt. Am fünften Abend war er im Winterpalast, halb erfroren, halb zu Tode geschüttelt, so erschöpft, daß er sich kaum aus dem Schlitten erheben konnte. Er wurde unmittelbar nach der Ankunft dem Kaiser vorgestellt, der ihn mit in sein Cabinet nahm, wo er sich niederließ, um die freudige Botschaft mit Muße durchzulesen. Als er damit fertig war und sich nach dem Boten wandte, fand er, daß dieser auf einen Sessel an der Thür gesunken und eingeschlafen war. Der Kaiser befahl, ihn zu wecken, aber es war durch die gewöhnlichen Mittel bei der ungeheuren Uebermüdung des Mannes [376] total unmöglich. Da rief der Kaiser mit dem ihm eigenthümlichen raschen Verständniß der menschlichen Natur, dicht zu ihm tretend, plötzlich in barschem Tone aus: ›Heda! Ihre Pferde stehen bereit!‹ und der eifrige Courier, der sich noch unterwegs glaubte, sprang rasch empor, um dem Gebote der Pflicht zu gehorchen. Der Kaiser fragte ihn nun, welchen Rang er habe. – ›Capitain,‹ war die Antwort. – ›Nun denn,‹ sagte der Kaiser zu einem Adjutanten, ›bringen Sie ein Paar Epauletten!‹ und setzte, an den Courier sich wendend, hinzu: ›Ich befördere Sie auf der Stelle zum Podpolkavnik; umarmen Sie mich und dann gehen Sie schlafen.‹«

»Es lebe der Kaiser! Tschorte wos mi! Ich weiß, daß Konzaroff sich bei der ersten Gelegenheit für ihn tödten läßt.«

»Das wird, glaub' ich, auch Andern passiren, wenn sie so eigensinnig alle Vorbedeutungen verschmähen.« – Fürst Barjatinski deutete dabei auf eine eben eintretende Gruppe hoher Marine-Offiziere, indem er salutirte.

Alle Offiziere grüßten ehrerbietig. Es waren die Vice-Admirale Nachimoff und Korniloff, der tapfere Istomin, der Vice-Admiral Rogula, zweiter Commandant des Hafens von Sebastopol, und die Contre-Admirale Ssinitzinn und Zebrikoff.

»Schau', Djeduschka,« sagte der junge Kosack Ohlis, der auf einen Stock gestützt wegen des verwundeten Beines, neben dem Alten stand, »der dort kommt, das ist der Mann, der die türkischen Schiffe drüben über der See verbrannt hat. Fürst Iwan zeigte mir ihn diesen Morgen, und der Andere da neben ihm ist auch dabei gewesen.«

»Ich sehe ihrer Drei,« murmelte der greise Kosack, »aber alle Drei haben keine Köpfe. Es sind lebendige Leichen –«

»Dein armes Haupt war heute der bösen Mittagssonne wieder ausgesetzt,« beruhigte der Knabe, »Du hast Deine bösen Träume davon bekommen, Großväterchen, und siehst Bilder, die nicht vorhanden sind.«

Der Alte sah ihn starr an. – »Meinst Du, thörichtes Kind! Ich sage Dir, mein Mund redet die Wahrheit, wenn ich Leichenberge ringsum verkünde, und dieses Wasser zu unsern Füßen geröthet von Strömen Blutes. Der Geist zeigt mir nicht das Schicksal meines Fleisches, aber ich sage Euch, von Denen, die Ihr um Euch schaut, werden nur Wenige diesen Tag wieder erleben, wenn das Jahr gewechselt hat.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der große Conferenzsaal des Admiralitätsgebäudes war gefüllt mit höheren Offizieren, welche die Tafel in der Mitte umstanden, an der sieben oder acht der oberen Befehlshaber sich in eifriger Berathung befanden.

Die Mitte nahm der Oberst-Kommandirende FürstMenschikoff [377] ein. Der Ausdruck dieses Kopfes paßte ganz zu dem starren, stolzen, unbeugsamen Character, den er als Staatsmann und Feldherr bewiesen. Das kleine, sarmatisch geschlitzte, graue Auge funkelte mit einer unbezwingbaren Willenskraft unter den buschigen weißen Brauen so tief aus der Kopfhöhle hervor, daß oft seine Form und Farbe kaum zu erkennen war. Die hohen Backenknochen zeigten die mongolische Abstammung, der festgezogene Mund mit dem breiten eckigen Kinn Kraft und unbändigen Stolz. Nur um die Winkel lag zuweilen eine Falte voll sarkastischen, in Augenblicken selbst gutmüthigen Humors.

Um den General-Gouverneur von Taurien saßen und standen der General Fürst Gortschakoff I. 3, der Gouverneur der Stadt General Lermontoff, die Commandeure der Bezirks-Artillerie General-Major Pichelstein und des Ingenieur-Corps, der Festungsbaumeister General-Lieutenant Pawloffski, die Chefs der 16. und 17. Infanterie-Division, die in der Almaschlacht gefochten, General-Lieutenants Kwizinski und Kirjakoff, der General-Major Trubnikoff von der 16. Artillerie-Brigade und die Commandanten der Festung und des Hafens, General-Lieutenant Kismer, Vice-Admiral Rogula und Vice-Admiral Stanjukowitsch mit vielen Andern.

Die drei Commandanten des Geschwaders standen am Ende der Tafel. Vor dem Fürsten lagen die Festungspläne und eine Land- und Seekarte der Gegend.

»Die ersten Hilfstruppen,« sagte er, »können selbst aus Kertsch und Feodosia kaum vor Mitte October hier sein, aus Nicolajef und Odessa dürfen wir sie erst zu Anfang November erwarten. Es gilt daher, so lange uns selbst zu helfen. Sie behaupten also, meine Herren, daß die Nordforts stark genug sind, der Belagerung zu widerstehen?«

»Ich bürge dafür, Durchlaucht,« erwiederte der erste Commandant.

»Wie viel Mann brauchen Sie, um sich zu halten?«

»Zehntausend Mann.«

»Ich werde Ihnen 8 Bataillone der Reserve-Brigade der 15. Division in Sebastopol lassen. Nachimoff, wie hoch rechnen Sie das gesamte Matrosen-Corps aller Schiffe in der Bai?«

»Mit den Hafen- und Arsenal-Arbeitern Zwölftausend, Durchlaucht.«

»Gut. Sie werden nöthigenfalls für die Südseite und zur Unterstützung der Forts genügen. So behalte ich ungefähr achtzehntausend Mann, um gegen die Belagerungsflanke des Feindes zu operiren.«

[378] Alle sahen den Fürsten erstaunt an.

»Euer Durchlaucht wollen die Stadt verlassen?« fragte General-Lieutenant Kismer.

»Es ist das Beste, was wir thun können, General. Ich denke noch diese Nacht über die Brücke von Inkerman zurück zu gehen. Ich wäre am Besten gleich jenseits der Tschernaja geblieben. Hier wäre die Armee abgeschnitten, in der Stellung zwischen Baktschiserai und dem Beljbeck jedoch kann ich fortwährend die linke Flanke der Belagerer bedrohen.«

Der tapfere Führer der 16. Division, General-Lieutenant Kwizinski, der, am Arm und Kopf verwundet, sich in den Kriegsrath hatte tragen lassen, nickte zustimmend.

»Wenn der Feind die Forts nimmt, ist die Flotte verloren,« sagte mit harter Stimme der Vice-Admiral Korniloff.

Der Fürst sah ihn finster und spöttisch an. – »Sie ist es auf jeden Fall. Gegen die viertausend Kanonen des alliirten Geschwaders können unsere Schiffe nicht aufkommen; wir müssen sie anderweitig so gut zu benutzen suchen, als es geht.«

Die Augen der Offiziere wandten sich auf die drei Admiräle. Jeder konnte sehen, während der Fürst sich über die Karten beugte, wie Admiral Nachimoff das Blut in das Gesicht trat, als er die Hand auf den Tisch legte.

»Wie meinen Euer Durchlaucht dies?«

»Sie sollen sogleich meinen Plan hören. Wie groß ist die Entfernung zwischen Fort Constantin und Fort Alexander, Herr Hafen-Commandant?«

»Zweihundertvierzig Faden,« 4 berichtete der Vice-Admiral Stanjukowitsch.

»Dann werden wir freilich mindestens sieben Schiffe brauchen. Es gilt vor Allem, meine Herren, der alliirten Flotte den Eingang in die Bai unmöglich zu machen und wir müssen dafür ein Opfer bringen. Ich beabsichtige, sieben unserer großen Schiffe noch heute zwischen den Forts versenken zu lassen und so die Bai zu sperren.«

»Das ist unmöglich, Durchlaucht!«

»Warum, Herr Vice-Admiral?«

»Weil ich Euer Durchlaucht als Admiral und Marineminister bitte,« sagte Nachimoff mit sichtlich unterdrückter Bewegung, »der russischen Marine nicht die Schmach anzuthun, daß man von ihr sagen könne, sie fürchte, mit irgend einer Flotte der Welt sich zu messen. Ich habe fünfundsechszig Segel hier versammelt, Durchlaucht, und meine Matrosen brennen vor Begier, mit jenen übermüthigen Franzosen und falschen Engländern zu kämpfen. Ich bitte Sie im Namen der Flotte des Schwarzen Meeres, wenn Ssewastopol belagert wird, die alliirten Geschwader angreifen und ihnen eine Schlacht liefern zu dürfen.«

[379] »Und was glaubst Du damit zu erzielen, Peter Nachimoff?« fragte der Fürst.

»Wir werden auf Leben und Tod kämpfen. Wir werden uns durchschlagen und das Asow'sche Meer erreichen. Wenn nicht, so wird die russische Flotte nicht die einzige sein, die in diesem Kampfe vernichtet wird. Frankreich und England werden zugleich den Verlust der ihren beklagen.«

Ein stürmischer Ruf aller See-Offiziere ging durch den Saal, sie Alle hoben die Hände auf zum Zeichen der Uebereinstimmung.

»Du bist ein tapferer Mann, Freund,« sagte der Fürst ruhig, »Niemand, am wenigsten der Kaiser, zweifelt daran. Aber mit Deinem Opfer würde der Sache unsers Herrn wenig gedient sein. Du und die Deinen, Ihr müßt Ssewastopol für Rußland bewahren.«

»Ich bin für das Meer erzogen, auf ihm allein verstehe ich zu fechten.«

»So wirst Du es auf dem Lande lernen, Freund. Gehorsam ist das erste Opfer, was wir bringen müssen.« – Der Fürst nahm ein Verzeichniß vom Tisch. – »Hier ist das Verzeichniß der Schiffe 5, die ich zum Versenken bestimmt habe. Die Capitaine haben sie sofort zu räumen und nur die Kanonen der oberen Decks und die Pulvervorräthe an's Land zu schaffen. General-Major Hartung wird die Stelle bezeichnen, an der die Versenkung am besten auszuführen ist.«

Eine tiefe Stille hatte sich über den Saal gelagert, die Marineoffiziere schauten finster und stumm vor sich hin; ihre Kameraden von der Landarmee sahen mit Theilnahme auf die entwaffneten Tapfern.

»Die Batterieen der Forts und die versenkten Schiffe werden genügen, uns gegen die Flotte der Feinde zu sichern,« fuhr der Fürst fort. »Für die Nordseite bürgt mir Kismer; die Südseite ist nicht gefährdet, darum wird es am Besten sein, die Schiffe sämtlich dahin zu bringen und die Mannschaft am Lande in Corps zu formiren, welche die Vertheidigung der Stadt übernehmen und die Nordforts unterstützen. Die Feinde haben unsere stärkste Position vor sich und sie werden daran scheitern. Wenn man uns von Süden angegriffen hätte, würde unsere Lage schlimmer sein.«

»Sehr schlimm!«

Die Worte schienen einem der Anwesenden unwillkürlich entfahren, denn Alle blickten sich verlegen an, als der Fürst sich im Kreise nach dem Sprecher umschaute.

»Wer von Ihnen machte die Bemerkung, meine Herren?«

Aus dem Kreise der Stabsoffiziere trat ein Ingenieur-Offizier [380] mit den Capitains-Epauletten. Wir sind ihm bereits vor Silistria begegnet.

»Verzeihen Euer Durchlaucht, die Bemerkung ist mir unwillkürlich entschlüpft.«

»Sie sind der Capitain Todleben

»Zu Befehl, Durchlaucht.«

»Ich will Ihre Einmischung entschuldigen. Doch, wie kommen Sie zu der Behauptung?«

»Ich habe heute Morgen die Befestigungen der Landseite besichtigt, Durchlaucht, und –«

»Nun, heraus!«

»Und jene Ueberzeugung gewonnen.«

Der Fürst hatte aus seiner Brusttasche ein Notizbuch gezogen und blätterte darin.

»So glauben Sie, daß, wenn die Festung auf der Südseite angegriffen würde, sie sich nicht halten könne?«

»Unzweifelhaft, Durchlaucht.«

Der Fürst blickte nach dem General-Lieutenant Pawloffski, dem Festungsbaumeister. – »Was meinst Du dazu, Excellenz?«

Der alte General war schon längst unruhig hin und her gerückt. – »Der Herr Capitain übertreibt,« sagte er. »Wir haben sehr starke Werke an der Südseite.«

»Aber sie sind ohne Deckung,« unterbrach der Genie-Offizier. »Es giebt verschiedene Punkte der Umgegend, welche den Hafen und die Zugänge beherrschen, wenn sie nicht mit vorgeschobenen Werken versehen werden.«

»Zum Glück kommen wir nicht in die Verlegenheit,« sagte der Fürst, »überdies wäre es zu spät, große Werke anzulegen.«

»Ich bitte um Entschuldigung, Durchlaucht,« sagte kühn der Capitain, »aber das ist es nicht. In fünf Tagen kann eine äußere Linie geschaffen sein.«

»Können Sie Mauern und Bastionen aus der Erde stampfen, Herr?«

»Das nicht, Durchlaucht, aber ich habe die Erde selbst. Der Wall und die Sappe müßten Ssewastopol vertheidigen, wenn es von Süden her angegriffen würde.«

Der Fürst schaute ihn fest und nachdenkend an und dann nochmals in das Notizbuch, in dem er gefunden zu haben schien, was er suchte. – »Fürst Gortschakoff hat Sie mir mit vorzüglicher Empfehlung gesendet, Capitain,« sagte er, »und Schilder hat auf dem Todtenbett von Ihnen gesprochen. Ich habe den Ingenieur vom Platz noch nicht ernannt und will Ihnen die Stelle anvertrauen, wenn Sie leisten, was Sie versprochen. Sie mögen Ihre Pläne General Pawloffski vorlegen. Doch muß ich mich jetzt zu dem Nöthigeren wenden. General Kwizinski ist mit meinem Plan der Einnahme einer Flanken-Position einverstanden, wie ich gesehen. Was denken Sie dazu, Kirjakoff, und Sie, Welitschko?«

[381] »Ich müßte kein Kavallerist sein, Durchlaucht, wenn ich Anderes vorziehen könnte.«

Auch der Kommandant der 17. Division stimmte zu.

»So treffen Sie Ihre Anstalten, meine Herren, denn wir brechen diese Nacht noch auf.« – Der Fürst erhob sich und trat im Vorbeigehen zu den beiden Vice-Admiralen. – »Ich bin ein Seemann, wie Du, Petrowitsch,« sagte er, »aber der Kaiser hat Ssewastopol mir anvertraut und die Flotte ist nur ein Theil von ihm. Wir dürfen den Engländern keinen Seesieg weder hier noch in Kronstadt gönnen.«

Der Vice-Admiral verbeugte sich kalt. – »Euer Durchlaucht werden mir gestatten, nach Petersburg zu berichten?«

»Wie Sie wollen, Herr Vice-Admiral, bis zur Entscheidung des Kaisers aber werden Sie meine Befehle befolgen.«

Keine Muskel zuckte in dem harten, ehernen Gesicht, als er sich von ihm wandte.


In dieser Nacht, der Nacht vom 24. zum 25. September, überschritten die Truppen die Tschernaja auf der Traktir-Brücke, schlugen den beschwerlichen Weg nach der Meierei Mekensi ein und gelangten am Morgen des 25. nach einem mühevollen Marsche auf die Straße nach Baktschiserai, wo der Fürst bei dem Dorfe Otarkioi eine solche Stellung einnahm, daß er die Verbindung mit Perekop unterhalten und die Verbündeten im Rücken bedrohen konnte, sobald diese gegen die Nordforts Etwas unternahmen.

Der Tag war trübe und stürmisch gewesen, erst am Abend klärte sich das Wetter auf. Es war 8 Uhr, als durch das Thor an der Mastbastion Fürst Iwan Oczakoff mit seinen sieben Kosacken die Stadt verließ und auf dem Wege, der nach Balaclawa führt, vorwärts trabte.

Während des Tages hatte sich in der Stadt die Nachricht von einem Gefecht verbreitet, das zwischen der Kavallerie der Alliirten und der Nachhut der Colonne des Fürsten Menschikoff vorgekommen sein sollte, doch fehlten nähere Nachrichten darüber. Gegen Abend glaubte man vereinzelten Geschützdonner in der Richtung nach Süden gehört zu haben, doch achtete man dessen nicht, da dort unmöglich ein Feind stehen konnte, auch war der Schall bei dem starken und ungünstigen Wind zu undeutlich.

Der Capitain war von dem Fürsten zurückgelassen worden, um über die Ausführung der befohlenen Maßregeln Rapport zu bringen und der Kommandant beorderte ihn am Abend, nach dem zwei Meilen entfernten Balaclawa zu reiten, um den Obersten Manto, den Kommandanten der kleinen halbverfallenen und nur von 110 Mann und 4 kleinen Mörsern vertheidigten Festungswerke zu erinnern, auf seiner Hut zu sein, da man im Laufe des Tages mehrere Schiffe der Alliirten hatte nach Süden sich dirigiren sehen.

[382] Die Nacht war eingetreten über dem Ritt des Capitains, der eine besondere Vorliebe für den alten Kosackenführer gefaßt hatte, und sich von ihm Abenteuer seiner Jugend erzählen ließ. Die Reiter begannen eben von dem hohen Plateau herabzusteigen, das sich etwa eine halbe Meile von der Küste nach Ssewastopol zu erhebt, und aus einem Hohlweg hervorkommend, hatten sie Ufer und Meer vor sich.

Alsbald faßte der greise Kosack den Zügel des Fürsten und sein Arm deutete auf die felsige Ebene hinunter, von der breite Schluchten sich in das Meer senkten. In einer derselben lag Balaclawa. Ein Kranz von Feuern schien sich rings umher zu ziehen.

»Um der Heiligen willen, Gospodin – keinen Schritt weiter – was bedeuten diese Feuer?«

Der junge Mann starrte erstaunt auf das seltsame Schauspiel, das sich etwa eine Viertelstunde entfernt vor ihm zeigte. Man konnte deutlich mit bloßen Augen bemerken, daß die Feuer von Menschenmassen umlagert waren. Balaclawa selbst, am Eingang der Schlucht liegend, schien in Licht zu schwimmen.

»Und dort!« – Der Kosack wies nach dem Meere – auf der Höhe über die Felsen der Ufer hinweg sah man zahlreiche Lichter in schwankender Bewegung.

»Vorwärts – wir müssen uns überzeugen, was dort vorgeht!«

Der Capitain gab seinem Roß die Sporen – aber eine kräftige Faust fiel ihm in die Zügel und vor ihm richtete sich wie aus der Erde gestiegen eine lange dunkle Gestalt empor.

»Zurück, Fürst Iwan Oczakoff!« sagte der Fremde mit dumpfer Stimme, »Dein Leben gehört dem Vaterland!«

»Mensch, wer bist Du, der Du mich kennst?« – Seine Hand griff nach der Pistole.

»Laß stecken, Kind – Du wenigstens hast kein Recht auf mich, wenn auch Michael der Tabuntschik aus der Steppe von Borislaw nicht sein Brot mit Dir getheilt hätte.«

»Der Roßhirt – so wahr ich lebe! Wie kommst Du hierher, Alter – was geht dort vor – was bedeuten die Feuer um Balaclawa?«

»Sie leuchten Gefahr, Knabe! die Engländer und Franzosen lagern dort unten, Balaclawa ist in ihren Händen, ich, ich habe sie dahin geführt durch die Gebirge, und zum zweiten Male ruht der Fluch jedes Russen auf dem Haupt des ewig Verdammten! – Eil' nach Ssewastopol, Fürst, denn der Feind steht vor seinen Mauern


(Schluß des dritten Theils.)

Fußnoten

1 Wirthshaus.

2 Oberst-Lieutenant.

3 General der Infanterie, der in der Almaschlacht unter Mentschikoff focht, nicht zu verwechseln mit dem nachherigen Oberbefehlshaber, General der Artillerie, Fürst Gortschakoff II.

4 Etwa 1350 Schritt.

5 Es waren die Schiffe: »Heilige Dreieinigkeit« von 120, »Rostislaff« von 84, »Siseboli« von 40, »Zagosdich« von 84, »Uriel« von 80, »Silistria« von 80 und »Kulewtscha« von 40 Kanonen.

4. Theil: Ssewastopol

In des Meeres Tiefen
In des Meeres Tiefen.

Wir haben am Schluß des vorigen Bandes die Alliirten auf der Südseite von Sebastopol, im Besitz von Balaclawa, verlassen und nachzutragen, wie sie aus der Lagerung am Bjelbeck, bereit zum Sturm der Nordforts, dahin gekommen.

Verlegen wir den Gang unserer Darstellung daher um vierundzwanzig Stunden zurück auf den Nachmittag des 24. September, nachdem wir für Diejenigen unserer Leser, welchen nicht ein Plan der Umgegend von Sebastopol zur Hand ist, eine kurze aber nothwendige Scizzirung des Terrains und der Festung gegeben haben.

Sebastopol liegt, wie früher erwähnt, vierzehn Stunden südlich von Eupatoria an einem vorspringenden, durch eine tief einlaufende, nach rechts und links sich in Arme verzweigende Meeresbucht gespaltenen Vorgebirge. Die Bucht ist auf der Nord- und Ostseite von ziemlich hohen Bergen gebildet und umgeben, auf der Südseite erhebt das Ufer sich am Eingang gleichfalls schroff und hoch, weiterhin aber bildet es mehr einen Kessel, von Schluchten durchschnitten, der sich nach und nach zu einem amphitheatralischen Plateau erhebt. In das östliche Ende der Bai ergießt sich der aus dem Südosten kommende in seiner ganzen Länge durch ein Bergthal laufende Tschernajafluß. Nahe dem Ausfluß desselben liegen die Ruinen von Inkerman und der nördliche und östliche Leuchtthurm. Zwei Brücken fuhren über den Fluß unterhalb der Bai, die Straße nach Baktschiserai und Symferopel, den beiden Hauptorten der Krimm inmitten der Gebirge, bildend. – Diese Straße durchkreuzen, nach der See im Norden Sebastopols mündend, [5] die Flüsse Alma, Katscha und Beljbeck. Von der Nordseite läuft gleichfalls eine Straße nach Baktschiserai, der alten Hauptstadt der Tartaren-Khane.

Das nördliche Ufer Sebastopols geht in einer gegen die Bai einspringenden Landspitze aus, auf der das starke Fort Constantin seine Granitwälle in die See senkt, den Eingang der Bai deckend. Hierauf folgen nach dem Innern zu auf den vorspringenden Punkten das Fort Catharina und die Batterieen von Sukaia. Auf der Höhe der Bergwand nach dem Beljbeck zu deckt die große Citadelle oder das nördliche Fort die genannten Seeforts und die Straße nach Eupatoria.

Auf der Südseite bildet die äußerste Bucht nach der Seeseite zu die Quarantaine-Bucht, von dem Innern her durch die großen und kleinen Quarantaine-Batterieen beherrscht. Es folgt, demFort Constantin auf der Nordseite entsprechend, das Fort Alexander; eine Batte rie, dann der Handelshafen und auf dessen östlicher Seite das bedeutende Fort St. Nicolas. Zwischen diesem und dem folgenden Fort St. Paul buchtet tief in das ansteigende Bergland hinein der Kriegshafen, sich wieder abzweigend östlich in das Bassin zur Ausbesserung der Schiffe, die sogenannte Schiffsbucht am Arsenal, westlich in den großen Militairhafen, der fast bis zu den äußersten Befestigungen der Stadt in's Land hineinläuft. Ueber das Fort Paul und die Ringmauern hinaus erstreckt sich die Karabelnaja oder Schiffervorstadt. An der östlichen Seite des Militairhafens liegen die neue Admiralität, Kasernen, das Arsenal, prächtige Docks und das große Hospital, an der westlichen die alte Admiralität und die Promenade mit dem Denkmal Kazrky's.

In dem über die Quarantaine-Bucht hinaus sich scharf in das Meer hineinziehenden und dann nach der Südspitze der Krimm zu wieder einbiegenden Lande liegen, außerhalb der Vertheidigungslinie von Sebastopol, zunächst die Schützenbucht (Streletzka-Bucht), die Kamiesch- und Kasatsch-Bai. Die äußerste Spitze des Landes nach Westen bildet das Cap Chersones. Grade unterhalb des Kriegshafens im Süden dieses, die Halbinsel Sebastopol bildenden Vorsprungs der Krimm liegt die ziemlich enge, aber vollkommen geschützte Bucht von Balaclawa. Eine Straße geht von dort nach Süd-Sebastopol, eine andere über die Tschernaja nach der Nordseite und rechts in das Innere nach Baktschiserai.

[6] Diese kurze Uebersicht wird vorläufig genügen. – –

Am Bjelbeck-Ufer, im Angesicht der Citadelle und der Nordforts lagerte die alliirte Armee, die Franzosen den rechten Flügel an der See bildend, die englische Kavallerie bis zum Ende der Bucht ihre Pikets vorschiebend. Die Türken bildeten die Reserven und hielten die Straße nach Eupatoria besetzt.

Es war um Mittag, als man von den Höhen des Ufers einen kleinen Dampfer von Westen her die See durchschneiden und mit dem französischen Admiralschiff Signale tauschen sah, worauf das Dampfschiff seinen Weg gegen das Ufer so weit als möglich fortsetzte, ein Boot in See ließ und nach dem Ausfluß des Beljbeck sandte. Der landende Marine-Offizier fragte nach dem Marschall und eilte, zurechtgewiesen, nach dem Zelt desselben, das in einiger Entfernung unter einer Gruppe von Korkbäumen aufgeschlagen war. Die überbrachten Depeschen schienen Wichtiges zu enthalten, denn trotz des seit der Almaschlacht bedeutend verschlimmerten Zustandes des Marschalls, eilten bald darauf Adjutanten nach verschiedenen Seiten davon, die Führer der Armee zum Kriegsrath zu berufen.

In einem jener Thäler, die sich schluchtenartig zur Bai von Sebastopol auf der Nordseite hinziehen, weit über die russischen Befestigungswerke hinaus lagerte ein englisches Dragoner-Regiment: die Vedetten und Posten auf den Höhen, einzelne Patrouillen ab- und zureitend, im Grunde die Pferde zusammengekoppelt, an den süßen Gräsern und Kräutern, dem Laub der wilden Feigenbäume und Rankengewächse nagend – die Soldaten in Gruppen umherlagernd, Kaffee kochend, ihre Waffen putzend, oder mit jener stoischen Ruhe des echten Briten um einen lustigern Kameraden versammelt, den das grüne Irland geboren, und der der Gesellschaft ein heiteres Lied oder eine wunderbare Geschichte zum Besten gab. Im Vorübergehen lauschte selbst mancher der Offiziere der lustigen Geschichte Pad's, ehe er zu seinem Kreise zurückkehrte.

Das Bivouak und Feldleben hatte, nach den kurzen Unannehmlichkeiten der Tage und Nächte der Landung noch nicht jene rauhen Seiten gezeigt, die später die Armee in vollem Maaße kosten sollte. Man hatte, allerdings mit schweren Verlusten, einen großen Sieg erfochten, man hoffte auf weitere leichte Triumphe, man lagerte in einem der schönsten Klima's der Welt, unter Sonnenschein und Pflanzenduft, und das Auge, an die grauen Dinten [7] des Nordens gewöhnt, schweifte über das Grün der Weinberge, der Feigen und Olivenwälder, die schlanken Cypressen und breiten Platanen auf die blaue glänzende Fläche des Meeres. In einiger Entfernung unter ihnen lag die Russenstadt Sebastopol, mit den Forts und Bastionen, welche die klare durchsichtige Luft dieses Himmelsstriches deutlich und klar zeigte, – die sichere Beute der nächsten Tage, der Triumph vor ganz Europa, der neue Zeuge für die unersättliche Habgier des stolzen Inselreichs!

Auch für jenes Hauptbedürfniß aller Armeen der Welt und der britischen insbesondere, den Proviant, war noch leidlich gesorgt und die Offiziere entbehrten selbst eines gewissen Comforts nicht, da sie Flaschenkasten und Menagen von den Schiffen mit gebracht, ihre Garderobe noch nicht verdorben war und der rauhe Wintersturm noch nicht die ermatteten Glieder erstarrte.

Die Menagen hatten ihren Dienst erfüllt, die Beafsteaks und Hammelcotelettes waren verzehrt und die Flasche machte in dem lagernden Kreise die Runde, während die Cigarre oder die leichtgefertigte spanische und orientalische Cigarette ihre Rauchwirbel in die Luft schickte.

»Der arme Wellesley,« sagte der Capitain Tysdale, während er den silbernen Feldbecher mit Claret füllte. »Er hat Sebastopol nicht einmal zu sehen bekommen.«

»Der Major starb am Tage nach der Schlacht, wie ich gehört?«

»Ja, an der verdammten Cholera, und Brigade-Ge neral Tylden auch. Bisher haben die Franzosen allein Generäle daran verloren und ihr Marschall selbst wird schwerlich davon kommen.«

»Es bringt Avancement in die Armee, die Stellen werden billig werden,« bemerkte ein junger Fähnrich.

»Bah, O Malley, speculiren Sie nicht vergeblich. Ihr Onkel in Tipperara hat noch an dem Wechsel zu bezahlen für Ihre Ausrüstung und die irischen Kartoffeln gerathen dies Jahr schlecht.«

»Was wissen Sie von den Verhältnissen meiner Familie, Lieutenant Halkett,« rief der Ire hitzig, »wollen Sie mich beleidigen?«

»Dummheiten, O Malley,« sagte der Doctor, ein behäbiger, rothnasiger Walliser. »Wissen Sie nicht, daß an der Regimentstafel, wenn das Tischtuch fortgenommen ist, keine Rede übel genommen werden darf? Nun haben wir nicht einmal ein Tischtuch gehabt, also senken Sie Ihren Kamm, mein Streithähnchen, Sie [8] werden noch Gelegenheit genug haben, ihn bei den Kosacken anzubringen. Ueberdies hat Halkett Recht, Ihr nächstes Geld, wenn wirklich welches aus Irland kommt, was Sie nun schon ein Jahr lang uns vorerzählen, verwenden Sie auf Ankauf eines Gauls, denn der Ihre hat den Spath und ist eine Schande für das Regiment.«

Der lustige Kreis lachte.

»Ich nehme das nächste Beutepferd!« prahlte der Fähnrich.

Der Doctor zwinkerte listig mit dem rechten Auge.

»Vielleicht eines von den beiden Vollbluts, die unsere Pikets gestern eingefangen und die mit ihren würdigen Besitzern da drüben der Entscheidung des Earls harren? Sie müßten sich prächtig machen, zwei solche Kracken mit struppigen Mähnen und Rattenschwänzen unter den Normannen des vierten Dragoner-Regiments Ihrer Majestät!«

Der graubärtige Major blickte nach den beiden Pferden.

»Gott verdamm' Eure Augen, Fähnrich O Malley, ich glaube, das Eine hält mit Euren langen Beinen jedes Wettrennen aus. Die Ohren sind kurz, und Augen und Nüstern verrathen Feuer.«

»Pah, Major – es sieht abscheulich aus! Da Sie aber meinen, so will ich es nehmen.«

Der junge Mann erhob sich, um hinzuschlendern, der alte Offizier aber schüttelte lachend den Kopf.

»Das Ansehen haben Sie umsonst. Doch mit dem Nehmen ist es Nichts, Sie müßten das Pferd denn dem Eigenthümer abkaufen.«

»Zum Henker, es ist ja Kriegsbeute.«

»Die beiden Leute sind von unsern Patrouillen ergriffen und in's Lager gebracht worden, weil wir Nachrichten über das Land brauchen, aber keineswegs als Feinde. Der Tagesbefehl des Lord-Generals bestimmt auf das Strengste, daß alle Eingebornen, mit denen wir verkehren, möglichst gut behandelt werden sollen.«

Die Offiziere näherten sich den beiden Gefangenen, die neben ihren Pferden am Fuße einer Platane saßen, im ernsten Gespräch vertieft. Die Pferde gehörten zur Zucht der kleinen langhaarigen Steppenthiere, doch hätte ein Kenner der donischen Race das Eine leicht an den sehnigen und schlanken Beinen und kurzen Fesseln, den aufgeworfenen Nüstern und den feurigen rothen Augen für ein treffliches Thier erkannt, wie unschön auch sein Aussehen sein [9] mochte. Die Herren dieser Pferde waren ein großer kräftiger Greis von finsterm und stolzem Aussehen, größtentheils in Roßleder gekleidet, die Mütze von Wolfsfell auf dem kahlen Haupt, dir schwere Peitsche am Gürtel, so wie ein junger Mann von antiker Schönheit, welche der einfache kaftanartige Rock noch mehr hervorhob: Michael, der Roßhirt aus den Steppen des Dniepr und Nicolas Grivas, der junge Palikare, der in der Nacht des Lazarethbrandes aus Varna entflohen war, um die Nachricht von den Beschlüssen des Kriegsraths der Alliirten nach Sebastopol zu bringen.

Wir haben gesehen, daß auch sein Bruder Gregor Caraiskakis nach der Entdeckung des griechischen Complotts sich flüchten mußte. Er war der Armee des Fürsten Gortschakoff gefolgt und befand sich mit diesem zur Zeit in Odessa. Dorthin hatte er den jüngern Bruder beschieden, um mit ihm und mehreren andern der griechischen Flüchtlinge den Plan zur Gründung einer griechischen Freischaar zu berathen.

Mit den Vorbereitungen dazu beauftragt und mit neuen Warnungen der durch fortdauernde Verbindungen in Varna wohl unterrichteten Griechen an den Fürsten Menschikoff kehrte Nicolas Grivas nach der Krimm zurück, als er auf dem Wege über die Landenge von Perekop auf den alten Tabuntschik traf, der einen Transport von dreihundert Pferden, den Reichthum seiner Zucht, als freiwillige Gabe auf dem Altar des Vaterlandes anzubieten kam und sie dem Oberbefehlshaber von Taurien zuführen wollte. Der junge Mann schloß sich dem Zuge an und die Nachrichten, die er vom Kriegsschauplatze brachte, die Erzählung seiner griechischen Kämpfe hatten ihm das Vertrauen des finstern Greises erworben.

Schon auf dem Wege nach Symferopol gelangte die Kunde zu ihnen von dem Erscheinen der alliirten Flotte in der Bay von Kalamita, und während der Tabuntschik seine Rosse mit den Knechten auf der Straße nach Baktschiserai weiter sandte, wandte er sich selbst mit dem jungen Griechen nach der Küste, um Näheres von der Landung der Feinde zu erspähen. Mit Staunen bemerkte Nicolas Grivas an seinem alten Begleiter einen hohen Bildungsgrad und eine große Kenntniß in militairischen Dingen, die auf seine Frage der sonst über seine Vergangenheit sehr wortkarge Greis dahin erklärte, daß er den Franzosenkrieg mitgemacht. – Von fliehenden Tataren hatten sie die Nachricht der Almaschlacht gehört und von dem Rückzug der Russen nach Sebastopol. Auf [10] dem Wege dahin war es, daß sie von einer vorgeschobenen Reiterpatrouille der Engländer überrascht und festgenommen wurden, da der Befehl der Oberstkommandirenden dahin ging, einige Bewohner des Landes in's Lager zu bringen, um von ihnen Nachrichten über die Bewegungen der Feinde und die Festung zu erhalten.

Während die britischen Offiziere sich, wie oben erzählt, unterhielten, lag der greise Tabuntschik auf den Arm gestützt unter der Platane und betrachtete mit finsterm Blick bald die Feinde seines Landes, bald die weit hin sich dehnende Aussicht auf die Bay und die bedrohte Stadt.

»Die Heiligen mögen ihre Augen verblenden,« sagte er endlich in spöttischem Ton in griechischer Sprache zu seinem jungen Begleiter, »daß sie sich an diesen ehernen Citadellen der Nordseite ihre Schädel einrennen und die Schwächen der Festung im Süden nicht merken. Dennoch wollte ich mein altes Leben darum geben, wenn man diese hochmüthigen Engländer und französischen Windbeutel dahin locken könnte. Der Marsch durch die Defileen von Inkerman und das Tschernaja-Thal brächte sie bei richtiger Benutzung des Augenblicks in einen Sack, aus dem keiner Mutter Sohn lebendig wieder heraus kommen sollte, und Menschikoff ist der Mann dazu.«

»Kennt Ihr diese Gegend so genau?«

Der Alte fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Ich brachte in meiner Jugend einige Zeit hier zu und durchstreifte auch in den letzten Jahren mehrfach die Krimm bei meinem Pferdehandel. Blicke dorthin, Grieche, links an dem Leuchtthurm vorüber jenen dunklen Punkt – siehst Du ihn?«

»Es scheint mir ein Thurm.«

»Es sind die Ruinen von Inkerman. Dort theilt sich der Weg, der nach Osten führt nach Baktschiserai; zwei andere überschreiten die Tschernaja und führen nach dem Süden auf Balaclawa zu, der eine unter den Augen und den Kanonen der Festung vorüber, der andere hinter jenem Felsenzug verborgen – er läuft zwischen Bergen und Schluchten und wäre ein Thermopylä, in dem die Hunderttausende eines Darius verderben müßten, da der Rückzug leicht gesperrt werden kann. Ich wollte, ich hätte zwanzigtausend Mann Russen unter meinem Kommando und diese fünfzigtausend Engländer und Franzosen in jenen Schluchten!«

[11] »Was meint Ihr, daß aus uns werden wird – werden sie uns als Kriegsgefangene auf die Schiffe bringen?«

»Der Teufel in ihre Seele! Hätte man uns nicht überrascht, als wir an der Quelle saßen und unsere Sättel verlassen hatten, ein Regiment ihrer Kavallerie hätte mich wenigstens nicht einholen sollen.« – Er streichelte freundlich die Nüstern des zottigen Pferdes an seiner Seite, das den Kopf zu ihm niederbeugte und seine Hand leckte. – »Hätte ich Buruk unter mir gehabt und ihm mein ›Pascholl Liebling‹ zugerufen, ich hätte jeder Verfolgung spotten können, und wenn sie tagelang gedauert; denn Buruk ist an jede Anstrengung der Steppe gewöhnt und würde die neunzig Wersts von Eupatoria bis Sebastopol in sechs Stunden zurück legen. Doch beruhige Dich, Sohn – ich glaube, man wird uns frei geben, so wie die Operationen gegen die Werke begonnen haben. Die Thoren ahnen nicht, daß ich Englisch verstehe und die Kenntniß ihrer Sprache hat mich hören lassen, daß strenge Befehle gegeben sind, gegen die Bewohner des Landes mit möglichster Schonung zu verfahren.«

»Aber ich bin ein Grieche und man wird Verdacht schöpfen.«

»Nicht, wenn Du vorsichtig bist. Du bist mein Enkelsohn – der Enkel eines einfachen Tabuntschik, wie wir verabredet, alles Andere überlasse mir. Da kommen diese verrätherischen Briten auf uns zu – russische List soll ihnen die Spitze bieten.«

Während die Offiziere zu den Gefangenen traten, um ihre Pferde näher zu betrachten und ein Gespräch anzuknüpfen, sah man einen Adjutanten rasch über die Bergfläche daher galoppiren und nach dem Bivouac der Dragoner einlenken.

»Du hast da ein ziemlich boshaft aussehendes Pferd, Alter.« sagte der Major auf Französisch, »doch scheint es kräftig und rasch zu sein. Ist es Deine eigene Zucht?«

»Es ist ein Kind der Steppe Gospodin,« antwortete der Tabuntschik; »seine Eigenschaften sind so so – bald gut, bald schlecht – man muß mit unsern Pferden umzugehen verstehen.«

»Du bist ein Roßhändler, wie Du angegeben?«

»So ist es!«

»Dann wird es Dir lieb sein, zu hören, daß dieser Herr hier Dein Pferd Dir abkaufen will.«

»Du scherzest, Gospodin; ein solches Pferd würde sich für einen Offizier nicht passen.«

[12] »Goddam! Wir haben in Varna noch schlechtern Schund für unsern Abgang annehmen müssen, und Dein Pferd ist gegen die Kracke, die Fähnrich O Malley erhalten, ein Bucephalus.«

»Was verlangt der Kerl für den Gaul?« fragte der junge Mann, der kein Französisch verstand, ungeduldig. »Ich hoffe, er macht keine Umstände – mit zwei Pfund ist die Mähre bezahlt.«

»Ich habe bereits gesagt, Herr,« beugte der Tabuntschik vor, »daß meine Knechte mit einem Transport Pferde auf dem Weg sind, zum Handel mit der Armee. Es sind bessere Pferde dabei, als dies hier, das nur gut ist für einen alten Tabuntschik, und das ich nicht verkaufen möchte, weil ich an seinen Gang gewöhnt bin.«

Dem Handel, dem der Roßhirt sich, trotz alles Widerspruchs, schwerlich auf die Dauer hätte entziehen können, wurde durch das Herbeisprengen des Adjutanten ein Ende gemacht.

»Wo ist Major Ewelyn?«

»Hier, Herr!«

»Oberst Kennedi läßt Sie bitten, die beiden Gefangenen, die Französisch sprechen, auf das Schleunigste zu ihm in's Hauptquartier zu schicken. Ich werde sie begleiten.«

»Hier sind die Beiden. – Besteigt Eure Pferde, Männer, und folgt diesem Herrn. Ich hoffe, daß Ihr keinen Fluchtversuch machen werdet, denn ringsum stehen unsere Leute und Ihr würdet auf der Stelle niedergeschossen werden. – Ist etwas Neues los, Sir?« wandte er sich auf Englisch wieder zu dem Offizier, während der Tabuntschik und sein Begleiter ihre Pferde zäumten und bestiegen.

Der Adjutant beugte sich zu dem Major nieder.

»Es sollen wichtige Mittheilungen von Paris eingelaufen sein. Man munkelt von einer Bewegung der Armee nach der andern Seite der Festung.«

So leise er gesprochen, so hatte das scharfe Ohr des Tabuntschik die Nachricht doch vernommen und es zog wie ein Wetterleuchten über das alte verwitterte Gesicht. Er saß im Sattel:

»Wir sind fertig, Gospodin!«

»Vorwärts denn!« befahl der Adjutant.

»Leben Sie wohl, meine Herren.«

Sie trabten davon. Der Tabuntschik unterhielt sich unterwegs mit dem jungen Griechen in seiner Sprache.

[13] »Ich habe eben gehört,« sagte er, »daß diese Engländer von einem Angriff auf der Südseite sprachen. Mögen die Heiligen geben, daß wir ihnen entwischen, um dem Fürsten diese wichtige Nachricht bringen zu können.«

So kamen sie zum Gezelt des Marschalls St. Arnaud, in dem der Kriegsrath versammelt war. Der Adjutant ließ seine Begleiter am Eingang, wo eine große Anzahl von Offizieren und Ordonanzen versammelt war, unter dem Schutz der Wachen, um seine Meldung zu machen. Der scharfe Blick des Greises bemerkte mehrere gleich ihnen gefangene Eingeborne des Landes, die von Wachen herbeigebracht worden, offenbar, um befragt und verhört zu werden. Er winkte mit einer bezeichnenden Geberde seinem jungen Gefährten, denn trotz der Menge, die sich um das ziemlich große, aus drei Abtheilungen bestehende Zelt bewegte, herrschte eine große Stille, nur durch das Klirren der Waffen und die Schritte der Schildwachen und der Ab- und Zugehenden unterbrochen.

Sie hatten noch nicht lange gewartet, als Lord Cardigan, der Befehlshaber der englischen Cavallerie, in Begleitung des Obersten Kennedi aus dem Zelt trat und der Letztere sich suchend umschaute.

»Ah, da sind meine Leute, Mylord,« sagte er, als sein Blick auf den Tabuntschik fiel. »Hierher, Alter mit Deinem Sohn, und folge uns.«

»Lassen Sie den jungen Mann zurückbleiben, Sir,« sprach der Lord. »Es wird gut sein, wenn man Jeden einzeln befrägt.«

Auf einen Wink des Generals mußte Grivas bei den Pferden zurückbleiben, während der Roßhirt den Offizieren in das Innere des Zeltes folgte.

Die erste Abtheilung war von mehreren Adjutanten und Stabsoffizieren eingenommen, die auf Feldtischen Depeschen schrieben, während von Zeit zu Zeit der Chef des Generalstabs, Brigadegeneral de Martimprey, aus dem Innern kam, Befehle ertheilend.

Lord Cardigan schlug den dicken Teppichvorhang zurück, welcher den Eingang in die mittlere große Abtheilung des Zeltes bildete, und trat hinein, von dem alten Tabuntschik gefolgt, der auf seinen Wink am Eingang stehen blieb.

Rasch, gleich dem Blitz, überflog sein Auge die Versammlung.

[14] Am andern Ende des Raumes oder Gemaches lag auf einem mit Kissen bedeckten Feldbett, in einen Soldatenmantel gehüllt, der Marschall Saint Arnaud, der Obercommandirende des Landheers. Die Seuche hatte tiefe Spuren auf das bleifarbene Antlitz des Generals gegraben, in tiefen dunklen Ringen lagen die matten Augen, und mit Mühe hatte er den Kopf auf einen Arm gestützt, während der Generalstabsarzt Dr. Bernielle seine Linke in den Händen hielt und von Zeit zu Zeit dem Kranken einige Tropfen einer stärkenden Medizin reichte, oder ihn ermahnte, sich nicht anzustrengen. Vor dem Bett des Marschalls stand ein großer Tisch, auf dem eine Karte der Krimm und ein ziemlich unvollständiger Plan der Festung Sebastopol lag. Zur Linken des Tisches saßen der Prinz Napoleon und die Generäle Canrobert, Bosquet und Forey, während auf der andern Seite Lord Raglan, der Obercommandant der britischen Armee, kenntlich an dem fehlenden Arm, mit dem Herzog von Cambridge und den englischen Generälen Brown, Lacy-Evans, England und Cathcart, nebst den Admirälen Dundas und Lyons Platz genommen. Eine große Anzahl französischer und britischer Generäle standen um den Tisch her.

»Mein Urtheil,« sagte Lord Raglan eben, »kann hier nicht entscheiden, Sie müssen wissen, Herr Marschall, wie weit Sie den Nachrichten, die der Kaiser Ihnen sendet, trauen können. Wir stehen hier vor den Forts und ich kann mich von dem Gedanken nicht trennen, daß ein rascher Angriff von der Land-und Seeseite die Sache zur Entscheidung führen würde.«

»Die Nordforts sind stark, Mylord,« sagte der französische Oberkommandant mit matter Stimme, »wir würden unsere Truppen vergeblich opfern, wenn wir nicht erst durch schweres Belagerungsgeschütz Bresche gelegt. – Unser Spion in Berlin scheint vortrefflich unterrichtet; wir haben es in der Zahl der Truppen gesehen, die uns an der Alma gegenüber standen.«

Der Herzog von Cambridge nahm ein Papier vom Tisch. »Die Depesche ist so verteufelt kurz, daß sie nur wenig Anhalt bietet. ›Der Angriff ist auf die Südseite zu verlegen – zuverlässige Nachrichten über Berlin melden, daß dort die Schwäche der Festung ist. Napoleon.‹ – Voilà tout.«

In diesem Augenblick beugte sich Lord Cardigan über den Tisch und sagte einige Worte. Aller Augen wandten sich nach dem [15] Eingang des Zeltes, wo der Greis ruhig und anscheinend theilnahmlos stand.

Der dicke Prinz Napoleon klemmte das Lorgnon in's Auge.

»Ist das Ihr Gefangener, der Französisch spricht, Mylord Cardigan?«

»Er ist es, Kaiserliche Hoheit, und ein so vorzügliches Französisch, wie Sie nur in den Salons von Paris hören können.«

»Ah, diese Russen sprechen alle sehr gut die Sprache der civilisirten Welt. Aber der Kerl dort sieht mir keineswegs aus, als gehörte er zu den bevorzugten Ständen.«

»Treten Sie näher, Mann,« sagte der GeneralBosquet rauh. »Wir haben keine Zeit zu Betrachtungen, sondern wollen ihn befragen. Wollen die Herren es vielleicht thun, deren Gefangener er ist?«

Lord Raglan antwortete höflich ablehnend mit einer Handbewegung, und der französische General wandte sich sogleich wieder zu dem Roßhirten, der unbefangen durch den Kreis der glänzenden Offiziere bis zu dem Tisch getreten war.

»Wie heißt Ihr, Freund, und was seid Ihr?«

»Michael der Tabuntschik, General; wenn Sie den russischen Ausdruck nicht verstehen, ein Roßzüchter und Roßhändler.«

»Seid Ihr hier zu Hause? Es ist seltsam, daß Ihr bei Eurem niedern Stande so fertig Französisch sprecht.«

»Ich bin ein Franzose, wie Sie, General!«

»Diantre – und hier in Rußland? Ihr müßt ein alter Mann sein, Freund.«

»Achtzig Jahre, Herr. Ich war Sergeant bei Manson's Kürassieren, wurde 1812 gefangen genommen und lebte seitdem in den Steppen oder den Gebirgen dieses Landes, zuerst als Sclave, nach dem Tode meines Herrn auf eigne Hand.«

»So seid Ihr bekannt mit der Umgegend von Sebastopol?«

»Ich würde jeden Weg mit verbundenen Augen finden. Ich kenne jeden Stein des Gebirges.«

»Das wäre vortrefflich,« meinte der Prinz. »Wenn Sie Franzose sind, mein Herr, werden Sie wissen, was Sie Ihrem Vaterlande und Ihren Landsleuten schuldig sind und sich nicht weigern, uns einen wichtigen Dienst zu erzeigen.«

»Ich bin ein alter Mann, Herr, und habe länger als vierzig Jahre in diesem Lande gelebt,« meinte der Greis, »aber ich freue [16] mich doch, am Rande des Grabes unter Franzosen zu stehen und werde gern thun, was ich kann. Was wünschen Sie von mir?«

»Wir verlangen die Beantwortung einiger Fragen,« sagte General Bosquet. »Zunächst, können Sie beurtheilen, welcher Punkt im Süden von Sebastopol sich für unsere Schiffe zu einer Landung eignen würde?«

»Ei General, ich bin nicht Seemann, nur ein einfacher Soldat, aber da kann wenig die Frage sein. Da wäre zuerst die Kamiesch-Bai.«

»Sie liegt zu nahe für unsere Zwecke an der Festung!«

»Nun, Parbleu! dann ist Balaclawa der rechte Ort, und ein verteufelt guter Platz ist er, gegen die Stürme gedeckt, freilich ein Bischen eng –«

»Ist der Ort stark vertheidigt,« unterbrach der General ungeduldig die anscheinende Geschwätzigkeit des Alten. – »sind die Festungswerke stark?«

»Ei was denken Sie, General,« lachte der Greis, »da kennen Sie unsere Russen schlecht. Als ich das letzte Mal dort war, sah ich vier eiserne kleine Kanonen, und mit einer Compagnie Ihrer Grenadiere jage ich die ganze Besatzung zum Teufel.«

Die Generäle beugten sich über die Karte, um die Lage des bezeichneten Orts zu prüfen, und Lord Raglan wechselte leise einige Worte mit dem Marschall. Dann wandte er sich selbst zu dem Roßhirten.

»Wie weit ist Balaclawa von Sebastopol entfernt?«

»Dreizehn Werst oder drei Lieues, wenn Sie das lieber wollen, Herr.«

»Wie ist das Terrain beschaffen?«

»An der Küste Felsen und Schluchten, Herr, dann hebt es sich zum Plateau und senkt sich, von Höhlungen durchschnitten, nach Sebastopol hin.«

»Ist es möglich, um das Ende der Bai von Sebastopol mit einer Armee bis Balaclawa vorzudringen, ohne mit der Festung in Berührung zu kommen?«

Er herrschte lautlose Spannung auf diese Frage. Ein Blitz von Hohn und Freude zuckte in den Augenwinkeln des Alten, doch nur einen Gedanken lang. Dann lachte er heiter und sagte:

»Ei General, wir Hirten der Gebirge kennen die Wege. Ihr könnt, wenn Ihr die Leuchtthürme umgeht und die Gebirge zwischen [17] Mekensyr und den Ruinen von Inkermann durchschneidet, an der Tschernaja-Brücke die Thalschlucht gewinnen und vor Balaclawa stehen, ohne daß eine Katze in der Festung Euren Marsch bemerkt, wenn sie hier nicht aufmerksam gemacht werden.«

Wiederum wurden leise einige Worte zwischen den beiden Ober-Commandirenden gewechselt, dann befahl Lord Raglan, den Tabuntschik für einen Augenblick abtreten zu lassen, aber sorgfältig zu bewachen, daß er mit Niemand ein Wort wechsele.

Die Berathung der Generäle war jedoch nur kurz und der Tabuntschik wurde bald wieder herein geholt.

»Se. Kaiserliche Hoheit, der Prinz Napoleon,« sagte General Bosquet, »hat Sie bereits an Ihre französische Abstammung und die Pflichten derselben erinnert. Was Sie thun, thun Sie dem Erben des großen Kaisers. Es liegt uns daran, die Armee nach der Südseite der Festung zu führen, womöglich nach Balaclawa. Wollen Sie uns als Führer dienen, Mann, so soll Ihnen eine reiche Belohnung zu Theil werden. Im andern Fall müssen Sie in strenger Haft bleiben, denn Sie haben zu viel gehört, um Sie gehen lassen zu können.«

Der Tabuntschik schüttelte den Kopf.

»Ihre Drohung kann mich nicht schrecken, Herr, so wenig wie Ihre Versprechen mich reizen. Ich bin ein alter Mann, Herr, und hänge nicht am Leben. Aber ich habe nicht vergessen, daß Frankreich mein Vaterland ist, und bin bereit, Ihnen auf Gefahr meines Kopfes den Weg durch die Gebirge nach Balaclawa zu zeigen, wenn Sie mir gestatten wollen, zugleich meine Interessen zu besorgen, damit ich nicht zu Schaden komme.«

»Wie meint Ihr das, Freund?« fragte der Herzog von Cambridge.

»Ich bin ein Pferdehändler, wie Sie wissen,« sagte der Alte, »und komme aus der Steppe jenseits Perecop mit 300 muthigen Thieren, dir um eine Tagereise hinter mir zurück sind. Wenn ich Ihnen den Weg zeige, fallen die Thiere in die Hände der Russen, und ich möchte dann nicht wagen, bei diesen mein Eigenthum fordern.«

»Wir werden sie Ihnen abkaufen oder den Werth vergüten.«

»Ich bin ein Kaufmann, General, und lebe vom ehrlichen Handel. Wenn Sie wollen, daß ich Ihnen diene, so lassen Sie [18] mich meinem Eigenthum entgegensenden und meinen Leuten Anweisung geben, die Pferde in Ihr Lager zu bringen.«

»Das geht unter keinen Umständen,« sagte Bosquet rauh; »der Mann darf mit Niemand mehr verkehren.«

Der alte Roßhirt lächelte spöttisch.

»Dann, General, erlauben Sie mir, daß ich mir wenigstens den Markt bei meinen neuen Landsleuten, den Russen, nicht verderbe.«

Es entstand eine kurze Pause. Der Greis hatte das Ansehen eines so entschlossenen Charakters, daß ein Jeder begriff, Drohungen wären hier vergeblich.

»Fragen Sie den Mann,« stöhnte der Marschall, »wie er die Sache ausführen will.«

Der Tabuntschik trat einen Schritt näher zu dem Tisch.

»Ihr Mißtrauen sollte mich kränken,« sagte er ruhig und ernst, »doch ich will Ihnen selbst ein Mittel vorschlagen, unsere Interessen zu vereinigen. Draußen steht mein Enkelsohn, der mit mir gefangen wurde. Er versteht unsere Sprache, weiß aber natürlich Nichts von dem Dienst, den ich Ihnen leisten soll. Lassen Sie ihn herein kommen, geben Sie ihm sicheres Geleit durch Ihre Posten nach Eupatoria hin bis zum Weg nach Symferopol, und ich werde ihm hier in Ihrer Gegenwart seinen Auftrag ertheilen. Sie selbst mögen hören, ob ich ihm mit einem Wort das Geheimniß verrathe. Ueberdies bleibe ich ja in Ihren Händen und Sie mögen mein Leben nehmen, wenn ich Sie täusche.«

Nach einer kurzen Berathung der Führer willigte man in den Vorschlag und ließ den Griechen herein führen.

»Kennst Du diesen Mann?«

»Er ist mein Großvater, Herr.«

»Wohl, sagen Sie ihm Ihren Auftrag.«

Der Tabuntschik wandte sich zu dem jungen Mann und sah ihn fest und ruhig in's Gesicht. Zu seinem Staunen bemerkte Nicolas, daß der Greis langsam und ohne aufzufallen das Erkennungszeichen der Hetärie machte und begriff im Augenblick, daß die Unterredung eine doppelte Bedeutung haben werde und seine höchste Aufmerksamkeit fordere.

»Du weißt ungefähr, wo Du unsere Pferde treffen wirst, Sohn?«

»Ja, Großvater.«

[19] »Wohl. Du sollst ihnen entgegen gehen, indeß ich bei diesen Herren zurückbleibe. Sie haben die Pferde gekauft und Du sollst sie zu ihnen führen. Du mußt Dich eilen, damit die Knechte sie nicht nach Baktschiserai bringen, denn dort wären sie für uns verloren. Morgen früh, wenn Du Deine Sache gut machst, können die Rosse bei uns sein.«

»Welchen Weg muß ich nehmen, Großvater?«

»Geh' über die Katscha zurück und wende Dich rechts in die Berge. Erinnere Dich der Stelle, die ich Dir heute Morgen bezeichnete.Dort warte, sie müssen da vorüberkommen oder rasten, wie wir ausgemacht haben.«

»Aber, Du Großvater, wo bleibst Du?« Es lag aufrichtige Besorgniß in dem Auge des jungen Mannes.

»Um mich kümmere Dich nicht, Kind, ich werde diese Herren nicht verlassen, und wir treffen, so die Heiligen wollen, morgen wieder zusammen. – Ich bin fertig mit meinem Auftrag. Sind Sie zufrieden damit, so geben Sie dem Knaben sein Geleit.«

Der französische General, der dem Marschall zunächst saß, unterzeichnete einen Paß durch die Vorposten.

»Lassen Sie den Burschen durch einen Offizier bis über die Posten jenseits der Katscha begleiten und ihn sogleich sich auf den Weg machen, General Vinoy.«

Der Genannte trennte sich von der Gruppe und winkte der verkappten Griechen, zu folgen.

»Noch Eines,« sagte mit unbefangenem Ton der Tabuntschik. »Nimm den Buruk, Kind, er hat einen guten Gang durch die Gebirgswege.«

Grivas machte das Zeichen des russischen Grußes. Einen Moment lang streifte verstehend sein Blick das feste, klare Auge des Greises, dann folgte er dem General aus dem Zelt.

Der kranke Marschall erhob sich mühsam und mit Unterstützung des Arztes in sitzende Stellung.

»So ist es denn beschlossen, wir gehen nach der Südseite, und ich schlage Ihnen vor, um Mitternacht aufzubrechen,« sagte er mit Anstrengung seiner Stimme. »Es wird nöthig sein, daß ein Theil der Armee hier zurückbleibt, um die Russen über unsere Bewegung zu täuschen und sich hier mit allem Gepäck einzuschiffen. Ich werde den Zug mit Ihnen machen, meine Herren – aber – ich fühle bei aller Anstrengung, daß ich nicht im Stande sein werde, [20] den Pflichten meines Commando's zu entsprechen und bin gezwungen, es – einstweilen niederzulegen. Ich schlage Ihnen – – –«

Der General an seiner Seite, der vorhin den Paß unterzeichnet hatte, legte leise die Hand auf seinen Arm.

»Erlauben Sie, Herr Marschall, daß ich Sie unterbreche,« sagte er aufstehend. »Seine Majestät der Kaiser Napoleon hat in weisem Vorbedacht eines so unglücklichen Falles, der uns Ihrer Führung beraubt, die Gnade gehabt, mich unverdienter Weise mit dem Oberbefehl der Armee zu beauftragen.«

»Sie haben also eine geheime Ordre, GeneralCanrobert?« fragte der Kranke heftig.

»Einen Kaiserlichen Handbefehl,« entgegnete der General, indem er ein Papier aus seinem Portefeuille nahm und auf den Tisch legte. »Hier ist er.«

Der Marschall griff krampfhaft danach und sah das Dokument einige Augenblicke an, dann schweifte sein Blick zu dem Prinzen hin, während seine schlaffen Mienen eine gewaltige Anstrengung sich zu beherrschen ausdrückten.

»Parbleu!« flüsterte er mit halb erstickter Stimme. »Ihr Oheim, Monseigneur, ist ein vorsichtiger Herr!« Er sank in die Kissen zurück.

»Mein Gott!« rief der Herzog von Cambridge, »der Herr Marschall ist ohnmächtig!«

Während sich der Arzt mit dem Kranken beschäftigte, wandte sich General Canrobert mit höflicher Verbeugung zu dem britischen Oberbefehlshaber:

»Wenn es Ihnen gefällig ist, Mylord, treffen wir sogleich die Bestimmungen und Anstalten für den Aufbruch der Armee.«


Der junge Grieche hatte vollkommen die Worte seines greifen Gefährten begriffen und den Grund, aus welchem er ihm sein eigenes Pferd zuwies. Er mußte dasselbe sogleich bei seinem Austritt aus dem Zelt besteigen und unter Begleitung eines Offiziers der Spahi's seinen Weg antreten. Obschon er mit dem Lande selbst wenig bekannt war, hoffte er doch bald, wenn er erst aus dem Bereich der Postenkette der alliirten Armee war, auf einen russischen Posten oder wenigstens auf Eingeborne zu stoßen, die im [21] Stande wären, ihm den Weg zu zeigen. Auf die vom Tabuntschik ihm gerühmten Eigenschaften des Steppenpferdes vertrauend, berechnete er, daß selbst von jenseits der Katscha ein scharfer Ritt ihn um Mitternacht nach Sebastopol bringen konnte. Wohl dachte er daran, sich schon früher seines in echt französischer Manier schwatzenden und ihn ziemlich verächtlich behandelnden Begleiters zu entledigen, und es hätte ihm auch keineswegs an Muth zum Versuch der That gefehlt, doch lehrte ihn ein Blick auf die kriegerische gewandte Gestalt und Haltung des afrikanischen Cavalleristen, daß er keinen geringen Gegner zu bekämpfen haben würde, und er überlegte, daß ein Mißglücken des Versuchs, ja selbst ein unberechenbarer Zufall beim Siege einen der zahlreich umher verstreuten und auf der Straße nach Eupatoria hin- und herpassirenden Trupps feindlicher Krieger herbeiführen und die Ausführung seiner wichtigen Mission verhindern konnte. Er fühlte, daß nur kaltes Blut und List ihm helfen müsse, und daß sein Leben der Aufgabe gehöre, der er sich gewidmet hatte.

Der Abend dunkelte bereits, als sie die Katscha überschritten hatten. Hier erklärte der Grieche seinem Begleiter, daß er sich zur Erreichung seines Zweckes rechts auf die Straße nach Aramkoi wenden müsse, und da der Offizier nur Ordre hatte, ihn über den Fluß hinaus zu bringen, auch an dem schweigsamen Mann wenig Gefallen fand, übergab er ihn einer türkischen Patrouille, die ihn bis über die äußersten Linien der Vedetten nach Osten hin bringen sollte und wandte sein Pferd zur Rückkehr.

Nicolas Grivas, indem er neben seinen neuen Begleitern herritt, bemerkte, daß er hier im Bereich der türkischen Reserven war, die zum Theil noch an der Alma lagerten. An zwei Stellen mußte er den Passirschein des Generals vorzeigen, und obschon die türkischen Offiziere, die ihn anhielten, kein Wort davon lesen konnten, hielt der französische Adler auf dem Papier sie doch in Respekt und man sandte den Reiter von Posten zu Posten weiter.

Es war ein großes Bergplateau, auf dem, nach der Aussage des ihn begleitenden On-Baschi's, der letzte Reiterposten der Türken stand und mit ungeduldig klopfendem Herzen sah Nicolas Grivas ihn jetzt vor sich.

Es war einer jener milden September-Abende, die in der gemäßigten Zone überall schön, in diesen Himmelsbreiten etwas unbeschreiblich Köstliches haben. Von dem hohen Bergplateau aus [22] überflog der Blick den im Sternengefunkel, jener so eigenthümlich prächtigen Erscheinung der Südländer, ruhenden unendlichen Meeresspiegel, an dessen fernem Horizont noch einzelne jener roth violetten und bläulichen Farbentöne auftauchten, die den Sonnenuntergang begleitet hatten, Farben, wie wir sie im Norden niemals auf Himmel und Erde schauen. Im Westen des Plateau's erhoben die Bergketten, in deren Mitte die alte Tartarenhauptstadt liegt, ihre dunklen Wände, – der Duft des Thymian und Lavendels, welcher den Boden bedeckte, aus dem hier und da sich ein wilder Feigenbaum oder die Korkeiche mit ihren breiten Aesten erhob, flog mit dem frischen Seewind über die Ebene; in weiter Entfernung von einander leuchteten, gleich riesenhaften Glühkäfern, die Feuer der Posten und Wachen bis zur Alma hin.

An einem solchen Feuer am Eingang einer Schlucht, die von Olivenbäumen bewachsen war, lagerte der äußerste Posten der Moslems, und an den wilden phantastischen Gestalten, ihrer Kleidung und Bewaffnung erkannte der Grieche, daß die Krieger zu jenen türkischen Freischaaren gehörten, deren Wiedersehen in seiner Erinnerung mit einem dämonischen und dennoch so schönen Bilde sich verknüpfte.

Wilde Blicke starrten ihn an und manche nervige Faust faßte beim Anblick der verhaßten russischen Tracht nach dem Pistolenkolben oder dem Handjar im Leibbund; doch des On-Baschi's Benachrichtigung, daß der große Pascha der Franken den Fremden unter seinen Schutz genommen und dieser in seinem Auftrag reise, zähmte die rachsüchtigen Begierden und die Bozuks warfen sich wieder am Feuer nieder.

Der junge Mann hatte eben dem On-Baschi, welcher ihn hierher geleitet, den verlangten Baktschis gegeben und wandte sein Pferd, um durch die Schlucht davon zu galoppiren, denn er fürchtete mit Recht, daß ihm einer oder der andere der um ihn lagernden Halunken, die bei der Ertheilung des Trinkgeldes mit lüsternen Augen seinen Geldbeutel angesehen, im Dunkel eine Kugel nachsenden möchte, als von dorther selbst Hufschlag erscholl und er eine herauskommende Reitergruppe bemerkte, die sich rasch näherte.

Ein großer Molosserhund, den vergoldeten Sammetreif um den Hals, sprang der Gruppe voraus, die aus einer türkischen Frau und etwa zwanzig arabischen und albanesischen Kriegern bestand. Neben der Türkin ritt, in lange weiße Gewänder gehüllt, [23] auf prächtigem weißem Pferd ein arabischer Scheik, wie der hohe Reiherbusch auf seinem Turban zeigte.

Plötzlich hielt der Molosserhund in seinen Sprüngen an, hob die Nase in die Luft und stieß ein lautes Gebell aus, indem er mit weiten Sätzen auf den Griechen zustürzte, an dem Pferde emporsprang, dem Reiter die Füße leckte und sich wie toll geberdete.

Der Ruf »Scheitan! hierher!« scholl aus der Gruppe, ohne daß der Hund darauf hörte.

Bleich wie der Tod saß der Grieche im Sattel, er hatte den Hund erkannt, er hatte die trotzige Stimme vernommen, die se oft schmeichelnd und demüthig in unsäglicher Liebe seinen Namen genannt.

Fatinitza war dort – Fatinitza, die Rächerin – la Vengeresse!

Er sah, wie sie mit dem Emir Abdallah näher und näher kam, erstaunt über das Gebahren des Hundes, – er hörte, wie sie die Männer der Wache nach ihm fragte, – er fühlte, wie sich die Augen des Mädchens auf ihn richteten, – seine Sinne wirbelten, seine Besonnenheit, fast sein Bewußtsein verließ ihn, er beugte den Kopf bis auf die Mähne seines Pferdes und preßte ihm die Sporen tief in die Seiten, daß es in weitem Satz davon sprang und wie rasend durch die Reitergruppe hindurch die Schlucht hinunter schoß.

Einen wilden Schrei hörte er hinter sich und den Ruf des Weibes: »Ihm nach, Abdallah, bei Deinem Ring! Lebendig! lebendig bringe ihn!« Dann donnerten die Hufe der wilden Schaar hinter ihm drein, dann hörte er das gellende Kampfgeschrei der Söhne der Wüste, die Befehle, welche die Reiter rechts und links von der Schlucht zur Seite jagten, um ihm den Weg abzuschneiden. Als er wieder das Freie gewonnen, schien das ganze weite Plateau hinter ihm und um ihn lebendig geworden zu sein. Hundert dunkle Schatten stürmten gleich Gespenstern über die Fläche daher – das wilde Geschrei der Verfolger heulte wie der Jubelruf von tausend Dämonen um ihn.

Er gedachte der Wichtigkeit, die sein Leben, seine Freiheit in diesem Augenblick für eine große Nation, für die Hoffnung und Errettung seines eignen Volkes hatte; – er schauderte bei dem Gedanken, in die Hände der Eumenide zu fallen, die sich an seine Fersen geheftet; – er betete zu Gott und den Heiligen, daß sie [24] seinem Pferde die Flügel des Windes verleihen, die Augen seiner Verfolger mit Nacht bedecken möchten, und in dem Allen, in dem tobenden Aufruhr seiner Seele, von Furcht, Hoffen und Verzweiflung, fielen ihm die Worte des greisen Tabuntschiks ein, und er beugte sich zu dem Ohr des Pferdes und flüsterte: »Pascholl, Liebling!«

Und das Roß der Steppe griff in weiten Sprüngen aus, und über Fels und Stein flog mit ihm wie der Sturmwind der wilde Hengst, seine Verfolger weit hinter sich lassend.

Aber Einer war da, – den das Roß der Steppe nicht zu besiegen vermochte: Abdallah mit der weißen Stute Eidunih aus dem Geschlecht der Nedjhi – mit Eidunih, die an Schnelle mit dem Flügelroß des Propheten zu wetteifern vermochte, und als der Grieche das Haupt wandte und das weiße arabische Pferd hinter sich d'rein kommen sah, da wußte er, daß er verloren war; hatte er es doch selbst erprobt bei der Flucht zu der Kula von Protopapas!

Er faßte das Pistol, das er in der Brusttasche unter dem Kaftan trug und spannte den Hahn, um seine Freiheit so theuer als möglich zu verkaufen. Aber der Emir, sein Verfolger, schien nicht gewillt, den Vortheil zu benutzen, vielmehr bog er zur Seite ab, und dann erst ließ er seinem Renner die Zügel schießen, der ihn in wenig Augenblicken weit über den Verfolgten hinausbrachte. Dadurch zwang er ihn, von der graden Richtung abzuweichen und sich zur Seite zu wenden; dies Manöver wiederholte der Sohn der Wüste einige Male, und ehe sich's der Grieche versah, war er ganz von seinem Wege entfernt und in einen weiten Kreis seiner Verfolger zurückgedrängt.

Vergebens kämpfte das muthige Steppenpferd um den Sieg, von allen Seiten tauchten die Gegner empor und sprengten gegen den jungen Mann. Noch einen Versuch machte er, das Gebirge zu gewinnen, indem er durch den Ring hindurch zu brechen versuchte und sein Pistol auf den Araber abschoß, der sich ihm entgegenwarf – im nächsten Augenblick aber sah er einen weißen Burnus, ein weißes Roß an sich vorüberschießen, eine Lanze wirbelte, von kräftiger Hand geschwungen, durch die Luft und traf ihn mit so großer Gewalt, daß er bewußtlos vom Pferde stürzte.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Als Nicolas Grivas wieder zu sich kam, empfand er durch die Art seiner Lage und der Bewegung, daß er über ein Pferd [25] geworfen, von diesem fortgetragen wurde. Seine Hände und Füße waren gebunden, sein Kopf mit einem Tuche bedeckt, so daß er nicht sehen und selbst nur mit Mühe athmen konnte. Dennoch fühlte er an dem schärfern Hauch des Seewindes, daß der Zug, der sich stumm und rasch vorwärts bewegte, seine Richtung nach dem Gestade des Meeres nahm.

Die Verzweiflung des jungen Mannes war gränzenlos – zu seiner Ehre müssen wir sagen, daß die Vereitelung seines wichtigen Auftrags, welcher die Rettung Sebastopols, die Vernichtung der alliirten Armee in sich schloß, ihn tiefer bewegte, als die eigene persönliche Gefahr. Dennoch war auch diese nicht gering, er kannte den Character und die Energie des wilden Türkenmädchens und machte sich bereit, zu sterben.

Das vermehrte Geräusch von Pferden und der Ton von Stimmen, die sich unterredeten, benachrichtigte ihn, daß der Trupp sich einer großen Schaar angeschlossen hatte. So ging es noch eine kurze Strecke weiter, dann machte der Zug plötzlich Halt und er wurde hart, gleich einer leblosen Masse, auf den Felsboden geworfen.

Einige Augenblicke noch dauerte das Geräusch fort, dann entfernten sich die Reiter, doch fühlte er, daß der Hund in seiner Nähe geblieben war. Vergeblich blieben all' seine Anstrengungen, seine Hände zu befreien und die Hülle von seinem Gesicht zu entfernen, die Bande waren fest und nach mehreren Versuchen ergab er sich in sein Schicksal.

Zwei Stimmen in seiner Nähe unterredeten sich, er erkannte die klaren scharfen Töne des Weibes, dessen Vertrauen er getäuscht, in dessen Händen er sich jetzt befand, und die tiefe wohllautende Gutturalsprache des jungen arabischen Scheiks.

»Was willst Du mit dem verachteten Dschaur thun, Tochter des Propheten?« hörte er den jungen Krieger sagen. »Bei der schwarzen Kaba von Mekka! laß' mich einen Stoß mit dieser Klinge nach dem Herzen des Moskows thun und er hat, was ihm gebührt. Der Aga des großen Frankenmuschirs hat uns den Befehl gebracht, vorwärts zu gehen und wir müssen ihm gehorchen!«

»Geh'! ich halte Dich nicht!«

Die Worte des Arabers hatten dem Griechen gezeigt, daß die Wölfin von Skadar das Geheimniß seiner Person bewahrt, und frische Lebenshoffnung schwellte auf's Neue seine Brust.

[26] »Ich kann Dich nicht hier zurücklassen am Strande des tückischen Meeres, blutige Blume von Skadar,« sagte der Emir. »Deine Männer harren auf Deinen Befehl, daß Du sie gegen die Ungläubigen führst – Gehorsam ist die Zierde des Kriegers und die Fahne des Propheten ist entfaltet. Laß' uns den Mann tödten und weiterziehen.«

»Kennst Du diesen Ring, Emir Abdallah Ben Zarujah?«

»Mashallah! bei dem Bart meines Vaters, dessen Gebeine in der Wüste von Yemen ruhen, – wie sollte ich ihn nicht kennen? Er ist ein Talisman meines Stammes und ich gab ihn Dir für Eidunih, mein Lieblingspferd, unter dem Feigenbaume von Dervendzista. Jedes Glied des Stammes der Zarujah wird gleich dem Blinden dem Willen Dessen gehorchen, der diesen Ring ihm zeigt.«

»Wohl, Emir Abdallah – so gehorche Du selbst und löse mit diesem Gehorsam den Ring aus, den meine Hand Dir hier zurückgiebt.«

Der Araber, den Ueberlieferungen seines Volkes getreu, beugte sein Haupt, indem er den Talisman aus den Händen des Mädchens nahm.

»Was befiehlst Du, daß ich thue?«

»Dieser Mann ist Dein Gefangener, Deine Lanze warf ihn vom Pferde. Gieb mir ihn und das Recht über sein Leben.«

»Der schmuzige Moskow ist ein schlechtes Geschenk – nimm ihn und thue mit ihm, wie Dir gefällt. Bei dem Sarge des Propheten, der zwischen Himmel und Erde schwebt, – was kann der fremde Mann Dich kümmern?«

»Emir Abdallah,« sagte das Mädchen mit tiefem Ton, – »das Geschäft mit diesem Mann ist mein. Du hast mir Gutes erwiesen, als Asche auf meinem Haupte und der Fluch meines Vaters über mir war. Möge er in den Freuden des Paradieses wandeln! Du hast Dein Antlitz mir freundlich zugekehrt, als wir uns wieder fanden auf den Schiffen, die uns von Varna an dies Gestade führten, und Fatinitza, Selim's Tochter, ist Deine Schuldnerin. Jetzt, bei der Mutter, die Dich gebar, höre meine Bitte: besteige Dein Roß Eidunih und führe Deine Schaar und die meine, wohin uns geboten ist. Das Geschäft, das ich mit diesem Gefangenen habe, duldet keine Zeugen.«

Der Emir bestieg schweigend sein Pferd.

[27] »Du wirst uns folgen, schwarze Rose des Epirus?«

»Ich – folge Dir!«

»Dieser Sclave könnte Dir gefährlich werden, wenn Du allein bist. Laß einige Deiner Krieger bei Dir bleiben.«

Das Weib lächelte verächtlich.

»Bin ich Fatinitza oder nicht? Ueberdies ist Scheitan bei mir – doch hegst Du Besorgniß, so lasse fünf meiner Albanesen dort unten auf mich harren, daß sie den Knall meiner Pistole hören können, ohne daß ihr Auge mich zu bespähen vermag. Emir Abdallah, geh' – und der Prophet begleite Dich.«

Der Araber schwenkte die Hand zum Zeichen seines Gehorsames und seines Grußes, dann wandte er sein Pferd und galoppirte davon.

Jetzt wußte Nicolas, daß er mit Fatinitza allein war! – –

Nach einer Pause von einigen Minuten wurde das Tuch von seinem Haupte entfernt. Er erhob sich auf die Knie und schaute um sich.

Es mochte nahe an Mitternacht sein nach dem Stande der Sterne, die bleiche schmale Sichel des Neumonds erhob sich eben über die Gebirge im Osten und warf ihr gespenstiges Licht über Fels und Meer.

Das Letztere brandete in weißem Schaum zu seinen Füßen Er fand sich auf hohem Felsenufer am Ausfluß der Katscha – kaum drei Schritt von ihm entfernt fiel die Klippe fast senkrecht zum Meere hinab.

Er wandte sein Auge nach der andern Seite, – dort stand die schlanke Gestalt des Weibes, das ihn einst so heiß geliebt, und der Nachtwind spielte mit ihren weiten dunklen Gewändern, und der bleiche Mondstrahl lag auf ihrem noch bleicheren Gesicht, von dem sie den Yaschmak aus schwarzen Schleiern abgerissen. So stand sie, die Arme gekreuzt, das dunkle dämonische Auge auf ihn gerichtet, und zu ihren Füßen kauerte Scheitan, der riesige Molosserhund.

»Fatinitza!«

Der Name entfloh seiner keuchenden Brust, – ein Klang der alten Liebe, – die Angst – das Grauen mischten sich in den Ruf.

Die Türkin neigte verächtlich den Kopf.

»Du irrst, Nicolas Grivas – nicht Fatinitza, die Wölfin [28] von Skadar, steht vor Dir – sie starb im Thurme von Protopapas – die Rächerin ist es, wie jene Franken sie nennen, die vor Dir steht.«

»Fatinitza, höre mich an ...«

»Zwei Mal, Nicolas Grivas, habe ich Dich gewarnt, in den Kreis meiner Augen zu treten. Das erste Mal in jener Kula an den Leichen Deiner Gefährten, – das zweite Mal in Varna, als Du verkleidet standst unter Tausenden der Meinen. Jetzt kommst Du zum dritten Mal in den Bereich meines Athems – Du mußt sterben!«

»Höre mich, Fatinitza,« sagte mit milder Stimme der junge Mann, »ich bin nicht feig, ich fürchte den Tod nicht, und er soll mir willkommen sein von Deiner Hand, die ich schwer gekränkt, die um mich gelitten, obschon – so wahr ein Gott über uns ist in dieser Stunde – ich nach Glaube und Pflicht nicht anders handeln konnte. Ich will sterben, aber ich flehe Dich zuvor um Eines – bei der Wonne, die ich einst an Deinem Herzen getrunken – bei den Tagen voll Glück, die ich an Deiner Seite verlebt – bei Deiner Liebe zu mir, deren Gedächtniß keine Schmach und Rache verlöscht in dem klopfenden Herzen – um Eines flehe ich Dich – –«

Das Weib sah ihn starr an.

»Was willst Du von mir?«

»Meine Ehre ist verpfändet, mein Name gebrandmarkt, wenn ich diese Nacht nicht Sebastopol erreiche. Noch ist es Zeit – noch kann die verdoppelte Eile das Versäumte ersetzen – Weib – Teufel – Dämon – Ewiggeliebte – sende mich nach Sebastopol, und ich schwöre Dir bei meinem Seelenheil, ich stelle mich morgen Dir freiwillig als Dein Opfer.«

Er rutschte auf den Knieen zu ihr, er streckte die gefesselten Hände zu ihr empor, er lag vor ihr – verzweifelnd, flehend – von dem Hauch ihres Mundes Gewährung heischend – der kräftige Mann ein verächtliches Rohr in der Hand des Weibes, der Staub unter ihrer Sohle.

»Denkst Du an den Thurm von Skadar, Nicolas Grivas, und wie Fatinitza's Liebe Dich aus Deinem Kerker geholt?«

Er beugte das Haupt:

»Ich gedenke dessen, o Fatinitza!«

»Als die Kugeln sausten und die Schwerter blitzten vor der [29] Kula des Popowitsch Gradjani – gedenkst Du der Stunde, als die Wölfin von Skadar, die Tochter des Propheten, den Feind ihres Volkes und ihres Glaubens aus den Armen Azraëls gerettet, des Todesengels und geführt zu der Insel im See?«

»Barmherzigkeit, Weib – mit Flammenschrift ist es eingegraben in diesem Herzen!«

»Kennt Grivas, der Grieche, den Kiosk am See von Skadar, wo Fatinitza seine Wunden geheilt? die dunklen Wellen des See's, auf denen der Verräther einst geflohen und die das Geheimniß zu wahren jetzt über den Leichen der drei Sclaven fluthen, die den Kranken bedient im Kiosk!?«

Nur das Stöhnen des Mannes antwortete ihr.

»Wie der Pelikan mit seinem Herzblut das Junge nährt,« fuhr die Türkin eintönig fort, »also nährte Fatinitza an ihrem Herzen die Schlange, deren Gift sie verderben sollte. Tausend Eide schwor er ihr, während sie mit Gefahr ihres Lebens den greifen Vater hinterging und seinen Bitten trotzte; – und als die Stunde der Prüfung gekommen, da warf er sie fort wie ein geknicktes Rohr und floh zu seinen Freunden und lud den Fluch und den Tod des Vaters auf ihr verbrecherisches Haupt.«

»Dein Bild, Fatinitza, hat mich aus dem Lande meiner Väter über Land und Meer gejagt!«

»Sie liebte ihn – und er stieß den Dolch des Undanks und der Schande zwei Mal in ihre Brust! Sie liebte ihn und gab ihr Leben für ihn, und er erschlug ihr den Vater und warf ihren Leib, der sein eigen geworden, den Lüsten seiner Krieger vor! – Fluch – Fluch – dreifacher Fluch über Dich, Nicolas Grivas! die Stunde ist da, es ist Zeit, unsere Rechnung zu schließen!«

Stumm – lautlos – lag er vor ihr im Staube.

»Du mußt nach Sebastopol, Nicolas Grivas?« fragte plötzlich die Türkin.

»Laß mich dort hin, oder tödte mich zur Stelle! Meine Ehre ist verpfändet.«

Sie blickte kalt und ruhig auf ihn herunter und ein leichter Hohn zuckte um ihren Mund. »Ich will Deine Bande durchschneiden, wandere durch die Gebirge zu der Stadt Deiner Freunde – auf Dein Haupt komme die Gefahr.«

Sie bückte sich und hatte, ehe er es noch bemerken konnte, die Fessel an seinen Füßen durchschnitten.

[30] »Geh – Du bist frei!«

Er versuchte aufzustehen, aber taumelte; die Stricke hatten seine Füße so fest zusammengeschnürt, daß sie ohne Empfindung waren. Auch fühlte er, daß der Schlag des Lanzenschafts, der ihn zu Boden gestreckt, seinen Kopf noch immer betäubte.

»Allmächtiger Gott – ich kann nicht! Wie vermöchte ich Sebastopol zu erreichen ohne Pferd – ohne Mittel durch die Schaaren der Deinen zu dringen!«

Wiederum stand sie vor ihm mit gefalteten Armen und schaute mit Hohn auf den Griechen.

»Nicolas Grivas – die Geschändete, Verfluchte will Dich bis vor den Ort bringen, wohin Du verlangst, wenn Du ihr folgen willst – sie will Dich zur Stelle führen, noch ehe der erste Morgenstrahl über jene Gebirge dämmert. Willst Du ihr folgen?«

»Fatinitza – Retterin in der Noth – Du giebst mir doppelt das Leben zurück!«

»So harre meiner hier – indeß ich die Vorbereitungen treffe. Zu dem Ziel, das wir zusammen erreichen wollen, liegt dort der Weg!«

Ihre Hand deutete nach dem Meer – dann glitt sie gewandt und leicht den Abhang hinunter und war im Augenblick verschwunden.

Der junge Mann hatte sie begriffen. Konnte er an der Küste hin in einem Boot den Eingang der Bai von Sebastopol oder eines der Forts erreichen, und das konnte in zwei, höchstens drei Stunden geschehen – so war keine Zeit verloren, sein Auftrag erfüllt und die Armee der Feinde in den Schluchten der Tschernaja verloren.

Es verging eine Viertelstunde, die dem jungen Mann zur Ewigkeit wurde. Er versuchte auf dem Felsplateau hin und her zu gehen, doch wenn er sich dem Abhang näherte, an dem Fatinitza verschwunden war, fand er Scheitan, den Molosserhund, ihm den Weg versperrend.

Endlich erschien die Türkin wieder und winkte ihm schweigend zu folgen. Sie führte ihn hinunter zum Strand, der einsam und verlassen war und in dem in einer Buchtung des Flusses ein Ruderboot schaukelte. Der kleine Mast war eingesetzt, leicht flatterte das Segel daran im Nachtwind.

»Steig' ein, Nicolas Grivas,« sagte das Mädchen, »unsere Zeit ist gemessen.«

[31] Er hielt ihr die noch gefesselten Hände entgegen.

»Willst Du die Bande nicht lösen, Fatinitza? – ich verstehe mich auf das Rudern.«

Sie neigte verneinend das Haupt.

»Du bist der Feind meines Volkes und ich ein Weib und allein. Am See von Skadar hat mein Ruder mich oft zu Dir getragen, als Du verwundet lagst im Kiosk unter den Myrthengebüschen – diese Hand ist stark genug, uns auch jetzt durch die Brandung zu führen.«

Auf ihren Wink nahm er im Vordertheile des Bootes Platz, während sie die Ruder ergriff. Scheitan, der Hund, hockte am Segelbaum, zwischen ihm und ihr, mit klugem Auge den Gefangenen bewachend und zuweilen seine Füße leckend, dann aber wieder, wenn er eine Bewegung machte, sich zu nähern, das scharfe weiße Gebiß gegen ihn fletschend. Mit kräftiger Hand nahm die Türkin das Ruder, – so stießen sie hinaus in die schäumende Brandung.

Mit den rückprallenden Wellen schoß das Boot über den weißen Rand dahin und befand sich nach wenigen Minuten im verhältnißmäßig ruhigen Wasser. Eine frische Brise wehte jetzt gegen Morgen von Nord-Osten her, und die Türkin legte die Ruder nieder, spannte das Segel und setzte sich an das Steuer. So saßen sie an beiden Schiffsenden einander gegenüber, während das Boot wie ein gespornter Renner durch die Wogen dahin flog, hinein in Nacht und Meer.

»Du entfernst Dich zu weit vom Lande, Fatinitza,« sagte der Grieche, »wir werden sicherer sein im Schutz des Ufers, als auf der freien See.«

Das Weib lachte – aber dies Lachen klang heiser und wild.

»Ich habe versprochen, Dich nach Sebastopol zu führen; den Weg überlaß mir. Am Ufer kreuzen die Kähne, welche die Franken zu ihren Schiffen führen. Die Mündung des Bjelbek, wo unsere Krieger lagern, ist belebt von den feuerschnaubenden Booten der Isauri's.«

Der Grund schien genügend. In der That sah man in den Schatten des Ufers den Feuerschein mehrerer kleiner Dampfschiffe, welche dort kreuzten und zwischen der Flotte und dem Lande hin und herglitten. Dennoch konnte der Grieche sich einer unbestimmten Angst nicht entschlagen, als das Boot immer weiter auf die [32] Höhe des Meeres trieb. Mit Geschick wich die Türkin den dunklen Schiffskolossen aus, die, an den von ferne leuchtenden Gaffellaternen kenntlich, weithin das Meer bedeckten. Endlich löste sie das Tau, welches das Segel hielt, hob den Baum aus seiner Fuge und warf ihn über die Seite des Bootes.

»Um der Heiligen willen, was thust Du?«

Er war aufgesprungen und haschte mit den gefesselten Händen nach der dahin treibenden Leinwand.

»Bleibe auf Deinem Platz, Nicolas Grivas,« sagte ruhig das Mädchen, »das Segel würde uns verrathen, wenn wir an jenen Schiffen vorüber kommen. Die Ruder werden genügen.«

»Aber es ist Zeit, Fatinitza, daß wir wenden. Wir sind auf der Höhe der See und der Eingang der Bucht ist fast eine Stunde ostwärts von uns entfernt. Wenn wir nicht eilen, bricht der Tag herauf und wir wären verloren.«

Ein Plätschern, – der Fall beider Ruder in's Wasser antwortete ihm.

»Wir sind es, Nicolas Grivas – wir sind auf der Höhe von Sebastopol – ich habe gehalten, was ich Dir versprach. Jetzt, Nicolas Grivas, der Du über den See von Skadar schwammst, um Fatinitza zu entfliehen – versuche Deine Kraft, um Dein Ziel zu erreichen.«

»Wahnsinnige – selbst wenn diese Arme nicht gefesselt wären, vermöchte ich nicht den dritten Theil dieser Entfernung zurück zu legen.«

»Es ist eine Sage in Deinem Volk, von der Du mir selbst erzählt hast im Kiosk am See und in den goldenen Gemächern des Harems meines Vaters, daß ein Grieche zu der Geliebten schwamm über die Gewässer, die dieses Meer mit dem Deiner Heimath verbinden. Abydos nennt man die Stelle, wenn mein Gedächtniß Deine Worte behalten. Was Deine Väter um der Liebe zu einem Weibe willen vermochten, wird ein Grieche doch thun, um die Verrathene zu verlassen.«

Ein finsterer Hohn lag in den Worten, – er achtete nicht auf ihn, – aufrecht stehend im Boot verfolgten seine Augen die auf den Wogen davon schaukelnden Ruder, die er in der Dämmerung noch zu erkennen vermochte, welche sich im Osten über die Felswände von Sebastopol zu erheben begann.

»Fatinitza – rasch, rasch – löse diesen Strick von meinen [33] Händen, daß ich den Rudern nachschwimmen und sie zurückholen kann!«

Er streckte ihr die Hände entgegen, während sein Auge nicht die Ruderstangen verließ, an deren Wiedergewinn ihre Rettung hing; noch hatte seine Seele nicht die furchtbare Absicht des Mädchens begriffen.

»Thor – denke an Dein Leben – nicht an jene gebrechlichen Ruder; dort ist Sebastopol, Nicolas Grivas – und hier werden wir sterben!«

Er starrte sie an, wild, verworren – wäre ihm der Tod gekommen im Schlachtgewühl von ihrer Hand, – hätte sie ihn erschlagen, als er gefangen vor ihr lag – er hätte ihr Recht begriffen und wäre muthig gestorben. Jetzt aber, hier, so nahe dem Ziel, in dem Glauben gerettet, frei zu sein, bäumten alle Pulse des Lebens in ihm gegen das Gespenst des Sterbens sich auf, das in den Worten der Wölfin vor ihm empor stieg.

»Du bist der Letzte von den Söhnen des Isauri,« fuhr das Weib fort, »die den Leib der Tochter Selims geschaut und berührt? – Jene Frechen, denen Dein Verrath mich vorwarf gleich der Beute den wilden Thieren des Waldes, sind gestorben von dieser Hand, wie ich es geschworen in jener Stunde. Dich hat Fatinitza geliebt, darum bist Du der Letzte und magst sterben in Frieden mit Deinem Gott!« –

Ihre Hände zogen die beiden Pistolen aus dem Gürtel und spannten die Hähne.

»Tigerin – Du willst mich kaltblütig morden?«

Er sprang auf sie zu, doch im Nu richtete die riesige Dogge vor ihm sich auf und legte drohend die Pfoten auf seine Schultern, Fatinitza aber lächelte verächtlich.

»Nicht meine Hand soll den Tod Dir geben, Hellene, der Gott unserer Väter richte über uns Beide.«

Und die Läufe der Pistolen auf den Boden des Bootes richtend, wo die Fugen der Hölzer sich zusammenbinden, berührten ihre Finger die Drücker und die Kugeln schlugen dicht neben einander ein Loch, durch das im Augenblick das Wasser hereinquoll.

»Halte ihn, Scheitan!«

Sie warf die Pistolen über Bord und erweiterte mit drei kräftigen Stößen ihres Handjars die Oeffnung – und dann fiel die letzte Waffe in's Meer.

[34] »Fatinitza, halt' ein – Du bereitest Deinen eigenen Tod!«

Auf der bleichen Stirn des Türkenmädchens, um die frei von den Schleiern der Morgenwind die dunklen Flechten trieb, lag die Majestät der Opferung.

»Der Mann, der in meinen Armen geruht im warmen Leben, wird darin liegen auch in jener Tiefe. Der Tod sühnt Deinen Verrath und Fatinitza wird sterben mit Dir!«

Er fiel auf die Kniee, er preßte die gefesselten Hände vor die Augen, während Liebe, Reue, Verzweiflung und Schrecken seine Seele bestürmten, – dann wieder sprang er empor und schaute wild umher auf das Weib im Spiegel des Bootes, das jetzt ein Spiel der Wellen dahin trieb, – auf die Wasserwüste umher – auf Himmel und Land; – seine Hände wanden sich verzweifelnd gegen die Bande, die sie fesselten, und seine Blicke begegneten voll Angst und Wuth den traurigen Augen des Mädchens.

Ueber die Felsenhöhen von Sebastopol, das etwa eine halbe Meile entfernt lag, zog dämmernd der Morgen – und jener liebliche Stern – der Begleiter der Nacht, die Poesie aller Völker – wer ahnet seine Deutung, wer weiß es, welche seligen Geister von ihm niederschauen? – begann zu erbleichen in jenem Licht, dessen Nahen er verkündet.

Heilige Ruhe lag über Wolken und See und im Dunkel ruhte noch das Land, das bald erbeben sollte Nacht und Tag im Flammenschein von tausend Geschützen. Deutlich in der hereinbrechenden Dämmerung waren der Eingang der Bai und die riesigen Felsenforts zu seinen Seiten zu erkennen. Nach Norden und Westen zu hoben sich aus den Nebeln, die leise über das Meer hinballten, dunkle Kolosse, die Schiffe der Alliirten.

In der Entfernung von kaum dreihundert Faden erblickte der verzweifelnde Mann eines derselben, das nächste von allen. Er hob die Hände winkend empor, sein Ruf um Hilfe, um Beistand scholl mit aller Anstrengung der Lungen über die See, bis seine Stimme heiser ward, bis er erschöpft auf die Bank des Bootes zurückfiel.

Das Wasser, das langsam und still in das Boot eindrang, stand bereits über den Knöcheln seiner Füße.

Das Mädchen lächelte traurig bei den wahnsinnigen Anstrengungen des Mannes. Sie wußte, daß der Wind jetzt hinein in die Bucht stand und kein menschlicher Ruf jene Schiffe erreichen [35] konnte, daß mit jedem Augenblick, dem Strom des Meeres zur Bai folgend, der Todeskahn sich immer weiter von jenen Schiffen entfernte und sinken mußte, ehe die schnellste Rettung sie zu ereilen vermochte. –

»Soll Fatinitza, die Wölfin von Skadar, einen Feigling geliebt haben? Willst Du sie beschimpfen noch in ihrer letzten Stunde, da Azraël seinen schwarzen Fittig niedersenkt auf ihr Haupt?«

Er blickte starr auf sie – in seinen Zügen kämpften gewaltig der Männerstolz, die Schaam vor dem schwachen Weibe, seiner Mörderin, die mit ihm sterben wollte, mit der menschlichen Schwäche und Furcht.

O, das Leben – das Leben das nur ein Mal verloren geht! – verloren? – oder sollte es eine Wiederkehr geben – einen Kreislauf der Leben – ein Wiederkommen zur schönen Erde – ohne Wissen – in anderer Gestalt?! – Wäre jene dunkle Erinnerung von gleichen Scenen, Bildern und Gestalten, die oft wie ein Blitz durch unsere Seele zuckt und wie ein Blitz vergeht, das Zeichen einer Seelenwanderung?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wer löst die nächtigen Räthsel? – Gott allein!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Höher und höher schwoll die Fluth im Kahn – ängstlich, keuchend sprang der Hund auf den Bänken des Bootes hin und her, von Einer zum Andern – tiefer und tiefer sanken die Planken, die allein noch waren zwischen ihnen und der Ewigkeit.

»Laß uns beten, Geliebter – Du zu Deinem Gott, wie ich zu Allah und dem Propheten. Mein Haß ist dahin wie meine Schande, der Gott der Christen und der Moslems wird für die Gereinigten nur ein Paradies haben!«

Und über die Berge zuckte ein lichter Strahl der noch verborgenen Sonne, die Meereshöhe vergoldend, und vom Fort Constantin donnerte der Reveilleschuß über Land und See.

Der Kahn begann zu schwanken und sich zu drehen – laut heulte der Hund –

»Dschel! – Dschell« und sie erhob sich.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Bis über die Kniee reichte die Fluth, in der sie jetzt stand, und über die Bänke hin mit ausgebreiteten Armen auf ihn zuschritt.

»Dschel! – Dschel!«

[36] Das war jenes Wort, das erste, das er von ihren Lippen gehört – das Syrenenwort, das im Thurm von Skadar ihm entgegen scholl, sinnverwirrend, von dem weichen Lager von Wolfsfellen, hinter dem Teppich des stillen Gemachs – –

»Dschel!«

Und rascher und rascher drehte sich das Boot im Wirbel und die See gurgelte herauf durch das Leck!

Sie hatte ihn erreicht und dann – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Am Bord des Niger, der am Abend das 42. Regiment eingeschifft und jetzt auf den Dampfer wartend, der ihn nach Süden bugsiren sollte, auf der Höhe des Meeres vor Sebastopol lag, hatten Master Malcolm, der zweite Lieutenant und der Midshipman Maubridge die letzte Nachtwache. Der Lieutenant schritt auf dem Gangweg auf und ab, zuweilen einen Blick nach dem Tauwerk oder unwillig nach den Soldatengruppen werfend, die überall im festen Schlaf umherlagernd ihm den Weg versperrten.

Die Morgendämmerung kam über die Berghöhen jenseits der Festung und fiel lichter und lichter auf die Fläche des Meeres. Der Lieutenant blickte nach der Sanduhr, die ihm zeigte, daß in wenigen Minuten seine Wache zu Ende war, und sah sich nach dem Midshipman um, der dem Mann im Vorderkastell den Befehl bringen sollte, aufzupassen auf die Glocken.

Master Maubridge war jedoch nirgends zu schauen und ärgerlich stieg der Lieutenant zum Hinterdeck hinauf und ging nach dem Steuer. Neben dem Steuermannsmaat vom Dienst saß der alte Deckmeister Adams, der bereits seine Koje verlassen hatte und heraufgekommen war. Der Alte erhob sich sogleich, da er nur Offizier des Vorderkastells war und kein Recht an dem Platz auf dem Hinterdeck hatte.

»Guten Morgen, Sir,« sagte der Deckmeister. »Ich glaube, wir werden bei Sonnenaufgang eine Brise von Osten haben, und das hat mich heraufgetrieben noch vor den Glocken, damit Alles in Ordnung ist. Je eher wir die Landkrebse wieder los werden, desto besser für die Ordnung auf dem alten Niger.«

»Haben Sie den Midshipman der Wache gesehen?«

»Master Maubridge, Sir?«

»Ja wohl – Ihren Zögling. Gott verdamm' seine Augen! er macht Ihnen wenig Ehre.«

[37] »Es ist junges Blut, Sir; aber vor einer Viertelstunde noch traf ich ihn an der großen Luke, wie er die Schildwacht den kleinen Gosset wecken hieß, der nach ihm die Wache hat.«

»Meister Gosset wird sich hoffentlich bedanken, eher seine Hängematte zu verlassen, als das Glockenzeichen gegeben ist, denn wenn die jungen Halunken zusammen sind, treiben sie Nichts wie Unheil. Goddam! ich glaube, da giebt es schon welches?«

Ein Lärmen auf dem Vordercastell hatte sich erhoben und man hörte eine laute Stimme eine Reihe von gälischen Flüchen, untermischt mit den wildesten Drohungen, hervorsprudeln.

»So wahr meiner Mutter Sohn Angus-Mac-Mahor ist, ich schneide dem jungen Hunde die Kehle ab. Halte ihn fest, Evan Dhu, den jungen Schänder, bis dieser Brut mein hochländisches Messer die Ohren vom Schädel geschnitten hat.«

Ein fürchterliches Gebrüll des kleinen Gosset und der Hilferuf des Master Frank Maubridge ließ den alten Deckmeister rasch die Treppe hinunter springen und über die Beine und Tornister der Soldaten stolpernd nach dem Vorderschiff eilen. Der Lieutenant folgte ihm, und die Scene, die sie hier erblickten, war, so lächerlich auch der Anblick blieb, nicht ohne Gefahr.

Ein riesiger Hochländer hatte den kleinen Gosset an der Kehle und hob und schüttelte ihn wie ein Rohr, im vollen Ernst bemüht, dem jungen Taugenichts mit seinem langen Messer die Ohren abzuschneiden, wogegen dieser natürlich mit Händen und Füßen sich wehrte, von Zeit zu Zeit, wenn die Eisenfaust des Soldaten ihm dazu Luft ließ, ein Zetergeschrei ausstoßend. Frank wehrte sich verzweifelt in den Händen eines zweiten Soldaten; ein Blick genügte dem Lieutenant, die Ursache des Streites zu entdecken, denn beide junge Burschen hatten noch große Schiffspinsel in der Hand und Master Frank sogar noch den Blechtopf mit Farbe, dessen sie sich bedient; die Physiognomieen der beiden erbitterten Hochländer und mehrerer Andern, die sich, von dem Lärmen aufgeweckt, rings erhoben, aber sahen wahrhaft scheußlich aus, indem die Midshipmen ihren festen Schlaf benutzt hatten, die Gesichter ihnen mit den Querstreifen der Farben ihrer Plaids Roth und Schwarz zu bemalen.

Ein Faustschlag des alten Deckmeisters warf den Hochländer zurück, der Frank in seinen Händen hatte, und befreite den jungen Mann, der wie ein gejagter Hund durch die sich bildende und [38] Gefahr drohende Gruppe schoß, auf den nächsten Hühnerkasten und von dort in das Takelwerk sprang und mit der Behendigkeit eines Affen an der Tauwand zum Mastkorb des Vordermastes emporrannte, denn mehrere der erbitterten Soldaten hatten ihre langen Dirks gezogen, als sie Einer den Andern so schändlich verunstaltet sahen, und Evan Dhu, ein Mann von den Inseln, den Adam zu Boden geschlagen, machte sich bereit, dem Deckmeister ernstlich zu Leibe zu gehen.

Eine größere Mühe hatte der Lieutenant gehabt, den Knaben Gosset aus der Faust seines erbitterten Gegners zu befreien, was ihm nur mit Hilfe einiger herbeikommenden Matrosen der Wache gelang, die den halb erwürgten Midshipman nach der Konstablerkammer brachten, wo einige Rippenstöße des eben sich zur Uebernahme der Wache rüstenden dritten Lieutenants und ein ihm in's Gesicht gegossenes Waschbecken voll Wasser ihn wieder auf die Beine brachten.

Die hochländischen Soldaten, die sich anfangs der Rettung der beiden Verbrecher mit Gewalt hatten widersetzen wollen, wurden durch den Sergeant-Major ihrer Compagnie und das Versprechen, daß die Midshipmen streng bestraft werden sollten, zur Ruhe gebracht. Sie legten sich jedoch nicht wieder zum Schlaf, sondern setzten sich, da sie noch kein Wasser zur Reinigung ihrer liebenswürdigen Physiognomieen erhalten konnten und die schadenfrohen Matrosen ihnen die Eimer verweigerten, in ihre Plaids gehüllt, im Kreis zusammen und die verdächtigen Blicke, die sie nach dem Mastkorb warfen, weissagten Master Frank, der nach überstandener Gefahr sie, die Hände in den Taschen, über die Brüstung seiner sichern Stellung von oben herunter angrinste, nichts Gutes.

Lieutenant Malcolm, der selbst ein Schotte war, ärgerte sich natürlich gewaltig über den nichtsnutzigen Streich der beiden Burschen, hatte aber den jungen Maubridge doch zu gern, um ihn einer Gefahr auszusetzen, und als die zwei Schläge auf die Schiffsglocke die Ablösung der ersten Morgenwache verkündet hatten und die Förmlichkeiten der Uebergabe des Schiffes an den dritten Lieutenant erfüllt waren, der mit Gosset heraufkam, rieth er, den Letzteren auf dem Hinterdeck zu behalten und befahl Frank über die Verbindungstaue nach dem Mastkorb des Hauptmasts sich zu begeben.

»Sobald Master Hunter auf Deck kommt, Erskine,« sagte [39] er zu seinem Nachfolger, »zeigen Sie ihm die Sache an. Ich lasse ihn bitten, den jungen Halunken da oben den ganzen Tag im Mastkorbe zu lassen, damit ihm die Sonne die Haut so roth brät, wie er sie den ehrlichen Kerlen dort gemacht hat, und diesen kleinen Tagedieb dazu. Schade, daß die beiden Burschen wie Gentlemens behandelt werden sollen, während ein Tauende ihnen das Dienlichste sein würde. Gute Wache, Erskine.«

»Ich danke Ihnen, Master Macdonald, für die wohlwollende Absicht,« sagte Frank, der von dem untern Korb des Hauptmastes die Worte gehört, mit echter Midshipmen-Frechheit, »jedenfalls habe ich schon deshalb auf die Behandlung eines Gentleman's Anspruch, weil ich als solcher meine Wirthshausrechnungen selbst bezahle.«

Der zweite Lieutenant rannte wüthend die Luke hinunter, während Erskine lachte, denn es war bekannt, daß Malcolm, der der Sohn eines Werftaufseherin Glasgow war, bei solchen Gelegenheiten sehr gern die besser gefüllten Börsen seiner Kameraden benutzte.

»Sie werden sich noch in ernste Ungelegenheiten bringen, Master Frank,« sagte Erskine, indem er die Treppe zum Hinterkastell emporstieg, »und alle Vorliebe des Capitains wird Sie diesmal vor strenger Strafe nicht schützen können. Benutzen Sie die Zeit da oben, einen Ausguck zu halten.«

»Halt, Sir,« rief der junge Mann, »das hab' ich schon gethan, seit ich hier oben bin. Ich bitte Sie, Erskine, lassen Sie mir durch Gosset das Nachtglas reichen. Ich sehe dort in der Entfernung einer halben Meile einen dunklen Gegenstand auf der See – zwischen uns und dem Ufer – aber das Licht ist noch nicht scharf genug, es zu erkennen, und James hier sagt mir, daß er schon seit einer halben Stunde das Ding beobachtet hat.«

Auf einen Wink des Lieutenants brachte Gosset seinem Freunde das Nachtglas nach oben.

»Was ist es, Maubridge? – wahrscheinlich ein Recognoscirboot von der Foury, die einen Kanonenschuß von uns liegt.«

»Es ist ein Boot, Sir – aber keines der unsern. – Warten Sie – jetzt hab' ich den Burschen und der Tag kommt. – So wahr der Baronet, mein Bruder, mir die schönste Odaliske in ganz Constantinopel gestohlen hat – das Ding ist seltsam – zwei Personen sitzen in dem Boot, das ohne Ruder und Segel auf den [40] Wellen treibt – in der Mitte ein großer Hund – die Eine scheint russische Kleidung zu tragen – die Andere ein Weib, ihre langen Zöpfe fliegen im Winde – –«

»Zum Henker – was bedeutet das Alles?«

»Ich weiß es nicht, – aber das Boot kentert und scheint leck – jetzt erhebt sich das Weib und breitet die Arme aus – Goddam, da kommt der erste Sonnenstrahl über die Gebirge und blendet mich – –«

»Es werden Unglückliche sein, die von einem Schiffe abgetrieben und in Noth sind,« sagte der wackere Erskine. »Herunter, Frank, und in die Yölle, ihnen zu Hilfe. Master Adams – vier Matrosen von der Wache – rasch!«

Ueber die Felsen und die Bai von Sebastopol schossen glänzend die ersten Strahlen der Königin des Lichtes empor, weithin Land und Meer vergoldend – in ihrem Glanze ließ Frank Maubridge, der leichtherzige, lecke Midshipman des Niger, seine Blicke über den Spiegel des Meeres irren, das Boot suchend – –

Er suchte vergebens! – Einen Augenblick schien es ihm, als sähe er eine dunkle Gestalt, gleich einer großen Dogge, kräftig gegen die Wellen kämpfen, in ihren Zähnen ein Gewand – doch die Entfernung war zu groß – und die nächste Woge verschlang die Erscheinung. Weithin unterbrach Nichts – Nichts den wogenden Spiegel der goldglitzernden Wellen.

»Zu spät – das Boot ist versunken – keine Spur mehr zu sehen!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Da ruhen sie, der Sohn des geknechteten Hellas von den Armen des Türkenmädchens umschlungen, und in ihre Gewänder verbissen der treue Molosserhund; – da ruhen sie auf dem Felsengrund des Pontus: – Nicolas Grivas, der Bruder der Caraiskakis, und Fatinitza, die Wölfin von Skadar, und der erste Sonnenstrahl über die Felsen von Taurien war ihr Grabbegleiter.

Da ruhen sie – die Donner von tausend Geschützen sangen eilf Monden über ihrem Grabe das Todtenlied wie nie in der Weltgeschichte ein zweites erklungen ist; und die Trümmer von Sebastopol sind ein riesiges Monument, das dieselben Vandalenhände zusammen gehäuft, welche unfern ihres Grabes die Reste von Iphigeniens Tempel zerstörten!

[41] Da ruhen sie – der Delphin zieht seine Kreise über der ewig bewegten Gruft, das Handelsschiff durchfurcht die Wellen, der Sturm thürmt sie zu empörten Gebirgen, und Morgen um Morgen küßt der erste Sonnenstrahl über die Höhen des Tschadirdagh her ihren riesigen Sarg!

Da ruhen sie – wiedervereint in des Meeres Tiefen, und die brennende Schmach der Palanka von Protopapas ist erloschen in den Wellen des Pontus.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Also geschah's, daß die Armee der Alliirten durch die Schluchten der Tschernaja am 25. September ungehindert die Südseite von Sebastopol erreichte und Balaclawa nahm.

Des Kampfes Beginn
1. Der Catar
I. Der Catar.

Die spanische Tänzerin war wieder in Berlin und hatte zur Captatio benevolentiae ihrer Hüftenexperimente eine Gastvorstellung zum Besten der schlesischen Ueberschwemmten ankündigen lassen. Das schöne und interessante Weib hing an Berlin wegen der ersten Triumphe, die sie hier gefeiert, und kehrte daher von allen Kunstreisen immer wieder zum comfortablen Hotel Unter den Linden zurück, wenn sie sich auch manchmal mit dem galanten und aufmerksamen Wirth überwarf; denn sie verstand es zu schätzen, daß er an seiner Table-d'hôte mit ihrem Atlasschuh für den wunderkleinen dazu gehörigen Fuß Propaganda machte. Diesmal hatte sie ein Brief mit dem bekannten geheimnißvollen Zeichen nach Berlin beschieden, und einstweilen, da die Vorbereitungen zu der neuen Posse des beliebten berliner Humoristen Kalisch: »Die Bummler von Berlin« ihr Auftreten verzögerten, langweilte sich, weiterer Nachrichten harrend, die Donna und spielte darum die Amazone, indem sie im Hermelin die Peitsche schwang und mit dem eleganten Brougham durch die Straßen der Residenz kutschirte.

Die Sennora hatte, bis auf jenen plötzlichen Ruf, Nichts wieder gehört von ihren geheimen Beschützern und gedachte kaum noch des kleinen Dienstes, den sie ihnen durch die Empfehlung zweier unbedeutender Diener vor längerer Zeit erwiesen, als sie zufällig in einem Journal den Namen des Fremden zu Gesicht bekam, der ihr damals seinen Besuch gemacht. Er figurirte jetzt als fremder [43] Condottiere und der rothe Felsen von Helgoland gab das Echo mancher Verwünschung zurück, die betrogene Erwartung und getäuschte Hoffnung dort seinen Lockungen zu spät erschallen ließen.

Dennoch hatte die Erfüllung jenes Auftrags, so gering die Masche auch schien in dem Netze ereignißschwerer Verwickelungen, das sich über Europa spann, unberechenbare Folgen gehabt. Wenige nur ahnten und wußten, daß die preußische Residenz der Knotenpunkt einer geheimen Spionage geworden war, die ihre Nachrichten nach Paris, London und Turin, in die Heerlager der Despotie, des constitutionellen Lieberalismus und der republikanischen Propaganda verkaufte. Merkwürdigerweise war es gerade das eheliche Preußen, dessen erhabener Fürst in den politischen Wirren ein edles Bild der Festigkeit und Gerechtigkeit gegenüber den verschiedensten Verlockungen gab, wo politische Intrigue im Stillen mächtige Hebel in Bewegung setzte und den schmuzigsten Verrath verächtlicher Hausdiebe benutzte.

Wir haben bereits angedeutet, auf welche Weise über Berlin wichtige Nachrichten aus den Kreisen der angegriffenen Macht in die Hände ihrer Gegner gelangten. Neben diesem Getriebe der Habsucht ging, wie gesagt, noch manches Spiel verdeckten Ehrgeizes und politischer Gegnerschaft seinen unterminirenden Gang und es bedurfte in der That einer späteren öffentlichen Beschämung und eines blutigen Todes, um jener egoistischen Intriguenwirthschaft vor dem reinen Throne Preußen's Halt zu gebieten und ein Ende zu machen, welche zur Demoralisirung der Staaten führt und dem »Bürgerkönig« sein Exil bereitet hat. –

Seit vierundzwanzig Stunden jedoch beschäftigte der lebhafte Geist der Spanierin sich angelegentlich mit der Ankunft mehrerer interessanter Fremden, die das Hotel gewählt. Drei darunter, die sie flüchtig bei der Ankunft am Tage vorher gesehen, schienen ihr nicht unbekannt und das Fremdenbuch, das der gefällige Hotelier ihr präsentirte, gab ihr wenigstens über das erste Paar Auskunft und sie erinnerte sich, den Herrn und die Dame ein Mal in Gesellschaft in Wien vor Jahresfrist gesehen zu haben: den sardinischen Obersten, Grafen Pisani, der, wie die Nachricht auswies, mit seiner Gattin von London kam. Der Dritte, dessen Gesicht ihr nur flüchtig bekannt schien, war ein kleiner magerer Mann mit fuchsartigem Gesicht und bereits vor zwei Tagen von Wien eingetroffen. Der Fremdenzettel nannte ihn Banquier Thomas.

[44] Mehr aber als diese Persönlichkeiten, deren sie sich nur unbestimmt erinnerte, interessirte sie eine Vierte, welche die schöne Donna noch nicht zu Gesicht bekommen, obschon das ganze Hotel voll von ihren Sonderbarkeiten und dem Rufe ihres unermeßlichen Reichthums schien. Es war ein noch junger russischer Bojar, den einige übermüthige Streiche schon im Sommer aus Petersburg verwiesen hatten und der, da Paris und London ihm durch die Kriegsverhältnisse verboten waren, in den deutschen Bädern und Residenzen umherzog und Geld mit vollen Händen verschwendete.

Es war gegen Mittag des Tages, als die Spanierin, das Ponnygespann mit gewandter Hand lenkend, auf der Rückkehr von der Spazierfahrt vor der Thür des Hotels wieder vorfuhr und bemerkte, daß sich ein ungewöhnlicher Auftritt eben zugetragen haben mußte. Mehrere der Gäste standen lachend auf der Treppe oder vor den Zimmern, zwei Constabler im Flur, und von dem Corridor des ersten Stockes hörte man eine laute Stimme allerlei Verwünschungen auf Deutsch, Französisch und Russisch hervorsprudeln. Während einer der nahestehenden Herren der Tänzerin die Hand reichte, an der sie leicht aus dem Wagen sprang und die Stufen hinaufeilte, kam ein junges hübsches Mädchen in einfacher, aber netter Kleidung ihr entgegen, das Gesicht freudestrahlend, obschon auf den jugendlichen Wangen noch die Spuren von Thränen zu sehen waren. Ihre Hand hielt eine kleine Brieftasche sorgfältig wie einen Schatz und damit wollte sie hastig aus der Thür eilen, als einer der Constabler sie rauh am Arme faßte.

»Halt, Mamsell, Sie gehen mit uns!«

»Lassen Sie die Dirne zum Henker laufen,« sagte unwillig eine Stimme hinter dem Mädchen, »und kommen Sie fort. Der Russe ist ein Narr mit seinem Gelde und wenn unsere Berliner Loretten davon hören, stürmen sie Ihr Hotel.«

Der Wirth, zu dem der Beamte, der ziemlich verdrießlich aussah, die letzten Worte sagte, lächelte etwas spöttisch, schwieg jedoch mit dem Tact des klugen Mannes, der es mit der Polizei nicht gern verdirbt, und führte die Spanierin die Treppe hinauf; von deren Höhe aber übernahm die schon früher gehörte scheltende Stimme die Antwort.

»Wenn ich mich von der Polizei belästigen lassen wollte, Skotina!« schalt dieselbe, »dann konnte ich in Rußland bleiben. Zum Henker mit solcher Quälerei, ich mag von Ihrem Berlin Nichts [45] mehr wissen; Herr Wirth, schicken Sie mir meine Rechnung! ich reise in einer Stunde.«

Der Hotelier ließ erschrocken die Tänzerin stehen und sprang zu dem reichen Gast.

»Euer Durchlaucht werden mich doch die Ungeschicklichkeit der Polizei nicht entgelten lassen? Der gnädige Herr haben in Berlin noch so viel zu schauen – und sehen Sie da, eben kommt eine seiner interessantesten Erscheinungen, die spanische Donna, von der ich Ihnen schon gesprochen.«

Der Bojar wandte sich zur Seite und kniff das Lorgnon in's Auge. Die Tänzerin stand vor ihm und betrachtete den schönen Mann mit feurigem festem Blick. Im Moment verschwand das brüske, übermüthige Wesen des Russen, er machte eine höfliche Verbeugung indem er zurücktrat und die Spanierin vorüberrauschte. Seine Hand hielt den Wirth, der ihr folgen wollte, einen Augenblick zurück. – »Dinirt die Donna an Ihrer Table-d'hôte?«

»Zuweilen, Durchlaucht, ich glaube, daß sie es heute thun wird.«

»So benachrichtigen Sie mich davon und belegen Sie ein Couvert neben ihrem Platz. Man braucht mir nicht in meinen Zimmern zu serviren.« –

An der Thür ihres Salons empfing die Tänzerin bereits den aufmerksamen Wirth.

»War das der Russe, Monsieur?«

»Gewiß, Sennora, und Sie haben bereits eine Eroberung an ihm gemacht. Der Fürst fragte, ob Sie die Table-d'hôte beehren würden?«

»Ah – bah! wir wollen sehen! Was war das für eine Scene, als ich kam? bitte erzählen Sie!«

Der Hotelier lachte.

»Das Abenteuer ist wirklich pikant und wird Aufsehen machen. Der junge Fürst besuchte gestern den letzten Sommernachtsball bei Kroll und scheint da mit einer kleinen Grisette soupirt zu haben, denn er kam spät nach Hause. Vor einer halben Stunde, während er noch schläft, erscheint ein Polizei-Agent, erkundigt sich nach dem Russen und verlangt, gemeldet zu werden. Ich muß nachgeben und der Fürst erscheint sehr verdrießlich im Schlafrock. Die Scene war Goldes werth! ich will versuchen, sie Ihnen dramatisch wieder zu geben!«

[46] »Allons, Monsieur, ich warte!«

»Der Agent bittet sehr höflich um Entschuldigung für die Störung und frägt, ob Seine Durchlaucht gestern den Ball bei Kroll besucht?« – »Ja, mein Herr. Darf man das etwa in Berlin nicht?« – »O, doch – nur erlauben Sie mir die Frage, ob Sie nicht dort bestohlen worden sind?« – Der Fürst sieht ihn groß an, dann seine Pretiosen nach, die auf dem Tische liegen, und sagt: »Ich denke nein. Jedenfalls vermisse ich Nichts!« – »Ich fürchte, doch!« – Der Agent legt eine russische Banknote von hundert Rubeln auf den Tisch. – »Was soll das?« – »Entschuldigen, Durchlaucht, die Indiscretion – soupirten Sie mit einer kleinen Grisette?« – »Ja wohl, mein Herr, aber ich begreife wahrhaftig nicht –« – Der Agent öffnet die Thür und führt die junge Schöne herein, der Sie im Hausflur begegnet sein müssen. – »Ist es diese?« fragt er triumphirend. – »K tschortu! – allerdings – warum weinen Sie, Kind?« – »Die Dirne hat Sie bestohlen, Durchlaucht. Man verhaftete sie heute Morgen, als sie bei einem Banquier diese Banknote von hundert Rubeln wechseln wollte. Das Frauenzimmer log, sie hätte dieselbe von einem unbekannten Cavalier geschenkt bekommen und beschrieb die Person, aber wir kennen das! Unserer Aufmerksamkeit gelang es, zu ermitteln, daß der Fremde Euer Durchlaucht waren, und ich habe die Ehre, das gestohlene Gut zurückzustellen und nur ein kleines Protokoll zur Anerkennung der Person aufzunehmen.« – Das Mädchen weint und schluchzt und betheuert, daß sie keine Diebin sei; der Fürst aber wird ganz roth im Gesicht vor Aerger und schaut die Polizei an, als wolle er sie mit einem Bissen verschlingen. – »Zum Teufel mit Ihrer Dienstfertigkeit! Geht Sie das was an, wenn ich diesem Mädchen Etwas schenke?« – »Nein – aber – wenigstens liegt ein Irrthum vor – man giebt einer Grisette doch nicht hundert Rubel –« – »So? – nun –« der Fürst öffnet ein Portefeuille, holt noch fünf gleiche Scheine heraus und giebt sie dem Mädchen: »Da haben Sie Etwas für den Schreck, Kleine, und Sie, Herr, stören Sie die Leute wegen solcher Lumpereien nicht in ihrem Morgenschlaf.« – »Sie hätten das Gesicht sehen müssen, Sennora, es war zum Malen!«

Beide lachten.

»Der Russe ist also sehr reich?«

[47] »Sein italienischer Kammerdiener erzählt, daß er eine Million jährliche Einkünfte hat.«

»Demonio! – Nun, Sennor, ich habe mich besonnen – ich werde heut in Ihrer Gesellschaft diniren.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In dem Salon des zweiten Stockwerks fand zur selben Zeit eine andere interessante Unterredung statt zwischen zwei uns bekannten Personen, der achtlos im Nebenzimmer die Gräfin Pisani beiwohnte.

Noch kannte Helene Laszlo den Betrug nicht, dessen Opfer sie geworden. Aus den Zeitungsblättern hatte sie und zu seinem Erstaunen auch der Oberst erfahren, daß Capitain Meyendorf im Stabe des Fürsten Gortschakoff der Belagerung von Silistria beigewohnt hatte. Sie erfüllte die Pflichten der Gattin stumm und still, in ihr Schicksal und ihr erhabenes Opfer ergeben, aber ihr Leben war freudlos und bleicher wurde täglich die Wange, trüber das sonst so trotzige, feurige Auge und an dem Herzen nagte der giftige Wurm. Denn wenigstens wußte sie jetzt, wie tief und bitter sie sich in dem Manne getäuscht, dem sie in jener unglücklichen Stunde angetraut worden; sie hatte seinen Character voll Habgier und Ehrgeiz sich vor ihr entlarven und sich jener geschickten Maske liberaler Principien und der Begeisterung und Thätigkeit für die Revolution entkleiden sehen. Nur der Egoismus waltete in ihm und leitete seine Schritte und seine trügerischen Handlungen. Schon der erste, den er nach der Heirath gethan, war eine Verständigung und Aussöhnung mit der österreichischen Regierung, die ihn, somit den Besitz des bedeutenden Grundvermögens seiner jungen Gattin sicherte. Es ging das Gerücht, daß er seitdem zu mehreren diplomatischen Missionen verwandt worden sei, deren Character stark das Gegentheil seiner früheren Tendenzen zeigte. –

Die Gräfin saß in dem durch die Thür geschlossenen Nebenzimmer, mit einer weiblichen Handarbeit beschäftigt, am Fenster, während der Graf, in der Bergère lehnend, eine Cigarette rauchte und mit bald hochmüthigem, bald scharf beobachtendem Blick seinen Gast betrachtete. Dies war die als Banquier Thomas aus Wien im Fremdenbuch verzeichnete Person. – Der sorgfältig arrangirte Haarwurf verdeckte die Tonsur auf dem Scheitel und nur die spitze[48] schlaue Physiognomie rief das Bild des kleinen hagern Abbé zurück, dem wir im Salon der Frau von Czezani in Wien begegneten.

Der Abbé oder Pseudo-Banquier saß in einem Fauteuil, halb hinter der breiten Lehne verborgen; das Manöver, sein Gesicht möglichst im Schatten zu halten, hatte ihm aber wenig genützt, denn der Graf war ein zu erfahrener Kämpe, um nicht auch seinerseits diese Vorsicht zu beobachten. So saßen die beiden Intriguanten einander gegenüber, gleich zwei gewandten, sich ihrer Kraft bewußten Gegnern, Jeder bemüht, eine Blöße des Andern zu entdecken. –

»Der Zufall oder das Glück wollten mir wohl, Graf,« sagte der Abbé, »daß ich Sie gerade jetzt in Berlin treffen mußte. Man erwartete, wie ich höre, in Turin Ihre Rückkehr von London erst im nächsten Monat.«

Es schien ein verborgener Sinn in den Worten zu liegen, denn der Graf nahm die Cigarette aus dem Munde und warf einen raschen Blick nach ihm.

»Bitte – wer erwartete mich?«

»Ei – Graf Cavour und die Brüder La Marmora!«

Der Schlag war direct und eine leichte Röthe überzog das Gesicht des Getroffenen, der unter einem erkünstelten Lächeln seinen Aerger zu verbergen suchte.

»Unsere Obern, lieber Freund,« sagte er endlich, »sind zwar immer sehr gut unterrichtet, aber seit sie gezwungen wurden, Paris zu verlassen und in den Canton Tessin überzusiedeln, scheinen sie doch einige Fäden aus der Hand verloren zu haben.«

»Unsere Obern?« – der Abbé blickte ihn schlau von der Seite an. – »Wir dürften also hoffen, in demkünftigen General noch immer ein eifriges Mitglied des Bundes der Unsichtbaren zu besitzen?«

Diesmal wurde der Graf dunkelroth, dennoch überging er die Pointe der Antwort und sagte möglichst unbefangen:

»Wie mögen Sie oder andere Bundesmitglieder daran zweifeln, wenn ich auch in letzterer Zeit weniger Gelegenheit gehabt habe, thätig zu sein. Sie wissen so gut wie ich, wenn Sie mich auch wenigstens vorläufig nicht daran erinnern wollen, daß uns außer unserm Eide manche Dinge der Vergangenheit unauflöslich verbinden –«

[49] »Auch seitdem – zum Beispiel: Parma und der 26. März!«

»Still um Gotteswillen! – was ich sagen will ist, daß ich unverändert der Ihre bin, so weit es meine anderweiten Verhältnisse mir gestatten.«

»Die sich durch die Heirath mit der schönen Nichte des Fürsten Esterhazy allerdings bedeutend verändert haben. Wir sind gewiß nicht unbillig, lieber Graf und ehren nicht blos das Recht der Flitterwochen, sondern selbst des Flitterjahres, tragen auch den Verhältnissen alle Rechnung und wünschen nur, daß unsere ehemaligen Mitglieder – wenn sie uns nicht mehr brauchen – unsere Pläne wenigstens nicht durchkreuzen

»Wie meinen Sie das?«

Der Abbé schien die Frage zu überhören, wenigstens antwortete er nicht direct.

»A propos, Graf, wie hoch beläuft sich jetzt die active sardinische Armee? als jetziger Adjutant des Generals La Marmora werden Sie das genau wissen?«

Diesmal schaute der Oberst Jenen von der Seite an.

»Fünfundvierzigtausend Mann, Abbé. Seit wann beschäftigen Sie sich mit militairischer Statistik? – Doch,« fuhr er, rasch zu einem andern Gegenstand übergehend, fort, »da ich mich seit zwei Monaten auf Reisen befinde, weih ich wenig von dem Stande der Verbindung und bitte Sie um einige Mittheilungen.«

»Sehr gern, Herr Graf, um so mehr, als ich Ihre Aufmerksamkeit doch dafür in Anspruch genommen hätte. Sie werden sich erinnern, daß am 26. März die Versammlung des Bundes in Paris gesprengt wurde und die Führer genöthigt waren, wenigstens vorläufig Paris zu verlassen.«

»Es war zu der Zeit, wo wir uns zuletzt in Wien trafen.«

»Richtig! Sie brachten damals Ihre junge Gattin dahin zurück und machten Ihren Frieden mit der österreichischen Regierung.«

Der Graf rückte unbehaglich auf dem Sessel.

»Können Sie mir das verdenken? Das ganze Vermögen meiner Frau liegt im Kaiserstaat. Ich habe in Sardinien Nichts als meinen Sold.«

»O, sicher nicht, und Sie haben gesehen, wie wir es vermieden, Sie mit unsern Angelegenheiten zu behelligen. Die höchste Gewalt war damals zweifelhaft, wohin man den Rath verlegen sollte, ob nach London oder Piemont; zuletzt entschloß man sich [50] für Tessin. Man wünschte Sardinien und Frankreich möglichst nahe zu sein. Der Tod des Bourbons in Parma hat in Ober-Italien einen tiefen Eindruck gemacht.«

»Er hat uns mehr geschadet, als genützt.«

»Ich weiß es. Wir unter uns können uns offen gestehen, daß wir seither eine große Niederlage erlitten haben. Die jetzigen europäischen Verwickelungen sind von uns ausgegangen, indem wir bei dem allgemeinen Sturm oder der allgemeinen Erschöpfung hofften, einen durchgreifenden Schlag thun zu können. Diese Hoffnung scheint sich nicht zu verwirklichen. Zunächst hält sich Deutschland fern von dem Kampf durch die zähe Politik dieses verhaßten Preußens, das wir auf Rußlands Seite zu sehen hofften. England weigert sich demnach Polen, Ungarn und Italien zu revolutioniren und begnügt sich mit der lassen Bildung elender Fremdenlegionen, die für uns eine gute Hilfe gewesen wären, aber ein unzureichendes Mittel sind. Der Kaiser Napoleon endlich, unser Zögling und jetzt unser bitterster Gegner, hat die Maske abgeworfen, er hat die Leitung der europäischen Angelegenheiten uns aus der Hand gerissen und in der seinen concentrirt. Er weiß, daß er um die Herrschaft in Europa allein mit uns zu kämpfen hat und – er hält die Revolution bereits unter seiner Faust, wie die Maßregeln in Paris und die politischen Prozesse durch ganz Frankreich jetzt zeigen.«

»Bis einer jener ›Zufälle‹ eintritt, welche so oft die Geschichte geändert haben.«

Der Graf sah seinen Gefährten bedeutsam bei diesen Worten an.

»Wir wollen darauf hoffen. Unsere Stütze gegen die erschöpften und decimirten Soldaten der kriegführenden Mächte wird dann die von dem jetzigen Krieg unberührte und gekräftigte sardinische Armee sein, das wissen Sie.« – Sein Blick fixirte dabei den Grafen, der eine gewisse Verlegenheit nicht zu bemeistern vermochte. – »Selbst unsere geniale Finanzspeculation hat dieser Usurpator an sich gerissen. Sie wissen, daß Baron Riepéra zum Verräther geworden?«

»Ich hörte den Argwohn bei seinem Bankerott; man hat lange Nichts von ihm vernommen?«

»Er hält sich gut verborgen mit Hilfe seiner Million, die ihm damals der Coup in Wien eingetragen, aber wir erkennen in [51] Vielem seine Hand und es ist kein Zweifel, daß er uns an Napoleon verrathen hat. Die Gründung des Credit mobilier ist sein Project, die Pereire's sind seine Verwandten. Nach den achtzehnmalhunderttausend Franken, die wir bei seinem gut gespielten Fallissement verloren, sind uns wiederholt harte Schläge beigebracht worden, die beweisen, daß eine mit unseren Geldgeschäften ganz vertraute Hand dabei geholfen hat.«

»Aber was kann den Baron zu dem Verrath bewogen haben?«

»So viel ich weiß, eine Lection, die er vor dem Rath des Bundes erhielt und – ich glaube, jener Vorgang im Landhaus der Frau von Czezani. Er war eine Memme, der dergleichen Schrecken einjagt. Doch genug von ihm, wir werden ihn zu finden wissen, trotz seines neuen Beschützers. Mein Aufenthalt hier in Berlin jedoch ist nicht ohne Bezug auf seinen Verrath. Wir wollen versuchen, unsern damaligen Verlust wieder zu gewinnen.«

Der Oberst horchte hoch auf.

»Sie gewannen bei unserm wiener Geschäft mit der Nachricht von der Kriegserklärung der Türkei auf Ihren Privatantheil zwanzigtausend Gulden. Ich glaube, Ihnen das Doppelte dieser Summe versprechen zu können, wenn Sie mich unterstützen wollen.«

»Wie das?«

»Ich befinde mich seit drei Tagen hier, seit die Nachricht von der Almaschlacht hier bekannt ist, um den Augenblick für einen Coup abzupassen, der von uns von Wien aus dort, hier und in Paris an den Börsen vorbereitet wird. Indeß – ich fühle mich hier genirt; irgend ein Mißtrauen hat mir einen der verschmitztesten österreichischen Polizeiagenten nachgeschickt und ich sehe mich von dem Menschen auf allen Tritten und Wegen beobachtet. Er logirt dort in dem Hotel gegenüber und belauert mich. Im entscheidenden Augenblick – und dieser ist heute – könnte er mir einen unangenehmen Streich spielen und aus dieser Verlegenheit zieht mich Ihre Ankunft. Sie sind durch Ihre Heirath ein Verwandter des österreichischen Gesandten geworden und es wird Ihnen ein Leichtes sein, eines der jüngeren Mitglieder der Gesandschaft zu bewegen, mit Ihnen heute die Börse zu besuchen, unter dem Vorwande, das Treiben daselbst kennen zu lernen.« –

»Ich begreife aber noch nicht, was Sie eigentlich bezwecken?«

»Ueberlassen Sie mir die Ueberraschung; – die Presse ist [52] in eine Falle gegangen, über die man Jahre lang lachen wird. Noch Eines – haben Sie Credite auf Berlin?«

»Auf Mendelssohn und Compagnie tausend Ducaten.«

»Das wird für Sie genügen, außerdem garantirt leicht die österreichische Gesandtschaft Ihr Vermögen. – Wissen Sie, daß wir im Hotel noch einer bekannten, gewissermaßen zu uns gehörenden Persönlichkeit begegnen?«

»Sie meinen die spanische Tänzerin, welche an jenem Abend im Salon zu Hietzing zugegen war?«

»Ja. Sie ist hierher bestellt. Sobald unsere finanzielle Aufgabe in Ordnung, werde ich sie nach Petersburg dirigiren. Wir haben zwar über Berlin Nachrichten von dort, doch scheint unser Spion hier nicht ehrliches Spiel mit uns zu treiben und das Wichtigere für Paris und London aufzusparen. Man will einen Versuch mit der verführerischen Schönheit unserer Donna an gewissen Personen machen. – Doch still – hier kommt die Gräfin!«

Die Gräfin trat in das Zimmer.

»Der Kellner des Hotels meldet den Herrn von Treumund – ich weiß nicht, ob Sie den Mann haben rufen lassen?«

Der Abbé fiel ein:

»Ganz recht, lieber Graf – ich habe mir erlaubt, ihn hierher zu bestellen, ich bitte, lassen Sie ihn eintreten.«

Die Gräfin winkte nach der Thür zurück, dann wandte sie sich nochmals zu ihrem Gemahl:

»Ich beabsichtige, einen Besuch bei meiner Cousine abzustatten – werden Sie mich begleiten?«

»Ich habe Geschäfte, die mich daran hindern und werde später dem Herrn Gesandten meine Aufwartung machen.«

Die Dame entfernte sich. – »Wer ist der Herr?« fragte der Graf.

»Er ist oder wird einer der gewandtesten Courtiers Berlins. Als Correspondent mehrerer französischen und deutschen Journale ist er nicht ohne Einfluß, durch seine Thätigkeit in allen Kreisen bekannt, durch das schlaue Geschäft seiner Adoption von einem alten Bummler adligen Namens für die gute Gesellschaft möglich gemacht – ist er zwar augenblicklich von Schulden und Wechseln gedrückt, aber für unsere Absicht vortrefflich geeignet, und ich zweifle keinen Augenblick daran, daß er sich bald glänzend in die Höhe [53] bringen wird, um so mehr, als er eben mit einem der ersten deutschen Speculanten zur Benutzung der Presse in Verbindung getreten ist. Kennen Sie das Börsentreiben?«

»Ich habe noch nie einen Fuß dahin gesetzt.«

»So ist er gerade der Mann, um Sie in die Geheimnisse dieser Coulissen einzuweihen. Ich bitte, lassen Sie ihn kommen.«

Er nahm einige Papiere aus der Tasche, während der Kammerdiener des Grafen durch die Hauptthür einen Fremden in den Salon entführte. Es war ein junger hübscher Mann mit blondem Haar und Bart, bemüht, aristokratische Manieren zu zeigen, dem jedoch seine große Beweglichkeit entgegen war. Die Augen waren klein, blinzelnd und gutmüthig.

Der Abbé – oder vielmehr Banquier Thomas – stellte den Fremden vor und nöthigte ihn zum Sitzen.

»Graf Pisani,« sagte er, »ist vollkommen eingeweiht in das Geschäft und wird uns bei unserer heutigen Operation unterstützen. Die Zeit drängt und so bitte ich sogleich um Ihren Bericht. Welchen Eindruck haben die gestrigen Abend-Nachrichten von Wien gemacht?«

»Das telegraphische Correspondenz-Bureau hat sie noch am Abend verbreitet. Die heutigen Morgenblätter und die Abendzeitungen durch Extrablätter melden zwar nur unbestimmt: ›Westmächte im Besitz eines Forts von Sebastopol; Russen 15,000 Mann verloren; Fürst Menschikoff sechs Stunden Bedenkzeit erhalten.‹ Heute Morgen ist aber bereits von Paris eine telegraphische Bestätigung eingetroffen und man erwartet heute bei Beginn der Börse die ausführliche Nachricht.«

»Und die Course?«

»Sie gingen in der gestrigen Abendversammlung der kaufmännischen Ressource rapid in die Höhe, und werden offenbar heute um drei bis vier Procent steigen.«

»Sie haben russische und Schatzobligationen in verschiedenen kleinen Posten angeboten?«

»Ich habe nach Ihrer Bestimmung verfahren, aber Niemand will sie, selbst zu 72 nicht.«

Der Abbé rieb sich vergnügt die Hände. – »Es war vorauszusehen. Lassen Sie uns überblicken, wie unsere Geschäfte stehen.«

Der Berliner Courtier öffnete das Portefeuille, das er in der Hand hielt, und nahm eine Note heraus.

[54] »Recapituliren wir. Auf Grund der Creditive von Eskeles und Sina kaufte ich an der Sonntags-Börse bei unsern drei ersten Bankhäusern 115,000 Gulden Metalliques zu 723/4

»Richtig, sie standen gestern bereits 751/4 und werden heute noch mehr in die Höhe gehen.«

»Ich hoffe es, indeß ist das schon ein Gewinn von 2775 Gulden. Ferner 300,000 Gulden Nordbahn zu 173.«

»In diesem Augenblick 1791/2

»Oberschlesische 180,000 Thlr. zu 921/2, 120,000 Gulden Neueste Anleihe zu 961/4 und 200,000 Thlr. Cosel-Oderberger zu 1631/4. Sie stehen bereits 205.«

»Der Schlag ist bedeutend. Die Käufe betrage nach meiner Berechnung also 1,060,000 Thlr.«

»Und der Gewinn in diesem Augenblick über 90,000.«

»Nun merken Sie wohl auf, lieber Freund, was ich Ihnen sage. Die Course werden heute und morgen noch rapid steigen und die Nachfrage wild sehr bedeutend sein. Glauben Sie, daß Sie heute sämtliche Papiere, über die wir disponiren, zum heutigen Cours für den 15. verkaufen können.«

»Unbezweifelt – wenn wir so thöricht sein wollten.«

»Ueberlassen Sie das mir; ich habe meine Gründe dazu, und Sie sollen an Ihrer Courtage nicht zu kurz kommen. Doch wird es gut sein, wenn Sie mit dem Verkauf mehrere Agenten beauftragen, denn so bedeutende Summen aus einer Hand würden die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und leicht die Hausse stören. Ich werde auf der Börse zugegen sein, um nöthigen Falls Ihnen meine Bestimmungen geben zu können. Im Uebrigen aber wird es zweckmäßig sein, wenn Sie viel mit dem Herrn Grafen hier und seinem Begleiter verkehren, so bald diese an der Börse erscheinen, und geschickt das Gerücht verbreiten, daß von diesen bedeutende Aufkäufe gemacht würden.«

Der Agent verbeugte sich schlau lächelnd.

»Ich verstehe und werde nicht verfehlen, dies zu thun. Doch erlauben Sie mir, auf einen Umstand Sie aufmerksam zu machen, da es mir scheint, daß Sie neue telegraphische Nachrichten erhalten haben. Man argwöhnt an der Börse seit einiger Zeit, daß viele der eingehenden Depeschen auf irgend eine noch unerklärte Weise verrathen werden. Einer unserer Börsenmatadore scheint die Course und Aufträge von außerhalb förmlich zu riechen und überflügelt [55] alle mit seinen Combinationen – oder seinen Nachrichten. Es wäre fatal, wenn er uns in die Quere käme.«

Herr Thomas lächelte. – »Beruhigen Sie sich auch hierüber, auch der Herr wird kaufen.«

Der Courtier empfahl sich. – – – – – – – – –

Der Neubau einer Berliner Börse gehört zu den Seeschlangen ohne Ende, die fortwährend auftauchen und niemals erlegt werden. Zwischen der Dampfmaschine der großen Fontaine und den Ruinen des neuen Doms, für dessen Camposanto-Entwürfe Cornelius die bescheidene Forderung von hunderttausend Thalern macht, liegt oder lag die Villeggiatura des Berliner Handelsstandes und seit drei oder vier Jahren des Berliner Geld- und Creditschwindels. Ein wenn auch nicht unstattliches, doch sehr beengtes Gebäude mit einem von Bäumen besetzten kleinen Vorplatz nimmt täglich von zwölf bis drei Uhr eine Anzahl von mindestens 2000 Personen auf, die den großen Handel und Geldverkehr der Hauptstadt ursprünglich vermitteln sollen zur Beförderung und Vertheilung des Wohlstandes und der Industrie des Landes.

Seit den letzten drei Jahren jedoch ist das Berliner Börsenleben zu einer Pest des Landes ausgeartet, verwerflicher, hundertfach gefährlicher, als die von der öffentlichen Meinung und der Regierung geächteten Spielbanken, die nur Einzelne verderben, während die Börse auf alle Klassen demoralisirend oder die Zustände verschlimmernd wirkt.

Der frühere Börsenverkehr steht zu der jetzigen Börsenwirthschaft wie die gediegene kaufmännische Berechnung zu dem Delirium der Speculation, wie die Waare zur Ziffer, wie der Handel zum Diebstahl. Vielleicht characterisiren, wenn auch nur schwach, die nachfolgenden Crayons einigermaßen dies Treiben. –

Es war Mittag gegen ein Uhr, als Graf Pisani Arm in Arm mit einem Attaché der österreichischen Gesandtschaft auf dem Vorplatze der Börse erschien und langsam durch die versammelten Gruppen wandelte, dem Treiben des Verkehrs zuschauend. Die handgreiflichen Differenz-Ausgleichungen einiger Mitglieder hatten damals noch nicht die Eintrittskarten eingeführt und jeder Fremde betrat ungenirt das Sanctuarium des Zahlenschwindels. Der Attaché war mehreren der großen Banquiers bekannt, die ihn begrüßten und ansprachen, und wunderbar schnell verbreitete sich die Nachricht auf der Börse, daß ein Mitglied der Gesandtschaft mit [56] einem vornehmen Fremden anwesend sei. Offenbar hatte dabei der Agent Treumund die Hand im Spiele, der alsbald bei dem Erscheinen der beiden Herren sich dem Grafen anschloß und den Cicerone nachte, von Zeit zu Zeit sie verlassend und bald hier, bald dort neue Geschäfte abschließend.

Dies Verfahren konnte nicht verfehlen, Aufmerksamkeit zu erregen, um so mehr, als bald bekannt wurde, daß die Aufträge, welche der Agent machte, über große Summen lauteten und die Börse ohnehin in höchster Erregung war. So eben waren die telegraphischen Depeschen des Correspondenz-Bureau's von Wien und Paris über die dortigen Course eingegangen und der Agent des Hauses Oppenheim verlas nach der getroffenen Einrichtung von einer Erhöhung dieselben mit lauter Stimme. Die Boten des Staats-Telegraphen-Bureau's durchbrachen mit Privatdepeschen suchend die Menge. Das Geschäft schien in vollem Gang und die vereideten Makler wurden bestürmt mit Anmeldungen.

Der Graf mit dem Gesandschafts-Cavalier, der zu unerfahren und zu sehr Edelmann war, um so rasch zu begreifen, daß er hier zur Folie diente – hatte endlich am Eingang des Hauses einen Platz gefunden, von wo Beide das Treiben innen und außen beobachten konnten. Der Agent stand bei ihnen.

Die Scene umher war wirklich charakteristisch und für einen Unbetheiligten an Stoff zu Beobachtungen überreich. Eine Wirrniß von Geschwätz und Geschrei – oft dem eigenthümlichen Idiom einer polnischen Juden-Synagoge gleichend – lag auf dieser sich drängenden, stoßenden, sammelnden und hin und her eilenden oder fest auf gewissen Stellen ansharrenden Menge, in der die gebogene oder kulpige Nase als Typus in hundert Variationen des Alters vorherrschend war. Die gewöhnliche Höflichkeit und Rücksicht großer Gesellschaften schien aus dieser verbannt und Jeder im Schreien, Stoßen und Drängen nur auf seine eigenen Zwecke Bedacht zu nehmen. Ein Notizbuch in der einen, den Bleistift in der andern Hand, mauschelnd, rufend, fragend, horchend, betheuernd und wegwerfend, die gespannteste Aufmerksamkeit in der lauschenden Miene oder mit verächtlichem Achselzucken, schmeichelnd und scheltend, kriechend und hochmüthig – überall die Ohren, überall die Augen – hier ein Wort wechselnd, dort ein Opfer in den Winkel drängend, lügend und belogen, täuschend und getäuscht, jede Spannung, jede Heuchelei auf den Gesichtern, bedächtig und hastig, [57] schnöde und freundlich, lärmend und schweigend, so wogte das Chaos der Geldintelligenz, das sich den Reichthum und die Intelligenz des Landes nennt!

»Staats 1! wer kauft?«

»Zehn 2! Wie steht?«

»Wer hat Cölner – Enkel 3? Achtundachtzig drei Viertel? Ich kaufe.«

»Herr Lion, Herr Lion, wo ist Herr Lion?«

»Franzosen 4! Hundertsiebenundsiebzig ein Halb!«

»Schreiben Se mer ein, Zwanzig zum Ersten. Wollen Se handeln mit Wittenberger? Herr Friedemann, brauchen Sie Rheinische Kinder?«

»Sechsundachtzig – haben Se gehört, Herr Hertel? Notiren Sie den Cours – Sechsundachtzig bezahlt 5

»Hören Se zu – Meyer is am Kaufen – Nordbahn und 1854er Loose, lassen Se uns eilen, sonst kommen mer zu spät.«

Dazwischen schellt die Glocke als Signal um Abschluß.

»Die Zahl Ihrer großen Kaufleute und Banquiers, die an der Börse Geschäfte machen, scheint sehr bedeutend,« bemerkte der Sardinier.

»Der Schein täuscht, – von der ganzen Zahl, welche die Börse füllt, verdient kaum der vierte Theil, hier zu sein. Vielleicht die Hälfte ist nicht einmal der Kaufmannschaft incorporirt und besteht aus den sogenannten ›Wilden‹. Wenn es Ihnen Vergnügen macht, will ich Ihnen die Einrichtung und das Treiben unserer Börse in kurzen Worten schildern.«

»Ich bitte darum.«

»Man kann die Börsenleute etwa in vier Kategorieen eintheilen. Zuerst die großen Banquiers, jene Säulen des großen Geldmarkts, die traditionelles Vermögen und Geschäfte, die eine [58] Vergangenheit haben und einen europäischen Ruf, wie z.B. Magnus, Jüterbock, Schickler, Mendelssohn, Anhalt und Wagner, Robert Warschauer u.s.w. Diese Koryphäen des Geldmarkts machen fast nie eigene Speculationen, sie betheiligen sich an Anleihen oder sind die Commissionaire derselben. Ihre Repräsentanten erscheinen hier nur um der Gewohnheit des Hauses willen und führen nur die Geschäfte ihrer Committenten aus. Sehen sie da die stabilen Posten dort auf den Bänken und an dem Gitter? Das sind unsere Geldfürsten oder ihre Vertreter. Das wohlbehäbige runde Gesicht dort stöhnt über die Unmasse der Geschäfte und seine ganze Arbeit besteht am Tage darin, sich zwei Stunden lang Herr-Von nennen zu lassen und die andere Zeit zu flaniren! – Sehen Sie da das Paar prächtige Waden in den eng anliegenden Beinkleidern am Gitter dort im Winkel nach dem Dome zu? Diese musculöse Kraft ohne besondere geistige Capacität ist der Börsen-Repräsentant einer unserer nobelsten Firmen, so wie jener junge jüdische Aristokrat mit den in beliebter Wastelart bis an die Achselhöhlen zurückgeschlagenen Rockpatten, die Frucht eines unserer berühmtesten jüdischen Häuser. Einstweilen läßt er sich von Minna schröpfen und der achtbare Papa dort in der Banknische an den Säulen neben ihm schlägt mit stiller Behaglichkeit die Beine übereinander, neigt den Kopf zur Seite und harrt der Coursnotirungen, wie Jeremias auf den Trümmern von Jerusalem. So einfach der Mann aussieht, sein Vermögen wird mit zwei Millionen taxirt, denn hier, Herr Graf, hat Alles seine Taxe.«

»Sie erzählen pikant!«

»Journalistenmanier. Kommen wir zu der zweiten Kategorie, den kleinen Banquiers und großen Spekulanten. Diese sind die Hauptfaiseurs der Börse, sie machen die Course und treiben einen Umsatz in Ziffern, der in's Kolossale geht. Man kann die Summen, die jetzt an der Berliner Börse umgeschlagen werden, auf durchschnittlich zwei eine halbe Million täglich rechnen. Ein Theil dieser Männer macht noch Banquiergeschäfte, ein anderer Theil bloße Spekulationen. Sehen Sie den großen hagern Herrn dort mit der halben Glatze und dem verlebten Gesicht? In jeder dieser Falten sitzt eine verzehrende Leidenschaft. Der Mann hat in Sachsen schon fünfmal auf Nichts gestanden und seine Spekulationen haben ihn immer wieder auf den Gipfel des Reichthums gehoben. Er kommandirt in diesem Augenblick wieder ein paarmalhunderttausend [59] Thaler, ist unser größter Baisse-Spekulant und seine polnische Maitresse holt ihn alle Nachmittage in glänzender Equipage von seinem Tummelplatze ab, bis – –«

»Es liegt etwas Unheimliches in seinen Manieren; jetzt schießt er wie ein Stoßvogel durch die Menge.«

»Das ist so seine Manier, – er hat sein Opfer. Dort steht sein Gegenmann – ich meine jenes durchsichtig blasse Gesicht mit der eigenthümlichen Farbe der Wasserleichen, denen man einen Zoll tief durch's blutlose Fleisch zu sehen wähnt.«

»Das Gesicht ist interessant, das Auge scharf und voll Verstand, der Ausdruck ruhig.«

»Und dennoch ist sein Besitzer voll rastloser Beweglichkeit, und es duldet ihn kaum einen Augenblick schweigend auf demselben Platz. Er ist unser bedeutendster und glücklichster Spekulant und ausgezeichnet durch ein so enormes Gedächtniß, daß er zu seinen Geschäften, obschon er ihrer täglich 50 bis 60 schließt, nie ein Notizbuch braucht. Man fängt übrigens an auf der Börse, ihn mit einem gewissen Argwohn zu betrachten, denn er scheint fast allwissend in Betreff aller ankommenden Nachrichten, so glücklich sind seine Combinationen. Ich habe schon vorhin gegen Ihren Freund meine Besorgnisse geäußert.«

»Der Herr scheint fortwährend umlagert von einem Schwarm, Alles drängt sich um ihn.«

»Die Ursach' werd' ich Ihnen gleich in einer weiteren Kategorie erklären. Erwähnen will ich nur noch, daß die fünfzehn oder zwanzig Mitglieder der eben bezeichneten jährlich durch ihre Spekulation sechs-bis achtmalhunderttausend Thaler verdienen.«

»Die also das Publikum zahlt,« bemerkte der Attaché.

»Ganz recht; und noch ärgere Blutegel sind die beiden letzten Kategorieen. Die dritte besteht zunächst aus den privilegirten Jobbern, der eigentlichen kleinen Mauschelei, welche die beiden höheren Stufen schon abgeschliffen haben. Hier findet man die kleinen Geschäfte und den jüdisch näselnden Jargon, den ausgehungerten Jobber neben dem behäbigen gemachten Geldmann, wie jenes Exemplar dort zeigt, das vorzüglich in Magdeburg-Wittenberger macht und die orientalische Abstammung durch einen wohlgehegten Schnurrbart zu cachiren sucht. Das Studium dieses Genres ist wirklich interessant. Blicken Sie einmal dorthin auf den alten grauen Kerl, der so schmuzig aussieht, als käm' er aus einem Trödelladen vom[60] Mühlendamm, und dann wieder die stattliche ruhige Figur dort, der man die höhere Intelligenz ansieht und wie sie ihre Umgebung dominirt. Der Herr dort ist der Hauptautor der berühmten Inserate der Vossischen und man hört sie täglich bei den Geschäftchen sans gêne berathen.«

»Aber zu welchem Zweck, wenn man doch weiß, woher sie stammen?«

»Für's Publikum, lieber Herr; denn es giebt nichts Dümmeres, als das Publikum im Allgemeinen. Es ist eine Hammelheerde, die angeleitet werden muß, das sauer oder glücklich erworbene Geld rasch wieder los zu werden. Die Klasse der Makler und kleinen Banquiers macht nur geringe eigene Spekulationen, indem sie in die Nähe der großen Tonangeber sich drängt, ein Wort aufschnappt und sich mit einigen Tausenden in der Spekulation betheiligt. Freilich bekommen sie dabei oft die ärgsten Ohrfeigen; denn es ist eine alte Regel, daß über kurz oder lang die kleinen Spekulanten der Börse von den großen aufgefressen werden. Die Großen verstehen ihr Handwerk. So wird es dem ›Börsenkönig‹ nicht einfallen, wenn er verkaufen will, dies auf der Börse zu thun. Im Gegentheil, dort kauft er einzelne Posten des Papiers und streut den Leuten damit Sand in die Augen, während in allen Ecken seine lange vor Beginn der Börse instruirten Agenten die wahren Geschäfte für ihn machen. Im Uebrigen zahlt ihre Existenz das Publikum durch die Courtage und die Kunst des Schneidens. Bitte, wenden Sie das Auge dort auf jenen Mann. Der Schacher ist ihm jedem Zuge ausgeprägt und der Mensch ein originelles Exemplar der Jobberei. Er hat immer eine Parthie Uhren, Brochen, Brillanten und dergleichen zur Hand, die er förmlich als Prämie für ein Geschäft ausbietet. Sehen Sie, eben ist er wieder daran, ein Geschäft zu machen, lassen Sie uns den Spaß haben, einen Augenblick näher zu treten und ihm zuzuhören.«

Der alte Mann, den das charakteristische Zeichen orientalischer Schlumperei, die über den fettigen Rock heraushängenden Kragenbänder und eine fast in den Mund sich krümmende Nasenspitze kenntlich machte, hielt einen jungen Kaufmann beim Rockknopf fest. »Woll'n Se mer liefern acht Mecklenburger zu Einundvierzig en Viertel, Herr Lehmann? Wissen Se was, ich geb' Sie diese gold'ne Uhr mit de dicke Berlocks zu. Wie, Se wollen nich [61] machen den Rebbes? Aach gut. Se sollen haben vier Nordbahn-Kinder, Fünfundvierzig drei Viertel und diese Busennadel.«

»Der Werth der beiden Pretiosen,« sagte lachend der Courtier, »ist mit einem kleinen Profitchen dem der Procente gleich, um welche der Alte die Papiere höher oder niedriger schachert. Doch lassen Sie uns zu Ende kommen mit der allgemeinen Charakteristik. Die vierte Kategorie besteht aus dem Troß, der neben den beiden andern herläuft und den Vermittler und Pfuschmakler spielt: die sogenannte Coulisse, alte bankerotte Ganner und junge unverschämte Bengels von fortgejagten oder fortgelaufenen Commis, eine Rotte von Tagedieben, zu faul, um wirklich zu arbeiten, aber schlau genug, um sich hier überall aufzudrängen und täglich ein oder zwei kleine Geschäftchen zu erluchsen, die ihnen durchschnittlich vier, fünf Thaler, häufig auch noch Besseres abwerfen, jedenfalls weit mehr, als der ehrliche Commis bei angestrengter Arbeit verdient. Wenn sie am Ultimo nicht zahlen können, bleiben sie eine kurze Zeit fort oder lassen sich hinauswerfen. Die Sorte ist wir die Schmeißfliegen, zu jeder List und jeder Gannerei bereit; es laufen ihrer über Hundert umher, und das Publikum muß sie täglich mit fast tausend Thalern ernähren, um die ihm die Pariere vertheuert werden. Zum Glück ist wenigstens unsere Börse noch ziemlich rein von dem Besuch der Privaten; das Publikum, das bereits in allen Ständen massenhaft speculirt, liegt noch in den Händen der großen und kleinen Banquiers, und nur Wenige kommen selbst. Da ist ein Exemplar. Sehen Sie da an dem Baum links den langen schwarzgekleideten Herrn, welcher mit einem meiner Kollegen spricht?«

»Den mit der Brille? ja.«

»Er ist Hauslehrer bei dem *** Gesandten. Bei der türkischen Kriegserklärung, die er von seinem Prinzipal erfahren, wagte er sich auf das Glatteis der Börse und gab mir einen Auftrag. Er gewann, indem er sein ganzes Erbtheil, 400 Thaler, wagte, damit das Doppelte und speculirt seitdem fortwährend, bis – – Da drüben am Gitter des Museums neben Piefke mit seinen weißen Mäusen und Inseparables, die nur zusammenleben und die er einzeln verkauft, – steht ein Bild von dem gewöhnlichen Ende solcher Privatspeculanten.«

»Der Mensch in dem desolaten Aufzug, der so unverwandt hieher schaut?«

[62] »Vor zwei Monaten noch hatte er Credit für Tausende, obschon er längst ruinirt war. Der Mann besaß zwei Häuser in der Friedrichsstraße und ein gutes Geschäft. Als der Actienschwindel bei uns begann, wollte er mit Gewalt seinen Wohlstand zu Reichthum ma chen und ließ sich, obschon er nicht das Geringste davon verstand, mit einem Spiritusspeculanten ein. Später, um sich herauszureißen und die erlittenen Schlappen zu decken, machte er in rheinischen Actien und verlor in Zeit eines Vierteljahrs 75,000 Thaler. Er ist jetzt ein Bettler, aber so auf das Börsenspiel versessen, daß er täglich wenigstens hierher kommt, um von ferne zuzusehen. Seine Familie hat jetzt oft kaum das trockene Brot.«

»Solche Beispiele werden durch die entgegengesetzten aufgewogen, es fehlt gewiß auch hier nicht an Leuten, die rasch reich geworden.«

»Im Gegentheil, sie schießen wir Pilze aus der Erde und Niemand weiß oft, woher die Mittel zu der Verschwendung kommen, die sie so plötzlich entwickeln. Der Herr im grünen Reitfrack, der sich dort rechts nach Kalau drängt, – entschuldigen Sie, Sie verstehen den Kunstausdruck nicht, jener Fleck heißt bei uns Kalau, und die große Gesellschaft der beschriebenen dritten Kategorie, die sich dort zu postiren pflegt, heißt man Kalauer, – also jener Herr hatte, wie unsere meisten Kleiderjuden, bereits zwei Mal Bankerott gemacht, sich aber damit im Gegensatz zu ihnen völlig ruinirt, so daß er, um den Executoren zu entgehen, nirgends eine bleibende Wohnung hielt. Seit vier Wochen fährt er mit einem eleganten Tilbury, nimmt im Opernhaus nur Fremdenloge, trägt täglich vier Paar strohgelbe Handschuhe und führt Signora Caspari in den Pariser Keller. Bis zu einer Tänzerin hat er es freilich noch nicht gebracht, so gern er auch den Baron spielen möchte.«

»Welche Papiere haben ihn denn so plötzlich reich gemacht?«

»Reich – Börsenpapiere? Beides weniger. Er ist Commissionair geworden und makelt in Rittergütern; auf die Börse kommt er nur so nebenbei.«

»In Rittergütern? – ich denke, der preußische Adel conservirt sein Grundeigenthum?«

»Die Gütercommissionaire sind jetzt ein coulantes Geschäft und vermehren sich täglich. Die Zeitungen wimmeln von ihren [63] Anzeigen, in denen sie herrschaftliche Güter jeder Art und Größe zum Verkauf anbieten, und wenn auch drei Viertel dieser Annoncen notorisch erlogen sind, so verstehen sie doch bei dem bleibenden Viertel die beiden Parteien so gründlich zu schröpfen, daß der Wucher, der mit dieser Erscheinung eng zusammenhängt, daneben eine Tugend ist. Nun, Herr Levi,« – er sprang rasch zu einem Vorübergehenden, – »wollen Sie noch eine kleine Post Nordbahn-Väter?«

Der kleine dicke Mann, den er angeredet, rieb sich innerlich lachend die Hände.

»Was soll ich thun damit, Herr von Treumund? Einstweilen wollen wir abwarten die Bestätigung von die Nachrichten von die Tataren und von die Schiffscapitaine von's Schwarze Meer. Sie wissen, Freund, ich bin vorsichtig.«

»Das ist ein schlimmes Zeichen,« flüsterte zurückkehrend der Courtier zu dem Grafen. »Der Mann ist der Geldfaiseur höchst einflußreicher, ja hoher Personen, die rechte Hand von Leuten, die am Staatsruder sitzen, und in vielen Beziehungen ein höchst scharfsinniger Patron. Eine Hand wäscht die andere und Geldgeschäfte und Lieferungen haben ihn zum reichen Mann gemacht. Gewiß sinnt er dafür schon, welchen Patriotismus er am Königs Geburtstag an's Lampenlicht stellen oder welche neue finanzielle Denkschrift er für einen seiner Mäcens vom Stapel lassen wird. Der Mann wirft Hunderte fort für eine seiner rastlosen Launen und schlägt dafür einen jungen Handwerksmann halb todt, weil dieser sich nicht ein Viertel seiner Rechnung kürzen lassen will. Aber ich muß ihm nach und ihn zu einem, wenn auch noch so kleinen Geschäft bewegen. Hier auf der Börse achtet man auf Alles.«

Er schoß davon.

Aus dem Menschenstrom, der aus dem Börsensaal nach dem Vorplatz und zurück wogte, drängte sich ein kleiner noch ziemlich junger Mann mit gebogener orientalischer Physiognomie und etwas Kreuzfeuer in den Augen voll zuckersüßer Aufdringlichkeit zu dem österreichischen Cavalier.

»Ganz gehorsamster Diener, Herr Baron, freut mich, die Ehre zu haben, Sie wiederzusehen. Sagen Sie mir, Sie müssen's wissen, Sie sind Diplomat, ist es wahr, daß gedonnert haben die Kanonchens am Invalidendom? Wie käme der Tatar dazu, zu bringen eine falsche Nachricht an Omer-Pascha, er muß es wissen [64] wenn auch versiegelt geblieben ist die Depesche; 22,000 Russen gefangen, der Kaiser Napoleon ist bei Gott ein großer Mann! Was sagt der Herr Gesandte dazu?«

Der junge Diplomat betrachtete mit einem gewissen vornehmen Mißbehagen den kleinen Hebräer.

»Ich habe nicht das Vergnügen –«

»Herr Baron, Sie werden mir kennen, – ich habe die Ehre gehabt auf dem großen Ball bei Herrn von Magnus; unsere Firma ist unter den Linden – was meinen Sie, könnte man einen Schlag wagen? ich werde Sie betheiligen mit zehn Prozent.«

Der Ataché verbeugte sich ablehnend.

»Bemühen Sie sich nicht, ich spiele nicht an der Börse.«

»Schade! – Auf ein Wort, Herr Meyer! Was denken sie? die österreichische Gesandtschaft ist hier auf der Börse, sie hat mir eben eine wichtige Mittheilung gemacht; lassen Sie uns kaufen, Dreiundachtzig ein Halb, das Geschäft ist gut.«

Das Gedränge entführte ihn. In seinem Schutz war der Abbé zu dem Sardinier getreten.

»Sehen Sie dort die beiden Männer, die eben mit unserm Courtier sprechen?«

»Der Eine sieht hierher?«

»Richtig; es ist der wiener Polizei-Agent, der Andere ein hiesiger Beamte.«

»Der Mensch hat eine vertrackte Physiognomie, so schmuzig und tückisch. Unser würdiger Bandit Sta Lucia, der wer weiß wo ein Ende genommen haben muß, war ein Apollo gegen dies Galgengesicht. Wie heißt das Subject?«

»Heller. Er ist ein verdorbener Advokat von wenig ehrenvollem und moralischem Ruf, machte schon vor 48 den Polizeispion in Pesth und lieferte manchen Patrioten nach dem Spielberg. Bei der Revolution spielte er plötzlich den Republikaner, half das Zeughaus stürmen, wenigstens rühmt er sich dessen, drängte sich bei allen Demonstrationen vor und vertheidigte die Hochverräter und Majestätsbeleidiger. Später, nachdem das Handwerk der Demokratie nicht mehr ging, wußte er sich wieder in den Polizeidienst zu bringen und nimmt zur Schande des Kaiserstaats und zum Aerger aller ehrlichen Leute eine hohe Stellung darin ein, ja man hat sich so weit vergessen oder mit ihm eingelassen, daß man ihm sogar Orden des Landes aufgehängt hat.«

[65] »Und wie nimmt er sich jetzt gegen die Demokratie?«

»Er verfolgt sie als Renegat auf das Bitterste, obschon ich überzeugt bin, er würde gern Cartel mit uns machen, wenn wir dazu geneigt wären. Im Uebrigen erlaubt er sich jede Willkür und Dinge, die jeden Andern vor die Schranken des Kriminalgerichts bringen müßten. Man hat ihn entweder zu tief in die Karten schauen lassen oder braucht ihn zu nothwendig. Wir können dabei nur gewinnen, denn sobald das monarchische System erst zu dem Grundsatz kommt, die sogenannte Treue und die Ehrenhaftigkeit und Moralität des Standes einer Nützlichkeit der Person zu opfern, untergräbt es selbst das vielgepredigte Rechtsbewußtsein im Volk, entkleidet seine Aemter und Auszeichnungen des Nimbus, und das Gewissen des Volkes fällt uns in die Hände. – Vorläufig aber müssen wir uns der Macht des Augenblicks fügen und ich bitte Sie daher, daß Sie mich in einer nicht auffallenden Weise mit Ihrem Begleiter bekannt machen und in's Gespräch bringen. Das wird vorläufig jenen irritiren und uns vor Belästigungen oder Nachfragen sichern.«

Der Gesandtschafts-Cavalier hatte sich eben wieder nach dem kleinen Intermezzo zu seinem Begleiter gewendet, der ihm rasch den Gefährten als seinen Banquier und Geschäftsführer vorstellte und beide in ein Gespräch verwickelte.

»Mon Dieu! Diese Leute scheinen mir alle den Kopf verloren zu haben über die gestrigen und heutigen höchst unzuverlässigen Nachrichten,« sagte der junge Diplomat. »Wer wird einer türkischen Depesche glauben und noch dazu einem bloßen Gerücht! Aber überall, wo man sich hinkehrt, hört man von Nichts als von diesem merkwürdigen Tataren und der Schiffernachricht.«

»Ich bitte Sie, Baron,« flüsterte der Graf, »stören Sie die Leute nicht in ihrem Glauben. Die erste Regel in der Diplomatie ist, keine eigene Meinung zu haben. Wir sind hier, um uns an diesem Treiben zu amüsiren und zu belehren, und da kommt auch unser gefälliger Cicerone zurück.«

Ein Blick verständigte den Abbé mit dem Courtier, daß die Geschäfte im vollen Gange. Der Attaché wollte die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, sich über preußische Verhältnisse zu unterrichten. – »Ich habe gehört, daß Ihrem Hypothekenwesen jetzt in gefährdender Weise die Kapitalien entzogen und der Speculation zugewendet werden,« sagte er. »Auf meinen Gängen durch die [66] Straßen bemerkte ich, daß sich die Zahl Ihrer Banquiers bedeutend vermehrt!«

Der Courtier verzog den Mund.

»Wer ist heutzutage nicht Banquier?« Nicht Jedermann ist so bescheiden, wie die hübsche kleine Frau eines dicken Freundes von mir, die, vor Kurzem bei ihren Verwandten in Schlesien zum Besuch, von diesen in einem Kaffeeklatsch als Frau Banquier Langsam aus Berlin vorgestellt wurde und zum Entsetzen der Familie spöttisch berichtigte: »Mit Erlaubniß, wir machen vor der Hand blos kleinen Wucher!« –

Der Baron lachte.

»Was die Zahl dieser sogenannten Banquiers betrifft,« fuhr der Courtier fort, »so vermehrt sie sich allerdings, wie die Fliegen, und geht unter dieser Firma frei aus vor der Staatsanwaltschaft. Denn alle Geschäfte dieser kleinen Meute des Geldmarkts gehörten eigentlich vor deren Forum.«

»Wie das?«

»Es ist leicht erklärt. Jeder angehende Handelsagent, der ein Bischen Witz und Credit hat und die Anfertigung einer eleganten Firma nebst einer Pränumerandomiethe in einer noblen Verkehrsstraße bezahlen kann, etablirt sich jetzt als Banquier, sucht Bekanntschaften und offerirt seine Dienste zu Geldgeschäften. Bei der Art, wie sie diese Geschäfte dem Publikum gegenüber ausbeuten, müssen diese Leute sämtlich reich werden, wenn sie eben nicht wieder auf eigene Hand speculirten. Ich will Ihnen einmal vorrechnen, wie das Publikum von den Banquiers in die Scheere genommen wird. Ein Besitzer, der kaufen oder verkaufen will, giebt z.B. einem Banquier den Auftrag, 6000 Thaler Berlin-Hamburger Actien ihm zu verkaufen. Der Banquier berechnet dafür an erlaubten Vortheilen zunächst halbe Courtage für den Makler, während er wahrscheinlich das Geschäft selbst gemacht hat, daß heißt 1/2 per mille, also hier 3 Thaler, Provision für die Besorgung 1/6 Prozent, also hier 10 Thaler. Sie werden mir zugeben, daß 13 Thaler für ein ganz kleines müheloses Geschäft schon ein recht hübscher Verdienst wären. Aber man ist weit entfernt davon, sich damit zu begnügen! Es gilt, den Committenten nach dem Kunstausdruck zu ›schneiden,‹ und das geschieht in folgender Weise. Der Agent schlägt die Papiere an der Börse für 1091/2 los und berechnet seinem Auftraggeber 109, [67] höchstens 1091/4 dafür, vielleicht auch gar nur, wenn's ihm bei den Notirungen glückt, 1081/2. Das ist demnach ein kleiner Extraprofit von 15, 30 oder 60 Thalern bei dem einzigen unbedeutenden Geschäft, ohne das geringste Risiko, und im Grunde doch nichts Anderes als Betrug.«

»Aber kann derselbe nicht nachgewiesen werden?«

»Das ist fast unmöglich. Sie werden bereits bemerkt haben, daß zu gewissen Personen hier fortwährend die Leute sich herandrängen und ihnen eifrig zusprechen. Es sind dies die vereideten Makler, welche die Course zu notiren haben, oder die Börsen-Berichterstatter der Zeitungen. Diesen Personen, wenn sie nicht selbst betheiligt sind, was bei der Presse sehr häufig der Fall ist, weiß man auf alle mögliche Weise die Notirungen nach dem eigenen Vortheil aufzudrängen. Man sagt ihnen, hier hab' ich eben zu dem und dem Cours gekauft oder verkauft, und auf ein Vierteloder ein halb Prozent ist die Sache oft gar nicht zu unterscheiden. Deshalb auch finden Sie erstens in den öffentlichen Notirungen die bezahlten Course oft in verschiedenen Steigerungen notirt, und in den fünf oder sechs Courszetteln, die hier an der Börse herauskommen und zum Theil auf diese Spekulation gegründet sind, die Course sehr häufig ganz verschieden angegeben. Der Banquier hält nun die sämtlichen Courszettel, vielleicht von jedem ein Dutzend im Abonnement, er sucht sich für das bezeichnete Geschäft gerade den Courszettel heraus, der ihm zum ›Schneiden‹ am vortheilhaftesten paßt, legt ihn bei der Berechnung seinem Committenten bei, und dieser schwört noch darauf, wie solide der Mann ihn behandelt, während er schändlich über's Ohr gehauen ist. Das, meine Herren, nennt man ›Börsen-Usance,‹ und diese Usance herrscht nicht etwa blos bei den Jobbers und Kalauern!«

»Die große Presse könnte hier viel dagegen thun.«

»Die Presse, Herr Baron, wird im Gegentheil auf das Schändlichste mißbraucht und verbreitet die Täuschung im ganzen Lande. Die Redacteure der großen politischen Zeitungen verstehen fast durchgängig Nichts von den Börsengeschäften und müssen diesen Theil ihres Blattes den engagirten Berichterstattern überlassen. Nun ist es leicht zu begreifen, wie die auftauchenden großen Geldinstitute bedacht sind, die Notirungen ihrer Papiere zu treiben. Wir haben Scandalfälle gehabt, nicht blos in Wien, sondern auch hier, daß die Börsen-Berichterstatter der politischen Zeitungen mit 20, [68] 30, 50,000 Thaler Actien betheiligt werden, blos um ihr Interesse dafür zu gewinnen. Das Manöver ist ganz gewöhnlich; die geheimen Akten der Institute in Braunschweig, Darmstadt, Dessau etc. könnten Wunderdinge davon erzählen. In den meisten Fällen bleibt die Sache natürlich diskret, nur zuweilen bei widerwärtigen Börsenzänkereien platzt die Bombe, es kommt ein förmlicher Handel mit den Notirungen und Poussirungen zum Vorschein, wie es vor einiger Zeit mit einer großen hiesigen Zeitung passirte; man wechselt die Berichterstatter und – die Sache bleibt beim Alten! Zum Theil auch – wie jener kleine Orientale dort, der so eifrig umherschiebt – spekuliren die Herren auf eigene Hand. Mundus vult decipi – es kommt Alles nur auf das Air an, mit dem es geschieht!«

»Aber den großen Banquiers kam diese Pfuschbörse doch unmöglich recht sein?«

»Es ist Nichts dagegen zu machen; das Einzige, was sie thun können, ist, manchmal Einem oder dem Andern einen Genickschlag beizubringen, der ihm eben so rasch zum Bettelstab hilft, wie er reich geworden. Bemerken Sie den großen Mann da? – er ererbte ein Vermögen von 200,000 Thalern und eines der brillantesten Geschäfte; das Vermögen ist durch die Spekulation in Spiritus und Getreide binnen zwei Jahren verloren gegangen. Sehen Sie dort die orientalische Physiognomie? – der Besitzer kam reich von Breslau hierher, spekulirte vortrefflich und verzehnfachte sein Vermögen. Seit drei Monaten aber fällt ihm jede Spekulation an der Börse gegen, es ist, als ob er mit Blindheit geschlagen wäre. Ich gebe nicht 1000 Thaler mehr zu Gunsten seiner Bilance, und fährt er noch vierzehn Tage so fort, so ist die Pleite unausbleiblich.«

»Aber warum stürzt sich der Mann in sein Unglück?«

»Ein Jeder ist der Schmied seines Schicksals und seines Goldes. Es ist das Börsenfieber, das ihn ergriffen, und das so gut existirt, wie das Fieber am Roulet. Er wird daran verbluten, denn er ist ein ehrlicher Jude, dem der ehrliche Name über das Leben geht, und statt Bankerott zu machen, wie hundert Andere thun würden, wird er es mit dem Leben zahlen. Der Fall ist noch kürzlich mit einem reichen Banquier vorgekommen, der des Wuchers angeklagt war. Glauben Sie mir, meine Herren, das Spiel an der Börse ist verführerischer und zeigt ärgere Leidenschaften [69] ruft krasseren Jammer hervor, als der verpönte grüne Tisch in Homburg oder Baden-Baden! Nicht Alle wissen und wollen aus dem Bankbruch ihrer Habe oder ihres Rufs hervorgehen, wie jener Herr dort mit der ruhigen gemessenen Physiognomie, der vor einiger Zeit auf der Leipziger Messe den englischen Fabriken, die ihm Hunderttausende anvertraut, seine Zahlungseinstellung anzeigte, aus gesicherter Ferne 20 Procent bot und, nachdem dies Arrangement geschlossen war, sich jetzt Palast über Palast baut. Da, da – laufen zwei Spekulanten, die, der Eine zwei Mal, der Andere drei Mal, Bankerott gemacht haben und die jedes Mal reicher aus den Arrangements hervorgingen, wie sie gewesen waren. Für Jenen dort schossen vor vier Wochen, als er pleite war, seine guten Freunde an der Börse 1000 Thaler zusammen und heute hat er bereits wieder 20,000 erspekulirt. Und hier, – sehen Sie den Wicht im blauen Frack mit goldenen Knöpfen? – der Mensch hat mehr als ein Mal wegen Diebstahls in Spandau gesessen und in seinem Vorzimmer antichambriren jetzt Barone und Grafen.«

»Ich habe gehört,« bemerkte der Attaché, »daß sich der norddeutsche Adel mehr mit Geldspekulationen beschäftigt, als der unsere.«

»Warten Sie, bis Sie die gehörige Anzahl Spiritusbrennereien haben, und es wird eben so sein. Der Spiritus und das Korn ist jetzt ein Spekulationsartikel, so gut wie die Eisenbahn-Actien. D'rum hat man die Börsen auch zusammengeworfen. Dort am Fenster rechts steht ein Stettiner Jude, der jährlich hier an der Berliner Börse in Zahlen gerade noch ein Mal so viel Getreide in Zeitkäufen verhandelt, als ganz Europa produzirt. Er hat zu gewissen Zeiten tausend Wispel fortwährend unterwegs von einem Börsenort zum andern, blos um die Lieferungen fingiren zu können. Noch vor einigen Tagen machte er einen kolossalen Schlag, indem er über Nacht sämtliches Bahnhofsfuhrwerk miethete, so daß die Verkäufer nicht im Stande waren, die herbeigeholten Vorräthe, wie Börsen-Usance, von den Bahnhöfen in die Stadt zu schaffen und deshalb Tausende als Differenz zahlen mußten. Kaufmann und Produzent spekuliren jetzt mit dem täglichen Brot des Unbemittelten. Jener Mann, der hier vorbeigeht, hatte an einem der letzten Lieferungstage alles Korn aufgekauft und war so bescheiden, den Preis von blos hundert Procent für vierundzwanzig Stunden zu verlangen. Die Differenz wurde diesmal mit den [70] Fäusten ausgeglichen und die Zahlungsart scheint jetzt Börsengebrauch zu werden.«

Graf Pisani, der nur wenig auf die Redseligkeit seines Comissionairs gehört, sondern sich leise mit dem Abbé unterhalten hatte, wandte sich zu ihm. – »Die beiden Herren, mit denen Sie vorhin sprachen, sind Polizeibeamte? Was thun sie hier?«

»Der hiesige Beamte, der bei dem andern dasselbe Geschäft, wie ich bei Ihnen, das des Cicerone, versieht, scheint die Geschäfte eines unserer Hauptfaiseurs zu beobachten, den ich Ihnen bereits bezeichnete. Der Fremde scheint Sie, Herr Thomas, zu kennen, er erkundigte sich besonders nach Ihnen und dem Herrn Grafen und ob Herr Thomas mit dem Herrn Attaché bekannt sei?«

»Und Sie bejahten?«

»Versteht sich; es standen gerade einige unserer Fixer in der Nähe und hörten jedes Wort. Die Vormundschaft eines unserer Privattheater ist in jener Ecke stark vertreten. Des Abends erscheinen die Herren als Protektoren der Kunst, obschon sie zum Theil nicht in besonderem Geruch stehen, des Vormittags gehören sie zur Kategorie Nummer Zwei an der Börse. Der ältliche Herr dort, der auch dazu gehört, ist mir einer der Liebsten der ganzen Börse, solid und nobel; dem kleinen Orientalen an seiner Seite ist neulich ein Gastwirth mit 20,000 Thalern durchgegangen und es schwebt ein interessanter Prozeß über die Sache. – Doch in fünf Minuten ertönt die Schlußglocke und ich muß die Notirungen von meinen Geschäftsfreunden sammeln. Da wird die telegraphische Depesche eben verlesen, die seit einer Stunde kein Geheimniß mehr ist. Wenn es Ihnen Vergnügen macht, hören Sie zu.«

Der bereits erwähnte mit der Veröffentlichung der Börsen-nachrichten beauftragte Makler stand, von der Menge umdrängt, auf einer Erhöhung und verlas eben jene Depesche, mit der sich damals ganz Europa blamirte.

Sie lautete:


»Paris, vom 3. Morgens. Der heutige Moniteur bringt eine aus Wien datirte Depesche des dortigen französischen Gesandten Baron Bourqueney mit der Meldung, daß am 30. vorigen Monats in Bu karest ein Tatar mit Depeschen für Omer Pascha eingetroffen, welche wegen dessen Abwesenheit nicht geöffnet worden sind. Nach dem mündlichen Berichte des Tataren ist Sebastopol eingenommen, 22,000 Russen [71] sind gefangen, 18,000 getödtet, das Fort Constantin ist in die Luft gesprengt und sechs russische Linienschiffe sind untergegangen.«


Die geheimen Faiseurs, deren Intrigue und Mittel wir angedeutet, machten damit die glänzendste Spekulation. Nachdem die Course durch ihre wohlberechneten Manöver bedeutend im Steigen waren, verkauften sie enorme Summen zu diesen hohen Sätzen für die nächste Abrechnung, gewiß, daß schon in den folgenden Tagen das Ausbleiben der Bestätigung und die entgegengesetzten Nachrichten die Course wieder herabdrücken würden. Die Profite, die damit an den Börsen von Wien, Berlin und Paris in demselben Augenblick gemacht wurden, betrugen über eine Million.

Der Abbé war den darauf folgenden Tag mit den Bilancen beschäftig. Als er am zweiten der spanischen Tänzerin seinen Besuch machte und ihr eine Reise und ein Gastspiel in Warschau und Petersburg vorschlug, fand er jedoch unerwartete Ausflüchte, ja zuletzt völlige Weigerung.

Zwei Tage nachher war die Spanierin verschwunden, – wie es hieß, in Begleitung des russischen Fürsten Jaboleff. Erst im Frühjahr kam sie unter'm Schutz ihres neuen Mäcens in den böhmischen Bädern wieder zum Vorschein. Man sagt – so unwahrscheinlich es bei einer Tänzerin lautet – daß sie den Fürsten wirklich geliebt, wenigstens sprach dafür, daß die eigensinnige Donna in alle Launen ihres Geliebten sich mit sclavischer Hingebung fügte. Wie es auch sei, Liebe oder Weiberlaune hatte das Band gesprengt, das sie bisher den geheimen Plänen dienstbar gemacht.

Fußnoten

1 Börsenausdruck für Staatsschuldscheine.

2 Statt Zehntausend, nach dem Börsengebrauch.

3 Kinder und Enkel werden die neuen und neuesten Actien-Emissionen genannt.

4 Französisch österreichische Staatsbahn-Actien.

5 Die Börsenbezeichnungen auch in den Courszetteln sind: Brief (ausgeboten zu dem Cours von ..., ohne Nehmer zu finden); Geld (gesucht zu dem Cours von ..., aber nicht zu haben); bezahlt (wirklich gekauft zum Cours von ...).

2. Die Feuertaufe
II. Die Feuertaufe.

Der Morgen des 17. October zog heiter und lieblich herauf, denn in diesem Klima ist der October gewöhnlich der schönste Monat des Jahres. Der Himmel war wolkenleer und auf dem Meer herrschte vollkommene Windstille.

Unsere Erzählung hat uns nach Sebastopol zurückgeführt, nach Ssewastopol, dessen Südseite drei Wochen der Unthätigkeit des Feindes und der titanenhaften Anstrengung seiner Vertheidiger zur furchtbaren Festung umgeschaffen hatten. Es ist hier an der Zeit, einige [72] Anführungen über die Befestigungswerke zu geben, an denen der kühne Muth von Tausenden verbluten sollte.

Die Befestigungswerke Ssewastopols vor der Krim-Expedition hatten offenbar nur den Zweck, die Flotte des schwarzen Meeres und die ungeheuren Arsenale und Vorräthe dieses Zwingpontus zu sichern und waren daher auch nur auf der Seeseite stark. Ein Angriff von der Landseite durch die Türken, während die russische Flotte das schwarze Meer beherrschte, schien undenkbar, und wir haben gesehen, daß man in unbegreiflicher Verblendung selbst damals, als die verbündeten Armeen schon in Varna lagerten, ihn noch für kaum möglich hielt.

In den letzten Jahren der Regierung des Kaisers Nicolaus war zwar ein Plan zur Befestigung auf der Landseite entworfen, aber nur theilweise ausgeführt worden. Die Festungswerke in einer Länge von 6 Werst sollten sowohl die eigentliche Stadt, als auch die Schiffer-Vorstadt (Karabelnaja decken und sich von der Mündung des Kilen-Grundes 1) um die Schiffer-Vorstadt herum bis an die äußerste Spitze der Südbucht, von hier um die Stadt ziehen und an das Quarantaine-Fort anschließen.

Diese Vertheidigungslinie bestand zur Zeit der Landung der Verbündeten auf der größten Strecke nur aus einer einfachen Steinmauer, durch unvollendete Werke und an einigen Stellen durch zur Vertheidigung eingerichtete Kasernen (Defensiv-Kasernen) gedeckt. Ganz vollendet war nur der Theil auf der westlichen Seite der Stadt von dem Seefort Alexander an, und auf der Ostseite der Südbucht (des großen Kriegshafens) der Thurm auf dem Malachof-Hügel (die Kornitowski-Bastion).

Die Annäherung von der Seeseite wurde durch die bereits zu Anfang dieses Bandes detaillirten Seeforts mit 700 Kanonen großen Kalibers vertheidigt, die in zwei und drei kasemattirten Etagen placirt waren 2).

Der Mann, den General Schilder von seinem Sterbebett [73] dem Fürsten gesandt, Totleben, dessen Patent als Oberst-Lieutenaut zum Dank für die vor Silistria geleisteten Dienste bald nach ihm in Ssewastopol, vom Kaiser unterzeichnet, eingetroffen, hatte sein kühnes Anerbieten gegen den Fürsten wahr gemacht. Während der vierzehn Tage der Waffenruhe entstand wie durch Zauberschlag ein Gürtel von Festungswerken um die Südseite der Stadt. Mit jedem Tage wuchsen neue Bastionen und Batterieen aus der Erde, für deren Armirung das Arsenal und die Schiffs-Artillerie unerschöpfliche Quellen boten. Die Matrosen, die Sappeurs, die Truppen, die Einwohner – Männer, Weiber, Kinder selbst arbeiteten und lösten sich Tag und Nacht ab, Jeder bot willig seine Habe, seine Kräfte, sein Leben zur Vertheidigung der Vaterstadt und des Bollwerks Rußlands im Süden, und nach Verlauf der zwei Wochen – die der Feind mit seinen Einrichtungen verbracht – starrten mehr als 200 Geschütze schweren Kalibers von trefflich angelegten Wällen ihm entgegen, bereit, ihn mit Geschossen aller Art zu begrüßen, und hinter diesen Geschützen harrten todesmuthig die tapfern Land- und Seesoldaten.

Während dieser kurzen Zeit entstanden die Bastionen Nr. 2, 3 und 4, beendigt wurde der Bau der Bastionen Nr. 5 und 6 und der Batterieen vor der projectirten Bastion Nr. 1 und bei dem Thurm auf dem Malachof-Hügel. Den Raum zwischen den Bastionen deckten neuerbaute Batterieen, die unter sich mittelst Trancheen verbunden waren. Am Ende der Südbucht lag das Schiff »Jehudil«, dessen Artillerie den Savandanakina- und Laboratornaja-Grund bestreichen konnte 3).

Zugleich war die Garnison, die am Tage nach dem Abzug des Fürsten Menschikoff und der Besetzung Balaclawa's durch die Alliirten thatsächlich nur aus 11,000 Mann Seesoldaten und Matrosen und 8 Bataillonen der Reserve-Brigade der 13. Infanterie-Division bestand, bedeutend verstärkt worden. Am 28. September schon trafen von Baktschiserai in den nördlichen Festungswerken 29 Bataillone in der Stärke von 23,000 Mann ein. Das Offensivcorps, mit dem sich der Fürst jenseits der Tschernaja nach [74] dem Mekensiewaja-Berg zurückgezogen, betrug zu dieser Zeit nur 25,000 Mann.

Hätten die Verbündeten gleich am Tage nach der Besetzung Balaclawa's eine Recognoscirung gegen die Festung unternommen, so würden sie unfehlbar die Schwäche der Südseite erkannt und einen Sturm unternommen haben, der sie auch bei der heldenmüthigsten Vertheidigung in den Besitz der Stadt gesetzt hätte. Wie jedoch die Gefangennahme und der Tod seines Boten die Verbündeten vor einem verderblichen Angriff auf dem Marsch nach Balaclawa bewahrte, also rettete wiederum die Flucht des greifen Tabuntschik



[75] nach jener Führung, die eine Opferung sein sollte und ein Verrath wurde, die Stadt, denn die Generäle der Feinde glaubten ihre Pläne und ihre Schwäche entdeckt und waren in den ersten Tagen nur darauf bedacht, sich gegen jeden Angriff von russischer Seite zu schützen.

Hierzu trug noch bedeutend der Wechsel des Oberkommando's und die Eifersucht zwischen den Führern der beiden Nationen bei. Der Marschall Saint-Arnaud hatte, bereits zum Tode krank, den Marsch nach Balaclawa in einer Sänfte begleitet – er wollte durchaus vor Sebastopol stehen. Schon vor Balaclawa jedoch trat das Delirium ein und gänzlich entkräftet wurde er am 29. Mittags an Bord des »Berthollet« gebracht, der sofort nach dem Bosporus absegelte. Kaum eingeschifft, kam der Kranke wieder zu sich und unterhielt sich zuweilen mit seinem Schwiegersohn und seinen Offizieren bei vollem Bewußtsein. Augenzeugen erzählen, daß er dabei wiederholt auf den schrecklichen Zug der französischen Colonnen in die verpestenden Sümpfe der Dobrudscha zurückkam. Um 41/4 Uhr wandte er sich plötzlich in seinem Bett um und verschied – an derselben Krankheit, der er zwei Monat vorher Tausende nutzlos und hilflos geopfert. Am Abend des 30. warf der »Berthollet« in Therapia mit gestrichener Flagge seine Anker und setzte die Leiche an's Land. –

Am 1. October erst unternahmen von Balaclawa aus die verbündeten Generäle mit 4 Bataillonen eine Recognoscirung gegen die Festungswerke von Sebastopol und fanden diese bereits so weit vorgeschritten, daß sie sich überzeugten, ein starkes Bombardement müsse einem Sturm vorhergehen. Man beschloß demnach, die Trancheen zu eröffnen, und begann mit den Arbeiten am 4. October.

Zunächst galt es, sich die Rücken- und Flankenlinien der Belagerungsarbeiten zu sichern. Auf der Seite nach Westen deckte das Meer die Belagerer. Die Franzosen hatten an der Kamiesch-Bai 4) eine feste Stellung genommen und schifften hier ihr Belagerungsmaterial und ihre Verstärkungen aus. Am 7. October trafen bereits die 5. und 6. französische Division unter den Generälen Levaillant und Paté und die afrikanischen Jäger hier ein. Die Operationsbasis und der Hafen der Engländer und [76] Türken blieb Balaclawa und hier schifften sich die von Constantinopel eintreffenden Verstärkungen aus.

Die rechte Flanke der Verbündeten, beim Beginn der Belagerung hauptsächlich von den Engländern eingenommen, war von der Bodenbeschaffenheit überaus begünstigt. Zunächst trennte das tiefe Thal der Tschernaja mit den steilen Thalrändern auf eine weite Strecke nach Süden hin die Aufstellung der Alliirten von der auf dem gegenüber liegenden Ufer, dem Mekensiewaja-Berg und den Inkerman-Höhen befindlichen Operationsarmee des Fürsten Menschikoff. Dieser Terrainschutz, den die beiden feindlichen Armeen genossen, erklärt auch, daß ungeachtet der zahlreichen Streitkräfte die Operationen im Felde keinen großen Einfluß auf den Gang der Belagerung und Vertheidigung Sebastopols haben konnten.

Zwischen der Tschernaja und Balaclawa bildeten die unzugänglichen Schluchten des Sapunberges den Schutz der Verbündeten, die hier 16 Feldschanzen aufgeworfen hatten, um diese natürliche Mauer noch zu verstärken.

In der Nacht vom 9. zum 10. October eröffneten die Belagerer ihre erste Parallele, die Franzosen mit 1600 Arbeitern unter dem Schutz von 8 Bataillonen gegen die Mast-Bastion (Nr. 4 in einer Entfernung von 400 Saschen 5). Die Parallele sollte sich bis zur Quarantaine-Bucht erstrecken und mit 5 Batterieen die russischen Werke auf dieser Seite beschießen. Die Engländer erbauten ihre Parallele in der größeren Entfernung von 600 Saschen gegen die Bastion Nr. 3 und verlängerten sie an den folgenden Tagen gegen den Malachof-Hügel und die östliche Seite der Schiffer-Vorstadt. Die Nacht war dunkel, ein starker Nordostwind jagte schwarze Wolken daher, welche den ganzen Horizont bedeckten und es der Garnison unmöglich machten, den Beginn der Belagerungsarbeiten sogleich zu bemerken und zu stören. Als der Tag anbrach, eröffneten die russischen Batterieen ein starkes Feuer, doch konnte dasselbe den Fortgang der Arbeiten nicht mehr hindern. Am 13. bereits führten die Franzosen 53 Geschütze in ihre Batterieen ein, die Armirung der englischen mit 73 Geschützen großen Kalibers, darunter 4 Lancaster-Kanonen, war erst am Abend des 16. beendet. Eine zahlreiche Artillerie stand in Reserve.

Am 15. October versammelten sich die verbündeten Generäle [77] und Admiräle zu einem Kriegsrath. Der Kommandant der englischen Escadre, Dundas, erklärte sich entschieden dagegen, mit den Kanonen seiner Flotte die Landbatterieen durch einen Angriff auf die Seeforts zu unterstützen, wurde aber überstimmt.

Am Morgen des 17. sollten die Flotten in zwei Linien gegen die Rhede vorrücken. Von der französischen Escadre, welche den rechten Flügel gegen das Quarantaine-Fort, die Batterie Nr. 10 und das Alexander-Fort bildete, waren dazu bestimmt in erster Reihe die Schiffe: Charles Magne, Montebello, Friedland, Ville de Paris, Valery, Heinrich IV. und Napoleon; in zweiter: Algier, Marengo, Marseille, Souffrant, Bayard und Jupiter. Das englische Geschwader, gegen das Fort Constantin gerichtet, bestand aus der: Queen, Vengeance, Albion, Britannia, London, Aretusa, Bellerophon, Rodney, Trafalgar, Agamemnon, Sanspareil, Terible und Samson. In der Mitte, zwischen den englischen und französischen Schiffen, standen 2 türkische – demnach 28 Schiffe mit ungefähr 500 Geschützen ihrer Breitseiten gegen die drei mit 260 Kanonen besetzten Seeforts. Tausend Geschütze harrten somit am Morgen des 17. des Signals zum gegenseitigen Feuer.

Wir haben gesagt, daß der Octobermorgen hell und friedlich über die Berghöhen im Osten empordämmerte; die aufgehende Sonne warf ihre ersten Strahlen auf das Meer so leuchtend und glänzend, wie an jenem Morgen, als sie das Grab Fatinitza's und ihres Geliebten vergoldete.

Die Luft war rein, ein leichter Südostwind, welcher den ganzen Vormittag anhielt und die Bewegungen der Flotte erschwerte, strich über die Felsenplateaus. Aus dem Morgendunst tauchten die langen weißen Häuserreihen der »heiligen Stadt« empor, die Schiffe lagen noch träge und regungslos auf den spiegelglatten Fluthen des Meeres und der Rhede, daß man sie für todte Bilder auf einem gemalten Ocean zu halten versucht war. Terrassenförmig steigt hinter der crenelirten Mauer auf dieser Seite die Stadt mit ihren Kirchen, stolzen Gebäuden aus weißem oder rothem Sandstein, ihren Gärten und Baumgängen am Hügel empor, der sich auf der Südwestseite an 200 Fuß hoch erhebt und sich dann zu der Rhede, der Bucht und den Südforts hinabsenkt.

In einer Embrasüre der Kapitale der Mast-Bastion saß der junge Fürst Barjatinski, der wackere erste Lieutenant des Wladimir, mit mehreren seiner Kameraden plaudernd, während um ihn [78] her die Matrosen die schweren Schiffsgeschütze in Stand setzen, Kugeln häuften, und die Werkzeuge der Vernichtung von dem Thau polirten, der sich über Nacht auf das blanke Metall gelegt. Der 30. Flottenequipage nebst der Mannschaft des »Wladimir« unter dem Oberbefehl des Vice-Admirals Novossilski war die Vertheidigung der wichtigen Mast-Bastion anvertraut worden.

Der Fürst legte das Fernrohr, das er einige Augenblicke am Auge gehabt, aus der Hand, glättete die gelben pariser Glacé-Handschuhe schärfer über die Hand und holte aus der Tasche seines grauen Paletots den goldgestickten Tabacksbeutel mit dem duftenden Latakia, um sich eine neue Cigarre zu drehen.

»Reich' mir die Lunte, Koschka,« sagte er nachlässig, »wir werden noch zu verschiedenen Rauchwolken Zeit haben, ehe wir die ihren da drüben aufsteigen sehen. Willst Du Dich bedienen, Birjulew

Er warf einem in seinen Paletot auf dem Boden liegenden Offizier den Beutel zu, während der riesige Matrose, den er angesprochen, mit der brennenden Lunte eines Geschützes herbeisprang.

»Ich bin neugierig,« sagte der Offizier am Boden, »ob sie ihre Schiffe in's Gefecht bringen?«

»Bah – vielleicht versuchen sie's, aber die Quarantaine und Constantin würden ihnen eine Lection geben, die sie für künftig in gehöriger Entfernung hielte. Wie steht der Wind, Kusmenko?« Der junge Aristokrat war zu blasirt, um den Wolkenzug eines eigenen Blicks zu würdigen.

»Süd-Süd-Ost, Euer Gnaden!«

»Ein trefflicher Strich, um nach Odessa zu fahren.«

»Was giebt es Neues in Petersburg?« fragte der Lieutenant Birjulew. »Ich sah, daß Sie gestern einen Brief erhielten.«

»Gagarin von der Garde hat mir geschrieben. Der liebe Junge wußte noch Nichts von unserer Affaire an der Alma und glaubt mich schwerlich hier mein Nachtlager auf dieser verteufelten Maner halten. Der Kaiser hat ein Witzwort gemacht, und das läuft durch die Stadt, weil es ziemlich selten passirt.«

»Erzählen Sie, Fürst.«

»Der Kaiser begegnet nach den neulichen Unterhandlungen mit Wien – Sie wissen, daß Heß, unser erbitterter Gegner, das Kommando der Invasionstruppen erhalten hat – dem General Fürst Radziwil. – ›Du bist ein Pole, Fürst,‹ sagt der Kaiser, ›und [79] wirst die Geschichte Deines Vaterlandes kennen. Kannst Du mir sagen, welches die beiden dümmsten Regenten von Polen gewesen sind?‹ – Der General schaut ihn verlegen an und stottert: ›Nein, Sire!‹ – ›Dann will ich es Dir sagen. Sobieski ist der Eine, weil er Wien entsetzte, und ich bin der Andere, weil ich Oesterreich rettete.‹«

Der Lieutenant lachte. – »Ich meinte eigentlich, welche Neuigkeiten man vom Kriegsschauplatz im Norden meldet?«

»Ei so, ich dachte, Du verlangtest Petersburger Hofgeklätsch. Nun, daß sich Bodisco in Bomarsund gefangen gegeben, statt sich und das Nest in die Luft zu sprengen, ist keine Neuigkeit mehr – die Flotten haben seitdem einige Plünderungen an der finnischen Küste verübt und beziehen ihre Winterquartiere in Kiel, während die unsere in Kronstadt fault. Der Teufel hole das Glück zur Marine zu gehören, ich habe es immer dem Großfürsten Constantin verdacht. A propos, weißt Du, daß die Engländer das Schloß meines Onkels Woronzoff an der Yalta geplündert haben?«

»Massandra?«

»Gewiß. Auch des Grafen Potozki himmlische Besitzung Livadja und des Fürsten Dundukoff Gut Korjakoff sind von den Halunken unter dem Vorwand einer Fouragirung völlig geplündert worden. General-Lieutenant Rischef hat jetzt eine starke Recognoscirung nach dem Baidarthal gemacht und die Feinde können nur an den Küsten fouragiren. Ich würde Iwan Oczakoff rathen, seine schöne Schwester von Schloß Aya in Sicherheit zu bringen, so fest es auch auf den Klippen am Meer gelegen ist. Wie ich höre, befindet sich überdies eine zweite Dame da, eine Freundin des Obersten Wassiltschikoff, und das Beispiel der Fürstin Tschestsawadse lehrt uns, daß es gefährlich für Damen ist, in der Nähe der Feinde allzusehr auf die Sicherheit der Wohnung zu trauen«.

»Hat man von den Unglücklichen Nichts weiter gehört?«

»Ei freilich! Schamyl hat die Damen – Du weißt, daß auch die Fürstin Orbelion und eine Verwandte der Tscheftsawadses, eine junge polnische Gräfin, die erst kurz vorher in der Kachetie eingetroffen war, ehe die Tschetschenzen sie überfielen, mit gefangen genommen wurden, – in das Innere der Berge nach seiner Felsenveste Pokhalski geschleppt und fordert ein unverschämtes Lösegeld. Er will vierzigtausend Rubel und seinen Sohn Djemala-Din zurück.«

[80] »Wenn ich recht weiß, ist dieser ja Offizier?«

»Er steht bei den Ulanen in Podolien. Der Fürst hat sich an den Kaiser gewandt und ihm das Verlangen des Imams vorgelegt. Man kennt die Entscheidung noch nicht. Schorte wos mi! Da regen sich die Franzosen und da drüben auf der Batterie des Krähennests geben die Unsern Signale. Wir wollen den Admiral benachrichtigen lassen. – Heda, Fähnrich Bitschesko, meldet Seiner Excellenz, daß der Feind sich rührt.«

»Da kommt er selbst und Korniloff mit ihm.«

Das Ravelin herauf kamen langsam mehrere Reiter mit nebenhergehenden Offizieren sprechend. Es war der Admiral Korniloff, der mit seinem Collegen Novossilski herankam. Seit dem Tagesgrauen war der General-Stabschef des Fürsten Menschikoff, dem die Vertheidigung der Festungswerke anvertraut war, zu Pferde und beritt die einzelnen Theile. Ein Urrah der Matrosen begrüßte den geliebten Führer.

»Nun, Kinder,« sagte der Admiral, »ich fürchte, es wird heute heiß her gehen, aber ich kenne Euch und weiß, was Ihr leisten könnt. Bei Euch wird der Lärmen zuerst anbrechen, deshalb bin ich hierher gekommen. Sieh' da, Barjatinski! Guten Morgen, Kamerad!«

Er reichte dem Fürsten die Hand. – »Ah, meine Wackern von der ›Maria‹ – toller Koschka und Du, Bolotnikow, und der alte Schewtschenko. Wo ist Rostislaw, Euer Batterieführer?«

»Ich habe ihm die Batterie dort drüben anvertraut, welche die Leute das Krähennest nennen.«

»Charoscho. Er wird seine Schuldigkeit thun. Was starrst Du mich so trübselig an, Fürst Petrowitsch, da wir doch zum Tanz gehen«?

Der junge Mann trat an den Admiral und deutete mit der Hand auf eine seltsam geformte breite Waffe, die derselbe als Seitengewehr angeschnallt trug. Es war eine Schaschka 6 von alterthümlicher Arbeit, die breite Scheide mit großen Stahlbuckeln belegt, der Griff von künstlich ciselirter Arbeit.

»Excellenz«, sagte der Fürst, »es betrübt mich, daß Du die Waffe heute trägst. Ich bitte Dich, lege sie ab und nimm meinen Säbel.«

[81] »Närrchen! kommst Du wieder mit der alten Geschichte. Ich hatte die Schaschka zufällig zur Hand, aber da sie an meinem Gehenk ist, mag sie daran bleiben. Wir haben keine Zeit zu Ammenmährchen und vor den Kugeln der Feinde steht der Admiral wie der Lieutenant. Leih' mir Dein Glas, Söhnchen, und laß mich sehen, was die Franzosen beginnen.«

Er stieg vom Pferde und setzte sich an den Posten dem Signalmanns auf die Blende, das Fernrohr am Auge, während seine Begleiter und die Offiziere der Bastion ihre Blicke gleichfalls nach den Batterieen der Feinde richteten.

»Wir werden das Feuer der drei Batterieen dort auszuhalten haben,« sagte der Admiral, »ich zähle 27 Enceinten, und wenn mich das Auge nicht täuscht, dort in der rechten sechs stattliche Mörser. – An die Geschütze, Kinder – ich glaube, sie beginnen ihr Feuer!«

Von dem Thurm der Kathedrale schlug es eben halb Sieben. Die Glockenschläge waren noch nicht verklungen, als aus der dritten französischen Batterie eine Rauchsäule sich emporkräuselte und ein dunkler Punkt im Bogen mit jenem prasselnden Zischen durch die Luft kam, das den Bomben eigen ist. Der Knall hallte durch die Luft und zwei weitere Schüsse folgten unmittelbar darauf.

Im nächsten Moment schien die Erde zu erbeben, die Luft zu erzittern. Ueber dreihundert Geschütze schweren Kalibers hatten gleich als hätten sie auf das Signal gewartet, von beiden Seiten auf dem ganzen Halbkreis von der Quarantainebucht bis zum Kilengrund ihr furchtbares Feuer begonnen und schütteten einen Hagel eherner Todesboten rings umher.

Korniloff beobachtete unbeweglich auf seinem ausgesetzten Posten die Wirkung des Feuers, während der Unteroffizier, der mit der Signalisirung beauftragt war, ungeduldig und besorgt daneben stand.

– »Deine Kugeln schlagen zu niedrig, Birjulew,« sagte der Admiral, »lasse etwas weniger Pulver nehmen, oder visire höher – da – der Schuß that seine Wirkung, der Mörser ist demontirt!«

– Er sprang von der Brustwehr herunter und reichte dem Mann das Glas, der alsbald den gefährlichen Posten einnahm. – »Und jetzt, Lieblinge, da ich Euch in voller Arbeit sehe, will ich Euch verlassen und weiter. Gott schütze das heilige Rußland!«

Der Ruf, wie ein Donnerrollen sich über die ganze fernerspeiende Bastion fortpflanzend, übertönte das Krachen der Geschütze. [82] Nur einen Blick konnten die an den Kanonen arbeitenden Leute auf den geliebten Führer werfen, der mit der Hand winkend sie verließ und am Eingang des bedeckten Weges noch einige Momente bei den auf den Tod oder die Verwundung ihrer Kameraden harrenden Ersatzmannschaften verweilte. Dort drückte er Novossilski die Hand, bestieg den harrenden Schimmel und ritt unter dem Regen der Kugeln nach der Bastion III. am jenseitigen Ende der Südbucht.

Fürst Barjatinski hatte den Admiral mit den Augen verfolgt, so weit er ihn sehen konnte. Mit einem trüben Kopfschütteln wandte er sich zu dem neben ihm kommandirenden Birjulew. –

»Der heilige Andreas möge ihn schützen, aber ich fürchte, wir sehen ihn nicht wieder. Die verfluchte Schaschka!«

Fragend schaute ihn der Offizier an. Aber die Antwort blieb der Befragte ihm schuldig unter dem Donner der Geschütze. –

»Eine Bombe für uns – sie ist bitterböse! Aufgepaßt links!« schreit der Signalist und das Krachen der einschlagenden gewaltigen Hohlkugel in die Batterie selbst mahnt zur Vorsicht. Man wirft sich zur Seite, dennoch reißt die platzende Bombe sechs Mann zu Boden. Einige sind todt, Anderen hat sie Arme und Beine abgerissen, Blut und Fleisch spritzen umher – aber die Geschütze sind zum Glück unversehrt. Man hört kein Stöhnen, keine Klage; die Träger springen herbei und bringen die Verwundeten nach dem Verbandplatz im Schutz der Kasematten. Andere Leute treten an das Geschütz – »Eins! – Zwei! – Sechs! – Feuer!« – und die Kugel fliegt wieder gegen den Feind. Matrosen schleppen ein Reservegeschütz herbei für eine von einer Vollkugel getroffene Kanone oder bringen frische Cartouschen. Eine Granate schlägt in die Brustwehr ein, platzt und nimmt ein Stück Erde mit hinweg. »Leute nach oben!« ertönt die Stimme des Kommandeurs der Batterie. »Eine Bombe ist in die Blendung geschlagen.« – »Ja, Euer Gnaden.« – Die Todesmuthigen springen nach der Decke der Wölbung und in einem Augenblick ist der gewaltige Trichter mit Erde und Steinen verschüttet. Da saust eine zweite Bombe durch die Luft und das unglückliche Geschick führt sie auf dieselbe Stelle, die Decke wird durchschlagen, die gewaltige fünfzigpfündige Kugel springt und zerschmettert ein Dutzend Tapferer!

Es ist 10 Uhr. Dicker Pulverdampf erfüllt die Batterieen. Die Bastion gleicht dem speienden Krater eines Vulkans, die [83] Männer an den Geschützen, bis an die Hüften entblößt, von Schweiß, Erde und Pulver mit einer dicken Kruste überdeckt, aus dem schwarzen Gesicht nur das Auge weiß und grimmig leuchtend, arbeiten wie die Teufel; die Offiziere gehen auf und ab und dirigiren das Feuer. Vollkugeln, Granaten, Bomben fliegen, pfeifen, zischen, schlagen ein, platzen, ricochettiren nach allen Richtungen. Jeder ist nur mit dem Zerstörungswerk beschäftigt, Niemand achtet auf die eigene Gefahr!

Ein donnerndes Urrah! erschüttert das Gewölbe der Batterie. Aus der ersten Schanze der Feinde ist ein mächtiger Feuerstrahl durch den Pulverdampf empor gestiegen, ein gewaltiges Krachen übertäubt den Donner der Geschütze auf der meilenlangen Feuerlinie: das Pulvermagazin der französischen Batterie ist in die Luft geflogen; – drei Viertelstunden vorher hat die vierte feindliche Batterie dasselbe Schicksal gehabt und mehr als 50 Mann wurden dabei getödtet und verwundet. Die übrigen drei französischen Batterieen waren jetzt nicht mehr im Stande, das fürchterliche Feuer der drei Ssewastopoler Bastionen und der zahlreichen Batterieen kräftig zu beantworten und der General Canrobert überließ es dem Kommandanten der Artillerie, Thiry, den Kampf nach eigenem Ermessen einzustellen. Um 11 Uhr schwiegen sämtliche französische Batterieen. Von den fünf war die eine durch das explodirende Pulvermagazin gänzlich vernichtet, in den anderen waren 19 Geschütze demontirt. An 400 Todte und Verwundete blieben in der französischen Parallele.

Aber auch der Verlust und die Zerstörung in den russischen Werken war nicht unbedeutend. Auf dem Kampfplatz, von dem wir den Leser der Eröffnung des Feuers haben beiwohnen lassen, lagen zwischen Blut und Trümmern, keuchend von der gewaltigen Anstrengung, die erschöpften Kämpfer an ihren Kanonen, die frische Luft in die erhitzten Lungen saugend, die der Wind durch die breiten, von den Kugeln der Feinde erweiterten und zerrissenen Schießscharten herein wehte.

Auf der Blendung standen die Offiziere, die dem Kugelregen glücklich entgangen, oder doch nur leicht verwundet worden waren, und schauten nach der feindlichen Flotte, deren letzte Schiffe merkwürdiger Weise eben erst von den Dampfern in die Schlachtlinie bugsirt worden waren und die jetzt ihre Breitseiten gegen die Rhede-Forts und die drei östlichen Bastionen kehrten, zum Gefecht fertig. –

[84] »Der Spektakel,« sagte Novossilski, »wird sogleich wieder auf's Neue angehen; es ist gut, daß wir Luft haben von der Landseite. Ich begreife nicht, warum die hölzernen Rosse Alt-Englands uns so lange Ruhe gelassen.«

»Ich wette fünfzig Rubel, der Admiral befindet sich in der Quarantaine und wartet dort auf den ersten Gruß, sonst hätten wir ihn längst wieder hier gesehen.«

»Ich glaube eher,« sagte Barjatinski, »er ist auf der andern Seite der Bucht, das Feuer ist dort noch sehr heftig und er mag die Engländer nicht leiden.«

»Was meintest Du vorhin mit der Schaschka, Kamerad?« fragte der Lieutenant Birjulew.

Der Fürst blickte nach den feindlichen Schiffen. – »Ihre Signale fangen an zu spielen, wir haben also noch fünf Minuten Zeit und ich kann Ihnen die unheimliche Geschichte erzählen, die mir das Herz schwer macht. Der Teufel hole die Schaschka!«

»Was hat der Teufel mit der Schaschka zu thun, die mir eine schöne alte Waffe zu sein schien?«

»Vorzüglich; der Stahl der Klinge ist wundervoll. Sie gehörte dem armen Schelesnow, den vielleicht Einige von Ihnen gekannt haben. Er war als Courier nach Tiflis geschickt worden und hatte sie auf der Reise von dort nach Suchum-Kale für dreißig Rubel gekauft.«

»So billig?«

»Das meinte ich auch, doch Schelesnow erwiederte mir, daß sie Niemand hätte kaufen wollen eines Aberglaubens wegen. – Die Schaschka hatte unter den Tschetschenzen den Ruf, Jeder, der mit derselben in den Kampf ginge, würde unfehlbar umkommen oder tödtlich verwundet.«

»Und er kaufte sie dennoch? Ich meine, die Seeleute sind gerade sonst abergläubisch.«

»Schelesnow spielte den Freigeist und lachte über die Sage, als er sie mir erzählte. Es war am Bord des Wladimir, als wir mit Admiral Korniloff von Varna kamen. Wir stießen auf das türkische Dampfschiff ›Pervas Bachre‹ und unsere Kanonenkugeln begrüßten es. Wir fuhren auf Kartätschenschußweite heran und unsere Mannschaft machte sich fertig zum Entern. Ich sah, wie Schelesnow den kaukasischen Säbel umschnallte. – ›Haben Sie die verhängnißvolle Eigenschaft vergessen?‹ fragte ich ihn. [85] Er antwortete: ›Gott bewahre, aber ich glaube nicht daran,‹ und eilte auf das Verdeck. Der Kartätschenschwarm sauste uns über die Köpfe, als ich zur Batterie kam, um die Anordnungen zur Abordage zu treffen. Da sehe ich, wie die Matrosen einen verwundeten Offizier aufheben, aus dessen Brust sich das Blut stromweise ergießt: es war Schelesnow, eine Kugel hatte ihn in die Brust getroffen, fünf Minuten später, nachdem er die Schaschka angeschnallt, und nun klirrte sie, von der Leiche nachgeschleppt, gegen das Verdeck 7. Ich ergriff die verhängnißvolle Klinge und wollte sie in meiner ersten Aufwallung über Bord werfen; aber unwillkürlich erfaßte mich ein unüberwindliches Gefühl, dieselbe zum Andenken an den gefallenen Kameraden aufzubewahren, und ich that es.«

»Aber wie kommt die Schaschka in den Besitz des Admirals?«

»Er befahl mir, den Nachlaß Schelesnow's aufzunehmen und er wurde, wie es Sitte, vor dem Mast versteigert. Dem Admiral gefiel die unglückliche Waffe und er überbot mich.«

»Und sagten Sie ihm Nichts von ihren schlimmen Eigenschaften?«

»Ich that es, aber er lachte mich aus und meinte, er glaube nicht an Vorurtheile und ich wäre eben so gefährdet wie er. Sie haben es vorhin nochmals mit an gehört. Mir war weh um's Herz, als ich ihm die Schaschka überreichte und ich zürnte mit mir selbst, daß ich nicht dem unbegreiflichen Wunsch, sie aufzubewahren, statt sie in's Meer zu schleudern, widerstanden. Der Admiral aber scheint eine besondere Liebhaberei an der Waffe zu haben, denn schon mehrfach sah ich sie ihn tragen.«

»Ohne daß sie ihm geschadet hat?« lachte der Sappeur-Capitain.

»Der Admiral ist seitdem noch in keinem Gefecht gewesen,« sagte kopfschüttelnd der Seemann. »Ich wünschte, es wäre Abend, wie es jetzt –« er sah nach der Uhr – »Mittag ist. – Und da kommt Arbeit für uns!«

An der Signalleine der »Queen« flatterte das Signal »Fertig zum Feuern!« und die Breitseite des riesigen Dreideckers hüllte sich in Feuer und Rauch. In der nächsten Minute legte sich ein Flammengürtel über die ganze Breite der Rhede, Land und See war in Dampf gehüllt, die Bomben kreuzten hoch durch die Luft [86] und schmetterten auf die Stadt und hinüber über die Bucht bis zum Malachof-Hügel und der furchtbare Kampf begann auch auf dieser Seite auf's Neue.

Während die Batterieen der Westseite der Stadt, das Constantin-, Alexander- und Quarantaine-Fort mit einem furchtbaren Feuer der vereinigten Flotte antworteten, dauerte der Kampf auf der Ostlinie gegen die englischen Batterieen ununterbrochen fort. Dieselben waren zweckmäßiger als die französischen in der Entfernung von 600 Schritt von den russischen Werken erbaut und litten daher weniger von dem Feuer. Zahlreich mit schwerem Geschütz – dreiundsiebenzig 68-, 46-, 32- und 24pfündigen Kanonen und zehnzölligen Mörsern bewaffnet und mit einem Ofen für die glühenden Kugeln versehen, erzielte die englische Artillerie bei diesem ersten Bombardement größere Resultate als die französische. Dennoch widerstanden auch hier die Russen mit Glück. Die Erde zitterte wie bei einem Erdbeben von der gewaltigen Erschütterung der Atmosphäre, der Luftzug war von dem heftigen Feuer erloschen und der Pulverdampf bedeckte so dicht die Umgegend, daß man nur nach dem Blitzen der feindlichen Schüsse die Geschütze richten konnte.

Es war 12 Uhr, als der tapfere Leiter der Vertheidigungs-anstalten, Vice-Admiral Korniloff, nachdem er wiederholt die Linien beritten, sich auf dem Malachof-Hügel befand. Er hatte sich eben von seinen Freund und Kameraden Nachimoff getrennt, der mit riesenhafter Thätigkeit die Vertheidigung auf der Bastion III. leitete, deren Geschützbedienung bereits drei Mal hatte ersetzt werden müssen. Als er eben vom Thurm bis zur Brustwehr gehen wollte, um sein Pferd zu besteigen, traf ihn eine Kanonenkugel und riß, die unheilkündende Waffe 8 zerschmetternd, ihm das linke Bein am Unterleibe weg.

Heulend vor Schmerz und Wuth warfen sich die treuen Matrosen auf den geliebten Führer und trugen ihn zur nächsten Verbandanstalt. Nur noch bis zum Abend lebte der tapfere Kommandant der Matrosen des schwarzen Meeres. Als man ihm kurz vor seinem Tode die Nachricht mittheilte, daß die feindlichen Batterieen zum Schweigen gebracht worden, rief er ein »Hurrah!« und starb.

Um drei Uhr Nachmittags begannen die Schiffe, eines nach [87] dem andern mit Hilfe der Dampfer sich aus der Kampflinie zurückzuziehen, um 6 Uhr war die ganze alliirte Flotte aus dem Schußbereich der russischen Batterieen und steuerte theils der Rohr-Bai, theils der Mündung der Katscha zu, um Havarie auszubessern.

Diese war sehr bedeutend – namentlich hatte das Feuer des Fort Constantin furchtbar gewirkt. Auf dem französischen Admiralschiff – »Ville de Paris« – war der ganze Stab Hamelin's verwundet, nur er selbst blieb in dem Regen der Bomben wie durch ein Wunder verschont. Auch der »Montebello«, »Friedland«, »Napoleon« und »Karl der Große« hatten schwer gelitten. Von den englischen Schiffen, die dem Fort Constantin gegenüber gestanden, waren die »Agamemnon«, »Albion« und »Queen« bedeutend beschädigt. Bei keinem später Bombardement wagten die Flotten wieder, den Forts so nahe zu kommen.

Aus den englischen Batterieen hatte sich das Feuer hauptsächlich gegen die Bastion III. gerichtet, deren Geschütze um die dritte Nachmittagsstunde fast sämtlich demontirt waren. Doch war auch der Schaden in den britischen Linien bedeutend; um 4 Uhr flog dort gleichfalls ein Pulvermagazin in die Luft und am Abend erwiderten nur noch zwei Geschütze das Feuer.

Mit einbrechender Dunkelheit schwieg das Feuer der Kanonen gänzlich und die Stille der Erschöpfung, des Todes lagerte sich über die Stadt und ihre Umgebung.

Der Verlust der Alliirten betrug auf den Flotten allein nach den offiziellen Berichten 527 Mann, in den Trancheen mindestens eben so viel. Die Russen zählten gleichfalls 1200 Todte und Verwundete.

Ssewastopol hatte seine Bluttaufe siegreich bestanden!

Fußnoten

1 Die östlichste kurze Einbuchtung der Rhede von Sebastopol auf der Südseite. Zwischen dem Kilen-Grund und der großen Südbucht mit der davon an der Mündung abzweigenden kleineren Schifferbucht liegt die Schiffer-Vorstadt.

2 Hiervon am Eingang südlich das Quarantaine-Fort mit 60, Fort Alexander mit 90 Geschützen, nördlich Fort Constantin mit 110 Kanonen. Diese 260 Geschütze konnten gegen die Flotten auf der Außenrhede operiren.

3 Den geehrten Lesern, die bei der Lectüre einen Plan Sebastopols nicht zur Hand haben, kann die nachfolgende typographische Situationsangabe wenigstens dazu dienen, die Reihefolge und Stellung der Bastionen für späteren Gang der Erzählung in der Erinnerung zu halten.

4 Kamischewaja-Bai – Rohr-Bai.

5 Etwa 1400 Schritt.

6 Ein tscherkessisches Schwert.

7 S. die Scene Band II., Seite 87.

8 Die Stücken der Waffe befinden sich im Besitz der Familie des Admirals.

Balaclawa und Inkermann
[88] Balaclawa und Inkermann.

Die Namen stehen blutig eingezeichnet im Buch der Weltgeschichte!

Das erfolglose Bombardement vom 17. October, dem sie nicht einmal den Versuch eines Sturmes folgen lassen konnten, nöthigte die Alliirten zu einer regelmäßigen Belagerung der Festung. Wir haben bereits ausgeführt, wie ihre erste Sorge dahin gegangen war, durch Befestigung des Sapunberges und der Zugänge nach Balaclawa ihre Operationsbasis zu sichern. Hierhin richteten sich natürlich auch die Blicke des Oberkommandanten der russischen Armee.

Einstweilen erwarteten beide Theile die Ankunft neuer Verstärkungen. Die Alliirten, auf ihre bedeutenden Hilfsmittel und ihre Ueberlegenheit an Zahl vertrauend, hofften, durch eine regelmäßige Belagerung die Stadt bis zum Einbruch des Winters zu erobern. Die Engländer setzten ihr Feuer aus 68 Geschützen fort und am 19. waren auch die französischen Batterieen so weit wieder hergestellt, um das ihre beginnen zu können. Die Beschießung wurde fortgesetzt, ohne daß der eine oder der andere Theil wesentliche Nachtheile davon hatte. Die Russen, die durch das Bombardement täglich etwa 300 Mann verloren, besserten über Nacht regelmäßig ihre Schäden wieder aus, er setzten die zerstörten Mauern durch zweckmäßige Erdwerke und errichteten neue unter der rastlosthätigen Leitung der Ingenieur-Arbeiten durch Totleben, der nach dem ersten Bombardement zum Obersten ernannt worden. Die Linie der Befestigungswerke war zur besseren Oberleitung der Vertheidigung in vier Abtheilungen getheilt, welche zu dieser Zeit der General-Major Asnalowitsch, Vice-Admiral Novossilski, Contre-Admiral Panfilof und Contre-Admiral Istomin befehligten. General-Lieutenant Kirjakof kommandirte die Reserven, Kommandant [89] der gesamten Truppen, die aus 57 Bataillonen bestanden, war der General-Lieutenant Moller, Hafen-Gouverneur der Vice-Admiral Staujukowitsch, Kommandant der 13 See-Equipagen der Vice-Admiral Nachimof.

Die englischen Batterieen warfen zahlreiche Raketen in die Stadt, doch ohne viel Erfolg; dagegen litten die Vertheidiger durch das Büchsenfeuer der Zuaven und Jäger von Vincennes bedeutend. Die Franzosen waren bis zum 25. mit ihren Trancheen bis auf 750 Schritt an die Festung herangekommen und die Besatzung unternahm seit dem 20. allnächtlich kleine Ausfälle gegen sie oft mit bestem Erfolg.

Die Operationsarmee der Russen war nach der Almaschlacht, wie bereits erwähnt, zu schwach, um etwas Entscheidendes gegen die Belagerungsarbeiten der Verbündeten unternehmen zu können. Der Fürst, der seitdem nur durch 12 Schwadronen Reiter unter General-Lieutenant Rischof und einige Bataillone aus Kertsch und Feodosia verstärkt worden, mußte die Ankunft des 4. Infanterie-Corps abwarten, das in Eilmärschen aus Bessarabien nach der Krim beordert war. Leider für den Erfolg der Russen vermochte er seine Ungeduld nicht zu zügeln und beschloß, als am 22. in der Nähe von Ssewastopol die 12. Infanterie-Division des General-Lieutenants Liprandi eingetroffen war, ohne die übrigen Abtheilungen des Corps abzuwarten, die Operationsbasis der Verbündeten anzugreifen und sie von Balaclawa abzuschneiden.

Das Centrum der Russen befand sich in dem Dorfe Tschorgun auf dem rechten Ufer der Tschernaja. Zwei Wege führten von hier nach Balaclawa, der eine rechts durch das stark verschanzte Dorf Kadikoi, im Thal zwischen dem Sapunberg und den Bergen südöstlich von Balaclawa gelegen, und der linke näher den letzten Bergen. Beide liefen quer über die große Woronzoff-Straße, welche sich von Sebastopol nach der Yalta zieht. In dem Thal um Balaclawa und Kadikoi standen die englischen Truppen, durch eine doppelte Reihe von Redouten und Verschanzungen gedeckt, deren vorderste an der Woronzoff-Straße von den Türken besetzt war. Hinter Kadikoi lag die englische Kavallerie. Jenseits des Sapunberges standen auf den Höhen desselben in gesicherter Stellung als Ob servations-Corps gegen die an der Rhede sich hinwindende, von Sebastopol zunächst nach Inkermann führende Straße die beiden französischen Divisionen des Generals Bosquet.

[90] Die Leitung des Angriffs am 25. October war dem General Liprandi übertragen. 17 Bataillone, 22 Schwadronen mit 10 Sotnien Kosacken und 52 Geschütze sollten denselben von drei Richtungen unternehmen. Der Fürst ließ außerdem, um die rechte Flanke des Angriffs zu decken, eine Brigade mit 10 Geschützen unter General-Major Schabokritski in der Nacht die Tschernaja überschreiten und sich gegen den Sapunberg aufstellen. Die Dispositionen waren, nach dem Urtheil aller Militairs, vortrefflich, aber das zur Ausführung kommandirte Corps zu schwach, um einen dauernden Erfolg zu sichern. General-Lieutenant Rischof führte von der Traktirbrücke 1 her die rechte Colonne, General-Major Semiakin die mittlere direkt auf Kadikoi los, General-Major Gribbe die linke gegen Kamari zur Umgehung der feindlichen Stellung. Schon bei Tagesanbruch waren die russischen Colonnen auf dem Marsch, um 6 Uhr gelangte das mittlere Corps an die ersten Redouten, eröffnete das Feuer und nahm sie im Sturm. Die Türken verließen sie zum Theil in wilder Flucht und um 71/2 Uhr wehte die russische Fahne auf allen vier Schanzen. Die Geschütze wurden vernagelt oder unbrauchbar gemacht, die Vorräthe zerstört und die russische Artillerie begann von dieser Position aus die bei Kadikoi und Balaclawa aufgestellten englischen Truppen und das Lager zu beschießen. Die linke russische Colonne hatte sich gleichfalls glücklich des Dorfes Kamari bemächtigt.

General-Major Colin-Campbell eilte mit dem 93. schottischen Regiment zur Unterstützung der Türken herbei, die Kavallerie der Engländer unter Lucan schloß sich ihm an und die flüchtigen Türken sammelten sich unter ihrem Schutz. Um 8 Uhr erschienen Lord Raglan und Canrobert auf dem Schlachtfelde und beorderten eilig von Balaclawa her starke Reserven, um die verlorene Stellung wieder zu gewinnen.

Die vierte englische Division Cathcart und die erste Garde-Brigade des Herzogs von Cambridge rückte gegen die Woronzoff-Straße vor. Zugleich ließ Bosquet einen Theil der 1. Division und einige Schwadronen reitender afrikanischer Jäger in das Thal vorgehen.

General Liprandi ertheilte jetzt dem General-Lieutenant Rischof den Befehl zum Kavallerie-Angriff und die Husaren-Brigade mit [91] den uralskischen Kosacken und zwei reitenden Batterieen stürzten sich im Galopp auf die Hochländer Campbell's und die Dragoner des General Scarlett, die Wagenburg, welche die Schotten vor ihrer Stellung aufgefahren, attakirend. Aber festen Fußes – Schulter gegen Schulter, wie das berühmte Kommando der Hochländer sagt, – empfing sie die Infanterie und eine Batterie der Brigade Scarlett begrüßte die kecken Steppenreiter mit ihren Kartätschenladungen. Die russische Kavallerie wurde geworfen und hinter ihr drein donnerten die schweren Dragoner der Briten, bis an die eroberten Redouten. Hier jedoch wandte sich das Glück – ein vernichtendes Feuer der russischen Batterieen brach die Reihen der Dragoner und brachte sie in Unordnung. Mit großem Verlust zogen sie sich zurück.

Lord Raglan sah mit Groll die Niederlage seiner Reiterei unter den Augen der Franzosen und wollte um jeden Preis die englischen Geschütze wieder haben, welche die Russen mit den Redouten erobert hatten. Der stolze Somerset 2, der Adjutant und Neffe des eisernen Herzogs, der seine Sporen beim jammervollen Siege von Kopenhagen geholt, aber sie dann auf den blutigen Schlachtfeldern von Fuentes d'Onores, Badajoz und Salamanka verdient hatte, der bei Quatre Bras gegen Kellermann's schwere Reiter mit dem tapfern 42. Regiment gekämpft und vor Waterloo den rechten Arm gelassen, – hatte in dem siebenundzwanzigjährigen Kamaschendienst voll Unthätigkeit und militairischer Pedanterie, welche die englische Armee zur schlecht organisirtesten Europa's hat werden lassen, – die Ritterthaten seiner Jugend nicht vergessen. Seine Adjutanten flogen zu dem Kommandanten der Kavallerie, dem Grafen Lucan, und überbrachten ihm den Befehl, die russische Stellung durch Lord Cardigan's leichte Kavallerie-Brigade, welche den linken Flügel bildete, attakiren und die zurückgehenden Husaren und Kosacken verfolgen zu lassen.

So unfähig sich beide britische Reiterführer auch im Fortgang des Feldzugs gezeigt haben, so hatten sie doch Einsicht genug, zu sehen, daß die Ausführung dieses Befehls mit großer Gefahr verbunden war. Selbst wenn die englische Reiterei die russische Schlachtlinie [92] durchbrach, konnte sie leicht in das Kreuzfeuer der Artillerie zweier Corps gerathen.

Der Adjutant des kommandirenden Generals harrte daher, nachdem er dem Grafen den Befehl überbracht, vergeblich einige Minuten auf Antwort, während dieser ängstlich sich mit seinem Stabe berieth. Ungeduldig fragte er endlich: »Wollen Euer Herrlichkeit dem General-Feldzeugmeister eine Antwort senden?«

»Mein Herr –« sagte der Graf, »ich gestehe Ihnen, ich glaube den Befehl des Lords mißverstanden zu haben. Er kann unmöglich verlangen, daß Kavallerie die verlornen Redouten wiedernimmt?«

»Ich habe Euer Herrlichkeit nur meine Befehle zu überbringen, das Weitere ist Ihre Sache.«

»So haben Sie die Güte,« sagte der Graf hochmüthig, »die Ordre in Gegenwart dieser Herren nochmals langsam und deutlich zu wiederholen.«

Der Adjutant that es.

»Jetzt, mein Herr, melden Sie dem General, daß wir thun werden, was englische Kavallerie thun kann, daß es aber nicht meine Schuld ist, wenn heute Abend die britische Krim-Armee keine Kavallerie mehr besitzt. Vorwärts, Mylord Cardigan! lassen Sie die 4. und 13. leichten Dragoner die Höhe der Redoute links umgehen und den Angriff beginnen, während das 14. Regiment und die Husaren als zweites Treffen nachrücken.«

Die Trompeten bliesen und die leichten Dragoner trabten mit jenem todesverachtenden Trotz gegen die Batterieen, welcher immer den Bulldog-Charakter der englischen Soldaten ausgezeichnet hat. Die Regimenter umgingen die Höhe und attakirten die russischen Husaren und Kosacken trotz des Kartätschenfeuers zweier russischen Batterieen in beiden Flanken und ohne auf das Heckenfeuer des Odjessa'schen Jäger-Regiments zu achten. Das 14. Dragoner-Regiment und die beiden Husaren-Regimenter 8 und 11 drangen nach und warfen sich auf eine donische Batterie, deren Bedienung sie in Stücken hieben. Das blutige Handgemenge wogte gleich einem Knäuel zwischen den Hügeln hin und her und das Feuer der russischen Batterieen mußte inne halten, um nicht Feind und Freund zugleich zu vernichten. Der Kommandant der 2. Brigade der russischen Kavallerie, General-Major Ghalezki, fiel; nur mit Anstrengung behaupteten die Husaren und Kosacken das Gefecht.

[93] In diesem Augenblick stürzte sich der Oberst Jeropkin mit seinem Ulanen-Regiment, das so eben erst auf dem Schlachtfelde eingetroffen war und hinter den Odessaer Jägern eine verdeckte Aufstellung genommen hatte, auf die rechte Flanke der englischen Kavallerie. Der Stoß war furchtbar und von dem glänzendsten Erfolge begleitet. Die ganze Reiterbrigade wurde vollständig geworfen, gerieth in die größte Unordnung und wandte sich zur wilden Flucht, verfolgt von den Ulanen, niedergeschmettert von den Kartätschen der Batterieen auf den Hügeln und des Schabokritski'schen Corps. An fünfhundert Reiter ließen die Engländer auf dem Kampfplatz.

Die Flucht war so ungestüm und unaufhaltsam, daß sie selbst die schwere Dragoner-Brigade Scarlet's, welche Lord Raglan seiner leichten Kavallerie zu Hilfe gesandt, mit sich fortriß – die englische Reiterei verschwand vom Schlachtfeld. Vom Sapunberg aus hatte man die Vernichtung der leichten britischen Kavallerie beobachtet. Der französische Obercommandant ließ daher – freilich etwas spät – drei Schwadronen seiner afrikanischen Jäger einen Angriff auf die Batterieen Schabokritski's am Abhang der Pedjuhinni-Berge machen; die herbeieilende Infanterie jedoch warf sie zurück.

Um 9 Uhr hatten die Verbündeten bereits 20,000 Mann im Thal von Kadikoi vereinigt und verstärkten sich fortwährend. Aber die unglückliche Attake der englischen Kavallerie hatte einen solchen Eindruck auf die Generäle und die Truppen gemacht, daß man nicht wagte, nochmals gegen die von den Russen besetzten Höhen vorzugehen. Hätten diese zu Anfang des Treffens mit einer genügenden Macht ihre Vortheile verfolgen können, so ist wohl kein Zweifel, daß es ihnen gelungen wäre, Balaclawa zurück zu erobern, ein Sieg, der die Verbündeten zur Wiedereinschiffung in der Kamiesch-Bai gezwungen hätte.

Die Artillerie setzte von beiden Seiten die Kanonade bis zur vierten Nachmittagsstunde fort, dann zogen die Alliirten ihre Truppen in's Lager zurück; die Russen behaupteten das Schlachtfeld.

Die englische leichte Kavallerie war fast zur Hälfte vernichtet – was davon übrig, machte bald die gränzenlose Unordnung der Verwaltung und die Fahrlässigkeit der Führer kampfunfähig.

[94] Die Belagerung der Stadt schritt nur langsam vorwärts, da die Stellung der Russen bei Tschorgun und gegen Balaclawa die Alliirten nöthigte, hierhin alle ihre Kräfte und all' ihre Aufmerksamkeit zu richten. Die Gegner verschanzten sich Aug' in Aug' in ihren festen Stellungen.

Unterdessen waren auf beiden Seiten bedeutende Verstärkungen eingetroffen. In den ersten Tagen des November zählte die französische Armee wieder 49 Bataillone, 8 Schwadronen und 96 Feldgeschütze, die englische 32 Bataillone, 20 Schwadronen und 24 Geschütze, die türkische Division bestand aus 8 Bataillonen, – so daß die gemeinsame Stärke etwa 70,000 Mann betrug: 35,000 Franzosen, 23,000 Engländer und 12,000 Türken.

Die russischen Landtruppen in Sebastopol und der Umgegend bestanden jetzt aus 103 Bataillonen, 58 Schwadronen, 22 Sotnien Kosacken und 282 Geschützen, im Ganzen aus 82,000 Mann, waren also stärker als die Verbündeten, aber getheilt in die Vertheidigung der Stadt und das Observations-Corps.

Unter diesen Verhältnissen beschloß der Fürst Menschikoff, jene Offensive zu ergreifen, die eine bleibende und ruhmvolle Stelle in der Geschichte der blutigen menschlichen Kämpfe mit dem Namen der »Schlacht von Inkermann« bewahren wird.

Der strategische und taktische Plan dieser Schlacht ist einer der vorzüglichsten, die je gefaßt wurden, und würde dem Genie Friedrich des Großen und Napoleon's nicht zur Unehre gereicht haben. Was ihn scheitern ließ, waren Dinge, die außer der Berechnung des Feldherrn lagen.

Die Brücke von Inkermann führt über die Tschernaja nahe ihrem Ausfluß in das Ende der großen Bucht von Sebastopol. Die neue Sappeurstraße und die alte Poststraße laufen, von der Festung kommend, an ihr zusammen, die erste in der Nähe des Buchtufers hinführend, die andere zieht sich eine Strecke durch den Kilengrund und windet sich dann in engem Defilee durch die Höhen, wobei auf der Seite nach der Tschernaja das Thal so morastig ist, daß die Straße mehr als tausend Schritt über enge Faschinendämme läuft.

Während die Franzosen auf dem südöstlich liegenden Sapunberg mit zwei Divisionen unter Bosquet sich stark verschanzt hatten, war den Engländern die Deckung des Terrains zwischen dem Sapunberg und dem Kilengrund, durch welches eben die beiden [95] Straßen von der Tschernaja her führen, überlassen. Sie hatten jedoch ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Belagerungsarbeiten gerichtet, ohne an die Deckung der Wege zu denken, und erst Ende October wurden drei Redouten zum Schutz des rechten englischen Flügels und des Lagers hier flüchtig aufgeworfen, von denen die erste, auf der Höhe über der alten Poststraße gelegen, diese vollständig beherrschte, während die beiden andern weiter rückwärts lagen.

Diese Umstände waren dem Fürsten Mentschikoff wohl bekannt und er beschloß daher, die Engländer durch die gefährlichen Defileen anzugreifen. Durch die Besitznahme der Höhen, welche sich auf beiden Seiten des Kilengrundes befinden, wäre das russische Offensiv-Corps in unmittelbare Verbindung mit der Garnison Sebastopols gekommen; es konnte seine überlegene Kavallerie gegen den Feind verwenden und dieser wäre gezwungen gewesen, die Belagerung des östlichen Stadttheils aufzuheben, welche später eben den Sieg entschied.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Disposition des Fürsten eine ausgezeichnete war. Der Angriff sollte, um die Feinde zu täuschen, von verschiedenen Seiten her geschehen. Zunächst sollte eine starke Colonne von 29 Bataillonen und 38 Geschützen unter General-Lieutenant Ssoimonoff aus der Stadt, und zwar von der Bastion II. hervorbrechen und die Höhen des Kilengrundes in Besitz nehmen; eine zweite Colonne mit 20 Bataillonen und 96 Geschützen unter General-Lieutenant Pawloff, dem wir gleich Ssoimonoff bereits bei dem Kampfe um Oltenitza und Giurgewo begegnet sind, sollte über die Inkermann-Brücke durch die Schluchten und auf der alten Poststraße vordringen und das englische Lager angreifen. Zugleich aber sollten das Corps des Generals der Infanterie, Fürsten Gortschakoff (I.), von Tschorgun südwestlich her einen Scheinangriff mit 20,000 Mann gegen die französische Stellung auf dem Sapunberg unternehmen, und aus der Ostseite der Festung selbst zwei Regimenter der Garnison unter General-MajorTimofjef einen Ausfall aus der Bastion VI. gegen die französischen Belagerungslinien machen. Die Russen führten somit an 60,000 Mann mit 234 Geschützen in's Gefecht, wovon jedoch nur etwas mehr als die Hälfte für den wirklichen Kampfplatz bestimmt war, genügend, die Engländer zu erdrücken, wenn die Zufälle der Schlacht es nicht anders gewendet hätten.

[96] Der Abend des 4. November, Sonnabend, war von höchst widrigen Wetter begleitet. Es regnete ununterbrochen in Strömen, die Wege und Schluchten waren grundlos von Wasser und Schmuz und ein dichter Nebel lagerte über Thälern und Bergen, kaum im Umkreis von zehn Schritten die Gegenstände erkennen lassend; die ganze Natur hatte ein trübseliges Aussehen und die Schildwachen suchten unter den Vorsprüngen des Gesteins, an den Stämmen der Berge und den Erdhängen jeden kleinen Schutz gegen die Unbilden des Wetters.

In der englischen Redoute Nr. 1, welche eine Compagnie des 95. Regiments von Lach-Evan's Division besetzt hielt, war eine Baracke für die Offiziere aufgeschlagen, die, auf einer Seite offen, kaum den strömenden Regen abhielt; indeß die armen Soldaten dem Unwetter ohne allen Schutz als ihre Mäntel und die drei Feuer, die sie auf der Leeseite der Baracke angezündet hatten und mühsam unterhielten, preisgegeben waren. Es fehlte am Nöthigsten für die Ueberwinterung der englischen Armee und man war notorisch in Besitz von höchstens einem für 10 und 15 Mann berechneten Zelte auf 100 Köpfe.

In der Baracke lagen drei Offiziere in ihre Mäntel oder englische Reisedecken gehüllt, der Eine sogar in einen prächtigen persischen Teppich, der die Zierde eines fashionablen Salons gewesen wäre, und jetzt hier in Schmuz und Regen umher gewälzt wurde. Die Offiziere sahen sehr mißmüthig aus und das Einzige, woran sie sich trösten konnten, waren die türkischen Papiercigarren, denn durch die Vorsorge der englischen Proviant-Commissaire fehlte es an nichts weniger, als an Allem!

»He, Mickey!« rief der Capitain Armstrong, indem er sich halb auf den Armen emporrichtete und nach dem Feuer hin schnüffelte, »es riecht verteufelt gut, ich glaube, Du brennst Kaffee, Schurke, und läßt Deinen Herrn hier ohne Gewissensbisse verschmachten!«

Der Angeredete, ein rothhaariger Irländer, dem selbst die Beschwerden des Wetters und Mangels die angeborene Laune nicht zu verderben vermocht hatten, warf beide Arme in die Luft. »O, Du grundgütige Mutter aller Schmerzen, was sind Seine Gnaden ungerecht gegen den armen Mick! Hab' ich darum diese gesegnete sechspfündige russische Kanonenkugel ganze zwei Meilen weit unter diesem meinem Arme mitgeschleppt, um nun beschuldigt [97] zu werden, ich tränke den schlechten Kaffee, den der Commissair geliefert, und ließe meinen Herrn verdurften? Nein, mein süßes Augenlicht, Mick macht Kaffee für seinen Herrn und dessen Freunde und begnügt sich mit einem Tropfen Whiskey.«

Die Offiziere sprangen wie von einer Feder geschnellt in die Höhe und Capitain Armstrong vor die Baracke, wo er eben noch zeitig genug ankam, um seinen würdigen Diener eine ziemlich umfangreiche Lederflasche nach einem tüchtigen Zug absetzen zu sehen. Der Capitain war mit einem Schritt seiner langen Beine bei ihm und hatte die Flasche dem Verduzten aus der Hand gerissen, dem die Unvorsichtigkeit, die er begangen, klar wurde. – »Höllenhund! Du hast ein Getränk, das besser ist als Wasser, und sagst mir Nichts davon?«

»Ach, Euer Gnaden,« winselte Mickey »ein so vornehmen Gentleman wird einen armen Kerl, wie ich bin, nicht der kleinen Erfrischung berauben wollen. Bei meines Vaters Seele, die Pater O'Donnoghue, der Schurke, noch immer im Fegefeuer brennen läßt, weil ich ihm keine Messen mehr bezahlen wollte, – ich habe mich nur versprochen, es ist schlechter türkischer Branntwein, den die vermaledeiten Schurken von Kameelmist brennen sollen! – Mögen sie dafür ewig schmoren, wo das höllische Feuer am schärfsten brennt!«

Der Capitain hatte jedoch, ungeschreckt von diesem wenig empfehlenden Pathenbriefe, die Flasche an den Mund gesetzt und, einen tüchtigen Schluck gethan. – »Den Teufel auf Deine lügnerische Zunge, Schuft,« sagte er, indem er die Flasche an LieutenantCavendish, einen etwas gelb aussehenden, schmächtigen Offizier, weitergab – »es ist guter Rum!«

»Gott verdamm' meine Augen,« rief der FähnrichO'Malley, ein Landsmann des armen Mick, der mit trübseligen Blicken den Inhalt seiner Flasche sich vermindern sah, »der Kerl muß den Lord Ober-Commissair zum Freunde haben, oder eine ganz besondere Quelle. Woher hast Du den Rum, Mick, mein Jüngelchen?«

»Ich hab' ihn gekauft, Euer Gnaden,« jammerte der Bursche, »ehrlich bezahlt, oder ich will in meinem Leben nicht wieder Betty Flanagans runde Waden ansehen, wenn sie den Rasen von Mulingapatna im Zweitritt stampft. Ein Tatar, wie sie die Juden hier zu Lande nennen, hat mir die Flasche für baare zehn Schilling und sechs Pence verkauft.«

[98] »Das ist billig genug in Betracht der Umstände,« sagte der Capitain, »und Du sollst um Dein Geld nicht kommen. Hier hast Du Deine zehn Schillinge und dafür überläßt Du uns die Flasche, von der Du bereits Deinen redlichen Antheil geschluckt haben wirst. Sollte der Jude oder Tatar sich wieder blicken lassen, so will ich Dir wohlmeinend rathen, ihn festzuhalten und zu mir zu bringen, damit sein Vorrath nicht in andere Hände fällt. Solche Lieferanten muß man sich zu Freunden halten.«

»Wenn Euer Gnaden Nichts dawider haben,« schmunzelte der Ire, »ich habe ihm wohl so einen kleinen Wink gegeben, daß wir seiner bedürfen, aber dem vermaledeiten Juden ist das Wetter zu schlecht gewesen.«

»Er würde auch nicht durch die Posten kommen und mein Befehl galt bloß für das Lager. Jetzt mach' uns den Kaffee, mit dem Zusatz von Rum wird das schlechte Zeug gut thun und Lieutenant Stuart muß gleich von der Ronde zurückkehren.«

»Schickt das Commissariat denn noch immer den fatalen grünen Kaffee?« lispelte Lieutenant Cavendish.

»Möchten die Halunken daran ersticken,« schimpfte der Capitain. »Was denken sie in Alt-England, daß wir nichts Anderes zu thun hätten, als Kaffee zu brennen!«

In der That war der Unwille in der ganzen britischen Armee neben den hundert andern Ursachen auch darüber allgemein, daß als Proviant der schlechteste grüne Kaffee geliefert wurde. Die Soldaten hatten endlich die Erfindung gemacht, ihn in ihren Feldkesseln zu rösten und in Ermangelung von Kaffeemühlen mit Kanonenkugeln auf Steinen zu zermalmen, so daß die russischen Kugeln zu diesem Zweck sogar ein gesuchter Artikel waren.

»O'Malley,« sagte der Capitain, ehe sie wieder unter ihrem Zelt sich einrichteten, »gehen Sie gefälligst und wecken Sie Lieutenant Lundgreen und fragen Sie ihn, ob er an unserer Schlemmerei Theil nehmen will. Der arme Bursche hält hier seit fünf Tagen aus und wird selten genug was Warmes gehabt haben.«

Gleich darauf gesellte sich der Artillerie-Offizier, der die zwei Geschütze, mit denen die Redoute armirt war, kommandirte, zu ihnen und Alle harrten des Kaffee's, den Mickey jetzt in dem Kessel über dem Feuer hatte. Der Regen begann aufzuhören, aber der dichte dampfende Nebel aus dem feuchten Boden verstärkte die Finsterniß.

[99] »Es wundert mich, Kamerad,« meinte der Capitain, »daß die vorgeschobene Schanze nur mit Ihren zwei Sechspfündern versehen ist, da sie doch eigentlich die Hauptposition an der Straße bildet. Ohnehin scheint sie mir nicht besonders zweckmäßig eingerichtet.«

»Ein Kind kann das sehen,« brummte der alte Artillerie-Lieutenant, »und sie ist auch von Kindern und Narren angelegt. Erst auf dringendes Verlangen Lach-Evan's bequemte man sich dazu und was denken Sie, als ich hierher kam, wie die Coldstreams, welche die Wache hatten, die Schanze erbaut? Ich will verdammt sein, wenn so ein Muttersöhnchen aus einer Lordsfamilie, dem das Patent gekauft worden, ohne daß er einen rechten Winkel zu nehmen versteht, die Schießscharten nicht mit der breiten Seite nach Innen eingeschnitten hatte!« 3

Die Offiziere lachten. – »Wissen Sie nicht, wie dieser moderne Vauban hieß?«

»Lieutenant Elliot, ich glaube ein Vetter oder Neffe des Herzogs von Norfolk!«

»Das kommt von dem System unserer Militairverwaltung. Wär' die Nation und jeder Einzelne nicht an und für sich so brav, die schmachvolle Einrichtung müßte uns längst zur schlechtesten Armee Europa's degradirt haben! – Ich meine das im Allgemeinen,« fuhr der Capitain zu seinem ersten Lieutenant gewendet fort, der die Wendung des Gesprächs mit offenbarer Verlegenheit angehört hatte. »Was können Sie für die Einrichtungen Ihres Vaterlandes, und überdies haben wir bis auf den braven Stuart, der es am Cap unter mir erwarb, Alle unsere ersten Patente bezahlen müssen!«

»Wenn ich nicht irre, Kamerad,« sagte der Artillerist zu Lieutenant Cavendish, »sind Sie erst vor Kurzem zu unserer Armee gestoßen?«

»Ich diente in Indien.«

»Ost oder West?«

»In Bombay, Herr Kamerad! Doch befand ich mich nur zwei Jahr im Regiment.«

»So konnten Sie das Klima nicht ertragen?«

»O,« sagte der Lieutenant, »daran hatte ich mich bereits so [100] ziemlich gewöhnt. Es ist gerade nicht ganz schlecht leben in Indien für uns Engländer.«

»Hören Sie, Cavendish,« sagte der Capitain, »Sie sind kein übler Bursche, wenn Ihnen auch mitunter noch die Manieren des Hofdienstes etwas ankleben. Wir haben Sie nie gefragt darum, wie es kam, daß Sie Indien verließen und das Patent in unserm Regiment eintauschten, wodurch Stuart um die erste Aussicht auf die Compagnie gekommen ist. Ich sollte meinen, Sie hätten warten können, bis sich eine Gelegenheit bei der Garde bot. Kommen Sie, wir sind unter uns, erzählen Sie uns die Gründe, wenn es angeht, und ich glaube, Ihr Vertrauen wird gerade Ihre Stellung bei uns nicht verschlechtern.«

Der junge Offizier zögerte einige Augenblicke, dann sagte er: »Wenn Sie es wünschen, bin ich bereit, obschon das Geständniß Ihnen keine besondere Meinung von mir beibringen wird. – Ich – ich fürchtete mich in Indien!«

»Was zum Henker! – ich hoffe, doch nur vor der Cholera oder den Klapperschlangen? Das ist erlaubt.«

»Nein, Sir – ich fürchtete mich – vor einem Braminen.«

»Das ist seltsam. Ich habe Sie bei dem Angriff auf Kamiesch tapfer im Feuer stehen sehen und kann daher nicht glauben, daß es Ihnen an Muth fehlt. Es müssen also ungewöhnliche Ursachen im Spiel sein. Sie machen mich neugierig, bitte, wickeln Sie uns Ihr Gespinnst ab, wie unsere Freunde auf den Schiffen zu sagen pflegen; bei dem Becher Kaffee, den Mickey eben bringt, wird es uns die Wache verkürzen helfen.«

Der Irländer reichte die blechernen Trinkschaalen mit dem Kaffee umher, in den die Offiziere zu seinem Aerger den Rum schütteten.

»Sie wissen,« erzählte Cavendish, »daß der Herzog von Norfolk mein Oheim ist und ich Page am Hofe war. Theils um mich für einige sogenannte schlechte Streiche zu bestrafen, theils damit ich dem Lord, meinem Bruder, und meinen werthen Verwandten nicht zu sehr auf der Tasche liegen, sondern eine möglichst rasche Carriere im Diesseits oder Jenseits machen möge, gab man mir vor zwei Jahren ein Lieutenantspatent bei unserer Armee am Ganges – der Teufel hole sein Gedächtniß!«

»Sie dienten Alle, so viel ich weiß, nie in Ostindien,« fuhr er fort, die Asche von seiner Cigarre klopfend, »es ist ein seltsames [101] Land und namentlich die malabarische Küste, die noch lange nicht so europäisirt ist, wie Calcutta. Ich stand mit meiner Compagnie in der Nähe von Bombay in einem der kleinen Hafenorte, und da ich ein Neuling war, interessirten mich tausend Dinge, an denen meine Kameraden, die länger im Lande waren, gleichgültig vorüber gingen. Stellen Sie sich einige Schritte von dem flachen sandigen Ufer eine frische grüne Ebene vor, die von Kanälen bewässert wird.« Diese, mit eleganten phantastischen Holzbrücken überbaut und mit unzähligen Booten bedeckt, verlieren sich in die Tiefe der Wälder. Ueberall an ihren Ufern liegen alle Arten von Wohnungen zerstreut: die buntbemalten, mit kunstreichem Täfelwerk bekleideten Magazine, die die schönsten Arbeiten der indischen Industrie vor den Blicken entfalten; – ungeheure Lagerhäuser, die in weitem Umkreis die Luft mit dem betäubenden durchdringenden Duft der Gewürze erfüllen; – daneben die elendesten Hütten von Palmblättern, von dem üppigen Pflanzenwuchs beinahe verdeckt. Keine Plätze, keine Straßen, nur eine Menge Fußpfade, die sich durchkreuzen oder in einem Cocuswald verlieren. Rings um den Hafen, wo den ganzen Sommer über eine große Menge arabischer Fahrzeuge liegt, die von Mascat oder Dindad kom men, bewegen sich ungeheure Elephanten, welche die Balken herbeischleppen, die jene einladen wollen. Braune, gelbe, schwarze Gesichter, von dem Olivengrün der Bronze bis zur feinen Hautfarbe des Chinesen, ein wirres Geschnatter von hundert Dialecten und Sprachen; die schlanke Gestalt des Hindu, der tückisch-trotzige Blick des Malayen; die bewegliche Figur des Chinesen neben dem ernsten Araber; der Parse, welcher das Feuer anbetet, neben dem Moslem von dem Ufer des rothen Meeres und dem geduldigen Sohne des Lotos – Bramine und Paria, der reiche Kaufmann zwischen der Schaar der Bettler und Gichtbrüchigen, die sich auf den Händen fortschleppen! Armenier von Trapezunt, Juden von Aleppo und Bassora, Perser und Kurden; hundert bunte schillernde Farben, Gold und Seide, – die Gazellenaugen und schlanken Glieder der Tänzeriunen neben Aussätzigen, deren Haut mit weißen Flecken bedeckt ist, und anderen Elenden, die von Krankheiten geplagt werden, für welche unsere Sprache keinen Namen hat: das ist Indien!

»Wir wohnten in einem Palast von Holz, einer alten Residenz der Rajah's, hatten aber bald herzliche Langeweile und sehnten uns nach der Promenade von Bombay zurück, wo allabendlich [102] die schöne Welt Europa's und Asien's sich am Klang der britischen Militairmusik ergötzt, denn Bombay ist der Stapelplatz des Orients. So machten wir denn täglich, um die Zeit todt zu schlagen, ziemlich weite Ausflüge in die Umgegend, bald allein, bald in Gesellschaften, denn die Jagd gewährte in diesem Theil des Landes wenig Interesse.«

»Auf einem dieser Ritte, den ich mit dem ältesten Lieutenant unsers Bataillons machte, kamen wir in die Nähe einer indischen Pagode am Meeresstrande und fanden unter einem großen Feigenbaume mit hängenden Zweigen, von dessen Wipfel ein ganzer Wald faseriger Wurzeln auf die Erde herab hing, die Hütte eines Braminen. Der Mann hieß Nikalanta, wie ich später erfuhr, und hatte im Dienst seines Götzenbildes seinen Unterhalt gefunden, bis zu seinem Unglück sich Missionaire in seiner Nähe festsetzten und die Gläubigen von dem Bilde mit dem Elephantenkopf fortlockten. Seitdem war er Schreiber bei einem reichen Babon (Banquier) geworden, der die Europäer haßte. Als wir um den Baum kamen, sahen wir den alten Mann mit seiner Tochter, einem wunderschönen Hindumädchen, vor der Thür sitzen. Unser Anstarren verscheuchte das Mädchen in das Innere des Hauses, der Bramine aber blieb unbeweglich sitzen, mit den Augen in die Luft starrend, obschon ich ihn mehrmals anrief. – ›Der alte Narr,‹ sagte Staunton, ›befindet sich in dem Zustand religiöser Verzückung, eine Kanone vor seinen Ohren würde ihn nicht wecken!‹ – ›Das wäre! ich will ihn schon zum Antworten bringen!‹ – und ich klatschte mit der Peitsche dicht vor seinem Gesicht, aber er rührte sich nicht. – ›Wir haben die Eitelkeit des scheinheiligen Hindu herausgefordert,‹ meinte mein Begleiter, ›er thut, als ob er uns nicht hörte, aber ich kenne dennoch ein Mittel, woran seine Geduld scheitert. Soll ich es anwenden?‹ – ›Versteht sich!‹ – Er sprang vom Pferde, ergriff die Pantoffeln, die der Bramine in die Nähe der Thür gestellt und legte sie mit dem indischen Gruß: ›Mögen Deine Wege leicht und angenehm sein!‹ auf seinen Kopf gerade über der dreifachen rothen und blauen Linie, die seine Stirn schmückte. Ein wilder, herzzerreißender Schrei machte mich in diesem Augenblick erbeben, es war das junge Mädchen, welches jammernd hinzustürzte, aber es war zu spät, – der leichtsinnige Streich, von dem ich damals noch nicht wußte, was er bedeutete, war geschehen, und Staunton bereits wieder zu Pferde. Der Alte rührte sich[103] noch immer nicht, nur sein schwarzes Auge ruhte mit einem furchtbaren Ausdruck auf uns, während auf das Geschrei des Mädchens mehrere Hindu's, die in der Nähe beschäftigt waren, herbeieilten und als sie den Braminen mit seinem seltsamen Kopfputz erblickten, gleichfalls ein Wehklagen erhoben. Auf ein Zeichen Staunton's gaben wir unsern Pferden die Sporen und waren bald weit entfernt von der seltsamen Scene, deren Erklärung ich vergeblich von meinem Kameraden verlangte. Er schien vielmehr ärgerlich über sich selbst und sagte mir endlich, daß ich ihn zu einer thörichten Handlung verleitet hätte, die uns Beiden Gefahr bringen könne.«

»Aber was sollten die eigenen Pantoffeln denn dem alten Judier für Schaden thun?« warf O'Malley ein.

»Dieselbe Frage that ich am Abend, den wir bei einem reichen Kaufmann zubrachten, ohne jedoch weiter die Namen zu nennen, und erfuhr, daß durch die Berührung eines unreinen Gegenstandes jeder Bramine der Rechte seiner geheiligten Kaste verloren geht und zu einer niedern degradirt wird.« – »Wer auch dem Uebermuth verübt,« sagte mir der erfahrene Mann, »er kann ihm theuer zu stehen kommen. Vielleicht überlebt der Bramine seine Schande nicht, wenn er aber lebt, wird er leben, um sich furchtbar zu rächen.« –

»Ich gestehe Ihnen, mir wurde bei dieser Erklärung nicht ganz wohl zu Muthe und ich begriff jetzt, warum Staunton ärgerlich auf sich und mich war und in der nächsten Zeit unser Quartier möglichst selten nach der Dämmerung verließ. Indeß es erfolgte Nichts und wir vergaßen die Geschichte um so rascher, als wir bald darauf nach Bombay zurückbeordert wurden. Der Winter war uns dort äußerst angenehm verflossen und wir bereiteten uns Beide, einen Urlaub, den wir erhalten, zu einer Reise nach Bengalen zu benutzen, um an den großen Tiger- und Elephanten-Jagden Theil zu nehmen, als am Tage vor unserer Abreise, an welchem wir mit einigen Freunden zusammen speisten, gegen das Ende der Mahlzeit ein Kuli – ein Hindu-Commissionair – eintrat und ein sauber eingeschlagenes Packet brachte, das an Staunton, der unterdeß zum Capitain vorgerückt war, und mich selbst adressirt sich ergab.« – »Von wem?« fragte ich. – »Nouloum mahin Sahib,« (Ich weiß es nicht, Herr,) antwortete der Kuli und verschwand. Staunton öffnete das Packet an einer Seite und ich sah, wie er beim Erblicken des Inhalts erblaßte. Sein Wink [104] bedeutete mich, keine Frage zu thun, als wir aber allein waren, gab er mir das Packet mit den Worten: »Ich wußte es wohl, der thörichte Scherz würde seine Folgen haben!« – In dem Packet waren die alten Pantoffeln des Braminen, die Staunton diesem auf meinen Wunsch auf die Stirn gelegt.

»Wir schifften uns am andern Morgen in einem Boot ein, das uns von Bombay nach dem Festland bringen sollte, wo wir die vorausgesandten Pferde zur Weiterreise treffen wollten. In dem Augenblick, als wir das Ufer verlassen wollten, drängte sich einer jener indischen Heiligen zu uns, die in fanatischem Wahnsinn sich selbst oft die gräßlichsten Martern bereiten. Der Sanniassy war ein alter Mann, sein Haar in Unordnung, seine Nägel lang und gekrümmt, wie die Krallen des Greif, der Körper beinahe nackt und ganz mit Asche überschmiert. Auf dem Rücken trug er ein kleines Kupfergefäß, unter dem Arm die Antilopenhaut, auf die er sich zum Beten setzt und in der Hand den aus drei Zweigen schlangenförmig gewundenen Stock. Als er uns nahe war, blitzten seine Augen von wildem Haß, während er mit einem seltsam ergreifenden Tone uns die Abschiedsworte zurief: ›Geht, wohin Eure Wünsche Euch rufen und mögen Eure Wege leicht und angenehm sein!‹ – Ich sah, daß er die Münze, die Staunton ihm zuwarf, im Staube liegen ließ, und als das Boot durch die Wellen schob und der Fakir nur noch wie ein dunkler Punkt auf dem weißen Sande des Ufers zu erkennen war, hörte ich die Laskaren den Namen unter sich flüstern: Nikalanta!«

Der Erzählende erfrischte sich durch einen Trunk aus seinem Becher und fuhr dann fort: »Zwei Mal noch fand ich die unheimliche Erscheinung auf unserm Wege, wenigstens glaubte ich sie zu erkennen, das eine Mal in einem alten Schwärmer, der auf einem indischen Markt, auf dem wir verweilten, sich mit dem eignen Fleisch an der Spitze eines Eisenhakens aufgehangen, an dem er von einer wagerecht auf dem Gipfel einer Säule sich drehenden Stange in der Luft schwebte; das andere Mal in der Gestalt eines Bettlers, als wir mit Abscheu in einem indischen Dorfe die Folterqualen betrachteten, welche die gierigen Steuereinnehmer der armen Bevölkerung bereitet hatten.«

Der Capitain nahm die Cigarre von den Lippen. »Sagen Sie ehrlich, Cavendish, ist das Geschwätz der Journale wahr?«

»Hören Sie, was wir mit eigenen Augen erblickten. – Das [105] Dorf war zwei Jahre nach einander hart durch Wolkenbrüche und andere Plagen Indiens, wie ich mir von einem alten Manne erzählen ließ, mitgenommen worden und hatte nur sehr klägliche Reisernten gemacht, so daß die Bevölkerung die Steuern der Regierung seit einem Jahr schuldig war. Gerade am Tage vor unserer Ankunft waren zwei Steuereinnehmer mit einem Kommando Seapoy's eingerückt, um die rückständigen Steuern zu erpressen. Und in der That – man erpreßte sie. – Wir fanden die Bevölkerung, Männer, Weiber, Kinder und Greise, auf dem Platz vor der Pagode jammernd und wehklagend. An vielen der Männer, ja selbst an Greisen war das nichtswürdige Anundal angewendet, eine Folterart, die darin besteht, daß den Unglücklichen der Kopf an die Füße, oder ein Bein an den Kopf gebunden wird, kurz daß sie in die verrenkteste Stellung gebracht werden, in der sie unter bittern Qualen in der glühenden Sonnenhitze tagelang zubringen müssen. Andere waren an den Ohren, an den Haaren oder am Bart aufgehängt –«

»Unmöglich – Sie übertreiben!«

»Auf meine Ehre – ich schildere Gesehenes und weiß, daß dies in diesem Augenblicke noch ein ganz gewöhnlicher Vorgang ist. Ja, was ich Ihnen bisher gesagt, ist nur Spielwerk gegen die Martern, welche im Namen und unterm Schutz – ich will zu ihrer Ehre nicht sagen, mit Kenntniß und Zustimmung – der Regierung des freien Großbritanniens verübt werden. Nicht selten geschieht es, daß man dem armen Opfer eine Schlange oder irgend ein ekelerregendes Insekt in den empfindlichsten Theil des Körpers steckt und den Mann so lange martern läßt, bis er zahlt. Eine andere häufig angewendete Martermethode besteht darin, daß man den armen Hindu's Pfeffer in die Augen, in die Nase oder – in die Schaamtheile bringt und ihnen die entsetzlichsten Schmerzen verursacht. Die Folterart, die wir neben dem Anundal hier angewendet sahen, war das abscheuliche Kitten.«

»Bei Sanct Patrik,« sagte Fähnrich O'Malley, »die Leute haben ja ein ganzes Wörterbuch von Kunstausdrücken. Bitte, worin besteht das Kitten?«

»Es ähnelt der früheren Tortur in Europa und besteht aus einer hölzernen Zange, in welcher die Hände, Füße und bei den Frauen auch die Brüste, Ohren und andere empfindliche Körpertheile so lange gekneipt werden, bis der Gefolterte das Bewußtsein[106] oder auch den Gebrauch des gemarterten Organs verloren hat. Oder die Henker knackten die Finger des Opfers, bis der Schmerz unerträglich wurde –«

»Hören Sie auf, Kamerad,« sagte der alte Artillerist mit Ekel, »und erzählen Sie lieber von Ihren eigenen Abenteuern.«

Die Fortsetzung wurde jedoch durch den Anruf der Schildwache am Eingang der Redoute unterbrochen und dann hörte man die Stimme des von der Ronde zurückkehrenden Lieutenant Stuart, die mit fröhlichem Ton nach dem Capitain rief.

Der Herankommende, ein Schotte von Geburt, war eine hohe schlanke Gestalt, etwa 30 Jahre alt, mit sonnverbranntem hübschem Gesicht. – »Der Teufel soll mich holen,« sagte er lachend, indem er sich wie ein nasser Pudel schüttelte, daß von der Feuchtigkeit des Mantels die Flamme hoch aufspritzte, »wenn ich in diesem Augenblick nicht der willkommenste Lieutenant im ganzen Lager bin. Aufgeschaut, meine Herren – Lord Raglan sollte mich zum General-Proviantmeister machen, denn kein anderer als Ronald Stuart von Kinrose würde es in dieser verwünschten Nacht fertig gebracht haben, zwischen Schlamm und Regen Proviant für eine Generalstafel aufzufischen!«

»Was, zum Henker, meinst Du, Ronald, mein Junge?« fragte der Capitain, »und was sind das für ein Paar Schurken da hinter Dir? Hast Du Gefangene gemacht?«

»So wahr Pater O'Donnoghue den hübschen Dirnen lieber Beichte hört als alten Weibern,« mischte sich Mickey ungerufen in's Gespräch, »ich glaube, 'r Gnaden, das da ist der kosackische Jude, unser Rumlieferant, von dem ich 'r Gnaden gesagt habe.«

Der Fremde wurde herbeigewinkt. Es war seiner Kleidung und seinem Aussehen nach ein tatarischer Bewohner der Gegend, wie er in einigen radebrechten englischen Worten erzählte, aus dem Dorfe Kadikoi. Er hatte einen Knaben, seinen Bruder, bei sich und beide trugen in Körben allerlei Mundvorrath, mit dem sie nach ihrer Angabe Handel trieben. Das Wetter hatte den Leuten offenbar hart zugesetzt, und Lieutenant Stuart erzählte, daß er beim Rückweg im Nebel auf sie in der Nähe der Redoute gestoßen und aus ihrem Kauderwälsch vernommen hätte, daß sie dahin wollten.

Es war zwar sehr gewöhnlich, daß sich die tatarischen Einwohner im Lager umhertrieben, dennoch war Capitain Armstrong [107] unzufrieden, daß sein Offizier die beiden Fremden in die Verschanzung geführt. Indeß die Gelegenheit, in diesem Wetter ungehoffte Erfrischungen erhalten zu können, überwog alle Bedenklichkeiten, und der Capitain gestattete, daß die Tataren einige Flaschen ziemlich guten einheimischen Branntweins unter Mickey's Vermittelung an die Soldaten verkauften, während die Offiziere noch eine Flasche Rum und ein Hammelviertel von ihnen erhandelten.

Der Irländer erhielt den Auftrag, alsbald so gut es die Umstände erlaubten, Fleischschnitten zu braten, und Fähnrich O'Mailley bereitete einen warmen Grogk.

»Und nun, Kamerad,« sagte Lieutenant Lundgreen, »erzählen Sie uns Ihre Geschichte zu Ende, ehe die Reihe der Nachtrunde Sie trifft.«

»Ich habe bereits erwähnt,« fuhr der Erzähler fort, »daß wir auf dem Wege zu den Elephanten- und Tigerjagden waren, die im Innern Bengalens um diese Zeit stattfanden. Eine eigene Scheu hatte mich abgehalten, Staunton von dem Wiedererscheinen des Braminen zu sagen, theils weil ich die unangenehme Erinnerung nicht wieder zur Sprache bringen wollte und uns Mannes genug wußte gegen alle Angriffe des alten Schwärmers, theils auch weil ich glaubte, ich könne mich in der Person geirrt haben. Ueberdies fesselte die Aufregung der wechselnden Scenen und Umgebungen, in die wir jetzt gekommen, alles Interesse.«

»Wir waren in der Nähe von Hyderabad und mit einer Gesellschaft Offiziere und Gentlemen von Madras zusammengetroffen, mit der wir vereint in die große Dschungelwüste eindrangen. Acht Tage hatten wir an ihren Gränzen schon mit der Elephantenjagd zugebracht, ohne doch das gefürchtete Wild Bengalens, den Königstiger, zu Gesicht zu bekommen. Mehrere Treiben, zu denen die Bauern der nächsten Dorfschaften aufgeboten worden, hatten in dem District, den wir betreten und der von einem Tiger verheert werden sollte, zu keinem Resultat geführt. Das Lager wurde nicht aufgespürt und wir bekamen selbst den schlauen Feind nicht einmal zu Gesicht, obschon fast an jedem Morgen neue Räubereien erzählt wurden, die er im Schatten der Nacht verübt. Wir hatten uns deshalb auf eine ziemliche Strecke hin vertheilt und lagen Nacht um Nacht auf dem Anstand in Hütten von Bambusstäben, die man uns zwischen den Aesten der Bäume erbaut hatte. Es war eine ziemlich hohe Wette zwischen den Mitgliedern der Jagdgesellschaft [108] geschlossen worden, wer den Tiger erlegen würde, und Staunton setzte eine besondere Ehre darin, den Sieg für unser Regiment zu gewinnen.«

»Eines Morgens, nachdem ich der Reihefolge nach vergeblich auf dem Anstand zugebracht und mich an den Wundern der Tropenmacht entschädigt hatte, kam Staunton hastig zu mir und weckte mich aus dem Schlaf, in dem ich im Schatten einer riesigen Palme lag.« – »Die Wette ist unser, Cavendisch,« sagte er aufgeregt, »wenn Sie den Muth haben, ein Wagestück mit mir zu unternehmen.« Ein junger Indier hat sich erboten, uns für eine gewisse Summe das Lager des Tigers zu verrathen, das er zufällig entdeckt. Er schlägt vor, uns in dieser Nacht dahin zu führen, währen der Tiger auf Beute umherstreicht, und uns in der Nähe ein Versteck zu zeigen, aus dem wir ihn bei der Rückkehr in der Morgendämmerung erlegen können.

»So verwegen der Versuch auch war, unsere Jagdlust war erregt, dazu unser Stolz und ich erklärte mich, wiewohl mich eine unheimliche Ahnung beschlich, die ich als ein Gefühl von Furcht unterdrückte, zu dem Abenteuer bereit. Wir trafen während des Tages so heimlich unsere Vorbereitungen, daß Keiner von unsern Jagdgefährten, ja nicht einmal unsere Diener das Vorhaben ahnten, und statt beim Anbruch der Nacht den Lauerposten in der Bambushütte einzunehmen, bestiegen wir unsere Pferde und ritten, mit unsern Doppelbüchsen bewaffnet, nach der Stelle am Rande des Dschungelwaldes, an der uns der Indier erwarten wollte. Der junge Mann, fast halb ein Knabe noch und mit weichen schönen Gesichtszügen, die mir im Sternenlicht selbst nicht ganz unbekannt schienen, harrte unser und lief alsbald im Trabe vor unsern Pferden her, so daß wir, je weiter wir in das Dickicht kamen, ihm kaum mit gleicher Schnelligkeit zu folgen vermochten.«

»Wir ritten sichtlich auf einem breiten Elephantenpfade dahin, den die riesigen Thiere auf ihrem regelmäßigen Wechsel durch Wald und Gestrüpp gebrochen. Es war eine wundervolle Nacht, der Sternenhimmel funkelte über uns wie ein Gewölbe von goldgesprenkeltem durchsichtigem Glas, Myriaden grün-und goldleuchtender Feuerfliegen bedeckten die Büsche und die Blätter und füllten die Luft. Das Geschrei der Rohrdommel und das Quaken der riesigen Ochsenfrösche schallte aus den Sümpfen, der Duft der Magnolien und der narkotischen Pflanzen, die bei Nacht ihre Kelche [109] öffnen, erfüllte die Luft. Wenn wir uns einem jener Sumpffelder näherten, in denen die Eingebornen ihren Reis bauen, erhoben sich große Schaaren weißer Reiher mit eintönigem Geschrei in die Nachtluft.«

»Plötzlich erzitterten unsere Pferde und blieben wie angewurzelt stehen. Ein leiser Pfiff scholl von vorn her zu uns, und unser jugendlicher Führer faßte die Zügel der Pferde und drängte sich zwischen sie. Ein gurgelnder stöhnender Laut übertönte all' das seltsame mannichfaltige Geräusch einer indischen Nacht und dann folgte ein heulendes Schnauben, das den Wald ringsum zu erschüttern schien und vor dem das Gekrächze der Hyäne, der klagende Ton des Schakals, die uns im Walde begleitet, verstummten. Der Knabe, unser Führer, drängte sich an uns und flüsterte: ›Der Tiger! es ist der Tiger!‹ – Im Nu waren unsere Büchsen von der Schulter und wir schauten nach der Seite, von welcher der Laut gekommen – aber nur einen Moment lang sahen wir zwei grüne rollende Feuerpunkte etwa 50 Schritt von uns entfernt funkeln, dann schoß es wie ein dunkler Streif über die Lichtung und war verschwunden. – ›Vischnu beschützt uns!‹ flüsterte der Indier, ›und hat den großen Würger geblendet, daß er seinen Weg verfolgt.‹ Eilen wir uns, der Pfad ist jetzt sicher!«

»Es war mir während des Rittes schon wiederholt vorgekommen, als sähe ich hin und wieder durch die Büsche eine graue Gestalt vor uns hingleiten, nach deren Gang sich unser Führer richtete. Doch hielt ich die Erscheinung immer wieder für ein Thier, oder einen Schatten und merkte nicht weiter darauf. Jetzt, nachdem wir dem Tiger glücklich entgangen, sah ich sie wieder mehrmals ganz deutlich, und als wir nach einem halbstündigen Ritt auf einen freien Platz gelangten, stand sie an ein Felsstück gelehnt vor uns. Als wir näher kamen, zeigte es sich, daß es ein Hindu war, tief in sein weißes Lenden- und Schultertuch gegen die Nebel der Nacht eingehüllt.«

»Wir befanden uns hier auf einem ziemlich hohen und freien Felsplateau, an dessen Fuß wir eine große sumpfige und morastige Dschungel sich ausdehnen und in dem giftigen Broden, der aus dem Boden emporstieg, verschwinden sahen. Der junge Hindu erklärte uns, daß unsere Pferde hier bleiben müßten, die er in Obacht nehmen werde, und daß wir nur zu Fuß unter Führung seines Vaters unsern Weg zu dem Lager des Tigers fortsetzen könnten. [110] Nachdem wir uns einmal so weit gewagt, wäre es Feigheit gewesen, zu zögern, und wir nahmen daher unsere Waffen, empfahlen dem Knaben unsere Pferde, die auf dem hohen und freien Felsplateau sicher waren vor dem Angriff der Raubthiere, und befahlen dem alten Indier, voran zu gehen.«

»Seine gebückte hagere Gestalt, in das weiße Tuch gehüllt, glitt im Sternenlicht vor uns hin auf einem durch Binsen und Dornen vielfach gewundenen Pfad, der unsern Augen nicht einmal erkennbar war und der mitten durch den Sumpf in hundert Krümmungen enge sich wand, so daß wir nur Einer nach dem Andern ihn passiren konnten, wobei wir oft auf den Zuruf des Indiers genöthigt waren, von einer festen Stelle zur andern über den trügerischen Grund zu springen. Ich kann nicht sagen, was Staunton dachte, ich aber gestehe offenherzig, daß ich bereits sehr bereute, mich auf das Abenteuer eingelassen zu haben.«

»Ich kann mir die Lage lebhaft denken, Kamerad,« sagte Lieutenant Stuart, während der Erzähler eine Pause machte und dem Grogk zusprach, »und hätte kaum geglaubt, daß Sie sich schon in so ernsten Gefahren befunden haben. Im Kaffernkrieg unter Sir George Cathcart ist es mehrfach passirt, daß wir die höllischen Dschungeln der Erogi-Gebirge bei Nacht durchziehen mußten, von wilden Feinden auf beiden Seiten bedroht, und bei der Distel von Schottland! die Hassagayen der Kaffern waren nicht minder zu fürchten als die Klauen Ihrer Tiger!«

»Es scheint, jede unserer Kolonieen hat ihre Annehmlichkeiten,« sagte der Offizier. »Wir waren kaum zehn Minuten, die Büchse im linken Arm, durch dies furchtbare Dickicht vorgedrungen, als der Mond aufging und seine Strahlen die Gegend ringsum erhellten. Vor uns aus dem Grau der Nebel stiegen riesige seltsam geformte Massen empor, bald schlanken Säulen, bald riesigen Kuppeln und Felswänden gleich. Wir riefen unserm Führer zu halten und uns zu sagen, wo wir uns befänden, doch er sprang, ohne Antwort zu geben, von Stelle zu Stelle immer weiter und es blieb uns Nichts übrig, als ihm zu folgen, bis wir endlich athemlos auf festem Grund und in der Gegend jener phantastischen riesigen Gebilde anlangten, die wir jetzt als die Ruinen Jahrtausende alter indischer Tempel und Bauwerke erkannten. Wir befanden uns in den sagenhaften unzugänglichen Ruinen von Bidjeagur, die, wie ich [111] wußte, etwa acht Meilen entfernt von dem Dorfe Anagundy liegen mußten.«

»Der Hindu, unser Führer, schien in dieser Trümmerwelt, aus der unser Nahen mehr als ein Mal den Schakal und die Hyäne aufstörte und riesige Vampyre durch die Nachtluft scheuchte, wohlbekannt, denn er führte uns, noch immer wortkarg auf unsere Fragen, ohne zu zaudern, durch diese modernden Tempel und Paläste bis zu dem Eingang einer halb verfallenen, von riesigen Marmorwänden umgebenen Pagode, an deren Säulen und Mauern wir im Mondlicht hundertfach wiederholt die Verwandlung des Götzen Vischnu erkennen konnten. – ›Der Tiger hat da darinnen sein Lager,‹ sagte er leise, als fürchtete er selbst die Schauer der Umgebung, ›eine Stunde vor Sonnenaufgang kehrt er von seinem Raub zurück. Ihr werdet am besten thun, Saib's, zwischen diesen Steintrümmern Euch zu verbergen und ihn zu belauern.‹ – Eine kurze Berathung zwischen uns Beiden ließ uns denselben Entschluß fassen. – ›Und Du, Sudners,‹ denn zu dieser Klasse glaubten wir, daß der Führer gehöre, ›was willst Du thun?‹ fragte Staunton. – ›Ich bin ein Ausgestoßener, Saib, ein Paria,‹ sagte der Mann. ›Bei den vier Köpfen dessen, den ich nicht nennen darf, mein Leben gehört Euch!‹ – Wir beschlossen, den Ort näher zu untersuchen und legten unsere Büchsen und Schießtaschen, die uns am Klettern hinderten, auf die nächsten Quadern, sie unter der Obhut des Hindu's lassend, worauf wir aus unserm Jagdvorrath ein Windlicht anzündeten, über die Trümmer stiegen und in das Innere des Tempels eindrangen. Der Schein der Fackel scheuchte auf's Neue einige Fledermäuse auf, sonst jedoch schien das Gewölbe frei von allem Gethier, was dafür sprach, daß hier das Lager des Königstigers sein mußte. Wir erhielten im nächsten Augenblick auch die Gewißheit durch eine Menge von Knochen, die theils glatt und gebleicht, theils noch mit Fleischresten rings umher zerstreut lagen. In diesem Augenblick hörten wir aus einem Winkel ein Mianen und Winseln, und als wir den Schein unsers Lichtes dahin wandten, sahen wir etwas sich regen und bewegen, wie zwei kleine unbehilfliche Thiere. Drei Schritte brachten uns nahe heran – es war das Lager des Tigers und darin lagen zwei kaum vier Wochen alte junge Tigerkatzen!«

»Da waren Sie ja doppelt glücklich bei Ihrer Jagd,« sagte der Fähnrich.

[112] »Den Teufel auch! Wie ein Blitz fuhr der Gedanke durch unsere Seelen, daß wir nicht in dem Lager eines Tigers, sondern einer Tigerin uns befanden und daher wahrscheinlich zwei furchtbare Feinde zu erwarten hatten. Staunton gab zuerst diesem Gefühl Worte.« – »Das geht selbst über britische Nerven, Cavendish,« sagte er. »Ich denke, wir nehmen die jungen Katzen hier als Beweis unsers Abenteuers, erreichen unsere Pferde und attakiren morgen bei Tage mit der ganzen Jagdgesellschaft dies Nest. Ein Tigerpaar für zwei Mann liegt außer unserer Wette.«

»Damit hatte er eine der Katzen am Hals gepackt und schnitt ihr die Kehle durch. Ich machte es mit der zweiten eben so und wir kletterten dann hastig über die Steintrümmer des Ausgangs zurück.

Der Hindu war verschwunden!

Im ersten Augenblick, da unsere Gewehre und Taschen auf den Steinen lagen, glaubten wir, er habe seinen Posten bloß zufällig verlassen und befinde sich in der Nähe, und wir riefen nach ihm, um ihm die drohende Gefahr und unsern Beschluß mitzutheilen. Unser Ruf weckte das Echo der Ruinen, ohne den Führer herbeizubringen. – ›Wo zum Teufel,‹ sagte Staunton, ›muß der Schurke stecken. Er kann unmöglich aus Furcht davongelaufen sein, denn seine Angabe, daß die Tiger erst mit dem Morgengrauen zurückehren, ist, wie ich aus Erfahrung weiß, richtig. Ich schlage dem Schuft das gelbe Fell zu Mus, daß er uns hier unnütz aufhält.‹ – Ein wildes Hohnlachen antwortete diesem Ausbruch der Besorgniß und Ungeduld; dann sahen wir auf der Höhe der Tempelruine eine menschliche Gestalt wie durch Zauberei erscheinen, am Nachthimmel sich abmalend, und wie aus den Wolken klang eine unheimliche höhnende Stimme mit dem Ruf:

›Zwei Saib's – zwei Tiger! – Möge Euer Weg leicht und angenehm sein!‹

Im Augenblick war mir das Geschehene klar – der Führer war Nikalanta, der entweihte Bramine, und wir unwiderbringlich die Opfer seiner Rache. Der Gedanke hatte kaum Zeit gehabt, mir durch das Gehirn zu fahren, als auch schon die Büchse an meiner Wange lag, gegen den Verräther erhoben, und mein Finger den Drücker berührte.

Das Zündhütchen sprühte, ohne daß das Gewehr sich entlud. Ein neues Hohngelächter antwortete meinem Versuch.

[113] Bestürzt schaute Staunton mich an und dann auf die Stelle, von der die Gestalt unseres unversöhnlichen Feindes jetzt verschwunden war. – ›Was soll das heißen? was thun Sie, Cavendish?‹ – Meine fliegenden Worte verkündeten ihm die furchtbare Lösung. Er blieb einige Zeit finster und nachsinnend, dann sagte er: ›Ich glaube, Sie haben Recht, und auch mich wollte es bedünken, als hätte ich das Gesicht des Knaben schon gesehen, der uns zu dem Gange verlockte. Es war die Tochter des Braminen, die wir damals an der Hütte fanden. Die Lage, in die uns jener Teufel versetzt, ist wahrhaft furchtbar, und wir werden ihr schwerlich entrinnen. Indessen lassen Sie uns als Männer thun, was wir vermögen, und komme dann, was da wolle. Zuerst bringen Sie Ihr Gewehr in Ordnung, damit es im Augenblick der Noth nicht nochmals versagt.‹ – Ich hatte es bereits aufgenommen, aber zu meinem Entsetzen bemerkte ich jetzt, daß es feucht war, – Nikalanta hatte Wasser, das er in der hölzernen Flasche an seiner Seite trug, in den Lauf gegossen. Dasselbe war mit Staunton's Büchse geschehen. Unser erster Gedanke war jetzt an das Pulverhorn, das an meiner Jagdtasche hing – es war leer, wir waren, fast waffenlos, den Tigern Preis gegeben.

Sprachlos setzten wir uns auf die Quadern und schauten uns an. Wir wußten nicht, ob unser Feind noch in der Nähe weilte, und welches neue Unheil er brütete, aber unsere Lage schien kaum schrecklicher, gefährlicher werden zu können; denn wir fühlten Beide, ohne es auszusprechen, daß an einen Versuch zur Rückkehr durch den Dschungelsumpf ohne Führer und vor vollem Tageslicht nicht zu denken war, und daß das Gelingen auch dann noch sehr zweifelhaft blieb. Bis dahin aber waren die Tiger längst zu Stelle. Ohnehin machte allem Zweifel über diesen Weg ein aus der Entfernung schwach herüberdringender eigenthümlicher Schrei ein Ende, dem gleich darauf ein zweiter folgte. Ich hatte nie in meinem Leben den seltsam klagenden, die Nerven erregenden Ton vernommen, doch Staunton, der die Schlachten gegen die Shiks mitgeschlagen, belehrte mich darüber: ›Es sind unsere edlen Pferde, denen der blutdürstige Schurke sein Messer in's Herz stößt, um uns jeden Weg der Flucht abzuschneiden.‹

Endlich hatten wir uns so weit gefaßt, daß wir unsere Lage ruhiger besprechen konnten. Es war Mitternacht vorüber, also etwa noch zwei Stunden Zeit, bis die Morgendämmerung begann. [114] Verschiedene Pläne wurden gefaßt und verworfen, endlich beschlossen wir, uns in dem Tempelgemäuer selbst, welches zum Lager der Tiger diente, so gut zu verbarrikadiren als möglich, da es nur an einer Stelle einen offenen Eingang zeigte. Wir schleppten mit aller Anstrengung Steintrümmer heran, die Oeffnung zu verengen, und arbeiteten, daß uns der Schweiß von der Stirn lief. Als wir keine leichten, für unsere Kräfte geeigneten Steine mehr fanden, setzten wir uns hinter die leichte Brustwehr. ›Kamerad,‹ sagte der Capitain, ›ich bin ein älterer Jäger wie Sie und weiß, daß die Tigerpaare nie zusammen jagen. Es ist wahrscheinlich, daß nach ihrer Gewohnheit die Tigerin zuerst und weit früher, als der Tiger zurückkehrt. Unser Leib muß hier die Spalte, durch welche die Bestie in unsere Festung eindringen kann, vertheidigen. Uns Beide auf den Tiger zu stürzen, hieße wahrscheinlich Beide kampfunfähig machen. Lassen Sie uns also loosen darum, wer zuerst dem Thier sich entgegenstellt; der Zufälle und Schickungen sind so mancherlei und irgend ein glücklicher Umstand könnte vielleicht wenigstens Einen von uns retten, wenn es dem Andern gelingt, mit seinem Leben die erste Bestie abzuschlagen.‹ Nach einigem Bedenken willigte ich ein, indem wir überein kamen, daß Der, den das Loos getroffen, den vordersten Posten einnehmen und von seinem Kameraden nur unter stützt werden sollte. Ein Geldstück sollte entscheiden. Staunton wechselte ein in beiden Händen – wer die Guinee traf, hatte den ersten Kampf zu bestehen; ich wählte – die Hand war leer, der Capitain sollte der Tigerin entgegen treten.

Ich weiß nicht, wie ihm zu Muthe war; mir wollte fast das Herz und der Kopf zerspringen, während er seinen Jagdrock ablegte und sich ihn von mir um seinen linken Arm wickeln ließ. Indem ich dies that, fühlte ich einen harten Gegenstand – ich zog ihn heraus – allmächtiger Gott! – es war ein sechsläufiger Revolver, den er in der Tasche bei sich trug und den er in der Aufregung gänzlich vergessen. Schon glaubte ich uns bewaffnet und gerettet, aber der Capitain benahm mir den Wahn. ›Hätte ich eher daran gedacht,‹ sagte er, ›so wäre es vielleicht möglich gewesen, unsere Büchsen zu reinigen und das Pulver aus den Pistolenläufen zur Ladung zu benutzen. Doch wäre es immer nur ein Vielleicht, und die geringste zurückgebliebene Feuchtigkeit würde den Schuß verloren machen. Ueberdies ist es jetzt zu spät – [115] mich dünkt, ich sehe bereits die ersten Boten der Dämmerung. Nehmen Sie das Pistol, und wem Sie kaltes Blut genug besitzen, so warten Sie den Augenblick ab, wenn ich mit der Hefte handgemein bin und setzen es ihr an das Auge.‹ – Er weigerte sich auf das Bestimmteste, das Pistol selbst zu nehmen, indem er erklärte, daß es in meinen Händen ihm nützlicher sein würde. Ich band ihm eben das lange scharfe Jagdmesser mit dem Taschentuch in der rechten Hand fest, während die linke in der dicken Umhüllung des Armes frei blieb, als wir plötzlich in einiger Entfernung das Röhrich knistern und brechen und zugleich ein wildes Schnauben hörten. Mit den Worten: ›Da ist sie! – nun Gott befohlen, Kamerad, und vor Allem kaltes Blut!‹ riß er sich von mir los und sprang an die Oeffnung.

Er hatte Recht, – es war die Tigerin, die mit langen Sätzen, ein Reh im Rachen, von der Dschungel her durch die Trümmer sprang. Die Dämmerung hatte im Osten bereits begonnen und wir konnten das Thier, eines der größten seiner Art, deutlich sehen. Plötzlich hielt es in seinem raschen Lauf an und schnubberte umher, – es hatte die Witterung seiner todten Jungen empfangen, die wir außerhalb der Pagode an der Stelle, wo wir so unglücklicher Weise zuerst unsere Büchsen zurückgelassen, hatten liegen lassen. Im nächsten Augenblick war die Tigerin bei den kleinen Leichen und ein so wildes Geheul erschütterte die Luft, daß ich fühlte, wie mir das Blut in den Adern gerann. Jetzt – sie hatte ihre Feinde gewittert und flog mit gewaltigem Satz gegen den Eingang, ihre Pranken rissen wie Spreu die Steine zur Seite und ihr Oberkörper füllte die Oeffnung. Zum Glück erlaubte die kletternde Stellung ihr nicht die Anwendung ihrer vollen Kraft, wie ein Sprung diese entwickelt, und ehe sie sich durch die Steine zwängen konnte, sah ich, wie Staunton sich ihr entgegen warf. Die Scene, die jetzt folgte, ging rascher vor meinen Augen vorüber, als ich es hier zu erzählen vermag. Ich sah, wie der linke Arm meines tapfern Kameraden in den offenen Rachen der Bestie stieß und seine Hand wahrscheinlich ihre Zunge fest packte, ich hörte das Knirschen der Zähne in den brechenden Knochen, ich sah, wie die Tatze des Thiers in seine Brust schlug und zugleich seine rechte Hand zwei – drei Mal zustieß, wie jedes Mal ein dicker Blutstrahl sich über das Tuch ergoß – dann war es mir, als ob meine Sinne in dem betäubenden Odem des Thieres sich [116] verwirrten, als hörte ich den Ruf: ›Zu Hilfe, Cavendish! zu Hilfe!‹ – ein Knall – ein zweiter – ich fühlte, daß ich geschossen, das Wie? wußte ich nicht – und dann verlor ich das Bewußtsein.«

Der Erzähler machte eine Pause; kein Laut unterbrach die athemlose Aufmerksamkeit, mit welcher die Offiziere der erregenden Beschreibung zugehört hatten.

»Meine Schwäche,« fuhr der junge Mann fort, »wird in Ihren Augen vielleicht verächtlich erscheinen; aber bedenken Sie, daß ich, auf dem Parketboden von Windsor erzogen, noch nie Gelegenheit gehabt, meine Nerven für solche furchtbare Scenen zu stählen.« Dennoch konnte meine Ohnmacht nur wenige Augenblicke gedauert haben, als ein schmerzliches Stöhnen an meiner Seite und mein leise ausgesprochener Name mich zum Bewußtsein und zu meiner Pflicht zurückrief. Ich war entschlossen, mich auf das Unthier zu stürzen, aber – der Kampf war zu Ende: kaum zwei Fuß von mir lag die Tigerin mit durchschnittener Kehle und das eine grüne Auge rollte noch im Verscheiden, während das andere, von den Schüssen zerschmettert, blutig aus der Höhle hing und Wellen schwarzen Blutes aus Hals und Rachen quollen. Ich schaute mich nach Staunton um, er knieete neben mir – entsetzlich anzuschauen. Sein linker Arm war bis an die Schulter zermalmt und hing schlaff, ein Gemisch von zerrissenen Sehnen, Fleisch und Kleiderfetzen, herunter, während die Brust eine breite, bis auf den Knochen gehende Wunde zeigte, wie die Pranke des Ungethüms sie gerissen hatte. »Es ist vorbei mit mir, Cavendish,« flüsterte er stöhnend, »die Klauen des Tigers hatten die Lebensarterien schon getroffen, als Ihr Schuß sein Gehirn zerriß.« – Ich hob ihn in meinen Armen auf und schleppte ihn einige Schritte weit fort von dem blutigen Thier. Ich sah, jeder Versuch, ihn zu verbinden, selbst wenn ich die Mittel dazu gehabt hätte, wäre vergeblich gewesen. – »Lassen Sie mich ruhig sterben, Cavendish,« sagte er, »und denken Sie an Ihre eigene Rettung. Der Tiger kann jeden Augenblick kommen, aber mir ist ein Mittel eingefallen,« – er sprach mit Anstrengung in abgebrochenen Sätzen – »das uns Beide gerettet hätte, wenn ich eher daran gedacht. In meiner Tasche ist Feuerzeug – Sie müssen die Dschungel in Brand stecken – unter diesen Steingewölben sind Sie sicher. Aber eilen Sie – eilen Sie!« – –

[117] »Die Ueberzeugung fuhr mir durch den Kopf, daß das Mittel vortrefflich sein mußte, dennoch wollte ich den Sterbenden nicht verlassen.« – »Fort, fort – eilen Sie,« rief er mit aller Anstrengung, »jede Minute ist unwiederbringlich – Sie finden mich noch lebend!« – Ich sprang über die Leiche des Tigers und die Steine und eilte zum Rande der Dschungel. Das Morgenroth zeigte bereits seine ersten Dinten und ein leichter Luftzug wehte über die Fläche. Rasch war einiges dürre Gesträuch zusammengerafft und in Brand gesteckt, ich warf es in das Rohrdickicht und im nächsten Augenblick schon quollen Rauch und Flammen in die Höhe.

»Nach kaum fünf Minuten war ich wieder bei dem Verwundeten. Er hatte sich zur Leiche der Tigerin geschleppt und betrachtete sie mit einem gewissen Stolz. – ›Lassen Sie mich auf ihr sterben, Cavendish,‹ sagte er, ›es wird nicht viele Männer geben in der britischen Armee, die sich rühmen können, eine Tigerin mit dem Jagdmesser bekämpft zu haben. – Hören Sie – wie die Flamme knistert – mein Rath war gut, aber er kam zu spät!‹ – In der That zeigte ein Blick mir, daß das ganze Dickicht bereits in Flammen stand, die, von dem Wind angefacht, mit rasender Schnelle über das dürre Geröhr flogen. Thiere aller Art, wilde Kaninchen, Schlangen, Eidechsen, Schakals und schwarze Eber flüchteten, von dem Feuer aufgejagt, aus ihrem Lager im Sumpf und nach den höher und frei gelegenen Ruinen. Staunton faßte meine Hand; an dem starren, gläsernen Ausdruck, den seine Augen annahmen, konnte ich sehen, daß der Tod ihm nahe war. – ›Cavendish,‹ flüsterte er, ›wenn Sie entrinnen, verlassen Sie Indien sogleich – denn der braune Satan wird Sie verfolgen bis –‹ Er fuhr plötzlich empor, die Sinne des Sterbenden waren, wie dies häufig der Fall sein soll, merkwürdig geschärft und er hörte durch das Zischen und Knistern der Flammen ein Geräusch, das mein Ohr noch nicht unterscheiden konnte. – ›Gott erbarme sich Ihrer, Kamerad – der Tiger kommt – der Tiger –‹ Ich hatte kaum Zeit gehabt, empor zu springen, da erschütterte ein wüthendes entferntes Brüllen die Luft und schien mit Sturmeseile näher und näher zu kommen. Durch das Prasseln der Flammen hörte ich das Brechen des Rohrs und der Gebüsche und dann –«

»Stop!« klang der Anruf der Schildwache vor der Brustwehr. – »Werda? – Feldgeschrei? – Parole?«

[118] »Abukir und Waterloo!« sagte eine Stimme. »General Codrington zur Visitation!«

Ehe noch die Schildwache ihr »Passirt« hatte entgegnen können, waren die überraschten Offiziere schon emporgesprungen und eilten dem Hals der Verschanzung zu. Außerhalb derselben hielt in der That der Brigade-General mit einer kleinen Begleitung. Einige Nachrichten, die ihm am Tage vorher von Bewegungen der Russen zugekommen waren, hatten ihn besorgt gemacht, und er beritt die britischen Linien, um sich von der Wachsamkeit der Posten zu überzeugen.

»Wer kommandirt die Batterie?«

»Lieutenant Lundgreen, Excellenz. Die erste Compagnie des 95. Regiments, Capitain Armstrong zur Deckung.«

»Gut, meine Herren, ich sehe, das Höllenwetter hat keinen Einfluß auf Ihre Wachsamkeit geübt. Doch möchte ich Ihnen rathen, Capitain, obschon ich nicht Ihr kommandirender General bin, einen Offizier mit einem Piket während der Dunkelheit die Straße zwischen den Höhen bis zur Wasserleitung hin patrouilliren zu lassen. Die Russen stehen, wie wir wissen, in bedeutender Stärke am andern Ufer des Flusses.«

»Zu Befehl, Excellenz. Lieutenant Cavendish, nehmen Sie einen Sergeanten und zehn Mann, verstärken Sie unsern Posten auf der Straße nach der Tschernaja und senden Sie Patrouillen bis an den Thalrand.«

Der Lieutenant salutirte mit etwas saurer Miene. – »Zum Henker!« flüsterte O'Malley, »da kommen wir um den Schluß Ihrer Geschichte. Ich hätte gar zu gern erfahren, wie Sie noch davongekommen.«

»Gedulden Sie sich bis wir uns wiedersehen,« entgegnete Cavendish ebenso. – Er eilte, sich fertig zu machen, denn der General zögerte offenbar, um den Abmarsch der Patrouille zu sehen.

Beide ahnten nicht, daß zwischen dem Jetzt und dem Wiedersehen die Ewigkeit lag.

»Fertig, Capitain. Gewehr auf! Marsch!« Das Kommando verließ die Schanze. Als Cavendish bei General Codrington vorbeimarschirend salutirte, klang von der Festung her ein fernes melodisches Summen durch die schwere Nebellust. Der Lieutenant blieb stehen – auch die andern Offiziere horchten aufmerksam auf die Klänge, die offenbar von der Festung herkamen. Lord Codrington [119] lachte. – »Stören Sie sich nicht daran, meine Herren, ich habe es vorhin schon vernommen, als ich meine eigene Brigade visitirte. Die Russen läuten zur Nachtmesse in der Stadt, es ist morgen Sonntag und sie feiern wahrscheinlich irgend einen ihrer hundert Heiligen. Gute Nacht oder – Guten Morgen und gute Wache, Gentlemen!« – Der General ritt grüßend weiter nach der Richtung der andern Redouten.

Als er fort war, wurden die Wachen abgelöst und dann hüllten sich Offiziere und Soldaten in ihre Mäntel und suchten eine wenigst nasse Stelle für die Ruhe einiger Stunden. Auf seine Frage erfuhr Capitain Armstrong, daß der Tatar und sein Knabe zugleich mit der Patrouille die Verschanzung wieder verlassen hatten, was ganz gegen seine Absicht geschehen, aber nicht mehr zu ändern war.

Der Tatar hatte übrigens nur eine kurze Strecke weit bis zur alten Poststraße das britische Detaschement begleitet, dann verließ er die Soldaten unter dem Vorgeben, nach Kadikoi zurückkehren zu wollen. Die Patrouille war kaum im Dunkel des Hohlwegs verschwunden, als er auch die Straße verließ und an den Hügelseiten emporkletterte. »Jetzt wissen wir, was wir wollen, Mauro,« sagte er, »Du kennst die Parole und das Feldgeschrei für den Nothfall, wenn Du auf Soldaten stoßen solltest. Also rasch nach der Stadt und General Ssoimonoff entgegen. Ich schlage den Weg durch die Steinbrüche ein und bin in einer Stunde an der Brücke. Die Narren haben uns alle ihre Vertheidigungs-Anstalten sehen lassen und ich denke, Mungo's Probestück auf diesem ihm fremden Boden wird der Empfehlung Deines Herrn keine Schande machen.« –

Der Spion verlor sich in den dunklen Schatten der Berge, während der Knabe nach der Richtung der Stadt schlich.

Als General Codrington von seiner Inspection der britischen Linie, die er bis gegen den Sapunberg hin ausgedehnt hatte, zurückkehrte, – der Tag brach bereits an – fielen plötzlich auf dem linken Flügel der Vorpostenlinie vor der Division Brown einige Schüsse und bald darauf hörte man von der Seite von Inkermann ein heftiges Gewehrfeuer.

Codrington ließ seine Brigade unter Waffen treten.

Das Glockengeläut in der Nacht von den Thürmen Sebastopol's hatte nicht der Sonntags-Frühmesse gegolten, sondern die [120] Einwohner zusammengerufen zum Gebet für den glücklichen Ausgang der Schlacht. Die Truppen standen bereits auf den Sammelpunkten.

Als die Morgenröthe sich am Himmel zeigte, während auf den Bergen und in den Thälern dichter Nebel lag und im englischen Lager noch Alles ruhig schlief, ohne an die nahe Gefahr zu denken, begannen die russischen Truppen auch von den Höhen des rechten Tschernajaufers herabzusteigen, und von der Stadt her näherte sich die Spitze der Colonne Ssoimonoss's.

In diesem Augenblick schon war es, wo das Geschick der Schlacht durch den Fehler eines ihrer Führer entschieden wurde, der die Folgen selbst nicht durch die heldenmüthige Opferung seines Lebens abwenden konnte. Die Disposition für die Colonne des General-Lieutenants Ssoimonoff, die von der Bastion Nr. 2 aus gegen die Engländer vorbrechen sollte, lautete: auf der linken Höhenseite des Kilengrundes vorzugehen und die Engländer anzugreifen. Der Fürst hatte damit die westliche Seite des Kilengrundes gemeint, bei der Bestimmung von rechts und links den Lauf des Thalgrundes nach seinem Ausgang zum Meere annehmend.

General Ssoimonoff that das Gegentheil – er rechnete in der Richtung, nach welcher er marschirte.

So überschritt seine Colonne denn gleich beim Austritt aus der Stadt die Mündung des Kilengrundes und rückte auf dem Plateau des östlichen Randes vor, statt sich auf dem breiten Terrain des westlichen zu entfalten und hier den linken Flügel der englischen Stellung anzugreifen, nach dem Centrum hin aufzurollen und so zwischen die englischen Trancheen und das Lager einzudringen, das am Anfang des Kilengrundes lag. Dies war jedoch nicht der einzige überwiegende Nachtheil. Durch die Irrung des Ssoimonoff'schen Corps schob es sich vor den von der Inkermann-Brücke her vordringenden rechten Flügel der Angriffs-Colonne des General-Lieutenants Pawloff, der von dieser Seite gegen das englische Lager vordringen sollte, während sein linker Flügel auf der alten Poststraße und durch die Schluchten die englischen Redouten und den rechten Flügel der Feinde angriff. Die Russen verloren damit ihr numerisches Uebergewicht, da sie nicht aufzumarschiren vermochten. Die russischen Regimenter mußten in Compagnie-Colonnen zum Angriff gehen, auf welche die englischen Bataillone in Front zu zwei Gliedern aufgestellt, mit ihren vorzüglichen Gewehren [121] schon in weiter Entfernung ein sicheres, vernichtendes Feuer eröffneten. –

Der dichte Nebel und die graue Farbe der Platschtsch's 4 der Russen machte es neben der Ermattung der englischen Schildwachen den feindlichen Tirailleurs möglich, unbemerkt dicht heran zu kommen. Das Tarutinskische Jäger-Regiment unter seinem Commandeur General-Major Wolkow rückte auf der alten Poststraße vor, während das Borodinskische Regiment parallel die Schluchten hinan stieg.

Lieutenant Cavendish, der kaum eine halbe Stunde vorher von einer Recognoscirung bis an die Tschernaja zurückgekehrt, sah sich plötzlich im Rücken und in den Flanken von russischen Jägern umgeben und ein Offizier rief ihm auf Englisch zu, er solle sich ergeben. Der junge Mann jedoch, dem es durchaus nicht an Muth fehlte, erwiderte mit einem Schuß seines Revolvers, um die nächsten Schildwachen zu allarmiren, und versuchte dann an der Spitze seiner kleinen Truppe sich durchzuschlagen. Ein Bajonnetstich in die Brust warf ihn verwundet zu Boden, indeß gelang es ihm, aus dem wüthenden Kampfe, der jetzt folgte, zu entkommen, und auf dem Boden sich hinschleppend, den Schutz des nächsten Gebüsches zu erreichen.

Binnen wenig Minuten war jetzt Allarm auf der ganzen Linie. Der Angriff zeigte sich aber so ausgedehnt, das Kanonen und Kleingewehrfeuer krachte von so verschiedenen Seiten, daß die englischen Generale anfangs vollständig in Zweifel waren, woher der Angriff sie bedrohe. Von der linken Seite her donnerten die Batterieen der Stadt und unterstützten die Artillerie Ssoimonoff's, die mit 38 Geschützen sich auf den rechten Kilenhöhen aufgestellt hatte. Die Spitzen des Pawloff'schen Corps erstiegen bereits die Höhen der Poststraße, von Südosten verkündeten Kanonenschüsse die Diversion des Fürsten Gortschakoff gegen den Sapunberg.

Zuerst glaubten die Engländer, es gälte auf's Neue einen Angriff gegen Balaclawa, und hielten das Vordringen von Inkermann für eine Scheinattake. Die blutige Wirklichkeit belehrte sie bald eines Andern. General Pennefather, der wegen Krankheit Lach-Evans die Division führte, erschien zuerst auf dem Kampfplatz und sandte die drei Regimenter der Brigade Adams zum [122] Schutz der Redoute Nr. 1, mit der eigenen Brigade links gegen Ssoimonoff Stellung nehmend. Buller und Codrington setzten mit ihren Brigaden die Schlachtlinie fort, und hinter diesem ersten Treffen gelang es den Engländern, ihre weitere Stellung zu bilden.

Noch im Schutz des Nebels drängten das Borodin'sche und Tarutinski'sche Jäger-Regiment von der Colonne Pawloff's, nachdem sie die Hohlwege erstiegen, die Brigaden Pennefather's zurück und griffen die Redoute Nr. 1 an. Das Tomski'sche und Koliwanski'sche Regiment, unterstützt durch das Regiment Catharinenburg, warfen sich trotz des furchtbaren Flankenfeuers der vier englischen Brigaden Codrington, Buller, Campbell und Gordon, mit dem Bajonnet auf die Brigaden Adams und Pennefather. Der Ruhm, den die Engländer sich stets angemaßt, daß keine Truppen der Welt sich mit ihnen im Bajonnetkampf messen können, wurde hier vernichtet. Die russischen Bataillone drangen mit unwiderstehlicher Macht vor, obschon die Kräfte auf diesem Theil des Schlachtfeldes ganz gleich waren. Das Gemetzel war entsetzlich, fast jeder Stoß der Bajonnete brachte eine tödtliche Wunde, aber über die Fallenden und Sterbenden stürmten neue Kämpfer in die Reihen. Das »Urrah« der Russen, wie sie in dem Thalgrund in geschlossenen Colonnen vordrangen, klang wie der Donner einer Lawine, und gleich einer solchen rollten sie die englischen Bataillone auf. Die Artillerie Ssoimonoff's sandte zugleich von der Höhe ihre Kugeln bis in die Zelte des englischen Lagers, ein Bataillon des Tomski'schen und zwei Bataillone des Koliwanski'schen Regiments stürmten die Redoute Nr. 2., vernagelten zwei Lancaster-Kanonen und drangen bis in's Lager der 2. Division. Zwei Bataillone Catharinenburg unter ihrem tapfern Oberst Uwaschnow Alexandrow umgingen sogar das obere Ende des Kilengrundes, gelangten so auf das Terrain, das die Colonne Ssoimonoff von Anfang hätte occupiren sollen, stürzten sich hier auf das Lager und vernagelten die Geschütze.

Doch sie blieben ohne Unterstützung; – General-Major Wilboa, der Kommandirende der drei Regimenter, fiel, von einer englischen Kugel getroffen, die Miniébüchsen der Schützen der leichten Division Brown räumten furchtbar unter den Russen auf und die tapferen Bataillone mußten ihre Vortheile wieder aufgeben und, fast aller Offiziere beraubt, bis an den Hohlweg zurückgehen, der die Steinbrüche an dem Kilengrund bildet.

[123] Hier war es, wo der unerschrockeneSsoimonoff mit seinem Blute den begangenen Fehler sühnte. Der Kommandant seiner Artillerie, Oberst Saghoskin, fiel – die Artillerie-Bedienung, die Zugpferde wurden von den weithin treffenden Kugeln der Engländer niedergeworfen, erst unter'm Schutz der vom General-Major Schabokritski in vortheilhafter Stellung aufgefahrenen Batterieen gelang es den russischen Regimentern, sich wieder zu formiren. Sie hatten furchtbar durch den Heldenkampf gelitten und mußten aus der Schlachtlinie zurückgezogen werden. In den drei Regimentern waren nur noch zwei Stabs- und fünfzehn andere Offiziere ohne schwere Wunden. Neue russische Regimenter nahmen hinter den Batterieen Stellung und eine Kanonade begann. – Auf der Höhe hinter diesen Batterieen der ersten Linie hielt der Oberbefehlshaber der russischen Angriffscolonnen, General Dannenberg, und der Tod um ihn her mähte eine reiche Erndte. Offiziere des Generalstabes, Adjutanten und Ordonnanzen wurden ringsum getödtet, dem General selbst zwei Pferde unter dem Leibe erschossen.

Während dieses wilden Kampfes an dem obern Ende des Kilengrundes hatten die beiden Regimenter des Pawloff'schen Corps, die sich gegen die Redoute Nr. 1 und die Brigaden Adam's und Pennefather's gewendet, dieselben zurückgedrängt und stürmten wiederholt die Redoute, in welcher sich Capitain Armstrong mit den erhaltenen Verstärkungen mit Löwenmuth schlug. Dem muntern O'Malley schlug eine Kugel durch den Mund und schloß ihn auf ewig; der treue Mickey schleppte seinen tapfern Herrn schwer verwundet aus dem Kampf; die Russen drangen wiederholt bis an die Mündungen der Kartätschen-sprühenden Geschütze Lundgreen's vor, und für die Todten, die Bajonnet und Kolbe der Engländer von den Brustwehren schleuderte, klommen mit jener zähen Gleichgültigkeit gegen Gefahr und Leben neue Schaaren empor. Schon waren Einzelne in das Innere der Batterieen gesprungen und kämpften mit den Artilleristen, da – – –

»Vive l'Empereur!« – –

Früh 7 Uhr war Lord Raglan mit seinem Stabe auf dem Schlachtfelde eingetroffen, wo bereits, mit Ausnahme der Brigaden Colin-Campbell und Eyre, die in den Trancheen und bei Balaclawa standen, die ganze englische Macht im Feuer war. Um den Gang des Gefechtes besser zu überwachen, ritt er in die Schlachtlinie vor – an seiner Seite fiel hier der Chef seiner [124] Artillerie, General Strangway's, der bei Leipzig als Kommandant einer Raketen-Batterie ruhmvoll seine Laufbahn begonnen.

Bald nach Beginn des Angriffs schon eilte GeneralBosquet, der Kommandant des französischen Observations-Corps auf dem Sapunberg, in das britische Lager, gefolgt von 4 Compagnieen Vincenner Jäger, 2 Bataillonen Infanterie und 2 reitenden Batterieen. Er bot den Generalen Cathcart und Brown seine Hilfe, doch die hochmüthigen Briten, noch nicht gedemüthigt von der Decimirung ihrer Regimenter, lehnten den Beistand ab und erklärten, noch Truppen in Reserve zu haben. Nur wenn die Redoute Nr. 1 in die Hände der Feinde fiele, würden sie um Unterstützung ihres rechten Flügels bitten. Bosquet, weit verständiger, als die Engländer, sandte ohne Weiteres die mit ihm gekommenen Truppen der Redoute zu Hilfe und kehrte nach seinem Posten auf dem Sapunberg zurück, um sich selbst von der Wichtigkeit des Angriffs zu überzeugen, der dort von Tschorgun her drohte. Sein Scharfblick erkannte sofort, daß hier nur von einer Scheinattake die Rede war, um ihn zu beschäftigen. Er traf demnach seine Vorbereitungen, um auf die erste Botschaft der Engländer nach dem Schlachtfelde eilen und mit seinen Truppen das Schicksal des Tages entscheiden zu können.

Aber der beleidigte General wartete auf die Bitte der Briten, die, wie er sah, kommen mußte. Der tapfere Republikaner, der mit seiner ganzen Division keck gegen das Kaiserthum gestimmt, der, als Liebling der Armee, nur auf Fürsprache Canrobert's beim orientalischen Kriege wieder eine Division erhalten und seitdem durch sein Organisationsgenie bei der Landung in Gallipoli die Engländer in Staunen gesetzt, die faulen Türken mobil gemacht, der an der Alma schon durch den Sturm auf die Höhen am Meer die Schlacht entschieden hatte, – er haßte als echter Franzose die anmaßenden Verbündeten seines Kaisers, die natürlichen Feinde Frankreichs, und beschloß, sie zu demüthigen.

Seine ersten Bataillone waren es, welche im letzten Augenblick den tapfern Vertheidigern der Redoute zu Hilfe kamen und sie befreiten, während zugleich General Bentink mit der Garde-Brigade der geworfenen zweiten Division zu Hilfe eilte und die Russen zurücktrieb.

Es war 9 Uhr, der erste Akt des blutigen Drama's war beendet.

[125] Doch nur auf kurze Zeit. Auf's Neue rollte der Vorhang empor und ließ das Spiel beginnen, in dem der Kanonendonner die Rede, der Tod die Action war.

Die drei hintersten Regimenter der Colonne Pawloff's, das Ochotski'sche Jäger-, das Jakutski'sche und Selenginski'sche Infanterie-Regiment, die nach Ueberschreitung der wieder hergestellten Inkermann-Brücke rechts auf der Sappeurstraße vorgerückt waren, trafen um 8 Uhr auf dem Schlachtfelde ein, zur Zeit, als die vorderen Truppen Ssoimonoff's nach dem Fall ihres Führers zum Steinbruchgrund zurückgedrängt wurden.

Neben General Dannenberg hielten zu Pferde zwei junge Offiziere, mit den Abzeichen hohen Ranges unter dem bei ihren Bewegungen sich öffnenden Mantel geschmückt, der Eine etwa 23 Jahre alt, mit ernsten, gestreckten Gesichtszügen, die an ein majestätisches Bild erinnerten, in der Uniform des Genies; der Zweite, wenig jünger, aber von freundlichen, rundern Zügen und dennoch unverkennbarer Aehnlichkeit, die Abzeichen der reitenden Garde-Artillerie tragend. Die drei Regimenter, das Ochotski'sche an der Spitzte, marschirten eben zwischen den Hügeln auf und formirten sich in Angriffscolonnen und der Brigade- und die Regiments-Kommandanten sprengten zu dem Befehlshaber.

»Wir müssen die Redoute unter allen Umständen haben, General Ochterlone,« sagte der Kommandirende, indem er sein Glas vom Auge nahm. »Ich sehe, die Garden halten sie jetzt; lassen Sie Bibikof links abschwenken und die Höhen stürmen; Ihrer Majestät Coldftreams werden auf den nächsten Almacs nicht so stark vertreten sein, wie ich hoffe.«

Während der greise Kommandant des Regiments salutirte und davon sprengte, wandte General Dannenberg sich wieder zu dem Kommandeur der ersten Brigade. »Sie müssen über den Hohlweg der Straße, um die Höhe zu gewinnen, ehe jene Colonnen dort – wenn ich nicht irre, ist es die vierte Division unter Cathcart – sie besetzen. Capitain Kowaleff, reiten Sie zu Pawloff und sagen Sie ihm, was ich über die Regimenter bestimmt, er soll die Reserven nachrücken lassen und die Batterieen so nahe als möglich bringen. Vorwärts, meine Herren, und Gott segne Rußland!«

Eine Hand faßte seinen Arm; es war der eine junge Offizier an seiner Seite, während der Andere verschwunden war. »General,« [126] sagte der junge Mann, »mit Ihrer Genehmigung werde ich mich Oberst Sabatinski anschließen.«

»Unmöglich, Kaiserliche Hoheit,« entgegnete der General höflich, aber bestimmt; »ich kann es unter keinen Umständen gestatten. Euer Kaiserliche Hoheit und Großfürst Michael sind bereits hier – – –« er sah sich erstaunt um – »wo ist der Prinz?«

»Mein Bruder,« sagte der Großfürst Nicolaus, denn dieser war der Offizier und mit seinem jüngsten Bruder am Abend vorher zum Jubel der Armee in Ssewastopol eingetroffen; »mein Bruder ist bereits Oberst Bibikof dahin gefolgt, wohin Ehre und Pflicht ihn rufen, und ich bitte Sie, Herr General, zu bedenken, dich der Kaiser, unser Vater, uns nicht hierher geschickt hat, um Schlachten schlagen zu sehen, sondern sie mit unsern braven Soldaten zu schlagen.«

Der General verbeugte sich. »Diese Herren sind Zeuge, daß ich meine Pflicht gethan. Ich kann Eure Kaiserliche Hoheit nur bitten, Ihr kostbares Leben nicht unnütz auszusetzen.«

»Das kann nie geschehen, wo es Rußlands Ehre gilt. Auf Wiedersehen, Herr General!«

Der Prinz, dem sein Vater auf den Antrag des Fürsten Menschikoff nebst seinem Bruder für ihr tapferes Benehmen später den Sanct Georg-Orden 4. Klasse verlieh, sprengte mit seinem Adjutanten den Regimentern nach und verließ sie während des folgenden Gefechts im heftigsten Feuer nicht.

Mit Ungestüm warfen sich die russischen Jäger auf die Redoute, die jetzt von den Coldstreams – der berühmten englischen Garde – vertheidigt wurde, und ein Kampf, fürchterlicher, blutiger, denn zuvor, entspann sich. Die Briten, gänzlich von den Ihren abgeschnitten und zugleich von der russischen Artillerie auf den gegenüberliegenden Höhen beschossen, schlugen sich mit Heldenmuth. Vier Mal drangen die Ochotsker bis zu den Schießscharten, und vier Mal wurden sie von dem Bajonnet und dem Feuer wieder zurückgeworfen. Zweihundert Mann des kaum Siebenhundert starken Regiments waren bereits gefallen, da gab endlich die Hoffnung auf, die Redoute halten zu können, warf sich heraus und bahnte sich mit dem Bajonnet den Rückweg durch die Feinde.

Das Gemetzel war furchtbar, mehr als ein Drittel des Regiments fiel, aber auch der Sieg der Russen wurde theuer erkauft. Ihr tapferer Oberst Bibikof stürzte tödtlich verwundet, beinahe [127] alle Stabs- und Ober-Offiziere des Regiments lagen auf dem Kampfplatz.

Aber von der Redoute wehte die russische Fahne! –

Die Brigade Ochterlone warf sich auf die Reste der zweiten englischen Division und trieb sie zurück. Da eilten Cathcart – der Liebling Wellington's – mit seiner Division und Lord Bentink mit den übrigen zwei Garde-Regimentern und dem wieder gesammelten Rest der Coldstreams zur Unterstützung und zum Angriff herbei. Während die Grenadiere und die tapfern schottischen Garde-Füsiliere unter den wilden Klängen des Pibroch von Donald Dhu und dem Ruf: »Schottland für immer!« die Redoute wieder erstürmten und die Ochotski'schen Jäger warfen, stürzte sich Cathcart mit dem 29. und 63. Regiment in den Hohlweg, um der russischen Brigade den Rückweg abzuschneiden. Oberst Bjalui mit den Jakutzki'schen Jägern stürmte, unbekümmert auf die Gefahr im Rücken, gegen die Garden – Lord Bentink wurde verwundet, zwölf britische Offiziere waren gefallen, die Redoute auf's Neue den Garden entrissen und diese zurückgetrieben. Die Engländer im Hohlweg sahen sich durch die besonnenen Befehle General Ochterlone's von dem Selenginski'schen Regiment umringt. Das Blutbad war hier entsetzlich, ein Kampf der Verzweiflung von Seiten der Briten, die mit dem Bulldoggen-Grimm fochten, der noch im Tode sich an den Feind klammert; – ein Kampf wüthenden Hasses von Seiten der Russen, deren Erbitterung während des ganzen Krieges in allen Ständen weit größer gegen die Briten, als gegen die Franzosen sich zeigte. Vergeblich war alle Tapferkeit, alle persönliche Aufopferung des tapfern Cathcart, der in ihren Reihen kämpfte. In seine Ohren dröhnte verzweifelnd der Ruf der Soldaten: »Wir haben keine Patronen mehr!« – »Nun, so habt Ihr Bajonnete!« rief der General. »Also vorwärts für den Ruhm von Alt-England!« Und vorwärts stürzten die Compagnieen, aber sie zerstoben an den russischen Phalanxen und eilten in Unordnung den Höhen zu. Hier jedoch empfing sie das Jakutzki'sche Regiment mit einem Kugelhagel. Cathcart, durch den Kopf geschossen, fiel – Goldie, Torrens, seine beiden Brigade-Generale, wurden verwundet, dichter Pulverdampf umhüllte das Todesfeld.

Auf allen Punkten begannen die Engländer sich zurückzuziehen; die zweite Redoute war in den Händen der Russen, und zum zweiten Male drangen sie in das britische Lager.

[128] Neben Lord Raglan befand sich während des ganzen Gefechts der französische Oberkommandant Canrobert, ohne der Wunde an der Hand zu achten, die er erhielt. Gegen 10 Uhr Morgens brachten ihm die Adjutanten die Nachricht, daß dir Russen unter Timofjef aus der Bastion Nr. 6 auf der Westseite der Festung einen Ausfall gegen die französischen Approchen gemacht hatten und mit der Brigade Lourmel im Kampf waren. Die drei französischen Divisionen der Westseite waren in Allarm und warfen die Russen zurück, dort hatte man also Nichts zu besorgen, und der kleine, bewegliche Oberkommandant der französischen Armee blieb auf seinem Posten, den Augenblick er wartend, in dem sich der englische Stolz beugen mußte.

Und er beugte sich. Lord Raglan, die ganze englische Position verloren sehend, wenn nicht schleunige Hilfe einträfe, verlangte die französische Unterstützung und erlitt die Demüthigung, daß er, auf Canrobert's Wunsch, seine eigenen Adjutanten zu dem früher abgewiesenen Bosquet schicken und um rasche Hilfe bitten mußte.

Durch den Donner der Geschütze und das Rollen des Gewehrfeuers vernahm man den hellen Klang der langen Hörner der Zuaven, der algierschen Schützen und der Jäger von Vincennes. Bosquet, der General Kaiser Napoleon's, spielte diesmal die Rolle der Preußen bei Waterloo und kam mit seinen drei Brigaden im Geschwindmarsch vom Sapunberg heran, sie rechts von den Engländern in die Schlachtlinie werfend auf den linken Flügel der Russen. –

So wechselt die Geschichte – so wechseln die Freundschaften der Einzelnen und der Reiche!

Der dritte und letzte Akt der blutigen Tragödie von Inkermann begann!

Das eigenthümliche Marschexercitium der Zuaven – der Trab oder vielmehr das springende Laufen in Compagnie- und Bataillons-Colonnen – brachte sie mit überraschender Schnelligkeit herbei. Die Brigade Monet folgte den beiden anderen als Reserve.

Einen Augenblick war General Dannenberg unentschlossen, ob er nicht die vier Regimenter, die noch nicht in den Kampf gekommen waren und von denen das Uglitz'sche und Butinski'sche die Artillerie gedeckt hatten, das Wladimir'sche und Susdali'sche als Reserven zurückbehalten worden, dem neuen Stoß entgegenwerfen [129] und um den Sieg ringen sollte, indeß die Ueberlegung, daß bei einem Mißlingen sein ganzes Corps, das gefährliche Defilée von Inkermann im Rücken, verloren sein mußte, entschied und er beschloß den Rückzug. Während die Artillerie den Befehl erhielt, nach der Inkermann-Brücke abzufahren, flogen die Adjutanten zu den bedrohten Regimentern mit dem Befehl zum Rückmarsch.

Der General schaute sich suchend um, es galt, eine persönliche Ordre auszuführen, nachdem die Pflicht des Feldherrn erfüllt worden. Ein junger Offizier vom Generalstabe des Fürsten Menschikoff, der, wie viele seiner Kameraden, sich dem Stabe des Generals Dannenberg angeschlossen, hielt mit mehreren Kosacken in der Nähe.

»Capitain Iwan Oczakoff!«

Der Offizier salutirte.

»Sie kennen den Großfürsten Nicolaus persönlich. Er begleitet, wie Sie gesehen haben, das Selenginski'sche Regiment, das in diesem Augenblick sich in der größten Gefahr befindet. Suchen Sie Seine Kaiserliche Hoheit auf und sagen Sie ihm, ich ließe bitten – nein, ich ließe ihm als kommandirender General befehlen, Sie auf der Stelle hierher zu begleiten.«

Der junge Fürst beugte sich über den Sattelknopf seines Pferdes und flog davon, indem ein Wink seiner Hand seine Begleiter ungeduldig bei der Suite des Generals zurückhielt. Ihre ängstlichen Blicke sahen ihn in dem Meer von Pulverdampf verschwinden, welcher in der Richtung der genommenen Redouten Berg und Thal bedeckte.

Oberst Sabatinski, der Kommandirende des Selenginski'schen Regiments, hatte bereits die Ordre zum Rückzug erhalten; das Ochotski'sche Regiment war schon auf demselben begriffen und somit das seine dem vollen Stoß der frischen französischen Truppen preisgegeben. In drei Bataillons-Colonnen formirt, dicht geschlossen erwarteten die Russen den Stoß. In diesem Augenblick gelangte Fürst Iwan zum Regiment und erkannte in der mittelsten Colonne den Großfürsten.

Er war an seiner Seite, als die französischen Hörner dicht vor den Fronten im Pulverdampf erklangen und unter dem donnernden Kaiserruf das dritte Zuaven-Regiment auf die Russen stürzte, während rechts und links die afrikanischen Jäger attakirten.

[130] Der erste tolle Anlauf der Franzosen prallte an der Unbeweglichkeit der russischen Massen ab. Die Glorie der Zuaven ist der Einzelnkampf. General Saint-Pol, welcher sie führte, sammelte in kurzer Entfernung das Regiment zur neuen Attake, während die Russen langsam zurückgingen. Die französischen Plänkler unterhielten ein scharfes Feuer aus ihren kurzen Büchsen.

Der Großfürst weigerte sich, das bedrohte Regiment zu verlassen – erst die bestimmte Erklärung des Obersten Sabatinski nöthigte ihn dazu, als ein Schuß sein Pferd traf. »Du siehst, Fürst,« sagte der junge Kaisersohn, »daß ich nicht fort kann. Ich werde zu Fuß mit den Braven kämpfen!« Fürst Iwan war bereits vom Pferde gesprungen. »Eure Kaiserliche Hoheit kennen meinen Befehl und werden mein Pferd nehmen!« Nur mit Mühe verstand sich der Großfürst endlich dazu und verließ unter dem Kugelregen die Colonne. Er war kaum entfernt, als der zweite Ansturm der Franzosen in die Reihen der Russen brach und sie diesmal zu sprengen drohte. Die ersten Glieder wurden zu Boden geworfen, ein blutiges Handgemenge mit Bajonnet und Kolben begann. Von zwei Seiten drangen die Zuaven in die russische Stellung. –

»Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht der verrückte Jean ist, welcher der hübschen Hexe, Deiner Schwester, davon gelaufen sein muß,« sagte mitten im Gewühl des Angriffs ein bärtiger Zuaven-Sergeant zu seinem Nebenmann, einem kräftigen, muthigen Krieger, der eben wieder sein Gewehr lud.

»Wo, Papa Fabrice? – Der junge Russe im Mantel? – Parbleu! es ist Jean und wir müssen ihn wiederhaben, den blödsinnigen Burschen!« Damit warfen sich die Zuaven in eine Lücke des Getümmels und schlugen sich nach der Stelle durch, wo sie den jungen Offizier bemerkt hatten. Ein Degenstoß empfing den Bruder der Marketenderin, so daß er ihn nur mit Mühe zu pariren vermochte. – »Der Bursche ist verrückt wie ein Märzhase oder ein wirklicher Ueberläufer,« schalt der Sergeant und schleuderte den jungen Mann zu Boden, der sich verzweifelt wehrte, indeß Bourdon mit zwei russischen Infanteristen vollauf beschäftigt war, die ihn angriffen. – »Der Tölpel ist schlimmer, als ich dachte, und mir lang' im Weg gewesen! Zum Teufel mit ihm!« Der Sergeant, erbittert über den Pistolenschuß, den der Offizier, schon am Boden, nach ihm abfeuerte und der seine bärtige Wange [131] streifte, hob das Gewehr, um dem Gefangenen einen Kolbenschlag auf den Kopf zu geben, als ein Säbel schützend dazwischen fuhr, der Säbel eines französischen Offiziers. »Quartier, Canarade, pour cet enfant!« Zugleich wurde der Zuave von der Seite her angegriffen und das Gewühl trennte ihn im Augenblick von der Gruppe. Der französische Offizier aber, der die Uniform eines Bataillons-Kommandanten trug, bog sich vom Pferde und riß den jungen Russen in die Höhe. »Vous êtes mon prisonier, mon Prince, mais sauvez vous-en! – Vite!« – Der Vicomte, denn dieser war es, der Fürst Iwan erkannt, warf sein Pferd nach einer anderen Richtung des Gefechts, durch diese Bewegungen die Flucht seines Feindes deckend. Als er sich noch ein Mal umsah, war der junge Fürst glücklich in den Reihen der Seinen, die, von der zweiten Bataillons-Colonne unterstützt, sich wieder gesammelt hatten und den Franzosen im langsamen Rückzug die Spitze boten.

Der kurze Zwischenfall des Kampfes war an dem Vicomte wie eine Erscheinung vorübergegangen und nur die Wunde am linken Arm, die er bei der edlen Sicherung des Entkommens seines Feindes durch einen Bajonnetstich erhalten, bewies ihm materiell die Wirklichkeit der Begegnung. –

Die Regimenter Pawloff's, durch den fünfstündigen Kampf erschöpft, vermochten der Uebermacht, welche jetzt durch die Ankunft der Franzosen auf Seite der Alliirten war, obschon die Engländer nicht mehr als 8000 Mann noch zum Gefecht disponible hatten, nicht zu widerstehen und räumten das Schlachtfeld. Es galt nur noch, den geordneten Rückzug zu decken, und dies geschah mit heldenmüthiger Aufopferung. Während die Artillerie nach der Inkermann-Brücke abfuhr, schlugen sich das Jakutski'sche und Selenginski'sche Regiment an den Abhängen der Höhe und Bosquet mußte wiederholt die Reihen seiner Brigaden auf's Neue ordnen.

Nachdem die Artillerie in Sicherheit war, bewerkstelligte die russische Infanterie ihren Rückzug, indem die Regimenter Wladimir und Susdal denselben deckten, den Boden mit ihren Leichen besäend unter den wiederholten Angriffen der Franzosen. Erst das Feuer der am Ausfluß der Tschernaja postirten Dampfschiffe Wladimir und Chersones machte der Verfolgung ein Ende. Die Russen zogen sich theils über den Fluß, theils auf der Sappeurstraße nach der Stadt zurück. Um halb drei Uhr Nachmittags war die Schlacht zu Ende.

[132] Dreitausend russische Leichen deckten die Wahlstätten, außerdem fast ein Drittel der Verwundeten, deren Zahl an sechstausend betrug.

Der Verlust der Verbündeten war nur wenig geringer. Lord Raglan hat, wie die eigenen Fugeständnisse der englischen Correspondenten beweisen, ganz einfach gelogen, indem er offiziell den Verlust der Briten auf 464 Todte und circa 2000 Verwundete angiebt. Der Verlust der Engländer betrug in der That 5000 Mann und die Franzosen verloren 2000 Todte und Verwundete.

Nach den Briefen des französischen Brigade-Chefs Bourbaki befanden sich im englischen Lager nach der Schlacht nur noch 10,000 Kampffähige; die 2. Division war bis auf 300 Mann zusammengeschmolzen, das 95. Regiment der Brigade Pennefather zählte nur 64 Mann. Einunddreißig Offiziere der Garde waren gefallen.

Das Schlachtfeld bot einen gräßlichen Anblick – die Hohlwege und Abhänge waren bedeckt mit Haufen von Todten und Sterbenden. Achtundvierzig Stunden dauerte nach dem geschlossenen Waffenstillstand das Suchen und Fortbringen der Verwundeten.

Das war das Drama von Inkermann, ein Gemetzel ohne Sieg, ein Kampf ohne Erfolg. Glücklich, die der Ehrentod auf dem Schlachtfelde den furchtbaren Leiden und Schrecken entzogen hatte, welche der nahende Winter über beide Armeen häufen sollte!

Fußnoten

1 Wirthshausbrücke.

2 Fitzroy Somerset, Lord von Raglan. Das Stammhaupt der Somersets führt den Titel: Herzog von Beaufort.

3 Historische Anecdote, wiewohl kaum glaublich!

4 Die von Kaiser Nicolaus eingeführten Militairmäntel.

Des Meeres und der Liebe Wogen
[133] Des Meeres und der Liebe Wogen.

Es war am Morgen des 17. November, als ein kleiner Reitertrupp sich von dem Innern des Landes her den Felsenabhängen näherte, welche das berühmte Ufer der Yalta vom Cap Aitodar bis zum Golf von Kaffa bilden. Nicht prangte jene kaiserliche Phantasie Orianda, welche das Genie Schinkels geträumt, jetzt in den warmen duftigen Farbentönen eines orientalischen Frühlings; Livadia, Nikita und Alushta – die zauberhaften Felsenhöhen, hatte das Nahen des Winters ihrer Orangendüfte und Rosenfelder entkleidet; – das in seiner Ruhe so durchsichtige Meer war kein Spiegel von Licht und Azur, der Himmel kein Gewölbe unendlicher Klarheit, unbeschreiblich duftiger Farben mehr! – Durch die Schluchten des Jaila-Gebirges, über die bleigraue Fläche des Meeres, durch den Wolkendom fegte der Sturmwind, Hagel und Regen, die bösen Vorboten des Winters, vor sich her peitschend; in wilden Bergen wälzte sich seit vierundzwanzig Stunden die See gegen das Felsenufer, an dessen Wänden sie zu weißem Gischt und Schaum emporbrandete.

Wehe dem Schiffe, das in diesem Wetter nicht vom sicheren Hafen umschlossen und geschützt war, oder wenigstens die offene See zu halten vermochte.

Die kleine Reitergruppe näherte sich rasch auf der Straße von Kirsuff her und hatte offenbar ihren Weg nach einem alterthümlichen phantastischen Bau gerichtet, der sich auf der Höhe des Vorgebirges Aju-Dagh von den Wolken abzeichnete und einen weiten Rundblick über Land und Meer gewähren mußte. Es war ein Felsenschloß, halb Ruine, halb durch prächtige Neubauten zur Villa umgeschaffen, aber offenbar sehr unzugänglich gelegen und leicht [134] gegen jeden Angriff zu vertheidigen, da es auf der Landseite Wälle und Mauern führte. Der Ban bestand aus zwei Theilen, auf den breiten Gipfeln zweier Klippen errichtet und durch eine Kluft geschieden, über die eine hängende Brücke führte. Der Theil zur Linken war mehr Veste als Landhaus, und einzelne riesige Mauertrümmer deuteten darauf hin, daß sein Ursprung den ältesten Zeiten, vielleicht noch dem Pontischen Reich und der Regierung des Mithridates angehörte, von der sich so zahlreiche und erhabene Trümmer an dieser Küste bis nach Kertsch, dem Panticapea der Alten, hinauf finden. Wenigstens sprachen dafür die prächtigen Säulenschafte und Capitäle, die in dem großen viereckigen Mittelthurm eingemauert waren, der offenbar von den Genuesen errichtet war. Einige Anbauten im Styl des Mittelalters, Wall und Ringmauer mit einer wieder in Stand gesetzten Zugbrücke, die über einen tiefen Felsspalt führte, zeigten, daß der Ort den ritterlichen Handelsleuten einst zur Beste gedient hatte.

Der gegenüberliegende Theil des Seeschlosses wies einen modernen Bau aus der Zeit des Glanzes jenes mächtigen Günstlings, dessen Intriguen und Feldzug Taurien zu den Füßen seiner kaiserlichen Herrin legten, Potemkin's, dessen Wink Zauberschlösser aus dem Boden stampfte und Wüsteneien bevölkerte für die Aussicht einer flüchtigen Stunde. Eine nicht weitläufige, aber prächtige Billa im Rococo-Geschmack mit breiter Veranda, marmornen Bassin's und Arcaden hüllte sich, jetzt dem Sausen des Sturmwindes freigegeben, während der schönen Jahreszeit in den prächtigen Mantel von Cypressen und wilden Feigenbäumen. Auf einer Felsspitze in der Nähe standen die ziemlich wohlerhaltenen Ruinen eines unverkennbar antiken Tempels. Von beiden so verschiedenartigen Theilen des Schlosses senkten sich breite wohlerhaltene Terrassen mit Wein- und Feigenspalieren und mit jetzt gegen die rauhen Stürme wohl umhüllten prächtigen Orangenbäumen besetzt, bis zum Strande des Meeres, das hier eine kleine, ziemlich geschützte und durch zahlreiche Klippen am Eingang nach Außen hin verwahrte Bucht bildete.

Die acht Reiter trugen sämtlich die grauen russischen Militairmäntel, und die hohen schlanken Lanzen erwiesen wenigstens sechs von ihnen als Kosacken von der Armee. Von den drei Vorausreitenden zeigte sich der Eine als ein schöner junger Mann mit dunkelblonden jetzt vom Regen feuchten Locken unter der Militairmütze, der Andere [135] als ein rauher finsterer Greis – Michael, der Tabuntschik, aus der Steppe von Berislaw, der Unglückliche, der die Verbündeten nach Balaclawa geführt.

Der junge Fürst, der an seiner Seite ritt, hatte mit sorgsamer Pflege ihn in sein eigenes Quartier in der Stadt bringen lassen und ihn, als er dieselbe verlassen mußte, treuen Händen anvertraut. Auf seinen Befehl blieb Iwan, der alte Jessaul 1, mit einem seiner Enkel bei ihm und pflegte ihn während des hitzigen Fiebers, das sich seiner bemächtigt und das ihn die wildesten Irreden ausstoßen ließ. Erst auf dem Rückzug von der Inkermann-Schlacht betrat der Fürst wieder die Stadt und nahm den Greis, den seine riesige Natur die Krankheit hatte überstehen lassen, mit sich nach Baktschiserai. Eine noch finstrere Melancholie als früher hatte sich des Alten bemächtigt, er vermied den Umgang mit Menschen und sein einziger Verkehr mit dem alten Kosackenhäuptling bestand in Nachrichten, die er sorgsam über den Stand der Vertheidigung und der Gefechte von diesem einzog. Als er wieder so weit gekräftigt war, um ausgehen zu können, strich er, unbekümmert um die feindlichen Kugeln, in den Straßen der Stadt und in den Vertheidigungslinien schweigend umher, oft an den gefährlichen Stellen sich gleichgültig aussetzend, um die feindlichen Batterieen zu beobachten. Nie aber legte er eine Hand an irgend eine Arbeit der Vertheidigung, und das hohe Greisenalter, das sein Aussehen zeigte, ersparte ihm jede Aufforderung, während Iwan und sein Enkel überall sich thätig zeigten.

In einem Punkt nur begegneten sich die Sympathieen der beiden alten Männer, in der Zuneigung zu dem jungen Fürsten, und nur der Befehl, den derselbe ihnen gesandt, seine Ankunft in der Stadt abzuwarten, hinderte sie, ihm in das Lager zu folgen. Nachdem dies nach dem Tage von Inkermann geschehen, war es übrigens auffallend, welchen Einfluß der greise Tabuntschik trotz seines einsylbigen finstern Wesens über den Jüngling gewann und den, gleichsam sich höherer Autorität und Berechtigung beugend, auch der alte Jessaul anerkannte. Mitleid mit dem Greise, dessen patriotische Absicht so großes Unheil herbeigeführt, und von dem Alles, was er gesehen, und gehört, ihn nicht zweifeln ließ, daß er einst bessere Tage gekannt, hatte den jungen Mann zuerst bewogen, [136] sich seiner anzunehmen und diese Theilnahme dauerte in gesteigertem Maaße fort, obschon alle seine Fragen nach den früheren Schicksalen des Greises von diesem ohne Erwiederung gelassen wurden. Auch Iwan, der Kosack, verrieth mit keiner Sylbe, daß er die furchtbare Vergangenheit und den geächteten Namen des Mannes kannte. Er bewachte blos aufmerksam den jungen Fürsten, in dessen Dienst er getreten, gleich als fürchte er, daß die Nähe des Tabuntschik ihm Unheil bringen werde.

»Es ist seltsam, Djeduschka,« sagte der Fürst, indem er sich zur Anrede an seine beiden alten Begleiter des gemüthlichen russischen Schmeichelwortes bediente, »es ist seltsam, wie sicher Du uns geführt und wie genau Du die ganze Gegend selbst in diesem Unwetter wieder erkennst. Warst Du schon auf Schloß Aju selbst?«

»Es sind dreißig Jahre,« sagte der Alte ausweichend, »seit mich der Pferdehandel zum letzten Mal bis Kertsch geführt hat. Felsen und Meer bleiben aber dieselben, nur die Menschen verändern sich.«

»Mich däucht,« wandte sich der junge Mann an den Jessaul, »ich sehe, trotz des Regens und obschon uns der Sturm den Gischt der See in die Augen treibt, Leute auf dem Wall der Burg und am Thor. Olis, Dein Enkel, den wir vorausgesandt, hat also den Weg gefunden und unsere Ankunft gemeldet.«

»Die Heiligen haben ihn beschützt in diesem Unwetter. Er ist ein treuer und eifriger Knabe.«

»So laßt uns die Pferde antreiben, daß wir die Höhe erreichen und unter Dach kommen. – Da ziehen sie die russische Fahne auf der Spitze des Thurmes auf. Seht, wie der Sturmwind sie peitscht!« – Er gab seinem kleinen an die Anstrengungen solcher Ritte besser als ein Racepferd gewöhnten Steppenroß den Kantschuh und Alle ritten in scharfem Trabe den Klippen zu, auf deren beiden Plateau's sich eine Schaar von Dienern und Leibeigenen versammelt hatte. Nach einem beschwerlichen Steigen auf dem vielfach gewundenen Pfade den Felsen hinan, der zu dem linken Theil des Schlosses führte, erreichten sie die heruntergelassene Zugbrücke und den Platz vor dem Thore. Ein dreimaliges »Urrah!«, mit zahlreichen Segenswünschen und Anrufungen verschiedener Heiligen gemischt, begrüßte sie, und während der alte Kastellan des Schlosses ehrerbietig sich fast bis zur Erde beugend, zu dem Pferde seines Herrn trat, diesem auf einem hölzernen Teller Brod und [137] Salz zum Zeichen des Willkommens überreichte, und dann den Gaul am Zügel in den Schloßhof führte, umdrängte ihn das Schloßgesinde, leibeigene Tataren und Russen, seinen Mantel, seine Stiefeln oder die Decke seines Pferdes küssend.

Während Fürst Iwan vom Pferde sprang, fragte er den Kastellan: »Wie geht es der Fürstin, meiner Schwester, und wie befindet sich die fremde Herrschaft?«

»Die Gospodina, Herr,« berichtete der Verwalter, »erwartet Dich, die Heiligen haben ihr leider noch immer nicht volle Gesundheit verliehen und wir sehen sie selten. Seine Erlaucht, der Graf, haben täglich nach Deiner Ankunft gefragt, da er wieder wohlauf ist. Gott erhalte ihn, er ist ein freigebiger Herr.«

Der Fürst nickte. – »Sende zu ihm, Alter, und laß ihm sagen, daß ich ihm sogleich meinen Besuch machen würde, wenn ich meine Schwester gesehen.« – Dann fragte er leise: »Du hast meine Instructionen erhalten und treu befolgt?«

Der Verwalter legte die Hand auf die Brust und verbeugte sich bestätigend.

»Habt Ihr hier in letzter Zeit Etwas von den Feinden gefehen?«

»Seit die Schurken Livadja geplündert, sind sie an der Küste nicht wieder gelandet, Durchlaucht, nur auf der hohen See sahen wir ihre Schiffe. Schorte wos mi! – ich weiß nicht, warum der Czar es duldet. Gestern aber kam Ibrahim, der Tatar, und brachte Nachricht, daß sie im Baidar-Thale fouragiren und ein Haufen selbst bis zur Jaila vorgedrungen ist. Der heilige Andreas möge sie verderben.«

Sie waren in das Innere der Gebäude eingetreten, nachdem der Fürst Befehl ertheilt, auf's Beste für seine Begleiter zu sorgen; und er stieg eilig jetzt zu dem obern Stockwerk des großen Thurmes, das die Fürstin bewohnte.

Eine Dienerin empfing ihn am Eingang und geleitete ihn zu einem innern Gemach, dessen Portière sie hob. – »Hier Gospodina, ist Dein Bruder!«

In der Mitte des Gemachs, dessen Fenster auf die wilder regte See schauten und das, in einen Erker eingebaut, keinen Ausgang weiter zu haben schien, stand, in ein weiches Gewand von persischer Seide gehüllt, aber das Gesicht mit einem dichten Mousselinschleier fast nach orientlischer Sitte ganz bedeckt, die junge Dame, [138] offenbar sehr erregt und zitternd. Bei den Worten der Dienerin sprang sie dem Eintretenden entgegen und ihren Lippen entfloh fast unwillkürlich der Ruf: »Wassili!«

Der Fürst legte bedeutsam einen Finger auf den Mund, während er mit dem andern Arm die Schwester umschlang. Dann winkte er der Dienerin, sich zu entfernen und verschloß selbst sorgfältig die Thür des Vorgemachs und des Zimmers.

Als er zurückkehrte, fand er die Schwester schluchzend am Fuß des Ruhebettes knieen, und sich darauf setzend, nahm er ihren Kopf zwischen beide Hände und küßte, den Schleier entfernend, ihre Stirn. – »Muth!« sagte er traurig, »Muth, meine Theure! ich bringe weder Nachricht von dem Einen, noch von dem Andern, sondern komme, sie hier zu holen.«

Das Gesicht, das aus den Schleiern ihm weinend entgegenschaute, und das seine Hand jetzt mit Küssen überdeckte, war jung und schön, aber – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In einem mit allem orientalischen Luxus und europäischem Comfort ausgestatteten Gemach des rechten Theiles des Felsenschlosses saß Graf Wassilkowitsch auf einem der prächtigen Divans, offenbar in tiefem Nachdenken, während er mechanisch von Zeit zu Zeit einen Zug aus dem Nargileh that, dessen Bernsteinspitze zwischen seinen festgeklemmten Lippen hing. Ihm gegenüber, in unruhiger Hast und Beweglichkeit, anscheinend das tobende Unwetter auf dem Meer beobachtend, stand die Französin, in Wahrheit aber schweiften ihre Blicke fortwährend hinüber nach dem älteren Theil der Gebäude. – »Eine Stunde schon da,« sagte sie endlich ärgerlich mit einer halben Wendung zum Grafen, »und noch immer nicht hier. Ich muß gestehen, besonders artig ist unser Wirth gerade nicht.« –

Der Graf achtete so wenig auf ihren Mißmuth, daß er ihr nicht einmal eine Antwort gab. Er sah krank und angegriffen aus, wie damals, als wir ihm in der Steppe von Berislaw begegneten; sein stechender, nachdenklicher Blick ruhte auf seinem Leibdiener, der in knechtischer Haltung vor ihm stand.

»So hat also die Fürstin ihren Bruder nicht bei der Ankunft begrüßt und Ihr habt sie nicht gesehen?«

»Nein, Erlaucht. Nur die tatarische Dienerin erwartete den Herrn und führte ihn nach dem Thurm. Die Gospodina muß krank sein.«

[139] »Krank und immer krank – der Teufel soll mich holen, wenn es nicht eine Ausflucht ist, um jeden Verkehr mit uns fern zu halten.«

»Es ist im höchsten Grade beleidigend für mich,« warf die Dame ein. »Ich habe Ihre hochmüthige Prinzessin oft genug auf der Zinne des Thurmes oder der Terrasse gesehen, um zu wissen, daß diese Kränklichkeit nicht gefährlich ist und sie nicht hindern kann, eine ihres Geschlechts zu empfangen. Ich möchte in der That wissen, welches Mittel diese Dame gegen die Langeweile besitzt, denn ich, mein Bester, finde den Aufenthalt hier unerträglich.«

»Sie werden sich indeß fügen müssen, Madame,« sagte der Oberst kalt, »denn ich wüßte wahrhaftig nicht, wo Sie eine bessere Versorgung finden würden.« – Ein Zeichen entließ den Diener. – »Lassen Sie uns ein ernstes Wort sprechen, Celeste,« fuhr er fort. »Sie sind eine ziemlich schlechte Krankenpflegerin diesmal gewesen, als ich, statt Genesung an dieser herrlichen Küste zu finden in Folge jener abscheulichen Aufregungen in der Steppe bei unserer Ankunft hier im August auf's Neue schwer erkrankte und gefesselt hier vier Monate lang liegen mußte, während meine Kameraden für Rußland kämpfen. Ich entschuldige Ihr französisches Blut und wir brauchen uns gegenseitig keine Comödie vorzuspielen über Liebe und Treue. Indeß, weibliche Gesellschaft und Ihr Umgang ist nur Bedürfniß geworden und ich verspreche Ihnen, auch später für Sie reichlich zu sorgen, wenn Sie Ihre Launen meinem Willen und meinen Absichten zu fügen verstehen.«

»Sie sind allzugütig, Graf,« meinte die Französin höhnisch. »Darf ich fragen, was dieser Wille befiehlt und wohin diese Absichten gehen?«

»Es war von vorn herein auffallend,« sagte der Oberst, »daß der Fürst keinen Anstand genommen hat, uns hierher einzuladen, obschon ihm unser Verhältniß klar sein mußte.«

Die Bojarin erröthete lebhaft.

»Ich sollte doch meinen, man ist bei Ihnen in Rußland nicht allzu prüde.«

»Da haben Sie Recht, wenigstens was gewisse Angewohnheiten und Redensarten betrifft. Indeß ist immer ein Unterschied und die junge Fürstin Oczakoff eine Dame, die Rücksichten verlangt. Ich weiß in der That nicht einmal, in welcher Form ihr Bruder. Ihre Anwesenheit dargestellt hat.«

[140] »Dieses Zweifels wird Sie der Besuch des Fürsten entledigen.«

»Ich hoffe es und wünsche, wenn es irgend möglich ist, die Gelegenheit zu benutzen, um Sie mit der Fürstin in Berührung zu bringen.«

»Mich? – nach dieser beleidigenden Vernachlässigung?«

»Meine Liebe, vergessen Sie nicht, die Fürstin ist eine geborene vornehme Dame und Sie – –«

»Ich bin die Frau des Bojaren Bibesco, als solche haben Sie mich kennen gelernt und ich wüßte nicht, daß ich Sie zum Beichtvater meiner Vergangenheit gemacht hätte!« – Der scharfe entschlossene Zug um ihre Brauen prägte sich hart und tief aus.

»Erzürnen wir uns nicht auf's Neue, schöne Freundin. Herr Bibesco brachte Sie von Paris und das genügt. Beantworten Sie mir lieber die Frage, ob Ihnen das ganze Thun und Treiben der Fürstin Iwanowna nickt überhaupt etwas Seltsames, Geheimnißvolles hat, ein Räthsel, das Ihre Neugier zur Lösung herausfordert?« –

Sie kam zu seinem Divan und lehnte sich auf die Kissen. – »Sie haben Recht, Graf. Man sagt, die Fürstin soll schön sein und sehr ihrem Bruder ähneln.«

»Zum Verwechseln! – Doch das ist eben der Punkt, über den ich Ihre Ansicht hören möchte. Sie haben der Fürstin selbst mit Hülfe meines scharfen Opernglases nie in's Gesicht gesehen?«

»Wie sollte ich. Sie ist, wenn Sie auch auf den Terrassen erschienen ist, stets in dichte undurchsichtige Schleier gehüllt gewesen.«

»Man sagt,« sprach der Graf lauernd, »daß sie diese selbst im Innern der Wohnung vor der Dienerschaft nicht ablegt?«

»Meinen Sie, mein Herr, daß, um diesen Umstand zu erfahren, weibliche Neugier erst Ihre Erlaubniß oder Ihren Wink abgewartet hat?«

Der Graf lachte. »Ich dachte mir's, Mutter Eva verleugnet sich nie! Hören Sie, Celeste, wenn der Fürst kommt, hoffe ich, ihn auf irgend eine Weise zu nöthigen, selbst wenn der Verwand der merkwürdigen Krankheit seiner Schwester fortdauern sollte, daß er Sie mit ihr in Berührung bringt. Ich bitte Sie, dann aufzumerken, ob die Aehnlichkeit so groß ist.«

»Aber wenn die Fürstin verschleiert bleibt?«

[141] »So suchen Sie wenigstens ihr Haar – die auffallende Form ihres Kinnss – irgend ein Kennzeichen zu sehen.«

»Was soll das bedeuten? Hegen Sie Mißtrauen gegen die Identität der Dame?«

Der Oberst sann eine Weile nach, dann sagte er entschlossen: »Ihr Interesse, Celeste, ist trotz aller Ihrer Launen mit dem meinen so eng verbunden, daß ich Ihnen vertrauen kann. Ich glaube, der Fürst täuscht uns, uns und die Welt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, daß die Fürstin Iwanowna gar nicht hier, – daß sie todt oder wenigstens weit von hier entfernt ist.«

»Sie träumen!«

»Das passirt Männern, wie ich bin, selten. Sie müssen wissen, Celeste, daß ich aus Familienverbindungen einigen Anspruch auf die Hand der jungen Dame habe und daß auch der Kaiser, unser Herr, der Verbindung seine Zustimmung nicht versagen würde. Ihr Eigensinn – meinetwegen ihre Abneigung hat jedoch bisher alle meine Bewerbungen zurückgewiesen, und ihr Charakter, der den schwachen, wankelmüthigen ihres Bruders beherrscht, ist der Art, daß er jeden Entschluß durchsetzt.«

»Das würde indeß noch immer nicht diese Comödie erklären.«

»Hören Sie erst aus. In Paris hat die Fürstin Iwanowna einen französischen Offizier auffallend ausgezeichnet und – ich täusche mich nicht darin – sie liebt ihn.«

»Warum nicht? – die Franzosen verstehen, den Frauen zu gefallen.«

»Der Henker hole die Weiberknechte! Ich habe den Bruder und den Galan zwar entzweit, aber ich kenne den Charakter dieses stolzen, eigensinnigen Mädchens, und wenn ich nicht selbst erfahren, daß der Franzose bei der Orient-Armee ist, würde ich glauben, sie sei in Paris in seiner Nähe geblieben.«

Celeste lachte. »Das ist ein sehr unwahrscheinlicher Roman, Graf. Ihr Haß oder Ihre Eifersucht – Sie sehen, wie anspruchslos ich bin – führen Sie irre. Viel wahrscheinlicher ist es, daß die Schöne in ihrer Liebe zu dem Gegner Ihres Volkes blos die Einsamkeit gesucht, um« – sie machte eine Verbeugung – »lästigen Bewerbungen aus dem Wege zu gehen.«

»Warum lud uns der Fürst aber gerade hierher ein?«

[142] »Der Zufall der Begegnung hatte vielleicht sein Spiel – vielleicht wurde die Gelegenheit benutzt, Sie sicher zu machen. Während Sie krank lagen, ist die Fürstin über alle Berge, und alle die Vorsichtsmaßregeln galten nur einer Stellvertreterin.«

»Das ist eben der Argwohn, der mir durch den Kopf geht – aber ich denke, ich will bald klar sehen.«

»Sie werden in wenigen Augenblicken die Gelegenheit haben,« sagte die Dame, die wieder am Fenster stand. »Die verzauberte, bisher so sorgfältig verschlossene Pforte zu der Verbindungsbrücke öffnet sich – es ist der Fürst.«

Wäre der Graf nicht mit seinen eigenen Plänen so vollständig beschäftigt gewesen, er hätte die dunkle Röthe und Aufregung bemerken müssen, die sich der schönen Französin bemächtigt hatte.

»Soll ich mich entfernen?«

»Ich bitte darum, Celeste. Ich werde nach Ihnen schicken.«

Während sie in ein Nebengemach verschwand, meldete Ossip den jungen Capitain.

Nach den ersten Begrüßungen und nachdem der Fürst auf dem Divan Platz genommen, betrachteten sich Beide einige Augenblicke, wie als sänne Jeder über die beste Art nach, das Gespräch von den bisher gegebenen militairischen Nachrichten auf das Feld persönlicher Interessen zu ziehen. Fürst Iwan eröffnete es.

»Ich vernahm mit Bedauern, lieber Graf,« sagte er, »daß, statt Erholung und Genesung in den schönen Monaten des Jahres hier zu finden, Sie auf's Neue einem Rückfall ausgesetzt und ernstlich krank waren. Ich hoffe, daß meine Leute es an keiner Aufmerksamkeit und den wenigen Bequemlichkeiten haben fehlen lassen, die an diesem abgelegenen Ort zu erreichen sind.«

»Ich bin Ihnen den größten Dank schuldig, Fürst,« entgegnete höflich der Graf, »und vermißte Nichts. Die Fürstin, Ihre Schwester, versah Ihre Stelle und ich habe nur das Bedauern, daß ich bis jetzt nicht Gelegenheit finden konnte, ihr meinen Dank auszudrücken.«

»Das Benehmen Iwanowna's muß Ihnen in der That sogar unartig erschienen sein, Graf,« meinte mit einem Anflug von Lächeln um den schön geformten Mund der junge Mann. »Meine Schwester hat, einer ihrer eigensinnigen Launen folgend, die unsichtbare Burgfrau gespielt. Zu ihrer Entschuldigung muß ich sagen, daß sie sehr leidend war.«

[143] »Lassen Sie uns aufrichtig sein, Fürst; ich glaubte, daß die Anwesenheit der Frau von Bibesco ...«

Der junge Mann fiel ihm rasch in's Wort. »Ich habe Madame Bibesco meiner Schwester als eine Verwandte von Ihnen bezeichnet, die Sie sehr unglücklichen Verhältnissen in Bukarest entrissen haben.«

»Sie beruhigen mich da über einen mir bisher sehr peinlichen Punkt.«

»Ich komme zugleich,« fuhr der Fürst fort, »um der Dame die Entschuldigungen meiner Schwester zu überbringen und sie zu ihr zu führen, wenn Frau von Bibesco es mir erlauben will.«

Der Graf sah ihn verduzt an. »Sie wollen Madame Bibesco der Fürstin, Ihrer Schwester, vorstellen?«

»Wenn Sie Nichts dawider haben, lieber Graf, nur die Dame einwilligt, ja.«

Dies plötzliche Zuvorkommen in seinen eigenen Absichten frappirte den Obersten, weil es das Fundament seines Verdachts und seiner Beobachtungen erschütterte. »Werde ich die Ehre haben, der Fürstin gleichfalls meinen Besuch machen zu dürfen?«

»Morgen, lieber Graf, so lang' Sie wollen; für heute, oder vielmehr für die wenigen Stunden, die ich ihr widmen kann, hat sie mich ganz in Beschlag genommen. Ich muß noch vor Anbruch des Abends Sie wieder verlassen, hielt es aber für Pflicht, wenigstens die Bekanntschaft der Damen zu vermitteln.«

»Sie wollen fort? – in diesem Unwetter?«

»Soldatenpflicht, Oberst, Sie kennen das. Als Sie in's Hauptquartier meldeten, daß Sie wiederhergestellt und der Arzt, der von Alushta Sie besucht, Ihnen gestatlet habe, sich dem Heere wieder anzuschließen, schrieb ich Ihnen, daß ich selbst kommen würde, Sie abzuholen und meine Schwester zu besuchen; indeß haben einige Umstände meinen Plan verändert.«

»Ich bin bereit zur Abreise, und nur dies furchtbare Wetter und Ihr Schreiben verzögerten dieselbe seit gestern.«

»Sie wird vielleicht nicht so eilig sein nach dem zu schließen, was ich gehört habe, und Sie können die Pflicht mit den Rücksichten für Ihre kaum wiederhergestellte Gesundheit vereinigen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich habe Depeschen nach Kaffa und Kertsch zu überbringen, war in Nikita und muß auch Alushta besuchen. Fürst Menschikoff [144] beabsichtigt, an einzelne feste Punkte der Küste kleine Kommando's zu legen gegen die Landungen der Verbündeten, und ich bringe die Ordres für die Truppen. Schloß Ayu ist einer dieser Punkte.«

»Nun, und – –?«

»Man hat mir im Hauptquartier diese Ordre für Sie mitgegeben.«

Der junge Mann nahm aus dem Portefeuille ein Dienstschreiben und übergab es dem Obersten.

»Sie haben mich in der That durch diese lange Vorbereitung neugierig gemacht.« Er erbrach das Schreiben; Ueberraschung, Verdruß und Befriedigung wechselten auf seinem Gesicht. »Wie? – ich soll das Kommando hier in diesem Schloß übernehmen? Was bedeutet das?«

»An der ganzen Küste von der Yalta bis Alushta,« sagte ruhig der Fürst. »Ich habe dem Oberbefehlshaber Schloß Ayu zur Disposition gestellt und es soll, so viel mir gesagt worden, Ihr Hauptquartier bilden.«

»In der That – so sagt die Ordre. Ich weiß nicht, Fürst, ob ich Ihnen danken soll oder nicht, denn offenbar ist es Ihr Borschlag, der mich zur Unthätigkeit hier verdammt.«

»Sie sind ungerecht gegen sich selbst, Graf. Die Franzosen fouragiren bereits bis an die Yaila und die Engländer werden sicher die Plünderung von Livadia und Yalta zu wiederholen suchen. Man fürchtet sogar einen Angriff auf Kaffa und Kertsch; Ihre Thätigkeit wird also hier volle Gelegenheit finden, während bei uns im Felde nothgedrungen durch den Winter eine erzwungene Waffenruhe mit allem Elend des Leidens und der Krankheiten eintreten wird. Ich glaubte überdies, als ich Sie in Vorschlag für das Kommando brachte, Sie einer Verlegenheit in Betreff der Sorge um Ihre schöne Schutzbefohlene zu entheben. Sie brauchen sich jetzt weder von ihr zu trennen, noch sie den Mühseligkeiten und Gefahren eines Feldlagers auszusetzen.«

»Ich bin Ihnen in Wahrheit Dank schuldig und werde denselben beweisen durch meine besondere Sorge für die Sicherheit beider Damen.«

»Wie so?«

»Die Fürstin, Ihre Schwester, wird jetzt unter'm Schutz der Truppen und meiner Fürsorge weniger exponirt sein, als dies bisher der Fall war.«

[145] Der junge Capitain spielte einige Augenblicke mit dem Portefeuille in seiner Hand. »Es war dies anfänglich auch meine Absicht, Oberst,« sagte er endlich leichthin, »indeß Iwanowna hat mir ihren Entschluß mitgetheilt, mich bei meiner Rückkehr in drei Tagen von Kertsch nach Baktschiserai und Ssewastopol zu begleiten.«

»Sie scherzen – die Fürstin in den tausend Gefahren der belagerten Stadt?« Seine blasse Stirn hatte sich dunkel geröthet über der unerwarteten Nachricht, er fühlte sich überlistet oder geschlagen.

Der Fürst hob ruhig den Blick zu ihm empor. »Sie kennen den eigenwilligen Charakter meiner Schwester. Kaum selbst genesen, reißt das Beispiel der barmherzigen Schwestern, die von Kiew und Moskau im Lager eingetroffen sind, um sich der Pflege unserer Kranken und Verwundeten aufopfernd zu weihen, sie zur Nachahmung hin, und sie erklärt, daß, wenn der Platz des Bruders auf den Wällen Ssewastopols oder in den Reihen des Heeres ist, der seiner Schwester am Siechbett der tapfern Krieger sei.«

»Sie wären wahnsinnig, Fürst, wenn Sie eine solche extravagante Phantasie unterstützten. Zu solchen Opfern ist das Volk da, nicht die Damen der höchsten Aristokratie. Der Typhus mit all' seinen furchtbaren Gefährten wird sich bald der Armee bemächtigen, denn ich kenne unser Verpflegungssystem. Tausende werden seinem Pesthauch zum Opfer fallen, abgesehen von dem hundert anderen Gefahren.«

Der junge Offizier sah ihm mit stolzem Lächeln in's Auge. »Auf Ihrem Krankenlager hier, Graf,« sagte er begeistert »konnten Sie freilich den Enthusiasmus nicht kennen lernen, der ganz Rußland für diesen heiligen Kampf bereits erfüllt. Der Kaiser sandte seine Söhne, und meine eigenen Augen haben gesehen, wie die Großfürsten neben dem gemeinen Soldaten für das Vaterland und unseren Glauben fochten. Es war der Gehorsam im Volke und seine stets willige Opferung, mit der wir an der Donan kämpften, jetzt aber ist der Russe in seinem eigenen Lande angegriffen und das Jahrhundert hat bereits gezeigt, was er dann zu thun vermag. Die Kaiserin selbst beschäftigt sich mit der Sorge für die Verwundeten. Die Druschinen der Reichswehr sollen aufgeboten werden und bereiten sich durch das ganze Reich, der Bauer, der Leibeigene verläßt Pflug und Hütte und heftet das weiße Kreuz auf Hut und Kutka. Der Edelmann bietet sein Blut, der Kaufmann [146] sein Geld, fromme Frauen pilgern nach der bedrängten Stadt; – tausend Andere, die zu fern und von den Verhältnissen gebunden sind, bilden Vereine in jedem Gouvernement, in jedem Kreis, und arbeiten und sammeln Tag und Nacht für die Pflege der Kämpfer. Selbst der friedliche Menonit – erinnern Sie sich jenes sanften und muthigen Mannes, der uns durch den Steppenbrand führte? – sendet seine Erndten als Geschenk für das Heer. Und glauben Sie, daß Iwanowna Oczakoff, die so nahe der Stätte des Ruhms und der Opferung ist, zaudern würde, ihr Opfer auf den Altar des Vaterlandes zu legen und mit ihrem Beispiel voran zu gehen? – Nein, Oberst – Iwanowna ist ihre eigene Herrin und Nichts soll sie hindern, dem Vaterlande und der Ehre ihres Namens ihr Leben zu weihen!«

Der junge Mann war aufgesprungen und stand in erregter Haltung vor den ältern kaltherzigen Mann, dessen graue Augen finster zu Boden sahen. Der Oberst fühlte, baß er, ohne sich bloßzustellen, Nichts auf diesen Ausbruch der Begeisterung erwidern durfte, dennoch lag Hohn und Aerger in den tiefen Falten um seinen Mund. »In der That, mein junger Freund,« sagte er nach einer Pause mit unverhehltem Spott, »ich hielt die Fürstin, Ihre Schwester, nicht für so begeistert in diesem Kampf und glaubte eher an gewisse Sympathieen für unsere Gegner.«

Der junge Offizier schaute ihn zornig an. »Iwanowna Oczakoff ist eine Russin. Wollte Gott, jeder Russe fühlte so patriotisch wie sie!«

Der Oberst ging, unzufrieden mit sich selbst und mit der Wendung der Ereignisse, einige Male in dem Zimmer auf und ab. Sein Mißtrauen ließ neue Zweifel in ihm emporsteigen, und um Zeit zur Ueberlegung und zu weiteren Plänen zu gewinnen, richtete er das Gespräch auf einen anderen Punkt. »Die Ordre besagt, baß mit dem Eintreffen der Truppen meine Function beginnt.«

»Die Befehle zum Marsch sind zugleich mit mir abgegangen, Sie können sie also in zwei bis drei Tagen erwarten: zwei Compagnieen Jäger, eine halbe donische Batterie und zwei Sotnien Kosacken. Eine derselben wird vielleicht schon in Alushta eingetroffen sein, und wenn Sie Befehle mitzugeben haben, werde ich sie überbringen.«

»So wollen Sie wirklich fort?«

[147] »Nach dem Diner und einer kurzen Ruhe. Ich werde jedoch nur zwei meiner Kosacken mitnehmen und lasse die Andern meiner Schwester zurück, um ihre Anstalten zu treffen. In drei Tagen bin ich von Kertsch zurück und bitte Sie, bis dahin die Fürstin in Schutz zu nehmen und mir jetzt zu erlauben, Madame Bibesco zu ihr zu führen.«

Es war dem Oberst lieb, daß der Fürst selbst auf diesen Besuch zurückkam, und er beeilte sich, die Dame zu holen.

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als der junge Fürst schwer aufathmete, wie nach einem harten Kampf, und die Hand auf die Brust preßte. »Es ist gelungen,« sagte er leise, »und jeder Argwohn beseitigt. Ich war ein Thor, daß ich ihn hierher führte; denn was bis jetzt gethan ist, ist Spiel gegen das, was mir zu thun bleibt. Aber es war das einzige Mittel, zu ihrem Umgang zu kommen und die Spur zu verfolgen. Jetzt also – an sie!« Er hörte die Nahenden und ging ihnen entgegen.

Die ehemalige Lorette, die der Graf jetzt herein führte, war, trotz aller Anstrengung, es zu verbergen, dem jungen Manne gegenüber verlegen und aufgeregt. Mit dem feinsten Takt und großer Artigkeit jedoch verstand er, ihre Verlegenheit zu negligiren, wiederholte die Entschuldigung der bisherigen Zurückhaltung der Fürstin und seine Einladung, die von der Dame mit einem bezeichnenden Blick angenommen wurde.

Der Regen, der bisher in einzelnen Intervallen fiel, hatte aufgehört, desto fürchterlicher jedoch tobte der Sturm. Während die Französin sich in Mantel und Capuchon hüllte und der Graf ihr dabei half, wiederholte er leise die Mahnung: genau auf Alles zu merken.

Der Fürst bot der Dame den Arm. – »Wir wollen über die Brücke gehen, statt des langen Weges durch die Thore.«

»Ist es nicht gefährlich?«

»Ich bürge dafür.« – Mit dem Versprechen, vor seiner Weiterreise den Obersten noch zu besuchen, führte er sie fort.

Als das Paar aus der Villa und auf das Plateau trat, fühlte es die ganze Macht des Sturmes, der sich mit jedem Augenblick mehr und mehr zum Orkan gestaltete. Bleigrau und schwer hingen die Wolken fast auf den Spitzen der Felsen von weißen, lichten Nebeln durchzogen. Das Meer wühlte zu ihren Füßen in bergetiefen Schlünden, schwarz und undurchsichtig, bis es, an den Klippen [148] emporschäumend, in weißem Gischt und Millionen Tropfen sich löste.

Die Französin schmiegte sich angstvoll an den Arm ihres Begleiters, während er einige Augenblicke an dem eisernen Geländer der Brücke stehen blieb und auf das furchtbar schöne Schauspiel hinausblickte. Die Brücke selbst schien bei dem Heulen des Sturmes unter ihren Füßen zu beben.

»Sie haben diese Fläche im Gold und Azur der Sommermorgen geschaut, schöne Frau,« sagte der Offizier, »in all' der Herrlichkeit dieser lieblichen Küsten, und ahnten damals wohl schwerlich, welche Schrecken dieselbe Natur bergen kann. Und dennoch hat das Menschenleben so ähnliche Wechsel; in jedem Herzen wohnt der Sturm neben dem Sonnenschein des Glücks und des Friedens.«

»Ich beschwöre Sie, führen Sie mich fort, ich kann es nicht ertragen! Die Unglücklichen, die in diesem Augenblick auf dem Meere sind!«

Der Sturm verwehte die Hälfte ihrer Worte. Er führte sie rasch über die schwankende Brücke und öffnete die schützende Pforte, die sich so lange vor ihr verschlossen hatte. Durch gewölbte Corridore und mehrere Gänge führte er die Dame nach jenem Erkerzimmer im Thurme, in dem die Fürstin ihn erwartet hatte und wo er sie bat, auf einem Divan Platz zu nehmen.

»Bevor ich die Ehre habe, Sie der Fürstin, meiner Schwester, vorzustellen,« sagte der junge Mann ehrerbietig, aber mit einer Aufregung, die der seiner schönen Gefährtin nicht nachstand, »wird es vielleicht Ihnen nicht unlieb sein, wenn wir uns verständigen.«

Die Bojarin nickte hastig imb zustimmend. – »Sie wissen, daß ich Sie sogleich wiedererkannte.«

»Die Umstände,« fuhr der Fürst fort, und ein aufmerksamerer Beobachter als die Französin hätte bemerken können, daß er sorgfältig jedes Wort wog, »verhinderte uns beide Male an einem längeren Austausch unserer Erinnerungen.«

Er schwieg. – »Als Sie mir auf dem Ball im Hause des preußischen General-Consuls in Bukarest vorgestellt wurden,« sagte Celeste, »begriff ich erst die Weigerung, Ihren Namen an jenem schrecklichen Abend zu nennen.«

»Am 5. Juli?«

»Richtig – der Datum ist auch mir unvergeßlich geblieben. Nini und ich harrten schon so lange auf Sie, um uns nach dem [149] Mabille zu führen. Ich kann mir auch jetzt den Grund Ihrer plötzlichen Abreise deuten. Sie standen damals bei der Gesandtschaft?«

»So ist es!«

»Und auf den verfehlten Bahnzug bezogen sich wahrscheinlich damals Ihre Worte. Ich wiederhole Ihnen, Fürst, es war edel von Ihnen, daß Sie Nini's Bruder, der so unglücklich dazu kam, schonten, obschon der rohe Mensch sich an Ihnen vergriffen hatte. In der That, der Gedanke, sich wahnsinnig zu stellen und sich nach Bicêtre führen zu lassen, um einer Antwort überhoben zu sein, war magnifique.«

Sie war im Plaudern und bemerkte die Todtenblässe des jungen Mannes nicht. – »Bicêtre – wahrhaftig – der Gedanke kam mir zufällig!« – Er schien mit Gewalt die Worte hervorzuwürgen und sein Geist entfernt von der Unterredung zu sein.

»Wie lange, Fürst, brachten Sie in dem abscheulichen Gefängnisse zu, um uns nicht zu compromittiren und Bourdon's Flucht zu sichern?«

»Wie lange? – ich entsinne mich nicht genau – vier Stunden – ich fuhr mit dem Morgenzuge ab!«

»Es war ein Opfer, das die Kleine kaum werth war. Sie sagten mir bereits, daß auch Sie Nichts wieder von ihr gesehen?«

»Nein.«

»Sie war spurlos verschwunden mit ihrem tollen Bruder. Ich hatte natürlich mich sobald als möglich von ihnen entfernt, nachdem ich« – sie wandte scheu das Auge ab – »das reiche Geschenk, das Sie zurückließen, ihr eingehändigt; aber die Aermste war in der That ganz außer sich und – es sollte mich nicht wundern, wenn der Bösewicht, ihr Bruder, in diesem Zustand – die große Summe –«

»Sie haben also Nichts von dem Mädchen wieder gehört?« unterbrach sie der Fürst.

»Sie begreifen, ich konnte mich nicht compromittiren mit einem Complotteur. Ich hielt einige Tage darauf unter der Hand Erkundigungen, aber Beide waren fort und die glänzende Einrichtung, die Sie ihr gegeben, durch einen Commissionair schon am Morgen nachher verkauft worden.«

»Also die Wohnung in der rue ...«

»Saint Josef Nr. 10 – Sie sind vergeßlich, wie alle Männer, [150] mein Fürst, sobald sie uns verlassen haben. Die Wohnung war geräumt und so jede Spur verloren. Sie wußten das nicht?«

»Ich habe, wie ich bereits erwähnte, aus der Haft befreit, noch am frühen Morgen Paris verlassen müssen,« sagte der Fürst hastig. »Meine Schwester war bereits vorausgereist.«

»So erklärt sich Alles. Ich habe Ihnen also nur meinen Dank zu sagen für die Discretion, mit der Sie meine Vergangenheit bewahrt, und bitte Sie, dies auch ferner zu thun, namentlich auch gegen Graf Wassilkowitsch.« – Sie reichte ihm mit einem koketten Blick die Hand, die der junge Mann zerstreut küßte.

»Lassen Sie uns Verbündete sein – ich kann Ihnen meine Freundschaft gleich durch eine Warnung bethätigen. Der Graf glaubte sich von Ihnen und Ihrer Schwester getäuscht, er meinte, daß die Fürstin längst nicht mehr hier; Ihre Ankunft jedoch hat ihn wieder irr an seinem Argwohn gemacht, obschon er mir aufgetragen, ihm genau über meinen Besuch zu berichten.«

»Das sollen Sie, schöne Freundin,« sagte aufstehend der junge Mann, während sein Auge mit einem leichten Ausdruck von Spott auf ihr ruhte. »Ich denke, wir sind einig, und Graf Wassilkowitsch soll seine Ruhe wieder erhalten. Erlauben Sie, daß ich meine Schwester benachrichtige und einstweilen mich bei Ihnen beurlaube, da ich noch Vieles zu ordnen habe.«

Er küßte nochmals ihre Hand und verließ das Zimmer, in dem sich Celeste jetzt prüfend umschaute, um nach Frauen Art aus den Umgebungen auf Character und Beschäftigung der Bewohnerin zu schließen. Sie blätterte in einem französischen Album, als ein leichtes Geräusch in ihrem Rücken sie umschauen machte. Eine bisher unbemerkte Tapetenthür in der Wand hatte sich geöffnet und eine junge Dame war in's Zimmer getreten. Der weite Morgenrock von schwerer persischer Seide umhüllte die schöne Gestalt, die neidischen Schleier waren zurückgeschlagen und zeigten jene merkwürdige Aehnlichkeit des schönen und edlen Gesichts mit ihrem Bruder: – Celeste stand vor der Fürstin.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war am Spät-Nachmittag; eine Pause, die der Orkan gemacht, als wolle er sich von seinen Anstrengungen erholen und zu neuer Wuth rüsten, hatte den Bewohnern des Schlosses am fernen Horizont ein großes Schiff im Kampf mit den erregten Wogen gezeigt. Man konnte natürlich nicht wissen, ob es ein Kriegsschiff [151] oder einer jener zahlreichen Kauffahrer war, die der lockende Gewinn der Geschäfte damals in großer Zahl nach dem Schwarzen Meere führte.

In dem bereits mehr erwähnten Gemach stand der junge Früst, zum Aufbruch gerüstet, am Fenster saß die Fürstin, wieder in ihre dichten Schleier gehüllt. Iwan, der alte Ataman, mit seinem jüngsten Enkel Olis standen an der Thür des Zimmers.

»Ich habe Dich zu meinem Begleiter gewählt, Iwan,« sagte der Fürst, »weil Du Gehorsam kennst von Deinem langen Soldatenleben und weil ich mich auf Deinen Scharfsinn und Deine Treue verlassen kann. Auf dem Wege, den wir vorhaben, ist jedoch noch eine andere Eigenschaft nothwendig. Ich muß das Gelöbniß unverbrüchlicher Verschwiegenheit von Dir und Deinem Enkel erhalten.«

»Olis ist zum Gehorsam erzogen. Was mich betrifft, so frage den Tabuntschik, Herr, ob Iwan, der Steppenteufel, zu schweigen weiß.«

»Ich verstehe nicht, worauf Du Dich beziehst, aber ich vertraue Dir. Deine andere fünf Enkel bleiben hier mit dem alten Tabuntschik zum Dienst der Fürstin, meiner Schwester. Du suche Dir für zwei oder drei Tage Lebensmittel für einen Mann und zwei Pferde zu verschaffen. Mache Alles zum Aufbruch bereit und führe die Pferde nach dem Thor des neuen Schlosses. Ich muß von Oberst Wassilkowitsch Abschied nehmen und werde dort aufsteigen. Geht jetzt, schweigt über meine Befehle und schickt dan Kastellan zu mir.«

Die Kosacken entfernten sich und nach einigen Augenblicken, die der Fürst im Gespräch mit seiner Schwester zugebracht, erschien der alte Verwalter des Schlosses. Er war ein ehemaliger Leibeigener von den Gütern des Fürsten in einem innern Gouvernement, dem schon der Vater desselben die Freiheit geschenkt und dies Amt gegeben. Er hatte ein würdiges, ehrliches Ansehen und war der Familie seines Herrn treu ergeben.

»Sergei Popotoff,« sagte der Fürst, »ich weiß, Du bist ein treuer Diener unsers Hauses und hast alle die Befehle, die ich Dir in Betreff meiner Schwester gab, genau erfüllt, ohne zu fragen wie oder warum.«

»Es war meine Pflicht, Herr. Kein Fremder hat die Schwellen [152] des alten Schlosses überschritten, Niemand die Zimmer der Herrin betreten, als das tatarische Mädchen, das sie mitgebracht.«

»Ich weiß es und bin zufrieden mit Dir.« – Der alte Mann küßte demüthig seine Hand. – »Jetzt fordere ich einen andern Dienst von Dir, bei dem Du, was Du auch sehen und hören magst, eben so wenig fragen darfst. Von meiner Mutter weiß ich, daß ein geheimer Gang aus diesem Schloß an den Fuß der Klippen zum Meeresstrand führt, schon von den alten Erbauern dieses Thurmes angelegt. Du kennst ihn?«

»Er ist ein Geheimniß, das zu meinem Amte gehört, Herr. Du allein hattest das Recht, danach zu fragen. Hier ist der Schlüssel.« – Er nestelte ein schweres Bund von seinem Gürtel.

»Wo mündet er im Schloß?«

Der Kastellan ging nach der Wand des Gemachs, die der Tapetenthür gegenüber lag und in deren Mitte ein großer Spiegel in schwerem Eichenrahmen von alter Schnitzarbeit angebracht war. – »Sieh' diesen Knopf, Herr, unter der Ecke des Glases. Ein Druck öffnet die Thür. Der Gang ist seit langen Jahren nicht benutzt worden, seit die Fürstin, Deine Mutter, todt ist, die, wenn sie hier war, wohl ein Mal in schönen Nächten auf den Stufen zum Rande des Wassers hinunterstieg, statt den Weg über die Terrassen zu nehmen; aber es gehört zu meinem Amte, Alles, was mir überliefert worden, im Stande zu erhalten.«

»Oeffne!«

Der Kastellan drückte auf den Knopf, man hörte eine Feder springen, der große Spiegel drehte sich in seinen Angeln und der dunkle Zugang einer Wendeltreppe, in der Dicke der Mauer angebracht, öffnete sich. Ein scharfer, kalter Luftzug drang aus der Tiefe empor.

Der Fürst untersuchte die öffnende Feder im Innern. – »Wo und wie ist der Zugang von unten?«

»Die Treppe mündet in der Steingrotte, Durchlaucht, vor der Du viele Male als Knabe am Strande gespielt hast, während die Frau Fürstin sorgsam von dem Steinsitz im Innern Dich hütete. Der Sitz ist noch da und links von ihm am Boden ein eiserner Ring in der Wand, den man nur zu ziehen braucht.«

»Es ist gut. Schließe die Thür und erinnere Dich an Alles, was ich Dir gesagt. Triff alle Anstalten zur Abreise der Fürstin in drei Tagen, wenn ich von Kertsch zurückkehre, und zur [153] Aufnahme der kaiserlichen Soldaten. Du hast alsdann Graf Wassilkowitsch zu gehorchen, wie mir selbst. Und jetzt, Iwanowna, ist es Zeit zu scheiden; begleite mich bis zur Brücke.«

Er schlang den Arm um die Fürstin und führte sie hinaus in's Freie, wo er an der Pforte, die auf die Brücke zum neuen Schloßtheil führte, Abschied von ihr nahm. Auf beiden Seiten des Schloßplateau's hatte sich die Dienerschaft in zahlreichen Gruppen versammelt, theils um der Abreise des Herrn beizuwohnen, theils um das in der Ferne kämpfende Schiff und das Aussehen des Himmels und Meeres zu beobachten. Alle sahen, wie der junge Offizier von der Schwester schied und dann über die Brücke schritt, während sie, von ihrer tatarischen Dienerin begleitet, in ihre Gemächer zurückkehrte.

Eine halbe Stunde später bestieg der junge Capitain, von dem Grafen bis zum Ausgang der Villa geleitet, sein harrendes Pferd und ritt mit den beiden Kosacken langsam und vorsichtig den Felspfad hinab.

Der Sturm, der eine Stunde geruht, begann sich auf's Neue zu erheben und brauste mit seinem Donner über das bewegte Meer. Im Südosten zog es dunkel und schwer herauf und breitete die nächtigen Fittige über den Horizont.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die englische Fregatte – eine alte Bekannte von uns – der Niger, kämpfte mit all jenem Trotz, den der Muth und die Geschicklichkeit britischer Matrosen den Eichenplanken einzuhauchen scheinen, gegen Sturm und Wogen. Das Schiff war in der letzten Zeit häufig zum Transport von Verwundeten nach den großen Hospitälern gebraucht worden, welche die Engländer und Franzosen in Skutari und am europäischen Ufer des Bosporus angelegt hatten und kehrte von einem solchen eben von Constantinopel zurück, als es schon am Tag vorher der Sturm von seiner Richtung ab und hoch hinauf nach Nordost verschlagen hatte.

Eine Abtheilung britischer Reconvalescenten befand sich an Bord: auch zwei französische Offiziere und ein Arzt. Dieser und einer der Offiziere hatten einen Transport Verwundeter aus der Inkermann-Schlacht nach Constantinopel gebracht, der andere Offizier kehrte aus dem Lazareth zurück. Da im Augenblick kein französisches Schiff Gelegenheit zur Ueberfahrt bot, hatten sie diese auf dem britischen benutzt: Colonel Méricourt, der Ingenieur-Capitain [154] Depuis und Doctor Welland. Im Vordercastell hatte die Gutmüthigkeit oder Bestechlichkeit der Matrosen Handelsleute und allerlei Volk eingeschmuggelt, während eine englische Dame, deren Gatte vor Sebastepol stand und die mit dem letzten Dampfer von Southampton eingetroffen war, auf Empfehlung des Gesandten die hintere Cajüte inne hatte.

Die Nacht und den Tag über hatte das Schiff mühsam unter den Sturmseegeln gegen das Unwetter ausgehalten. Es war eben jene kurze Ruhe eingetreten, deren wir bereits bei den Scenen am Lande erwähnt haben, und die Mannschaft stand, nachdem alles Mögliche geschehen war, um die Fregatte vom Lande abzurichten, in Gruppen auf den Decks umher, während die Offiziere auf dem Hintercastell bald die Wolken, bald die versuchsweise aufgesetzten Seegel beobachteten.

Auf der Bank am Lee saßen die beiden Franzosen, Méricourt, noch den linken Arm in einer leichten Binde tragend, und Capitain Depuis, und sprachen mit Welland und dem Schiffsarzt, die sich an den Wandungen festhielten. Näher dem Steuer, wo Capitain Warburne mit dem ersten Lieutenant stand, klammerte sich an die Gallerie eine hagere, krankhafte Gestalt, der selbst in diesen Stunden der Gefahr die französischen Offiziere ganz unverholen ihren Widerwillen und ihre Mißachtung zeigten: Edward Maubridge, der Baronet. Erst als das Schiff bereits unter Seegel war, hatten sie erfahren, daß er, krank und leidend, noch immer ein Gast auf dem Fahrzeug seines alten Freundes war, der ihn nach jener Mordnacht in Varna an seinen Bord hatte bringen lassen, um ihm dort eine Pflege zu widmen, die er in einem Lazareth oder unter Fremden nicht gefunden hätte. Ein hohler trockener Husten erschütterte von Zeit zu Zeit den siechen Leib und zeigte, daß der Dolch des Griechen edle Theile getroffen hatte. Trotz der Mahnungen des Arztes und des Capitains war der Baronet auf Deck gekommen und weigerte sich, es zu verlassen, obschon seine Kraft ihn kaum gegen den Wind aufrecht erhalten konnte und die Sturzseen, die über das Verdeck schlugen, wenn das Schiff in eine tiefe Höhlung der Wogen sank, ihn bis auf die Haut durchnäßten.

Auf allen Gesichtern lag Ernst und Besorgniß, denn die Gefahr, in welcher das Schiff schwebte, war selbst den Laien bekannt, und der finstere Blick des alten Capitains kündete neues Unheil.

»Der Fockmast trägt die Seegel kaum länger, Capitain Warburne,« [155] sagte der erste Lieutenant, indem er unruhig nach diesen schaute. »Die Stengen biegen sich wie die Peitschenstiele und die Wanten sind wie Eisen gespannt. Lassen Sie uns wenigstens das Vormars- und das Vorbram-Seegel einziehen.«

Der Capitain wies statt aller Antwort nach Südosten, wo schwärzer und schwärzer die dunkle Wand zugleich mit den Schatten des Abends heraufstieg.

»Ich sehe das Alles, Sir,« sagte ehrerbietig der Lieutenant, »aber die Gefahr, daß der Mast über Bord geht, ist uns näher.«

»Es ist unmöglich, Sir, daß wir die hintern Seegel benutzen können. Der alte Bau liegt so schwer im Wasser und die Wellen auf diesem verteufelten Meer sind so kurz und schnell hintereinander, daß wir nur mit dem Fock uns einigermaßen stetig halten können. Wie hoch schätzen Sie die Entfernung jetzt vom Lande?«

Der Offizier sah prüfend nach der Küste hinüber, die im zunehmenden Dunkel zu verschwinden begann. – »Wir hatten um Mittag vier Seemeilen und werden vielleicht eine gewonnen haben.«

»Ich fürchte,« flüsterte der Capitain, »das Schlimmste kommt erst nach. Wenn wir an einer befreundeten Küste wären und Warnungsfeuer uns die Richtung angeben würden, könnten wir entkommen. Indeß, wir müssen das Möglichste thun. Lassen Sie Adams das große Seegel bereit halten, Master Price, damit, wenn Gefahr ist, es im Augenblick gehißt sein kann.«

»Ja, ja, Sir!« – Der Befehl lief weiter nach dem großen Deck. Price, der Schiffer, ging selbst nach dem Fuß des großen Mastes, um die Anstalten zu beaufsichtigen.

»Hast Du das schwarze Frauenzimmer bemerkt, Frank,« fragte der Midshipman Gosset seinen älteren Kameraden, »die durchaus nicht hinunter wollte, als die Lukenklappe wieder geschlossen wurde? Ich glaube, sie ist verliebt in einen von uns und voll zärtlicher Besorgniß, daß uns eine dieser Wellen über Bord spielen möchte.«

»Ich glaube eher in den Capitain oder Master Hunter, denn ihre Augen waren fortwährend nach dem Hinterdeck gerichtet, als ob das Ersaufen für sie keine Gefahr hätte. Der große Mohr, der den französischen Offizier bedient, ist ihr Bruder.«

»Der Teufel hole die Weiber und die Franken! Es ist ein Unglück, daß wir sie an Bord haben.«

Der Hochbootsmann ging eben vorüber. – »Wenn Sie je ein wahres Wort gesagt haben, Master Gosset, und das ist bei [156] Ihnen eine seltene Sache, so war's in diesem Augenblick. Es ist Freitag heut, denken Sie daran.«

»Aufgepaßt auf Ihren Dienst, Ihr Herren,« sagte der dritte Lieutenant, nach vorn kommend. »Geben Sie dem Klüver etwas mehr Luft, Clinton!« – – –

»Ich wünschte, College,« sagte Welland zu Duncombe, dem Wundarzt der Fregatte, »Sie könnten den Mann dort bewegen, das Deck zu verlassen. Dieses Peitschen des Novembersturmes ist Gift für seine Brust. Ich habe, Gott weiß, keine Ursach, ihm Gutes zu erweisen, aber meine Pflicht als Arzt fordert, daß ich es sage.«

»Er ist ein so eigensinniger Bursche, daß jede Mühe vergeblich ist. Ich habe bereits bei der Abfahrt aus dem Bosporus bemerkt, daß Sie ihn mieden, und mir ist es vorgekommen, als hätte ich Ihr Gesicht bereits früher mit ihm in Verbindung gesehen, nur weiß ich nicht gleich wie und wo.«

»Der Sturm erhebt sich auf's Neue,« sagte Capitain Depuis; »es ist so finster, daß man bald nicht zwanzig Schritt weit sehen kann. Wollen wir hinunter gehen, Méricourt?«

»Es ist zu spät, die Luken sind geschlossen und wir müssen hier aushalten. Ueberdies sehe ich der Gefahr lieber in's Auge.«

»Sie scheint nahe genug zu sein. Horch'! was ist das?«

Eine augenblickliche Todtenstille lag in der Luft, die dichte Wolkenbank zur Seite, die jetzt weit über die Hälfte des Horizonts umzogen, schien sich in der Mitte zu spalten und ein weißes fahles Licht schob sich schnell nach dem Zenith empor.

»Herunter mit dem Vormars! Rafft das Vorbram-Seegel!« donnerte die Stimme des Capitains durch das Sprachrohr. Der erste Lieutenant war in zwei Sprüngen die Treppe des Hinterdecks hinunter und im Vorderschiff. »Rasch, rasch, Leute! Es gilt Euer Leben! Nehmt Eure Messer – herunter um Himmels willen mit dem Seegel!«

Es war zu spät, obschon zehn, zwanzig Matrosen im Nu in den Wanten und an den Schooten hingen.

Ueber die See her kam es wie ein dumpfes brüllendes Stöhnen. Dann erscholl ein ferner Schlag, hoch in der Luft, wie ein hundertfacher Kanonenschuß – ein zweiter – und im nächsten Augenblick brach der Orkan mit einer Wuth los, gegen die alles bisherige Toben sanfte Musik gewesen zu sein schien. Der rasende [157] Sturm faßte die beiden oberen Seegel des Vordermastes – einige Augenblicke schwankten die Stengen hin und her, und es war zweifelhaft, ob sie brechen oder die Seegel reißen würden; aber der nächste entschied. Während das Vorbram-Seegel in Fetzen zersprungen durch die Luft peitschte, konnte die Vormars-Stenge dem furchtbaren Druck nicht länger widerstehen und sie brach über den Eisenringen des Fockmars mitten durch und stürzte mit dem ganzen Takelwerk über Bord, Klüber und Sturmfock mit sich in die schäumenden Wellen reißend.

Ein durchdringender gellender Angstruf, ein Schrei aus der Brust zwanzig tapferer verlorener Männer übertönte selbst das Brüllen des Orkans.

»Mannschaft über Bord!« – »Setzt die Boote aus!« – »Master Bully, der dritte Lieutenant, fehlt!«

Die Mannschaft eilte durch einander – selbst der Mann am Steuer achtete einen Augenblick nicht aus seinen Dienst und die Spanne Zeit genügte, um das Unglück zu vollenden.

»Klammern Sie sich fest, Colonel! Um Gotteswillen – die Woge!«

Die Warnung des braven deutschen Arztes war kaum gegeben, als eine große Welle das Schiff, das von seiner Richtung abgewichen, am Wetterbug faßte und auf die Seite warf, daß die Spitzen der Masten fast in der tiefen Höhlung des Wassers verschwanden, indem es hinunterschoß.

Ein Theil des obern Bollwerks war fortgerissen, mit ihm Duncombe, der englische Arzt und der Gehilfe des Steuermanns. In den Leegatten hing die fast leblose Gestalt des Baronets; Méricourt und Depuis hielten sich mit wahnsinniger Anstrengung festgeklammert an den Tauen des Besanmasts.

Der alte Bau der Fregatte richtete sich jedoch stöhnend in allen Fugen aus dem Grabe der Wässer wieder empor. Der Capitain selbst hatte mit Hand angelegt an das Steuerrad und es gelang, das Schiff vor den Wind zu bringen.

»Lassen Sie kappen, Hunter, so rasch als möglich!«

»Alle Mann auf ihren Posten! – Haut die Taue durch!

Während Welle auf Welle das Schiff hob und in den Abgrund senkte, gelang es der Mannschaft, sich von den Trümmern zu befreien.«

Dreiundzwanzig Mann fehlten! – »Sie sind unwiederbringlich [158] verloren,« sagte der Capitain auf eine Bemerkung des Schiffers; »es ist unmöglich, in dieser See und bei unserer Havarie auch nur den geringsten Versuch zu machen zu ihrer Rettung.«

»Sir!« – der Steuermann berührte ehrerbietig selbst in dieser furchtbaren und bewegten Scene den Hut, den er sich auf dem Kopf festgebunden.

»Was wollen Sie, Mr. Sporschill?«

»Ich fürchte, Sir, es ist etwas an dem Steuer beschädigt – das Schiff gehorcht ihm nicht mehr.«

»Das wolle Gott verhüten – es wäre unser sicheres Verderben!« Der Capitain griff selbst in die Speichen und einige Versuche überzeugten ihn, daß der Steuermann Recht hatte. »Es bleibt Nichts übrig, wir müssen den Versuch machen, es fest zu legen.«

»Aber es ist unmöglich, Sir, jedes menschliche Glied würde zehn Mal zerschmettert, und wir dürfen nicht vom Winde weichen.«

»Ich weiß es, aber dennoch müssen wir Gewißheit haben; Kinder,« – er wandte sich zu den nächsten Mannschaften – »das Steuer ist beschädigt, es ist vielleicht möglich, den Schaden zu bessern, aber ich muß wissen, wo er sitzt. Wer wagt sein Leben an die Untersuchung?«

Eine augenblickliche Pause folgte, dann traten von zwei Seiten der alte Deckmeister Adams und Frank Maubridge, der Midshipman, vor und es klang wie aus einem Munde: »Ich, Sir!«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Capitain, »aber ein Leben zu wagen ist genug und Adams steht die größere Ruhe und Erfahrung zur Seite. Nimm alle Vorsichtsmaßregeln, Alter, und dann rasch, denn jede Minute ist kostbar. Frank, sehen Sie nach Ihrem Bruder.«

Das Schiff, von den rasenden Wellen gejagt, trieb pfeilschnell vor diesen hin, bald auf dem Gipfel der Wogen, bald in den tiefen Abgründen. Das noch immer gespannte Fockseegel hielt es allein im stetigen Lauf, da der Klüber jedoch fort war, blieb jede Wendung unmöglich und es wurde von dem Sturm, wie jeder Seemann am Bord recht gut wußte, gerade auf die gefährliche Küste zu getrieben.

Während der alte Deckmeister mit Hilfe einiger Matrosen sich zu dem Wagstück bereit machte, indem er blos ein leichtes Tau um seinen Leib schlingen ließ und eine Kette mehrfach um seinen [159] linken Arm schlang, hatte Frank Maubridge sich zu dem Baronet gewandt. Er fand ihn, von Doctor Welland unterstützt und auf der Bank im Lee, festgebunden an einem Tauring, um gegen jede überspülende Welle geschützt zu sein, wie er unter den Bemühungen seines edelmüthigen Gegners eben wieder zum Bewußtsein zurück kehrte.

Der Capitain war selbst an's Steuer getreten, während Lieutenant Hunter die Leitung des Schiffs übernahm. Mit vieler Mühe und durch Hilfe des Fockseegels fiel es einen Strich vom Wind ab und diesen Augenblick benutzte der alte Deckmeister, um sich über das Bollwerk zu schwingen und an den Galerieen des Sterns hinabzusteigen.

Er hielt sich möglichst frei von dem sichernden Tau, nur auf die Kraft seiner athletischen Arme sich verlassend. Eine athemlose Stille herrschte am Bord, nur von dem Toben des Sturms und der Wellen unterbrochen; Jeder, den nicht seine Pflicht an eine andere Stelle fesselte, suchte die Bewegungen des kühnen Kletterers zu verfolgen. Unter'm Schutz der halben Wendung des Schiffes stieg der Deckmeister anfangs glücklich an den Galerieen und Simsen des Hintercastells hinab. Wir müssen bemerken, daß der ganze Vorgang rascher verlief, als unsere Erzählung ihn wiederzugeben vermag! Er war am Steuer und man konnte über die Brüstung bemerken, wie er die Kette, deren Ende er um den Arm getragen, zu befestigen versuchte. In diesem Moment erschütterte ein neuer furchtbarer Sturmstoß das Schiff – das Fockseegel riß aus seinen Schlingen mit einem Knall, der einem Kanonenschuß glich, und flog wie eine weiße Wolke dann über das Bugspriet hinaus. Die Fregatte fiel zu rück in den Wind, – einige Augenblicke sah man den braven allen Seemann im dunkeln Schlunde der Wässer an der Leine hängen, dann, ehe sie noch gehißt werden konnte, kam eine dunkle schäumende Woge daher und schleuderte ihn mit aller Gewalt gegen die Balken.

»Hißt das Tau! Rasch – rasch, Jungens!«

Die Matrosen arbeiteten mit rasender Kraft, die Offiziere legten Hand mit an, denn der alte Deckmeister war bei Allen beliebt; das Tau flog durch die Hände, im nächsten Augenblick erschien die kräftige Gestalt in der Höhe und zehn Hände erfaßten sie, um sie über das Bollwerk zu heben.

Der Kopf des alten Mannes, aus einer Stirnwunde blutend, [160] hing bleich auf die linke Schulter, die mächtigen Glieder waren schlapp und kraftlos; als die Matrosen sie anfaßten, fühlten sie die Knochen an mehreren Stellen zerschmettert.

Man legte den Verletzten auf das Deck am Compaßhaus; Frank Maubridge knieete neben ihm und suchte das Blut unter lautem Wehklagen zu stillen.

»Er kommt zu sich,« sagte Capitain Warburne. »Alter Freund, wie geht es Dir?«

Der Deckmeister hob den Kopf, von dem Doctor unterstützt, der auf der anderen Seite neben ihm war und seinen Puls hielt. Sein erster Blick fiel auf Frank und ein mattes Lächeln verbreitete sich über seine gefurchten Züge. »Das war keine Arbeit für Euch, Master Frank,« flüsterte er, »Ihr werdet deren noch heute schwer genug haben. – Capitain Warburne,« – er wandte sich zu diesem – »die Steuerkette ist gerissen und das Steuer aus seinen obern Pinnen gehoben, es ist keine Möglichkeit der Befestigung da, die Fregatte ist verloren, wenn Ihr sie nicht durch andere Mittel rettet.«

»Ich fürchtete es. – Fühlst Du Dich schwer verletzt, Mann?«

»Es ist aus mit mir! Dreißig Jahre, Capitain, sind wir zusammen geseegelt, zwanzig davon in diesem Schiff – die Planken wollen nicht mehr zusammenhalten und mit mir ist's eben so. Ich fühl' es – der Sturz hier auf die Brust – –«

»Muth – Muth! Die Wunden sind nicht gefährlich!«

»Ich würd' ein Krüppel sein und besser, ich gehe, wohin der alte Niger geht. – Capitain Warburne – der verteufelte Dampf hat uns doch überflügelt!«

Der sterbende Seemann schwieg erschöpft; – die Untersuchung hatte Doctor Welland gezeigt, daß der Brustkasten zerschmettert und jede Hoffnung vergeblich war. Während Frank, der Midshipman, und der Baronet, der sich wieder erholt hatte, mit dem Leibenden sich beschäftigten, ohne auf die Gefahren ringsum zu achten, richtete der Capitain wieder sein ganzes Augenmerk auf die furchtbare Lage des Schiffes.

»Oeffnen Sie die Luken, Master Keane,« befahl er dem Hochbootsmann, »wir haben kein Recht mehr, die Leute dort unten zu halten und müssen ihnen jede Chance zur Rettung gewähren. – Untersuchen Sie die Boote, Pearson.«

Der Zimmermann berichtete, daß der zweite Kutter von der [161] Sturzsee fortgerissen, das Ghig zertrümmert, der erste Kutter und das Langboot aber noch seetüchtig wären.

Das Schiff trieb jetzt, dem Steuer nicht mehr gehorchend und während die Mannschaft versuchte, an dem Stumpf des Fockmastes ein neues Seegel zu befestigen, mit furchtbarer Geschwindigkeit vor Wind und Wellen, zuweilen sich auf die Seite legend und dann von einem Wasserberg überschüttet. Fast jede neue Welle, die über die Bollwerke schlug, riß in die Menschenmenge, die, aus dem Raum voll Angst und Jammer emporsteigend, auf den Verdecken sich drängte, eine Lücke, und die Unglücklichen, die sich nicht verstanden festzuhalten oder zu sichern, in die dunkle Tiefe hinab, aus der keine Wiederkehr ist, außer an jenem Tage, der uns Alle wieder vereinen soll zur Wägung von Schuld und Thorheit!

Am Besanmast stand ein riesiger Mohr in der Uniform eines orientalischen Spahi's, den rechten Arm um den Mast gelegt, während die linke Hand ein schwarzes, tief in den Yaschmak und Feredschi verhülltes Weib umschlang, deren Augen fest auf die Gruppen des Hintercastells gerichtet waren. MistreßDuberly, die englische Dame, die ihrem im 8. Husaren-Regiment dienenden Gatten, den Verboten Lord Raglan's und Lord Lucan's zum Trotz, nach dem Lager folgen wollte und in dem Niger die Ueberfahrt machte, war gleichfalls auf das Deck gekommen und die französischen Offiziere suchten so gut als möglich die Zitternde zu sichern.

Der alte Deckmeister hatte dem Baronet gewinkt, sein Ohr näher zu seinem Munde zu bringen, denn das Gebrüll der Wogen und des Sturmes machte kaum in nächster Nähe die Worte verständlich. »Eins liegt mir schwer auf der Seele,« sagte er mit Anstrengung, »und läßt mich bangen vor dem großen Admiral dort oben – das griechische Weib, das ich Euch verbergen half am Golf zu Smyrna. Ich kannte Euch als Knaben, Sir Edward – erleichtert meine Sterbestunde durch das Versprechen, gut zu machen an ihr, was Ihr verbrochen habt. Sucht die Lady auf, Ihr wißt, daß sie Euer rechtmäßig Weib ist – ich war Zeuge davon, und der wackere Bursche, ihr Bruder, den der zweite Lieutenant in der Fanariotenstadt erschlug, als Ihr mit einer türkischen Metze davon lieft, hatte ein Recht, Euch zur Rechenschaft zu ziehen.«

Das bleiche, kranke Gesicht des Baronets verzog sich zu wildem Haß. »Diona ist längst todt und ruht auf dem Kirchhofe von Sebastopol. Der Grieche aber, den Du erschlagen wähnst, [162] lebt und seinem Dolche verdank' ich's, daß diese Brust den Keim des Todes in sich trägt!«

Es war das erste Mal, daß der Baronet gegen seine englischen Freunde Diona's Tod und seines Mörders erwähnte, über dessen Person er bis jetzt hartnäckig geschwiegen.

Der Alte seufzte schwer auf. »Ich sagte es Euch wohl, es kommt nichts Gutes von den Unterröcken. Vergebt dem Manne, wie der Herr dort oben Euch vergeben möge, und hütet Master Frank vor dem Weibervolk. Es ist der Letzte Eures Stammes und ein wackerer Junge bis auf die schlimme Klippe.«

»Licht vor uns!« unterbrach der schallende Ruf vom Vorderkastell die verschiedenen Scenen und fesselte alle Augen auf den Horizont. Hoch über demselben, gleich wie mitten aus den schwarzen Wolken heraus flammte ein Licht, erst klein und schwach, aber rasch sich zur großen, lodernden Flamme ausbreitend, die vom Sturm emporgewirbelt wurde.

»Es muß ein Leuchtthurm in der Nähe sein, Sir!« meinte der Schiffer.

»Es ist viel eher ein Leuchtfeuer oder Signal auf der Küste,« entgegnete der Capitain, »das uns zeigt, wie nahe wir derselben sind. Das große Seegel, Hunter, es ist die einzige Aussicht, uns abzuarbeiten. An die Geitauen und Bauchgardingen, Jungen – steigt auf die großen Schooten! – laßt die Stockgardingen los, Bursche! – Eingeholt! es gilt Euer Leben!«

Das große Seegel bauschte im Sturm.

»Brandung am Wetterbug!« Der Ruf erschütterte wie ein electrischer Strom die Menge.

»Halfen Sie das Schiff, Master Price,« sagte der Capitain zu dem Schiffer, »ich hoffe, wir haben noch Raum dazu.« – Seine Kaltblütigkeit verließ ihn in dieser furchtbaren Gefahr keinen Augenblick.

Der Schiffer befahl den Leuten am Steuer den Versuch, während der erste Lieutenant die Richtung des großen Seegels dirigirte. Trotz der Havarie am Steuer gelang es, die Fregatte abfallen zu lassen, und sie ging weiter vor, als sie plötzlich einen erschütternden Ruck erhielt – sie war auf einen Felsen unter dem Wasser gestoßen.

Ein durchdringendes gellendes Geschrei erscholl durch das ganze Schiff und dann drängten Mannschaft und Passageire nach hinten, [163] gleich als wollten sie bei dem Capitain und den Offizieren Schutz suchen. Eine anstürmende riesige Welle faßte die Fregatte am Spiegel und man fühlte, wie sie wieder in's Wasser gehoben wurde.

»Sie ist flott, Sir!«

Durch das Gewühl stürzte der Zimmermann nach hinten. Sein Gesicht war bleich, Todesschreck in dem Auge des bewährten Seemannes. »Das Schiff ist leck, Sir, es füllt sich rasch mit Wasser – wir können kaum noch zehn Minuten es flott erhalten!«

Die furchtbaren Worte waren trotz des Sturmes fast von Allen gehört worden und ihre Wirkung zeigte sich augenblicklich in dem Aufhören jeder Ordnung und Disciplin.

Das Geschrei: »Das Schiff geht unter!« übertönte das Brüllen des Orkans. Während Jeder seinen bisherigen Haltpunkt verließ und verzweifelnd umher rannte, rissen die überschlagenden Wellen Leben auf Leben hinunter in den dunklen Abgrund.

Eine feste Männerhand faßte den Arm des Capitains in diesem furchtbaren Augenblick. Umblickend sah er in das bleiche, aber entschlossene Gesicht des französischen Colonels. »Dort ist ein zweites Feuer, Herr,« sagte der Offizier. »Vielleicht kann es uns nützen!«

»Sie haben Recht, Sir – es ist noch eine Hoffnung, wenigstens für Sie! Eilen Sie Alle in's Vorderschiff und suchen Sie sich dort so gut als möglich festzuhalten – verlassen Sie es um keinen Preis, denn Boote sind in diesem Wogendrang unnütz. – Fort, fort, Alle, die nicht hier ihren Posten haben!« – Er ergriff das Sprachrohr. »Ruhe auf dem Deck! Jeder Mann auf seinen Posten! Fort da aus den Booten!«

Eine Anzahl Matrosen hatte sich der Boote zu bemächtigen gesucht und war beschäftigt, sie zu lösen. Der kalte Muth des Capitains brachte sie zum Gehorsam und sie verließen die Boote bis auf einen langen Schottländer, der ruhig fortfuhr, die Krabber los zu machen.

»Heraus aus dem Boot!«

»Gott verdamm' mich, wenn ich's thu'! Jetzt ist Jeder hier Herr!«

Die Worte wurden von dem Capitain nicht gehört, aber die Geberden bezeichneten zur Genüge ihren trotzigen Sinn. Sie waren kaum ausgesprochen, als Warburne stumm und energisch dem ersten Lieutenant, der in der Nähe des Bootes stand, mit dem [164] Finger nach dem Ungehorsamen deutete. Eine Handspeiche wirbelte durch die Luft und fiel mit schwerem Schlag auf den Schädel des Mannes. Der Unglückliche taumelte, griff nach den Tauen und fiel rücklings in's Meer.

Die kaum einen Augenblick währende Scene erregte keine Theilnahme, außer daß sie die Zaudernden desto schneller zum Gehorsam brachte. »Männer,« sagte der Capitain und seine Stimme schien das Brausen der Brandung zu beherrschen, »zwanzig Jahre kommandire ich dies Schiff, und so lange eine Planke davon übrig, werde ich Gehorsam zu erzwingen wissen. Alle Mann nach vorn, wer nicht auf dem Hinterkastell Posten hat. Legt Kutter und Langboot mit Tauen am Stumpf des Fockmastes fest und dann – Gott schütze Euch, Leute!«

Alle drängten sich nach vorn bis auf die Männer, die diesseits des Besaumasts ihren Posten hatten. Der erste Lieutenant stand neben dem Capitain. »Darf ich Sie fragen, Capitain Warburne, was Sie mit dem Schiff beabsichtigen?«

»Sehr gern. Sehen Sie dort die Oeffnung in dem Felsenwall des Ufers, in der das Feuer brennt?«

»Ja, Sir!«

»Es muß eine Bucht sein und das Feuer ist von mitleidigen Feinden angezündet, um uns den Weg zu zeigen. Ich will versuchen, das Schiff dort hinein zu führen oder wenigstens in dieser Richtung auf die Felsen auflaufen zu lassen.«

»Es wird in diesem Fall dem Wogendrang nicht zu widerstehen vermögen, Sir!«

»Ich weiß es, aber ich hoffe wenigstens das Vorderschiff festzukeilen und deshalb habe ich Alles nach vorn beordert.«

»Ich sehe, Sir, daß es der einzige Ausweg ist. Erlauben Sie mir also, hier meinen Posten einzunehmen, Ihre Befehle sollen erfüllt werden.«

Der Capitain machte ein abwehrendes Zeichen. – »Nein, Hunter, so war es nicht gemeint. Dieser Ehrenposten steht dem Kommandirenden zu. Eilen Sie in das Vorderschiff und sorgen Sie, daß Alles vorbereitet ist; vielleicht wird ein oder das andere Boot erhalten.«

»Aber, Sir – –«

»Ordre im Dienst, Herr! – Leben Sie wohl, Hunter, und Gott segne Sie Alle! – Was wollen Sie hier, Frank?«

[165] Der Midshipman, der seinen Bruder in's Vorderschiff geleitet, war zurückgekehrt und stand in seiner Nähe. »Was wollen Sie hier?«

»Bei Adams bleiben und Ihnen, Capitain Warburne!«

»Nichts da – der Deckmeister ist bereits dort, wo sein Capitain bald sein wird. Nehmen Sie den Knaben mit fort, Hunter.«

Es wagte Keiner mehr, zu widersprechen, seine Gestalt, der Ausdruck seines Gesichts hatten etwas Feierliches. Der erste Lieutenant zog den Midshipman mit sich fort, den ein Blick auf den alten Adams belehrte, daß der Capitain Recht hatte.

Warburne beobachtete, auf der Bank an der Wetterseite stehend und den rechten Arm fest um das nächste Tau gepreßt, die dunklen Massen des Ufers vor ihnen. Seine kräftige Gestalt trotzte dort der vollen Wuth des Sturmes, der sein ergrautes Haar und seine Kleider peitschte.

»Quartiermeister – herum mit dem Steuer, so gut es geht! Bringt die Fregatte voll vor den Wind!«

Die Männer am Steuer, an den Wanten, an den Zugleinen des großen Seegels, das, bis zum Aeußersten gespannt, das Schiff fast mit der Geschwindigkeit der Wellen vorwärts riß, standen wie eherne Statuen auf ihren Posten.

»Halten Sie grad' aus auf das Feuer, Master Price!«

»Ja, ja, Sir!«

Die Worte waren kaum heraus, als die Fregatte, statt in jene Bucht unterhalb des Schlosses Aju-Dagh einzufahren, bereits mitten in der rückschäumenden Brandung auf die Felsenreihe stieß, welche den Eingang der Bucht umgab und ihn für jeden Unkundigen unmöglich machte.

Der Stoß warf fast Alle im Vorder- und Hinterschiff zu Boden und wiederum erhob sich ein furchtbares Geschrei zum Nachthimmel, von den Flügeln des Sturmes nach dem nahen Lande getragen. Die beiden noch stehenden Masten, der große und der Besanmast, aus ihren Fugen gerissen, wankten zwei Mal hin und her und stürzten dann krachend über Bord, eine Anzahl Menschen mit fort reißend. Zugleich überfluthete eine riesige Welle gleich einer Lawine und hob das Schiff noch tiefer zwischen die Felsen.

Es folgte ein zweiter, ein dritter Anprall der wüthenden Wellen und der letzte entschied das Schicksal des Schiffes. Die Fregatte brach mitten durch und während das Vordertheil zwischen Felsen festgeklemmt und gewissermaßen gesichert war, riß die schwarze [166] Woge das Quaterdeck und Hintertheil zurück. Einen Augenblick sah man es auf dem Gipfel der schäumenden Wellen schweben und dann verschlang es die dunkle Tiefe.

Der letzte Jammerruf der Ertrinkenden, der Heldenmuth, mit dem der Capitain und die Halboffiziere am Steuer, bis zum letzten Augenblick ihrer Pflicht getreu, den Opfertod erlitten, – das Alles bedeckte die Nacht und das Brüllen der Brandung. Auch von den Vielen, die nach dem Befehl des Capitains auf dem Vordercastell Schutz und Sicherheit gesucht, hatte mindestens die Hälfte das Verderben erreicht und von den mehr als vierhundert Menschen, welche am Morgen noch das Schiff getragen, waren jetzt kaum hundert noch am Leben, und jede Minute, jede Welle riß ein neues Opfer aus der Reihe.

Die beiden französischen Offiziere, Doctor Welland und der Baronet, die Lady und das schwarze Geschwisterpaar befanden sich unter den bis jetzt erhaltenen Passagieren; von den Offizieren des Schiffes waren außer dem ersten Lieutenant und dem Hochbootsmann noch drei Midshipmen auf dem Wrack, jene drei, denen unsere erste Scene am Bord des Niger begegnet ist.

Sobald das erste Entsetzen über den Untergang ihrer Kameraden vorüber war, suchte Master Hunter ihre Lage zu überschauen. Die Stellung des Vordercastells gewährte einigen Schutz gegen den Andrang der Wogen und jenseits der Felsen in der Bucht zeigte sich verhältnißmäßig ruhiges Wasser. Sie waren ungefähr 80 bis 100 Faden vom Lande entfernt und konnten deutlich um das dort brennende Feuer Gestalten von Menschen sich bewegen sehen. –

Jetzt zeigte sich, wie glücklich und zweckmäßig der Befehl Capitain Warburne's gewesen war, die Böte durch lange Taue an dem Stumpf des Fockmastes zu befestigen. Die Lantsche war zwar bei dem Anprall und dem Bruch des Schiffes fortgerissen und auf einem Felsen zerschmettert worden, zu seiner Freude aber erblickte der Lieutenant den zweiten Kutter an seinem Tau glücklich innerhalb der Bucht schwimmen. Dieselbe Woge, die das andere Boot vernichtet, hatte das leichtere glücklich über die Felsen hinweggeschleudert.

Frank saß bei seinem Bruder und unterstützte diesen; die anderen Passagiere, dicht zusammengedrängt, hielten sich an die Taue, die mehrere der Matrosen an den Kovein-Nägeln und anderen Theilen [167] des Vordercastells festgebunden, nur dem Arzt war es nicht gelungen, eine genügend ihn sichernde Stelle zu erreichen, er saß auf dem äußern Ende eines der abgebrochenen Balken und hielt sich dort mit Mühe fest. Ihm zunächst kauerte Gosset, der Midshipman, unter dem Bollwerk gesichert und überdies an einer langen Bugleine sich festhaltend. Der selbstsüchtige Character des Menschen zeigt sich nie schroffer, als gerade in Augenblicken gemeinsamer Gefahr, wenn die Bande der Ordnung gelöst sind und Jeder nur an sich selbst denkt. Der Schiffbrüchige, der mit einer Spanne Platz, mit einem Ausstrecken seines Armes seinen Kameraden retten könnte, weigert sich, das geringste Opfer zu bringen, weil es ihn selbst vielleicht gefährden könnte!

Jede neue anstürmende Welle drohte den Arzt von seinem Balken hinwegzuschwemmen und nur mit der Kraft der Verzweiflung, die für das Leben ringt, klammerte er sich noch an. Seine Geberden, sein Ruf baten den Midshipman, ihm zu helfen, was dieser leicht von seinem sichern Standpunkt durch Zuwerfung des Taues hätte thun können. Aber der junge Taugenichts dachte an Alles eher, als das Geringste von seinen Vortheilen aufzuopfern, zumal er den Arzt für einen Franzosen hielt.

Lieutenant Hunter hatte eben den auf dem Wrack befindlichen Matrosen durch Zeichen und Worte den Befehl ertheilt, vorsichtig das Tau einzuholen, an welchem das Boot trieb, als eine Welle, stärker als die andern, den Bord überspülte und im Zurückprallen den Arzt mit in die Tiefe riß. Ein durchdringender gellender Schrei erschütterte die Herzen, dann sahen die Erstaunten eine helle in weiße Gewänder gehüllte Gestalt auf den Planken entlang fliegen, dem Midshipman die Leine entreißen und sich in die Brandung stürzen. Zugleich sprangen der Mohr und Frank Maubridge nach der Stelle, wo der Deutsche verschwunden war, und Gosset, von Beiden zur Seite gestoßen, erhielt für sein Schelten einen derben Fußtritt. Ueber das Bollwerk gebeugt, schauten der Mohr und der Knabe mit Angst in die schäumende Fluth. Ein Freudenruf erhob sich aus Beider Brust, als ein weißes Gewand emportauchte, eine Gestalt, die in ihren Armen festumschlossen eine zweite hielt, und der junge Seeoffizier Griff um Griff die Leine einholte, die sie aus der Nacht des Todes zum Leben zurückführte, während Jussuf, der Mohr, sich weit über das Bollwerk lehnte, die [168] Schwester und ihren frühern Gebieter vor dem zerschmetternden Anprall zu bewahren.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es mochten zwei Stunden seit der Abreise des Fürsten verflossen sein, als Sergei Popotoff, der Kastellan im neuen Schloß, erschien, um Namens seiner Gebieterin die französische Dame einzuladen, den Abend bei ihr zuzubringen, wenn sie das Unwetter nicht scheue, um den Weg zu wagen. Es lag dem Obersten zu viel daran, jede Chance der Annäherung an die Fürstin festzuhalten, als daß er Celesten nicht sofort hätte senden sollen. Die Frauen saßen in dem Erkergemach am Kamin, während der tobende Sturm die kolossalen Grundmauern des Schlosses zu erschüttern schien, und die Französin fühlte sich bald beruhigt und erging sich in dem lebhaften Geplauder ihrer Nation, da auch nicht die leiseste Anspielung der jungen Fürstin darauf deutete, daß ihr ihre früheren Verhältnisse bekannt seien.

»Mein Bruder,« sagte Iwanowna auf eine Bemerkung der Französin, »ist der Strapazen der Witterung gewöhnt und die hohen Felsenwände des Ufers brechen die Wuth des Orkans, so daß der an ihrem Fuß hin führende Landweg nach Alushta verhältnißmäßig sicher ist. Nur wen der Sturm auf dem Meere getroffen, schwebt in großer Gefahr, denn diese See, so lieblich und ruhig im Sonnenschein, ist furchtbar und tückisch in ihrer Empörung, und wir werden sicher nach dem Sturme von vielen Unglücksfällen hören.«

»Es war am Nachmittag ein Schiff zu sehen am Rande des Horizonts.«

»Ich sah es gleichfalls, als ich meinen Bruder geleitete, doch scheint es glücklich davon geseegelt und das freie Meer gewonnen zu haben. Diese Küste wäre sein Verderben.«

»Graf Wassilkowitsch zweifelt daran, er meinte, daß es dem Ufer näher gekommen und glaubte, noch vor einer halben Stunde seine Signallaterne auf der See erkannt zu haben.«

»Mein Gott, dann müßten die Unglücklichen in der höchsten Gefahr schweben und bedürften eines Zeichens, sie vor der Annäherung an diese Felsen zu warnen.« – Sie schlug an eine Glocke und sandte die eintretende Dienerin, den Kastellan zu holen.

»Ich möchte wissen, welcher Nation das Schiff gehört – [169] man hat die Flagge in der weiten Entfernung nicht erkannt,« meinte die Französin ängstlich.

»Vielleicht Ihrer eigenen, Madame; doch das ist gleichgültig, es sind Menschen in Lebensgefahr. – Hat man,« wandte sie sich zu dem eingetretenen Kastellan, – »von dem Schiff, das sich gegen Abend auf dem Meere zeigte, seitdem Etwas wahrgenommen?«

»Der Sturm treibt es auf die Küste zu, Durchlaucht, man kann von der Höhe aus deutlich seine Lichter sehen.«

»Ist das Feuer auf der Plattform des Thurmes angezündet, das bei solchem Unwetter die Schiffe vor den Klippen warnen soll?«

»Nein, Durchlaucht.«

»Und warum nicht?«

»Der Graf drüben befahl es zu unterlassen. Er meint, es könne nur ein feindliches Schiff sein und unsere Pflicht fordere es, seinen Untergang zu befördern.«

»Das wären die Grundsätze tscherkessischer Strandräuber,« sagte die Fürstin zornig, »nicht civilisirter Nationen. Hinauf auf den Thurm, ehe fünf Minuten vergehen, muß das Signalfeuer brennen. Die Heiligen geben, daß es nicht zu spät sei.«

Sie trat aufgeregt an das hohe Bogenfenster, das nach dem Meer schaute, und Celeste folgte ihr ängstlich. Mit einem scharfen Opernglase durchforschten sie durch die halb geöffneten Jalousieen die wilderregte dunkle Fläche, nachdem sie das hindernde Licht im Gemach entfernt hatten.

»Dort sehe ich Lichter – eins, zwei – sie schwanken auf den Wellen,« rief die Französin, »jetzt sind sie verschwunden, doch jetzt, – dort wieder –«

Die Fürstin nahm ihr das Glas ans der Hand und sah scharf hinaus. – »Ich glaube das Schiff zu erkennen, wie ein schwarzes Gespenst malt es sich auf dem Kamm der Wogen gegen den Horizont.«

»Das Feuer auf dem Thurm brennt, sie können jetzt die Küste erkennen und sich retten.«

»Das steht allein in Gottes Hand. Hat der Sturm sie schon zu nahe getrieben, so kann nur Er helfen.«

»Dort unten zündet man ein zweites Feuer an – man ist auf die Rettung der Unglücklichen bedacht!«

Die Fürstin riß die Glasthür auf und stürzte auf den Altan, [170] der sich vor dem Fenster öffnete. Der Sturmwind fegte in das Gemach und schmetterte klirrend die Scheiben aus ihren Rahmen. – »Das ist teuflisch – das heißt die Unglücklichen unrettbar in's Verderben locken!« – Sie eilte zurück und ihr Ruf nach den Dienern scholl durch den Corridor – doch Niemand war zu sehen, – die Zimmerflucht der Fürstin ein verbotener Theil, dem nur Wenige zu nahen wagten.

Erst das wiederholte Rufen führte Sergei Popotoff herbei. – – »Hinunter zur Bucht,« herrschte ihm die Fürstin zu. »Man soll das Feuer dort unten augenblicklich löschen! Die Bösewichter wissen allzuwohl, daß die Einfahrt in die Bucht unmöglich ist!«

Der Alte eilte davon. Mit Angst und Entsetzen beobachteten unterdeß die beiden Frauen den Horizont der Brandung, an dem man jetzt den Rumpf des großen Schiffes sich häufig deutlich emporheben sehen konnte, denn der Nachthimmel hatte, obgleich von dunklen Sturmwolken umzogen, doch der Stellung des Mondes halber eine gewisse Durchsichtigkeit angenommen, die ihn von den schwarzen Gewässern sonderte, und von Zeit zu Zeit zeigten sich breite hellere Streiflichter in dem Gewölk.

»Es hat die Richtung hierher, die Unglücklichen glauben in den Schutz einer Bucht einzulaufen. Sie sind unrettbar verloren!«

»Durchlaucht,« sagte keuchend der in vollem Lauf zurückkehrende Kastellan, »man weigert mir den Gehorsam dort unten. Das Schiff sei ein feindliches und müsse in die Felsen gelockt werden. Der alte Mann, der mit dem Fürsten kam, hat den Rath gegeben und Oberst Wassilkowitsch den Dienern gesagt, daß ihm von dem Fürsten-Statthalter der Befehl an dieser Küste vertraut sei.«

Einen Augenblick stand das junge Mädchen unentschlossen, die Hand an die Schläfe gepreßt, dann richtete sie sich mit kräftigem Entschluß empor. Mit zwei Schritten war sie an der Tapetenthür und hatte den Schlüssel derselben umgedreht und abgezogen; dann warf sie einen kurzen Pelz um die Schultern und barg das Lockenhaupt in ein gleiches Capuchon. – »Ich muß hinunter, Madame, an's Meer,« sagte sie erregt und hastig »um Unglück oder Verbrechen zu hindern, so viel in meiner Macht steht. Haben Sie Muth, so thun Sie wie ich und folgen Sie mir. Sergei, sende alle unsere Leute an die Bucht mit Seilen und Stangen!« – Sie verließ eilig das Gemach; Celeste, in dem Kampf zwischen der Furcht, allein zu bleiben und der, sich dem Unwetter auszusetzen, [171] wurde bald von jener allen Frauen eigenen Lust am Abenteuerlichen bewogen und eilte, in ihren Mantel gehüllt, der Fürstin nach. –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Unterhalb der Terrassen, wo die Bucht zwischen breiten Felsenwänden am Fuß der Schloßberge sich öffnete, brannte ein mächtiges Feuer. Wilde, erregte Gestalten standen umher, die Blicke nach dem gescheiterten Schiffe gekehrt, das draußen zwischen den Felsenriffen hing.

Auf einen halbverbrannten Ast gestützt, schaute mit satanischer Freude der greise Tabuntschik hinaus in die Nacht. – »Paßt auf, Erlaucht, – ich wette meinen Kopf, daß ich Recht hatte, es sind Engländer, welche dir Heiligen in unsere Hand geben, auf daß wir ein Opfer bringen dem gesegneten Rußland!«

»Sie haben ein Boot gesichert,« entgegnete der Oberst, das Glas vor die Augen geklemmt, »sie machen den Versuch, zu landen!«

»Mögen sie verflucht sein in alle Ewigkeit! Es wäre ihnen besser, sie lägen bereits auf dem Grunde des Meeres. – Paßt auf, Männer! So wie sie das Ufer berühren, über sie her und zurück mit ihnen in die Wellen!«

Der wilde Haufe der Leibeigenen und Diener begrüßte voll grimmigen Hasses mit Jubelgeschrei den unmenschlichen Befehl.

Das Wasser in der Bucht, durch die Felsenkämme von dem sturmfluthenden Meere getrennt, war verhältnißmäßig ruhig, wenigstens gefahrlos, wenn auch die Wellen hoch an der Uferbank emporschäumten. Die Schiffbrüchigen hatten das Boot glücklich an sich gezogen, ein kleiner Leck im Boden war rasch gestopft und auf des Lieutenants Befehl unternahm der Midshipman Maubridge mit der englischen Dame, den beiden Franzosen, dem Arzt, dem Baronet und sechs Matrosen die erste Ueberfahrt.

Die Hoffnung der Rettung stählte die Arme der Männer und ihre kräftigen Ruderschläge führten das Boot glücklich an's Ufer, obschon trotz des Zurufs keine Hand sich regte, ihnen ein Tau zuzuwerfen. Kaum aber hatte der Kutter angelegt und die Schiffbrüchigen sprangen an's Land, als mit wildem Geheul die Rotte auf sie zustürmte, Waffen und Pfähle in der Hand, sie zu Boden zu schlagen.

»Morbleu! Kamerad,« fluchte Capitain Depuis, »die Bestien sind ärger, als der Sturm draußen auf dem Meere. Es gilt um [172] unser Leben zu fechten!« – Mit einem Bootshaken wehrte er tapfer die Andringenden ab.

Der Colonel sah in dem Obersten einen Mann von Stande, ohne ihn in den ersten Augenblicken, von dem Spritzwasser und dem Feuer geblendet, zu erkennen. – »Mein Herr,« rief er mit lauter Stimme in französischer Sprache, »wir sind Schiffbrüchige und ergeben uns als Gefangene. Schützen Sie uns vor diesem Gesindel.«

Der Ton der Stimme weckte das Echo des Hasses in der Brust des russischen Offiziers, der sich bisher wenigstens fern von dem feigen meuchlerischen Angriff gehalten hatte. Mit einem Sprunge war er in der Nähe des Ufers. – »Vicomte de Méricourt?«

»Graf Wassilkowitsch –?«

Ein gellendes Hohnlachen des Russen gab die Antwort. – »Zurück mit den französischen Spitzbuben in's Wasser! Keinen Pardon für die Feinde des heiligen Rußland's!« – Und er selbst, den Säbel hochgeschwungen, führte die wilde Schaar gegen die Unglücklichen, die sich zu wehren suchten, so gut es ging.

Auf Depuis stürzte der alte Tabuntschik ein. Der brave Capitain so vielen Gefahren des Feldzugs an der Donau glücklich entronnen, von der Seuche genesen und aus dem Toben des Meeres gerettet, schwang muthig den Bootshaken zur Vertheidigung, als ihn die schwere, noch Funken glimmende Keule des Roßhirten mit gewaltigem Schlage traf und in die Kniee schmetterte. – »Méricourt, zu Hilfe – man mordet mich!«

Der Colonel ließ die britische Dame von seinem Arm und war im Sprunge neben dem blutenden, betäubten Freund. Er führte keine Waffe, mit der Kraft seiner Arme allein warf er sich den Blutdürstigen entgegen.

»Zu Boden mit ihm, Michael! Tod dem Franzosen!« – Es bedurfte des anregenden Zurufs des russischen Obersten nicht, der Tabuntschik schwang seine riesige Keule wild um das Haupt zum Todesstreich.

Da fuhr es dazwischen wie ein Sonnenstrahl – wie ein Engelsbild aus Himmelshöhen zwischen den blutigen grausamen Mord: Iwanowna, die Fürstin, die Kapuze zurückgeworfen, die Hand drohend erhoben, das flammende Auge zürnend auf die Mörder gerichtet. »Zurück mit Euch! – wage Keiner, sie anzurühren, so lieb ihm sein Leben ist! sie stehen inmeinem Schutz!«

[173] Der Tabuntschik starrte sie erstaunt an. »Was haben Frauen zu thun bei dem Männerwerk? – Sie müssen sterben zur Sühne für das heilige Rußland!«

»Sie werden nicht sterben, grausamer alter Mann! Rußland führt mit feindlichen Soldaten, nicht mit Schiffbrüchigen Krieg! – Zurück da, Ihr Sclaven – ich lasse Den zu Tode peitschen, der noch eine Hand zu erheben wagt! – Graf Wassilkowitsch, schämen Sie sich dieser That gegen Hilflose!«

»Ich begreife,« sagte der Oberst, durch die alle seine Pläne durchkreuzende unglückliche Begegnung zum Vergessen aller Vorsicht aufgereizt, »daß die Fürstin Oczakoff ihre Bewunderer von Paris nicht als Feinde betrachten will. Indeß muß ich ihrer Menschenfreundlichkeit Einhalt thun; ich führe seit heute Morgen das Kommando an der Küste und bin verantwortlich –«

Die Fürstin, die bisher die Schiffbrüchigen nicht näher beachtet hatte, sondern blos auf ihre Rettung bedacht gewesen war, schaute sich bei den boshaften Worten des Obersten fragend nach ihnen um und ihr Blick begegnete dem feurigen festen Auge Méricourt's, der seit ihrem unerwarteten Erscheinen sich mit dem blutenden Freunde beschäftigt hatte.

»Vicomte de Méricourt – Sie hier?!«

Er beugte sich auf die Hand, die sie ihm unwillkürlich reichte. »Es ist eine traurige Begegnung, Fürstin. Lassen Sie mich, um früherer glücklicherer Erinnerungen willen, meine Schicksalsgenossen und jene Unglücklichen, die noch dort auf den Klippen um ihr Leben ringen, Ihrem Herzen empfehlen. Helfen Sie, so lange noch menschliche Hilfe möglich ist! Wenn Sie hier gebieten, sind wir Ihre Gefangenen!«

»Ich kann in Ihnen nur Schiffbrüchige sehen, nicht Feinde, Herr Vicomte. Und wäre dies, so hätte ich für meinen Bruder den Tag von Inkermann zu lösen. Verfügen Sie über meine Diener.«

Sie befahl mit strengem Ton dem herbeigekommenen Schloßvogt und jedem der Anwesenden, Hand anzulegen zur Rettung der Gefährdeten. Während eine Tragbahre geholt wurde, um den schwer verwundeten Genie-Capitain zu transportiren, hatte der Midshipman Frank und seine Matrosen das Boot zurückgeführt und mit einem langen Seil das Wrack mit dem Ufer verbunden. Es war, als ob der Orkan mit dem Untergang des Schiffs den [174] Gipfel seines Tobens erreicht gehabt, denn von Minute zu Minute ließ jetzt seine Gewalt nach und vor der Wuth der Wogen schützte die Reihe der Klippen. Vier Fahrten des Kutters hatten jetzt alle noch am Bord Lebenden an's Ufer gebracht: – siebenundfünfzig Menschen, die von der Bemannung und der Passagierzahl übrig geblieben waren; mehr als Dreihundert hatten ihr Grab in den Wellen gefunden.

Lieutenant Hunter war der Letzte, der das Wrack verließ. Jetzt standen sie, in Gruppen zusammengedrängt, durchnäßt, frierend und trostlos, an jenem Feuer, das ihr Verderben, wenn nicht herbeigeführt, doch beschleunigt hatte, und harrten der Entscheidung ihres Schicksals.

Schweigend und mit gewaltsam zurückgedrängtem Zorn hatte Graf Wassilkowitsch die Anstalten des jungen Mädchens und die Landung der Schiffbrüchigen beobachtet. Die Furcht vor der Herrin hatte all' die Diener und Leibeigenen, die seine Befehle und Anreizungen gegen die Feinde aufgestachelt, von ihm abfallen gemacht bis auf den Tabuntschik, welcher in finsterer Haltung, auf seine Keule gestützt neben ihm stand. Erbitterung, die geweckte Grausamkeit und der Haß gegen seinen persönlichen Feind kämpften in seinem Innern mit der Besorgniß, seinen Wünschen und Absichten bei der Fürstin durch ein schroffes Entgegentreten zu schaden. Dennoch siegte die Eifersucht und er beschloß, seiner neuen Stellug Gehorsam zu verschaffen. Mit diesem Entschluß nahte er sich der Dame, als diese eben den Befehl ertheilt hatte, die Geretteten hinauf nach dem alten Schloß zu führen.

»Ich bedaure,« sagte der Oberst ernst, »meine Gegenwart in diesem Augenblick der Fürstin Oczakoff aufdringen zu müssen, doch weiß sie selbst, daß ich nicht eher Gelegenheit hatte, meine Ehrfurcht zu bezeigen. Darf ich fragen, was ihre Absichten in Betreff dieser Gefangenen sind?«

Die Fürstin sah ihn ruhig und kalt an. »Diese Leute, Herr Graf,« entgegnete sie, »sind für mich unglückliche Schiffbrüchige, nicht Gefangene, bis der General-Gouverneur, an den ich sofort Nachricht senden werde, über sie entschieden hat. Diese Herren aber hier« – sie wies nach den Offizieren – »werden vorläufig meine Gäste sein, wie Sie, Herr Graf.«

Der Oberst konnte ein höhnisches Lächeln nicht unterdrücken. »Ich bedaure,« sagte er, »diesen Edelmuth nicht theilen zu können. [175] Diese Herren gehören zu den Feinden des Landes, sind auf einem Kriegsschiff an unserer Küste in Gefangenschaft gerathen und ich will sie sofort als Gefangene behandelt wissen.«

»Mit welchem Recht maßen Sie sich an, auf meinem Eigenthum so zu handeln?«

»Mit dem Recht, das mir die Ordre des Generall-Gouverneurs als Kommandant dieser Küstenstrecke giebt. Ihr Bruder selbst, Fürstin, überbrachte heute Morgen diese Ordre und Ihr Schloß steht unter meinem Schutz und meinem Befehl.«

Die Fürstin schaute ihm trotzig in das tückisch blickende Auge. Die Blutfarbe ihres Gesichts färbte sich mit höherem Roth, die schön geformte Oberlippe schwellte sich im Gefühl zornigen Widerstandes. »Sie irren, Graf Wassilkowitsch; noch bin ich die Herrin!«

»Zwingen Sie mich nicht,« sagte der Oberst erbittert. »Ihren Dienern diesen Befehl, der im Namen des Kaisers lautet, zu zeigen. Sie werden nicht wagen, ihm als Rebellin zu trotzen.« Er hielt ihr die Ordre entgegen.

»Ich werde es!« entgegnete sie stolz und gebieterisch. »Diese Ordre ertheilt Ihnen ausdrücklich, wie ich von meinem Bruder weiß, den Befehl in unserem Eigenthum von dem Augenblick an, wo die Truppen zur Besetzung eintreffen, – nicht eher. Bis dahin, Oberst Wassilkowitsch, erinnern Sie sich, daß Sie allein die Eigenschaft eines Gastes meines Bruders für mich haben, und wagen Sie nicht, diese zu mißbrauchen!«

»Ich würdige ganz das Unwillkommene derselben,« sagte der Russe höhnisch, diesmal in französischer Sprache, um von den fremden Zeugen dieser Scene verstanden zu werden, »um so mehr, als ich Personen hier sehe, welche der Fürstin Oczakoff willkommener zu sein scheinen, obschon sie die Feinde ihres Landes sind. Ich werde meine Maßregeln danach nehmen.«

Der französische Colonel trat einen Schritt vor gegen den Grafen, doch die Hand Iwanowna's hielt ihn mit einer Bewegung zurück. Ihr schönes Gesicht flammte in edlem Stolz, ihr großes, volles Auge schien Feuer zu sprühen. – »Das Haus meiner Väter schützt den Gast, selbst wenn er nicht besser als ein Strandräuber und Meuchelmörder wäre,« sagte sie fest. »Hüten Sie sich, Graf Wassilkowitsch, daß ich diesen Männern nicht sage, wer dieses Feuer angezündet und auf bübische Weise Hunderte von ihnen in's Verderben [176] gelockt hat! – Ich bitte um Ihren Arm, Herr Vicomte, meine Diener werden für Ihren Freund sorgen!«

Sie wandte sich mit einer unnachahmlichen Geberde verachtenden Stolzes von dem Grafen ab zu den Fremden und reichte dem Vicomte die Hand.

Der Oberst sah sie knirschend die Terrassen emporsteigen. Sein dämonischer Blick voll Haß und Groll verfolgte sie, bis sie im Eingang verschwanden, dann – während Sergei, der Kastellan, die Geretteten von den Dienern des Schlosses hinauf führen ließ und vier derselben die Trage mit dem Verwundeten so sorgsam als möglich aufnahmen, – stieg er selbst auf der andern Seite hinan, nur von Michael, dem Tabuntschik, und der Pariserin begleitet.

An dem Feuer, das die Fregatte in die Bucht gelockt, das so vielen Tapferen das Leben gekostet, blieben nur einige in Hütten zerstreut umher wohnende Eingeborene zurück, um das entfernte Wrack mit gierigen Blicken zu überwachen, und zu erwarten, was der finstere Wellengott bei seiner Zertrümmerung an die Küste führen würde.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Sturm hatte ausgetobt, nur die Trümmer, welche rings die Brandung an's Ufer geworfen, und ein Theil des noch immer zwischen den Felsen festgeklemmten Vorderkastells der einst so stattlichen Fregatte zeigte von den Verheerungen, die er angerichtet. An der ganzen Küste entlang hatte er mit gleicher Heftigkeit gewüthet, so daß die ältesten Leute sich nicht eines ähnlichen erinnern konnten. Die Ufer der Krimm waren mit den Trümmern zu Grunde gegangener feindlicher Schiffe bedeckt. Bei Eupatoria waren zwei Linienschiffe, darunter der »Heinrich IV.«, zwei Dampfer und dreizehn kleinere Schiffe gestrandet; bei Sebastopol vierzehn und außerdem mehrere bei Balaclawa und an den Felsenküsten der Ostseite. Aehnlich war die Verheerung im Lager der Alliirten; die Zelte waren umgestürzt, die Hütten zerstört worden, eine allgemeine Verwirrung und Betäubung herrschte und die französische Armee dachte bereits an jene Schrecken der Natur, die vor zweiundvierzig Jahren so furchtbar für Rußland aufgetreten waren.

Der Sturm hatte sich zwar in der Nacht gänzlich gelegt, aber ein unfreundliches Wetter war eingetreten und der Winter hatte begonnen. Es schneite und regnete fortwährend. Im Schlosse [177] Aju waren die Schiffbrüchigen, so gut es ging, untergebracht und Alles war zu ihrer Verpflegung und Unterstützung gethan, wie die Herrin befohlen. Im Uebrigen aber zeigten die Diener und Eingeborenen eher mürrischen Groll über den Zwang, dem sie sich beugen mußten, als Theilnahme, und mancher Blick des Nationalhasses ward getauscht, als die Erschöpften erst sich wieder zu fühlen begannen.

Die britischen Matrosen und Soldaten, die von der Fregatte gerettet worden, standen während des Tages in einzelnen Gruppen in den Hallen und dem Hofe des Schlosses umher, betrachteten mit Mißmuth die hohen Mauern und die aufgezogene Zugbrücke und besprachen mit einander ihr Schicksal. Es war offenbar, daß, wenn sie irgend das Land gekannt und gewußt hätten, wohin sie sich wenden sollten, sie den Versuch gemacht haben würden, das Lager der Alliirten zu erreichen. Dasselbe Thema wurde mehrfach in dem großen Gemach abgehandelt, in dem die Offiziere ihren Platz und reichliche Brwirthung gefunden hatten. Bei aller Güte, welche die schöne Herrin des Schlosses für sie bewies, konnten sie sich doch nicht verhehlen, daß sie so gut wie Gefangene waren, und die Nachricht, daß vielleicht schon am andern, jedenfalls zweitfolgenden Tage ein russisches Detaschement erwartet wurde, machte dies Loos gewiß. Das Schicksal der Besatzung des Tiger bei der Strandung am Ufer von Odessa war unzweifelhaft auch das ihre, und wahrscheinlich ein härteres und mit größeren Unannehmlichkeiten verbunden, da seitdem durch die Belagerung Sebastopols die Erbitterung unter den Russen bedeutend gestiegen war.

Auch die Fürstin empfand das Schwierige ihrer Lage. Sie hatte am Morgen einen der Kosacken mit der Anzeige des Strandens der Fregatte in das Hauptquartier nach Baktschiserai geschickt, doch wußte sie, daß die Truppen von Kaffa und Symferopol, welche dem Obersten untergeordnet worden, eher eintreffen mußten, als die Bestimmung des General-Gouverneurs, und daß Graf Wossilkowitsch dann das Recht und die Mittel in Händen hatte, seinen Absichten Gehorsam zu erzwingen. Der Verkehr zwischen dem alten und neuen Schloß schien während des Tages ganz abgebrochen, doch hatte sie theils selbst bemerkt, theils war ihr von Sergei und der tatarischen Zofe berichtet worden, daß drüben große Thätigkeit zu herrschen schien. Boten hatten zu Pferde das Thor der Villa verlassen und die Richtung nach Yalta [178] und Alushta eingeschlagen. Eine neue Gefahr drohte von anderer Seite. Der Schiffbruch hatte, sobald sich die Nachricht verbreitete, eine Menge Bewohner der Gegend herbeigezogen, Fischer, Tataren, Leibeigene anderer Grundherren und eine der zahlreichen Zigeunerhorden, wie sie umherziehend einen Theil der Bevölkerung der Krimm bilden. Wohl an zweihundert wilde, ihrer Botmäßigkeit, die sich auf das kleine Gebiet des Schlosses erstreckte, nicht unterthane Männer lagerten, der Witterung trotzend, am Meeresstrand und theilten sich in die Beute, die theils das Meer an's Ufer geworfen, theils sie selbst aus dem Wrack plündernd geholt hatten. In Allen lebte offenbar Haß gegen die geretteten Feinde, durch die grausame Plünderungen, welche kurz vorher englische Schiffe an der unbeschützten Küste verübt hatten, zur grimmen blutdürstigen Erbitterung gesteigert. Der alte Tabuntschik ging wiederholt unter ihnen umher, und schien die Leute zu einem unbekannten Unternehmen anzuspornen und zu bereden, wie die häufig nach dem Schloß gerichteten Geberden bewiesen. Die Fürstin hatte daher strengen Befehl gegeben, alle Ausgänge des Schlosses sorgfältig zu schließen, und die gefährdeten nach der Terrasse hin zu verrammeln, so daß kein Ueberfall zu besorgen war. Am Vormittag hatte sie die Vornehmeren der Geretteten und die englische Dame empfangen, der sie Kleider und Wäsche gesandt und jede Höflichkeit erzeigt hatte, die ihr Geschlecht forderte. Seitdem hatte die Fürstin vermieden, mit den männlichen Gästen zusammenzutreffen – sie fürchtete, ihn wieder zu sehen. Die Lady war bei ihr geblieben.

Es war am Nachmittag, als der Colonel in einem kleinen gewölbten Gemach am Lager seines verwundeten Kameraden saß, an dem er den Arzt abgelöst. Doctor Welland hatte die Nacht und den Vormittag bei dem Patienten zugebracht, der im wilden Fieberwahnsinn ras'te, bald sich noch von den Wellen umbraust, bald sich im Getümmel der Schlacht wähnend. Die Lebenskraft, der frische Muth, die den Gefahren und dem Elend des Donau-Feldzugs, dem Tode in den Laufgräben vor Sebastopol und den Schrecken der Cholera getrotzt hatten und glücklich entgangen waren, die ihn eben noch gerettet aus dem Toben des Orkans – sie lagen gebrochen jetzt von dem hinterlistigen Schlag eines Greises, und in wildem Gehirnfieber verzehrte sich Leben und Geist.

Doctor Welland hatte alle mögliche Hilfe seiner Kunst aufgeboten, [179] dem Manne, der ihn vor wenigen Monaten noch vor dem Tode des Verbrechers gerettet, jetzt selbst das Leben zu erhalten, und darüber noch nicht ein Mal Zeit gefunden, an die wunderbare neue Bewahrung des seinen zu denken und die beiden Schwarzen aufzusuchen, denen er sie verdankte. Er wußte, es war Jussuf, der On-Baschi, der den Colonel begleitete, und er mochte vielleicht ahnen, wer die schwarze Verhüllte war, die sich ihm in das tobende Meer nachgestürzt, obschon er ihre Gegenwart auf dem Schiffe erst nach dem Ausbruch des Sturmes bemerkt hatte. Seit sie auf dem Schlosse waren, schien sie auf's Neue verschwunden oder ihn wenigsten sorgfältig zu meiden, und mannigfache widerstrebende Gefühle hinderten ihn, den On-Baschi nach seiner Begleiterin zu fragen.

Jetzt hatte der Arzt erschöpft sich einige Ruhe gegönnt, nachdem es ihm gelungen war, die wilde Aufregung des Fieberkranken zu besänftigen, der jetzt in apathischem Schlaf lag. Méricourt hatte bereits zwei Stunden an seiner Seite gesessen, fast eben so bewegungslos als der Kranke selbst – seine Gedanken waren bei dem unerwarteten Wiederfinden der Geliebten, seine Träume bei ihr, so nah' und doch so fern, kaum durch Schritte getrennt, und doch durch Völkergeschicke geschieden.

Er dachte an sie! – Wenn des erprobten Mannes geharnischte Seele die Liebe erfüllt, geschieht es mit ihrer ganzen urewigen Gewalt, mit jener unermeßlichen geheimen Kraft des Lebens, die eine Bürgschaft ist für das ewige auf den Sternen.

Blut, Ehrgeiz, Menschenhaß – selbst die Phantome mit jenen edlen Namen der Ehre, des Ruhms und des Vaterlandes – bauten Wälle zwischen ihren Herzen; – Wälle und Mauern aber sind menschliche Erfindungen und scheiden nur Körper, nicht Seelen! Er wußte, daß sie ihn liebte – was thut es, ob sein Arm sie umschlingt? – Herzen lassen nicht von Herzen!

Ein leises Geräusch erweckte ihn aus seinen Träumen. Als er die Thür öffnete, stand das tatarische Mädchen vor ihm, das ausschließlich die Fürstin bediente. Ihre zitternde Hand hielt ein Billet, dessen Adresse sie ihm wies.

Die Adresse lautete an ihn.

Er riß es auf – es enthielt nur wenige Worte, Iwanowna unterzeichnet: »Folgen Sie der Ueberbringerin – ich muß Sie sprechen!« – Er sah auf den schlafenden Freund. Dann winkte [180] er der Tatarin, der er sich durch die Sprache nicht verständlich machen konnte, zu harren und ging, Jussuf zu holen, den er auch glücklich in der Nähe traf und zu dem Kranken sandte. Ein zweiter Wink an das Mädchen, daß er bereit sei, und sie ging voran bis zu jenem Erkerzimmer, dem Aufenthalt ihrer Gebieterin. Sie hob die Portiere und ließ ihn eintreten.

Er fand sich getäuscht in seinem Hoffen, die Fürstin war nicht allein, die englische Dame, seine Reisegefährtin auf der gestrandeten Fregatte, bei ihr.

Iwanowna Oczakoff stand in der Mitte des Gemachs, ihre gewöhnliche und ruhige Haltung war einer Erregung von Außen gewichen, verschiedenartige Gefühle schienen in ihr zu kämpfen, während sie stumm und mit niedergeschlagenen Blicken die ehrerbietige Begrüßung des Offiziers erwiederte; indeß die fremde Dame mit dem gemessenen zurückhaltenden Wesen, das den vornehmen Engländerinnen eigen ist, Beide beobachtete. Hätte der Vicomte Zeit oder Lust gehabt, dieselbe näher zu betrachten, so würde er gefunden haben, daß auch auf ihrem Gesicht sich Unruhe und Besorgniß häufig zeigten.

»Ich würde es nicht gewagt haben, die Zurückgezogenheit unserer großmüthigen Retterin zu stören,« sagte der Vicomte, nachdem er auf den Wink der Dame Platz auf einem Fauteuil genommen hatte, »so sehr ich auch wünschte, ihr besonders meinen Dank abzustatten, – Ihre Erlaubniß muß mich daher entschuldigen.«

Die Fürstin machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. »Wir haben keine Zeit zu Einleitungen, noch zu Formen der Höflichkeit, Herr Vicomte,« sagte sie. »Der Krieg unserer Monarchen kann uns wenigstens die früheren freundlichen persönlichen Erinnerungen nicht vergessen machen; Iwanowna grüßt Sie wie damals, als sie Ihnen an jenem unglücklichen Tage ihre Hand zum Dank für das Opfer reichte, das Sie ihrer Schwesterliche gebracht. Iwanowna Oczakoff, mein Herr, trägt das Gedächtniß an jene Stunde noch unverändert in ihrem Herzen.«

»Fürstin –« er beugte sich verwirrt, betäubt von dem süßen Geständniß über die Hand, die sie ihm reichte und bedeckte diese mit Küssen.

»Still, mein Freund – jene Dame dort darf wohl hören, daß die Tochter der wilden Steppen des Ostens offen und frei die Liebe zu dem Edlen und Würdigen gesteht, aber sie muß auch [181] sehen, daß die Russin die Pflicht für ihr Vaterland kennt und für den Feind desselben nur die Erinnerung des Herzens hat. Diese allein gehört uns – für das Uebrige hat das Schicksal, dem wir uns beugen müssen, Meere von Blut und Unglück zwischen uns gedrängt.«

Er senkte das blitzende Auge und ließ langsam und traurig die schöne Hand los, die ihn willkommen geheißen.

»Sie haben den Grafen Wassilkowitsch erkannt, gestern bei jener furchtbaren Scene?«

Er bejahte.

»Er haßt Sie – noch bitterer, wie damals, als er das unselige Mißverständniß zwischen Ihnen und meinem Bruder hervorrief. Vieles ist mir deutlich geworden erst seit Kurzem. Sie wissen,« – eine dunkle Röthe überzog ihr schönes Gesicht – »warum er Sie haßt, und Sie wurden jetzt, wie mein Bruder mir erzählt, noch sein Sieger bei Silistria, was eine Bitterkeit vermehrt.«

»Ich kümmere mich wenig darum, Fürstin!«

»Fürchten Sie Alles von ihm. Leider reicht wahrscheinlich schon morgen meine Macht nicht mehr hin, Sie zu schützen. Er ist zum Befehlshaber an dieser Küste ernannt und jeden Augenbild können die kommandirten Abtheilungen unserer Truppen eintreffen.«

»Dann müssen wir ausführen, was wir beschlossen haben. Ihre Großmuth, Fürstin, hat es verweigert, uns als Kriegsgefangene anzusehen. Wir sind demnach durch Nichts gebunden. Wir sind sechsundfünfzig rüstige Männer und wollen versuchen, zu Lande Balaclawa zu erreichen.«

»Es ist unmöglich – lesen Sie! Deshalb eben ließ ich Sie holen, denn die Lady hier hatte mir gleichfalls Ihre Absichten mitgetheilt.« Sie reichte ihm das Blatt, das ihre Hand bei seinem Eintritt gehalten. »Es ist von einer Landsmännin, einer französischen Dame, geschrieben,« sagte sie mit einer leichten Verlegenheit, »die, so viel ich weiß, einen Verwandten des Obersten geheirathet und nach jenes Tode oder Verbannung von Bukarest ihn hierher begleitet hat.«

Der Offizier las; das flüchtig mit Bleistift geschriebene Billet lautete:


»Meine Fürstin!


Ihre Freundlichkeit durch eine Warnung zu vergelten, ist mir Pflicht. Auch bin ich Französin und kann unmöglich meine Landsleute mit kaltem Blute morden sehen. Finstere Pläne gegen die [182] Schiffbrüchigen sind im Werk – ich weiß nur so viel, daß Boten abgegangen, um die Ueberkunft der Truppen zu beschleunigen. Das Landvolk der Gegend, voll Erbitterung gegen die Alliirten, ist aufgeboten und ein Haufe Gesindel, mehr als Zweihundert, bewacht die Wege vom Schloß, um Ihre Schützlinge zu verhindern, zu dem französischen Streifcorps zu gelangen, das kaum drei Stunden von hier im Gebirge diesen Morgen sich gezeigt hat. Aber ich fürchte, man hat Schlimmeres noch mit den Unglücklichen vor, als sie gefangen zu nehmen; der Graf hat ihr Verderben geschworen. Ich hoffe, einen der Diener zu bestechen, daß er diese Zeilen Ihnen bringt und flehe, vollenden Sie das begonnene Werk der Rettung.

C.«


Einige Augenblicke sann er stillschweigend nach, dann sagte er aufblickend:

»Es bleibt uns demnach nur übrig, den gefaßten Plan festzuhalten und uns durchzuschlagen, wenn wir Waffen bekommen können. Vielleicht finden sich deren genug hier im Schloß?«

»Es wird an ihnen nicht fehlen, wenn es die Vertheidigung meiner Gäste gilt,« erwiederte die Fürstin streng, »nie aber werde ich Ihnen Waffen geben, um Russen, meine Landsleute, anzugreifen.«

Er schwieg.

»Hören Sie mich an, mein Freund. Der Haß des Oberst Wassilkowitsch richtet sich vorzüglich gegen Sie. Sind Sie entfernt und gerettet, so werden Ihre Kameraden Nichts zu fürchten haben und man wird sie in ehrenvoller Gefangenschaft halten, wie die Mannschaft, die in Odessa in unsere Hände fiel. Sie müssen fliehen, Vicomte, Sie allein.«

»Das ist unmöglich!«

»Ich habe die Mittel in Händen, Sie unentdeckt aus diesem Schlosse zu bringen. Pferde harren zwei Werst von hier in einem Versteck am Ufer der See; ein sicherer, mir ergebener Mann ist dabei und kann Sie geleiten. Verkleidet werden Sie leicht durch das Land und bis zu einem Posten der Ihren kommen, während eine größere Zahl entdeckt und angegriffen werden würde. Sie werden diese Flucht noch diese Nacht antreten und morgen gerettet sein.«

Er schüttelte den Kopf. – »Ich danke Ihnen, Iwanowna, aber ich wiederhole Ihnen, es ist unmöglich. Ich darf meine Kameraden im Unglück nicht feig verlassen, um mich selbst zu retten, [183] und Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, Graf Wassilkowitsch würde an ihnen nicht mein Entkommen desto grausamer rächen. Ich theile unter allen Umständen ihr Schicksal.«

Die Fürstin wußte ihm Nichts zu erwiedern, denn sie fühlte die Richtigkeit seiner Bemerkung und kannte die Grausamkeit des Volkes, wo seine Leidenschaft geweckt und kein stärkerer Wille da war, der sie zügelte. Sie preßte unruhig die Hände an die pochenden Schläfe. »Aber ich kann, ich darf Sie nicht der Gefahr, dem sichern Verderben überlassen.«

»Vielleicht könnte man sich in diesem Schloß halten, bis unsere Truppen, die so nahe sein sollen, uns entsetzen,« sagte Mistreß Duberly die mit Aufmerksamkeit bisher dem Gespräch zugehört hatte, ohne sich einzumischen.

»Sie haben Recht, Mylady – dies wäre der einzige Weg. Wir müssen auf Hilfe von Außen bauen. Wenn die französischen Streifcorps nur drei Stunden von hier entfernt sind, so können sie benachrichtigt werden.«

»Aber ich darf unmöglich Feinde gegen meine Landsleute zu Hilfe rufen!«

»Ich verbürge mich mit meiner Ehre, Fürstin, daß – wer auch die französischen Truppen kommandirt, – keine Waffe wider unsere Gegner erhoben werden soll, wenn man uns nicht zur Nothwehr zwingt. Es handelt sich blos um eine Diversion bis in die Nähe dieses Schlosses, unter deren Schutz wir frei abziehen können. Graf Wassilkowitsch hat noch keine Truppen hier und das Gesindel, das mordlustig uns belagert, wird bei dem Erscheinen französischer Soldaten von selbst das Feld räumen.«

Die Fürstin sann einige Augenblicke nach. »Sie könnten sich verbürgen, daß kein Angriff von Seiten Ihrer Truppen erfolgt, und daß kein feindlicher Versuch gegen uns bei dieser Gelegenheit gemacht wird? Man hat bereits früher mehrere unbeschützte Orte der Küste geplündert und Gefangene weggeführt.«

»Das thaten die Engländer, Fürstin. Unsere Rettung beim Schiffbruch ist Ihr Werk und jeder Franzose wird diese That der Menschenfreundlichkeit ehren und die Waffen nicht gegen unsere Retterin kehren. Aber was geschehen soll, müßte rasch geschehen, um jedes Zusammentreffen mit russischen Truppen zu vermeiden.«

»Wer soll versuchen, Ihre Freunde herbeizuholen – Sie selbst Vicomte?«

[184] Der Colonel lächelte über die neue Bemühung, ihn zu entfernen. »Meine Ehre gebietet mir, zu bleiben. Aber freilich müßte es Jemand sein, der französisch spricht, und außer dem Arzt, der Depuis nicht verlassen kann, wüßte ich Keinen unter meinen Unglücksgefährten –«

»Vergessen Sie mich? – ich bin bereit zu dem Abenteuer.«

»Sie, Mylady?«

»Warum nicht? Wenn die Fürstin mich mit den nothwendigen Erfordernissen versehen kann, – ich bin eine ziemlich gute Reiterin, wie ich Ihnen beim nächsten Wettrennen im Lager zu beweisen hoffe, und außerdem gelingt es vielleicht einer Frau, desto eher durchzukommen.«

»Das ist wahr – aber dies Wetter – es dunkelt bereits.«

»Ah bah! ich bin die Frau eines Soldaten, und war auf Strapazen und Gefahren aller Art gefaßt, als ich hierher kam. Wie könnte ich mir besser die Erlaubniß des Lords zum Bleiben erkaufen, als mit diesem Abenteuer? Hätte ich nur Bob, mein Lieblingspferd, bei mir 2, alle Ihre Kosacken sollten mich nicht einholen.«

Die Fürstin hatte sich entschlossen. »Was Sie thun wollen, Mylady, ist allerdings nicht ohne Gefahr, indeß der Mann, dem ich Sie übergeben würde, treu und zuverlässig«

»Wann soll ich aufbrechen?«

»Je eher – je besser – sogleich! die Dämmerung begünstigt uns jetzt.«

»Ich bin bereit – aber –« sie wies auf die Kleider, die sie von der Fürstin erhalten.

»Sie finden Alles hier – selbst das nöthige Reitzeug. Wollen Sie uns auf eine Viertelstunde verlassen, mein Freund? Sie finden in dem vordern Zimmer Schreibzeug, wenn Sie einige Worte für die Lady nöthig halten.«

Der Vicomte entfernte sich.

Als er nach kurzer Zeit wieder herein gerufen wurde, fand er die englische Dame in einem passenden Reitrock und einen Regenmantel mit Kapuze verhüllt. Ein eleganter Damensattel log in ihrer Nähe.

[185] Außer den beiden Damen war noch eine dritte zugegen, ganz gleich gekleidet mit der Fürstin, das Haupt in einen türkischen Yaschmal verhüllt.

»Haben Sie Mylady noch einen Auftrag zu geben, Vicomte?«

»Hier sind einige Zeilen, die ich Sie dem kommandirenden Offizier zu übergeben bitte. Sie enthalten die Verpflichtung meines Ehrenworts, das jeder Kamerad achten wird. Wie es auch kommen möge, Mylady, es macht mich glücklich und erleichtert unser Mißgeschick, daß Sie wenigstens Gelegenheit finden, ihm zu entrinnen.«

»Du weißt Alles, was Du zu thun hast. In einer Stunde werden wir zurück sein – Du öffnest unter keinen Umständen, ehe wir wieder hier sind. – Und jetzt, Vicomte, nehmen Sie diesen Platschtsch hier und das Reitzeug, – ich bin im Begriff, Sie in die Maschinerie meines Zauberschlosses blicken zu lassen.« – Sie hüllte sich selbst in einen kurzen Pelz und zog das Capuchon über das Lockenhaupt, dann zündete sie ein Windlicht an und trat an den Spiegel der Seitenwand. – »Merken Sie auf und folgen Sie mir unbesorgt.«

Die geheime Thür öffnete sich unter ihrem Druck.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die britischen Offiziere halten am Abend vergeblich nach dem französischen Colonel gefragt – er blieb verschwunden, und als Jussuf, der Mohr, der noch immer die Krankenwache bei dem Verwundeten hielt, berichtete, daß eine Dienerin des Schlosses ihn geholt, sorgte man nicht weiter um ihn. Der Einzige, der ihm näher stand, der deutsche Arzt, lag noch immer im tiefen Schlaf, die erschöpfte Natur hatte ihre Rechte gefordert. –

Es war zehn Uhr; in der großen Halle im Seitengebäude des alten Genueser Thurmes standen auf einer langen Tafel die Ueberreste der Abendmahlzeit, für welche der Kastellan im strengen Auftrage seiner Herrin gesorgt. Flaschen mit dem feurigen griechischen Wein oder dem mildern Rebensaft der taurischen Küste und der Donau, Rum und Branntwein bedeckten den Tisch, und die Gruppen der Männer, schwatzend, lachend, lärmend, das kaum überstandene Elend bereits vergessen, oder schon in tiefem Schlaf an den Wänden umher liegend, zeigten, daß sie dem Getränk wacker zugesprochen.

Am obern Ende der Tafel saßen Hunter, der Hochbootsmann, [186] die beiden Midshipmen und der Baronet, im ernsten Gespräch begriffen.

»Es ist schlimm, Sir,« sagte der Letztere, »daß Sie den Leuten gestattet haben, des Guten wahrscheinlich zu viel zu thun. Es werden ihrer nur Wenige fähig sein, die nöthige Wache zu halten, und ich traue dem Gesindel um uns her wenig.«

»Lassen Sie gut sein, Sir Edward,« meinte der erste Lieutenant; »nach den überstandenen Leiden durfte ich nicht so streng sein mit den Männern. Sie können eine Stärkung brauchen, denn ich fürchte, wenn wir morgen unseren Weg antreten, werden wir all' unseren Muth und unsere Kräfte von nöthen haben, um uns einen Angriff abzuwehren.«

»Ich wünschte,« brummte der Hochbootsmann, »wir wären heute Morgen aufgebrochen – wir haben zu viel Zeit verloren.«

»Sie wissen, Keane, daß es unmöglich war; wir waren zu erschöpft und unfähig zu einem Entschluß.«

»Ist es möglich gewesen, einige Waffen zusammenzubringen?«

»Den Teufel auch! – einige Beile und ein alter Spieß – weiter Nichts! ich habe schon alle Tischmesser in Beschlag genommen. Der Kerl von Schloßverwalter oder was er vorstellt, versteht mich nicht oder will mich nicht verstehen.«

»Lady Duberly,« sagte Hunter, »hat es übernommen, der Fürstin unseren Entschluß mitzutheilen und sie um Waffen zu bitten; aber sie scheint sich dort so wohl zu befinden, wie der Franzose, daß Beide das Wiederkommen vergessen haben.«

»Wir wollen nach ihnen schicken,« sagte der Hochbootsmann.

»Ich habe es bereits gethan, aber die vier Kosacken, die an der Treppe Wache halten, weigern sich, Jemand hinauf zu lassen, und der Kastellan erklärt in den paar Worten Französisch, die wir Beide verstehen, daß die Fürstin verboten, sie zu stören.«

»Wenn es sich blos darum handelt, uns zu bewaffnen,« sagte der Midshipman Gosset, dessen Ansprüche die Erinnerung an die überstandenen Gefahren nicht wenig vermehrt hatten; »ich weiß deren genug zu finden!«

»Wo, Bursche? hast Du spionirt?«

»In dem Gewölbe über dem Thor sind alte Waffen genug, es scheint eine alte Rüstkammer aus wer weiß welcher Zeit. Ich sah's heute Morgen durch das Schlüsselloch und auch Gewehre darin, als ich in den Gängen umherstrich.«

[187] »Ei, so nehmen wir sie mit Gewalt morgen, wenn man sie uns verweigert,« sagte heftig der Baronet, dessen Lebensgeister die Spannung ihrer gefährlichen Lage auf's Neue geweckt zu haben schien. »Auch was an Pferden sich vorfindet.«

»Aber das wäre Raub und eine schlechte Vergeltung für die uns gewordene Aufnahme,« meinte edelmüthig Frank. »Der französische Colonel versprach ausdrücklich heute Morgen der Fürstin, daß wir uns ihrem Willen unterwerfen würden!«

»Gott verdamm' mich, Master Frank, wenn ich's thue,« murrte Keane. »Was geht uns des Franzosen Versprechen an? Es ist ein Unglück, daß wir die Kerle bei uns gehabt.«

»Capitain Warburne würde anders über sein Wort denken,« sagte der Midshipman trotzig.

Die Erinnerung an den braven Capitain, der so muthig für ihre Rettung in den Tod gegangen, berührte Alle tief und einige Augenblicke wagte Niemand, dem Einwurf des Midshipman zu begegnen. Dann aber sagte Hunter entschlossen: »Wir Alle haben gehört, wie die Herrin dieses Schlosses uns erklärt hat, daß sie uns vorläufig nicht als Gefangene betrachten könne und die Bestimmung darüber dem russischen Oberbefehlshaber überlassen wolle. Niemand kann es uns verdenken, wenn wir einen Versuch machen, der Gefangenschaft zu entgehen, und wir können dabei nicht allzu krittlich sein. Weigert man uns Waffen, so müssen wir nehmen, was wir bekommen können. Morgen machen wir den Versuch, und bis dahin mag Jeder sich Ruhe gönnen. Ich gesteh', ich brauche sie selbst. Sind die Männer, die wir zur Vorsorge am Thor postirt, an ihren Stellen?«

»Die Zugbrücke ist aufgezogen, an jedem Eingang Einer von unsern Leuten,« berichtete Frank. »Ich überzeugte mich, eh' ich hierher kam.«

»Wer von Ihnen Beiden wird die erste Wache halten? Clinton oder Sie? denn ich und Gosset thaten es in voriger Nacht.«

»Ich denke,« meinte der Hochbootsmann, »Master Frank übernimmt die erste Nachtwache und weckt mich dann.«

»Gut, so sei es! Und jetzt legt Euch nieder, Männer, und Sie, Frank, halten Sie die Leute auf den Posten wach. Kommen Sie, Sir Edward.«

Während der Lieutenant, nachdem so alle ihm möglichen Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, sich nach einem anstoßenden Gemach [188] begab, wo das Lager für ihn aufgeschlagen, blieb Gosset noch einige Augenblicke bei seinem Kameraden. »Ich hoffe, Frank, Du wirst kein Narr sein und Schiffsdienst thun,« sagte er leichtherzig. »Ich habe die ganze Morgenwache geschlafen, bis Clinton mit einem Fußtritt mich weckte, der grobe Halunke. Es hat nicht die geringste Gefahr und ist eine Bosheit von Hunter, daß wir uns den Schlaf selbst am Lande entziehen sollen. Gute Nacht, Frank!«

»Schlaf wohl, Gosset!«

Sie schüttelten sich die Hände.

An der Thür des Gemachs, das den Offizieren angewiesen war, blieb der Baronet, wie von einer plötzlichen Anregung ergriffen, stehen und kehrte zu sei nem Bruder zurück.

»Höre, Frank,« sagte er, »Du hast nur wenige Stunden geschlafen und bedarfst der Ruhe. Lege Dich nieder, ich werde die Wache für Dich übernehmen.«

Die ziemlich seltene Freundlichkeit und Beachtung des älteren Bruders rührte das Herz des jungen Mannes. »Ich danke Dir, Edward,« sagte er innig, »aber ich würde einen schlechten Offizier abgeben, wenn ich meinen Posten einem Andern anvertrauen wollte. Du selbst bist noch immer leidend und würdest Dich kränker machen. Laß mir die Freude, Deinen Schlaf zu bewachen.«

Der ältere Maubridge faßte mit der Hand nach der kranken Brust, die ein trockener Husten erschütterte. »Ich weiß nicht – warum ich besorgt um Dich bin, nachdem die Gefahr überstanden! Du bist der Letzte unserer Familie – wenn nicht – –« die fixe Idee an Diona, an sein verlorenes Kind erfüllte auf's Neue seine Seele und er starrte düster vor sich hin.

»Lege Dich nieder, Bruder, ich bitte Dich. Ich wollte, Du frügst den französischen Arzt um Rath, der so wacker Dir auf dem Schiffe beigestanden hat.«

Der Baronet machte schaudernd ein Zeichen der Abwehr. »Gute Nacht, Frank!« Er schwankte davon.

Der Jüngere schaute betrübt ihm nach und dann auf die Gefährten, die sich alle, so gut es ging, ringsum in der Halle gelagert. Eine Stunde wohl saß er im Nachsinnen über das Geheimniß, das offenbar seines Bruders Seele belastete und von dem er nur sehr Unvollständiges aus den Andeutungen des alten Deckmeisters wußte, die diesem im Aerger über das Treiben des Baronets und sein neues Verhältniß zu der im Fanar geretteten Odaliske [189] entschlüpft waren. Das Schnarchen seiner Unglücksgefährten ringsum übte einen schläfernden Eindruck auf seine Sinne aus, er versank in einen Zustand zwischen Traum und Wachen, aus dem ihn erst ein kräftiger Entschluß wieder emporschüttelte. Er sah nach der Uhr – es ging bereits auf Mitternacht, und obschon er allein war, färbte doch eine dunkle Schaamröthe sein Gesicht, daß er so lange seine Pflicht versäumt hatte.

Der Knabe machte sich fertig, seine Runde anzutreten, und nachdem er einen Schluck Wein genommen, verließ er die Halle, schloß die Thür und trat in den Hofraum.

Der Regen, der den ganzen Tag über gefallen, hatte aufgehört und zwischen den rasch dahin ziehenden Wolken trat zuweilen sogar der Mond hervor und warf seinen bleichen Glanz über die Gebäude und den Hof. – »Ich fürchte,« murmelte Frank vor sich hin, »die Bursche haben kaum besser gewacht, als ich. Hier ist das Thorgewölbe, wo Sannders postirt war. Der Halunke ist untergekrochen und schläft – wahrhaftig, da liegt er!« Er beugte sich zu dem dunklen Körper, der im Schatten der Mauer zu seinen Füßen lag, und schüttelte ihn, zuerst am Arm, dann an der Brust, – als er plötzlich zurück in den Mondschein sprang und seine Hand emporhielt. Eine noch warme, dunkle Flüssigkeit tropfte davon nieder. – »Barmherziger Gott, Blut! Der Mann ist ermordet – zu Hilfe!«

Er hatte den Ruf kaum ausgestoßen, als er wilde, bärtige Gesichter vor sich auftauchen sah, erhobene Hände, blitzende Beile und Messer – –

»Tschort w twaju duschu! Schlagt ihn zu Boden!«

Ein Hieb über den Kopf warf ihn in die Knie. Im Fallen noch sah er, wie dunkle Haufen von Männern aus einer Thür in der Mauer des großen Thurmes hervorstürzten, die zu den Kellergewölben führte. Ein schmerzhafter Stich, für seine Brust bestimmt, fuhr durch eine Waldung in seine linke Schulter; dann, wie von einer Feder geschnellt, sprang der wackere Knabe wieder empor und schoß durch den Kreis seiner Feinde – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In dem großen Gemach, im neuen Theil von Schloß Aju, in dem Oberst Wassilkowitsch am Tage vorher den Besuch des jungen Schloßherrn empfangen, stand der Graf in einem dichten Kreis wilder Gestalten, deren grimmige, von blutgierigem Haß [190] erregte Mienen und funkelnde Augen sie entschlossen zu jeder furchtbaren That verkündeten. Es waren Fischer, Muschiks, Zigeuner in den verschiedenartigsten Trachten der niedersten Volksklassen, Alle mit Aexten, Spießen und Messern bewaffnet, Einige mit Säbeln und Pistolen, und Drei oder Vier in Jägerkleidung mit Gewehren. Der Graf selbst trug über dem kurzen Pelzrock im Gürtel Pistolen, in der Hand seinen Säbel; sein Gesicht war bleich, aber entschlossen, sein häßliches Auge funkelte Rache und Grausamkeit.

Ein Leibeigener von der Dienerschaft des alten Schlosses stand vor ihm. – »Also der französische Offizier und die englische Dame haben den ganzen Abend bei der Fürstin zugebracht und ihre Gemächer noch nicht verlassen?«

»Ja, Erlaucht! So wahr die Heiligen mich segnen mögen. Ich stand die ganze Zeit auf der Lauer, wie Du mich geheißen, und Boris, mein Kamerad, hat jetzt meine Stelle eingenommen.«

»Wie viel Wachen haben sie ausgestellt?«

»Zwei Mann am Hauptthor, zwei an der Thür nach der Terrasse und einen an der kleinen Pforte zur Brücke. Als ich über die Mauer stieg, lagen sie bereits fast Alle im Schlaf. Im Thurm wachen die vier Kosacken, die der Fürst zurückgelassen.«

»Der Henker hole die Schufte! Ist die Terrasse besetzt, daß sie auf dieser Seite nicht entwischen können?«

»Sei unbesorgt, Graf,« sagte der Tabuntschik. »Seit dem Abend lagert eine hinreichende Zahl dort und auch am Strande sind Wachen genug. Wir können das Werk beginnen.«

»Wohlan! Ihr kennt meinen Willen. Die Wachen werden zunächst unschädlich gemacht und dann Alle gefangen genommen. Nur wer sich widersetzt, wird niedergestoßen.«

Der Tabuntschik lächelte mit blutdürstigem Spott zu dem Befehl des Obersten. – »Sei zufrieden, Gospodin – wir wissen, was wir zu thun haben!« Sein Auge winkte im Einverständniß den Umstehenden.

»Es ist seltsam, Alter,« fuhr der Graf fort, »daß Du allein von der Verbindung wußtest, in welcher die Kellergewölbe der beiden Felsenseiten stehen. Wie nun, wenn sie von drüben den Durchgang gesperrt oder verschüttet hätten?«

»Es weilt Keiner mehr auf Erden,« sagte der Greis finster, »der von den Oeffnungen dieser unterirdischen Gewölbe weiß. Woher ich die Kenntniß habe, mag Dir gleich sein. Genug, ich habe [191] versprochen, Euch mitten in das Schloß zu führen, trotz ihrer Mauern und Riegel, und ich werde mein Wort halten. Ich habe mich bereits überzeugt, daß der Durchgang frei ist. Mögen die Feinde Rußlands alle verderben, wie diese in unsere Hand gegeben sind!«

»Einen Augenblick noch,« sagte der Graf eilig, »ich muß mich von Einem überzeugen.« Er nahm eine Kerze und ging durch das nächste Zimmer bis zum Schlafgemach der Französin. Er horchte an der Thür, dann öffnete er sie leise und leuchtete hinein: – Celeste lag auf ihrem Lager, sie schlief. Vorsichtig, wie er gekommen, verschloß er wieder die Thür und ging zu den Harrenden. Kaum aber waren seine Schritte verklungen, als die Französin die Decken von sich warf und vollständig angekleidet vom Lager sprang. Ihr Gesicht war sehr bleich und aufgeregt. – »Bald hätte er mich entdeckt,« murmelte sie; »jetzt, Glück und Muth, steht mir bei!« Auf den Zehen schlich sie hinter ihm d'rein, auf's Neue zu lauschen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es wird für die Darstellung des Folgenden nöthig sein, noch eine kurze Erläuterung des Schauplatzes zu gewähren. Der große Thurm aus der Genneser Zeit bildete mit zwei anschließenden kurzen Flügelgebäuden die Front nach der See und den Felsenterrassen. Zwei lange Gebäude stießen im rechten Winkel an beiden Enden an, das linke die Wohnungen der Dienerschaft und der Fremden enthaltend, das zur Rechten nach der Villa hin jetzt zur Aufnahme der Schiffbrüchigen benutzt. Die vordere Seite des viereckigen Hofes schloß eine breite, mittelalterlich krenelirte Mauer, in deren Mitte ein niederer Thurm das Thorgewölbe bildete. Vor dem Thor vermittelte die jetzt in ihren Ketten hängende Zugbrücke den Uebergang über eine Felsspalte. –

Es war dem jungen und kühnen Midshipman gelungen, dem ersten Angriff der nächtlichen Feinde sich zu entreißen; halb betäubt von dem Schlage, hatte er nur ein Bewußtsein, das – wie von ihm die Rettung aller seiner Kameraden abhing, und mit dem durchdringenden Geschrei: »Alle Mann ahoii! Verrath! Verrath!« floh er über den Hof nach der Thür, die zu der Halle führte, in der seine Gefährten schliefen. Zwei Pistolenschüsse knallten hinter ihm d'rein, die eine Kugel schlug in seinen Arm, aber es gelang ihm, bis zum Eingang zu kommen. Doch zu seinem Unglück hatte [192] er die Thür selbst verschlossen, und ehe er mit dem verwundeten Arm sie zu öffnen vermochte, waren die Verfolger bei ihm. Keinen Augenblick war sein Warnungsruf verstummt und schon hörte er Lärm im Innern, als eine Faust ihn von hinten an den Haaren erfaßte und zurückriß. Er sank in die Kniee: »Edward! Bruder Edward! zu Hilfe – zu – –«

»Hundssohn! Zur Hölle mit Dir!« – Die breite Klinge eines Messers durchschnitt seinen Hals, – aus hundert Quellen sprudelte das junge Lebensblut.

Der brave, tapfere, hochherzige Knabe wand sich im Todeskampf, als die Thür aufflog und seine Freunde, mit Allem bewaffnet, was ihnen im Augenblick zur Hand gewesen, herbeidrängten.

»Auf sie! aus sie! Nieder mit allen Feinden des heiligen Rußlands!« heulte die Stimme des Tabuntschiks, indem er über die Leiche des jungen Mannes auf die Gegner sprang. Ein wildes, blutiges Handgemenge verstopfte den Eingang. – – –

Eine Hand faßte den Schlafenden und schüttelte ihn. – »Bei dem weißen Christ, den Du mich kennen gelehrt, erwache, Herr, erwache!« – Der deutsche Arzt fuhr aus dem Schlummer empor – das Geschrei eines wilden Kampfes draußen in den Gängen, auf dem Hof dröhnte in seine Ohren und verwirrte ihn im ersten Augenblick, während er von dem Lager sprang. Dämmerung umgab ihn, die Lampe, die in dem Gemach gebrannt, war verlöscht, eine zitternde Hand hielt seinen Arm, eine zweite dunkle Gestalt sah er undeutlich mit dem Rücken gegen die Thür gelehnt, diese gegen das Toben Anstürmender von Außen halten.

»Was geht vor? was ist geschehen?«

»Still – um des Lebens willen! Folge mir! Die Russen morden Deine Brüder!«

»Barmherziger Gott – Capitain Depuis – –«

»Ihre Wuth hat ihn erschlagen! – Fort, fort – Bruder, er ist das heilige Erbe, das uns Mariam hinterlassen!«

Der Schwarze an der Thür winkte: »Möge Allah Euch helfen! Jussuf sichert Eure Flucht!«

Sie zog ihn mit sich fort. – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die britische Wache an der Pforte, welche zur Verbindungsbrücke mit dem neuen Schlosse führte, war unter dem Mordmesser der Schaar gefallen, die, vom Tabuntschik geleitet, den Ueberfall [193] durch die unterirdischen Felsgewölbe ausgeführt hatte. Durch die geöffnete Thür drang der Rest der wüthenden Schaar unter des Obersten Führung und stürzte nach dem Hauptgebäude des Thurms, während die Diener und Leibeigenen des Schlosses sich theils aus Furcht, theils aus Sympathie für ihre Landsleute in dem Seitengebäude verbergen hielten, das ihnen zur Wohnung angewiesen war.

Am Fuß der großen Treppe, die zu den Gemächern der Fürstin führte, fand der Graf den Gefährten des treulosen Dieners, welcher dessen Spionsdienst fortgesetzt. – »Ist der Franzose fort?« – »Nein, Gospodin, keine Seele hat die Gemächer der Herrin verlassen!« – Der Graf lächelte grimmig mit der Gewißheit des Triumphes: »Dann sind sie mein! Folgt mir und besetzt alle Ausgänge und Verbindungsthüren!« – Er sprang die Treppe hinan und wollte die Gemächer der Fürstin betreten, als vier Lanzen sich ihm und dem mordlustigen Haufen entgegen kreuzten. Die vier jungen Kosacken, Iwan's Enkel, hielten treu an ihrer Wache. »Zurück, Gospodin, hier darf Niemand passiren!« – »Seid Ihr toll? Seht Ihr nicht, wer ich bin? Fort mit Euch!« – »Wir dürfen nicht, Gospodin! Nur die Fürstin darf uns fortschicken!« – »Hundssöhne, so habt, was Ihr wollt!« – Er feuerte die Pistole aus Wanka ab und der junge Mann stürzte zusammen. »Wollt Ihr gehorchen, Tölpel!?« – »Wir dürfen nicht, Herr, es ist unser Posten!« – Der starre russische Gehorsam ließ sie nicht weichen von ihrer Pflicht, ohne daß sie doch den Angriff erwiderten. – »So nehmt, was Ihr verdient! Euer Blut komme über Euch! Nieder mit ihnen!« – Du wilde Haufe stürzte sich über sie und die drei Kosacken fielen auf der Schwelle, die sie mit ihrem Leben vertheidigt. Die Thür war nicht verriegelt, wer auch hätte es gewagt, die Zimmer der Herrin zu betreten und dem Verbot zu trotzen, als die Fluth der Empörung wilder Leidenschaften? – »Bleibt zurück und haltet Wache, daß Niemand entrinne!« befahl der Graf und klopfte an die innere Thür. »Es gilt Ihre eigene Rettung. Fürstin Iwanowna – geben Sie die Gefangenen heraus!« – Keine Antwort erfolgte. – aus dem Hofe herauf tönte allein das Geschrei des wilden Kampfes.

»Ich beschwöre Sie, Fürstin, zu öffnen! Diese Rasenden lassen sich nicht bändigen!« – Wieder keine Antwort. Höhnisch und bedeutsam winkte der Graf seinem Haufen nach der Thür. Im Nu war diese gesprengt, aber selbst die wilde mordlustige Bande wagte nur mit Scheu über die Schwelle zu dringen. Vor einem Betpult kniete die Gestalt der Fürstin, schluchzend, die Hände ringend: – sie war allein.

Der Graf nahte ihr zögernd. – »Ich vermochte diese Schreckliche nicht zu wenden, Fürstin, die Volkswuth ist entflammt durch den Schutz, den Sie den Feinden gewährt. Ich beschwöre Sie, um unserer eigenen Rettung willen, geben Sie die Versteckten heraus und Niemand wird wagen, Sie zu beleidigen. Mein Leben[194] bürgt für Ihre Sicherheit?« – Er beugte sich zu ihr und versuchte sie aufzurichten – plötzlich fuhr er zurück und riß die Knieende dann mit rauher Faust empor. – »Höllischer Betrug – das ist die Fürstin Oczakoff nicht!« – Seine Hand entfernte roh die verhüllenden Schleier – ein bleiches angsterfülltes Gesicht zeigte sich seinen Blicken, nicht die stolzen Züge Iwanowna's.

»Was bedeutet der Betrug? Wo ist die Fürstin? – sprich, Unglückliche!« – Annuschka, die treue Dienerin, in der Fürstin Gewändern, rang die Hände, doch kein Laut des Verraths kam über ihre Lippen! – »Rede, Dirne, oder Du bist des Todes!« – Er schlug sie mit der geballten Faust in das Gesicht, daß das Blut ihr hervordrang und die Unglückliche auf den Boden stürzte. Schaum der Wuth stand dem Offizier vor dem Mund, als er sich so getäuscht sah. – »Sie sind verborgen! Hundert Rubel dem, der ihre Spur findet! Durchsucht jeden Stein des Hauses!«

Ein wilder Hurrahruf unterbrach seine Befehle – das war nicht das Siegesgeschrei der Seinen. – »Old England for ever!« donnerte es durch die Nacht, das Kampfgewühl schien nicht mehr in Hof – über die Körper der treuen Wächter hinweg sprang er die Treppe hinunter: die kleine Schaar der Engländer hatte sich durchgeschlagen und den unbesetzten Ausgang zur Villa erreicht, sie kämpfte an der schwanken Brücke, die schon ein Theil überschritten. Drüben am Felsenrand kommandirte der britische Lieutenant ruhig und fest wie im tobenden Seesturm, und der Andrang der rasenden Barbaren, die als blutige Mordtrophäen die Köpfe des Midshipmans und des Capitains auf ihren Piken trugen, brach sich an dem unerschütterlichen Muth und der Körperhaft der Matrosen. Einer der Letzten der kühnen Vertheidiger war Jussuf, der Mohr.

»Brecht das Gebälk ab, Jungens!« scholl die klare Stimme Hunter's. »Besetzen Sie das Haus, Maubridge. Teufel – da haben die Burschen ein Gebäude bereits in Flammen gesteckt. Nieder mit der Brücke, Keane, es wird uns Zeit schaffen zu unserer Vertheidigung.«

In dem Augenblick, als der Mohr, der Letzte vor der Brücke unter den Hieben der wilden Feinde zusammensank, riß sich aus den Armen des deutschen Arztes im Haufen der Engländer mit gellendem Wehgeschrei die schwarze Sclavin, seine doppelte Retterin, los und stürzte durch die erhobenen Waffen hinüber nach dem jenseitigen Felsen und warf sich auf den Körper des Bruders. Die außergewöhnliche That hielt selbst die erhobene Hand der blutigen Männer zurück, die überdies glaubten, das Weib gehöre zur Dienerschaft des Schlosses, und ihre Aufmerksamkeit wurde zugleich anders gefesselt, denn dicht hinter dem Mädchen stürzte das leichte Gebälk der Verbindung in den Abgrund.

Aus dem Thal aber schmetterten Trompeten, Fanfaren, während der Feuerschein des brennenden Seitengebäudes die Scene ringsum beleuchtete. – »God damn! unsere Arbeit ist umsonst,« [195] rief der Lieutenant »da kommen die russischen Soldaten und wir sind in der Klemme!«

»Halt!« schrie der Baronet. »Um des Himmels willen – das sind französische Signale! ich kenne sie! Ein Hurrah, Ihr Burschen, daß sie uns hören!« Ein donnerndes »Vive l'Empereur!« antwortete dem Hurrahruf der Briten, Waffen blitzten im Feuerschein am Fuß der Felsen, Reiter sprengten den Pfad herauf, französische Husaren – ein Offizier an ihrer Spitze, neben ihm Colonel de Méricourt!

Ein Jubelruf begrüßte die Ansprengenden. – »Das ist brav, Herr, daß Sie uns nicht verlassen, wie wir gefürchtet,« sagte der Schiffslieutenant, dem Vicomte die Hand reichend. – »Wie war es Ihnen möglich, die Hilfe zu finden?«

»Wir haben keinen Augenblick zu verlieren, Herr Kamerad,« sagte der Kommandant der Husaren auf Englisch. »Sammeln Sie schnell Ihre Leute und führen Sie sie den Weg hinunter in den Schutz meiner Escadron. Wir müssen auf der Stelle fort, denn wir haben sichere Nachricht, daß russische Truppen noch vor Tagesanbruch hier sein werden. – Sacristi! was ist das?« – Er sprengte nach dem Hause, aus dem mehrere englische Matrosen eine Dame schleppten, die in kreischenden Tönen um Hilfe rief und in französischer Sprache betheuerte, daß sie keine Russin sei. »Laßt die Frau los, Männer, und macht, daß Ihr fort kommt! Parbleu, täuschen mich meine Augen oder ist dies Madame Celeste?«

»Himmel! Alfred de Sazé! Ich beschwöre Sie, Marquis, nehmen Sie mich unter Ihren Schutz!« – Der Offizier war galant vom Pferde gesprungen und erkundigte sich, wie die ehemalige Geliebte, die seine Verführung zur Lorette gemacht, in das Felsenschloß an der Yaila gerathen, als der Vicomte ihn auf die drohende Gefahr aufmerksam machte, und wie jeder Augenblick Zögerung Alles verderben könnte. – »Eh bien,« sagte der leichtherzige Franzose, »wir wollen den Russen eine doppelte Niederlage beibringen. Wollen Sie Ihren russischen Liebhaber aufgeben, Madame, und mit uns kommen, so verspreche ich Ihnen ein Lagerleben, so gut es sich haben läßt. Es fehlt uns teufelsmäßig an schönen Frauen!« – Celeste reichte ihm die Hand. »Ah bas! Wenn wir uns vertragen wollen – ich bin der vergoldeten Gefangenschaft bei diesen Barbaren herzlich müde!« – Der Offizier gab ihr den Bügel und schwang sie vor sich in den Sattel. – »Wohlan, das nenne ich mir einen glücklichen Streifzug, und nun, Messieurs so rasch als möglich auf und davon, Jeder, so gut er kann!« Der Trompeter blies, der Colonel, Hunter und de Sazé trieben, so rasch es ging, die Leute vor sich her, dem Thor und dem Felsenwege zu, während von drüben her einzelne Schüsse der wüthenden Gegner herüber knallten; – mit Kummer und Schmerz schaute der deutsche Arzt nach dem Felsenplateau des alten Schlosses, wo das Gewühl der Feinde die Gestalt des heldenmüthigen Mädchens [196] ihm verbarg, und schwankte, ob er bleiben oder fliehen sollte, dann trieb der Zuruf des Vicomte und das Gedränge ihn hinab und nur die düstre Flamme allein, die in den Nachthimmel emporloderte, belebte noch, sich rasch verbreitend, die Stätte, während unten im dunklen Thal die Signale schmetterten und die Colonne sich eilig in Marsch setzte, verfolgt von den Flüchen der Russen, die nicht wagen konnten mit dem feindlichen Detachement sich zu messen. – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Am Vormittag, der der Nacht des Ueberfalls folgte, hatte Schloß Aju ein sehr verändertes Aussehen. Eine Ssotnie Kosacken war in der ersten Morgendämmerung eingetroffen und von dem Grafen sofort zum größten Theil zur Verfolgung des feindlichen Streifcorps abgesandt, das so glücklich für die Schiffbrüchigen seinen Zug bis über das Yaila-Gebirge ausgedehnt hatte; bald darauf eine Compagnie russischer Jäger und diese hielt jetzt das Schloß und die Küste besetzt.

Drüben auf dem nachbarlichen Felsenplateau dampften noch die Ruinen der Villa, die der Brand ganz in Asche gelegt. Die Spuren des nächtlichen Kampfes zeigten sich noch auf verschiedenen Stellen, aber die Leichen waren bei Seite geschafft. Aus der Flurhalle im Erdgeschoß des Thurmes schallte ein leiser monotoner Gesang, die Todtenklage der Krieger der Steppe um die vier gefallenen jungen Landsleute, deren Leichen sie hier gefunden und auf dem Steinflur der Halle neben einander gelegt hatten, von Leichtern umstellt.

Auf der untersten Stufe der breiten Steintreppe saß Nursädih, das schwarze Mädchen, das Haupt des schwer verwundeten Bruders in ihrem Schooß und jede Pflege ihm widmend, die sie ihm gewähren konnte. Mit den Stücken ihres zerrissenen Yaschmals hatte sie seine Wunden verbunden, Niemand leistete ihr Hilfe, Niemand kümmerte sich auch um sie, als das tatarische Mädchen, das mitleidig ihr Wasser gebracht.

Der Graf schritt finster und unruhig mit dem Capitain der Jäger im Hofraum auf und ab, diesem seine Dienstanordnungen ertheilend. Er schien mit sich selbst zu grollen über die nächtliche That und vermied so viel, als möglich davon zu sprechen. Das Verschwinden der Fürstin hatte ihn nicht weniger beunruhigt, denn die sorgfältigste Nachforschung in dem ganzen Gebäude hatte keine Spur von ihr gegeben und das Räthsel, wie der französische Offizier entkommen und zu der raschen Hilfe gelangt, blieb ungelöst. Die Flucht der Französin war ihm gleichgültig.

Plötzlich erhoben sich am Thor streitende Stimmen, wie als wollten sie Jemand am Eintritt hindern. Dann kam durch die Pforte ruhig und ernst auf seinem kleinen Steppenpferde Iwan, der greise Jessaul, und blieb erst in der Mitte des Hofes halten, [197] als der blutige Tabuntschik hastig hinzutrat und die Zügel seines Pferdes ergriff.

Die Blicke der beiden Greise, als sie sich kreuzten, waren, finster, doch drückten die des Roßhirten eine gewisse trübe Theilnahme aus, die des Kosacken Zorn und Mißtrauen.

»Kehre um, Iwan,« sagte der Tabuntschik, »und verlaß diese Mauern. Deine Augen sind alt und ich möchte sie nicht getrübt sehen von dem Anblick, der Dich bedroht.«

Der Jessaul lächelte düster. – »Wann ist Iwan, dem Zaporoger, den sie den Teufel nennen, Gutes geworden, wo der Herr der Finsterniß in Deiner Gestalt ihm entgegentrat? – Wo ist Wanka, mein Enkel, und Alexis und die Andern, daß sie ihrem Ataman das Roß halten?«

Seine Augen suchten im Kreise, doch Niemand antwortete ihm. Die Offiziere, die Soldaten und die Leute vom Schloß waren näher getreten und bildeten einen Kreis um den Alten.

»Du bist der Kosack des Fürsten Oczakoff?« fragte der Oberst, während der Greis vom Pferde stieg. »Was bringst Du für Botschaft – wo ist der Fürst?«

Der Alte, statt ihm zu antworten, neigte horchend den Kopf – die Töne des Todtengesanges schallten leise aber deutlich aus der Halle des Thurmes her ihm entgegen. Sein benarbtes, durchfurchtes Gesicht erbleichte bei ihrem Anhören. – »Was ist das? bei den heiligen Märtyrern, das ist die Todtenklage vom Ufer des Don – –«

Er wollte vorwärts, der Graf vertrat ihm den Weg. »Antworte mir zunächst, welche Botschaft bringst Du?«

»Ich will die Fürstin Oczakoff sprechen! Laß mich vorbei, Herr, in meinem alten Haupte brennt es, wie jene Flammen der Steppe, aus denen ich Dich mit meinen Enkeln einst rettete. Jane Klage – –«

»Sie gilt der gerechten Strafe von Rebellen gegen den Befehl des Kaisers,« sagte der Oberst mit der ganzen Gefühllosigkeit der russischen Aristokratie gegen den niedern Mann. »Die Fürstin Oczakoff befindet sich nicht mehr im Schloß, darum – –«

»Iwanowna Oczakoff ist hier,« sagte eine klare, feste Stimme, und zurückprallend erblickte der Graf auf der obersten Stufe des Thurmportals die edle Gestalt der Fürstin, in dunkle Gewänder gehüllt, auf den Arm ihrer gleich gekleideten Dienerin gestützt. Das schöne Gesicht war bleich, um den Mund lag ein Zug tiefen Schmerzes, auf der gewölbten Stirn und in den dunklen Augen aber unbeugsame Entschlossenheit.

Die Fürstin schritt langsam und ernst die Stufen herab, ohne den Obersten eines Blickes zu würdigen, und durch die sich ehrerbietig öffnenden Reihen zu dem greifen Krieger, dessen Hand sie ergriff. – »Vater Iwan,« sagte sie feierlich, »der Allmächtige, der über uns Alle gebietet, hat vier Deiner Enkel nicht im Kampf für [198] das heilige. Rußland, dem Du sie geweiht, aber im Kampf für Treue und Ehre lassen durch die Hand böser Menschen. Der Wille des Herrn, sei gelobt!«

»Amen!« Es klang wie der Ton der Schollen, die auf den Sarg fallen. Der Greis hatte sein Haupt gebeugt und folgte, vor sich hinstarrend, der Hand, die ihn zu den Leichen der Seinen führte. Zu ihren Häupten kniete er nieder und vereinigte seine tiefe Stimme mit der Klage der Steppenkrieger, die die seltsame Todtenfeier bildeten.

Unterm Bogen der Pforte war die Fürstin stehen geblieben und hatte Sergei Popotoff gewinkt. – »Bereite Alles zu meiner Abreise,« befahl sie ruhig und gemessen, »in einer Stunde laß den Wagen bereit sein.«

Der Graf hatte das Gefühl von Scheu und Grauen, das ihn bisher zurückgehalten, trotzig überwunden und näherte sich bei diesen Worten der jungen Herrin. – »Die Fürstin Oczakoff,« sagte er finster, »wird mir als Kommandant dieser Truppen erlauben, eine Escorte zu ihrer Disposition zu stellen und die Frage an sie zu richten – –«

Die Fürstin richtete sich empor, ihr vernichtender Blick streifte mit dem Ausdruck verächtlichen Widerwillens den hochmüthigen Mann. – »Wagen Sie nicht, mich anzureden, Herr,« sagte sie stolz und kalt. »Iwanowna Oczakoff hat Ihnen keine Antwort zu geben. Ich werde in Baktschiserai mein Thun rechtfertigen.« – Sie wandte ihm den Rücken. – – –

Zwei Gründen später verließ ein verschlossener Wagen den steilen Felsweg und schlug die Straße nach dem Innern der Halbinsel ein. Drei bewaffnete Diener folgten ihm.

Ehe die Fürstin das Schloß verlassen, hatte sie Sergei, dem Kastellan, auf's Strengste befohlen, das arme Mohrenmädchen, das ihren verwundeten Bruder nicht verlassen wollte, in seinen Schutz zu nehmen und ein reiches Geldgeschenk an den Wundarzt der Jägercompagnie diesen vermocht, Jussuf alle Sorgfalt seiner Kunst angedeihen zu lassen. Der Graf hatte alsbald nach jener Zurückweisung zornknirschend sein Pferd bestiegen und eine Recognoscirung der Küste angetreten – er wünschte weder der Fürstin, noch ihrem Bruder jetzt zu begegnen.

Als der Wagen den Fuß des Felsenkammes erreichte, fand sich der greise Jessaul zu den Begleitern und küßte schweigend die Hand, die die junge Fürstin ihm reichte. Er kam von dem breiten Grab, das die Kinder der Steppe am Ufer der Bucht gegraben und in das sie seine vier Enkel unter den Gebräuchen ihres Volkes eingesenkt. – Am Abend scharrte man unfern von ihnen in eine weite Grube die verstümmelten Leichen der gemordeten Schiffbrüchigen; jene die von ihrer tapfern Hand bei der Verteidigung gefallen, hatte das Voll mit sich hinweggeschleppt.

Da ruhen sie in unbekanntem Grabe, der heldenmüthige wackere [199] Jüngling, der tapfere verdiente Offizier. Kein Denkstein, wie sie auf den Leichenfeldern vor Sebastopol an Kampf und Glorie mahnen, erinnert an sie. Die rauschenden Wellen flüstern dem britischen Knaben im kühlen, Felsengrabe den Gruß von seinem tapferen Führer auf dem kühlen Grunde des Meeres! – – – – – –

Wenige Worte werden genügen, die verspätete Rückkehr der Fürstin in das Schloß Aju-Dagh zu erklären. Als sie und der französische Offizier von der Begleitung der englischen Dame zu der entfernten Hütte in den Uferfelsen zurückkamen, in der aus Gründen, die wir hier noch nicht zu erwähnen haben, Iwan, der Jessaul, mit zwei Pferden harrte, fanden sie die Grotte, welche den Zugang zu der geheimen Treppe des Thurmes bildete, von Leuten des wilden Haufens eingenommen, den der Graf für seine Zwecke aufgeboten. Vergebens harrten sie in einem nahen Versteck des Abzugs der Männer, aus deren Reden die Fürstin den Anschlag entnahm, welcher die Schiffbrüchigen bedrohte. Es wäre Wahnsinn gewesen, sich der Entdeckung Preis zu geben, und der französische Offizier wurde durch die Sorge für seine schöne Beschützerin nun dennoch gezwungen, in der Stunde der Gefahr, die jene ihm sorgfältig verbarg, sein zu sein von seinen Unglücksgefährten. Im Schutz der Nacht wandte sich, als die Bande am Ufer von ihrem Posten nicht wich, das Paar nach dem Innern, und umging die Felsen, um auf dem gewöhnlichen Wege das Thor des Schlosses oder sonst eine Zufluchtsstätte zu erreichen. Hierbei war es, wo der französische Offizier auf das Streifcorps unter de Gazé stieß, das Mistreß Duberly und der Jessaul so glücklich schon diesseits des Yaila-Gebirges gefunden. Unter dem Schutz des alten Kosacken kehrte die Fürstin zu dessen verborgenen Aufenthalt zurück, während der Colonel mit den Husaren zur Befreiung der Engländer eilte.

Fußnoten

1 Führer einer kleinern Abtheilung Kosacken.

2 Die Dame spricht in ihrem später veröffentlichten Tagebuch: »Journal kept durind de Russian War etc.« sehr viel von ihrem Pferde, aber sehr wenig von ihrem Manne!

D.V.

Während des Winters
1. Wiederum in der Steppe
I. Wiederum in der Steppe.

Es war ein frostheller Nachmittag im Januar, gegen Ende des Monats, als ein Schlitten vor einer Stanzia 1 auf dem Wege nach Perecop hielt, in der nämlichen Gegend, die wir im Sommer in den Gefahren des Steppenbrandes gesehen. Die unermeßliche Eintönigkeit der Steppe war geblieben und schien nur die Farbe geändert zu haben. Das in Myriaden Krystallen glitzernde Eistuch des Schnees spannte sich über die weite Fläche, nur an einzelnen Punkten des Horizonts unterbrochen durch die lichten Schatten einer der aufsteigenden Moginen 2. Im Schlitten, in den dunklen Bärenpelz gehüllt, saß ein junger Offizier in Ulanenuniform, seine Waffen und sein Gepäck füllten den Vordertheil, auf dessen Brett der Führer des Gespanns gesessen.

Der Wirth und Aufseher der Stanzia stand bereits an der Thür, vor der sich auch viele andere Personen versammelt hatten: Knechte, Muschiks und Tataren, darunter einige Kosacken, die hier zu Depeschendienst stationirt waren. Die Leute beeilten sich, mit der Unterthänigkeit des niedern Russen gegen Jeden, der Offiziere-Uniform trägt, herbeizuspringen, die Pferde abzuschirren und dem Reisenden herauszuhelfen.

»Ich wünsche Ihnen Gesundheit, Euer Wohlgeboren,« sagte der Stationsaufseher, die Pelzmütze in der Hand. »Wenn Sie weiter wollen, so muß ich Ihnen gehorsamst melden, daß keine Pferde auf der Station sind. Aber ich hoffe. Euer Gnaden werden die warme Stube nicht verschmähen und einen Napf Blinh und Kascha 3 oder ein Glas warmen Getränkes.«

Dem jungen Offizier schien die Nachricht, daß keine Pferde zu haben seien, höchst gleichgültig, denn er kannte die auf allen Stationen sich wiederholende Ausrede, dagegen die Aussicht auf [201] die warme Stube nicht unangenehm, weil ein eisig scharfer Wind über die Steppe zog und die Kälte fortwährend zunahm. Ohne zu antworten, trat er in die Küche und durch deren erstickenden Rauch in die wohlgewärmte, für den Aufenthalt der Reisenden bestimmte Stube, denn das Stationshaus war auf kaiserliche Kosten erbaut und hatte die vorgeschriebenen Einrichtungen. Er setzte sich auf die Bank am Ofen, zog die Uhr und sagte einfach zu dem ihm gefolgten Aufseher:

»In einer Stunde, Brat 4, lasse die Pferde auspannen. Einstweilen gieb mir, was das Haus vermag.«

»Aber ich versichere Euer Wohlgeboren, es ist ein Huf im Stalle ...«

»Mir gleich. In einer Stunde! Dienst des Kaisers!« Er hielt ihm die offene Ordre entgegen.

Der Postmeister krümmte sich wie ein Wurm. – »Der heilige Michael möge mir beistehen, – wo soll ich die Pferde hernehmen? Der Dienst ist jetzt unaussprechlich schlimm seit dem Kriege. Die letzten sind heute Mittag mit dem Herrn fort, der das Bataillon begleitete.«

Sein flehender Blick traf auf eine sehr unempfindliche Miene; der Offizier hatte seine kleine Kabardiner Pfeife auf's Neue gefüllt und sich bereits auf die Bank gestreckt. – »Was giebt es Neues von Ssewastopol?«

»Die Heiligen mögen es schützen!« entgegnete der Wirth. »Es kam heute Morgen ein Courier hier durch, dem Sie vielleicht begegnet sind. Er ging auf der großen Straße nach Petersburg.«

»Ich komme nicht von dort. Welche Nachrichten?«

»Schlimm genug. Die Arbeiten der Feinde in den Laufgräben haben wieder begonnen und die Feinde viele Verstärkungen erhalten. General Osten-Sacken, der, wie Euer Wohlgeboren wissen werden, jetzt das Kommando in Ssewastopol führt, soll viele nächtliche Ausfälle machen, bei denen sich unsere Truppen mit Ruhm bedecken.«

»Sind die Großfürsten noch in Ssewastopol?«

»Ja, Euer Wohlgeboren. Ich habe gehört, daß Seine Kaiserliche Hoheit, der Großfürst Nikolaus Nikolajewitsch, die Vertheidigung der Nordforts kommandirt. Euer Vohlgeboren werden sich selbst davon in einigen Tagen überzeugen können?«

Der Offizier schüttelte den Kopf. – »Ich gehe nicht nach Ssewastopol.«

Der Aufseher schante ihn erstaunt an – das war in diesen Tagen eine seltene Antwort. – »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Euer Wohlgeboren zu fragen, wohin Ihr Weg führt?«

»Ich will nach dem Kuban und gehe daher nach Kertsch. Hat unsere Armee in der letzten Zeit Verstärkung erhalten?«

[202] »Es kommen täglich Truppen, trotz der strengen Kälte. Das dritte Infanterie-Corps ist seit Weihnacht auf dem Durchmarsch. Fast täglich kommen Abtheilungen vorbei, noch heute Mittag passirte ein Bataillon.«

»Sie werden einen schlimmen Tag haben. Wie weit ist die nächste Stanzia?«

»Acht und zwanzig Werst, Herr! Es ist die Colonie der Frommen 5

»Zum Henker! Ein schlimmer Marsch – es wird nicht viel weniger sein, als 24 Grad.«

Der Wirth zuckte bedenklich die Achseln. – »Wenn es nur das Schlimmste wäre!«

»Wie meinst Du das?«

»Die Tataren, die das Wetter kennen, fürchten einen Sturm, und ein Schneesturm ist ein bös Ding in der Steppe. Die Heiligen mögen uns bewahren!«

Der Offizier, der einen tüchtigen Schluck von dem heißen, stark mit Rum versetzten Thee genommen, der eben herein gebracht worden, sah ihn lächelnd von der Seite an. – »Du meinst wegen der Pferde? es hilft Dir Nichts, Brüderchen, ich bleibe doch nicht.«

»Die Heiligen sollen mich vergessen, wenn ich Euer Wohlgeboren nicht die Wahrheit sage. Der Graf, welcher dem Bataillon sich angeschlossen, um des jungen Fähnrichs, seines Enkel willen, hat die letzten Pferde genommen und sie doppelt bezahlt. Die armen jungen Leute. Ich glaube, die Hälfte der Offiziere ist kaum aus den Anstalten in Petersburg gekommen.«

Der Reisende wurde aufmerksamer. – »Waren es neue Truppen? Wer führt sie?«

»Poltawskische Infanterie, Herr. Podpolkawnik 6 Galizin kommandirt das Bataillon. Es muß Noth haben vor Ssewastopol, denn die Truppen haben Ordre, doppelte Tagemärsche zu machen, und der Kommandant ist nicht der Mann, sie ihnen zu schenken.«

Er legte das Stationsjournal vor den Reisenden, um seinen Namen zu erfahren: die Lieutenantsuniform und der Mangel aller Bedienung hatte ihm nicht besondern Respect eingeflößt. Der Fremde zog das Buch zu sich, blätterte darin und las gleichgültig die letzten Namen. Plötzlich sprang er hastig empor und den Finger auf die letzte Einzeichnung, fragte er: »Graf Ludomirski? – wer ist das?«

»Der letzte Reisende, der Pferde erhalten: ich erzählte Euer Wohlgeboren bereits davon. Er folgt schon von Kiew aus dem Bataillon, bei dem, wie mir der Jäger sagte, sein Enkel eingestellt ist, aus Besorgniß für den Knaben. Als ob nicht jeder russische Vater so gut wie er seine Söhne für den Dienst gegeben!«

[203] »Der Graf ist ein aller Mann? – kannst Du mir ihn näher beschreiben?«

»Warum nicht, Väterchen, er ist kenntlich genug: zwei tiefe Narben im Gesicht, die eine bis über den kahlen Schädel. Den Jäger kenne ich – er kam im vorigen Sommer hier durch bei dem großen Steppenbrande mit einer Dame.«

»Er ist's – unbezweifelt! – Höre, Brat, die Ausflucht mit den Pferden muß aufhören; ich muß auf der Stelle weiter. Ich will die Post nicht zur Krontaxe, sondern gebe Dir doppelte Bezahlung, wenn ich die Pferde binnen einer Viertelstunde habe, und ein gutes Trinkgeld obend'rein.«

Das Versprechen half – Furcht und Geld sind die Mittel, durch die bei den Russen Alles zu ermöglichen ist. Wenige Augenblicke darauf sprengte ein Kosack davon, um Pferde aus der Stepphe herbeizuschaffen. Dennoch schien der erweckte Diensteifer mit Besorgniß zu kämpfen, der Aufseher stand mit den Bauern und Knechten in lebhaftem Gespräch vor der Thür und schaute oft nach dem Himmel, den Worten und Zeichen eines alten Tataren horchend.

Die Sache war aber schwerlich zu ändern, das Geld, das der Offizier so freigebig geboten, lockte und über die Fläche galoppirte bereits der Kosack mit einem jungen Burschen und den drei zur Beförderung des Schlittens bestimmten Pferden. Der Offizier stand trotz der strengen Kälte in der Thür des Hauses, um mit seiner Gegenwart die Vorbereitungen zu beeilen.

Der Posthalter trat wieder zu dem Offizier. – »Ich halte es für Pflicht, Gospodin, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihnen Gefahr in der Steppe droht Muhamed, der Tatar, ist der beste Wetterkundige fünfzig Werst in der Runde, seit Michael, der Tabuntschik, zur Krimm gezogen, und er meint im Ernst, daß wir leicht einen Schneesturm haben können.«

Der Ulan lachte ihm in's Gesicht. – »Schau Dich nur mn, Alter – es ist ja kein Wölkchen am Himmel. Hier ist Dein Geld und etwas darüber für die Kosacken und nun laß mich ungeschoren mit Deiner aufrichtigen oder erfundenen Besorgniß.«

»Das ist es ja eben, Euer Gnaden,« sagte, demüthig dankend, der Mann, »daß, wer nicht ein Leben lang in der Steppe zugebracht hat, ihre Zeichen und Tücken nicht kennt. Ich habe gar schreckliche Stürme auch bereits bei heiterm Sonnenschein erlebt und die Heiligen mögen Euch vor einem ähnlichen behüten. Folgt meinem Rath und nehmt wenigstens einen der Eingeborenen noch zur Begleitung mit, denn der Abend kommt rasch herbei und die große Spur, welche die Soldaten gemacht, könnte leicht verweht werden.«

Der Offizier willigte nach einigem Bedenken ein, wenn die Sache ohne weiteren Zeitverlust geordnet werden könne, und der alte Tatar selbst war nach verschiedenem Hin- und Herreden gegen das Versprechen eines Trinkgeldes bereit, den Schlitten zu begleiten. Der Reisende, welcher daraus schloß, daß die ganze Warnung [204] nur auf diesen Zweck hinausgegangen, befahl ungeduldig die Abfahrt, und die Troika galoppirte nach wenigen Minuten unter dem Schreien und Rufen des Postillons hinaus in die weite Schneefläche, während der Posthalter und seine Leute besorgt ihnen nachschauten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Dunkelheit war bereits eingetreten – die Sterne funkelten und blitzten vom Himmelsgewölbe, scharf und eisig in einzelnen heftigen Stößen fuhr der Wind über die unermeßliche weiße Oede, durch die sich langsam der dunkle Zug des Bataillons fortschleppte. Die Leute waren seit dem Morgen marschirt und zum Tode ermüdet; das schwere Gepäck, mit dem sie belastet, vermehrte die Erschöpfung, denn die Bagagewagen waren mehrere Märsche zurückgeblieben, um die angestrengte Eile des Zuges nicht zu stören, und nur wenige Schlitten und Karren mit den nöthigsten Bedürfnissen und Vorräthen begleiteten den Zug.

Der Marsch der großen Colonne geschah stumm und still, kaum daß sich hier und da ein halb unterdrückter Fluch ober ein Scheltwort der Offiziere und Unteroffiziere, ein Antreiben der Führer der Gespanne hören ließ. Man fühlte die unheilschwere Ermattung, die über dem Ganzen lag, die Furcht vor einer drohenden Gefahr, obschon nirgends ein Anzeichen davon zu blicken war.

Der russische Soldat ist ein eigenthümlicher Mensch: bis zu einer gewissen Gränze, und diese ist meistentheils die Gränze des Lebens, das Urbild passiven Gehorsams ohne Empfinden und eigenen Willen, sowohl im Ertragen aller Arten von Leiden und Gefahren, als im Widerstand gegen dieselben und im Handeln. Es fehlt ihm durchaus nicht an Vaterlandsliebe, an Gefühl und Opferungsfähigkeit für alle jene Güter, für welche der Mensch Blut und Leben einsetzt, aber selbst in seinem Angriff liegt eine gewisse Passivität, ein Fatalismus. Er nimmt sich nur selten die Mühe, sich Rechenschaft zu geben, und liebt es nicht, auf seine eigene Entscheidung sich verwiesen zu sehen. Wenn ihm das Kommando ertheilt worden ist, Etwas zu thun, wird er es ausführen, mit Gewalt oder mit List, die ihm keineswegs fehlt, und er bleibt dabei gleichgültig gegen alle Folgen für ihn selbst; wenn ihn der Kaiser ruft, wenn der Pope ihm das Kreuz zeigt, wird er mit einem zähen Fanatismus in jede Gefahr gehen, dessen aufflammende Energie nicht, aber dessen Ausdauer eine Welt in Erstaunen setzt. Dieser Eigenschaften wegen ist der russische Soldat, wenn auch nicht der geschickteste, der glorreichste, so doch – in der Masse wenigstens – vielleicht der beste der Welt.

Obschon die Colonne möglichst dicht geschlossen blieb, marschirten die Soldaten doch zwanglos und mit den üblichen Erleichterungen. Jeder hatte sich, so gut es ging und die Mittel ihm erlaubten, gegen den erstarrenden Hauch des eisigen Ostwinds zu schützen gesucht und war bemüht, in fortwährender Bewegung[205] zu bleiben, und die Offiziere sorgten dafür, daß Keiner die Reihen verließ; denn Zurückbleiben war in der Schneewüste und der von Minute zu Minute sich steigernden Kälte der Tod.

Neben einem jungen Unterfähnrich, der in Wahrheit noch Knabe war, schritt ein alter, aber rüstiger Mann, in einen Militairmantel gehüllt, der beim Aufwehen des Windes Civilkleidung zeigte. Seine Aufmerksamkeit war offenbar allein mit dem Jüngling beschäftigt, dessen Kräfte schwer erschöpft waren, der aber mit aller geistigen Energie dagegen kämpfte, die Spuren dieser Schwäche zu zeigen. – »Armer Junge,« sagte der Greis, »es ist unmöglich, daß ein Knabe wie Du dieser furchtbaren Anstrengung widerstehen kann. Lasse mich mit dem Oberst-Lieutenant sprechen, er muß Dir einen Platz auf dem Schlitten bewilligen, den ich bereits für die Kranken hergegeben. Du hast das erste Recht daran.«

Der junge Mann hielt ihn am Arm zurück. – »Ich beschwöre Dich, Großväterchen, mach' mir die Schande nicht. Was würden meine Kameraden in Petersburg sagen, die mich beneideten um die mir gewordene Auszeichnung, wenn ich schon auf dem Marsch unterlegen wäre! Lieber sterben.«

»Du wirst es und ich mit Dir, wenn Du eigensinnig beharrst. Du hast noch nicht die Kraft eines Mannes, und selbst Männer werden nicht lange mehr der Ermüdung und der Kälte widerstehen, wenn wir nicht bald das Ziel erreichen. Es war Wahnsinn von Dir, in Deinem Alter Dich zur Einstellung zu melden, und unverantwortlich, daß man Deinem kindischen Enthusiasmus gewillfahrtet.«

Der Unterfähnrich versuchte, mit Aufbietung aller seiner Kräfte einen festen Schritt anzunehmen. – »Sage das nicht, Großväterchen,« entgegnete er. »O, wenn Du zugegen gewesen wärst, als der Kaiser unsere Schule vor dem heiligen Weihnachtsfest besuchte, wenn Du gesehen hättest, wie die Knaben den mächtigen Herrn baten, er möge ihnen erlauben, in die Arme einzutreten und für das Vaterland zu kämpfen, wie der Kleinste sich groß, der Jüngste älter zu machen suchte, welcher Jubel sich erhob, als der Kaiser bestimmte, daß dreißig der Besten das Patent erhalten sollten – o, Du würdest begreifen, wie stolz Diejenigen waren, auf welche die Ehre fiel.«

Der alte Mann blickte finster vor sich hin. – »Ich hatte andere Pläne mit Dir – es traf mich wie eine Todesnachricht, daß Du so plötzlich und so jung in die Armee eingestellt worden. Sebastopol, Knabe, ist das unersättliche Grab.«

»Und wäre es das,« fuhr der Jüngling fort, »ich führe den Namen Lasaroff und werde ihm keine Schande machen. Ich will dem Czar beweisen, daß ich bis zum Tode dankbar bin für die Gnade, die Dich wieder zu mir geführt. Wie gern hätte ich schon damals mein Blut für ihn vergossen, und seine Huld gab mir ja das Recht auf die Ehre, jetzt unter den Erwählten zu sein.«

[206] »Stütze Dich auf meinen Arm, Michael,« sagte der Greis, ohne auf die Begeisterung des Jünglings zu antworten. »Der Sturm nimmt zu und Dein Schritt schwankt – Du reibst Deine letzten Kräfte auf.«

Ein Stocken in der Colonne entstand. Der Podpolkavnik kam langsam an der Seite herab geritten, hinter ihm trugen vier Soldaten einen Mann.

»Wenn noch ein Raum ist in Ihrem Schlitten, Herr,« sagte der Kommandant, »so bitte ich Sie, dem Lieutenant Timotscheff ihn zu gönnen. Der Mensch ist völlig erschöpft und ohnmächtig und ich möchte ihn nicht gern zurücklassen.«

»Das müßte natürlich sein Tod sein,« erwiderte der Graf bitter. »Versuchen Sie selbst Ihr Heil; ich und mein Diener gehen bereits zu Fuß und das Gefähr ist so überladen, daß die Pferde es kaum noch fortzubringen im Stande sind.«

Der Offizier überlegte finster einige Augenblicke, dann sagte er heftig: »Die Jugend wird immer entarteter, Herr, und vermag Nichts mehr zu ertragen. Ich kann ihm nicht helfen – legt ihn zu Boden, Leute, und mag er erfrieren. Mein Befehl lautet: Vorwärts!«

»Nicht an der Jugend Ihrer Soldaten liegt es, Herr,« entgegnete der Graf, »aber der Doppelmarsch in diesem Schnee und gegen den Sturm erschöpft jede Kraft. Wie weit rechnen Sie noch die Entfernung?«

»Der Teufel weiß es in dieser höllischen Steppe. Ich hoffe, es sind keine sieben Werst mehr, aber es ist unmöglich, sich in dieser Fläche zu orientiren, und ich wünschte, wir hätten landeskundige Führer mitgenommen. Ihr Postillon ist der Einzige, der uns Auskunft geben könnte, der Bursche versteht aber kaum ein Wort reines Russisch.«

»Hören Sie, wie es in den Lüften braust!«

»Bei Gott – es erhebt sich ein Wirbelwind, der uns den Schnee aufrühren wird. Fest an einander geschlossen, Leute, und vorwärts! Wer fällt, mag liegen bleiben.«

Er wollte davon sprengen, der Graf fiel ihm in die Zügel. »Der Himmel stehe uns bei, ich fürchte, es kommt ein Schneesturm! Formiren Sie Quarré-Colonnen, es ist unsere einzige Rettung und der Rath eines alten Soldaten!«

Die Kommandorufe der Offiziere erschollen in dem Heulen und Brausen, das sich ringsum erhob, das in den Lüften sauste, aus der Erde empor zu wirbeln schien, von allen Seiten, gleich einem höllischen Concert von tausend Teufelsstimmen. Die ganze Steppenfläche rings umher schien lebendig zu werden und sich in die Lust zu erheben, der Schnee wirbelte in so dichten Massen, daß kaum zu athmen war und die ganze Umgebung eine einzige große Lawine schien.

[207] »Michael, mein Kind! mein Sohn! halte Dich fest an mich! Hierher! hierher!«

Einen Augenblick versuchten die Trommeln zu wirbeln dumpf und hohl; – Kommandorufe tönten zwischen dem Toben der Natur halb erstickt, aber das Geheul des entfesselten Orkans, vermischt mit hundertfachem Jammerruf und Hilfsgeschrei, überwältigte jeden einzelnen Laut. Die Bespannungen der wenigen Gefähre, welchder der Colonne folgten, standen schnaubend und zitternd, dann versuchten sie wie toll ihre Banden zu sprengen und stürmten in rasendem Lauf, die dichten Menschenhaufen zur Seite schleudernd, davon.

Nach dem ersten furchtbaren Stoß schwieg minutenlang der Sturm, gleichsam als schöpfe er neuen Athem, und in dem hellen winterlichen Sternenlicht, das noch immer die Steppe erhellte, sah man weiße Massen sich bewegen und einzelne Gestalten nach allen Richtungen hin zerstreut über den Schnee flüchten.

»Halt! – Still gestanden! – Zum Quarré!« klang die mächtige Stimme des Führers und gehorsam selbst in der Todesgefahr ordneten die noch nicht niedergeworfenen oder zersprengten Züge sich um den Befehlenden.

Das Quarré war noch nicht geschlossen, als der Sturm auf's Neue losbrach und im Nu die ganze Fläche ein unermeßlicher Schneewirbel war.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Schlitten des jungen Offiziers war kaum zwei Werst hinter dem Bataillon, wie der Sturm losbrach. Im Augenblick, als der erste heulende Ton durch die Luft fuhr, stürzte sich der alte Tatar von seinem Sitz und warf sich vor die Pferde, diese in die Nüstern packend und dem Postillon zuschreiend, aus allen Kräften sie festzuhalten. Hierdurch gelang es, sie auf einer Stelle zu fesseln und die so nothwendige Richtung zu behalten. Denn selbst die sonst so sichern Thiere verläßt häufig bei so plötzlichen und schrecklichen Naturerscheinungen ihr Instinct. Unwillkürlich seitwärts sich neigend, suchen sie der fessellosen Wuth des Orkans auszubeugen, lenken von der rechten Straße ab und kommen oft, ohne daß der von dem wirbelnden Schnee betäubte und geblendete Reisende es merkt, mit kreisförmiger Wendung in eine gerade entgegengesetzte Richtung, je nachdem der Wirbel sie irre leitet. Unsicher, ohne Pfad, scheu vor den empörten Elementen, weichen sie zuletzt willenlos jedem Impuls des umspringenden Sturmes, bis sie entkräftet im tiefen Schnee stecken bleiben oder in eine der Regenklüfte stürzen, welche den Steppenboden durchfurchen.

Es ist nicht selten, daß Reisende am Eingange der Dörfer elend umkamen, weil sie nicht wußten und nicht sahen, wie nahe sie dem Rettungshafen waren. Schrecklich ist das Schicksal der Heerden, die auf offener Steppe von einem solchen Schneesturm überrascht werden, besonders wenn er von der Richtung, des Hofes [208] her weht, dem sie angehören. Die Pferde springen wild auseinander, rennen meilenweit, es ist unmöglich, sie zusammen zu halten. Die Schafe drängen sich dicht an einander und folgen trotz aller Anstrengung der Hirten den leitenden Thieren in der Richtung des Sturmes. Die Hirten, selbst der Wuth des Orkans preisgegeben und vor Kälte erstarrt, geben endlich das fruchtlose Bemühen des Widerstandes auf und folgen der von der dämonischen Gewalt fortgetriebenen Heerde, so lange es ihre Kräfte gestatten oder bis sie selbst von den wandelnden Lawinen verschüttet werden.

Die Kirgisen der nogaischen Steppe verloren vor einigen Jahren in einem solchen Sturm Tausende von Pferden, Schafen und Kameelen.

Als der erste Stoß des Orkans vorüber war, ließ der Tatar den Pferden die Zügel schießen und sie jagten mit rasender Schnelle über die Fläche dahin. Zwei Mal wiederholte sich dies Spiel, der Schlitten schnellte bereits hin und wieder über einen unter der Schneedecke liegenden Gegenstand, ohne daß die Fahrenden in ihrer rasenden Eile sich von der Natur desselben überzeugen konnten. Der Offizier glaubte mehr als ein Mal Rufen und menschliche Stimmen durch dies Toben der Elemente zu vernehmen, Gestalten und Schatten durch die Schneewirbel schwanken zu sehen – aber vergeblich war sein Haltruf, denn der alte Tatar trieb die ohnehin rasenden Rosse zu immer neuer Eile. Jetzt – dort – ganz deutlich hörte er den Hilferuf – gleich darauf eine schwache Salve von Gewehren – Gestalten taumelten um ihn her. – »Haltet ein – das ist unser Schlitten! Halte ihn fest, Bogislaw. Das Erbarmen muß der eigenen Rettung weichen!« Ein kräftiger Mann warf sich vor die galoppirenden Pferde und ließ sich von ihnen fortschleifen, ein Zweiter, eine schwere Last auf den Armen, schwankte hinter dem Schlitten d'rein. »Schieß' ihn nieder, Gospodin!« schrie der Tatar; »nieder, oder wir sind verloren, wenn sie sich an uns anhängen!« Aber der Offizier hatte bereits selbst in die Zügel gegriffen und die Pferde zum Stillstand gezwungen. »Wenn Gott Ihnen barmherzig sein soll in Ihrer Todesstunde, so üben Sie selbst Barmherzigkeit!« flehte eine tiefe Stimme neben ihm. »Nehmen Sie meinen Enkel, einen Knaben, in Ihren Schlitten und retten Sie ihn, ich will gern hier sterben und Sie segnen in meiner letzten Noth!« – »Graf Lubomirski? – ich kenne die Stimme – herein, herein! jeder Augenblick ist Todesgefahr – aber ich lasse Sie nimmer im Stich!« Der alte Pole, noch ungewiß, wer sein Retter sei, warf den leblosen Knaben in den Schlitten und sich darüber hin. »Wenn Du noch einen Augenblick zögerst, Gospodin, so sind wir geopfert!« jammerte der alte Tatar. »Dort kommen sie und sie werden uns Schlitten und Pferde nehmen – die Last ist ohnehin für die Thiere zu groß!« Massen schneebedeckter Gestalten stürzten herbei, wildes Geschrei ertönte, jeder der Unglücklichen drängte nach dem Mittel der Rettung. – [209] »Vorwärts! – vorwärts, ohne Erbarmen!« rief der treue Jäger, indem er hinten auf die Kufen des Schlittens sprang und mit gewaltigem Faustschlag einen der Elenden in den Schnee schleuderte, der sich bereits dort angeklammert. Durch die halb betäubten, erstarrten Soldaten flog das Dreigespann mit der Doppellast davon querfeldein – hinter ihnen her Flüche und Verwünschungen, das Geheul des neu emporwirbelnden Sturmes – rings um sie ein fliegendes Meer von Flocken und spitzen, schneidenden Krystallen, daß oft kaum die Hand vor den Augen zu sehen war. Von Straße, von Pfad keine Spur, die hatte längst der wirbelnde Schnee begraben. Zum Glück vermochte der greise Führer in den Pausen des Sturmes nach den Sternen die Richtung zu finden, und obschon die Pferde von Schnee und Wind ermattet und durch die schwere Last gehemmt wurden, kamen sie doch rasch vorwärts und ließen die unglückliche Schaar weit hinter sich in dem weißen Grabtuch des Schnees. Die Hand des Herrn, die aus Flammengluth und Wogendrang errettet, war über ihnen und führte sie glücklich aus der eben so schrecklichen Gefahr des eisigen Todes unter den wandelnden Schneebergen. Nach zahlreichen Gefahren und Leiden hielten, etwa eine Stunde nachdem der Schlitten das Bataillon verlassen, die Pferde vor der offenen Fenze eines großen Gehöfts, in die sich zahlreiche Heerden schon beim Beginn des Sturmes glücklich geflüchtet hatten und wo sie jetzt im Schutz der langen, niedern, ein weites Viereck bildenden Stall- und Scheunengebäude kauerten. Der alte Tatar führte die Pferde in das Gehöft und auf den Ruf der Reisenden eilten die Bewohner und die versammelten Hirten aus dem Schutz des Hauses den Erschöpften zu Hilfe.

Zwei Stunden darauf saßen, wie in jener Winternacht in dem Krug der polnischen Wälder, Graf Lubomirski und der junge Offizier, in dem Jener zu seinem freudigen Staunen Djemala-Din, den kaukasischen Prinzen, wiedergefunden, am warmen Heerdfeuer des Mennoniten Hesekiah zusammen. Der wackere Jäger Bogislaw, der so manche Gefahr mit ihnen und für sie treulich bestanden, wachte jetzt bei Michael Lasaroff, dem jungen Unterfähnrich, den sie starr und leblos in das Haus getragen und der endlich durch die angestrengte Anwendung aller Hilfsmittel wieder in's Leben zurückgerufen, sich in diesem Augenblick unter der Obhut der Frauen des Hauses und unter hoch aufgethürmten Betten im tiefen Schlafe befand.

Draußen tobte der Schneesturm noch immer mit gleicher Heftigkeit und die des Landes Kundigen erklärten, daß er mindestens vierundzwanzig Stunden in derselben Weise anhalten werde, während welcher Zeit es unmöglich sei, den Schutz des Gehöftes zu verlassen. Selbst die aufopfernde Menschenliebe der Mennoniten hatte es daher nicht wagen können, den im Schneegefilde dem Verderben preisgegebenen Truppen irgend eine Hilfe zu bringen [210] und vergebens hatten der Graf und der junge Kaukasier eine bedeutende Summe für Den geboten, der als Führer zum rettenden Hort die Unglücklichen aufsuchen wollte. Die Kälte war zur Nacht so heftig geworden, das Schneetreiben so wüthend, daß selbst das kühnste Herz verzagte vor dem gewissen Tode. Man hatte sich begnügen müssen, am Eingang des Dorfes Wachen aufzustellen, die alle Viertelstunde abgelöst werden mußten, und von Zeit zu Zeit Gewehre abschossen. Aber man wußte, daß bei der Macht des Sturmes der Schall kaum über den nächsten Umkreis dringen konnte, daß Alles vergeblich und das Schicksal der Unglücklichen wahrscheinlich längst entschieden war: – ein Grab unter dem Leichentuch der Schneelawinen, – ein Riesengrab für tausend muthige, treue Kriegerherzen, die noch vor wenigen Stunden auf dem Wege zur Ehre und Pflicht so lebenswarm geschlagen.

Diese Gewißheit warf die Schatten trüber Stimmung über alle Mitglieder der Versammlung, selbst über die sonst für das Schicksal ihrer Zwingherren ziemlich gleichgültigen Tataren. Die Mennonitenfamilie hatte im gemeinsamen Gebet die Unglücklichen dem Schutz und Erbarmen des Höchsten empfohlen und die Männer saßen still in den großen Küchenraum umher, dem Wüthen des Orkans lauschend. Djemala-Din hatte dem Grafen mitgetheilt, daß er auf dem Wege zum Kaukasus sich befinde. Der Emir Schamyl hatte, wie wir bereits aus der Unterhaltung der russischen Offiziere auf der Mastbaftion am Tage des ersten Bombardements wissen, neben der Summe von 40,000 Rubeln die Kurückgabe seines ältesten Sohnes als Lösegeld für die Fürstinnen Tscheftsawadse und Orbelian verlangt, und der Kaiser dem jungen Manne freigestellt, ob er dem Verlangen seines Vaters Folge leisten wolle oder nicht. Was Djemala-Din von sich gewiesen, als die Boten seines Vaters ihn zur heimlichen Flucht zu bewegen suchten, erschien ihm jetzt, wo er die Gräfin Wanda am Kaukasus wußte, in einem anderen Lichte, und er hielt es für eine Pflicht der Ehre und Liebe für sie, sich selbst zur Befreiung ihrer Verwandtinnen zu opfern. Die Hoffnung, sie wiederzusehen, von ihren Lippen den Dank für das Opfer zu empfangen und im Hintergrunde der unbestimmte Traum, sie dennoch dort auf dem Felde wilder Abenteuer für sich zu gewinnen, wie sie selbst ihn durch ihre Phantasieen angeregt, machten ihm den Entschluß leicht. Erst hier, am Heerde des Mennoniten in der wilden Steppe, wo das Schicksal ich so wunderbar mit dem Verwandten der Geliebten zusammengeführt, vernahm er zum ersten Male, daß auch sie selbst in den Felsennestern seiner Heimath als Gefangene schmachte. Die Aufregung, in die ihn diese Nachricht versetzte, war zu sichtbar und groß, um von dem Greise mißverstanden zu werden, der bereits auf dem Schloß in Volhynien die entstehende Liebe des jungen Mannes beobachtet hatte und ihn achtete und schätzte. Obschon Gräfin Wanda ihm Nichts vertraut, beurtheilte er doch die hochherzige[211] romantische Richtung ihres Geistes und Herzens zu richtig, um zu zweifeln, daß sie die Gefühle des jungen Tscherkessenfürsten erwiederte, und das tiefe Nachdenken, in das er so eben versunken, galt zum großen Theil der seltsamen Schicksalsverkettung des jungen Paares und seiner Zukunft.

»Ihre Lage, Prinz,« sagte er endlich, »wird eine äußerst schwierige sein. Sie wissen, daß der Kampf zwischen den freien Bergvölkern und den Russen auf's Neue heftig entbrannt ist. Sefer-Pascha und Beisched-Pascha haben ihnen schon im Sommer bedeutende Hilfsmittel zugeführt, die russischen Festungen am Schwarzen Meere sind sämtlich zerstört oder in den Händen Ihrer Landsleute und die Schlacht am Ingur hat auch dort die russische Macht gebrochen. Ich weiß, daß von den alliirten Flotten nach dem Beginn der besseren Jahreszeit eine große Expedition an die östlichen Küsten des Schwarzen Meeres ausgeführt werden wird und daß England Ihren tapfern Vater unterstützt. Er wird von dem Erden seiner Macht mit Recht fordern, daß er in dem neuen und günstigen Kampf für die Freiheit an seiner Seite steht, daß er sich würdig zeigt der großen Aufgabe, die Unabhängigkeit der Stämme, die ihm einst gehorchen werden, gegen die Tyrannei zu vertheidigen. Ich bin ein Greis, Freund, und fühle, daß dieser Krieg der Fürsten, von dem wir so viel für die Sache allgemeiner Freiheit hofften in einer Versöhnung ihrer Interessen und ihrer Vortheile auslaufen wird, denn manche bittere Erfahrung hat mich belehrt, daß Zwiespalt und Eigennutz noch nicht die Völker zu einer gemeinsamen Erhebung gegen die Unterdrückung reif gemacht. Aber es giebt Wehrfesten des glorreichen Kampfes, die, wenn der Sieg uns hier entrissen wird, diesen ewigen Streit fortführen und an denen die entarteten Völker Europa's sich immer auf's Neue ermuthigen. Eine solche stolze Feste ist der Kaukasus und sein Kampf – wollen Sie sich ihm weihen, wie Ihre Väter thaten, werden Sie eintreten in den Krieg gegen Rußland, das Sie bisher mit hundert Lockungen verführt und Sie jetzt verstößt und verhandelt gleich einer Waare um zwei werthloser Weiber und adliger Namen willen?«

Der junge Offizier sah einige Augenblicke ernst vor sich nieder, er fühlte, daß von seiner Antwort die Meinung des fanatische Greises, vielleicht die Hoffnung seiner Zukunft abhängig sein würde. Aber er empfand zugleich, daß jedes Ausweichen, jede Täuschung seiner selbst und seiner Liebe unwürdig sei. – »Djemala-Din,« sagte er fest und bestimmt, »wird nie sein Schwert im Kampf gegen den Czaren Nicolaus, seinen Freund und Wohlthäter, ziehen.«

Der alte Pole schaute finster und halb verächtlich auf ihn. »So werden Sie ein Zwittergeschöpf sein zwischen Krieger und Sclaven, mißtraut von den Ihren, mißtraut von Ihren bisherigen Freunden. Sie werden untergehen in diesem Kampf, wo Sie ein Held Ihres Volkes sein könnten. Ich hatte es anders gehofft und gewähnt, daß die Tochter eines unglücklichen und dennoch [212] forthoffenden und ringenden Volkes in dem Sohne des glücklicheren die Flamme seines Rechts durch ihre eigene Begeisterung geweckt habe.«

Der Tscherkesse sah ihn erstaunt und zweifelnd bei dieser offenen Anspielung an. – »Darf ich Ihre Worte deuten, wie mein Herz es möchte? – ich beschwöre Sie, Graf – – –«

Der Pole unterbrach ihn. – »Hören Sie mich an, Djemala-Din, des Imam's Sohn und vielleicht die Hoffnung der Zukunft eines ganzen Volkes. Die Vorsehung hat uns eigenthümlich hier zusammengeführt und es ist eine seltsame Stunde und Umgebung, in der ich Ihnen hier meine Seele eröffnen will. Draußen der tobende Sturm, der die Söldner Rußlands unter seiner eisigen Last begraben, um uns seine demüthigen Sclaven, wir selbst kaum dem Tode entgangen und durch Sie Alles gerettet, woran das Herz eines Greises mit den Banden irdischer Liebe gekettet ist. In meine Knabenzeit drang der Donner des Heldenkampfes von Dubienka 7 und des unglücklichen Rufs von Maccieiowice, wo mein Vater an der Seite von Polens größtem Helden verwundet wurde. Mit der Muttermilch hatte ich den Haß gegen die Unterdrücker meines Vaterlands gesogen, und als ein neuer Stern seiner Hoffnung in Frankreichs Kaiser ihm aufging, stand der Jüngling unter seinen Adlern und focht seine Schlachten vom Ebro bis zur blutgetränkten Moskau und auf Deutschlands und Frankreichs Fluren, immer vertrauend und getäuscht von dem trügerischen Geschlecht der Napoleoniden, die aus den Freiheitshoffnungen der Völker nur eine Staffel ihres Ehrgeizes machen. Nach dem Fall des Kaisers lebte ich theils in meinem Vaterlande, das unter dem russischen Druck seufzte, theils auf Reisen durch England, Amerika und Italien, und trat hier in den Bund jener großen Gemeinschaft, die über die Welt verbreitet und deren Aufgabe ist, die Freiheit der Völker zu erringen und ihre Fesseln zu zerbrechen.«

Er schien eine Antwort von seinem jungen Gefährten zu erwarten, doch dieser begnügte sich, ihm schweigend zuzuhören, und der alte Revolutionair fuhr fort: »In jener Zeit, während die Männer, die für die Freiheit standen und wirkten, gleich den gehetzten Thieren durch alle Länder Europa's verfolgt wurden, starb mein Weib, das ich mit meinem einzigen Kinde im Vaterlande zurückgelassen. Meine Tochter wurde von Fremden erlogen. Das Jahr 1830 kam, von den Barrikaden von Paris, die uns nur ein Königthum in anderer Gestalt erkämpft, eilte ich, ein Mann bereits in der Neige der Jahre, zum Vaterlande, das noch ein Mal seine Fahne erhoben zum blutigen Kampf. Ich focht in den Schlachten von Ostrolenka und Grochow und an meiner Seite Wanda's Vater, der Gatte meiner jüngeren Schwester; auch Lubienski, in dessen Schloß in Volhynien wir jene Weihnachten zubrachten, war unser [213] Waffengefährte. Sie wissen, wie auch damals Polens Stern durch die Uneinigkeit seiner Führer und die Wortbrüchigkeit Frankreichs den russischen Bajonnetten erlag. Aber noch ein anderer tiefgreifender Verlust traf mein alterndes Leben. Ludmilla, mein einziges Kind, das einzige Vermächtniß einer geliebten und hochherzigen Frau, die bei meiner Schwester lebte, in den Grundsätzen und Gefühlen ihrer ganzen Familie erzogen, häufte Schmach auf das Haupt ihres Vaters. Ein russischer Offizier, der im Schloß meines Schwagers im Quartier gelegen, der Vater Michael's, gewann ihr Herz, und als ich Polen verlassen mußte und sie mit mir nehmen wollte nach Frankreich, weigerte sie sich, mich zu begleiten, sie trotzte dem Vaterfluch und folgte dem Feinde ihres Vaterlandes, dem Offizier des Czaren.«

Der alte Mann stützte das Haupt in die Hand und starrte in die Kohlen des Heerdes. – »Ich war einsam in der Welt – kein Kind, kein Vaterland, ein gefährdeter verbannter Wanderer auf dem Rundkreis der Erde, gehetzt im Kampf mit ihren Gewaltigen. Dieser Kampf allein war jetzt meine Liebe, mein Kind! Sie, noch vor wenigen Tagen der Offizier eines jener Gewaltigen und bald vielleicht wie ich ein Kämpfer für die Freiheit – Sie ahnen nicht, auf welchem Vulkan die Throne Europa's stehen, wie unterwühlt der Boden unter ihren Füßen ist und wie mächtig und blutig von Stunde zu Stunde als Mene Tekel die Hand der Unsichtbaren an ihre Pforten klopft und an die Forderungen der Völker mahnt. Es ist ein Kampf auf Tod und Leben, der seit drei Jahrzehnten zwischen den Kämpfern der Freiheit und den Männern der Throne gefochten wird, mit tausend Waffen und Mitteln, im Dunkel der Nacht und der Verborgenheit, und gleich den Vulkanen und Erdbeben ausbrechend in hellen Flammen, wann und wo die Gegner es am wenigsten geahnt. Hundert Mal besiegt von den Schergen der Gewalt, hundert Mal fruchtlos durch Verrath und Zwiespalt der eigenen Glieder, findet die Sache der Freiheit gleich dem Proteus im Blut der Niederlagen neue Kraft und neuen Muth zum Kampf und sie erzieht die Völker für den dereinstigen Sieg.«

»Und was verstehen Sie unter diesem? – was ist die Tendenz jenes großen und geheimen Bundes, von dem wir selbst in der Abgeschiedenheit einer Garnison gehört haben?«

»Die Selbstherrschaft der Völker, ihre Befreiung von dem Joch der einzelnen Tyrannen, die allgemeine sociale Republik.«

Der Offizier legte die Hand auf das Knie des Greises. »Das ist es, wo unsere Wege sich scheiden, Graf Lubomirski,« sagte er mit edler Ruhe. »Ich bin ein junger Mann und habe nur wenig beobachten können im Vergleich zu Ihrem langen und reichen Leben, aber ich fühle, daß das edle Wort Freiheit und Kampf für sie gar oft mißbraucht wird. Ich bin kein so entarteter Sohn meiner heimathlichen Berge und meines Volkes, daß ich nicht [214] tief im Herzen sein heiliges Recht erkennen sollte, mit Blut und Gut seine Unabhängigkeit gegen den fremden Herrscher zu vertheidigen. Die Selbstständigkeit der Nationen und ihr heiliges Recht der Geschichte, des Glaubens und der Sitten – das ist die große Sache der Freiheit, und wo diese ihr Banner erhebt, ob an der Weichsel oder am Kuban, sie wird immer alle edlen Herzen für sich begeistern, – nicht das hohle Geschrei der Republik und des Socialismus.«

»Wie Sie es nennen mögen – es ist gleich, die Streiter der Freiheit sind Alle Brüder einer großen Sache! Ich habe mich nickt getäuscht, und Sie werden dennoch einer der Unsern sein im Kampf gegen Rußland, den gefährlichsten Feind der Umgeburt der Welt.«

»Niemals, so lange Kaiser Nicolaus lebt, niemals wird Djemala-Din, Schamyl's Sohn, gegen den Mann das Schwert erheben, der sein Freund und Wohlthäter war. Erst wenn Dessen Augen geschlossen, dem er den Fahneneid geschworen, obgleich der Kaiser ihm diesen gelöst, wird den Sohn des freien Tscherkessiens Nichts mehr hindern, für die Unabhängigkeit seines Volkes gegen das russische Volk zu kämpfen. Bis dahin wird Schamyl, mein Vater, die Ehre seines Sohnes selbst ehren.«

Der greise Agent und Kämpfer der revolutionairen Ideen war von der einfachen und edlen Erklärung und Auslegung des jungen Mannes ergriffen. Das Bewußtsein, daß auch ihn selbst im Grunde doch nur die Begeisterung für die Befreiung des eigenen Vaterlandes in die Reihen der revolutionairen Propaganda getrieben, bis das nationelle Streben in jenen socialen Tendenzen und dem alles Edlere und Selbstständigere zersetzenden Demokratismus untergegangen, war ihm noch nie so klar und deutlich vor die Seele getreten, als bei der schlichten Deutung des jungen Tschetschenzen über das, was er unter »Kampf für die Freiheit« begreife.

»Was Sie unter socialer Republik, unter Demokratie verstehen,« fuhr der junge Mann fort, »ist mir nicht ganz klar – ich kenne und ehre die Einrichtungen im Lande meiner Väter und in dem, das mich erzogen. Wie soll ich Begeisterung hegen für Etwas, das mir unbekannt und ungewohnt ist. Jedes Land hat seine Sitte und für ihre Bewahrung opfert das Volk sein Blut. Die Edlen und Mächtigen werden immer Edle und Mächtige bleiben und ihre Stimmen im Rathe gehört werden, wie der Knecht ein Knecht. Die Fürsten sind die Statthalter Gottes auf Erden und ein heiliges Erbe der Völker. Ich bin ein Fürstensohn und werde, da mich Allah berufen, das Erbe meiner Väter zu wahren wissen.«

»Sie sind Moslem?«

»Ich habe nach der Bestimmung des Kaisers die Religion meiner Väter nicht zu wechseln brauchen. Auch ohne den Namen [215] eines Christen sind die heiligen und milden Grundlehren Ihrer Religion die meinen. In den Thälern des Elbrus und des Kuban, ist der Glaube der Nazarener kein Fremdling, sondern besteht seit Jahrhunderten, und meine Mutter war eine Christin. Aus meiner Knabenzeit weiß ich, daß Maria und der weiße Christ selbst von unsern mohamedanischen Stämmen heilig gehalten werden. Doch was sprechen wir von mir, dem Unbedeutenden, dessen Namen und Gedächtniß auch unter seinen Freunden bald verschollen sein wird – Sie selbst haben Ihre Erzählung noch nicht geschlossen, der Name zweier theurer Wesen fehlt darin und ich habe aus dem Munde Michael's den Namen seines Großvaters nur mit Liebe nennen hören.«

Das lange von dem politischen Fanatismus und seinen Intriquen verschlossene Herz des alten Mannes öffnete sich wider Willen bei dem Namen seines Enkels, des Letzten aus seinem Blut. – »Die Härte gegen mein Kind,« sagte er traurig, »hat manche Nacht den Schlaf von meinem Lager gescheucht, obschon ich wußte, daß ich Recht gethan. Lasaroff, ihr Gatte, war ein eingefleischter Russe, aber sonst ein wackerer Mann, und seinen Bemühungen allein ist es zu danken, daß das Besitzthum meiner Schwester nicht confiscirt wurde und ihrer Familie erhalten blieb. Erst acht Jahre nach Polens Besiegung traf mich der letzte Gruß meines Kindes von ihrem Sterbebett, auf dem sie Michael das Leben gegeben. Der Vaterfluch hatte ihre früheren Kinder dem Tode geweiht, und sie bat mich sterbend um meinen Segen und meine Vergebung für das letzte. Der Tod sühnt alle Schuld, und dies alle Herz öffnete sich einer unendlichen Liebe für den ungekannten Enkel. Lasaroff, sein Vater, starb wenige Jahre nach seiner Gattin und Michael wurde nach seiner Bestimmung in einem der Corpshäuser in Petersburg erzogen.«

»Und Ihre andere Familie? Ihre Schwester?«

»Sie blieb bis zu ihrem Ende eine treue Tochter Polens, während ihr Gatte, der an meiner Seite gefochten, mit Rußland seinen Frieden machte, und ihr Sohn später im russischen Kriegsdienst stand und mit dem Gatten seiner älteren Stiefschwester wie – ich muß es zu unserer Schande sagen – so viele Polen im Kaukasus zur Unterjochung Ihrer freien Nation unter dem Doppeladler focht. Er fiel vor fünf Jahren als ein Opfer der Cholera und seine uns fremde Frau und seine Kinder sind die Erben der Guter in Polen. Aber meine Schwester hatte ein zweites jüngeres Kind, eine Tochter, Wanda, die Sie kennen, und in der ihr Geist, ihr Herz, ihre Vaterlandsliebe fortleben. Sie sah ich in Berlin und Paris, sie liebte ich und durch sie erhielt ich Nachricht von dem Letzten meines Blutes, von meinem Enkel, und blieb in Verbindung mit ihm. Es wird Sie nach dem, was Sie ausgesprochen, wenig kümmern, aus welchen Gründen ich vor fast zwei Jahren, durch eine frühere Bekanntschaft mit dem russischen Staatskanzler [216] unterstützt, die Amnestie des Czaren annahm und nach Polen und Rußland kam. Nicht einer der geringsten war die Sehnsucht nach meinem Enkel und die Liebe zu ihm, die noch einmal das welke Herz des Greises erfüllte und belebte.«

»Und darf ich fragen, welche Absichten Sie mit ihm hegen?«

»Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß die politische Aufgabe, die mich in dieses Land geführt, mißlungen ist. Die Ereignisse sind uns aus den Händen gewachsen, andere und gefährlichere Gegner als Czar Nicolaus sind unserer heiligen Sache entstanden und haben unsere Pläne durchkreuzt, und wir können augenblicklich nur die welterschütternden Ereignisse beobachten und so viel als möglich die einzelnen Phasen für uns benutzen. Ich glaubte Michael, da er nur ein Knabe ist, noch nicht siebzehn Jahre, gesichert vor den Stürmen der Zeit in jener Anstalt zu Petersburg, wohin ihn das Testament seines Vaters bestimmt; ich bedachte und ahnte nicht, daß er den Geist desselben und seine Gesinnung geerbt. Am Rande meines Lebens muß ich sehen, wie das Kind meines Blutes von mir abfällt und ein fanatischer Anhänger meines Feindes ist. In Odessa, wo ich größtentheils mich aufgehalten, seit ich meine Nichte bis dahin auf dem Wege zu ihrer Stiefschwester am Kaukasus begleitet, überraschte mich der jubelnde Brief des thörichten Knaben, daß sein Abgott, der Czar, ihm gestattet, in ein Regiment für die Krimm einzutreten, und daß er bereits auf dem Marsch hierher sei. Die Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag und machte das alte Herz erbeben. Ich eilte ihm entgegen, ich versuchte durch alle meine Verbindungen das Geschehene rückgängig zu machen – vergebens! er weigerte sich, seinen Dienst zu verlassen oder zu vertauschen, ja, ich vermochte ihn nicht einmal dazu, die Strapazen, die seinen jungen Körper aufreiben müssen, sich zu erleichtern. So folgte ich, von Angst getrieben, schon von Kiew den Märschen seines Bataillons.«

»Und nun?«

»Gott selbst hat entschieden! Das Bataillon, zu dem er gehört, ist durch seinen Rathschluß in diesem Augenblick wahrscheinlich vertilgt aus der Reihe der Bestehenden – er vielleicht das einzige Leben, das von tausend mit Ihrer Hilfe gerettet ist durch mich. Seine Pflicht gegen den Kaiser und sein Vaterland ist erfüllt, sein neues Leben gehört mir, seinem Retter und einzigen Verwandten. Ich werde ihn mit fortnehmen aus diesem Lande, wo der Mensch nur die Zahl ist in den Augen seines Herrn, und ihn, fern von hier, nach einem ruhigern führen, wo meine letzten Tage seinem Glück geweiht sein und ihn Besseres kennen lehren sollen, als die Opferung für Zwingherrschaft und Tyrannei.«

»Aber Wanda, Ihre Nichte?«

»Sie lieben sie?«

Eine dunkle Gluth überzog das edle Gesicht des jungen Tschetschenzen. – »Warum soll ich leugnen, wessen ich mich nie [217] zu schämen brauche? Es wird das Glück meines Lebens sein, daß ich nur einen Dienst ihren Freunden zu leisten hoffen durfte und jetzt sie selbst auslösen kann aus der Gewalt Derer, die für sie Fremde und Barbaren sind. Ehe der Mond noch ein Mal seinen Kreislauf vollendet, wird Gräfin Wanda in den Armen der Ihren sein.«

»Und verloren für Dich, Thor,« sagte der Greis hastig. »Halte fest, was das Glück Dir bescheert, Du bist würdig, sie zu besitzen.«

Djemala-Din sah ihm erstaunt, bestürzt in's funkelnde Auge. »Warum wollen Sie eine Hoffnung wecken, die nie verwirklicht werden kann?«

»So liegt es an Dir allein, Mann! Keinem möchte ich Wanda lieber gönnen, als Dir, dem künftigen Führer eines freien und edlen Volkes, das Polen mit Strömen von Blut und unvergänglichem Haß rächt an den stolzen Unterdrückern, das allein Rußland's Macht bisher widerstanden hat. Nimm sie hin, die Tochter Polens, die Du Dir gerettet unter dem Mordmesser der Raubgesellen und die Dich liebt mit allem Feuer ihrer edlen Seele. Wanda denkt zu groß und hochherzig, um nicht dem Manne ihrer Liebe zu folgen auch über die Gränzen der hohlen Civilisation, und an ihrem Geist, ihrem Heldenfeuer und freien Sinn wird Deine eigene Seele und Begeisterung erstarken zum Kampf für die Freiheit.«

»Glänzender Traum – hoch über dem Glück der Sterblichen, wie der Adlerhorst meiner Ahnen über den niedern Thälern der Kabardah!« – Er preßte die Hände auf die stürmisch klopfende Brust. – »Welches Bild zeigst Du mir, o Vater – sie, die Tochter milderer Sitten und Künste, die Gattin des Nomaden? – sie die Schöne und Zarte das Weib des Kriegers der wilden Berge, die Christin das Weib des Moslems – –«

»Was kümmert das die Liebe?! Deine Sache, Fürstensohn der Abchasen, ist es, dem Polenkinde den Willkomm und das Haus zu bereiten unter Deinem Volke; Deine Sache ist es, die Braut zu gewinnen, indem Du sie zurückbehältst in Deinen Bergen oder mit dem Säbel in der Faust aus dem Lager der Russen holst. Der Segen und die Einwilligung eines Greises, ihres liebsten Verwandten, sei mein Abschiedsgeschenk an Dich für ihre und Michael's Rettung.« – Er schrieb eifrig beim Licht des Feuers auf ein Blatt seiner Brieftafel, siegelte es und gab es dem ehemaligen Offizier. – »Das Wort des Bruder ihrer Mutter wird ihr weibliches Zaudern beseitigen, wo es die Erfüllung eines hohen Lebenszieles gilt. Möge der Himmel Euch schützen und Polens Tochter durch ihre Liebe sühnen, was Polens Söhne in den Reihen Rußlands gegen ein freies Volk gefrevelt haben. Danke mir nicht, Djemala-Din, mein Sohn – Dein und Wanda's Glück liegt in Deiner eigenen Männerhand. Von Deinen Bergen sende mir mit ihr den Gruß der Freiheit – und nun laß uns ruhen [218] nach dem Sturm der Natur und der Seelen, denn die Ruhe thut diesem alten Körper noth!«

Er drückte ihn innig an seine Brust – dann schlich er nochmals zum Bett seines schlummernden Enkels und theilte mit dem Tscherkessenfürsten das Lager, das die Gastlichkeit der Mennoniten ihnen bereitet.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der wilde Schneesturm dauerte mit gleicher Heftigkeit, wie die Tataren es voraus gesagt, bis zum Nachmittag des andern Tages. Jeder Versuch, während des Morgens in's Freie zu dringen zur Aufsuchung der Verunglückten, scheiterte an der Wuth des Orkans und der grimmigen Kälte. Erst mit der beginnenden Dunkelheit legte sich der Aufruhr der Natur eben so vollständig und eben so plötzlich, als er entstanden, und konnte die Verbindung mit den nächsten Gehöften wieder hergestellt werden. Aber nirgends fand sich eine Kunde von dem unglücklichen Bataillon und die ganze männliche Bevölkerung der Kolonie und der in ihrer unmittelbaren Nähe liegenden Stanzia machte sich noch am Abend auf, beim Schein des hellen Sternenlichts die Spuren der Vermißten zu suchen.

Djemala-Din und Bogislaw begleiteten sie, während der Graf bei dem von den ausgestandenen Leiden erkrankten Knaben zurückblieb. Eine Stunde weit von der Kolonie, mitten in der öden Steppe, fand man die Bestätigung des gräßlichen Unglücks, nachdem man schon lange vorher in einer tiefen Regenschlucht das zerschmetterte Gefähr des Grafen und mehrere Bagagewagen, so wie rings auf der weiten Schneefläche zahlreich Leichen Erfrorener vereinzelt entdeckt hatte. Ein Berg von Schnee, von dem Sturm zusammengewirbelt, wölbte sich hier gleich einer mächtigen Tumule, aus dessen Grund menschliche Glieder und Waffen hervorragten. Die Steppenwölfe umheulten den riesigen Grabeshügel und flohen bei der Annäherung der Lebenden. Mit rüstiger Kraft, von Stunde zu Stunde sich ablösend, ging man daran, die Lawine zu öffnen – je weiter man kam, desto schrecklicher, herzzerreißender wurde das Schauspiel, das sich den Blicken bot. Haufen von Leichen übereinander liegend, starr und eisig, daß bei den Stößen der Schaufeln und Hauen die Glieder wie Glas absprangen, enthüllten sich den Augen. Als der Morgen tagte, stieß man auf das Schrecklichste. In dichtem Haufen gedrängt, aufrecht, fest an einander gepreßt und durch ihre Masse sich haltend, viele noch die Gewehre in den erstarrten Händen, standen mehr als dreihundert Leichen, – ein Quarré von todten Kriegern, in ihrer Mitte der Podpolkawnik, ihr Führer, gleich als erwarteten sie den Feind.

Und der Feind war über sie gekommen, aber nicht der, dem Menschenkraft und Menschenmuth widerstehen konnte im ehrlichen Kampf. Die grause Kälte hatte ihre Kraft gebrochen, die Grabeslast des Schnee's ihren Muth mit dem Leben getödtet. In den[219] starren Augen schien noch der Trotz des Kriegers zu funkeln, die Reihen schienen nur des belebenden Kommando's zu harren, um sich neuem Leben zu entfalten. – Aber der Kommandoruf, der sie weckte, sollte nur die Posaune sein des ewigen Weltgerichts, die die Gräber öffnen wird und die Todten laden zum Gericht des Herrn!

Der junge Tschetschenze floh schaudernd von der schrecklichen Grabstätte. Noch am selben Tage schied er von dem Grafen und seinem frühern Schulgenossen und setzte die Reise nach Perecop und Kertsch fort; denn der Gedanke, die Geliebte schutzlos unter seinen tapfern aber wilden Landsleuten zu wissen, drängte ihn zur fieberhaften Eile. Ende Februar langte er in Chassaw-jurth an, wo der Fürst Tscheftsawadse sich aufhielt, und seine eigene Ungeduld beschleunigte die Verhandlungen.

Der 22. März war der Tag, den der Emir selbst zur Auswechselung der Gefangenen an den Ruinen des Forts von Schoib-Kapu an der Gränze der großen Tschetschnia bestimmt hatte.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Krankheit des jungen Unterfähnrichs, des Einzigen, welcher aus jener furchtbaren Nacht von dem Bataillon das Leben gerettet, fesselte ihn wochenlang an das Haus des menschenfreundlichen Mennoniten und mit ihm den alten Grafen, seinen Großvater und dessen treuen Diener. Nur langsam ging die Kräftigung des Jünglings wieder vor sich und sehnsüchtig saß er am Fenster des kleinen Stübchens, das ihre Wirthe ihm eingeräumt, und schaute den Kolonnen nach, die Tag um Tag vorüber nach dem Süden zogen zu Kampf und Ruhm.

Der alte Revolutionair sorgte mit der Aufmerksamkeit und Liebe einer Mutter für jedes Bedürfniß, für jede Pflege des Enkels, während jedes seiner Worte ihn für seine Pläne zu gewinnen berechnet war. Das Schweigen des Jünglings galt ihm als Zugeständniß für die Erfüllung seiner Wünsche, und schon bereitete er ihre Abreise nach Odessa vor, um von dort nach Frankreich oder der Schweiz zu gehen, als an einem Morgen der Unterfähnrich plötzlich verschwunden war. Ein zurückgelassener Zettel zeigte ihm die Täuschung, in die er sich gewiegt, die Worte lauteten: »Tausend Dank und Segen für Deine Liebe, Großvater, aber Michael Lasaroff hat das Herz eines Russen und sein Platz ist in Ssewastopol!«

Fußnoten

1 Station.

2 Tumulen, alte mongolische Grabhügel.

3 Kohlsuppe und Grütze.

4 Brüderchen – häufige Anrede gegen Untergebene.

5 Menoniten.

6 Oberst-Lieutenant.

7 Unter Kosziusko am 17. Juli 1792. Das »Finis Poloniae!« in der zweitgenannten Schlacht gegen Suwaroff am 10. October 1794 ist bekannt.

2. Nicht auf den Schlachtfeldern allein
[220] II. Nicht auf den Schlachtfeldern allein stirbt man den Heldentod für's Vaterland!

Wir haben unsern Lesern im ersten Band unseres Buches, das sich seinem Ende naht, versprochen, sie noch ein Mal in das Kabinet des mächtigen Monarchen zu führen, gegen den in diesem Augenblick das halbe Europa in Waffen stand.

Der Kaiser war seit mehreren Tagen leidend – die in Petersburg mit großer Heftigkeit herrschende Grippe hatte auch ihn ergriffen, und die Rastlosigkeit, mit der er seine Thätigkeit fortsetzte, die Aufregung, der er sich über die politischen Ereignisse innerlich hingab, und die geringe Schonung seiner Gesundheit hatten das Uebel von Tage zu Tage gesteigert. Obschon bis jetzt noch keine Gefahr vorhanden war und sein Leibarzt Dr. Mandt dies auch anerkannte, hatte dieser doch um Erlaubniß gebeten, einen zweiten Arzt zuziehen zu dürfen und der Kaiser die Berathung seines gewöhnlichen Leibarztes auf Reisen, des Dr. Karell, bewilligt. Am Tage vorher hatten beide Aerzte dem kaiserlichen Herrn ernste Vorstellungen gemacht und erklärt, daß, wenn er nicht eine größere Vorsicht eintreten lasse, sie für die Folgen nicht stehen könnten.

Trotz der Bitten der Aerzte und seiner Familie hatte der Kaiser sich geweigert, sein gewöhnliches Kabinet zu verlassen, das für seinen Zustand durch die Ecklage und die großen Fenster, auf die der Wind von zwei Seiten stieß, sehr unvortheilhaft war. Es herrschte in dem Zimmer kaum 10 bis 12 Grad Wärme, während draußen der Thermometer auf 20 bis 23 Grad unter Null zeigte.

Der Kaiser hatte eine schlaflose Nacht gehabt, nachdem er den ganzen Abend vorher mit dem Staatskanzler Graf Nesselrode gearbeitet und nachher noch mehrere geheime Berichte und Depeschen durchgesehen. Er hatte sich am frühen Morgen ankleiden lassen und schon um 7 Uhr nach seinem alten Freunde und Vertrauten, dem General-Adjutanten Grafen Orloff gesandt.

Der riesige Graf – er war einer der größten und stärksten Männer Rußlands und tödtete im Jahre 1851, nach Staraia-Russia gesandt, um einen Aufstand in den Militair-Colonieen zu dämpfen, mit einem einzigen Faustschlag einen jungen Soldaten, der aus dem Gliede hervortrat – saß seinem kaiserlichen Herrn gegenüber an dem großen Arbeitstisch, der mit Papieren bedeckt war. Sein Antlitz war ernst und sorgenvoll, das des Kaisers blaß, nur von Zeit zu Zeit durch die Anstrengungen des Hustens oder die innere Aufregung mit fliegender Röthe bedeckt.

»Einhundertdreiundzwanzigtausend Mann – es ist nicht möglich,« sagte der Monarch heftig. »Dolgorucki muß sich irren!«

[221] Der Graf reichte ihm das Memoir, das er in der Hand hielt. »Der Feldzug an der Donau kostet uns 60,000, – Silistria allein den sechsten Theil. Die Almaschlacht zählt mit 6000, Balaclawa und Inkermann 9000, – in Ssewastopol sind in den drei Monaten 18,000 gefallen, mehr als eben so viel sind dem Typhus und der Cholera unterlegen oder untauglich.«

»Es ist schrecklich – aber unsere Gegner haben fast eben so viel verloren. Welches furchtbare Resultat und für was?«

Der General schwieg. »Ich muß der Sache klar in's Auge sehen,« fuhr der Kaiser fort, »ich habe gestern bis 11 Uhr mit Nesselrode gearbeitet, um nochmals alle unsere Aussichten zu prüfen.«

»Euer Majestät reiben sich auf mit dieser rastlosen Thätigkeit bei Ihrem Unwohlsein. Ihr Leben ist das schätzbarste Gut Rußlands.«

»Wer weiß – wer weiß, alter Freund! Wir sind Beide Soldaten und wissen, wie leicht jede Lücke sich schließt. Hätte nur Kleinmichel mich nicht mit den Straßen im Stich gelassen, die Sache stände anders. Wer hätte von Oesterreich Das gedacht!«

»Ich habe Euer Majestät stets gewarnt, sich nicht von Meyendorf täuschen zu lassen. Er über Wien – Nesselrode über London. Er war Metternich nicht gewachsen und verließ sich blind auf seine Verwandtschaft.«

»Ich weiß, daß Du die deutsche Partei nicht liebst,« sagte kopfschüttelnd der Kaiser, »Meyendorf trifft keine Schuld, Du selbst hast bei diesen undankbaren Oesterreichern Nichts ausgerichtet. Was geschehen ist, läßt sich nicht ändern.«

»Euer Majestät erinnern sich, daß ich im Jahre 49 gegen die Hilfe ohne Bedingungen war. Großmuth in der Politik ist immer ein Fehler und das Möglichste zu fordern nie ein Schade!«

Der Monarch lächelte bitter. »Das ist das Prinzip, nach dem Du beim Vertrag von Adrianopel 1 gehandelt. Und was nützen uns jetzt diese Zugeständnisse? Hab' ich nicht auf den undankbaren Allianztractat vom 2. December, den Oesterreich mit Frankreich und England geschlossen, mich bereit erklärt, alle jene alten Rechte zu opfern? Ich will Dir sagen, Alexei Feodorowitsch, wie es ist. Man will in Wien den Frieden nicht, man glaubt die Gelegenheit günstig, die Donau zu gewinnen und schämt sich nicht, dafür die Liberalen Deutschlands in Bewegung zu setzen.«

»Sire, Ihr Schwager hält fest! Er ist ein Ehrenmann auf dem Thron.«

»Ich weiß es und vertraue auf ihn. Oesterreich's Intriguen am Bundestag scheitern an Preußens Festigkeit, und die französischen Noten werden ihre Abfertigung finden. Rußland ist in der Schuld Preußens und möge es nie vergessen, wenn die Zeit kommt, [222] wo die andern Mächte sich für seine jetzige Neutralität zu rächen suchen 2

Der alte General schwieg – es war offenbar, daß er erwartete, der Kaiser solle ihn um einen Gegenstand befragen, und dieser zauderte ganz gegen seine Gewohnheit damit. Er legte wiederholt die Hand auf den Tisch und ballte sie, gleich als bemühe er sich, einen Entschluß zu fassen. Endlich wie erzürnt über sich selbst, heftete er seine Augen fest auf den Grafen und sagte mit leiser, kaum hörbarer Stimme: »Ich habe Dein Billet von gestern Abend erhalten. Der Agent ist zurückgekehrt?«

»Ja, Sire!«

»Und er bringt die Antwort auf unsere Vorschlage?«

Der General nickte stumm.

»Heraus damit, Mann – man hat in Paris abgelehnt – man fordert größere Vortheile? – Heraus damit, Orloff,« fuhr er heftig fort, als der Graf trübe das Haupt schüttelte – »Du kennst mich und weißt, daß ich Alles ertragen kann.«

»Euer Majestät sind noch so angegriffen und aufgeregt –«

»Gehörst auch Du zu Denen, die unter dem Vorwand, mich zu schonen, Glied um Glied martern können? Nicht den Diplomaten verlange ich, sondern den Freund und seine Wahrheit. Sprich denn,« – er lächelte seltsam – »vielleicht hab' ich wenig Zeit mehr, sie zu hören.«

»Sie wissen, Sire, daß mein Bote ein zuverlässiger und gewandter Mann ist. Er hat mit – dem Kaiser selbst verhandelt.«

»Nun, und?«

»Er hat eine vollständige Zurückweisung erfahren.«

Die Hand des Monarchen ballte sich krampfhaft: »Weiter – die Details!«

»Sire – sie sind eine Beleidigung; ersparen Sie einem treuen Diener den Schmerz, sie zu wiederholen.«

»Nichts da – ich muß Alles wissen, jedes Wort, jede Sylbe!« Die Stimme klang ungeduldig.

»Die Instruction ist an Boucquenai 3 bereits abgegangen, sich jetzt mit unserm Zugeständniß der Auslegung nicht mehr zu begnügen – es sei zu spät.«

»Was verlangt man?«

»Sire – der Kaiser Napoleon kann Euer Majestät nicht vergeben, daß Sie so lange mit seiner Anerkennung gezögert – er haßt Sie!«

»Ich weiß es – ich wußte es längst!«

»Euer Majestät verletzten vielfach seinen Ehrgeiz – er will jetzt der erste und wichtigste Mann in Europa heißen, und das kann er nicht, so lange Euer Majestät da sind.«

[223] »Will er mich vielleicht tödten lassen?« sagte der Kaiser spöttisch.

»Das nicht, Sire, dem das Leben der Monarchen gehört Gott. Aber er will Rußlands Schande für den Frieden – er verlangt –«

»Sprich!« – Die Augen des Herrn waren mit unwiderstehlicher Majestät auf den Grafen gerichtet, der finster die seinen niedergeschlagen hielt.

»Sire – dieser Mann stellt eine Alternative, die Moskau und Paris vergessen machen soll und von Rußland nicht angenommen werden kann, so lange noch ein Tropfen russisches Blut in uns lebt. Er verlangt die Uebergabe Ssewastopols und der Südflotte an seine Armee oder –«

Das Auge blieb fest auf ihm haften.

– »oder Ihre Thronentsagung. Er könne und wolle sich nur mit einem andern Regenten Rußlands verständigen, weil Euer Majestät wohl wüßten, daß Sie ihn persönlich beleidigt hätten, – die Hand der Großfürstin –«

»Still – kein Wort mehr!« Er winkte gebietend mit der Hand, stützte die mächtige Stirn auf die Linke und versank in ein kurzes Nachdenken.

»Der Aufruf der Reichswehr,« sagte nach einer Pause der General, »wird uns noch eine halbe Million Soldaten geben. Euer Majestät werden zwei Drittheil Ihrer Armee im Süden concentriren können. Preußen und Kronstadt sichern Petersburg – Ssewastopol wird sich halten, bis unsere Operations-Armee genügend stark ist, um alle Feinde mit einem Schlage zu vernichten.«

Der Kaiser lächelte matt. – »Du weißt es besser, Orloff! Wir haben zehn Jahre zu früh unser Werk begonnen – aber ich wollte es noch selbst thun. Ich glaubte Rußland vor jenem Fluch der spekulativen Civilisation noch schützen zu können und unterliege ihm. Eine Eisenbahn nach dem Süden – und Europa hätte bereits eine andere Gestalt. Der Traum der Wiederherstellung der christlichen Macht am Bosporus ist zu Ende – ich glaubte, das Testament meines Ahnen durch erhabene Absichten adeln zu können, aber ich bin an den Mitteln gescheitert.«

»Wir werden einen ehrenvollen Frieden erzwingen.«

»Höre mich an. Wir haben drei Schlachten verloren, weil unsere Kräfte den Gegnern nicht gewachsen waren. Das war unser Fehler und unser Unglück beim Beginn und es ist nicht wieder gut zu machen. Die Feinde haben das Meer als ihre Straße, – die unsere braucht die vierfache Zeit, sie werden uns also immer voraus sein im Ersatz ihrer Lücken und Hilfsmittel. Hier liegt der Vertrag dieses nur durch seine Schmach mächtigen Englands mit Sardinien –: es lauft 15,000 frische Soldaten, wes es einst die Deutschen für die Urwälder Amerika's gekauft hat. Einem Palmerston ist das erlaubt. Ich aber durfte den Plan der [224] revolutionairen Propaganda, den der ungarische General mir brachte, nicht annehmen, denn ich hätte mit dem Geist meines ganzen Lebens gebrochen. Kampf gegen die Revolution, so lange diese Hand den Degen halten kann.«

»Ssewastopol wird den Feind ermüden!«

»Es wird und muß fallen. Totleben und meine braven Soldaten haben das Unglaubliche geleistet, aber alle menschliche Kraft hat ihre Gränzen. Dolgorucki hat Dir zwar die amtlichen Rapporte vorgelegt – dies geheime Memoir, das mir der Großfürst Nicolaus gesandt, den ich selbst zum Ingenieur gebildet, giebt mir das wohlgeprüfte Urtheil bewährter Männer – Totleben's selber. Ssewastopol ist mit der Sappe vertheidigt worden und wird durch die Sappe fallen. Die Feinde kannten seinen schwachen Punkt nicht, weil weder Raglan noch Canrobert Ingenieure und Feldherrn sind, und deshalb bat es sich gehalten. Sobald der Angriff auf die Schiffervorstadt und die Korniloffski-Bastion concentrirt wird, ist das Schicksal der Festung entschieden.«

»Die Engländer haben diesen Posten und sie sind weder geschickt noch kräftig genug, um sie den dort fürchten zu müssen. Die übersandten Pläne des Barons Osten-Sacken für das System vorspringender und deckender Contre-Approchen und Feldschanzen sind vortrefflich.«

»Sie können die Vertheidigung verzögern, aber nicht den Fall hindern. Der Korniloff-Hügel beherrscht die Südseite und die Rhede.«

»Euer Majestät sagen selbst, daß der Feind falsch operirt.«

»Aber er wird seinen Fehler verbessern. GeneralNiel ist bereits in den letzten Tagen des Januar im Lager angekommen, und er ist der beste Ingenieur, den die Franzosen haben. Dieser Bericht der Spione hier meldet, daß er bereits vorgeschlagen hat, die Angriffsfronte zu ändern.«

»So muß man die Entscheidung auf einen Wurf setzen. Lassen Sie Menschikoff nochmals mit seiner Gesamtmacht angreifen, von der ganzen Garnison unterstützt. Mögen sie sterben, sie Alle für Rußland, wenn sie nur den Feind mit vernichten.«

Der Kaiser war aufgestanden – er trat jetzt um den Tisch und legte dem riesigen alten Krieger die Hand auf die Schulter. »Das kannst Du rathen, Freund!ich habe andere Pflichten. Hundertachtundzwanzigtausend Mann tapferer Soldaten stehen in und um Ssewastopol – sie mögen für ihr Vaterland sterben, aber sie dürfen nicht leichtsinnig geopfert werden und Rußlands Existenz am Pontus mit ihnen. Oesterreich und dem Halbmond müssen wir dort auf alle Chancen gewachsen bleiben und hier können wir keine Truppen mehr entbehren, denn Frankreich agitirt unaufhörlich in Stockholm, und Finnland ist jeder Invasion offen.«

»Aber was beschließen dann Euer Majestät?«

»Ich will den Frieden möglich machen

[225] Der Graf sah den Czaren starr und offenbar ihn nicht verstehend an. – »Wollen sich Euer Majestät näher erklären?«

»Später – wir wollen ausführlicher berathen – ich weiß ja jetzt Deine Antwort von Paris.«

»Sönnen Sie sich Ruhe, Sire – Sie bedürfen derselben. Ich beurlaube mich.«

Der Kaiser winkte ihm freundlich; er hatte ihm den Rücken gekehrt und stand vor dem Regal, das seine Handbibliothek enthielt. »Ich werde Dich rufen lassen, wenn es Zeit ist!«

Der General entfernte sich – unter der Thür rief ihn der Kaiser nochmals zurück. – »Welcher von den Flügeladjutanten 4 ist an der Reihe für die Depeschen?«

»Oberst Tettenborn, Sire.«

»Laß ihn bereit sein, nach Baktschiserai abzugehen. – Ich halte es für das Beste, wenn Menschikoff auf seine Enthebung anträgt; – er ist ohnehin leidend und es würde unserm alten Freunde doch gar zu wehe thun, wenn gerade er, der den Kampf so tapfer begonnen, unterliegen sollte.«

Der Graf wagte nicht, Etwas zu sagen; er verbeugte sich nochmals beklommen und verließ das Gemach.

Der Kaiser ging einige Male, die Hände in einander verschlungen, auf und nieder – ein heftiger Hustenanfall nöthigte ihn, stehen zu bleiben. Dann trat er wieder zu dem Bücherschrauk und nahm ein Buch heraus, mit dem er sich an den Tisch setzte.

Es war Stokes, des berühmten englischen Arztes Werk über die Brust- und Lungen-Affectionen.

Der Kaiser las länger als eine halbe Stunde aufmerksam darin – seine mächtige Stirn hatte sich finster zusammengezogen, zuweilen perlte ein großer Schweißtropfen darauf.

Das Rasseln der Gewehre der ablösenden Schildwachen draußen vor dem Palast unter seinen Fenstern weckte ihn aus den tiefen Gedanken, mit denen er über dem Buche saß. Sein Auge traf auf die Madonna von Murillo und von ihr auf das einfache Crucifix von Ebenholz mit dem bleichen weißen Christusbilde, das darunter hing; seine Hände falteten sich, sein Haupt sank auf sie nieder – der Kaiser betete.

Als er sich erhob, ruhte sein Blick wenige Momente ruhig und traurig auf dem Bildniß der Kaiserin und seiner Lieblingstochter, der verstorbenen Großfürstin Alexandra, das er selbst nach dem schönen Portrait von Brüllow in der Kapelle von Sarskojé-Sélo copirt, denn der mächtige Herrscher beschäftigte sich oft in den wenigen Erholungsstunden, die er sich gönnte, mit der schönen [226] Kunst der Farben. Dann, den Kopf erhebend, sprach er fest sein Lieblingswort aus: »Und jetzt – im Dienst

Seine Hand drückte auf die Feder der kleinen Glocke – der dienstthuende Kammerherr trat ein.

»Wollen Sie so gut sein, lieber Baron,« sagte der Kaiser freundlich, »und Befehl geben, daß mein Schlitten vorfährt?«

»Euer Majestät wollen ausfahren?« stammelte dieser erschrocken.

»Warum nicht? – Die Garde-Reserven der Regimenter für Litthauen sind zur Revision in der Reitbahn kommandirt; ich bin nicht gewohnt, auf mich warten zu lassen. Thun Sie also nach meinen, Wunsch.«

Der Kammerherr entfernte sich – wenige Minuten darauf kehrte er zurück, um anzuzeigen, daß der Befehl ertheilt worden. Der Kaiser hatte bereits den Helm aufgesetzt und den Mantel umgenommen. – »Majestät,« sagte der treue Diener, »im Vorzimmer warten der Geheime Rath Mandt und Staatsrath Karell. Sie bitten, vorgelassen zu werden.« – Er hatte die Augenblicke benutzt, die beiden harrenden Aerzte von der Absicht des Kaisers in Kenntniß zu setzen.

»Ich weiß, ich weiß!« sagte dieser ungeduldig, »aber ich habe jetzt keine Zeit, später – am Abend oder morgen!«

Er ging an dem Kammerherrn vorbei durch die Reihe der Vorzimmer nach der großen Treppe zu. Im zweiten fand er die beiden Leibärzte.

»Entschuldigen Sie, meine Herren,« sagte der Kaiser, halb scherzend, im Vorübergehen, »aber ich bin in großer Eile. Nachher stehe ich Ihnen mit Puls und Athem zu Diensten.« – Sein erster Leibarzt, Dr. Mandt, ein geborener Preuße, dem er stets großes Wohlwollen und Vertrauen bewiesen, trat ihm jedoch kühn in den Weg. – »Euer Majestät wissen vielleicht nicht, daß draußen eine Kälte von mehr als 23 Grad herrscht. Wenn Euer Majestät meine Bitten auch nicht beachten, so flehe ich Sie wenigstens an, das Urtheil meines Collegen Dr. Karell anzuhören. Es ist meine Pflicht, darauf zu dringen.«

Der Kaiser war stehen geblieben, – ein Hustenanfall erschütterte heftig den kräftigen Körperbau trotz aller Anstrengungen, die er machte, ihn zu unterdrücken. Zwei scharf begränzte rothe Flecken zeigten sich auf seinen Wangenknochen – er sah die beiden Aerzte ernst aber nicht mißbilligend an.

»So reden Sie!«

»Sire,« sagte Dr. Karell mit fester Stimme, »kein Militairarzt in der ganzen Armee würde einem Soldaten, der so krank wie Euer Majestät ist, erlauben, das Hospital zu verlassen, weil er sicher ist, daß der Patient es nur kränker wieder betreten wird.«

»Ich kann dem Urtheil des Dr. Karell nur beistimmen,« fügte Mandt hinzu, »und wiederhole als Arzt die Forderung, als Unterthan [227] die ehrfurchtsvolle Bitte, daß Euer Majestät in Ihr Zimmer zurückkehren.«

Das Schweigen des Kaisers war nur kurz – seine Stimme ruhig und den unbeugsamen Entschluß verkündend, der keine Widerrede mehr duldet, als er sagte: »Ich danke Ihnen, meine Herren; Sie haben Ihre Pflicht gethan, lassen Sie mich nun auch die meine thun.« Damit ging er an den sich ehrerbietig Verbeugenden hastig vorüber. Sie sahen sich erstaunt und schmerzlich betroffen an. – – –

Der Kaiser blieb zwei Stunden, nur in seinen Mantel gehüllt – er besaß nicht einmal einen Pelz, – in dem kalten Exercierhause, und war trotzdem bei seinem Fortgehen ganz in Schweiß gebadet, denn er war sehr angegriffen, hatte stark gehustet und fortwährend ausgeworfen. Dennoch fuhr er, als er das Exercierhaus verlassen, noch zu dem kranken Kriegsminister, Fürsten Dolgorucki, ermahnte diesen, nicht zu früh auszugehen, und kehrte dann erst in das Winter-Palais zurück.

Die Kälte auf den Straßen war schneidend!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war am Vormittag des 2. März – in den Vorgemächern des kaiserlichen Kabinets waren die obersten Palastdiener, die Minister, die Generäle und hohen Hofchargen zahlreich versammelt, und dennoch herrschte eine fast lautlose Stille, nur zuweilen von einer leisen Frage an die langsam und traurig ab- und zugehenden Kammerdiener unterbrochen. In den Augen ernster Staatsmänner, schlachtengewohnter Krieger hingen Thränen, finster und sorgenschwer falteten sich die Stirnen, die Augen befragten sich stumm und ängstlich – gespannt lauschte das Ohr auf jeden Laut aus dem Krankenzimmer.

In allen Kirchen der großen Kaiserstadt lag das Volk auf den Knieen mit seinen Geistlichen vereint im Gebet um das Leben des Czaren.

Seit dem Abend des unglücklichen 22. Februar, an dem er noch darauf bestanden, den Gebeten der ersten Fastenwoche beizuwohnen, hatte der Kaiser sein Arbeitskabinet nicht mehr verlassen. Dort ertheilte er, auf dem Sopha liegend und nur mit dem Mantel zugedeckt, am andern Tage dem Obersten und Flügel-Adjutanten von Tettenborn noch Audienz und fertigte ihn mit Instruktionen nach Baktschiserai ab. Am Abend ließ er den Großfürsten Thronfolger zu sich kommen und schloß sich mit ihm ein. Als nach zwei Stunden der Erbe Nußlands das Kabinet seines Vaters verließ, bemerkte man, daß er auffallend bleich und erregt aussah. Von diesem Augenblick an übernahm der Großfürst alle Regierungsgeschäfte.

Vom 24. bis 27. Februar steigerten sich nur langsam die Erscheinungen der Krankheit – erst in der Nacht zum 1. März verschlimmerten sie sich reißend und am Abend dieses Tages gaben [228] die Aerzte die Hoffnung auf. Auf ihren Wunsch baten die Kaiserin und der Thronfolger den Kranken, das heilige Abendmahl zu nehmen.

Die Kaiserin hatte die ganze Nacht am Lager ihres Gemahls mit seinem Leibarzt zugebracht. Es war 3 Uhr Morgens, als dieser dem Kaiser eröffnete, daß seine Lunge in starke Mitleidenschaft eingetreten und eine Zähmung derselben zu befürchten sei. Der Herr von Millionen von Menschenleben verstand, daß derGrößere seine Zeit beschlossen habe. Keine Muskel in dem thernen Antlitz zuckte, als er sich mit der Frage an seinen Arzt wandte: »So muß ich sterben?«

Drei Mal setzte der treue Diener an, das verhängnißvolle »Ja« auszusprechen, – die Stimme versagte ihm, erst beim dritten Mal kam es über seine Lippen.

Der Kaiser faltete ruhig die Hände – sein großes Auge wandte sich nach Oben – das Ohr des Arztes allein vernahm das leise Wort, das er flüsterte – es hieß: »Rußland!«

Mit freundlichem Blick wandte sich der dem Tode geweihte Herrscher dann zu dem Verkündiger der furchtbaren Botschaft und sagte, ihm die Hand reichend: »Ich danke Ihnen. Woher haben Sie den Muth gehabt, mir dies zu sagen?«

Dr. Mandt erwiederte, daß er nur ein Versprechen erfüllt habe, was er ihm früher gegeben; daß er es für seine Pflicht gehalten, weil er wisse, daß Er die Wahrheit hören und ertragen könne.

Der Kaiser nickte. Dann verlangte er das heilige Abendmahl und empfing es ruhig und gefaßt – sein starker Geist hatte mit dem Himmel seinen Frieden geschlossen, wie er ihn jetzt mit der Erde schloß. Er nahm Abschied von der Kaiserin, den kaiserlichen Kindern und Kindeskindern, segnete und küßte jeden Einzelnen mit fester Stimme dabei den Segen sprechend und ihnen Grüße auftragend für die beiden entfernten Söhne auf den Schlachtfeldern von Ssewastopol. Die Familie mußte sich dann entfernen, er behielt nur die Kaiserin und den Thronfolger bei sich.

Das geschah 4 Uhr Morgens.

Gegen sechs Uhr bat er die Kaiserin, sich etwas zur Ruhe zu legen. Ihre Antwort war: »Laß mich bei Dir, ich möchte mit Dir heimgehen, wenn es möglich wäre!« – Der Kaiser sagte darauf: »Nein, Du mußt noch hienieden bleiben; sorge für Deine Gesundheit, damit Du der Mittelpunkt der ganzen Familie sein kannst. Gehe nur, ich werde Dich rufen lassen, wenn der Augenblick herannaht.«

Jedes Wort bei diesem erhabenen Sterben war einfach und erhaben wie der Scheidende selbst.

Die Kaiserin verließ still weinend das Gemach – als sie die Schwelle überschritten, mußten ihre Kammerfrauen sie forttragen.

Der sterbende Herrscher ließ dann die Grafen Orloff und [229] Adlerberg, den Minister des kaiserlichen Hauses, und den Kriegsminister Fürsten Dolgorucki eintreten – diese drei Männer aus seiner Jugend, die ein ganzes Menschenleben neben treuen Unterthanen ihm treue Freunde gewesen waren.

Der Kaiser dankte ihnen für diese Treue und nahm Abschied von ihnen. Sein Auge begegnete ruhig und fest dem unruhigen vorwurfsvollen Blick Orloff's. Später ließ er seine spezielle Dienerschaft kommen, segnete sie und nahm Abschied von ihr. Der ersten Kammerfrau der Kaiserin, von Rohrbeck, dankte er besonders für ihre Pflege dieser und trug ihr einen Gruß auf an sein liebes Peterhof.

Der Kaiser, schon schwer athmend, befahl hierauf selbst, seinen nahen Tod nach Moskau, Warschau und Berlin zu telegraphiren und traf mehrere Anordnungen für sein Begräbniß, das er möglichst einfach wünschte. Dann – es war gegen 10 Uhr – wandte er sich mit der Frage an den Arzt, wie lange der Prozeß der Auflösung zu dauern pflege.

Weinend antwortete ihm Dr. Mandt: »Zwei Stunden.«

Jetzt trat eine schreckliche Stille ein – die Sprache hatte den Kranken verlassen – er betete still, sich oft bekreuzend, nachdem er die Hand seiner zurückgekehrten Gemahlin in die des Ober-Presbyter Bajanow, seines Beichtvaters, gelegt.

Diese Zeit der Stille war erhaben furchtbar. Die Hand der Gattin trocknete zitternd von Zeit zu Zeit mit ihrem Tuch die Perlen des Todesschweißes von der bleichen Stirn des Sterbenden 5. –

Bald nach eilf Uhr wurde der Thronfolger abgerufen und entfernte sich leise. Als er zurückkehrte, hielt er zwei Briefe in der Hand – die der so eben eingetroffene Sohn des Fürsten Menschikoff nebst den Depeschen über den Reiterangriff Chruleff's auf Eupatoria überbracht hatte.

Der Blick des durch das Geräusch aufmerksam gemachten Leidenden traf den Thronerben. Dieser beugte sich über ihn und flüsterte: »Briefe von meinen Brüdern aus Ssewastopol – willst Du sie lesen?«

Der Kaiser winkte verneinend – er hatte die Sprache wiedergefunden und sagte laut: »Es würde mich wieder auf die Erde zurückführen! Grüße meine tapfern Soldaten von Ssewastopol und danke ihnen in meinem Namen!«

Einige Minuten nachher sprach er mit eben so kräftiger Stimme:

»Ditez à Fritz, de rester toujours le même pour la Russie, et de pas oublier les paroles de Papa!«

[230] Es war sein letzter Gruß an die Erde – sein Testament für Rußland!

Der letzte Todeskampf begann – lange noch ruhte sein brechendes Auge auf den beiden Großfürsten, den jüngern Gliedern der Familie und auf der Kaiserin, deren Hand er in der seinen behielt und wiederholt drückte. Alle Anwesenden lagen auf den Knieen – das leise Murmeln der Sterbegebete von den Lippen des Priesters klang allein durch das Gemach.

Sie beteten für ihn – er betete mit ihnen, daß Gott der Herr sein unsterblich Theil barmherzig empfangen möge. – – –

Um 12 Uhr 10 Minuten verkündete Dr. Mandt, daß der Herrscher von Rußland so eben verschieden sei.

Nach dem Urtheil der Aerzte ist selten ein Mensch so leicht und schmerzlos gestorben, wie Kaiser Nicolaus!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Von Berlin brachte der Telegraph – zum ersten Mal sühnend jene unheilschwangere drängende Eile der Neuzeit – des Königlichen Freundes und Bruders frommes Trosteswort der heiligen Offenbarung:

»Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach

Fußnoten

1 1829 von Graf Orloff geschlossen.

2 Neuenburg!!!

3 Der französische Gesandte in Wien.

4 Das Institut der zahlreichen General- und Flügel-Adjutanten des Kaisers bildete gleichsam seine Executive. Als Vollstrecker seiner persönlichen Befehle flogen sie nach allen Richtungen des weiten Reichs, Strafe, Reform und Belohnung bringend.

5 Dies Tuch wurde später von der Kaiserin einem der treuesten Verehrer und Freunde ihrer Gemahls, dem bekannten Vorleser seiner Majestät des König von Preußen, Hofrath Louis Schneider, als erhabenes Andenken an den großen Todten übersandt.

3. Lagerbilder. Die Engländer
III. Lagerbilder. Die Engländer.

Mit dem Orkan am 14. November hatten die furchtbaren Leiden der englischen Armee vor Sebastopol begonnen. Der wolkenbruchartige Regen hatte dazu die ganze Gegend von Balaclawa bis zur Front in einen Sumpf verwandelt und die Verwüstungen, die er angerichtet, waren über alle Beschreibung. Von sämtlichen ohnehin äußerst schlecht construirten Zelten blieben nur drei im ganzen Lager stehen, – der Sturm war so heftig, daß er ganze Gefährte umwarf, Tische und Balken fortschleuderte, daß sich die Menschen am Boden festhalten mußten, um nicht fortgerissen zu werden, und daß die Soldaten verzweifelt danach riefen, zum Sturm gegen die russischen Batterieen geführt zu werden, weil sie wenigsten durch die Kartätschen umkommen wollten und nicht durch den Orkan. Die fliegenden Lazarethe, welche die mehr als jämmerliche Sanitätsverwaltung in Zelten eingerichtet hatte, wurden in den ersten Stunden schon zerstört, der Sturm brach die Stützen, riß die Zeltdecken fort und die Kranken wälzten sich in dem fußhohen Schlamm, überströmt von dem Regen. Stabsoffiziere und Gemeine krochen mit den notdürftigsten Kleidungsstücken, die sie aus der umherwirbelnden Zerstörung gerettet, in den Schutz von Hügeln, [231] Erdwürfen und Feldmauern; selbst die kommandirenden Generale unterlagen dem allgemeinen Elend, Lord Lucan z.B., der Befehlshaber der Kavallerie, mußte stundenlang bis an die Kniee im Schlamme zwischen den Trümmern seiner Hütte sitzen. Gegen Mittag war Schneegestöber eingetreten und die Berge ringsum waren bald in eine weiße Decke gehüllt. Viele Soldaten fand man am Morgen vor Kälte und Nässe umgekommen. Mitten in der Nacht – während aller Schrecken der Natur – überbrüllte eine furchtbare Kanonade von den Batterieen Sebastopols die Wuth des Sturmes, und die Bomben zischten und prasselten in weiten Bogen durch die zürnenden Lüfte.

Aber die schwersten Folgen des Orkans kamen erst nach. Während in der Kamiesch-Bucht, dem französischen Ausschiffungpunkt, unter der Kriegs- und Transportmarine die größte Ordnung herrschte, war in Balaclawa eine Verwirrung und Willkür, wie sie keine Feder beschreiben kann. Eine große Anzahl von Transportschiffen, mit Lebensmutteln, Fourage und Lagerbedürfnissen belastet, hatte auf Befehl draußen vor dem Hafen auf einem felsigen Meeresgrund von 35–40 Faden Tiefe vor Anker geben müssen, von 1200 Fuß hohen Felsen umgeben, obgleich es bekannt war, daß die Rhede in dieser Jahreszeit heftigen Stürmen ausgesetzt ist. Bei dem Orkan gingen diese Schiffe mit vielen Mannschaften elendiglich unter, sie zerschellten an den fürchterlichen Klippen, deren Anblick allein schon das Herz des kühnsten Seemanns mit Entsetzen füllen kann. Dadurch entstand Mangel an Lebensmitteln und Fourage. Man hatte überdies versäumt, den Weg von Balaclawa nach dem Lager während der trockenen Witterung auszubessern, und er befand sich jetzt durch das Regen- und Schneewetter in einem Zustande, daß er einer tiefen Kloake glich und der Transport fast unmöglich wurde.

In der Nacht des 28. November war überdies die Cholera ausgebrochen und ihre Verheerungen steigerten sich von Tage zu Tage. Schon zu Anfang December starben im englischen Lager durchschnittlich täglich 80 bis 90 Menschen. Außerdem wütheten der Scorbut und böse Fieber. Von den 20 Schiffslieutenants der Marine-Brigade konnten am 1. December nur noch fünf Dienste thun. – – –

Es war am Nachmittag des 13. Januar. – Die vor den englischen Linien gegen den Malachof angelegten Schützengruben waren mit Scharfschützen von verschiedenen Regimentern besetzt. Jede der Gruben, mehr als 100 Schritte vor den äußersten Linien, faßte 10 Mann incl. eines Offiziers und war für beide Parteien eine der gefährlichsten Waffen. Sie bildeten förmlich vorgeschobene Redouten, verlorene Posten, allnächtlich den Angriffen des Feindes ausgesetzt, aus denen aber während des Tages durch die Lücken der den Rand umgebenden Erdsäcke ein scharfes Büchsenfeuer auf Alles unterhalten wurde, was sich außerhalb des Schutzes der [232] Wälle oder der Laufgräben sehen ließ. Wer den Kopf über die Brüstung neugierig erhob, konnte sicher sein, im nächsten Augenblick ein halbes Dutzend Kugeln um seine Ohren pfeifen zu hören, wenn er sie überhaupt noch hören konnte.

Die Mannschaften in den Laufgräben wurden nur alle 24 Stunden abgelöst und die Schwäche der englischen Armee war bereits so groß, daß die Soldaten wöchentlich drei bis vier Mal diesen anstrengenden Dienst hatten. Eben so erfolgte die Ablösung in den Gruben nur alle 24 Stunden und jedes Mal bei Nacht, da während des Tageslichts die Batterieen des Feindes das Terrain nach allen Richtungen bestrichen.

Wir führen den Leser in das Innere einer solchen Grube, um ihm eine Probe zu geben von den furchtbaren Schrecken, welche die englische Armee nicht decimirten, sondern bereits fast vernichtet hatten.

Ein Offizier vom 95. Regiment, der uns bereits bekannt ist, jetzt in Folge der Inkermann – Schlacht Capitain Stuart, befand sich in der mittleren Grube. Außer ihm waren ein Fähnrich und sieben Mann darin, – der Zehnte fehlte, man hatte seine Leiche vor einer Stunde über den kleinen Erdwall geworfen, der die gefährliche Stellung gegen den Feind hin decken sollte.

In dem engen Raum herrschten Elend und Noth in vollem Maaße. Es gehörte ein scharfes Auge damals dazu, die britischen Offiziere von ihren Untergebenen zu unterscheiden. Eine rothe Uniform war fast nur noch bei den fortwährend eintreffenden und dennoch die Lücken nur spärlich füllenden Ersatzmannschaften zu erblicken und bald genug war ihr Glanz im Schlamm und Koth verschwunden. Der junge Mann, der neben dem Capitain auf einem Stein kauerte, die Füße bis über die Knöchel in dem Schlamm und Schneewasser, das den Boden der Grube bedeckte, trug freilich noch eine solche unter dem Soldatenmantel, aber eine alte Pelzmütze von tatarischer Form, die ihm sein entfernter Verwandter Stuart geliehen, hüllte bereits den Kopf ein. Darunter sah ein feines aristokratisches Gesicht hervor; – der arme Bursche, der nene Fähnrich der Compagnie, der O'Malley's Stelle eingenommen, war der jüngere Sohn eines englischen Peers und im Glanz des Reichthums erzogen, bis ihn der Familiengebrauch mit 50 Pfund Zuschuß hinausstieß in die Welt und Alles für ihn gethan zu haben glaubte, indem er ihm eine Offiziersstelle in einem Infanterie-Regiment kaufte. Fähnrich Ellisdale war erst vor sechs Tagen mit den letzten Ersatzmannschdaften eingetroffen und sein Traum von Ruhm und Ehre war in der kurzen Frist bereits kläglich zusammengeschmolzen.

Sein älterer Vetter, in dessen Compagnie er glücklicher Weise gekommen, war als bewährter Soldat besser geschützt gegen die Kälte und Nässe. Hohe Matrosenstiefel, damals ein sehr gesuchter Artikel und in Balaclawa mit dem fünffachen Preise bezahlt,[233] reichten bis über die Mitte der Schenkel. Ein tatarischer zerrissener Pelz, starrend von Schmuz und Fett, von dem übergeschnallten Säbelgurt zusammengehalten, bildete die Hauptbekleidung, während die Mütze mit einem dicken rothen Tuch umwunden worden. Aehnlich waren die meisten Soldaten bekleidet, – Flicken von allen möglichen Farben und Stoffen zierten als Ausbesserung Jacke und Beinkleider, – drei von den armen Teufeln aber hatten ein jämmerliches zerrissenes Schuhzeug, und die Lappen und Binden, mit denen sie ihre Knöchel und Füße umwunden, waren nur geringer Schutz gegen die Feuchtigkeit und Kälte.

Aber noch nicht genug dieses Elends, – auch Krankheit und Schmerz herrschten in der schrecklichen Höhle. Der eine der Soldaten litt fürchterlich an der rothen Ruhr, einem andern hatte eine russische Büchsenkugel den linken Arm zerschmettert, als er unvorsichtiger Weise beim Zielen ihn über die Deckung hinausgestreckt. An wundärztliche Hilfe war nicht zu denken, bevor die Ablösung in der Nacht erfolgt war. Der Capitain hatte den armen Menschen, so gut es gehen wollte, verbunden, aber das schmerzliche Stöhnen des Mannes unterbrach oft das Gespräch der Andern, das mit der Gleichgültigkeit geführt wurde, zu welcher die unbeschreiblichen Beschwerden bereits gegen die Leiden des Nächsten fast jedes Herz verhärtet. An der einen Ecke der Brustwehr, den Kopf hinter derselben verborgen und das Minié-Gewehr durch eine Oeffnung im Anschlag stand der Soldat, an welchem die Reihe des Postens war, während an der andern kaum 6 Fuß entfernten Seite Mick der Irländer, der wackere und heitere Diener des frühern Führers der Compagnie, die Spähwache hielt nach dem Artilleriefeuer der Russen.

Capitain Stuart führte die Aufsicht über die drei Schützengruben, die vor diesem Punkt der englischen Linien angelegt waren und hatte ein kurzes Schneegestöber um Mittag benutzt, um, auf dem Bauch fortkriechend, von seinem Standpunkt in der mittelsten die zur rechten Seite zu besuchen. Das rasche Aufhören des Schnees und das scharfe Feuer der Feinde fesselten ihn jetzt in dieser.

»So haben Sie also Cavendish gesehen, Ellisdale,« sagte er, die kurze Pfeife aus dem Munde nehmend und im Gespräch fortfahrend, »wie geht es dem Burschen?«

»Um vieles besser, als da Sie ihn selbst besuchten, Vetter. Die Wunde in der Brust ist geschlossen, das russische Bajonet hat keinen der edlen Theile verletzt und er hofft in höchstens vier Wochen wieder beim Regiment zu sein.«

»Beim Regiment – er wird sich verteufelt wundern, was davon noch übrig ist. Mickey und ich und drei oder vier Andere sind so ziemlich Alles, was Inkermann, die Cholera und die Kälte von der Compagnie im Dienst gelassen haben, die in jener höllischen Redoute unter dem tapfern Armstrong focht.«

[234] »O Akushla, mein Liebling,« warf Mickey ein, »es ist brav von Ihnen, Capitain, wenn Sie auch nur ein Schotte sind, daß Sie so gut sprechen von meinem seligen Herrn. Ich habe mir immer Vorwürfe gemacht, daß ich ihn um vier Schillinge betrog bei dem Verkauf der Rumflasche in jener gesegneten Nacht.«

»Ich sah, wie Du ihn aus dem Kampfe trugst, Bursche, und das wiegt manche Deiner Sünden auf,« sagte gutmüthig der Offizier. »Es ist mir lieb, daß Cavendish davonkommt, da ich jetzt nicht mehr auf seinen Tod zu warten brauche, um meinen Rang zu erhalten; außerdem kann der Bursche uns jetzt seine famose Tigergeschichte zu Ende erzählen. Aber wie gesagt, er wird sich wundern, obschon es dem 95. nicht allein so gegangen. Das 63. Regiment hatte gestern noch 7 Mann diensttüchtig und Goldies 46. noch 30. Die schottischen Garde – Füsiliere, die 1562 Mann stark nach der Krim kamen, zählen jetzt einschließlich der Offiziersbedienten und Corporale noch 210 Mann, – und in den meisten Brigaden steht es eben so 1

»Es sind 12 Regimenter seit vierzehn Tagen eingetroffen, drei von Corfu, eins aus Athen, drei von Malta, das 17., 39. und 89. von Gibraltar und zwei aus England, Sir,« sagte ein Corporal, »ich hörte es gestern in Balaclawa, als ich mit dem Fähnrich dort war.«

»Ja, aber sie werden kaum ausreichen, den Ausfall der Divisionen zu ergänzen. Der Lord hat, nach dem vorgestrigen Tagesbefehl, ihre Zahl ohnehin schon auf vier außer der leichten reduciren müssen. Doch erzählen Sie mir, Lionel, wie es Ihnen in Balaclawa ergangen ist. Der Major beklagt sich, daß Sie kaum ein Drittheil des Proviants mitgebracht.«

»Eine Kugel aus der dritten Schießscharte.« schrie Mickey dazwischen. »Muscha – sie zielten wahrhaftig hierher!«

»Rechts oder links vorbei, Bill,« sagte der Corporal zu seinem Nachbar, »es gilt eine Pfeife Taback!«

»Grade aus über den Kopf!« rief ein Anderer. In demselben Augenblick duckten Mick und der wachhaltende Schütze in die Grube nieder und zugleich überschüttete die in den niedern Erdwall einschlagende und über ihre Köpfe hin ricochettirende Vollkugel die ganze Gesellschaft mit einer Menge Erde und Schlamm.

»Damned! – Du hast wahrhaftig Glück,« sagte ruhig der Verlierende, »es ist wirklich meine letzte Pfeife.«

»Sie stehen in der Blendung so dicht wie die Sperlinge,« schrie der Irländer, schon wieder auf seinem Posten; »schieß, Jenkins, mein Junge! Eine Kugel für den Burschen, der so toll wie ein Märzhase auf der Brüstung steht!«

Der Schuß krachte bereits. Mick, als er den russischen Offizier fallen sah, hob sich mit halbem Leibe über den Grubenrand [235] und schwang jubelnd die Mütze. Aber sogleich riß eine Kugel aus dem nächsten russischen Versteck sie ihm aus der Hand, als Lection für die eigene Unvorsichtigkeit. Zugleich brachte von der andern Seite her ein ziemlich derber Rippenstoß des Capitains, verbunden mit einer wenig verbindlichen Verwünschung, ihn zur Ruhe. Beschämt und ziemlich trübselig beschaute der Irländer seine Hand. »Heiliger Patrik!« sagte er ärgerlich, »eine so schöne Kappe! ich habe sie Lieutenant Egerton vom Kopf genommen, als er am letzten gesegneten Freitag im Laufgraben von der Bombe zerrissen wurde und hätte sie mein Leben lang tragen können. Das hat man davon, wenn man sich darüber freut, daß so ein russischer Spitzbube an einer ehrlichen Kugel stirbt, statt an seinen verdammten Fiebern zu krepiren!« Die Andern lachten ihn aus, während der Kranke in seinem Winkel noch jämmerlicher stöhnte, und Mick kraute sich in den Haaren, deren dicke Wirrniß ihm ziemlich die verlorene Kopfbedeckung ersetzte.

Stuart wiederholte seine Frage nach Balaclawa, hauptsächlich um den jungen Mann, dessen Körper und Seelenkräfte sichtbar unterlagen, von seinem Brüten abzuziehen.

»Der Teufel hole das Nest, das eine wahre Hölle ist, und den Weg dahin,« sagte der Angeredete. »Dieser Weg ist Nichts, als ein Sumpf, in den mich Ihr elender Gaul nicht weniger als drei Mal warf, daß ich von oben bis unten mit einer faustdicken Kruste bedeckt war. Gott! wenn mich Cousine Ella oder auch nur die Gräfin, meine Mutter, in dem Aufzuge gesehen hätte – sie wären des Todes geworden. Pferdeleichen am Rande dieses Tümpels alle zwanzig Schritt weit. Viele Thiere so erschöpft, daß sie unterwegs zu Boden fallen und die Rationen, welche sie schleppen, vollends ungenießbar werden.«

»Goddam!« warf der Capitain ein, »es fallen täglich an fünfzig Stück; es sollen keine dreihundert dienstbare Pferde mehr im ganzen Lager sein!«

»Menschen wateten und stolperten durch diesen Schlamm uns entgegen, oder setzten sich mit furchtbaren Flüchen auf einen hervorragenden Stein, Bilder von Schmutz und unaussprechlichem Jammer. Siechthum und Entbehrung fast in allen Gesichtern – manche der unglücklichen Soldaten sah ich, bei denen die Krankheit eben zum Ausbruch gekommen, in ihren Leiden am Rande des Weges sich winden – ohne Hilfe, denn Jeder denkt hier nur an sich selbst. Dazwischen eine Escorte mit dem halb durchweichten Schiffszwieback beladen, das hier fast die einzige Nahrung scheint; – Männer, die man eher für Straßenräuber nach ihrem Aussehen halten sollte, als für britische Offiziere, auf einem rattenschwänzigen Pony, mit Reihen von Zwiebeln oder einem Sack Kartoffeln und ranzigen Würsten behängt, vorn auf dem Sattel ein Paar magere Hühner oder ein Stück Salzfleisch – über das [236] Alles ein Regen, der bis auf das Mark der Knochen erkältet und nur aufhört, um sich in stechenden Hagel zu verwandeln.«

»Ich weiß es, der Weg ist furchtbar!« meinte der Capitain; »es war schon im December unmöglich, nachdem man seine Ausbesserung versäumt, die Hütten für das Lager herauf zu transportiren. Alles Gefähr wurde ohnehin damals für die Kanonen und die Munition in Beschlag genommen, statt Magazine im Lager anzulegen, und man bekümmert sich den Teufel darum, was aus den Soldaten würde. Der Lord sitzt in seiner warmen Hütte wochenlang beim Schachspiel und denkt nicht daran, durch die Laufgräben zu kriechen, wie Canrobert thun soll. Sie wollen eine Eisenbahn bauen, wie ich höre, aber sie wird fertig werden, wenn die Armee erfroren und verhungert ist. Doch erzählen Sie von Balaclawa und wie es kam, daß Sie so wenig zurückbrachten.«

Der Fähnrich schauderte. – »Mir ist so unwohl – die Kälte dringt mir ordentlich an's Herz. Wenn ich nur einen einzigen Schluck Rum hätte!«

Der Capitain schüttelte vergeblich seine Flasche. – »Ich gab den letzten Tropfen an Mac-Mahon, den kranken Sergeanten, der dort in der Grube links mit sechs Andern liegt. Warum brachten Sie auch nicht wenigstens ein Fäßchen von dem schlechten Commissariatszeug?«

»Wir hatten drei Faß bei uns und ich trug selbst eins mit an der Stange,« klagte der junge Offizier, »da ein betrunkener Matrose Ihr Pferd gestohlen und damit auf und davon galoppirt war. Den Corporal hatte ich nach dem Matrosenlager geschickt, weil mir gesagt worden, daß alle verschwundenen Pferde dort anzutreffen sind. Wir legten es einen Augenblick nieder, als die Axe an der Karre brach, auf der die Brotsäcke und die anderen Fässer lagen, um Hilfe zu holen, und ich sprach die Zuaven darum an, die an der Marschlinie Wache halten. Der Teufel hole sie! -wie das Rudel Aasgeier, die rings umher auf den todten Pferden und Ochsen saßen, fielen sie über die Karre her, im Nu waren die Brotsäcke zerschnitten, die Zwiebeln gestohlen, die Fässer aufgeschlagen und der Rum vertheilt. Nur das Fäßchen, das ich selbst für die Compagnie mitgeschleppt und auf das ich mich zum Schutz setzte, konnte ich retten. Nicht einmal das Holz an der Karre ließen sie uns; die Halunken meinten spöttisch, sie brauchten es, um den Grogk dabei zu kochen, mit dem sie auf unsere Gesundheit trinken wollten.«

»Ja, ja – es sind prächtige Kerle, unsere Freunde, die Zuaven – immer lustig, gesund und wohlgenährt, ob von Katzenfleisch oder von englischem Speck, ist ihnen gleich. Aber verteufelte Spitzbuben sind die Burschen. General Bosquet lieh uns neulich ein halbes Regiment von ihnen und 500 Pferde und Maulthiere, um Munition und Mundvorrath herauszuschaffen, und wahrhaftig! die Sacrés arbeiteten wie die Bären trotz aller Tollheiten A propos [237] – haben Sie schon gehört, Vetter, wie wir um 200 Maulthiere gekommen sind, die wir in Varna gelassen und mit dem ›Jason‹ erwarteten?«

»Nein, es ist mir auch gleich, da sie doch nicht da sind und wir ihre Stelle vertreten müssen.«

»Hören Sie zu, mein guter Gesell, es wird Sie wenigstens zerstreuen. Man muß sagen, unsere Verbündeten, die Türken, haben eine eigenthümliche Art, ihre Rechnungen zu schließen. Der ›Jason‹ brachte also am 30. nur 100 Pferde und Maulthiere, von denen mehr als die Hälfte schon wieder den Hunden und Geiern zur Nahrung dienen, und einen dicken Türken, unter dessen Obhut sie in Varna zurückgelassen worden. Als er auf das Commissariat kam, trugen zwei Männer einen großen Sack ihm nach ›Von den Dreihundert, die Du mir anvertraut,‹ sagte der würdige Sohn Mahomeds, ›sind Zweihundert gefallen. Da hast Du den Beweis; zähle nach!‹ – Dazu schütteten die Männer den Sack aus, und 400 Pferde- und Eselsohren lagen vor dem erstaunten Ober – Commissair. Ich hätte das lange Gesicht sehen mögen! Aber ich wette, der ›Mashallah‹ hatte uns über unsere eigenen Ohren gehauen und in Varna die von allem krepirten Vieh für einige Piaster zusammengekauft.«

»Stop, Capitain! Der whistling Dick kommt!«

Der »pfeifende Dick« war der Beiname, den die englischen Soldaten kolossalen Kugeln von 16 Zoll im Durchmesser gegeben hatten, die 18 Pfund Pulver enthielten und aus einem bestimmten Mörser von einem Floß im Binnenhafen geschleudert wurden. Sie hatten bei ihrem Niederstürzen eine Kraft von wohl 500 Centnern und verbreiteten Tod und Verstümmelung rings um sich her.

Man hörte deutlich das Pfeifen der Bombe, wie sie näher kam, ihr Aufschmettern in dem Boden und dann ihr Zerplatzen. Alle in der Schützengrube hatten sich unwillkürlich so tief als möglich niedergebeugt.

»Der Henker hole das Ungethüm, wo es hinschlägt, wächst kein Gras mehr. Fahren Sie fort, Vetter, in Ihrem Berichte. Sie werden sich doch wenigstens das Rumfaß nicht unter'm Leibe haben wegstehlen lassen? Dennoch sitzen wir hier im Trocknen.«

»An Versuchen fehlte es nicht, – indeß ich zeigte den Burschen meinen Revolver, und später kam ein französischer Offizier dazu, bei dessen Anblick sie verschwanden, als hätte die Erde sie aufgenommen. Als ich aber in's Lager kam und meinen Unfall rapportirte, meinte Oberst Jea, es sei billig, daß unser Bataillon den Verlust trüge, und confiscirte das Faß zur Theilung an die beiden anderen.«

»Das ist fatal und gegen den alten Burschen läßt sich keine Einrede wagen. Seit man ihn für die Alma und Inkermann schmählicherweise bei der Beförderung übergangen, obschon er der [238] Klügste und Tapferste in der ganzen Armee war, ist ohnehin kein Auskommen mit ihm. Wie fanden Sie es in Balaclawa selbst?«

»Sehen Sie Dante's Aufschrift zur Hölle darüber, und Sie behandeln das Nest noch unverantwortlich gut. Keine Worte können seinen Schmuz, seine Greuel, seine Hospitäler, die Begräbnißstätten, die todten und sterbenden Türken, die vollgedrängten Gassen, die stinkenden Schuppen, die ganze säuische Umgebung und den Verfall beschreiben. Alle von Pest und Seuche entworfenen Schilderungen, von der Bibel an bis zu Boccac, Defoë und Moltke, erreichen noch lange nicht die einzelnen Bilder von Seuche und Tod, die man auf einem einzigen Gange durch Balaclawa dutzendweise sieht. Die sterbenden Türken haben jedes Gäßchen und jede Straße zu einer Cloake gemacht, und die schrecklichsten Formen des menschlichen Jammers, die in der ersten Stunde das Herz erschüttern, lassen bald gleichgültig, da man ihnen auf jedem Schritt begegnet. Ich hob die Bastdecke, die vor dem Thorweg einer elenden Hütte hing, in welcher ich Jammer und Stöhnen und Gebete zum Propheten hörte, und sah auf einer Stelle und in einem Augenblick eine Anhäufung von Leiden und Greueln, die mein ganzes Leben lang meine Träume vergiften wird. Die Leichen lagen noch auf derselben Stelle, wo die Unglücklichen gestorben waren, mitten unter den Lebenden, und die Letzteren boten einen über alle Vorstellungen der Phantasie gehenden Anblick. Die gewöhnlichsten Einrichtungen eines Hospitals fehlen, der Gestank ist entsetzlich – die faule Luft findet nur durch die Ritzen in Wänden und Dächern Abzug, durch die der Regen und Wind seinen freien Einzug erhält, und so weit ich beobachten konnte, sterben diese Menschen hier, ohne daß man den geringsten Versuch macht, sie zu retten 2

»Sie waren in unserm eigenen Lazareth – wie fanden Sie es dort?«

»Nicht besser, als in den fliegenden Baracken, die man zu gleichem Zweck im Lager hält. Ich sprach mit Cavendish darüber, die Aerzte sind Dummköpfe oder reichen nicht aus.«

»Wir kennen das. An der Alma fanden sich Chirurgen, die in ihrem Leben noch keine Arterie unterbunden hatten und einen armen Teufel als unheilbar verbluten ließen, der einfach durch den Arm geschossen war.«

»Die Luft ist auch hier verpestet,« erzählte der Fähnrich weiter; »nicht einmal hinreichend Stroh war vorhanden und die Commissaire weigerten sich, neue Verband- und Medicinvorräthe herauszugeben, obschon ein Transportschiff im Hafen sie an Bord hatte, blos weil das Sanitäts – Departement in London noch keine Ordre dazu gegeben hat.«

»Verdammt sei das schändliche System in unserer Armee!« [239] meinte der Schotte. »Diese Legion von Protokollen und Schreibereien lastet wie ein Fluch auf uns. Da haben wir das Zeugamts-Departement, das Sanitäts – Departement, das Commissariats-Departement und das eigentliche Militair – Departement, und alle diese Departements haben ihre eigenen Chefs und keines kümmert sich um das andere, sondern geht seinen Schlendrian fort.«

»In der That, es geht toll und verrückt her auf den Werften, wenn man diese Kothberge so nennen mag. Capitain Keen von den Ingenieuren hat 4000 Tons Bretter und Balken zum Hüttenbauen nach Balaclawa gebracht, aber er kann Niemand finden, der sie übernimmt oder aus den Schiffen ausladet. Unterdeß erfrieren unsere Soldaten unter freiem Himmel oder den leichten Zelten. Ein Theil der Vorräthe an Winterkleidern ist mit dem ›Prince‹ auf der Rhede untergegangen, ein Schiff mit Winterkleidern für die Offiziere, wie ich hörte, bei Constantinopel verbrannt. Dennoch wäre immer noch genug vorhanden, wenn man es nur vertheilen wollte. Man hat wochenlang offene Lichterschiffe mit warmen Ueberröcken und Handschuhen für die Mannschaften im Hafen allem Regen und Schnee preisgegeben, und als man die Sachen an's Land brachte, wollte Niemand sie in Empfang nehmen, ohne durch Befehl ermächtigt zu sein.«

Der Erzähler, dem die Bewohner des traurigen Aufenthalts mit Ingrimm lauschten, machte unwillkürlich eine Pause und preßte die Hände gegen den Leib. Sein Gesicht verzerrte sich und er wand sich einige Augenblicke in heftigem Schmerz, der jedoch zum Glück bald wieder vorüber zu gehen schien, denn er faßte sich gewaltsam und fuhr fort:

»Ich selbst sah auf dem Werft im Regen und Schnee neben den aufgetürmten Kugeln und Bomben Berge von warmen Filzstiefeln, Röcken und anderen Kleidungsstücken, von Brot und Salzfleisch, Theekisten und hundert anderen Dingen. Eine Schildwache stand dabei und man sagte mir, daß sie dort seit zehn Tagen lagerten, während wir hier – keine Stunde davon – Noth an Allem haben.«

»Und erzählten Sie dies dem Obersten Yea?«

»Ich sagte ihm Alles und er schwor, wenn er binnen drei Tagen nicht Proviant und Kleidungsstücke habe, wolle er mit den Schotten nach Balaclawa marschiren und mit dem Bajonnet sich das Seine holen.«

»Bei der Distel von Schottland – er ist der Mann, Wort zu halten.«

»Die Sterblichkeit unter den Türken in Balaclawa und auch unter unseren Leuten ist furchtbar, man trägt die geschwollenen Leichen halb nackend während aller Stunden des Tages durch die Straßen und scharrt sie wenige Zoll tief in große Gruben am Abhang des Hügels – ich sah ihrer in den wenigen Stunden mehr als siebenzig an mir vorüber bringen. Sturm und Regen [240] spülen die leichte Erddecke bald herab und die verwesenden Gebeine der Todten ragen aus den Hügelseiten und verbreiten neues Miasma, und nicht blos während der Nacht halten die Geier und wilden Hunde hier – – –« er unterbrach seine Rede mit einem schmerzlichen Aufschrei und preßte die Hände fest auf den Leib.

»Was ist Ihnen, Lionel? – halten Sie sich wacker, mein armer Bursche, wir haben ja nur noch wenige Stunden in diesem Höllennest auszuhalten.«

Der junge Mann wand sich in bitteren Leiden. – »Ich werde die furchtbare Krankheit bekommen,« stöhnte er, »man wird mich in jene schrecklichen Lazarethe bringen und das ist mein Tod. O, wenn ich nur etwas Warmes erhalten könnte! einen einzigen Becher heißen Kaffee's! – es könnte mich retten.«

Sein Verwandter sah rathlos umher. – »Wir haben wohl Kaffee bei uns, aber keinen Span von Holz, wir müßten denn unsere Büchsenschäfte verbrennen. Armer Junge, das war kein Land für Sie! und solche Burschen schicken sie uns duzendweis.«

Der Irländer hatte mit Theilnahme die Noth seiner Offiziere gesehen. – »Muscha,« sagte er, »das Dings da schaut aus wie eine Axt von einem der Kerle mit den langen Bärten, und das da drüben ist, wenn ich richtige Augen mit auf die Welt gebracht habe, ein umgehauener Baum oder ein Balken von den Schanzgräbern. Holz woll'n wir schon kriegen, Sir, wenn nur der Capitain einen Augenblick meinen Posten einem Andern zutheilen will.« Damit begann er, sein Gewehr zurücklassend, bereits über den Rand der Grube zu klettern.

Capitain Stuart wollte ihn zurückhalten. – »Kerl, Du bist rasend! Du bist durchlöchert wie ein Sieb, ehe Du zwanzig Schritt zurückgelegt hast.«

Aber Mickey war bereits aus der Grube und wackelte langsam und ohne seine Pfeife ausgehen zu lassen, auf den Baum zu, nachdem er mit einer – unbeschreiblichen Geberde nach den russischen Schanzen hin seine Verachtung aller Gefahr ausgedrückt hatte.

»Lassen Sie ihn gewähren, Sir,« sagte der Corporal, »es ist ohnehin zu spät und ich habe oft gesehen, daß Tollheit und Uebermuth am besten gegen die Kugeln fest machen. Wir wollen lieber die Burschen auf den Wällen und in den Gruben im Auge behalten.«

In der That erwies es sich so, wie der alte Soldat prophezeiht. Des tollen Irländers Uebermuth war sein bester Schutz, denn während er gemächlich begann, einen Vorrath von Spänen abzuhauen, schienen die Russen zuerst ganz erstaunt über dies kalte Blut. Bald genug iedoch knatterte ein bleierner Platzregen um den seltsamen Holzhacker her, der aber noch ganz ruhig eine Zeit lang fortarbeitete. Die Russen, dadurch noch wüthender gemacht, feuerten nun um so leidenschaftlicher, und selbst drei Mal mit einer Kanone, deren Vollkugel kaum zwölf Schritt zur Seite über die [241] Ebene schlug, ohne daß sich Mick deshalb im Geringsten beeilte. Offenbar rettete ihn nur die Leidenschaftlichkeit der Feinde, die sie nicht zum ruhigen Zielen kommen ließ, außerdem aber unterhielten die besten Schützen der seinen und der nächsten Grube, sobald man den kühnen Streich des Mannes bemerkt, ein scharfes Feuer auf Alles, was sich vom Feinde blicken ließ, und Capitain Stuart schoß selbst einen der Kanoniere in der Schießscharte nieder, aus der man die Kanone auf den Irländer gerichtet. Dennoch schützte ihn eben nur der Zufall, während seit diesem bald in der ganzen Armee bekannten Vorgang riele seiner Kameraden den Irländer als kugelfest verschworen.

Der Verwegene sah sich endlich die abgehackten Späne an, schien zu überlegen, ob es genug seien, kauerte dann nieder und sammelte das Holz in seinen großen Feldmantel, latschte zurück durch die ununterbrochenen Salven und sprang unversehrt mit seinem Schatze wieder herab, nachdem er den Russen noch mit der Faust gedroht. Man sah's ihm an, er hatte in seiner echt nationellen Sorglosigkeit keine Vorstellung davon, welcher Gefahr er sich eben ausgesetzt, denn kaum daß er im Schutz der Grube sich befand, traf eine vierte Kanonenkugel des Feindes, der jetzt die Richtung gefunden, den Stamm und zerschmetterte ihn.

In einem kleinen Feldkessel wurde das Feuer angemacht, da der Boden zu naß war, um zur Unterlage zu dienen, und eine große zinnerne, längst geleerte Feldflasche diente dazu, mit den Schneewasser starken Kaffee zu bereiten, wovon lieber nach wiederholten Auflagen seinen Antheil bekam, denn Mickey war fürsorglich gewesen und hatte auch an »etwas Warmes« für sich gedacht. Die Leiden des jungen Offiziers linderten sich, obschon häufig Fieberschauer durch seine ohnehin vor Kälte bebenden Glieder fuhren; dagegen starb bald darauf unter schrecklichen Convulsionen der Soldat, den die Ruhr überfallen. Man hob die Leiche zu seinem Kameraden über den Grubenrand.

Die Schrecknisse und Gefahren der kleinen Besatzung in der Schützengrube sollten mit diesem zweiten Todesfall jedoch noch nicht ihr Ende erreicht haben, obschon bereits der Abend Hereinzubrechen begann. Die Russen feuerten jetzt häufig mit Kartätschen über die Fläche, theils um Wagnisse, wie das vorhergegangene, unmöglich zu machen, theils um den Rückzug an den Schützengruben zu verhindern. Dazwischen zischten von Zeit zu Zeit Bomben über ihren Köpfen und schlugen mehrmals unfern von ihnen in den Boden, sich dort im Zerspringen ein trichterförmiges Loch wühlend.

Capitain Stuart sah nach seiner Uhr. – »Ich muß Sie verlassen, Vetter,« sagte er, »und auf alle Gefahr versuchen, die Grube links zu erreichen, um von dort die Signale für die ganze Linie steigen zu lassen, denn verschiedene Anzeichen beweisen mir, daß die Feinde sich bereit machen, bei eingetretener Dunkelheit einen [242] Ausfall zu machen, und wir müssen auf unserer Hut sein. Halten Sie –« er vollendete nicht, denn das Krachen einer einschlagenden großen Bombe unterbrach ihn und ein gellender Angst- und Hilferuf übertönte selbst den Donner der Geschütze.

»Heiliger Patrik – es ist der pfeifende Dick!«

»Wo – wo? – die Kugel muß in die Trancheen gefallen sein.«

»Nein, nein – da links – sehen Sie – die Grube – unsere Kameraden!«

Die Männer hatten sich bereits über den Rand der ihren erhoben, unbekümmert um die Gefahr; – in der Richtung, in der die mittlere Schützengrube lag, wirbelte eine Erd- und Dampfwolke in die Höhe – im Dämmerlicht glaubten sie eine menschliche Gestalt zu schauen, die auf den Rand der Grube emporsprang, zwei Mal mit den Armen wild durch die Luft schlug, im nächsten Augenblick aber in einem aufzischenden Feuerstrahl verschwand – sie meinten die zerrissenen Glieder umherfliegen zu sehen, – ein Krachen, ein Zifchen, einzelne Eisenstücke der springenden Bombe flogen durch die Luft – dann war Alles bis auf die Rauchwolke über dem unglücklichen Platz verschwunden und nur ein vereinzeltes Feuer der Geschütze aus den russischen und englischen Batterieen unterbrach in regelmäßigen Intervallen die furchtbare Stille.

Die Männer in der Grube waren zurückgetaumelt in deren Inneres bei dem Anblick, dessen Schrecken die Blitzesschnelle und Undeutlichkeit noch vergrößert hatten. Der Capitain hatte die Augen mit der Hand bedeckt. – »Der Allmächtige sei ihren Seelen gnädig! – sieben wackere Bursche, wie sie die Küsten Englands nur jemals in Kampf und Tod gesandt, sind in einem und demselben Augenblick zur Ewigkeit abberufen.«

»Wie, Capitain,« sagte der Fähnrich, »sie sollten Alle getödtet sein? Vielleicht sind Einzelne nur verwundet – –«

»Die Bombe muß mitten unter sie geschlagen sein, selbst der Mann, der sich trotz des Luftdrucks zu retten versuchte, mußte zu Atomen zerrissen werden. Das Schreckliche kommt glücklicherweise nur selten vor, aber der traurige Fall vor uns ist nicht der einzige und wird nicht der einzige bleiben. Lassen Sie uns ein Vaterunser beten als gute Christen für Sergeant M'Mahon und seine Tapfern, und dann leben Sie wohl, denn die Russen haben eine Pause gemacht mit ihren höllischen Kartätschen und ich muß sie benutzen. – In zwei Stunden werden Sie abgelöst, wenn wir dann noch am Leben sind.«

Es war finster geworden während der letzten Scene und Capitain Stuart schien im Schutz der Dunkelheit glücklich auf seinem Stationsposten angekommen zu sein, denn etwa eine halbe Stunde nach seiner Entfernung, die er größtentheils auf dem Boden fortkriechend bewirkt hatte, sah man von dort eine blaue Leuchtkugel [243] emporsteigen als Zeichen für die Laufgrabenwachen, auf ihrer Hut zu sein.

Die Russen schienen jedoch an Nichts weniger zu denken, als an einen Ueberfall. Das Feuer war nach und nach schwächer geworden und hatte endlich ganz aufgehört. Der Wind hatte sich nach Süden gewendet und es trat Thauwetter ein. Von den Tschernaja – Höhen und der Nordseite der Festung leuchteten große Wachfeuer, – die öffentlichen Gebäude in der belagerten Stadt schienen illuminirt, selbst in den Batterieen sah man Lichtreihen hin- und herziehen. Und jetzt klang durch die eingetretene Stille majestätisch von der Stadt her, wie in jener Nacht vor Inkermann, das volle Geläut aller Glocken, das die Bewohner und die Besatzung zur Wladimir – Kathedrale und den andern Kirchen der Stadt rief.

Die Engländer wußten sich anfangs die Erscheinung nicht zu erklären, bis der Fähnrich sich erinnerte, daß der gregorianische Kalender um zwölf Tage zurückdatire und die Russen daher an heutigen Abend erst ihr Neujahr feierten.

Der Schein der Freudenfeuer machte einen traurigen Eindruck auf die armen, halb verhungerten und erfrorenen Teufel in den britischen Laufgräben und vorgeschobenen Posten, und sie harrten mürrisch und nur selten ein Wort wechselnd, von Krankheit und Gefahren zum Tode erschöpft, der Ablösung, die nun bald im Schutze der Nacht kommen mußte.

In der That hörte man, als die Zeit herannahte, Tritte – doch das krieggewohnte Ohr des Corporals wollte darin nicht den Schritt der Patrouillen, sondern das compacte Marschiren einer großen Masse erkennen. Der Fähnrich hatte erst bei dem eingetretenen Thauwetter empfunden, daß einer seiner Füße erfroren war und nur mit Mühe bewegt werden konnte. – Mick, der Irländer, spähte für ihn am Rande der Grube.

»So wahr ich im Fegefeuer schwitzen werde, wenn mich nicht irgend eine Seele herausbetet,« sagte der sorglose Bursche. »Ihl habt Unrecht, Corporal. Ich höre deutlich das Kommando von den Laufgräben her kommen und meine Ohren sind groß genug, um so eben ein gesegnetes Goddam zu verstehen.«

»Dann kommt Freund und Feind zugleich,« flüsterte der alte Soldat, »denn von der Bastion her naht eine dunkle Reihe und ich höre ihren Tritt! – Feuer, Kameraden, daß wir die Unsern warnen!« – Er schoß sein Gewehr in die Nacht hinein ab. Ein donnerndes »Urrah« antwortete dem Schuß und verkündete, daß er Recht gehabt. Dann stürmte unter wildem Kampfruf eine breite, festgeschlossene Reihe über die Fläche daher und gegen die Gruben und die erste Linie – – –

Fußnoten

1 Offizielle Zahlen.

2 Wir benutzen zu diesen Schilderungen die wörtlichen Berichte der Times, um uns gegen den Vorwurf der Uebertreibung zu sichern!

4. Der Ausfall. Die Russen
[244] IV. Der Ausfall. Die Russen.

Die Nachricht von dem Tode des Kaisers hatte zunächst dumpfen Schrecken und Schmerz – dann das Gefühl erbitterter Rache in den Herzen der braven Besatzung von Ssewastopol hervorgerufen.

Man hatte die erste Kunde durch einen Ueberläufer aus dem Lager der Alliirten erhalten – das electrische Fluidum über Wien und Varna lief rascher, als die Couriere über Moskau und Perecop.

Jeder Zusammenstoß mit dem Feinde ward seitdem noch blutiger, mörderischer, denn zuvor. Das Testament des Kaisers, sein letzter Gruß an die Tapfern hatte die Begeisterung, den Fanatismus zum wildesten Haß gesteigert.

Wir haben bereits erwähnt, daß seit der Uebernahme des Kommando's in Ssewastopol durch den General-Adjutanten Baron Osten – Sacken das Vertheidigungssystem ein anderes geworden. Man war aus der Defensive in die Offensive übergegangen, und in der That waren während fast dreier Monate die Belagerer mehr die Belagerten, als die Garnison der Festung.

Seit der Nacht zum 11. December hatten die Ausfälle der Besatzung mit wechselndem Glück, aber mit stets gleicher Kühnheit ununterbrochen die Feinde in Allarm gehalten und sie gezwungen, zu allen Stunden eine zahlreiche Menge Truppen in den Trancheen zu halten, was die durch Krankheit, Mangel und Witterung erschöpften Armeen noch mehr aufrieb. Die Namen Golowinski, Birjulew, Titof, Actachof, Sawalischin, Rudakowski und andere mehr, werden als die kühner Führer gewagter Unternehmungen immer glänzen auf den Blättern der russischen Kriegsgeschichte jener Tage.

Doch nicht auf solche Ueberfälle allein beschränkte sich die Taktik der Kommandanten. Wir wissen aus dem Munde des Kaisers selbst, wie gut man den gefährdetsten und wichtigsten Punkt der Festung auf russischer Seite kannte, den Malakoff – Hügel (weißen Hügel) mit seinem Thurm – jetzt zum Andenken an den gefallenen Helden die KornilofskiBastion genannt. Daher galt es, hier die Vertheidigungswerke auf das Möglichste zu stärken.

Totleben war rastlos thätig im Entwerfen neuer Pläne und das tapfere Genie – Corps der Festung unermüdlich in ihrer Ausführung. Mit zauberhafter Schnelle wuchsen über Nacht neue Werke empor und die erstaunten Feinde sahen am Morgen Wälle und Schanzen, wo sie vielleicht schon am nächsten Tage ihre Pakallelen zu ziehen gehofft hatten.

Gegen die unterirdischen Arbeiten der Franzosen, namentlich vor der Mast-Bastion, wurde mit Erfolg ein System von Contreminen [245] geführt. Contre – Approchen und Feldwerke wurden zur Deckung des linken Flügels vergeschoben. Das Selenginski'sche Regiment erbaute in der Nacht zum 23. Februar auf der rechten Seite der Kilenschlucht, also auf seither dem Gegner preisgegebenem Gebiet, die nach ihm benannte Redoute, so überraschend und plötzlich, daß der verduzte Feind den Bau nicht einmal zu stören suchte. Erst in der folgenden Nacht versuchte General Monet mit 5 Bataillonen die Russen aus den noch unvollendeten und noch nicht armirten Werken zu vertreiben, wurde aber mit furchtbarem Verlust durch das Bajonnet und das Feuer der auf der Rhede ankernden Dampfschiffe »Wladimir«, »Chersones« und »Gromouosz« zurückgetrieben.

In der Nacht zum 1. März wurde noch weiter vorgeschoben ein zweites Werk erbaut, die Wolinski'sche Redoute. Beide, durch Trancheen verbunden und Schützengruben vor sich, deckten jetzt den linken Flügel der russischen Stellung, die Bastione I. und II. bis gegen den Malakoff hin. Auch bei diesem kamen die russischen Ingenieure den Arbeiten der Franzosen zuvor, welche in Folge des dürch General Niel angerathenen neuen Angriffssystems jetzt den Posten der Engländer auf dem rechten Flügel (also gegen Bastion I., II. und III.) [Malakoff] eingenommen hatten, und erbauten in der Nacht zum 11. März auf einem etwa tausend Schritt vor der Kornilofski – Bastion liegenden und dieselbe bestreichenden wichtigen Hügel die Lünette Kamtschatka.

Von diesen drei so kühn vorgeschobenen Werken aus bedrohten die Russen die Belagerungsarbeiten durch fortwährende neue Ausfälle, während der Feind wiederholte Stürme auf diese Werke unternahm, die Ströme von Blut kosteten, aber tapfer zurückgeschlagen wurden, so namentlich der Sturm auf die Lünette am 17. März.

Am 20. März war der neuernannte Ober – Befehlshaber der Krimm – Armee. Fürst Gortschakoff, in Ssewastopol eingetroffen – er kam, um den Tod eines der Helden von Ssewastopol, des jungen Contre – Admirals Istomin, zu betrauern, der am Tage vorher bei dem Bombardement, das die Verbündeten gegen die Schiffer – Vorstadt und die Werke des linken russischen Flügels gerichtet, deren Kommandant er war, in der Kamtschatka – Lünette getödtet worden.

Am 22. März endlich hatten die Franzosen die Schützengruben vor der Lünette erobert; – die Engländer hatten die Aufmerksamkeit für den Bau der neuen russischen Werke benutzt, um ihrerseits vom sogenannten grünen Hügel aus, der Chapman – Batterie zwischen dem Labordonaja- und Sarakandina – Grund, eine dritte Parallele gegen den Redan – die Bastion Nr. III. – vorzutreiben. Sofort beschloß der Fürst, die Gegner aus diesen Stellungen zu werfen.

Es war am Nachmittag des 22. März; – die Mast-Bastion, [246] von deren Höhe wir der Eröffnung der Kanonade auf die bedrängte Stadt beigewohnt, war nebst ihren Aufgängen und bedeckten Wegen gefüllt mit Soldaten, die, in Gruppen umherlagernd, ihre Waffen in Stand setzten, kochten oder schliefen.

Es sind Jäger der 30. und 45. Flotten-Equipage, des Ochotski'schen Jäger-Regiments und des 6. Wolinski'schen Reserve-Bataillons außer der Besatzmannschaft der Bastion; das Feuer, das mit den gegenüberliegenden französischen Batterieen gewechselt wurde, ward von beiden Seiten nur schwach und in Intervallen unterhalten. Schärfer und rascher donnerte es von dem östlichen Ufer der Südbucht herüber.

Eine ernste feierliche Stimmung schien in der ganzen zahlreichen Besatzung vorzuherrschen und das Gespräch der Offiziere belehrte alsbald über die Ursache.

Vor einer der Erdhütten, die am Eingang der Bastion zahlreich zum Schutz gegen die feindlichen Kugeln gegraben waren, saß eine Gruppe von Offizieren, in ihre grauen Mäntel gekleidet, rauchend und sprechend. Das Werk bot jetzt freilich einen sehr verschiedenen Anblick gegen damals, als die Belagerung er öffnet wurde. Der Platz ist schmuzig, von allen Seiten mit Schanzkörben, frischen Erdaufschüttungen, Kellern, Plattformen, Erdhütten umgeben. Große eiserne Geschütze stehen umher und Kugeln liegen in unregelmäßigen Haufen dabei. In der Mitte, halb versunken in den Koth, liegt ein demontirter Mörser, der noch nicht fortgeschafft werden konnte. Der Infanterie-Soldat, der als Schildwacht an der Batterie auf-und abschreitet, zieht nur mit Mühe die Füße aus dem klebrigen Schlamme hervor – überall sieht man Splitter, nicht gesprungene Bomben, verdorbene Waffen. Die Tranchee, die an dem Innern des Berges hinauf läuft zum Eingang der Bastion, wird von den Leuten fast gar nicht mehr benutzt, sie setzen sich lieber den Gefahren des daneben her laufenden offenen Weges aus, statt bis an die Knie in dem dünnen Schlamm zu waten. Auch die Russen haben entsetzlich gelitten während des Winters durch das Schwert der Feinde und die gräulichen Lazarethfieber – aber ihr Muth, ihre Hingebung ist ungebrochen, und selbst das Matrosenweib in ihrer alten Schubeika und den Soldatenstiefeln schreitet keck und unbekümmert um die feindlichen Kugeln nach der Bastion, ihrem Manne eine Suppe oder einen wärmenden Tränk zu bringen.

Bei Lieutenant Birjulew, durch die grüne Marineschärpe kenntlich und durch viele kühne und glücklich geleitete Ausfälle während der letzten Zeit bei den Soldaten sehr beliebt, saßen mehrere Kameraden von verschiedenem Rang und verschiedenen Corps: Capitain Thonagel vom 4. Sappeur-Bataillon, dessen Brust das Georgen-Kreuz schmückt für die Ingenieurarbeiten in der [247] Mast-Bastion 1, Oberstlieutenant Sazepin, Lieutenant Tokarew von den Ochotsker Jägern und der Fähnrich Ssemenski.

»Sie waren in der Stadt bei dem Begräbniß, Sazepin,« sagte der Sappeur-Capitain, »und es kann uns also nicht wundern, Sie heute so auffallend traurig zu sehen. Fühlt doch der geringste Matrose und Soldat gleich uns den Schmerz um den braven Istomin. Ich bitte Sie, erzählen Sie uns von dem Begräbniß des Wackern.«

Der Podpolkawnik hatte Kopf und Arm auf das Knie gestützt in tiefes Sinnen verloren gesessen und fuhr jetzt aus diesem empor. »Ich weiß nicht,« sagte er verstimmt, »was mit mir vorgeht, aber diese Bestattung mahnt mich unwillkürlich daran, wie bald auch mir die Stunde schlagen mag!«

»Bah – dafür sind wir Soldaten und müssen jeden Augenblick zum Abmarsch bereit sein,« meinte Birjulew, seine Papiercigarre drehend. »Ueberdies haben Sie vorläufig keinen gefährdeten Posten, da Woschtschenski an Achbauer's 2 Stelle getreten und die Trancheen von der Redoute ›Schwarz‹ bis zu uns vollendet sind.«

Der Oberstlieutenant strich mit der Hand über sein Gesicht und entgegnete: »Sie haben Recht, – ich dachte nur einen Augenblick an Frau und Kinder, aber Jurkowski's Beispiel leuchtet uns vor, der jetzt am Malakoff kommandirt und erklärt hat, daß nur das Grab oder schwere Verstümmelung ihn von dort entfernen würden. Als man ihm gestern die Botschaft von seiner Frau aus Simpheropol brachte, die das erste Bombardement hochschwanger mit sechs Kindern hier mit uns erlebt, daß sie von der Cholera ergriffen dem Tode nahe sei und ihn bitten lasse, nur auf einen Tag hinüber zu kommen, antwortete er: ›Nicht auf eine Stunde kann ich meinen Posten verlassen!‹«

»Echt spartanisch!« brummte der Jägerlieutenant.

»Ja, spartanisch – spotten Sie immerhin. Tokarew! Die Thaten des klassischen Alter hums reichen nimmer an diese Aufopferung, die wir täglich hier von dem Geringsten sehen, während er weiß, daß sein name spurlos in der Menge verschwinden wird. Oder wägt die Forderung der spartanischen Mutter: ›Mit dem Schilde oder auf dem Schilde!‹ etwa höher, als gestern die Antwort Ihres Kameraden Wickhort, da er schwer verwundet fortgetragen wurde und der General ihn fragte, welche Belohnung er [248] wünsche, ob das Georgen-Kreuz oder Beförderung: ›Lassen Sie eine neue Bombenkanone auf die vierte Bastion bringen!‹?« – Doch Sie wollen von Istomin's Begräbniß hören? In der Wladimir-Kathedrale liegt er begraben gleich neben Korniloff, und Nachimoff, der Dritte im Bunde unserer Seehelden, beugte sich über die Gruft und ich sah seine Thränen fallen auf den Sarg. Aber er seufzte nicht nach dem gefallenen Waffenkameraden, sondern nach dem Loos, das jenem gestattete, die Entehrung der russischen Seeflagge nicht länger mit anzusehen, die Mentschikoff ihr auferlegt. Denn gleich darauf, als General Osten-Sacken ihm vorstellte, daß er ihm in seiner Eigenschaft als Truppenkommandant der Festung verbieten müsse, sich der Gefahr noch länger ebenso tollkühn auszusetzen, wie der Gefallene gethan, da sein Leben für Rußland unschätzbar sei, – da antwortete der Admiral ihm trotzig: ›Euer Excellenz würden dasselbe thun, wenn man Ihnen den Säbel ander Hand nähme und Sie mit einer Fuchtel bewaffnen würde.‹

Der Marinelieutenant reichte dem Erähler die Hand: »Er hat Recht – Gott möge ihn wenigstens uns erhalten. Aber dennoch meine ich, hat die Marine auch hier auf dem Lande ihre Schuldigkeit gethan.«

»Das hat sie – und der Ruhm der Vertheidigung Ssewastopols gehört ihr zur großen Hälfte. Jetzt schmälert sie uns Soldaten ihn noch bei den Ausfällen, bei denen sie immer voran!

Haben Sie Ihre näheren Instructionen schon erhalten für heute Abend, Herr Kamerad?«

Birjulew halte sich leicht für das Compliment verneigt. »Noch nicht, Herr Oberstlieutenant. Ich kenne nur im Allgemeinen den Zweck und weiß allein, daß unsere Diversion zur Unterstützung der Hauptattaquen unter Generallieutenant Chrulef von der Kamtschatka-Lünette und der griechischen Freiwilligen des Fürsten Morusi von der Bastion III. dienen soll. Aber ich erwarte sie jeden Augenblick.«

»Man muß gestehen, der General en chef hält ein gutes Entree. Ich wünsche nur, daß er so fortfährt.«

»Man hegte eigentlich kein besonderes Vertrauen auf seine Energie,« sagte vorwitzig der Fähnrich. »Er soll überaus vorsichtig und schwer von Entschlüssen sein.«

»Das ist es, was man dem Fürst-Admiral eben nicht zum Vorwurf machen konnte,« fiel der Sappeur ein, »indeß ist es eine wichtige Eigenschaft für den Feldherrn. Etwas mehr Vorsicht hätte uns Inkermann nicht verlieren machen.«

»Ssoimonof's Versehen trug die Schuld. Der Fürst war einer jener Kolosse von Erz, für die es Zufälle und Möglichkeiten nicht giebt. Es ist merkwürdig, daß diese harte Natur mitunter so viel Laune und Gemüthlichkeit bewies. Ist er bereits abgereist?«

»Gestern Morgen. Seine Gesundheit soll sehr angegriffen [249] sein. In Petersburg galt er früher als Witzbold. Barjatinski hat uns manche hübsche Anekdote von ihm erzählt.«

»Richtig! Sein Epigramm auf den Herzog von Leuchlenberg und dessen Georg brachte ihn ja eine Zeit in Ungnade. Aber er war stets ein tapferer Soldat. Die Eroberung von Anapa begründete seinen Ruf.«

»Bei Varna,« fügte der Podpolkawnick bei, rollte ihm eine matte Kanonenkugel über den Fuß, während er eine Prise Schnupftaback nahm. Ader nicht ein Körnchen ging ihm verloren, während er sagte: ›Hätte der Bursche so viel Pulver mehr gehabt, wie ich hier zwischen den Fingern halte, so hätte ich ein Bein weniger.‹

Die Anekdote mit dem Knopf ist kostbar und soll durch alle europäischen Zeitungen die Runde gemacht haben.

»Bitte, lassen Sie hören, Birjulew, ich kenne sie nicht,« bat der Jäger-Offizier.

»Ei sie in bald erzählt. Capitain Beaufort von den britischen leichten Dragonern war bei Balaclawa gefangen genommen und zur Heilung einer Wunde nach Simpheropol gebracht worden. Bald darauf gingen durch Gelegenheit eines Parlamentairs Briefe für ihn ein, und da es Vorschrift, daß alle Schreiben an und von Kriegsgefangenen vor der Uebergabe gelesen werden, geschah dies auch mit den Briefen des Capitains. Einer davon – der Engländer gehört zur Pee rage – war von einer Dame. Sie bat ihn. Ssewastopol so bald als möglich einzunehmen, damit er zu den Almaks noch in London sei, aber auch Fürst Mentschikoff in Person nun Gefangenen zu machen und ihr zum Beweis seiner Tapferkeit einen Knopf von des Fürsten berühmten Paletot mitzubringen. Als dem britischen Capitain dieser Brief übergeben wurde, fand er einen andern dabei von des Fürsten eigener Hand, der in englischer Sprache und mit großer Höflichkeit ihm schrieb, er habe den Brief der jungen Lady gelesen, bedaure, ihrem Verlangen weder mit Ssewastopol noch mit seiner Person entsprechen zu können, schätze sich aber glücklich, mit dem beiliegenden Knopf das gewünschte Andenken ihm für die Schöne zustellen zu können.«

Die kleine Geschichte verbreitete einige Heiterkeit in dem Kreise, erst die Ankunft eines Offiziers vom Stabe, von einem Unterfähnrich geführt, unterbrach dieselbe.

»Ordonnanz-Offizier von Seiner Durchlaucht dem Fürsten Oberbefehlshaber an den Lieutenant Birjulew,« meldete der Fähnrich.

»Zu Diensten, mein Herr!« Der Marineoffizier war aufgesprungen und empfing den Boten in militairischer Haltung. »Ich hoffe, Sie bringen mir die näheren Instructionen für den Ausfall.«

»So ist es. Ich bin der Stabscapitain von Meyen dorf und beauftragt, den Erfolg des Ausfalls hier abzuwarten. Die Herren sind wahrscheinlich Offiziere Ihres Detaschements und ich kann daher in ihrer Gegenwart ohne Weiteres diese schriftliche Instruction mit den mündlichen Anweisungen vervollständigen?«

[250] Birjulew stellte die Offiziere vor. »Oberstlieutenant Sazepin ist in diesem Augenblick der kommandirende Offizier der Bastion und Capitain Thonagel der Ingenieur vom Platz. Setzen Sie sich zu uns, Herr Stabscapitain, und lassen Sie uns überlegen, wie wir unsere Aufgabe am besten ausführen mögen.«

»Der Hauptausfall,« berichtete der Capitain, indem er auf einer demolirten Lafette Platz und die angebotene Cigarre nahm, »geschieht mit dem Dnjprowski'schen Infanterie-Regiment, das erst gestern Abend eingetroffen, den Kamschatkaischen Jägern, 2 Bataillonen des Wolinski'schen und 2 Bataillonen des Uglitz'schen Regiments nebst der 44. Flotten – Equipage. General – Lieutenant Chruleff wird damit von der Kamschatka-Lünette um 10 Uhr Abends die französischen Logements angreifen. – Zugleich rückt Capitain Budischtschef mit zwei Flotten-Equipagen, einem Bataillon Minsker und den griechischen Freiwilligen gegen den äußersten rechten Flügel der britischen Trancheen zwischen dem Dekavaja-und Laboratornaja-Grund. Welche Truppen gehören zu Ihrer Expedition, Herr Kamerad?«

»Ich habe 475 Jäger der 30. und 45. Flotten-Equipage, des Ochotski'schen Regiments und des Wolinski'schen Reserve-Bataillons, nebst einem Kommando meiner altenn Matrosen vom ›Wladimir‹ und der ›Maria‹.«

»Ich bin noch zu kurze Zeit hier,« sagte höflich der Baron, »um Ihnen zu solchen Gefährten gratuliren zu dürfen, obschon ihr Ruf auch längst bis zu uns gedrungen. Welche Offiziere werden Sie begleiten?«

»Lieutenant Tokarow kommandirt die Ochotsker, Fähnrich Ssemenski die Reserven, außerdem ist der junge Mann, der Sie hierher gebracht, UnterfähnrichLasaroff, bei dieser Abtheilung.«

»Er scheint,« bemerkte der Capitain, »ein echt russisches Herz in der Knabenbrust zu tragen. Als ich ihn im Gespräch fragte, wie es ihm hier gehe, sagte er mißlaunig: ›Verteufelt schlecht, es ist nicht zum Aushalten.‹ Ich glaubte, er meine die Bomben und Kugeln und tröstete ihn, daß nicht alle träfen. Der Bursche aber blickte mich groß an und erwiderte: ›Verzeihen Sie, ich meinte den Schmuz, vor dem man gar nicht zur Batterie kann, ohne die Stiefeln zu verderben 3‹«

Die Offiziere lachten. – »Er ist erst vor sechs Tagen zu unserm Bataillon gekommen. Das seine erfror im Januar in der Steppe in einem Schneesturm und ich glaube, er ist der Einzige, der durch Zufall entkommen. Er war lange krank und die Kommandantur, bei der er sich dann meldete, hat ihn einstweilen bei uns eingestellt.« Fähnrich Ssemenski berichtete dies.

»Ich selbst,« fuhr der Marine-Lieutenant fort, »führe meine [251] Schiffskameraden und habe genug alter gedienter Leute dabei, die mich unterstützen. Haben Sie vielleicht zufällig schon den Namen des tollen Koschka gehört?«

»Koschka, den Liebling des seligen Admirals? ei, wer hätte das nicht, der in den letzten drei Jahren am Schwarzen Meer stand! Ist es nicht derselbe Bursche, der bei Sinope eine Fregatte in Brand steckte und im ägeischen Meere den Kampf gegen fünf griechische Seeräuber bestand? Ich möchte ihn wohl sehen.«

»Derselbe, Herr, Sie können seine Bekanntschaft leicht machen. Er liegt dort oben in der Schießscharte auf seiner Kanone und schläft, weil Beide gerade Ruhe haben.« – Der Offizier setzte die silberne Seemannspfeife an die Lippen und ließ einen langgezogenen Ton erklingen, worauf man eine Menge kräftiger Männer aufmerksam die Köpfe erheben sah und auch der Schläfer bei dem Wiegenlied der Kanonenschüsse den seinen erhob; der einzige sogar nur halblaut gesprochene Name brachte ihn sofort auf die Beine und er kam mit dem langsamen, schwankenden Schritt, der den Seeleuten eigen ist, auf die Gruppe der Offiziere zu, zog seine fettglänzende Haarlocke über die Stirn und machte einen tiefen Kratzfuß.

Es war ein Mensch von riesigem und dennoch große Behendigkeit verrathendem Gliederbau, das Gesicht mit den scharf ausgeprägten Zügen der mongolischen Race, doch von großer Gutmüthigkeit: nur das schmal geschlitzte Auge blitzte Scharfsinn und Keckheit.

»Euer Gnaden haben mich gerufen?«

»Wohl, tapferer Koschka. Ich hörte mit Vergnügen, daß Du Dich zu der Zahl der Matrosen gemeldet, welche uns heute Nacht begleiten werden. Du sollst die Vorhut führen, wenn Du versprichst, der Ordre die strengste Folge zu leisten und Dich nur dann auf ein Schlagen einzulassen, wenn ich es befehle.«

Der große Matrose wiegte sich etwas verlegen auf seinen Hüften. – »Ah, Euer Gnaden sticheln wegen der dummen Geschichte in den französischen Tranchirungen, oder wie sie das Ding nennen. K tschortu! Aber ich möchte, wenn's Euer Gnaden Nichts verschlägt, gern erst hören, mit wem wir diese Nacht zu thun haben sollen, ehe ich leichtsinnig so ein Versprechen gebe.«

Der Marine Offizier lachte. – »Ja, Bratka, das weiß ich selbst noch nicht so recht, da mußt Du diesen Herrn befragen.«

»Ist er von den Unsern?« fragte der Matrose vertraulich.

»Wenn Du meinst von der Marine,« entgegnete der Bezeichnete, »so habe ich allerdings nicht die Ehre und werde nicht einmal den Ausfall mit machen. Aber ich bin Offizier vom Stabe des Fürsten und war mit ihm an der Donau.«

»Ah,« sagte der Matrose mit wenig verhehlter Geringschätzung, »das sind, glaub' ich, die Herren, die immer reiten müssen. Nun, – es muß auch solche geben und ich möchte wohl auch ein Mal [252] auf einem Pferde sitzen, blos um zu sehen, ob es wahr ist, daß so ein Ding beim Laufen gerade so stößt, wie die Sturzwellen in der See bei Nordost.« – Er zog die Hosen in die Höhe und fuhr sich verlegen durch die Haare. – »Weißt Du, Väterchen.« fuhr er halblaut zu seinem Offizier fort, »ich traue dem Neuen noch nicht so ganz, er gehört zu dem Landvolk, doch denke ich so bei mir, unser Vater Nachimoff wird wohl das Beste für ihn thun. Aber der Teufel soll meine Mutter kriegen, wenn ich auf Deinen Vorschlag nicht lieber gleich die Wahrheit sage. Wenn's gegen die Inglischen geht, stell' mich lieber hinten hin, denn ich habe einen Zahn auf die Burschen, der noch nicht ausgeglichen ist, und ich möchte da vielleicht verlauter sein, als erlaubt wird. Gieb Bolotnikow meine Stelle – Du kannst Dich auf ihn verlassen. Gott und die Heiligen wissen es.«

»Was hast Du mit den Engländern, Koschka?«

»Das ist doch klar – alle Welt weiß es, sie haben den Kaiser durch den Telo-Grafen, den Hundssohn, vergiftet, weil er nicht türkisch werden und die Factoria zur zweiten Frau nehmen wollte. Als ob ein rechtgläubiger Mann nicht an einem Weibsen genug hätte, wenn sie auch eine Königin sein thäte. Außerdem hat das Szbrod 4 mir vor drei Tagen eine so gute Kanone zerschossen, wie nur je eine noch ihren Schnabel durch die Luken gesteckt hat.«

Das Lächeln der Umstehenden prallte an der genügsamen Ueberzeugung des Meerwolfs ab. Er sah sie Alle ziemlich scheel von der Seite an und knurrte einige unverständliche Höflichkeiten in den Bart, denn als Liebling der Admirale nahm er sich manche Freiheit heraus. Dann seinen plumpen Gruß wiederholend, wollte er sich eben entfernen, als sein scharfes Seemannsauge auf die zwischen der Mastbastion und der Bastion V. vorgeschobene Redoute Schwarz fiel. »Der Admiral wird sogleich hier sein, Väterchen,« sagte er zu dem Lieutenant. »Seine Flagge ist fort und ich sah sie noch an ihrer Stelle, ehe ich hierher kam.«

Ein Blick überzeugte den Offizier, daß das Privatsignal eingezogen war, welches den Truppen den Ort des Verweilens des Abtheilungskommandanten jedes Mal anzeigte, und bald darauf sah man auch in dem gedeckten Trancheeweg eine kleine Gruppe von Männern eilig heran kommen.

Es war der Vice-Admiral Nowossilski, der seit fünf Monaten den Befehl der zweiten Vertheidigungsabtheilung (von der linken Flanke der Bastion V. bis zum Labordonaja – Grund) führte und während der ganzen Zeit den ihm zugetheilten Rayon nicht verlassen, ja nicht ein einziges Mal sich entkleidet hatte. Er bewohnte ein Erdloch, wie die meisten Soldaten der Batterieen, und war unermüdlich thätig, bis er drei Monate später und nachdem er [253] wochenlang nur einzelne Stunden geschlafen hatte, gänzlich zusammenbrach und für todt nach Ssewastopol gebracht werden mußte, wo er wieder zu sich kam und zu seiner Herstellung nach Odessa geschickt wurde.

Hinter dem Befehlshaber bemerkte man auf einer Trage einen Schwerverwundeten. Die entgegen gehenden Offiziere erfuhren bald, daß es der Major Woschtschenski, der Kommandant der Redoute war, der in Gegenwart des Vice – Admirals schwer blessirt worden.

»Es ist mir lieb, Sazepin, Dich gleich zu treffen.« sagte Jener. »Du mußt auf der Stelle hinüber und den Befehl übernehmen. Capitain Lawroff ist zwar ein ausgezeichneter Offizier und glücklicher als seine Vorgänger, die in den Trancheen immer nur wenige Tage aushalten konnten, aber er hat damit vollauf zu thun und bereits zwei starke Contusionen am Kopf, die ihn fast blind machen. 5 Er ist zu jung noch, um vorsichtig zu sein; eile Dich also, daß Du hinüberkommst. Ist ein Arzt auf der Bastion?«

Nur zwei Chirurgen waren augenblicklich zur Stelle in dem zum vorläufigen Verband – Lokal eingerichteten Kasemattenraume. Ihnen wurde der Verwundete übergeben, da er sich, wieder zu sich gekommen, beharrlich weigerte, sich nach der Stadt schaffen zu lassen. Der Admiral schickte einen Boten nach dem nächsten Lazareth ab, um einen erfahrenern Arzt herbeizuholen, indeß Oberstlieutenant Sazepin mit ernster Miene von seinen Gesellschaftern Abschied nahm, ihnen einen glücklichen Ausgang ihres Unternehmens wünschte und sich dann auf den Weg machte.

Baron Meyendorf hatte sich dem Vice – Admiral vorgestellt und in seiner Gegenwart dem kommandirten Führer der Expedition die speziellen Instruktionen wiederholt. Es galt die Stellung der Engländer auf dem grünen Hügel zwischen dem Labordonaja- und Saranda – Nakina – Grund zu allarmiren und zu beschäftigen, um hierdurch den Angriff des Capitain Budischtschef von links zu unterstützen. Zugleich sollten die vorgeschobenen Schützengruben genommen und gegen den Feind gekehrt werden. Die Richtung von der Bastion her mußte entlang der französischen Schildwachen genommen werden und es bedurfte daher großer Vorsicht. Die Offiziere besprachen noch dies Unternehmen, als ein lauter Jubelruf der Matrosen und Soldaten sie störte. Der Admiral sah sich zornig um, aber seine Miene wurde sogleich wieder freundlich, als er zwei Frauen auf sich zukommen sah, umringt von einer Anzahl der tapfern Vertheidiger, die mit fast kindischer Freude und einer Verehrung wie für Heilige die Beiden begrüßten.

Es waren zwei sehr verschiedene Erscheinungen, eine alte dürftig gekleidete kleine Frau, aber überaus beweglich und rührig, das saltige [254] Gesicht mit dem immer geschwätzigen Mund voll Heiterkeit aus der weißen Haube hervorlachend; – die Andere eine edle jugendliche Gestalt mit ernstem, von dunklem Schleier umhüllten, von Luft und Anstrengung gerötheten Gesicht, dessen interessantes Profil auf den ersten Blick fesselte. Ein junger Kosack trug hinter ihr einen großen Handkorb mit Verbandleinen, Charpie und verschiedenen Linderungs- und Stärkungsmitteln gefüllt.

Ganz Ssewastopol kannte bereits die beiden Frauen: Prasskowja Iwanowna Grasoff, die kleine Alte, die zu Anfang des Jahres plötzlich ihrer Familie in Petersburg entwichen war und in Ssewastopol erschien, um die letzten Tage ihres Lebens den Vertheidigern zu widmen, und Iwanowna FürstinOczakoff, ein Engel des Lichtes für die Leidenden und Verzweifelnden.

Sie gehörten nicht einmal zu dem Orden jener barmherzigen Schwestern von der Gemeinschaft zur Kreuzes – Erhöhung, die seit dem 1. December unter der Anleitung des berühmten russischen Anatomen und Operateurs Pirogoff in den Lazarethen und auf den Kampfstätten selbst eine furchtlose Menschenliebe und eine Thätigkeit entwickelten, die in den erhabensten Aufopferungen der Menschengeschichte nur dem ewigen Vorbild des göttlichen Erlösers nachsteht. Die beiden Frauen, die so eben die Bastion betreten, die eine alt und gebrechlich, die andere jung, schön, mit allen Gütern des Lebens gesegnet, kamen ohne das kirchliche Gelübde nur aus dem Gesicht der reinsten Vaterlandsliebe auf die Stätte der Schmerzen und weihten ihre Kräfte, ihr Leben den Unglücklichen.

Iwanowna Oczaloff war mit ihrem Bruder, der, wie es hieß, seine Stelle im Stabe des Fürsten – Admirals aufgegeben, um sich als Freiwilliger den Vertheidigern Sebastopol's anzuschließen, zu Ende December in der belagerten Stadt eingetroffen, begleitet von einer schwarzen Dienerin und dem alten Jessaul nebst seinen zwei ihm gebliebenen Enkeln. Sie hatten auf der Südseite in der Nähe des Denkmals Kasarski's, das so merkwürdig verschont blieb in all' den furchtbaren Bombardements, welche die Stadt erlitt, ein Haus bezogen, in dem im Herbst der junge Fürst den wahnwitzigen Tabuntschik pflegen ließ und das der Familie gehörte. Hier theilten sie alle Schrecken und alles Elend der furchtbaren Belagerung unter hundert Handlungen des Heldenmuths und der Nächstenliebe, sonst aber in vollständiger Abgeschlossenheit lebend. Fürst Iwan hatte verschiedenen Ausfällen beigewohnt und in den Batterieen Dienste gethan, während seine liebliche Schwester täglich, wenn ihr Bruder nicht im Dienst war, die Hospitäler besuchte und die Verwundeten pflegte. Doch sah man auffallender Weise nie die Geschwister zusammen und Eines hütete das Haus, wenn das Andere es verließ. Auch die schwarze Dienerin hatte seit mehreren Wochen die Schwelle desselben nicht überschritten. Das Wesen der Fürstin, wenn sie unter den Leidenden erschien, war stets ernst und still; einen großen Theil ihrer menschenfreundlichen Thätigkeit [255] widmete sie nicht blos den kranken Landsleuten, sondern mit gleicher Sorgfalt den verwundeten und gefangenen Feinden, deren Sprache sie verstand.

Immer heiter, immer munter bei der zärtlichsten Theilnahme war dagegen die kleine Alte, die von ihren geringen Mitteln in den Apotheken Eau de Cologne, Hoffmannstropfen und andere Linderungsmittel, kaufte und von den Gaben der Fürstin, mit der sie bald an den Krankenbetten Bekanntschaft gemacht, reichlich unterstützt wurde. Meistentheils war sie in den Vertheidigungswerken selbst thätig, brachte, wo Jemand in der Nähe getroffen wurde, die erste Hilfe und legte den ersten Verband an. Dann pflegte sie zu sagen: »Sei lustig!« oder wenn sie einen Leichtverwundeten verbunden hatte: »Sei nicht feige, geh' wieder auf Deinen Posten!« Die Matrosen schwärmten für sie.

Die Alte trippelte auf den Admiral zu. – »Gott grüße Dich, mein Täubchen, mein Landsmann! Ein Soldat, der uns begegnete in der Stadt, erzählte uns, daß Ihr einen Schwerverwundeten hier habt und er einen Regimentsdoctor holen solle. Da dachte ich und die gute Dame hier, es würde gut sein, wenn wir Euch sogleich ein wenig Hilfe brächten. Ich hätte Dich ohnehin heute Abend noch besucht, Admirälchen, mein Liebling, da ich gehört habe, daß wieder Etwas im Werke ist.«

»Sei uns willkommen, Mutter Praßlowja Iwanowna,« sagte der Admiral, »und Sie, durchlauchtige Dame, genehmigen Sie Unsere Verehrung, denn ich müßte mich sehr in der Aehnlichkeit irren, wenn ich nicht die edle Schwester unsers tapfern Kameraden Iwan Oczakoff vor mir sähe.«

Die junge Dame machte eine bejahende Verneigung, indeß Aller Augen bewundernd an ihr hingen.

»Verzeihen Sie einem alten Seemann,« fuhr der Admiral fort, »der seit Monaten diesen Posten nicht verließ und Sie also nur durch den Ruf Ihrer Mildthätigkeit für uns arme Soldaten kennt, der ganz Ssewastopol erfüllt. Ihr wackerer Bruder hat auf dieser Bastion bereits gezeigt, wie würdig er einer solchen Schwester ist.«

»Das Lob Iwan's aus dem Munde eines solchen Helden muß selbst die Schwester ehren,« sagte die Fürstin graziös. »Doch ist es Euer Excellenz gefällig, uns zu dem Verwundeten geleiten zu lassen, um zu sehen, ob wir seine Schmerzen erleichtern können?«

»Ja, Batuschka,« fiel die kleine Alte ein, »thue Das, wir haben allerlei mitgebracht, was Deine Beinabschneider nicht haben. Und Ihr, meine Jungen, Täubchen, Kinderchen, wir bleiben heute Abend bei Euch und werden abwarten, wie Ihr Eure Sache macht und ob Ihr heil zurückkommt. Auf der Redan – Bastion und dem Korniloff haben heute die guten Schwestern vom Kreuz den Dienst übernommen.«

Ein freudiger Zuruf antwortete der Alten und sie schüttelte [256] sich mit den Matrosen und Soldaten die Hände, putzte an ihnen herum und gab ihnen hundert gute Lehren. – »Ich fürchte,« sagte der Admiral, »selbst Pirogoff's Hilfe wird bei unserm Kranken wenig vermögen. Beide Füße sind ihm von einer Vollkugel zerschmettert. Doch mag ihm schon Ihre segenbringende Nähe ein Trost sein und ich will Sie sogleich zu ihm geleiten lassen.«

Aus dem Kreis der Offiziere sprang der junge Unterfähnrich Lasaroff, dessen Augen voll Bewunderung an der schönen Samariterin gehangen hatten, mit der Frage: »Darf ich?« und der Admiral nickte lächelnd dem jungen Führer Einwilligung, dessen Schnelle der Galanterie seiner ältern Gefährten zuvorgekommen war.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war 10 Uhr, der Himmel wolkenbezogen geworden, so daß die Dunkelheit dem Angriff ihren Schutz verhieß. Bei der Batterie des Lieutenants Perekomski hatte sich das Detaschement versammelt: 475 Mann und 80 nur mit Spaten und Hauen bewaffnete Arbeiter. Lieutenant Birjulew hatte jetzt den Leuten den Zweck des Unternehmens und seine Anordnungen bekannt gemacht und sie harrten in geschlossenen Abtheilungen des Kommandos zum Vorgehen.

Jetzt keuchte von der Bastion ein Unteroffizier her, ein zweiter Mann mit ihm. – »Der Admiral lassen Euer Gnaden sagen, daß der Augenblick gekommen. Das Signal ist auf der Bastion zu sehen,« meldete der Erstere dem Kommandanten.

»Dann, Kinder, fertig. Ich habe Euch nur zu empfehlen, unter keiner Bedingung die Front – Linie zu brechen, sondern Schuller an Schulter zu marschiren, und werde genau Acht geben auf jede Uebertretung dieses Befehls. Mützen ab!«

Die Waffen rasselten leise – die ganze Schaar bekreuzte sich drei Mal mit tiefer Andacht. Währenddeß hatte der Begleiter des Boten umhergefragt nach dem Unterfähnrich Lasaroff und den Jüngling endlich aufgefunden. – »Um der Heiligen willen, Bogislaw, wo kommst Du her? Ist meinem Großvater ein Unglück geschehen?«

»Das größte, was ihn treffen konnte, Junker: Eure Flucht!« sagte der treue Jäger. »Der alte Graf war außer sich und wollte Euch nach; aber in Baktschiserai verweigerte man ihm die Erlaubniß, nach Ssewastopol zu gehen, und zwang ihn, umzukehren.«

»Gott sei Dank, daß er gesund ist und die Gefahren in der Festung nicht theilen darf. Ich konnte nicht anders, Bogislaw!«

»Ich glaub' Euch, Junker, und begreife das. Ich meine, der Herr giebt Euch im Stillen selbst Recht. Ich habe einen Brief an Euch von ihm.«

Das Kommando: »Vorwärts mit Gott! Marsch!« unterbrach das Gespräch – die Colonne begann mit raschem, möglichst leisem Schritt sich in Bewegung zu setzen.

[257] »Geh' zurück, Bogislaw – Du wirst mir ihn später geben – erwarte mich im Schutz der Bastion!«

»Niemals! ich habe dem Grafen geschworen, da mich, den niedern Diener, kein Verbot zu kommen hinderte, keinen Augenblick mehr von Eurer Seite zu weichen, sobald ich Euch aufgefunden.«

»Ruhe im Glied! Still da hinten, Leute!« zischte das Kommando Birjulew's; der Fähnrich konnte dem treuen Manne nur die Hand drücken und ihn neben sich in die Reihe ziehen, dem der Marsch ging jetzt mit großer Hast vorwärts.

Aber alle Vorsicht der Führer half zu Nichts – das scharfe Auge der Zuavenposten hatte bald die dunkle Colonne entdeckt, als sie über eine kahle Fläche zog, und aus der nächsten Schützengrube fiel ein Schuß.

»Links, Bursche, links und nicht gefeuert! Wir sind bald über ihre Flanke hinaus und im Schutz des Berges.«

Eine Signal – Rakete schoß aus der französischen Tranchee empor, man hörte Allarm schlagen und alsbald knatterte auf der ganzen Linie ein lebhaftes Bataillefeuer, wie das Knattern und Zischen feuchten Holzes im Kamin.

Bald hatte das Detaschement den sogenannten »Zuckerhut« passirt in der Richtung der Georgiewstraße und konnte, durch den Berg geschützt, von den französischen Legements nicht mehr gesehen werden. Aber die auf der ganzen feindlichen Kette wiederholten Appell-Signale und Rufe der Schildwachen und Hornisten bewiesen zur Genüge, daß man sowohl in den französischen wie in den englischen Linien auf einen Angriff bereit sei.

Vom Labordonaja-Grund herüber krachten Gewehrsalven, dazwischen donnerte das Geschütz der englischen und französischen Batterieen und bewies, wie heftig der Kampf dort bereits wüthete. Rakete auf Rakete stieg empor als Signal, Unterstützung herbei zu rufen.

Die Franzosen schienen durch den Berg den Trupp ganz aus dem Auge verloren zu haben oder ihre eigenen zu sammeln, denn Alles war einer Zeit lang auf dieser Seite stumm und es herrschte jene Ruhe, bei welcher dem braven Soldaten viel schwüler und ängstlicher zu Muthe wird, als bei dem Blitzen und Knallen des Mußketenfeuers. Endlich hatte man die englischen Logements erreicht, das heißt, die Russen standen am Fuß des grünen Hügels, auf dessen Aufgängen jene die Trancheen und die hinter liegende Chapmann – Batterie deckten.

Die Russen begannen stillschweigend die Anhöhe hinauf zu steigen, aber sie hatten kaum fünfzig Schritt gemacht, als das »Who is there?« der Schildwache ihnen entgegenscholl. – »Français« rief Birjulew; »vorwärts, Kinder, und fällt das Bajonnet! Hurrah!« – Fünf bis sechs englische Schützen sprangen hinter einer Hecke hervor und schlugen ihre Gewehre auf die Stürmenden an, diese aber kamen ihnen zuvor und eine allgemeine Salve streckte [258] den ganzen Posten zu Boden. Gleich im ersten Anlauf waren die Russen bis mitten in den Lagements und machten Alles nieder, was nicht in die zunächst liegende Tranchee flüchten konnte. Die Engländer ließen achtzehn Todte in den Gruben. Sofort befahl Lieutenant Birjulew, die Arbeiten zur Wendung der Gruben gegen die Feinde zu beginnen.

Die Russen arbeiteten eifrig und es gelang ihnen glücklich, die Brüstung der Logements abzugraben, aber es schien unmöglich, sich länger zu halten; denn ander nächsten Tranchee pfiffen und sausten die Kugeln unablässig auf sie ein, und die Batterie begann mit Kartätschen von der Höhe des Berges herab zu fegen. Auf der ganzen Linie bis zum Kilengrund hin schien zugleich jetzt das mörderische Gefecht entbrannt. Der tapfre Führer bemerkte, daß es möglich sei, den ersten Laufgraben zu nehmen, um sich von dem lästigen Feuer zu befreien, und kommandirte rasch zum Angriff. Mit lautem Urrah stürzten die Jäger und Matrosen gegen die Tranchee; aller verzweifelte Widerstand half nicht, zwei Minuten darauf drangen sie bereits in die zweite Linie ein. Ein entsetzliches Handgemenge erfolgte, das Bajonnet wüthete unter den dicht gedrängten Massen, dann räumten die Briten – es war das 20. Regiment – den Platz.

Aber es war außer der Möglichkeit für die Russen, sich hier festzusetzen, denn eine Flankenbatterie von zwei Kanonen bestrich der Länge nach die ganze Tranchee und gleich auf den ersten Schuß stürzten zehn Mann, darunter der Fähnrich Ssemenski. Man mußte den Rückzug antreten.

Während die Verwundeten zurückgebracht wurden zu den von der Bastion beorderten Tragen, arbeiteten die Schanzgräber mit verdoppelter Kraft an der Hauptaufgabe, der Umwendung der Logements. Aber die Engländer waren den Zurückweichenden auf dem Fuße in die Laufgräben wieder gefolgt und erneuerten von dort den Kugelregen, der die Erdarbeiten hinderte.

Birjulew befahl eine zweite Attaque; – abermals nahmen die Russen die erste und zweite Tranchee, die Flankenbatterie feuerte diesmal glücklich zu hoch und die Leute bekamen den Pfiff weg, sich im rechten Augenblick glücklich vor den Kugeln zu decken. Man begann sich festzusetzen in der Tranchee und mehrere aufgestellte Mörser zu vernageln, als ein Arbeiter von den Logements herbeigelaufen kam und mit leiser Stimme dem Kommandirenden meldete, daß auf der rechten Seite von den französischen Laufgräben her eine Abtheilung die Höhen herunter komme, um ihnen in den Rücken zu fallen. – »Wie viel sind ihrer?« – »Kann's nicht sagen. Euer Gnaden, vielleicht hundert oder hundertfünfzig Mann.« – Birjulew befahl den Leuten Stille, indem er sie aus der Tranchee zurück zog. Er hoffte, die französische Unterstützung abzuschneiden und gefangen zu nehmen, aber der Plan mißglückte, von den feindlichen Posten bemerkt; denn als die Russen den Berg hinabstürmten, [259] bliesen deren Hornisten den Ihren Rappel und sie hatten Zeit, sich zurückzuziehen.

Die Arbeit an den Logements wurde nun noch mehr beeilt, aber die Arbeiter waren auf's Neue wieder dem Feuer der Laufgräben ausgesetzt und man sah sich gezwungen, einen dritten Angriff auf diese zu machen. Die Feinde wichen wiederum, aber etwa fünfzehn Scharfschützen, die noch auf dem Erdwall standen, schlugen zu gleicher Zeit ihre Büchsen auf den kühnen Führer der Russen an, der nicht einmal die drohende Gefahr bemerkte. Er war im nächsten Moment verloren, als der Matrose Schewtschenko, der dicht bei ihm war, sich flüchtig bekreuzte und vor seinen Offizier warf. Die Schüsse krachten – und die tapfere Brust empfing nicht eine Todeskugel, sondern die ganze Zahl derselben. Erst jetzt, indem er das dumpfe Anprallen der Schüsse und den Gegenstoß des stürzenden Körpers fühlte, bemerkte der Offizier die heldenmüthige Aufopferung seines Getreuen und warf sich, im ersten Schmerz Alles um sich her vergessend, neben dem Blutenden auf die Knie. »Schewtschenko, mein Freund, Du bist getroffen? – Wie ist Dir, Bratka? So sprich doch nur ein einziges Wort!« – Aber der Tapfere konnte nicht mehr antworten: er lag da, stumm und bleich, nur der Mund zuckte leise und um die Lippen spielte jenes seltsam freundliche Lächeln, das man statt der Verzerrungen des Schmerzes so oft auf den Gesichtern der durch die Kugel Getödteten findet.

Der Lieutenant verweilte immer noch bei der Leiche, als der Hochbootsmann Bolotnikow zu ihm trat und ihn am Arm faßte. »Es ist keine Zeit zu verlieren, Euer Gnaden,« rief er, »unsere Burschen dringen eben in die dritte Tranchee ein; daß das Ding nur nicht etwa schlimm abläuft!« – Die Worte führten den Kommandirenden rasch zu seiner Pflicht und er eilte seinen Leuten nach. – »Zurück, Kinder, zurück!« – Sie hatten sich bereits der dritten Tranchee bemächtigt, arbeiteten wie die Rasenden mit dem Bajonnet und der ganze Laufgraben war gefüllt mit Todten.

Bereits gelang es dem Offizier, seine Leute in guter Ordnung zurückzuführen, als ein hochgewachsener britischer Stabsoffizier auf den letzten Grabenwall sprang, in jeder Hand eine Pistole, und die Seinen zur Verfolgung anfeuerte. Doch diese schienen genug des Blutbades zu haben und rührten sich nicht von der Stelle. Da feuerte der Brite beide Pistolen auf den Hochbootsmann ab, der ihm zunächst stand. Mit der linken Hand hatte er gefehlt und die Kugel flog dicht an Koschka's Kopf vorbei; die rechte Waffe aber hatte fast unmittelbar Bolotnikow's Schläfe berührt und mit zerschmettertem Kopf sank der Tapfere zur Erde. – Gott schenke ihm das ewige Himmelreich! – Wie die Rasenden stürzten die Russen sich auf's Neue auf den Feind und jagten ihn zurück.

Während dieses Angriffs waren die Arbeiten an den Gruben beendet und diese gegen den Feind gekehrt worden. Die Laufgräben [260] lagen voll Leichen und der Auftrag konnte als vollendet angesehen werden, da auch von der linken Seite her der Kanonendonner schwächer geworden und Lieutenant Birjulew überdies Nachricht erhielt, daß Verstärkungen in die französischen Linien zu rücken schienen.

Die Hörner befahlen den Rückzug und man begann in geschlossenen Gliedern den Berg hinab zu gehen, nachdem die neueingerichteten Logements mit Schützen besetzt worden, als ein Unteroffizier an Lieutenant Tokarew, den einzigen außer dem Kommandirenden übrigen Offizier, die Meldung brachte, daß einer der Ihrigen in der letzten Tranchee zurückgeblieben scheine. – »Es schimpft und flucht dort drinnen auf gut Russisch und die Leute glauben ihres Kameraden Koschka Stimme zu erkennen!« – »Koschka? Das muß der Kommandant wissen!« – »Befehlen Euer Gnaden vielleicht, daß wir ihn freimachen?« – »Natürlich! Formirt Euch! Links um! Marsch!« und imsechsten Anlauf ging es zurück nach der feindlichen Tranchee.

Darin tobte und wetterte es allerdings mit all' den beliebten Flüchen und Verwünschungen, an denen die russische Sprache so abscheulich reich ist. Und es war Zeit, daß die Hilfe kam. Mit dem Fuß auf der Brust des zu Boden geworfenen englischen Obersten, welcher die unglücklichen Schüsse auf Bolotnikow abgefeuert, stand der Matrose Koschka, das Gesicht dunkelroth vor Anstrengung und Erbitterung, und seine mächtige Faust schwang eine beilartige Enterpike, seine Lieblingswaffe, im Kreis um sich, während sein riesiger Körper bereits aus drei Wunden blutete.

»Jop foce mat! wenn ich Euch nicht Alle massacrire, Ihr englischen Schurken, Ihr Hundssöhne und Lumpenpack, mit samt Euren Lords und Tele – Grafen, den schäbigen Meuchelmördern!« tobte der ehrliche Seemann, indem jeder seiner Streiche einen Gegner zu Boden schlug. »Den Kerl hier unter mir wollt Ihr? Den Teufel in Eure Seele bekommt Ihr! Seid Ihr nicht Memmen, daß Ihr auf den Knaben dort schlagt und den tobten Mann, statt auf einen Burschen wie ich?!«

In der That wandte sich ein großer Theil der Wuth und des Angriffs der Briten nicht gegen den riesigen Matrosen, dessen gewichtige Axthiebe ihre Gewehre wie Halme zersplitterten und dem sie, da ihre Munition verschossen, nur durch ihre Ueberzahl und den Anfall von allen Seiten Gefahr brachten, sondern gegen die einzige kecke Hilfe, die das waghalsige Unternehmen des Seemannes, seinen Kameraden Bolotnikow zu rächen, getheilt hatte. Drei oder vier Schritt von ihm lag am Boden der Tranchee der Unterfähnrich Lasaroff, den zerbrochenen Degen fest in der Knabenhand, von Blut bedeckt, das zum Glück jedoch nur zum geringsten Theil aus unbedeutenden Wunden das seine war; denn über ihm lag, mit seinem eigenen Körper ihn schirmend und von zwanzig Bajonnetstichen durchbohrt, von Kolbenschlägen zerschmettert, der treue [261] Bogislaw, der schon die erste Stunde seines Hüteramtes mit dem Herzblut zahlte. Mit den letzten Athemzügen, den letzten zuckenden Bewegungen des fliehenden Lebens noch suchte er den seinem Gebieter geleisteten Eid zu halten und den Jüngling zu schützen.

Da – als auch die riesige Kraft Koschka's zu erlahmen begann und sein schäumender Mund nur noch unverständliche heisere Töne murmelte und der Kolbenschlag eines Schotten ihn schon auf ein Knie sinken gemacht – donnerte das »Urrah« der Russen als Jubelruf der Rettung in ihre Ohren, und rechts und links stoben die Engländer auseinander in eiliger Flucht nach der zweiten Tranchee.

»Der heilige Andreas, Sanct Basilius und wie sie Alle heißen, lohne Euch den Liebesdienst, Lieutenant Birjulew,« keuchte der befreite Matrose, indem er seinen Gefangenen, den Kommandanten des 34. Infanterie-Regiments, am Kragen aufhob und ihn wie einen Sack sich über die Schultern warf; »ich habe den Inglischen, der mir Bolotnikow erschoß. Aber ich bitt' Euch, nach dem Knirps da zu sehen, der mir so wacker beigestanden, und dem Mann, der mit ihm war. Ich möchte selbst kein todtes Stück der tapfern Burschen in den Händen der Feinde lassen.«

Man hob den blutigen verstümmelten Körper des Jägers auf, legte ihn über zwei Gewehre und richtete den jungen Offizier empor, der mehr betäubt als verletzt war und, rasch zu sich kommend, die blutüberströmte Hand seines Retters in der seinen, neben der improvisirten Trage herlief. Denn Lieutenant Birjulew befahl, nachdem der Zweck des Anfalls erreicht, den eiligsten Rückzug, um das so glücklich bisher ausgeführte Unternehmen nicht im letzten Augenblick noch zu gefährden. Während die russischen Schützen in den Logements die Verfolger in Respekt hielten, gelangte die kleine Colonne glücklich an den Fuß des Berges, wo sie ihre Verwundeten an die mit den Sänften und Tragen harrende Reserve abgab und im Schutze der Nacht und des Feuers des »Jehudil«, der in der Spitze der Südbucht ankerte, den gefährlichen Sarandakina-Grund passirte und die Mast-Bastion wieder erreichte.

Man hatte außer dem Obersten einen englischen Ingenieur-Capitain und zwölf Soldaten zu Gefangenen gemacht. Nur mit Mühe konnte Koschka bewogen werden, den seinen wieder auf die Beine zu stellen und in einer den Kriegsgebräuchen entsprechenderen Weise zu behandeln und zu transportiren, und es bedurfte des ernsten Befehls seines Kommandanten dazu.

Der Ausfall hatte übrigens auch auf den anderen Punkten, wiewohl mit großen Verlusten, einen günstigen Erfolg für die Russen gehabt. Die Truppen Chrulef's schlugen sich gegen die Divisionen Mayran und Brunet und nahmen und verloren drei Mal das Terrain zwischen den russischen Redouten und den französischen Trancheen, bis es endlich in ihren Händen blieb und die am Abend vorher von den Franzosen eroberten Logements wieder [262] von ihnen besetzt wurden. Auch die griechischen Freiwilligen verrichteten tapfere Thaten gegen den rechten Flügel der britischen Trancheen und warfen das 77. und 97. Regiment.

Dieser glückliche Ausgang führte eine in der Geschichte des Krieges kaum erhörte kühne Offensive der Belagerten gegen die Belagerer herbei, indem die Ersteren mit einer verbundenen Linie neuer Contre – Approchen bis auf 600 Schritt gegen die feindlichen Parallelen vorgingen. – – –

Als die tapfere Schaar Birjulew's, der für diese Nacht zum Capitain-Lieutenant und Flügel-Adjutanten ernannt wurde, zu ihrer Bastion zurückgekommen, fand sie schon am Eingang derselben neben dem Admiral die beiden Frauen mit dem Verbinden der vorausgesandten Verwundeten beschäftigt. Michael, der Unterfähnrich, hatte seinen Retter keinen Augenblick verlassen; als man den blutigen Körper aber aus der Sänfte hob, war längst auch der letzte Funke von Leben entflohen. Praßkowja Iwanowna machte darauf aufmerksam, daß die verstümmelten Finger des Mannes das blutüberströmte, von Bajonnetstichen zerrissene Fragment eines Briefes im Todeskampf aus der innern Tasche seines Rockes gezogen zu haben schienen und festgeklammert hielten, gleich als sei die Bestellung des Blattes die letzte Aufgabe seines Lebens. Als man es aus der erstarrten Hand gelöst, entzifferte man die Adresse des jungen Fähnrichs, der halb bewußtlos über der Leiche seines Freundes jammerte. Der Matrose Koschka aber legte die schwere Hand auf seine Schulter, während die kleine behende Alte seine eigenen Wunden verbinden half, und sagte: »Zum Henker, Bursche, ein braver Kerl wie Du muß nicht weinen! Sie sollen mich an den Flaggenknopf vom großen Mast schnüren und zwei Mittelwachen lang in der Julisonne am Sanct Georgen-Cap braten lassen, wenn Koschka Dir je vergißt, daß Du mit dem Todten dort der Einzige bei ihm bliebst in den britischen Tranchirungen!« –

Eine Trauerkunde trübte die Freude des tapfern Marine-Lieutenants über das gelungene Unternehmen; sein Gesellschafter am Nachmittag, der Podpolkawnik Sazepin, war im Laufe des Abends auf dem eben erst übernommenen Posten in den Trancheen der Redoute Schwarz getödtet worden, seine Ahnung also in rasche Erfüllung gegangen. – –

Als Michael Lasaroff am andern Morgen, während ein Waffenstillstand zwischen den Gegnern zur Beerdigung der Todten ihm Muße gab, den zerrissenen, halb vernichteten Brief zu lesen versuchte, konnte er nur folgende geheimnißvolle, blutverwischte Worte noch entziffern:


»Mein geliebtes ......


... wollte es wohlmachen mit Dir, meiner .......... letzten Freude auf der Welt, ........ Wohl fühle ich, daß .......... Dich nicht vermögen werden, ........ zu mir[263] .............. aufzugeben, was Du für Dei ...... Pflicht hältst, was ............. freier Menschen unwürdig ................. einziger Weg, Dich zu retten, dieser Krieg muß auf's Schleunigste enden; ...... Haupt möge fallen, um das Deine zu schützen. Möge der Himmel ............. von Dir wenden, bis .............. gelungen, Sebastopol, zu retten und Dich mit ihm selbst .............. Andenkens Deiner Mutter willen schone bis dahin Dein ............. kann nicht zu Dir ................. Ereignisse in Petersburg verhindern ..... Bogislaw, den Getreuen und Muthi ............. bereits auf dem Wege nach Paris. ............ Gedenke .............«

Fußnoten

1 Er wurde Anfangs April, während er in einer Blendung stand und die Leute für die Arbeiten des Tages vertheilte, durch eine Kugel tödtlich in der Brust verwundet. Als man ihn in das Quartier brachte, eilte Totleben herbei und tröstete ihn, daß nach dem Auspruch des Arztes die Wunde nicht gefährlich sei. Thonagel umarmte ihn und erwiderte: »Nein, es ist aus! mich schmerzt es nur, meine Bastion zu verlassen!«

2 Er beaufsichtigte die Arbeiten der ersten Abtheilung und fiel bei dem Abschlagen einer französischen Attaque.

3 Die Anecdote ist historisch; – der Verfasser bittet um Entschuldigung, daß er immer und immer wieder darauf aufmerksam macht.

4 Lumpenpack.

5 Der junge Offizier blieb selbst nach einer dritten Contusion auf seinem Posten, bis ihn Anfangs April eine Kugel tödtete.

Frühjahr 1855
1. Der geheime Vertrag
I. Der geheime Vertrag.

Paris begann sich bereits mit einer außergewöhnlichen Anzahl von Fremden aus allen Ländern zu füllen, welche die bevorstehende Eröffnung der großen Weltausstellung herbeigeführt, jener echt napoleonischen Gasconade auf den gewaltigen Druck des Krieges, der die Finanzen dreier mächtiger Staaten zu erschüttern begann. Frankreich hatte bereits über 300 Millionen Franken verwendet, eine neue Anleihe war unabweisbar, und der Transport der Truppen allein hatte seit Beginn des letzten Winters über 70 Millionen Franken verschlungen, während England der Unterhalt jeden Mannes im Orient bei der jämmerlichen Verwaltung auf mehr als 200 Pfund Sterling zu stehen kam. Sein Kriegsbudget war in den letzten zwei Jahren von 12 auf 43 Millionen Pfund gestiegen. Handel und Gewerbe, die nicht in dem Kriegsverkehr ihre Quellen hatten, stockten in Frankreich, der gewohnte große Abfluß nach Rußland war gehemmt, die englische Freundschaft wenig einträglich und in Paris beliebt, und der Kaufmanns- und Bürgerstand sprach sich ziemlich offen für einen Frieden aus. Die Presse schimpfte im Concert mit der Times auf Preußen, oder illustrirte die ungenügenden Berichte Canrobert's, ohne damit die Stimmung zu ändern. Die Lockspeise, welche die Regierung der Bevölkerung von Paris mit jener Ausstellung hingeworfen, gab indeß wenigstens Stoff zum Tagesgespräch und zu jenen hundert kleinen Debatten, Prahlereien und Einbildungen, welche der Franzose liebt, und somit jener ernstern Stimmung vorläufig einen Abfluß.

Der Moniteur hatte die Ordonnanz noch nicht gebracht, welche die Eröffnung verschob. Um den Industrie – Palast, bei dessen Direction der Prinz Napoleon seine Lorbeeren im orientalischen Kriege vergessen machen sollte, herrschte ein reges Leben und Treiben und im Innern noch die heilloseste Verwirrung, obschon der Tag bereits der 28. April war. Leute aller Stände, Schaulustige, Arbeiter, Aussteller und wichtig thuende Jury-Mitglieder, drängten sich auf allen Seiten und die sonst so luchsäugige pariser Polizei hatte in dieser Zeit nur eine sehr nachsichtige Controlle üben können.

[265] Die Avenue des Champs Elysées entlang, von dem Platz des Austellungsgebäudes her kamen zwei Männer, der Eine hochgewachsen, alt, mit zwei tiefen, den ehemaligen Soldaten verkündenden Narben über dem Gesicht, in eine alte Militair – Uniform niedern Grades gekleidet, der Andere klein, gebückt, mit dichtem, struppigem Haar und stechenden, unruhigen Augen, in gutem bürgerlichem Anzug. Die Männer unterhielten sich in italienischer Sprache, obschon nur wenige der Begegnenden dies bemerken konnten, da sie, ohne aufzufallen, doch so viel als möglich allein und abgesondert gingen.

»Sie wissen also gewiß, daß er kommt?« sagte der Kleine.

»Aus derselben Quelle, aus der ich Ihnen vorgestern bereits die entscheidende Nachricht brachte, daß die beschlossene Reise nach der Krimm aufgegeben sei. Die Minister hatten eine solche Menge Proteste auf die Beine gebracht, welche das Wohl des Staates an seine Person gefesselt erklären, daß der Rückzug mit Ehren gemacht werden konnte.«

»Man wird bald Gelegenheit haben, sich von der Wahrheit dieser Meinung zu überzeugen!«

»Still,« unterbrach der Aeltere diese spöttischen Worte; »die Luft und die Bäume könnten Ohren haben! Sie sind also entschlossen?«

»Wozu jetzt noch ein Zweifel – im letzten Augenblick? Hier, fassen Sie meine Hand und prüfen Sie meinen Puls, ob er wie der eines Mannes geht!«

»Ich meinte nur in Betreff der Gelegenheit, Signor Pianori.«

»Nennen Sie mich Liverani, wie ich in meiner Wohnung heiße, es ist sicherer. Die erste Gelegenheit ist die beste und ich will sie mir nicht entgehen lassen. Wie viel Uhr haben Sie?«

»Es ist ein Viertel über Vier – in einer halben Stunde spätestens muß er kommen.«

»Und seine Begleitung?«

»Wahrscheinlich nur ein Paar Adjutanten – wie gewöhnlich in kurzer Entfernung einige jener unbeholfenen Dummköpfe von der geheimen corsischen Sicherheitswache, die man gegen die Polizei Pietri's eingetauscht. Sie haben also, wenn Sie meinen Rath befolgt, volle Aussicht, zu entkommen.«

»Ich trage einen vollständigen hellen Anzug unter diesen dunklen Kleidern, auch eine Kappe.«

»Ihre Droschke wird an der bezeichneten Stelle halten – links vom Château des fleurs; die Frau ist entschlossen und wird mit einem weißen Taschentuch aus dem Schlage lehnen. Sie laufen durch die Bosquets. Sind Ihre Waffen in Ordnung?«

»Es ist eine Präcisionspistole mit Doppelläufen übereinander und kostete mich in London hundertfünfzig Francs. Außerdem habe ich zwei Terzerole in der Tasche und ein Messer im Gürtel – für mich, wenn es mißlingt.«

[266] Ein Arbeiter, in eine Blouse gekleidet, streifte in diesem Augenblick dicht an ihnen vorüber und der Alte im Soldatenrock winkte seinem Begleiter Schweigen. Erst als der Mann weit genug wieder entfernt war, fuhr er fort: »Dort ist der Triumphbogen und das Château – wir wollen scheiden. Im Namen der Unsichtbaren, Bundesbruder, frage ich Dich zum letzten Male: bist Du entschlossen. Deinen Eid zu halten?«

»Ich bin's!«

»So sei der Genius der Freiheit mit Dir und führe Deine Hand! Leb' wohl, Bruder – was auch Dein Loos sei, die Krone des Siegers oder des Märthyrers – die Rächer werden Dich nicht verlassen!« – Er drückte ihm die Hand und entfernte sich. Sobald er dem Italiener aus den Augen war, wandte er seine Schritte nach der Rue de Challot, erreichte den Boulevard du Banquet und nahm an der Barrière de l'Etoile Platz in einem Caffeehause, von wo er die Avenue übersehen konnte.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Gegen 5 Uhr kam der Kaiser der Franzosen die breite Allee daher geritten, nur begleitet von einem seiner Adjutanten, dem Grafen Edgar Ney, und seinem Stallmeister, dem Oberst-Lieutenant Valabrègue. Das Gesicht des Mannes, der, wenn auch nicht an Ruhm, so doch unzweifelhaft an Klugheit und Glück, noch über seinem großen Oheim steht, war ernst und nachdenkend, denn ein Ministerwechsel stand bevor und der Abend war zu verschiedenen wichtigen Conferenzen bestimmt. In einiger Entfernung folgte den beiden Reitknechten ein Wagen, in welchem der Chef jener geheimen corsischen Sicherheitswache, Hirevoy saß, welche, wie bereits erwähnt, der Kaiser sich selbst gebildet hatte, nebst einem ihrer Mitglieder, Alessandrini. Auf der Höhe des Château des fleurs, wo augenblicklich verhältnißmäßig wenige Spaziergänger verweilten und nur zwei Arbeiter in der Nähe wie zufällig umherschlenderten, erhob sich von einer der Steinbänke beim Nahen der Reiter plötzlich ein gut gekleideter Mann – derselbe, welchen wir vorhin mit dem alten Soldaten haben sprechen sehen – und trat mit einer Verbeugung dem Reitweg näher, die Hand in der Brusttasche, gleich als wolle er eine Bittschrift überreichen.

Dies schien auch der Kaiser zu glauben; denn, sein Pferd etwa sechs oder sieben Schritt von dem Manne anhaltend, neigte er sich über den Sattel und streckte die Hand aus, als Jener plötzlich ein vierläufiges Pistol aus dem Rock zog und auf den Monarchen feuerte. Die Kugel flog unschädlich vorbei und der Kaiser fuhr mit der Hand wie schützend nach dem Kopf. Diese Bewegung rettete wahrscheinlich sein Leben; denn der Mörder feuerte das zweite Mal – das Pistol über den linken Arm gelegt – zu hoch und die Kugel streifte nur den Hut des Bedrohten und machte ihn herabfallen. In diesem Augenblick, ehe der dritte Lauf der Mordwaffe gebraucht werden konnte, warf sich der nächste [267] der beiden Arbeiter, derselbe, der eine halbe Stunde vorher an dem verbrecherischen Paar verübergegangen war und einige unbestimmte Worte aufgefangen hatte, auf den Italiener und versetzte ihm einen Dolchstich in den Arm, der ihn die Pistole fallen lassen machte. Ein kurzes Ringen entstand, während dessen der Corse Alessandrini aus dem Wagen springen, herbeieilen und zur Festnahme des Mörders helfen konnte. Als dieser sah, daß seine Flucht unmöglich geworden, ergab er sich trotzig in sein Schicksal und ließ sich, von einer schnell sich sammelnden Menschenmenge umringt, binden und von den als Arbeiter verkleidet gewesenen beiden Polizei-Agenten in eine Droschke werfen.

Der Kaiser, etwas bleich, sonst aber gefaßt und ruhig, hatte den Männern, welche sich auf den Mörder geworfen, zugerufen, den Elenden zu schonen, dann aber ruhig seinen Weg nach dem Boulogner Wäldchen fortgesetzt, wo er die Kaiserin treffen wollte. Erst als die erregte Volksmenge sich um ihn drängte, setzte er sein Pferd in Galopp.

Plötzlich, am Triumphbogen, hielt er es an und fixirte einen Mann, der an einem Pfeiler der Kettenbarriere stand. Die Nachricht des Attentats war noch nicht bis hierher gelangt, obgleich man in der Ferne den Auflauf in der Avenue deutlich bemerken konnte; dennoch starrte der Unbekannte mit einem gewissen Entsetzen auf den Kaiser, und die tiefe Narbe, die von der linken Schläfe des greifen Gesichts quer über den Schädel lief, glänzte weiß in der Röthe der Aufregung, welche jenes bedeckte.

Der Kaiser hatte sich zu dem Oberst Ney gewandt und ihm, auf den Mann, der in eine alle Soldaten – Uniform gekleidet war, deutend, einige Worte gesagt, dann aber rasch seinen Weg fortgesetzt. Der Fremde, sobald er bemerkt, daß die Rede von ihm war, kreuzte die Arme und erwartete ruhig die Annäherung des Offiziers, der vom Pferde gestiegen war.

»Ich habe einen Auftrag an Sie, mein Herr,« sagte er artig zu dem Greise, »und bitte Sie, mir einige Schritte zur Seite zu folgen, um die Aufregung nicht zu vermehren.«

»Ich stehe zu Diensten, doch ersuche ich Sie, mir zuvor zu sagen, was jener Auflauf in den Champs Elysées zu bedeuten hat?«

»Es ist so eben ein nichtswürdiges Attentat auf den Kaiser verübt worden, dem Seine Majestät jedoch mit Gottes Hilfe und durch die Wachsamkeit der Polizei des Herrn Balestrino glücklich entgangen ist.«

»Ah! Balestrino,« sagte der Alte mit finsterm Spott, »er ist ein anderer Mann, als diese Corsen. Und was ist aus dem Mörder geworden?«

»Man hat ihn ergriffen und er befindet sich in diesem Augenblick wahrscheinlich schon auf dem Wege zur Conciergerie.«

[268] Der Greis schwieg einige Augenblicke. – »Was wollen Sie von mir?«

»Der Kaiser, der Sie zu kennen scheint, wünscht Sie zu sprechen.«

»Er hat Sie beauftragt, mich zu verhaften?«

»Nein – er befahl mir bloß, Ihr Ehrenwort als Soldat zu fordern, daß Sie sich heute Abend um 10 Uhr bei dem Gouverneur des Invalidenhotels einfinden wollen, von wo man Sie abholen wird.«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Dann – allerdings – glaube ich auf meine eigene Verantwortung – aber Seine Majestät haben einen solchen Fall gar nicht vorausgesehen und mir nur aufgetragen, sein kaiserliches Wort für Ihr ungefährdetes Kommen und Gehen zu verbürgen.«

»Ich werde kommen!«

»Ihr Ehrenwort?«

Der alte Soldat sah ihn unmuthig an. – »Ihr Vater, der Marschall, hätte an meinem bloßen Ja nicht gezweifelt! – Auf mein Ehrenwort als Soldat eines Größeren, denn er ist – ich werde zur Stelle sein.«

Er wandte dem Obersten ohne zu grüßen den Rücken und entfernte sich langsam. – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ganz Paris war in Aufregung über das Attentat, die Polizei in Bewegung; das diplomatische Corps, die Minister, die hohen Corporationen mit der Familie des Kaisers waren schon vor dessen Rückkehr in den Tuillerieen versammelt, um Glück zu wünschen – bis 10 Uhr dauerte die Fluth der Audienzen, ehe der Kaiser zur Ruhe kommen konnte. Der Justizminister hatte noch am Abend seine Aussage aufgenommen. – –

Im Arbeitszimmer des Kaisers, demselben, in welchem vor Jahresfrist Credit, Krieg und Revolution so wichtige Beschlüsse erfuhren, saß der Gebieter Frankreichs, bequem hingestreckt auf einer Chaise – longue, zur Seite einen vergoldeten Gueridon, auf dem mehrere Papiere ihm zur Hand lagen. Der Kaiser rauchte eine Cigarre, zwei Herren mit hohen Ordensauszeichnungen auf dem Frack standen an dem großen Arbeitstisch. Wir sind Beiden bereits begegnet: – Graf Walewski, der bisherige Gesandte in England, und Persigni, der frühere Minister des Innern. Sie waren bestimmt, ihre Rollen in dem neuen Ministerium zu tauschen.

Die Verhandlung hatte bereits einige Zeit gedauert. – »Eine Ihrer letzten Amtshandlungen, lieber Graf,« sagte fortfahrend der Kaiser, »soll die Stellung der Corsen unter Balestrino's Leitung sein. Ich habe mich überzeugt, daß er der Geschickteste und Thätigste ist.«

»Wann glauben Euer Majestät, daß die Veröffentlichung der Ernennungen erfolgen soll?«

[269] »In fünf oder sechs Tagen. Die Demission Drouin de L'Huys muß erst im Publikum ihre Wirkung thun – augenblicklich verdrängt sie der heutige Vorfall. Die Ernennung Thouvenel's für Constantinopel soll den Anfang machen. Lassen Sie einstweilen nur Layard und Roebuck mit ihrem Sebastopol-Comité für uns arbeiten. Lord Bourgoyen's Zeugniß ist noch compromittirender, als das des Herzogs von Newcastle und das Spiel wird binnen Kurzem in unsere Hand sein.«

»Oberst Sibthorp,« sagte Graf Walewski spottend, »beabsichtigt Lord Russell über Spezifizirung seiner Wirthshausrechnungen für die Mission nach Berlin und Wien zu interpelliren. Er meint, die Ausgaben für die weibliche Begleitung müßten gestrichen werden.«

Der Kaiser lachte herzlich. – »Diese Sucht unserer geliebten Alliirten, sich zu compromittiren, kommt uns sehr zu Statten. Palmerston's Eigensinn ist die beste Chance, die wir uns wünschen konnten und ich prophezeihe Ihnen, die Friedensconferenzen werden ihrer Zeit nur in Paris stattfinden. Wann glauben Sie, Graf, daß der neue Schlüssel für die Chiffern in London eintreffen kann?«

»Nicht vor dem 6. oder 7. Mai.«

»Das paßt zu dem Ambassadenwechsel. Es ist eine kostbare Idee dieser Engländer, – ein einziges Exemplar zurückzuhalten und das so glücklich sich escamotiren zu lassen.«

»Und was beschließen Euer Majestät in Bezug auf die dadurch erfahrene Absicht der Expedition nach Kertsch?«

»Meine Instructionen werden zur selben Zeit in der Krimm sein, wo Raglan's Bericht in London gelesen werden kann. Canrobert oder –« er schwieg einen Augenblick und überging das Wort, »wird demnach vollkommen Zeit haben, seine Maßregeln zu treffen. Lieber will ich wahrhaftig die Russen am Bosporus dulden, als eine englische Festung am Eingange des Azow'schen Meeres. Bei der Gelegenheit fällt mir ein: die Anordnungen wegen der ausschließlichen Beförderung der Briefe nach und aus der Krimm durch die Post sind doch wiederholt und werden streng beachtet? Wir sind nicht solche Narren wie die Engländer, uns selbst zu compromittiren, und die gestrigen Listen da unserer Verluste und der Gefangenen, die wir seit Beginn des neuen Bombardements erfahren und gemacht, lauten wenig günstig.«

»Die Lagerpolizei ist sehr aufmerksam und die Capitaine aller Transportschiffe haben strenge Instructionen, Sire. – Man täuscht sich übrigens im Publikum wenig über den Zweck der Anordnung und die Post hat manchen Spott zu erleiden. Die alte Herzogin von Beaufrémont z.B. giebt alle ihre Briefe nur mit einer Nadel zugesteckt auf die Post und schreibt darunter: ›Remettez l'épingle, s'il vous plait!‹«

»Lassen Sie dem Faubourg Saint-Germain den Spaß, dergleichen Beschäftigungen unterhalten ihn und schaden mir herzlich wenig. Wirken Sie nur für Beschleunigung des Besuchs der [270] Königin Victoria, Persigny, ich will den Parisern für die 750 Millionen Franken der neuen Anleihe wenigstens ein Schauspiel geben, während die Regierung Ihrer Majestät für 16 Millionen Pfund Nichts thut, als Stoff für Blamagen aus der Krimm zu liefern.«

»Sire, Sie sind heute bei Humor!«

Der Kaiser lächelte mit einem feinen rückhaltenden Spott. »Bah! glaubst Du, die Affaire aus den Champs Elysées habe mir den Appetit verdorben? Frankreich muß heute empfunden haben, wie viel an meiner Person hängt – und dieser Bericht Pietri's über des Nichtswürdigen Vergangenheit und Herkunft beruhigt mich über die einzige Besorgniß, die ich aus dem seltsamen Zusammentreffen hätte ziehen können.«

»Ich verstehe Euer Majestät Meinung nicht?«

»Der Herr Ambassadeur muß seine Wißbegierde schon für London aufsparen, wo sie mir hoffentlich recht gute Dienste leisten wird; für heute genug, meine Herren. Sie, lieber Graf, habe ich noch um einen vertraulichen Dienst zu bitten. – Bleiben Sie nur, Persigny, es ist kein Geheimniß. – Wissen Sie, wen ich heute am Triumphbogen wieder erkannt?«

»Ich bin begierig, Sire?«

»Unsern Unbekannten aus dem Invalidendom – vor zwei Jahren.«

»Dem die ganze Polizei so lange vergebens nachspürte? Und Euer Majestät ließen ihn nicht verhaften, wo sein Erscheinen offenbar in Rapport zu dem Mordanfall steht?«

»Lieber Freund,« sagte der Kaiser mit dem vorigen geheimnißvollen Lächeln, »es sind wahrscheinlich gegenwärtig viele merkwürdige Fremde in Paris, ohne daß sie gerade mit Herrn Pianori in Verbindung stehen. Doch ist meine Absicht eben, mich in dem vorliegenden Falle davon zu überzeugen, auch ohne daß ich in die Functionen meiner Polizei eingegriffen habe. Ich bitte Sie, von hier sich zu dem Gouverneur der Invaliden zu begeben; Sie werden den Mann, von dem wir eben gesprochen, dort finden, wenn ich seinen Character recht beurtheile, ihm dieses Papier geben« – er warf rasch einige Worte auf ein Blatt – »und ihn hierherführen. Ney ist anderweitig beschäftigt und Sie sind ihm bekannt.«

»Und was soll ich mit ihm thun?«

»Sie führen ihn hierher – durch die Terrasse dü Bord und den Pavillon Marsan. André wird Sie dort abholen. Sie bleiben dann im blauen Salon im Bereich meiner Stimme. Adieu bis dahin.«

Die beiden Minister zogen sich zurück. Der Kaiser blieb einige Zeit allein, blos mit seinen Gedanken beschäftigt und mit den Augen den Zeiger der großen Uhr auf dem Kamine, ein Meisterwerk Delacour's, verfolgend. Mit dem Schlag halb Eilf hörte man ein Kratzen an der mittlern, durch eine schwere Portiere bedeckten Seitenthür, die der Kaiser sogleich selbst aufschloß.

[271] Zwei Männer traten herein, der Eine war der Graf Ney, der Andere ein zierlich gebauter Mann von etwa 28–30 Jahren in einem einfachen Civilanzug.

Der Kaiser erwiederte die Verbeugung des Unbekannten und sagte dann zu seinem Begleiter: »Verlassen Sie uns, lieber Graf, und verhindern Sie jede Störung, bis ich Sie rufe.«

Der Adjutant verließ das Gemach, der Kaiser selbst schloß hinter ihm die Thür und ließ die Portiere fallen. Dann wandte er sich zu dem Fremden und sagte einfach: »Wir sind allein, mein Herr!«

Einige Augenblicke betrachteten beide Männer einander mit offenbarem Interesse. Der Fremde war, wie gesagt, feingewachsen und jung, seine Gesichtsbildung hatte den tatarischen Druck in edlern Formen, das durch eine Brille bedeckte feurige Auge verkündete Muth und Energie nur eine Falte zwischen den Brauen einen gewissen Zwang, den er sich anthat. Seine Manieren gehörten sichtbar der besten Gesellschaft an, doch war seine Haltung frei von jedem Zwange und der Devotion, die gewöhnlich die Nähe des Trägers einer Krone auferlegt.

Indem der Kaiser nach seinem frühern Platz zurückging, nahm er zwei kleine in englische Leinwand gebundene Bücher aus seiner Handbibliothek und legte sie neben sich auf die Causeuse. Sein Benehmen gegen den Fremden war übrigens artig wie das eines feingebildeten Privatmannes bei einer Conversation, nicht wie die Haltung des mächtigen Monarchen bei Ertheilung einer Audienz. Mit einer leichten Handbewegung nach einem danebenstehenden Lehnsessel einladend, sagte er höflich: »Ich bitte, nehmen Sie Platz – unsere Unterhaltung kann vielleicht lange dauern. Ich hoffe, Sie haben alle Anordnungen für die Geheimhaltung dieser Audienz Ihren Wünschen entsprechend gefunden?«

Der Fremde verneigte sich. – »Euer Majestät sind meiner – Bitte auf das Freundlichste entgegen gekommen und ich danke Euer Majestät dafür.« Das Wort »Majestät« schien wie durch Zwang unwillig über diese stolz aufgeworfenen Lippen zu kommen und ein dunkles Roth überschoß das Gesicht des Sprechenden, als er den leisen Triumph bemerkte, der einen Augenblick lang um den Mund des Napoleoniden zuckte.

»Sie haben den Auftrag,« sagte der Kaiser, »die vertraulichen Unterhandlungen zu Ende zu bringen, die nach dem Tode des Kaisers Nicolaus meines Herrn Bruders Liebden in Petersburg wegen des künftigen Friedensschlusses mit mir im Geheimen eröffnet hat. Sie werden höchst wahrscheinlich – da mir die Bürgschaft Ihrer unbekannten Person fehlt – eine Vollmacht besitzen?«

Der seltsame Unterhändler überreichte ein Blatt, das der Kaiser auseinander schlug. Es enthielt nur die Worte:


»Pleins pouvoirs!

Alexandre.«


[272] Der Herrscher der Franzosen machte eine zustimmende Bewegung mit dem Kopfe, gab das Blatt zurück und sagte: »Dies genügt vollständig. Kommen wir zur Sache.«

»Die Chancen des Krieges in der Krimm, Sire, stehen in diesem Augenblick günstiger für uns, als bei Beginn des Feldzug. Wir haben eine starke Festung und eine zahlreiche, entschlossene Besatzung, wo wir früher nur eine unvollständige Vertheidigung hatten. Ihre Armee, Sire, hat bei allem militairischen Ruhm, mit dem sie sich durch ihre Ausdauer bedeckt, doch während des Winters viel gelitten. Ihre Belagerungsarbeiten haben nur geringe Fortschritte gemacht.«

»Ich täusche mich nicht darüber, doch habe ich einen mächtigen Verbündeten!«

»Welchen, Sire? – England? – Sardinien?« Die Frage klang voll bittern Hohnes.

»Nein, mein Herr! – Das Frühjahr und nöthigenfalls noch den Sommer

»Wir haben die gleiche Chance, obschon ich zugeben will, daß der Winter unser besserer Alliirter war. Die Werke Ssewastopols – –«

Der Kaiser, der mit den Almanachs spielte und sie wie zufällig durchblätterte, unterbrach ihn lächelnd: »Lassen wir das Alles – das war Sache der Präliminarien und wir haben Wichtigeres. Ich will mit Offenheit Ihnen vorangehen und aussprechen, daß ich den Frieden so gut brauchen kann, wie Rußland.«

»Sire, Sie erklärten den Krieg!«

»Ich habe dem Kaiser Nicolaus den Krieg erklärt, nicht dem Kaiser Alexander. Ich brauchte damals den Krieg, denn es galt, meinen jungen Thron zu befestigen. Jetzt gilt es, meiner Nachkommenschaft diesen Thron auch zu sichern. Das kann die Diplomatie besser, wie der Krieg. Sie sehen, ich bin sehr aufrichtig.«

»Euer Majestät danke ich dafür. Was Rußland dazu thun kann – – –«

»Nein, mein Herr, das sind vage Versprechungen. Ich muß die ganz bestimmte Erklärung haben, daß Rußland die Bourbonen für alle Zeit fallen läßt. Mit den Orleanisten und den Republikanern werde ich schon allein fertig, das Einzige, was meiner Familie entgegen stehen kann, ist die Tradition – und mit dieser muß Rußland freiwillig – merken Sie wohl –freiwillig und offen brechen, wenn ich meinerseits Opfer bringen soll.«

Der junge Unterhändler schwieg, auf seiner kräftigen Stirn lagen schwere Wolken.

»Die Romanow's,« fuhr der Kaiser streng fort, »haben eben so gut ihren Anfang gehabt, wie die Bonaparte's. Ich bin nicht einmal der Erste, sondern bereits das dritte Glied meines Hauses auf dem Throne. Sie werden mir zugestehen, daß die Bourbonen ihre Glanzzeit überlebt und ihre Restauration nicht haben aufrecht [273] halten können. Dies würde auch künftig der Fall sein. Die Orleans sind ein Geschlecht von Unruhstiftern und Gelegenheits-Speculanten. Sie haben also keine Bürgschaft für die Zukunft, als in mir, und wenn je ein Mann das Wort wahr gemacht, daß er mit der Revolution gebrochen, so bin ich es!«

»Euer Majestät legen, ich erkenne es im Namen meines – Gebieters an, die Nothwendigkeit klar dar, aber nicht die Mittel.«

»Hören Sie mich an – ich fordere keine Erniedrigung der legitimen Höfe von Europa, wie mein Onkel thörichter Weise, um seinem Stolz zu schmeicheln, that; aber ich fordere anerkennendes Entgegenkommen. Ich wiederhole Ihnen, die Person des Kaisers Nicolaus war dasjenige Element, was meinen Ansprüchen in Europa bisher entgegen stand. Er war es, der den Weg, den ich versuchte zur Einbürgerung meiner Rechte, abschnitt. So lange er lebte und unbesiegt war, blieb ich ein geduldeter Emporkömmling und in zweiter Reihe. Gott selbst hat entschieden und Rußland die neue Auffassung der Zeit leicht gemacht. Ich bin kein Eroberer, wie mein Onkel, ich will nicht in Europa gefürchtet, aber ich will gesucht und nöthig sein. Wir werden den Frieden schließen unter Bedingungen, die für unsere beiderseitige Stellung nothwendig und nützlich sind. Dann wird die Zeit neuer Bündnisse und diplomatischer Conjecturen eintreten. Die erste Nothwendigkeit hierzu war die Sprengung der sogenannten heiligen Allianz.«

»Sie ist faktisch bereits todt – durch Oesterreichs Dankbarkeit.«

»Ja, aber Rußland muß sich verpflichten, auch nicht einmal für die Wiederherstellung des Scheines etwas zu thun.«

»Unsere Staatsmänner haben diese erste Forderung Eurer Majestät erkannt und Rußland verpflichtet sich dazu.«

»Das ist mir lieb. Es wird, um der allgemeinen Stimme willen, nothwendig sein, daß bei dem Friedensschluß Rußland einige Concessionen am Schwarzen Meere macht, vielleicht die Abtretung einer unwesentlichen Landesstrecke zur sogenannten Regulirung der Gränze und der Donaumündung. Wir sind die Letztere Oesterreich schuldig für seine Rolle, werden aber dafür sorgen, daß es keinen festen Fuß am Schwarzen Meere faßt. Das Protektorat der Donau – Fürstenthümer wird unter die gemeinsame Diplomatie gestellt.«

»Das ist ein wichtiger Verlust für Rußland.«

»Eine bloße verführerische Gelegenheitsmacherei. Nach dem Verlust Ihrer Flotte und Arsenale im Süden ist Ihnen die Sache ohnehin nutzlos.«

»Aber unsere Flotte ist noch nicht verloren!« Das Auge des Russen blitzte stolz und feurig.

»Sie ist es; – wir können natürlich nicht über den Bosporus wieder zurückgehen, bevor die russische Flotte zu existiren aufgehört. Ueberdies ist sie ja zur Hälfte bereits vernichtet. Doch das wollen wir [274] später erörtern. Sein Sie versichert, daß ich gar keinen Einspruch erhebe gegen jede Verstärkung Ihrer Flotte im Norden, eine solche kann nur mein Wunsch sein und ich werde Ihnen mit Bereitwilligkeit die französischen Werfte für diesen Zweck öffnen.«

Der junge Diplomat sagte langsam und feierlich: »Wir sind bereit, unsere Angriffsstellung im Süden zu opfern, natürlich unter Vorbehalt unserer Rechte bei einer künftigen Regulirung der türkischen Frage – aber unter der Bedingung, daß England keine weiteren Erwerbungen am Mittelmeere macht und nicht am Schwarzen Meere festen Fuß faßt.«

»Ach, dafür lassen Sie mich sorgen; Sie werden in Kurzem ein Pröbchen davon hören, wie ich meinen speculirenden Verbündeten in Ihrem Interesse auf die Finger sehe! Möge Rußland zusehen, wie es sich den Weg nach Indien bahnt und sich nach China ausdehnt, ich werde gar Nichts dawider haben. Asien ist das Land der nächsten fünfzig Jahre.«

»Sire – ich will Ihre Offenheit erwiedern – Sie wünschen das Mittelmeer?«

»So ist es – und es ist nicht mehr als billig, daß Frankreich dort herrscht. Seine natürliche Lage berechtigt es dazu und ich hoffe es noch zu erleben, daß jeder lecke Eindringling auf sein natürliches Gebiet zurückgewiesen wird. Sie thaten Recht, mein Herr, geradezu auf den Hauptpunkt unserer Verständigung loszugehen. Hier ist das Bündniß der Zukunft für Rußland und Frankreich. Vorläufig verlange ich nur, daß Sie meine Politik und meine Festsetzung in Italien nicht beschränken, ich werde dafür mit Ihnen in der dänischen Frage Hand in Hand gehen. Dies sprengt das österreichisch – englische Bündniß, und Preußen in Schach zu halten ist Ihre Sache.«

»Wir sind einverstanden. Preußen ist ein Staat, dessen Hauptaufgabe seine innere Entwickelung und seine Vertheidigung gegen Oesterreich bleibt.«

»Dies, erkenne ich an und wünsche dringend mit ihm ein freundliches Verhältniß. Weiter können wir uns nicht viel nützen; doch muß ich darauf bestehen und dafür sorgen, daß es nach dem Frieden sich der Anerkennung meiner Berechtigungen anschließt. Dafür werde ich sein Recht der Theilnahme an den Friedensverhandlungen trotz seiner angenommenen Neutralität gegen alle englischen Einwendungen unterstützen. Die öffentlichen Friedensverhandlungen müssen natürlich in Paris stattfinden.«

»Sollte nicht Brüssel oder Berlin – –«

»Nein, mein Herr – keinen Rückzug! Das ist das erste und natürlichste Zeichen jener Anerkennung und Sicherung, die eben unser Hauptbedingniß ist.«

»Wir überlassen Eurer Majestät die Wahl.«

»Und nun, da wir mit der Zukunft fertig sind, lassen Sie uns zur Regelung der Nebenfragen übergehen, ich meine die ehrenvolle [275] Beendigung des Krieges selbst und die Entscheidung über Sebastopol.«

»Sire, Sie werden Nichts verlangen, was die Waffenehre Rußlands beleidigt! Wir wünschen den Frieden, aber wir sind nicht besiegt, und – ich muß es wiederholen – Ssewastopol ist fester denn je!«

Der Kaiser sann eine Weile nach. – »Die Verständigung ist vom militairischen Standpunkt schwieriger, als vom politischen. Sie sind wahrscheinlich selbst Offizier oder haben wenigstens gedient?«

Der Fremde verbeugte sich.

»So werden Sie desto leichter einsehen, daß ich die Armee schonen muß. Sie kann ohne einen Erfolg oder eine große Niederlage nicht zurückkehren, und die letztere würde alle unsere diplomatischen Pläne vernichten oder in weite Ferne schieben. Der Franzose lebt von der gloire und ich darf die Armee nicht verletzen. Vielleicht eine ehrenvolle Capitulation?«

»Sire, Sie haben die britische und die türkische Armee zu Aliirten!«

»Ei, die könnte man sich vom Halse schaffen – geben Sie den Burschen in Kleinasien eine Lection, dort ist mir Ihr Sieg ganz recht. Doch machen Sie selbst einen Vorschlag, Sie werden ohne einen solchen nicht hierher gekommen sein.«

»Lassen Euer Majestät uns den Kampf um Ssewastopol gleich einem Turnier des Mittelalters betrachten. Welches dann auch der Ausgang sei, die politischen Folgen sind durch die eben erfolgte Verständigung über die Zukunft geregelt; – unsere Armeen kämpfen nur noch um die Ehre. Euer Majestät mögen selbst den Zeitpunkt bestimmen, bis zu welchem Tage dies Turnier dauern soll. Jeder thue das Mögliche für den Ruhm seiner Waffen. Die Einnahme der Südseite oder der von Ihnen festgesetzte Termin endet den Kampf und läßt einen Waffenslillstand eintreten, während dessen der Frieden geschlossen wird. Auch im Fall das Glück uns begünstigt, wird Ssewastopol ein Schutthaufen und – ich gestehe es zu – unsere militairische Herrschaft auf dem Schwarzen Meere für längere Zeit vernichtet sein. Man stampft weder Arsenale, noch eine Flotte, noch ihre Equipage aus den Gräbern.«

Das Auge des jungen Mannes mit dem stolzen, ernsten Gesicht schaute finster und voll Schmerz – es war, als läge diese stolze Flotte, diese Riesenschöpfung nicht auf dem Grunde des Meeres, sondern in der Tiefe seines Herzens begraben.

Es folgte eine Pause. Endlich schrieb der Kaiser einige Worte auf ein Blatt und reichte es dem Unterhändler. – »Ist Ihnen dieser Datum genehm?«

»Ja, Sire, obgleich alle Chancen dann für Sie sind. Ueberlebt Ssewastopol diesen Tag, so wäre es – ja, es wäre Wahnsinn, Ihre brave Armee noch einem Winter, wie der vorige, auszusetzen. [276] Der Wassenstillstand beginnt demnach auf jeden Fall vor diesem Tage an?«

»Ich bin es zufrieden! – Wenn Sebastopol fällt, selbst im Sturm, sollen sich Ihre Truppen unangefochten zurückziehen dürfen. Wir werden den Sieg nicht verfolgen.«

»Ich danke Ihnen, Sire, obgleich ich hoffe, daß er auf unserer Seite sein wird. Die Einschiffung der Franzosen wird von uns durch keine Feindseligkeiten gefährdet werden.«

Beide Parteien lächelten unwillkürlich bei diesem Wettstreit des Nationalstolzes.

»Ihr Turnier, mein Herr, wird Ströme von Blut kosten. Können wir auch die Menschenleben verantworten?«

Der Russe sah ihn erstaunt an. – »Elihn Burrit, Sire, ist ein Narr. Fürsten können keine Philantropen sein, wie theilnehmend auch ihr Herz dem einzelnen Leiden schlägt. Die Armeen der Könige sind die Aderlaßmesser der menschlichen Gesellschaft. Wir Russen machen Politik mit den Soldaten, nicht um der Soldaten willen.«

»Sie sprechen kühn,« sagte lächelnd der Kaiser, indem er sich erhob, »und sind überhaupt ein seltsamer Unterhändler, mit dem man sehr rasch zu Ende kommt. Walewski und Nesselrode hätten sicher zu dem, was wir in einer halben Stunde erreicht, Monate gebraucht, was allerdings wahrscheinlich noch mehr Blut gekostet haben würde. Doch – wir haben bei alledem einen Hauptfactor ganz außer Spiel gelassen – Seine Herrlichkeit Lord Palmerston und meine intimen Verbündeten!«

»Euer Majestät Flotte – ich mache Ihnen mein Compliment über Ihre Marine – und die Russische hätten vereint England vom Erdball peitschen können! Euer Majestät mögen es mit England einrichten nach Ihrem Belieben. Wir unterhandeln mit Frankreich.«

Ein selbstzufriedenes stolzes Lächeln lag auf dem Gesicht des französischen Herrschers. – »So wären denn alle Punkte geordnet – aber in welcher Form wünscht Seine Majestät der Kaiser Alexander einen Austausch unserer Stipulationen?«

»Sire, mein – der verewigte Kaiser hat uns die Lehre von dem blauen Buch hinterlassen. Mein Souverain ist zufrieden mit dem Versprechen Eurer Majestät, das ich die Ehre habe, hiermit anzunehmen. Ich habe Ihnen freilich dagegen Nichts zu bieten, als eben diese Vollmacht.«

»Ihr Wort genügt mir gleichfalls,« sagte sein Gegner artig. »Es soll mich sehr freuen, Eure Kaiserliche Hoheit nach geschlossenem Frieden offiziell in Paris zu empfangen und das bewiesene Vertrauen dann zu vergelten.«

»Sire – – –«

Der Herrscher Frankreichs überreichte dem überraschten Gast das kleine Buch, in welchem er mehrfach geblättert, aufgeschlagen an [277] einer der ersten Seiten, indem er zugleich die Feder der Glocke drückte. Es war der Gothaische Almanach vom Jahre 1850.

Die Thür hinter der Portiere öffnete sich augenblicklich und Oberst Ney trat ein.

»Leben Sie wohl,« sagte der Kaiser, indem er seinem Besuch die Hand reichte, »und reisen Sie glücklich. Ich hoffe, das Turnier fällt zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit aus und wir sehen uns recht bald wieder. Lieber Graf, Sie werden die Gefälligkeit haben, sich ganz zur Disposition – – dieses Herrn zu stellen.«

Er geleitete den Besuch, der seit jener Anrede ein bedeutsames Schweigen beobachtet, mit auffallender Artigkeit bis an die Schwelle des Gemachs. Als er zurückkam, warf er sich auf die Ottomane und bedeckte, tief aufathmend, das Gesicht einige Augenblicke mit der Hand.

Als er sie zurückzog und wie an jenem Abend – vor Jahresfrist – vor das Portrait seines Oheims trat, war sein Antlitz marmorfest in den stolzen Zügen und das Auge ruhte mit einem gewissen selbstzufriedenen Hohn auf dem Bilde. – »Die Sühne ist gebracht – meine Schuld an Dich abgetragen und die Beleidigung, die mir selbst geworden. Jetzt kommt die Zeit, die mein allein ist!«

Der Kaiser schritt gedankenvoll einige Male auf und nieder. »Ich bin müde von all' dem,« sagte er endlich, »und muß zu Ende kommen. Sehen wir, ob Walewski meinen Mann gefunden hat.«

Er klatschte in die Hände und sein vertrauter Kammerdiener Andrée trat sogleich durch die entgegengesetzte Thür ein.

»Ist der Graf im Salon – allein oder in Begleitung?«

»Seine Excellenz harren seit einer Viertelstunde. Es ist ein alter Herr bei ihm.«

»Laß Beide eintreten.«

Der Gebieter hatte wieder auf der Causeuse Platz genommen, der große Arbeitstisch trennte ihn von den Eintretenden.

Diese waren der Graf Walewski und der Mann, welchen der Kaiser am Triumphbogen getroffen, diesmal in einer seinem Alter entsprechenden vornehmen Civilkleidung, mit dem Kreuz der Ehrenlegion geschmückt.

»Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie Wort gehalten haben,« sagte der Kaiser. »Es ist lange her, daß wir uns nicht gesehen, dennoch erkannte ich Sie sogleich – trotz der Verkleidung. Beabsichtigen Sie auch jetzt noch, Ihr Incognito beizubehalten?«

»Sire – ich bin der Graf Lubomirski, Escadronchef der polnischen Lanziers unter Ihrem Oheim, zuletzt Oberst in der Armee der polnischen Republik.«

»Ah! ich kenne den Namen, einer der Helden von Somosierra mit Niegolewski – wenn ich nicht irre?«

Der Greis verbeugte sich.

»Mein Herr,« fuhr Jener fort, »unsere Bekanntschaft ist [278] seltsamer Art und ich gestehe Ihnen offen, daß ich es bedaure, einen Mann Ihres Namens in Verhältnissen und Verbindungen zu treffen, deren Natur nur geheimnißvoll und verbrecherisch sein kann. Den noch habe ich Vertrauen zu Ihnen und habe Sie unter Verpfändung meines Ehrenworts zu dieser zweiten Zusammenkunft eingeladen, um einige Fragen und eine Mittheilung an Sie zu richten.«

»Sire – meine Anwesenheit zeigt Ihnen, daß ich Ihnen antworten werde – so weit es mich betrifft – aber nur, – wenn ich die Ehre einer geheimen Audienz habe.«

»Ich bat Sie schon früher, lieber Walewski – – –«

»Euer Majestät verzeihen – aber ich muß mich weigern, Sie mit einem Manne allein zu lassen, der zu dem Bunde Ihrer gefährlichsten Feinde gehört.«

»Der Herr war Offizier meines Oheims,« sagte der Kaiser ruhig, »Sie hörten es selbst, lieber Graf; ich entbinde Sie aller Verantwortung und nehme diese auf mich. Bleiben Sie im Nebenzimmer.«

Der Minister entfernte sich schweigend, nicht ohne noch einen besorgten Blick auf den Polen geworfen zu haben.

Der Gebieter Frankreichs und der Sectionschef der revolutionairen Propaganda waren allein. Erst nach einigen Augenblicken brach der Erstere das Schweigen.

»Sie sind ein Mitglied der sogenannten Marianne oder vielmehr des Bundes der Unsichtbaren?«

Ein spöttisches Lächeln zuckte unter dem grauen Schnurrbart des Polen. – »Euer Majestät sind gut unterrichtet durch den Baron Riepéra.«

»Sie haben das unbedingte Versprechen Ihrer eigenen Sicherheit in der Hand. Wollen Sie mir deshalb aufrichtig eine sonst gefährliche Frage beantworten?«

»Ich erklärte mich schon bereit dazu – da es ohnehin wohl die letzte Unterredung sein wird, mit der Euer Majestät mich beehren.«

»Das wird von Ihnen abhängen,« bemerkte der Kaiser, ohne auf den Doppelsinn zu achten. »Sagen Sie mir offen und ohne Besorgniß: wußten Sie um den heutigen Mordanfall gegin mich?«

»Ja, Sire!«

»Also doch – ein politisches, wohlüberlegtes Attentat, nicht der Wahnsinn eines Einzelnen! Das ist abscheulich!«

»Sire – Sie sind uns im Wege – Sie haben sich aus unserer Stütze zu unserm Herrn gemacht, Sie, der Republikaner auf dem Throne, sind der bitterste Feind der socialen Republik geworden – Sie müssen sterben, Sire!«

»Alter Thor! wissen Sie nicht, daß das Leben der Männer, die Gott auf einen Thron gesetzt, vor allen andern unter seinem Schutz steht?«

[279] »Aber die Königsmörder, Sire, sind oft die Rächer in der Hand Gottes.«

»Das ist Blasphemie! Hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe, und hinterbringen Sie es den Häuptern Ihrer Verbindung, wenn Sie nicht, wie ich vermuthe, selbst eines – bitte,« unterbrach er sich, denn der Graf war dem breiten Tisch einen Schritt näher getreten – »bleiben Sie an Ihrem Platz, ich wünsche nicht eine allzu große Nähe. Also hören Sie oder berichten Sie Jenen meinen festen Entschluß. Ich habe nicht Lust, meine Person politischen Fanatikern oder Schurken länger zur Zielscheibe dienen zu lassen, weil ich ihren Plänen unbequem geworden bin. Ich erkenne an, daß die revolutionaire Propaganda so gut eine bestehende Macht ist, wie die legitimen Throne oder die Throne de facto, mit der man unterhandeln kann. Möge sie daher England, Italien, Ungarn – meinetwegen auch die Türkei zum Schauplatz ihrer Thätigkeit machen – ich werde sie gewähren lassen und bewillige ihr ausdrücklich dies Feld. In Frankreich aber dulde ich sie nicht mehr, in Frankreich bin ich Herr, ich allein! Ich habe sie mit offenen Waffen bisher bekämpft, aber ich schwöre Ihnen, bei dem geringsten Versuch von Meuchelmord, der noch ein Mal gegen mein Leben oder ein Leben der Familie Napoleon gemacht wird, soll Cahenne ein Eldorado sein und ich will sie verfolgen wie giftiges Gewürm bis in ihre geheimsten Schlupfwinkel. Also persönliche Sicherheit bei allem Prinzipienkampf, oder ein Vertilgungskrieg auf's Aeußerste!«

Das Gesicht des Herrschers war dunkel geworden bei den heftigen entschlossenen Worten – der alte Propagandist aber hatte ihnen anscheinend unbewegt zugehört.

»Jetzt, mein Herr,« fuhr der Kaiser fort, »ist der Zweck erledigt, wegen dessen ich Sie hierher bemüht. Ich wollte sicher sein, daß meine Worte, mein Entschluß zuverlässig zu den Leitern jener Bündnisse kämen, und benutzte den Zufall, der mich Ihnen endlich wieder begegnen ließ. Gehen Sie also zurück nach England, woher Sie mit dem feigen Meuchler gekommen und wo Lord Palmerston Ihren Freunden seinen Schutz gewährt. Sie haben mein Geleit und Niemand wird Ihre Abreise hindern. Aber hüten Sie sich, zurückzukehren nach Frankreich, – um der Erinnerungen von Somosierra willen wünsche ich dies, Herr Graf!«

»Sire – ich komme nicht aus England!«

»Woher sonst? – Diese Ermittelungen der Polizei« – er zeigte auf ein Papier – »ergeben bereits, daß der Mörder ein Italiener, ein ehemaliger Genosse Garribaldi's, aber vor acht Tagen aus England gekommen ist.«

»Ich widerspreche dem nicht – ich jedoch, Sire – komme direkt aus Rußland!«

Der Kaiser fuhr empor. – »Aus Rußland, sagen Sie? – das ist seltsam! – wäre es möglich – – –?«

[280] »Sire – es wird Ihnen beweisen, daß Sie mit einigen Präsumtionen Unrecht haben. Von wem Pianori ausgeschickt ist, mögen Ihre Gerichte ermitteln – wenn sie es im Stande sind. Ich aber kann Ihren Auftrag an die Häupter der freien Verbindungen nicht ausführen. – Ich lege den Schutz, den mir Ihr eigenhändiger Befehl gewährt, in Ihre Hände zurück, – Sie werden mich auch nicht wiedersehen; denn, Sire, es giebt noch einen andern wichtigeren Grund, weshalb – –« er legte das Papier, das Graf Walewski ihm übergeben, auf den Tisch – plötzlich fuhr er zurück – der entschlossene finstere Ausdruck des narbigen Gesichts verschwand in einer unendlichen Angst – –

Der Kaiser hatte sich halb erhoben und die Linke an die Feder der Glocke gelegt, während die rechte Hand einen Gegenstand zwischen den Kissen der Causeuse erfaßte. – »Was beabsichtigen Sie, mein Herr? – hüten Sie sich!«

»Halten Sie ein, Sire – um Gotteswillen – verzeihen Sie diese Indiscretion, aber – ich sehe hier einen Namen – ich beschwöre Sie, wie kommt der Name dieses Knaben in Ihr Cabinet?« – Er hatte ein Papier, auf das neben der Stelle, an welche er jenes Blatt niedergelegt, zufällig sein Auge gefallen war, aufgerafft und hielt es zitternd dem Kaiser hin – große Schweißtropfen brachen aus seiner Stirn.

»Es ist die letzte Liste der russischen Offiziere,« sagte dieser kalt, »die in den nächtlichen Gefechten seit Wiederbeginn des Bombardements vor Ssewastopol zu Gefangenen gemacht wurden. Interessirt es Sie, so lesen Sie immerhin.«

»Sire« – der Greis taumelte nach der Lehne eines Sessels und stützte sich darauf, noch immer das Papier fest in der Hand – »erlauben Sie – aber ich bin ein alter Mann, und was mir eben begegnet, hat mich überwältigt.«

Er unterlag sichtbar der höchsten Ausregung. Der Kaiser war freundlich näher getreten und nöthigte ihn zum Sitzen. – »Nehmen Sie Platz, Herr Graf! Vielleicht haben Sie auf der Liste einen Ihnen bekannten Namen gefunden?«

»Es ist der Name meines Enkels Michael Lasaroff – Fähnrich! – Sire – Sie sagten vorhin mit Recht, Gott bewahre das Leben Derer, die er auf einen Thron gesetzt! Der Name dieses Knaben hat Ihr Leben gerettet – denn in diesem Augenblick schon hätte Frankreich keinen Herrn mehr gehabt!«

Der so seltsam bedrohte Monarch konnte allerdings ein Gefühl des Schauders und Widerwillens nicht unterdrücken, doch gewann er sogleich die Fassung wieder und entgegnete: »Sie fiebern, Herr Graf – und schreiben sich eine Absicht zu, an die ich zu Ihrer eigenen Ehre nicht glauben kann.«

»Nein, Sire,« sagte mit festem Tone der alte Propagandist, »was ich sage, ist Wahrheit; nicht die Beschlüsse der republikanischen Gesellschaften allein drohten Ihnen den Tod – Ihr Leben [281] war einem entschlossenen Manne nothwendig, um das Theuerste zu retten, was er besitzt. Ihr Tod hätte die Belagerung von Ssewastopol beendet, auf dessen Wällen mein Enkel als Vertheidiger stand. Gott hat es anders gewollt; – als Gefangener der Franzosen ist sein Leben gesichert – machen Sie also mit mir, was Sie wollen.«

Der Kaiser ging einige Male in dem Cabinet auf und ab und schien einen Entschluß zu überlegen. Dann blieb er vor dem Polen stehen und sagte: »Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß mein Wort giltig bleibt. Wollen Sie jetzt meinen Auftrag an die Führer Ihrer Verbindungen ausrichten? – ich biete Ihnen Leben für Leben.«

»Wenn ich Euer Majestät recht verstehe,« sprach erschüttert der Greis, »so bin ich überwunden. Gott hat zu mir gesprochen! Ich stehe Ihrer Verfügung, wie ich einst der Soldat Ihres großen Onkels war. Sie werden Nichts von mir fordern, was nur ein Ripiéra leisten konnte.«

»Ich bin damit einverstanden und freue mich dieses Resultats. Der Auftrag, den ich Ihnen gegeben, muß von Ihnen persönlich ausgeführt werden, ich verlange nicht zu wissen, wo und wie, aber die Sache selbst ist für mich zu wichtig. Sobald dies geschehen, mögen Sie nach der Krimm abreisen, ich brauche eine Person für die Ausrichtung von Aufträgen dort, die ich keinem Offizier meiner Armee anvertrauen will. Eine offene Ordre wird Sie ermächtigen, über die weitere Gefangenschaft und das Schicksal Ihres Enkels selbst zu verfügen.«

»Sire, zählen Sie auf mich! – eine Festung für ihn, bis dieser Krieg zu Ende ist!«

»Arrangiren Sie das, ganz wie Sie wollen, Herr Graf. – Gehen Sie jetzt, denn ich bedarf der Ruhe – ich behalte ein Pfand, daß ich Sie bald wiedersehe. Wenn Sie eine geheime Audienz wünschen, so wenden Sie sich an meinen Kammerdiener Andrée.«

Er gab das Zeichen und der Minister, der mit Besorgniß es längst erwartet, öffnete sogleich die Thür.

2. Hochzeit!
II. Hochzeit!

Am 19. Mai hatte General Pelissier das Oberkommando der französischen Armee übernommen – der Kaiser hatte seinen Kämpen zum Turnier gewählt.

Die Stärke der verbündeten Truppen betrug zu dieser Zeit durch die bedeutenden Nachsendungen aus Frankreich, die Ankunft des türkischen Corps unter Omer Pascha und der Sardinier unter [282] General La Marmora 1: 174500 Mann, von denen 100000 allein auf die Franzosen kamen. Auch die Zahl der Russen in der Krimm war auf c. 200000 Mann gewachsen, so daß fast eine halbe Million Krieger auf diesem Fleck Erde einander gegenüberstand.

Am 9. April hatten die Verbündeten ein zweites Bombardement auf die Festung eröffnet, das, in Betracht seiner riesenhaften Vorbereitungen, einzig in der Geschichte dasteht. Die Kosten des Vorbereitungs-Materials betrugen nicht weniger als sieben Millionen Franken. Fünfhundertundacht Geschütze schweren Kalibers – mindestens 32 pfündige und viele Bombenkanonen, die 100- und 200 pfündige Hohlkugeln warfen – bildeten die Armirung der Demontir-Batterieen von der Quarantaine-Bucht bis zum östlichen Ende der Rhede. Vierzehn Tage dauerte dieses furchtbare Feuer mit beinahe gleicher Heftigkeit – während des Tages die Kanonade, während der Nacht das Bombardement – ununterbrochen fort und mehr als zweimalhunderttausend Kugeln verschiedener Art wurden während dieser Zeit auf Ssewastopol geschleudert.

Dennoch hatte dieser entsetzliche Eisenhagel nicht den gehofften Erfolg. Obschon die russischen Batterieen dem Feind nicht mit gleicher Heftigkeit antworteten und durchschnittlich alle 24 Stunden 15–20 russische Geschütze demontirt wurden, lieferten die ungeheuren Vorräthe des Arsenals und die Artillerie der versenkten Schiffe doch hinreichenden Ersatz und mit jedem Morgen sahen die Verbündeten die jenseitigen Batterieen in demselben Zustand, wie vor Beginn des Bombardements. Alles, was am Tage die feindlichen Geschosse zerstört hatten, war in der Nacht, trotz des heftigen Bombenfeuers, wieder ausgebessert. Keine der Festungs-Batterieen wurde zum Schweigen gebracht, wogegen dies mehrfach mit englischen und französischen der Fall war. Schon am zweiten Tage waren hier 50 Geschütze demontirt. Die Flotte – eingedenk der erhaltenen Lection – hielt sich außer dem Bereich der Seeforts. In der Festung machte jeder Tag des Bombardements gegen 500 Mann kampfunfähig, die Verbündeten verloren etwas über 200.

Während der nächtlichen Bombardements wütheten zugleich die Kämpfe um die Logements fort.

In der Nacht zum 2. Mai ließ Pelissier, der damals noch den linken Flügel der Belagerungsarbeiten kommandirte, die Redoute Schwarz und die Logements vor der Bastion IV. und V. mit 10000 Mann stürmen; – die Logements wurden nach einem großen Verlust genommen, die Redoute Schwarz aber schlug den Angriff zurück.

Die Belagerungsarbeiten waren somit nur wenig vorgeschritten, als Pelissier – gleichgiltiger gegen Menschenleben, als je ein [283] russischer Führer – den Oberbefehl in Stelle Canrobert's erhielt, der, sorgsam und aufopfernd, doch selbst fühlte, daß er zu einem solchen Kampf nicht die Energie und Rücksichtslosigkeit besitze, welche allein den Sieg verschaffen konnte. Würdig von seinem Posten als Oberbefehlshaber zurücktretend, bewies er den Muth und Gehorsam des Soldaten, indem er sich das Kommando seiner frühern Division zurückerbat.

Der neue Oberkommandant ging sofort zum Sturm der Vertheidigungslinien über. Schon in der Nacht zum 22. Mai warf er auf die Linien der Contre-Approchen zwischen der Quarantaine-Bucht und der Mastbastion drei starke Colonnen unter General de Salles, denen Chrulef begegnete. Der blutige Kampf dauerte die ganze Nacht ohne Resultat, beide Theile hatten weit über 2000 Todte und Verwundete. In der nächsten Nacht erneuerte sich die Schlacht.

General Pelissier richtete nun sein Augenmerk gegen die Schiffervorstadt und ging mit seinen Approchen vor; – am 2. Juni waren die französischen Linien so weit vorwärts gedrungen, daß die russischen Logements vor der Kamschatka-Lünette geräumt werden mußten, weil das französische Feuer sie im Rücken faßte. –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war Abend; – in einem mittelgroßen Gemach des Erdgeschosses – der Fürst und die Fürstin Oczakoff hatten bei der immer größern Ueberfüllung der Lazarethe den bedeutendsten Theil ihres Hauses für Kranke und Verwundete eingerichtet, die die Fürstin mit ihren grauen pflegte, – lag, auf einem wohlgeordneten Feldbett, ein verwundeter französischer Offizier im unruhigen Schlummer. An seiner Seite saß die Fürstin selbst, – während an der andern Wand zwei dunkle Gestalten sich beschäftigten, Jussuf, der Mohr, und Nursädih seine Schwester.

Der ehemalige Courier des Sultans und spätere Baschi-Bozuk war hager und abgefallen; die Folgen der schweren Wunden, die er an der Felsenbrückc von Schloß Aju erhalten, zeigten sich noch in seinem ganzen Aeußern, obschon sechs Monate seitdem verflossen. Nur sein gelbglänzendes Auge hatte den alten feurigen Blick bewahrt, der jetzt oft mit dem Gefühl der Dankbarkeit die schöne Gestalt der Fürstin suchte, deren Befehl und Güte ihn damals gerettet. Dann wieder kehrte das Auge mit Zärtlichkeit zu seiner Schwester zurück, seine aufgeworfenen Lippen öffneten sich zu einigen freundlichen Worten und er versuchte mit dem etwa drei Monat alten Kinde zu spielen, das diese auf ihrem Schooß hielt. –

Die ganze Liebe einer jungen Mutter lag in den Augen, mit denen Nursädih das kleine Mädchen betrachtete, das seiner Farbe nach zum Mulattengeschlecht gehörte, bei der edlern Gesichtsbildung der Mutter aber schon jetzt nur wenig die Merkmale der schwarzen Race zeigte.

[284] »Klein Piccaninni sein artig Kind heute,« sagte der Schwarze, »wecken Signor Offizier nicht auf, spielen hübsch mit schwarzen Onkel.«

»O Jussuf,« flüsterte das Mädchen, »die Kleine ist so lieb und gut, als verstände sie schon Alles, was ich ihr sage. Aber sieh', der französische Aga erwacht und die Fürstin bedarf meiner: hier, nimm Du das Kind.«

Der blut- und kampfgewöhnte Mann nahm den Säugling so zart und sorgfältig auf, als sei er zur Wärterin geboren, und schaukelte ihn auf seinen Armen, während Nursädih zu der Fürstin schlich.

Diese beobachtete das Erwachen des Kranken mit großer Theilnahme. Auf ihrer leicht gebräunten Stirn lagen Zeichen trüben Sinnens und schweren Kummers, das schöne Antlitz, das sich draußen im Pulverdampf der Schanzen und Redouten, im Jammer der Lazarethe nur heiler und tröstend zeigte, war hier düster und gedankenvoll.

Der kranke Offizier trug ihr wohlbekannte Züge – wohlbekannt aus einer glücklichen freudenreichen Zeit ihres Lebens! – der bleiche Mann mit den hohlen Augen, den feuchten an der Stirn klebenden Haaren war einst der Liebling der pariser Salons, der kecke Roué am Spieltisch, im Ballsall und Boudoir, der Tonangeber der Mode und der Vertraute der Chronique scandaleuse von ganz Paris, aus dem Reiche der Coulissen, wie aus den Cabineten der Diplomaten: Alfred de Sazé!

Bei einer der kecken nächtlichen Streifereien der russischen Matrosen und Jäger außerhalb der Festung im Mai war der junge Reiteroffizier, der auch nach der Abreise des Prinzen Napoleon vor Sebastopol zurückgeblieben war, auf einer Feldwache aufgehoben und verwundet nach der Mastbastion gebracht worden, wo die Fürstin sich am Morgen befand. Sie hatte ihn sofort erkannt und gebeten, den Gefangenen in ihr Haus aufnehmen zu dürfen, das, wie erwähnt, bereits einer Anzahl Verwundeter und Kranker zur Heilstätte diente. Die an und für sich nicht gefährliche Wunde des lebenslustigen Marquis erregte jedoch bald ernste Besorgnisse, da das verdorbene Blut des pariser Lebens, eine seltsame Aufregung der Nerven, die ihn bald nach seiner Ankunft im Hause der Fürstin ergriff und die Wirkung der eingetretenen Hitze seinen Zustand, trotz aller Sorgfalt, verschlimmerte und fieberhafte Erscheinungen herbeiführte, die jenem furchtbaren Uebel ähnelten, das jetzt die Lazarethe entvölkerte, rascher als Kugel und Bajonnet, und das der Schrecken der tapfersten Krieger war: dem Typhus.

Der Sorgfalt des Arztes gelang es zwar, den Ausbruch zu unterdrücken, aber der Tod hatte dabei auf andere Weise sich die Beute gesichert: der Brand hatte die Kniewunde erfaßt und der eitle Franzose verweigerte, sich das Bein abnehmen zu lassen. [285] Pirogoff selbst hatte ihn am Morgen besucht und sein Achselzucken verkündet, daß auch das äußerste Mittel jetzt zu spät kommen würde.

Der Kranke kannte vollkommen seine Lage; die Schmerzen hatten sich bereits gelegt und sein leichter und doch männlich entschlossener Charakter trat wieder stanz in den Vordergrund.

Der kurze Schlaf, wenn auch fieberhaft, hatte ihn doch gekräftigt. Sein Auge schien im Zimmer umherzusuchen und wandte sich dann auf die Fürstin. – »Wie fühlen Sie sich nach dem Schlummer, Herr Marquis?« fragte ihn diese.

»Parbleu, Durchlaucht, als letzte Vorbereitung zum ewigen ganz leidlich! Doch – Sie haben sich selbst wieder bemüht, – wo ist meine treue Wärterin Annuschka?«

»Sie ruht einige Augenblicke – ich verlangte es von ihr, weil sie ganz erschöpft war.«

»Das ist kein Wunder; denn seit den fünfzehn Tagen, daß Ihre Güte mich hier aufgenommen, hat sie mein Krankenlager kaum verlassen. – Es ist mir lieb, Durchlaucht, daß ich allein mit Ihnen bin –: ich möchte Sie bitten, mir eine kurze Unterredung zu gewähren.«

»Das Sprechen wird Sie ermüden und angreifen,« sagte die Fürstin zögernd.

»Was thut das? – eine Stunde eher oder später – ich habe so viele vergeudet in meinem Leben, daß ich jetzt nicht geizen mag darum, wo es vielleicht das Beste gilt, was ich im Leben gethan habe.«

»Soll ich unsere schwarze Freundin fortschicken?«

»Nein, Fürstin, lassen sie Beide hier, wir werden sie ohnehin vielleicht brauchen. – Ich verstehe zwar nicht Russisch, Durchlaucht, aber ich habe wohl begriffen, was Ihr Doctor von heute Morgen gesagt.«

»Beunruhigen Sie sich nicht, Ihr Leben liegt in der Hand des Allmächtigen.«

»Beunruhigen? bah! Als ob das Leben derlei werth wäre! Ich weiß, ich muß sterben, und werde kaum noch vierundzwanzig Stunden Ihrer Güte zur Last fallen; das ist wenigstens eine Beruhigung auf den Weg.«

»Freveln Sie nicht, Herr von Sazé. Es sollte mich tief schmerzen, wenn irgend Etwas Ihnen gezeigt hätte, daß Sie, wenn auch unser Feind, uns zur Last gewesen sind. O! warum haben Sie nicht unseren Bitten und dem Rath der Aerzte nachgegeben und sich einer Operation unterworfen, die sicher Ihr Leben gerettet hätte!«

»Nein, Fürstin, das können Sie mir nicht im Ernst zum Vorwurf machen! Ja, wenn es noch ein Arm gewesen wäre, – ein leerer Aermel an der Brust ziert besser wie zwei Ordenskreuze und hindert nicht! – Aber denken Sie sich selbst, Alfred de Sazé an einem Krückenstock, auf einem Korkbein – Valga me Dios! ich [286] möchte lachen, wenn ich mir die komische Figur in den Salons des Faubourg St. Germain oder auch nur bei Herrn Miré oder in den Tuilerieen denke. Es wäre ein allzu theurer Handel, ein Bein von gutem Blut für einen Napoleon!«

»Sie sollten ernstere Gedanken suchen und an Gottes Gnade denken, Herr. Ich bedaure, daß wir keinen Priester Ihrer Confession in Ssewastopol haben, aber auch einer der unsern könnte Ihnen ein nützlicher Freund sein.«

»O, meine Durchlaucht, ich bitte Sie – nicht so strenge. Ich beschäftige mich wahrhaftig schon seit heute Morgen mit sehr ernsten Dingen, bei denen ich ohnehin die Hilfe Ihres Popen in Anspruch nehmen muß. Wissen Sie, Fürstin, ich habe so ziemlich Alles erfahren auf der Welt, bis auf Eines: wie einem Ehemann zu Muthe ist. Und dies Vergnügen will ich mir noch vor meinen Ende bereiten, – ich will heirathen!«

Die Fürstin wandte sich unwillig von dem Spötter ab und wollte sich erheben. Seine Hand legte sich leise auf ihren Arm, und als sie auf ihn schaute, sah sie einen schmerzlich ernsten Ausdruck in seinen Augen mit dem frivolen Lächeln seines Mundes kämpfen.

»Bleiben Sie, Fürstin,« bat der Kranke; »was ich Ihnen gesagt, klingt nur wie übermüthiger Frevel. O, fürchten Sie nicht, daß ein halbtodter Roué, wie ich, seine Blicke zu der Rose der Krimm erheben will – ich ehre die Rechte meines Freundes Méricourt, der für den Verlust eines Beines vielleicht gern an diesem Platz läge. Meine Absichten sind bescheidener und richten sich auf Mademoiselle Annuschka, Ihre Dienerin!«

»Sie reden irre, Herr von Sazé! Annuschka ist meine Freundin, meine Schwester, aber –«

»Hören Sie mich aus, Durchlaucht,« sagte der Kranke und seine Stimme klang jetzt ernst und sanft, ein gewisser feierlicher Ausdruck hatte sich über sein Gesicht verbreitet. »Bei meiner Ehre, ich rede die Wahrheit! In Ihre Brust lege ich ein Geheimniß nieder, was die meine erleichtern möge in jener Stunde, vor der wir Alle zagen, wie stark wir auch die Furcht uns wegzuspotten bemühen. Erinnern Sie sich wohl des besondern Eindrucks, welchen Annuschka's erster Anblick auf mich machte, als ich in Ihr Haus gebracht worden?«

»Genau, Herr Marquis!«

»Von dem Fürsten erfuhr ich auf hingeworfene Fragen, daß Annuschka einen Bruder hat, dem sie gleichfalls sehr ähnlich ist. Er war der Diener des Ihren, und ich erinnere mich jetzt, in Paris in Ihrem Hotel ihn gesehen zu haben.«

»Er verließ uns nie.«

»Und dennoch ist, wie der Fürst mir, ohne näher darauf einzugehen, mittheilte, dieser Mann, der nach Ihrer raschen Abreise in Paris zurückblieb, dort spurlos verschwunden?«

[287] »So ist es!«

»Ich beabsichtigte, dem Fürsten, Ihrem Bruder, mein Geheimniß mitzutheilen,« fuhr der Kranke fort, »aber sein Dienst hat ihn, wie Sie mir sagten, nach der andern Seite der Stadt geführt und hält ihn dort fest. Es bleibt mir keine Zeit, seine Rückkehr zu erwarten, und ich mußte mich an Sie wenden. Sie halten jenen Mann – Annuschka's Bruder – für todt?«

»Wir sind überzeugt davon – seine Treue ist zuverlässig und wir hätten sicher von ihm gehört.«

»Er ist es!«

»Wie, Herr von Sazé, Sie kennen das Schicksal Wassili's? Sie wissen von ihm?«

»Ich bin leider überzeugt – diese Hand brachte ihm den Tod, wenn auch unabsichtlich.«

Die Dame schauderte zurück. Schrecken, Angst und Aufregung spiegelten sich auf ihrem schönen Gesicht. Der Kranke sah, wie sie mit Gewalt nach Fassung rang, bis sie endlich die Worte hervorstieß: »Um Gotteswillen, Herr, ich beschwöre Sie, reden Sie – erzählen Sie mir Alles!«

»Das ist meine Absicht, Fürstin, und mag zugleich meine Rechtfertigung sein – wenn die That sich entschuldigen läßt!«

Die Fürstin winkte ihm, fortzufahren.

»An einem Abend des März im vorigen Frühjahr verfolgte mich am Quai des Cours la Reine ein ziemlich derangirt aussehender Unbekannter und fiel mich plötzlich wie ein wüthendes Thier an unter Ausrufungen und Beschuldigungen, die mir gänzlich unverständlich waren und zum Theil noch Räthsel sind. Ich sollte ihm Rechenschaft geben über seinen Gebieter, ich sei sein Mörder und dergleichen mehr. Das Gesicht war mir nicht ganz unbekannt, doch so verwildert, daß ich mich auch später nicht darauf erinnern konnte. Ich stieß ihn von mir, mich von ihm losreißend, und der Unglückliche taumelte so heftig gegen das Gitter des Flusses, daß er darüber hinweg und in den Fluß schlug, wo er sich am Eisenwerk eines Seineschiffes den Kopf zerschmetterte. Als man ihn an's Ufer trug, war er bereits todt.«

»Und es war Wassili?«

»Ich wußte es nicht, bis ich verwundet hierher kam. Ich hörte am Tage darauf, daß die Polizei in dem Verunglückten einen russischen Spion entdeckt, doch nicht den Namen. Aber obgleich ich absichtslos und nur in der Abwehr den Tod des Mannes veranlaßt und mehr als einen traurigen Duellausgang verschuldet hatte, konnte ich mich hier doch nicht über den Tod des Fremden beruhigen und sein düstres Bild schwebte lange vor meiner Seele und störte meinen Schlaf.«

Die Fürstin weinte leise vor sich hin. – »Armer Wassili – bis zum Tode getreu!«

»Die Ursach' des Anfalls und seine Worte sind mir, wie [288] gesagt, noch ein Räthsel. Ich kann sie selbst nicht einmal auf jenes Duell beuten, denn der Diener Ihres Bruders wußte doch zweifelsohne, daß es nicht stattgefunden und sein damaliger Herr unversehrt in Rußland sich befand. Ich trat, um der langwierigen Civiluntersuchung über jenen Vorfall und der unangenehmen Erinnerung zu entgehen, in die Armee, und erst die Erscheinung Annuschka's lehrte mich, jenem traurigen und mich immer noch bedrückenden Bilde eine bestimmte Form zu geben.«

»Es war Gottes Schickung – selbst die Schwester wird Ihnen die That nicht zurechnen.«

»Dennoch liegt sie mir schwer auf der Seele, und wenn Sie einem Sterbenden den bösen Augenblick erleichtern wollen, Fürstin, so helfen Sie ihm, an der Schwester zu vergüten, was er am Bruder verbrochen. Ich lebte früher in den Tag hinein und hatte mein Vermögen genossen – ich nenne es genossen, so daß mein Testament mir gerade kein großes Kopfzerbrechen gemacht haben würde. Das Schicksal aber hat mir eine Malice gespielt; denn vor etwa sechs Wochen erhielt der verarmte Marquis, der seit dem letzten Arrangement mit seinen Gläubigern keine Aussicht mehr hatte, als sein Offizier-Patent, die amtliche Nachricht, daß er ein reicher Mann geworden. Ein entfernter Verwandter, dessen Namen ich kaum gehört, ein Plantagenbesitzer auf Martinique, dem seine ganze Familie das gelbe Fieber zum Jenseits befördert, hat die Albernheit gehabt, mich zum Erben zu machen, und der Capitain de Sazé würde in Paris fünfzehnhunderttausend Franken deponirt finden, wenn er nicht so thöricht gewesen wäre, sich vor Ssewastopol das Bein zerschmettern zu lassen.«

»Gott kann noch Alles wenden!«

»Nein, Fürstin, Er hat mehr zu thun, als sich mit einem leichtfertigen Thoren zu beschäftigen. Daß Er aber ist, daß Er die zahllosen Fäden dieses wirren Durcheinander, das wir Leben nennen, dennoch in Seiner Hand leitet,« fuhr der Kranke wieder mit ernsterem, fast feierlichem Tone fort, »das zeigt mir die Fügung, welche meine letzten Stunden durch die Sorge gerade des Mädchens erleichterte, deren Bruder ich erschlug. Mein Wunsch und mein Wille ist, bis auf einige Legate, ihr das Vermögen, das mir der Zufall so rechtzeitig in den Schooß geworfen, zu hinterlassen. Dazu bitte ich Sie, mir behilflich zu sein. Das bloße Niederschreiben meiner letzten Verfügungen würde jedoch kaum dazu genügen und sie jedenfalls in eine Menge Weitläufigkeiten verwickeln. Kein französischer Gerichtshof aber wird der Marquise de Sazé das ihr bestimmte Erbe streitig machen!«

Er schwieg erschöpft; die lange Unterredung begann ihn offenbar fieberhaft zu erregen, wie sein Auge zeigte. Dennoch hielt es die junge Fürstin für Pflicht, zu erwidern: »Annuschka ist mit ihrer Lebensstellung zufrieden. Sie wird unter keiner Bedingung [289] dem – der ihren geliebten, zärtlich betrauerten Bruder getödtet, ihre Hand reichen wollen.«

»Aber sie braucht es nicht zu wissen, warum sollte sie es je erfahren?« sagte der Offizier dringend. »Wollen Sie einem Mann, der Vieles gut zu machen, den leichten Trost durch eine unnütze Bedenklichkeit verkümmern? Sie wissen so gut wie ich, daß diese Ehe Schein, und ehe vielleicht der morgende Tag anbricht, sie Wittwe ist.«

»Ich weiß nicht, wie ich sie zu dem eiligen Schritt bewegen soll.«

»Der Tod, Fürstin, gestattet keine lange Bedenkzeit, das wird auch sie begreifen. Sagen Sie ihr, daß ich für ihre sorgsame Pflege auf diese Weise ihr danken wolle, daß es meinen Tod erleichtern werde und« – um seine blassen Lippen schwebte wieder das leichte spöttische Lächeln des Lebemannes, der so manches Frauenherz an sich gefesselt – »ich glaube, sie wird sich nicht weigern, Alfred de Sazé's Gattin zu werden.«

Er lehnte sich zurück in die Kissen; die Fürstin empfand, daß sie kein Recht habe, eine Sühne zurückzuweisen, die ihrer Milchschwester und treuen Gefährtin vielleicht eine glänzende Zukunft bereiten konnte. Sie erhob sich und sprach: »Ich gehe, um die Erfüllung Ihres Wunsches zu versuchen, Herr Marquis. Annuschka wird nicht erfahren, wessen Hand ihren Bruder getödtet, bis – Doch sagen Sie mir das Eine noch, wann geschah die unglückliche That?«

»Ich erinnere mich des Tages ganz genau, Fürstin; es war am Abend des 26. März. Ihre Landsmännin, die Bagdanoff 2, hatte in der Oper getanzt und ich war zum ersten Male dort wieder mit Méricourt zusammengetroffen nach seiner Rückkehr von Algier. Ich gedenke deutlich des Abends und selbst unsers Gesprächs – es handelte sogar von Ihnen und Ihrem Bruder und er erzählte mir zuerst von dem seltsamen Spiel der Natur, die einem armen Marketenderburschen eine wirklich seltsame Aehnlichkeit mit Ihrem Bruder gegeben.«

Die Fürstin war stehen geblieben und hatte sich lebhaft zu ihm gewandt; fliegende Röthe übergoß ihr Gesicht. – »Meinem Bruder Iwan gleich? ich bitte Sie, wer? wo?«

»Ein armer Verrückter oder Schwachsinniger. Der Vicomte traf ihn zuerst bei dem Einschiffen der Truppen in Marseille. Ich selbst sah ihn in Varna und muß gestehen, daß diese enorme Aehnlichkeit mich wirklich anfangs erschreckte.«

Die Fürstin preßte die Hand auf die heftig wogende Brust, auf ihrem Antlitz wechselte mehrfach die Farbe, während ihr Mund fast keuchend stammelte: »Und lebt – der Mann noch? Wo ist [290] er? Haben Sie Näheres über ihn erfahren? Erzählen Sie mir Alles, es – es wird Iwan so sehr interessiren, von seinem Ebenbilb zu hören!«

»Er gehört zur Cantine der Marketenderin Nini Bourdon vom dritten Zuaven-Regiment, bei dem Méricourt steht. Die niedliche Kleine sorgt wie eine Mutter oder eine Geliebte für den verrückten Burschen, den sie für ihren Verwandten ausgiebt. Ich versuchte selbst mehrmals, ihn auszuholen, indeß er ist toll wie ein Märzhase, wenn auch ganz unschädlich, und folgsam wie ein Kind, und die stehende Antwort, die man höchstens von ihm erlangt, ist die confuse Rede: Eilf Uhr! der Zug geht ab!«

Iwanowna Oczakoff hatte sich von dem Erzähler abgewandt, ihr Gesicht ihm verbergend. Mehrere Minuten stand sie so da, ihr ganzes Wesen schien dadurch heftig erschüttert, so daß es selbst dem Kranken auffiel und er danach fragte. Erst dann schien sie ihre Fassung zurückzuerhalten und mit tiefbewegter Stimme sprach sie. »Ich glaube, Sie hatten Recht vorhin, Herr Marquis, als Sie sagten, die Hand des allmächtigen Gottes habe Sie auf dies Schmerzenslager und gerade in dies Haus geführt. Ich erkenne seinen Willen und gehe, mit Annuschka zu sprechen. Jussuf wird einen würdigen Geistlichen, den ich kenne, hierher führen, seine Schwester aber unterdeß bei Ihnen bleiben.«

Sie ging und hieß den Mohren, ihr folgen, währen Nursädih, die junge schwarze Mutter, auf die Bitte des Kranken ein Schreibpult vor ihn legte und ihm behilflich war.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Eine Stunde darauf hatte sich die Scene in dem Zimmer, das bald der Schauplatz jenes geheimnißvollen Scheidens von Seele und Körper sein sollte, ein Wenig geändert. Neben dem Bett des französischen Offiziers saß in einfachem schwarzem Kleide, den kleinen Myrthenzweig im Haar, der unter dem Donner der Schlachten fortgegrünt auf dem heimathlichen Boden, und von dem weißen Schleier halb verdeckt das bleiche Mädchen, das bald zur jungfräulichen Frau werden sollte, die Hand des Kranken mit halb scheuem, halb zärtlichem Blick in der ihren; denn das scharfe Auge des Franzosen hatte sich nicht getäuscht und es weniger Ueberredung der Fürstin bedurft, als diese gefürchtet. Die Herrin selbst ging unruhig im Zimmer auf und ab, während schweigend und achtungsvoll ein französischer Corporal, gleichfalls Gefangener, den in der Heilung begriffenen linken Arm in der Binde, in der Nähe Nursädih's an der Thür saß.

Diese öffnete sich jetzt und Jussuf führte einen ehrwürdig aussehenden Mann in der Kleidung der russischen Geistlichkeit herein. Seine Rechte hielt in einem Körbchen die heiligen Gefäße, während er auf dem andern Arm ein kleines Kind von etwa anderthalb Jahren trug.

Die Fürstin eilte ihm entgegen. – – »Nehmen Sie unsern [291] Dank, ehrwürdiger Vater Vasili Polatnikow, daß Sie unserer Bitte gefolgt sind, und geben Sie uns Ihren Segen.«

Der Pope, die heiligen Gefäße niederstellend, machte das Zeichen des Kreuzes über ihre Stirn. – »Der Segen des Herrn ist bei Dir und den Deinen, o, meine Tochter, denn Dein Herz gehört ihm, und wer thut wie Du, ist der Fürsprache der Heiligen sicher.« – Er sah umher, wohin er das Kind auf seinem Arm, einen muntern Knaben, setzen könne, als Annuschka zu ihm trat und ihn bat, es ihr zu geben. – »Es ist eine Waise,« erzählte der Priester auf einen fragenden Blick der Fürstin, »auf dem Meere geboren, inmitten von Kampf und Tod. Die griechische Mutter zahlte sein Leben mit dem ihren und übergab den Knaben sterbend meiner Sorge. Er hat keinen Verwandten mehr, da auch sein Oheim, einer der Capitani's des Fürsten Morosini, beim großen Ausfall des Generals Chruleff gefallen ist.«

»Aber warum lassen Sie das Kind nicht bei Ihrer Familie, hochwürdiger Vater?«

Der ehemalige Kaplan des »Wladimir« beugte in schmerzlicher Ergebung das Haupt. – »Der Herr,« sprach er traurig, »hat auch mich schwer heimgesucht, wie ganz Rußland – mein Weib und meine beiden Töchter sind die Opfer der Seuche innerhalb dreier Tage geworden und mein Haus ist öd' und verlassen. Dieses Kind hat Niemand als mich, der für sein zartes Alter Sorge trägt.«

»O, so lassen Sie es mir,« sagte die junge Braut rasch und erröthend, »lassen Sie mich dafür sorgen und so die Mutterpflichten erfüllen. Wir wollen es pflegen und warten in diesen Schreckenstagen, bis Gott über uns anders bestimmt.«

»Annuschka thut Recht, ehrwürdiger Vater,« sprach die Fürstin, »und ich vereine meine Bitte mit der ihren. Wie konnten Sie auch uns in Ihrer Noth vergessen! Gott gebe den Ihren Frieden und Ihnen ein seliges Wiedersehen – dieses Kind des Unglücks aber gehört hinfort unserer Sorge.«

Sie faßte die Hand des Geistlichen und führte ihn zu dem Lager des Kranken, ihn von der heiligen Pflicht unterrichtend, die man von ihm verlangte, und von dem Zustande des Offiziers, der zugleich eines zweiten, noch feierlicheren Sacramentes bedürftig sei. Der Geistliche verstand so viel Französisch, um einige Fragen an den Kranken über die Handlung zu richten, der er die kirchliche Weihe ertheilen sollte, und während er einen Tisch zum Altar improvisirte, winkte der Offizier den Anwesenden, näher zu treten.

»Ich bitte Sie, Kamerad,« sagte er zu dem gefangenen Corporal, »wenn Sie ausgewechselt werden und unser Frankreich wiedersehen, stets zu bezeugen, daß diese Heirath von mir im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte und nach reiflicher Ueberlegung geschlossen ist. Dieses Papier, Durchlaucht, das ich in Ihre Hände lege, enthält meinen letzten Willen. Er sichert meiner Gattin mein sämtliches Vermögen – mit Ausnahme einer Summe in Gold [292] und Wechseln, die mir von Paris mit der Nachricht des Erbes in's Lager übermacht wurde und die ich – jener Frau bestimmt habe, welche – ich im November aus Ihrem Schloß Aju davon führte. Madame Celeste wird sich trösten in deren Besitz! Haben Sie die Güte, durch Ihren Bruder mit dem nächsten Parlamentair diese Schrift und die begleitenden Zeilen an den Vicomte von Méricourt in's französische Lager zu senden, ich habe ihn zum Vollstrecker meines Willens ernannt und weiß, daß er ihn erfüllen wird. Und jetzt bitte ich Sie – lassen Sie die Ceremonie beginnen, ehe es zu spät wird.«

Der Priester trat mit dem heiligen Buch vor den Altar, während Annuschka weinend an der Seite des Bettes knieete. Die Fürstin und der Corporal bildeten die Zeugen der traurigen Ceremonie, während die schwarzen Geschwister mit den Kindern ehrerbietig zurückstehend ihr beiwohnten. Leise und feierlich klangen die Worte der Weihe durch das Gemach, mir von dem Rollen des Donners unterbrochen, der von den Wällen der bedrängten Stadt dem Feuer des Feindes antwortete. Als der Priester die Ceremonie des griechischen Ritus geendet und die beiden Ringe, welche die Fürstin ihm reichte, dem Paar angesteckt, erhob er seine Stimme im Gebet zu dem Allmächtigen, seinen Beistand zu erflehen für die letzte schwere Stunde des Mannes, der so eben jene feierte, die sonst des Lebens süßeste ist. Alle umher lagen auf den Knieen, selbst der Mohr mit seinem fatalistischen Glauben vom Sterben fühlte die heilige Bedeutung und wandte sein Haupt gen Mekka, und er, den das Gebet am meisten berührte, er selbst, der dem Tode Geweihte, fühlte das Gebet mit, dessen Worte er nicht verstand.

Er war der Erste, der wieder das Wort nahm und die Fürstin und den Popen ersuchte, zur Stelle das Dokument über die vollzogene Trauung auszufertigen, das Iwanowna versprach, von dem Gouverneur, General von Osten-Sacken, selbst verifiziren zu lassen. Dann bat er, ihn der Pflege seiner nunmehrigen Gattin für eine Stunde allein zu überlassen. –

Der ehrwürdige Geistliche des »Wladimir« schied, von der Fürstin bis zur Thür begleitet, um an dem Schmerzenslager seiner tapfern Landsleute die heiligen Pflichten des Trösters zu üben, indem er versprach, am Abend nochmals zurückzukehren, und empfahl das Kind ihrem Schutz.

Er sollte es nicht wiedersehen! In der Nähe der Wladimir-Kathedrale, als er das Marine-Lazareth verlassen und die Brücke über den Kriegshafen passirt hatte, traf ein Stein sein Haupt, den eine fallende Bombe von dem Gewölbe des Doms schmetterte. Soldaten trugen ihn an die Stufen des Altars, wo er den Geist aufgab.

Für selben Zeit eilten die Fürstin Oczakoff und ihre Diener, durch den Hilferuf Annuschka's herbeigelockt, in das Gemach, in [293] dem die Braut bei dem Gatten zurückgeblieben. Annuschka hatte die Thür aufgerissen, ihr Auge blickte verstört und erregt, der Kranz war von den fliegenden blonden Zöpfen gefallen, ihr einfacher Putz derangirt, und schluchzend rang sie die Hände; – auf dem Feldbett aber lag, in der geschlossenen Hand noch den Brautschleier der jungen Gattin zusammenkrampfend, der Lion der pariser Salons, der Mann der Mode und des Genusses, mit all' den traurigen und edlen Seiten des französischen Charakters begabt – Alfred de Sazé – starr und todt.

Fußnoten

1 Am 12. Mai.

2 Seite 378 des zweiten Bandes hat sich ein Schreibfehler eingeschlichen, es muß dieser Name stehen statt »Yella«.

D.V.

3. Dai Bosche!
III. Dai Bosche 1!

Wir haben bereits angeführt, daß mit dem Wechsel des Oberkommando's der französischen Armee auch eine andere Stellung der Truppen eingetreten war und die Franzosen ihre Hauptstärke jetzt wider die linke Flanke der Festung, gegen die Schiffervorstadt und die dieselbe vertheidigenden ältern und neuern Werke richteten. Hier stand das Corps Bosquet mit den Divisionen Canrobert, Camou, Mayran, Dülac und Brünet, noch immer die Verschanzungen auf dem Sapunberg, als den Haupthalt seiner Stellung, bewahrend. Auf dem rechten Flügel, an die Tschernaja lehnend, befand sich jetzt die sardinische Division Durando mit einem englischen Husaren- und Ulanen-Regiment. Den Zwischenraum nahmen drei türkische Divisionen Omer-Pascha's ein.

Am Abhang des Sapunberges, wo derselbe sich gegen den Dokowoga und Kilengrund senkt, stand das Lager des ersten und dritten Zuaven-Regiments. Mitten zwischen den Zelten und Baracken, mit den seltsamsten Ausstasfirungen, erhob sich auf einem freien Vorsprung eine große und mit besonderer Sorgfalt erbaute Cantine, die offenbar mehrere geräumige Abtheilungen hatte, und um welche schon während des ganzen Vormittags ein überaus reger Verkehr geherrscht hatte. Es war die Marketenderbude des ersten Bataillons des dritten Zuaven-Regiments, die Cantine Nini Bourdon's, durch die Unterstützung des Vicomte auf das Stattlichste hergerichtet und der Hauptsammelplatz der ganzen umlagernden Truppen.

Ein buntes Bild und Leben entfaltete sich vor und in dem halb aus Linnen und Segeltuch, halb aus festem Holzwerk gebildeten Bauwerk. Das Genie der in allen Sätteln gerechten und in allen Künsten erfahrenen, berühmten und berüchtigten Soldaten Algerien's hatte sich offenbar auf's Höchste abgemüht, hier etwas ganz Außerordentliches zu leisten. Ueber dem breiten, mit einer seht zurückgeschlagenen Leinwandgardine decorirten Eingang der [294] Cantine wehte die Fahne des Regiments, denn Oberst Maurelhan-Polkes hatte in einer angebauten Baracke sein Quartier genommen. Trophäen von russischen Waffen, von den Schlachtfeldern erbeutet, alte Feßbinden der Zuaven und ein großer ausgestopfter Adler, den ein geschickter Schütze aus den Lüften geholt, schmückten außerdem das Portal, dessen gloriose Schönheit bei alledem in Gefahr war, in Schatten gestellt zu werden durch einen höchst seltsamen Nebenbau. Es war dies ein etwa funfzehn Schritt breites und einige Fuß über dem Erdboden erhöhtes Gerüst, vorn einen viereckigen, von Laubwerk, bemalten Brettern und alten Tapeten und Teppichen gebildeten Rahmen zeigend, der durch eine Art Vorhang geschlossen war. An einer hohen mit verschiedenen Flaggen gezierten Stange schwebte darüber her ein großes Plakat mit der Inschrift: »Théâtre national des Zouaves de Sa Majesté l'empereur Napoléon III. et du Général Bosquet.« Ein geschriebener Zettel, am Vorhang angeheftet, verkündete, daß mit Höchster Genehmigung seiner Excellenz des Generalissimus die Zuaven des ersten und dritten Regiments die Ehre haben würden, nach dem Diner aufzuführen das berühmte und beliebte Vaudeville: »Le retour de Crimée« mit nachfolgenden kosackischen und spanischen Nationaltänzen. Alles gegen beliebiges Entree zum Besten der Verwundeten in den constantinopolitanischen Lazarethen.

Ein Halbkreis von roh gezimmerten Tischen und Bänken umgab den Eingang der Cantine und das weislich daneben gebaute Theater, so das Auditorium der höheren Ränge bildend, während für die untern Grade des sehr gemischten Publikums eine Reihe den Erdgräben vor dem Theater gezogen waren, in denen die Zuschauer nach Lust und Belieben in hundert verschiedenen Stellungen auf den Querdämmen saßen und lagerten, gleich im Parquet eines Theatersaal. In der Zeit, wo die dramatischen Talente der Zuaven noch nicht beschäftigt waren, dienten Tische und Bänke, wie gegenwärtig, zum gewöhnlichen Versammlungsort und nicht selten waren selbst kommandirende Generäle die Gäste der hübschen Nini.

Eine bunte Menge füllte jetzt jeden Platz innerhalb und außerhalb der Baracken, vorherrschend freilich die Zuaven mit dem kecken, selbstbewußten Aplomb, der unvergleichlichen Negligence ihrer Haltung, den Feß auf einem Ohr, die Hände in den Taschen, theils umherschlendernd, theils in Gruppen trinkend, spielend, fluchend, prahlend, lockend oder auf hunderterlei Weise beschäftigt. Dazwischen alle Uniformen der französischen Armee und Flotte, die algierischen Scharfschützen, die Mariniers, die kecken kleinen, prahlerischen Voltigeurs, die Husaren und Dragoner von d'Allonville's Division, welche zwischen dem Sapunberg und Balaclawa lagerte, einzelne schwere Kürassiere, Matrosen, Schiffsoffiziere und Artilleristen; daneben neugierig und demüthig, von den Franzosen verlacht und bewirthet, einige Türken oder in ihre Burnusse und Kopftücher trotz der Hitze gehüllte Araber – bekannte Erscheinungen für diese [295] tapfern, in der Sonne Afrika's gebräunten Truppen. Ein schwer betrunkener englischer Matrose, der auf dem irgend wo zu einem Spazierritt während seines Ruhetags ohne Willen des Eigenthümers entlehnten Maulthier hin und her schwankte, wie eine Fregatte im Sturm, und sorgsam von zwei Soldaten im Sattel gehalten wurde, während ein Dritter den Zügel führte und in dem Jargon, das sich zwischen beiden Armeen gebildet, dem Bruder Theerjack von den Freuden erzählte, die ihn bei der Theatervorstellung erwarteten, gegen die jede Aufführung in Drurylane oder Coventgarden Schund sei; um den Stamm eines verkrüppelten Feigenbaumes versammelt eine Gruppe von Offizieren, die dort angeheftete englische Ankündigung eines großen Wett- und Jagdrennens studirend; eine große Zahl von Gesindel, wie sie jedes Lager mit sich bringt, Handelsleute, Tataren, Hausirer aller Art: – das Alles lagerte und bewegte sich in bunten Gruppen umher.

Durch den offenen Eingang zur großen gleichfalls mit Tischen besetzten vordern Abtheilung der Cantine sah man die Demoiselle de Comptoir in ihrem kleinen mit vieler Zierlichkeit arrangirten Bureau; aber die schlanke, junonische Gestalt, das Cendré des Haares, das mattgefärbte schöne Gesicht mit dem Auge voll Genußsucht und Eitelkeit gehörte nicht der Herrin der Cantine selbst, der zierlichen, gewandten Nini an, sondern Celesten, der ehemalien Lorette, der Bojarenfrau, der Maitresse des Russen Wassilkowitsch! Das Schicksal hatte eigenthümlich mit den beiden Freundinnen gespielt, seit wir ihnen an jenem verhängnißvollen Märzabend in der rue de St. Josef begegnet sind.

Nini selbst war in den zwei Jahren eine Andere geworden. Ihre noch immer zierliche Gestalt schien doch kräftiger und bedeutender, das kindlich frohe Wesen hatte sich mit einer festern Haltung gepaart, das Leben mit seinen Sorgen hatte offenbar ihre Erziehung geleitet und ohne der Naivetät ihres Characters zu schaden, doch eine größere Sicherheit im Handeln und Auftreten herbeigeführt. Beweglich gleich einem hüpfenden Vögelchen war sie bald hier, bald dort, die zahlreichen Gäste bedienen helfend, oder mit All' und Jedem plaudernd und ein Scherzwort oder eine flüchtige Erzählung wechselnd – bald wieder in der Küche der Restauration, wo eine ältere Marketenderin, deren sich mehrere des Regiments dem jungen Mädchen willig angeschlossen und untergeordnet hatten, die Aufsicht führte. Zwei Zuaven verwertheten hier die Früchte ihrer culinarischen Jugenderziehung, der sie entlaufen, zum Besten des Allgemeinen, indem sie von den Erträgen des merkwürdigen, freilich äußerst nahe an Spitzbüberei gränzenden Fouragirtalents und den eigenen Vorräthen der Cantine eine Speisekarte à la Véfour zurichteten. Die kokette Marketendertracht in den Farben des Regiments, blau, roth und grün, stand dem Mädchen allerliebst, wie sie so zierlich zwischen den Tischen umher eilte und dabei doch Zeit behielt, ihre liebevolle Aufmerksamkeit zwei [296] Personen besonders zu widmen, zwischen denen sich ihr Herz zu theilen schien.

Die Eine war ein kräftiger, kühn ausschauender Corporal von etwa fünfundzwanzig Jahren, das männlich freie und hübsche Gesicht von langem, dunklem Bart umschattet, auf der Brust die Medaille, der mit mehreren Kameraden an einem Tisch außerhalb der Cantine saß und häufig, wenn er sich unbemerkt glaubte, einen finstern, halb spöttischen Blick nach dem improvisirten Comptoir und seiner schönen Inhaberin warf, die von einem Schwarm jüngerer und älterer Offiziere umgeben war, mit denen sie sich nachlässig unterhielt. Es war François Bourdon, der Bruder der kleinen Marketenderin.

Die zweite Person, welche die besondere Fürsorge Nini's genoß, war der bleiche, geistesschwache Bursche, dessen merkwürdige Aehnlichkeit mit dem jungen russischen Fürsten schon so vielen Personen aufgefallen war. Still und theilnahmlos schlich er zwischen den Gästen umher, von denen die meisten mit ihm bekannt schienen, und verrichtete eben so Alles, was ihm geheißen ward. Sein leerer Blick belebte sich nicht einmal, wenn Nini ihm einige freundliche Worte sagte, oder ihm aufmunternd die hohle Wange klopfte, eine Liebkosung, die mehr als Einer mit neidischem Auge sah und für die mancher Tapfere willig zum Sturm auf eine russische Redoute marschirt wäre.

Nur ein Mal, als Nini am Comptoir Celesten's stehen blieb, mit dieser einige Worte wechselte und der todte Blick des Burschen von François auf die Gruppe der beiden Frauen schweifte, überzog ein flüchtiger Blitz von Gedanken das hagere junge Gesicht; er rieb die Stirn mit der Hand und starrte wie emsig eine Erinnerung suchend in's Leere. Wenige Augenblicke darauf schien jedoch die erregte Gedankenfolge wieder unterbrochen und er verrichtete theilnahmlos nach wie vor die Geschäfte der Bedienung, wobei er manchmal auf einige Zeit in einen der hintern Räume der Cantine verschwand.

Die Gruppe an dem Tisch, an dem François saß, bestand aus dem Sergeant-Major, der mit dem jungen Kameraden an der Alma und bei Inkerman die Wagnisse ausgeführt, den Aermel seiner Jacke mit Galons bedeckt und Mamsell Minette, die erste Kletterin des Bataillons, neben sich, – aus einigen andern Soldaten der Compagnie, zwei Voltigeurs vom 20. Regiment und einem algierischen Scharfschützen. Die Unterhaltung war äußerst lebhaft und drehte sich theils um die Tagesereignisse des Feldes, theils um die innern Angelegenheiten von Küche und Theater.

»Paßt auf, Kinder,« sagte der Sergeant-Major, »es giebt morgen einen Tanz, wenn auch die Generäle noch geheim thun und die Köpfe zusammenstecken. Man hat nicht umsonst seit drei Tagen Kugeln gefahren und die armen Kerle, die Türken, wie Maulthiere in den Magazinen arbeiten lassen. Da, Bursche,« [297] fuhr er fort, indem er einem langsam vorüberschreitenden Araber das Glas hinreichte, »trink' einmal, es ist ächter Wermuth, von Deinen eigenen Bergen gepflückt, die doch Nichts weiter hervorbringen, als das bittere Kraut und das Gewürm, die Kabylen.«

Der Angeredete war ein junger, schöner Araber, offenbar einer der Führer, und wer ihm näher in's stolze, finstre Auge geschaut, hätte in ihm unmöglich Abdallah ben Zarugah, den Emir der tapfern Reiter der Hedja's, verkannt. Er hüllte sich, mit verächtlicher Geberde den Trank zurückweisend, in seine weiten, weißen Gewänder und schritt weiter, dem Eingang der Cantine zu.

»Peste! Verschmäht der Schuft von einem Koranfresser, mit einem Feldwebel der dritten Zuaven zu trinken? Ich will ihn –« er griff nach seiner Katze, um das Thierchen verächtlich auf den Mahomedauer zu schleudern, doch François hielt ihm den Arm fest.

»Ruhe, Papa Fabrice! es ist der Aga, der den Griechen-Offizier im vorigen Monat verwundet und gefangen, und der alle Tage kommt, um nach ihm zu schauen. Laß ihn gehen – Du weißt, daß der Kommandant jede Beleidigung ahnden würde.«

»Maudit soit le butoir! ich will wegen eines Spitzbuben von Beduinen nicht im Loch stecken, wenn vielleicht ein Gefecht vor der Thür steht. Komm' her, Minette, sei ruhig, mein Thierchen, und beiße Dich nicht mit dem gelben Burschen da, die Messieurs Beafsteaks werden Dir Revange geben und heute seine Kameraden hetzen.«

Minette, die Katze, war nämlich mit dem berühmten Hund des 20. Linien-Regiments, der stets vor der Tête hermarschirte und den die Voltigeurs auf das Apportiren der Kugeln, ja selbst von Bombenzündern abgerichtet hatten, in argen Streit gerathen, und rasch, mit der leichtsinnigen Theilnahme des französischen Charakters für alle Intermezzo's, bildete sich ein Kreis um die beiden Gegner. Ein Fußtritt des Voltigeurs jedoch, welcher den Hund mitgebracht, stellte den Frieden wieder her. – »Sandioux 2!« wetterte der Gascogner, »will sich das Vieh mit einander zanken, während die Russen dazu vom lieben Herrgott ganz expreß erschaffen sind! – Nichts da – hierher, Groscanon – Kusch!« und er steckte ihn zwischen seine Beine, während der Zuave die Katze vor sich hinlegte und mit ihr spielte.

»Wem mag es gelten?« fragte der Scharfschütze, kokett seine gelbe Weste ordnend und den Dampf aus der Cigarre in blauen Ringeln von sich blasend.

»Sacristi! wem anders, als dieser verfluchten Lünette! Sie liegt unserm Dicken im Kopf und wurmt ihn schon lange. Es wird Blut kosten. Wann soll der Spektakel losgehen?«

»Die Kanoniere sprechen von diesem Nachmittag.«

»Ah, Mordioux! deshalb giebt man uns die Thea ter-Vorstellung [298] zum Kaffee nach Tisch. Ich hörte davon, daß die Schanze des kleinen Fossoyeur 3 in Stand gesetzt worden und die schwarzen Batterieen. Es ist nebel von dem Kleinen, daß er keinen Anstand nimmt, unter dem Dicken zu dienen.«

»Parbleu! kann er sich etwas Besseres wünschen? Einen General, wie unsern Afrikaner, bekommt er nicht alle Tage wieder.«

»Bei all' dem ist's hübsch. Es hat Jeder seine Art und jedenfalls war die seine immer noch besser, als die Trägheit des ›Wettermännchens‹ 4, das Nichts thut, als den ganzen Tag Schach spielen und Zeitungen lesen. Er soll nicht ein einziges Mal die Lazarethe besucht haben, und das that selbst der verstorbene Marschall in Varna.«

»Wißt Ihr, daß der Ober-General heute hinüber geritten ist zu den Engländern?«

»Bah! er wird sehen wollen, wie weit sie mit den Laufgräben am Redan sind.«

Der Voltigeur schüttelte schlau mit dem Kopf. – »Das kümmert den General wenig, er wünscht die ganze Sippschaft zum Teufel. Aber Vitrolles, sein alter Ordonnanz-Zephyr, hat mir gesagt, daß der Barometer auf Sturm steht. Der Bursche kennt seine Mienen.«

»Dann Gnade Gott den Engländern, er bratet sie bei lebendigem Leibe, wie die Araber-Familien in der Höhle von Djebel Debbag.«

»Brrr!« machte der zweite Voltigeur; »die Geschichte ist zu abscheulich, als daß sie wahr sein könnte.«

Der alte Zuaven-Sergeant sah ihn grimmig an. – »Halt's Maul, Rekrut, nicht raisonnirt, was verstehst Du davon! Ich sage Dir, ich, Sergeant-Major Fabrice Tonton, es ist so wahr, wie ich dieses Glas hier trinke. Ich war dabei, und ein abscheulicher Gestank war's, als die siebenhundert Männer, Weiber und Kinder so in dem Rauch erstickten von dem Holz, das man vor der Höhle aufgehäuft.«

»Wie, Du halfst bei der schändlichen That?« fragte unwillig der junge Bourdon.

»Wir Zuaven nicht, François,« sagte ernst der Sergeant, »wir sind zwar wilde Teufel und fragen leider wenig genug nach Gott und den Heiligen, aber gegen Weiber und Kinder und unbewaffnete Männer möchten wir doch nicht die Hand erheben. Es war bei der Gelegenheit, als er dem Kommandanten Vergier, der damals Unter-Lieutenant war, befahl, seine Soldaten Holz herbeitragen [299] zu lassen, und dieser statt der Antwort seinen Säbel abgab und sich zum Arrest meldete. Der General war außer sich und schimpfte wie eine Dame der Halle von Feiglingen und Memmen mit Weiberherzen, die nicht verdienten, Krieger zu heißen, da – –«

»Nun, Fabrice – weiter?«

»Da sah ich mit diesen meinen Augen den Lieutenant auf ihn zuspringen, ihn an den Schultern fassen und schütteln, wie man einen Schulbuben schüttelt, indem er ihm zuschrie, er möge erst Höflichkeit lernen, wenn er französischen Offizieren befehlen wolle.«

»Der Unglückliche! – und der General?«

»Bah! er machte sich los und sagte: ›Ist das ein Vieh, – aber ich brauche viele solche Kerle!‹ – zum Lieutenant aber sprach er: ›Monsieur, ich nehme Sie in meinen Stab; wir wollen sehen, ob Sie Andere auch so schütteln werden.‹ – Der Lieutenant kommandirt seit zwei Jahren sein Bataillon bei den zweiten Zuaven und die Teufel, die Zephyrs, erhielten den Befehl, die Höhle auszuräuchern, und befolgten ihn. Wir aber standen dabei, das Gewehr im Arm und – – – zum Henker mit der garstigen Erinnerung!«

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und pfiff den Zuaven-Marsch vor sich hin.

»Madame Celeste,« warf einer der Kameraden hin, »scheint heute verteufelt unruhig, ihre Augen rollen wie zwei feurige Kohlen und sie scheint zu suchen, was sie nicht findet. – He, Jean,« rief er dem in die Nähe kommenden Schwachsinnigen zu, »bring' mir ein frisches Glas, mein Bursche – Absinth, ächtes Schweizer Gewächs.«

Der junge Mensch nahm gehorsam das Glas, indem er ihn mit den leeren irren Blicken anstarrte. – »Eilf Uhr – der Zug –«

»Weiß schon, mein Bursche, kenne das Lied. Mach' fort und bring' mir den Absinth und frag' in der Küche nach, ob sie den Truthahn nun bald gebraten haben, den ich heute Morgen eingeliefert.«

Corporal Bourdon war trotz aller Mühe, die er sich gab, ruhig zu sein, das Blut auf die Stirn gestiegen und er sah finster nach der leichtsinnigen Jugendgeliebten hin. In dem Augenblick wurde der Vorhang der nahe gelegenen Bühne etwas bei Seite geschoben und ein merkwürdig ausstaffirter Bursche schaute heraus und suchend umher.

Es war ein bärtiger Zuave mit schielendem Blick, den Kopf in eine abscheuliche zerknitterte Weiberhaube gesteckt und um Kinn und Ohren ein Tuch gebunden, um den rothen Bart darunter zu verstecken, den er sich nicht hatte entschließen können, der Kunst zum Opfer zu bringen. Den untern Theil des Körpers hatte er [300] in einen langen Weiberrock gehüllt, dessen aufgenommene Falten er einstweilen um den linken Arm geschlagen trug.

»Pst! – François – François Bourdon!«

Der junge Corporal trat hinzu. – »Was giebt's, Bernaudin?«

»Sind sie da?«

»Wer?«

»Maudit! Wen kann ich anders meinen, die Garden?«

»Nein – kein Einziger!«

»Das ist schön – que le diable les importe! sie mögen bleiben, wo sie sind; schade nur, daß sie unsere schöne Vorstellung nicht sehen können. Die hochnäsigen Narren hätten sich geärgert zum Schwarzwerden – ich bin göttlich als Fürstin Mulaschpulaschkin! wir haben so eben meine große Scene probirt.«

Ein schallendes Gelächter der Nächstsitzenden unterbrach die bärtige Actrice, deren Erscheinung man eben erst bemerkt. Der Kopf verschwand eilig hinter dem Vorhang und nur Mund und Nase waren noch zu sehen. – »Was habt Ihr zu lachen, Ihr Narren? habt Ihr noch keine russische Dame im Negligée gesehen?Fichtre! Erobert Sebastopol, dann könnt Ihr sie im allerdurchsichtigsten haben aus erster Hand, wie unsere Kameraden die Bulls in Kertsch. Ihr thätet gescheidter, wenn Einer lieber den Saufaus Lebrigaud suchte, der sich noch immer umhertreibt, indeß sein Popencostüm längst bereit liegt. Ich wette drei Flaschen Wein gegen einen gestohlenen Schinken, das Publikum wird abgespeist und seine Plätze eingenommen haben und der Halunke ist noch immer nicht zur Stelle.«

»Dort unten zieht er mit einem betrunkenen englischen Matrosen umher!«

»Ich will ihn holen,« sagte Bourdon und stand auf.

»Ah – joli garçon! Du verdientest einen Kuß, schöner Corporal, wenn die Fürstin Mulaschpulaschkin nicht schon engagirt wäre. Laß Dir ihn jetzt von anderer Seite geben, mein Junge, das Feld ist rein.«

Während Bourdon unter dem Gelächter der Kameraden sich bereits entfernte, fragte der Sergeant-Major: »Was meinte der Kerl mit den Garden? Morbleu, es ist wahr, ich habe heute noch keinen Einzigen von den goldbetreßten Narren in der Cantine gesehen, die sie sonst förmlich belagerten.«

Die Umsitzenden schwiegen, indem sie sich anschauten, und ihre bedeutsam gewechselten Blicke verriethen, daß ihnen die Ursach' nicht unbekannt war.

»Parbleu! werd' ich Antwort bekommen? Weiß Jemand, warum die Garde sich heute nicht blicken läßt?«

»Ei, Papa Fabrice,« sagte eine helle und heitere Stimme neben ihm, »sollten Sie wirklich die große Neuigkeit des Tages nicht wissen, die, wie man mir sagt, schon drei Duelle gekostet hat?«

Der Sergeant-Major hatte sich rasch und galant zu der [301] hübschen Sprecherin umgewandt, indem er ein süßsaures Gesicht zu der ihm gewordenen Benennung schnitt. »Es ist wahr, Mademoiselle Nini,« sagte er, »daß ich recht gut Ihr Vater sein könnte, aber Sacristi! die verteufelte Gewohnheit der Burschen da, mich Papa Fabrice zu nennen, klingt aus Ihrem hübschen Munde für einen Anbeter noch in den besten Jahren eben nicht angenehm! – Doch – was ist denn geschehen und wissen Sie wirklich die Ursach'? – haben die Garden ihr Lager abgebrochen oder was ist passirt?«

»Ei, ei, Papa Fabrice,« lachte die Marketenderin schelmisch, »Sie müssen heute Morgen lange geschlafen haben!«

»Ich gestehe es zu meiner Beschämung, Mademoiselle. Wir sind nicht am Dienst – und Ihr Bruder spendirte gestern Abend noch spät einen Korb voll Brussawein, der so leicht durch die Kehle rollt! Aber der Henker soll die Narren hier holen, daß sie mir nicht längst – –«

»Ruhe im Glied, Papa Fabrice, sonst erfahren Sie Nichts! Sie wissen ja, daß die Herren von der Garde keinen Dienst in den Trancheen zu thun brauchen?«

»Parbleu! was werd' ich nicht? Die Faullenzer haben d'rum Zeit genug, zu schniegeln und zu bügeln, von Morgens bis Abends sich hier umher zu treiben und den wenigen Damen, deren Anwesenheit allein uns hier den Dienst versüßt, die Köpfe zu verdrehen.«

»Wenn Sie auf mich zielen, Papa Fabrice,« sagte Nini lachend, »so geht der Schuß vorbei. Mit meiner Freundin Celeste – das will ich nicht verschwören! Seit der schöne Husaren-Aide-de-Camp getödtet oder gefangen ist, geht es ihr schlecht und sie braucht Zerstreuung. Es ist aber doch ein boshafter Streich, den man gegen die Herren von der Garde verübt hat.«

»Ich bitte, sprechen Sie, Mademoiselle.«

Die hübsche Marketenderin hatte ein Stück Kreide aus der Tasche geholt. – »Da, sehen Sie, Papa, das haben boshafte Hände in vergangener Nacht an die Zelte der Garden geschrieben. Man las es heute Morgen und es ist ein wahrer Aufruhr entstanden.«

Der Sergeant-Major war den kecken Krähenfüßen des Mädchens gefolgt und las:


»LA GARDE de MEURe ici, ET NE SE REND PAS aux tranchées!«


Ein allgemeines Hohngelächter begleitete den Vortrag der Worte, selbst der Sergeant-Major konnte, den bis über den Hals herabfallenden Schnurrbart streichend, ein wohlgefälliges Lächeln nicht unterdrücken, denn das Privilegium der Garden war allgemein verhaßt und hatte schon zu vielen Zänkereien Veranlassung gegeben.

»Peste! ich glaube wohl, daß ihnen da der Aerger zu Kopf [302] gestiegen, denn der Spaß ist vortrefflich. Aber ich begreife immer noch nicht, warum sie deshalb von der Cantine fortbleiben. Gegen Verdruß ist ein tüchtiger Schluck ein Radikalmittel!«

Nini schien mit der Antwort zu zögern. – »Ich habe gehört,« sagte sie endlich, »daß sie die Zuaven beschuldigen.«

»Ah so, mein Engel – sie könnten Recht haben, denn ich versteh' mich auf die Bursche. Nun weiß ich auch, warum Madame Celeste so ärgerlich ausschaut. Sie ist besorgt, daß der reiche Graf von Pontève's Grenadieren, der ihr den Hof macht, seit Sie sie beim Comptoir angestellt, ihr aus dem Garn geht. Parbleu! da kommt Einer, dem ich den Streich auf den Kopf zusagen möchte, wenn nicht gar Ihr Bruder selbst mit dabei gewesen ist – das ist ohnehin so ein halber Gelehrter!«

Die Prozession mit dem Maulthier und dem betrunkenen Engländer war herangekommen; der Soldat, der das Thier führte, Lebrigaud, der gesuchte Acteur.

Der Mann war der wahre Typus eines Zuaven, ein ausdrucksvollerer, von wilder Energie strotzender Kopf kaum denkbar. Wie alle Zuaven, trug er den Schädel rasirt, aber auf dem obern Theil der Stirn, wo der Fez aufsitzt, zeigte sich ein Gürtel von tättowirten Figuren. Auf dem Mittelfinger der rechten Hand hatte er eine Frauenfigur mit griechischen Formen, auf jenem der linken den Kopf einer Römerin eingegraben. Herzen mit Namen und Kränzen waren auf den anderen Fingern ausgestochen, seine musculösen Arme wahre Bilderrollen, gleich der berühmten Gallerie Leporello's. Die ganze Armee kennt ihn und weiß, daß er schon zwei Mal zum Tode verurtheilt und zu langjähriger Kerkerstrafe und Kugelschleppen begnadigt wurde. Er ist 1840 bei der afrikanischen Armee unter den Zephyren eingetreten und schon zwei Jahre darauf verging er sich gegen seine Vorgesetzten der Art, daß das Kriegsgericht das Todesurtheil fällte. Aber Marschall Bugeaud brauchte einen Mann, dem er eine gefährliche Sendung durch das Land der Kabylen auftragen wollte, und Lebrigaud erbietet sich dazu. Er führt seinen Auftrag unter tausend Gefahren aus und der Marschall erläßt ihm die Strafe. Im Jahre 1850 wurde er zum zweiten Mal begnadigt, nachdem er seinem Corporal im Zank um ein Mädchen ein Ohr abgehauen und aus Eifersucht gegen den Bevorzugten die Geschichte selbst angegeben hatte. Für die Almaschlacht hat er von Canrobert die Tapferkeitsmedaille erhalten – er gehört vor Sebastopol zu den enfants perdu und man erzählt hundert waghalsige Streiche von ihm.

Das ist der Bursche, den Bourdon herbeiführt. Die Physiognomie des Zuaven hat durch einen frischen, ziemlich schlecht zusammengeflickten Säbelhieb nicht besonders gewonnen, der ihm die linke Wange gespalten, aber Lebrigaud kümmert sich wenig darum.

Ein Geschrei und Gelächter empfängt ihn, um den sich bald ein bunter Kreis sammelt, und selbst die Schauspieler strecken ihre [303] Köpfe hinter dem Vorhang hervor, um an der Unterhaltung Theil zu nehmen.

»Wo bleibst Du, Lebrigaud? es ist Zeit, in Dein Costüm zu kriechen. Wenn wir dinirt haben, beginnt die Vorstellung!«

»Tununle Dich, Lebrigaud. Willst Du mit uns Truthahn speisen, mein Junge?«

»Zum Henker! wie sieht der Bursche aus? – Du kommst in Arrest, wenn der Capitain Dich sieht.«

»Pah! Ihr Narren – ich holte mir's bei den Russen; kann man nicht seinen kleinen Krieg auf eigene Hand haben, ohne gerade Napoleon III. zu sein?« Er nickte bedeutsam der Fürstin Mulaschpulaschkin zu.

»Hast Du Händel gehabt?« flüsterte der Zuave.

»Verteufelte – ich glaube, man hat mich erkannt! Einer der Grenadiere liegt auf dem Rücken. Es wird Sturm geben.«

Der Sergeant-Major war hinzugetreten. – »Wo hast Du die Schmarre da über Deine Fratze bekommen, Lebrigaud?«

»O, Papa Fabrice, es ist eine alte von damals, als ich Euch bei Inkerman aus den russischen Bajonneten holte, das dumme Ding ist blos wieder aufgebrochen.«

Die schlaue Antwort entzog ihn einem scharfen Eramen, denn der im Dienst sehr strenge Feldwebel drehte sich bei der Erinnerung um und ging brummend wieder nach seinem Platz.

»Goddam your eyes! I have thirst!« schrie der betrunkene Matrose.

»Wen hast Du da?« – »Was sagt er?« fragte es bunt durcheinander.

»Oh, je le trouvai – c'est mon ami. Car ce John Boule, voyez-vous, ça ne sait pas s'arranger comme nous autres; ça ne sont que des zenfants. Puis ça nous zaime! cré nom de chien comme ça nous zaime!« und mit der Gutherzigkeit des echten Bruder Lüderlich hob er mit Hilfe der Nächststehenden den betrunkenen Matrosen, den er wahrscheinlich in seinem Leben am Wege zum ersten Mal gesehen, von dem Maulthier und eine lebhafte Debatte begann, wie man den Gast am besten amüsiren könnte.

»I have thirst, Johny Crapaud!«

Die mündliche Unterhaltung zwischen den Alliirten dieses Schlages war gewöhnlich für sie selbst und jeden Andern ganz und gar unbegreiflich; sie bestand aus excentrischen aber fruchtlosen Ausfällen des Einen in die englische und des Anderen in die französische Sprache, wobei der Freund das, was der andere Freund nach seiner Muthmaßung gesagt haben dürfte, verbindlich in die eigene Muttersprache übersetzte und der erste Sprecher die Richtigkeit der Uebersetzung mit dem herzlichsten »Oui, oui« oder »Yes, yes« approbirt.

[304] »Er will das Theater sehen,« schrie Bernaudin hinter dem Vorhang vor. »Gieb ihm einen Platz im Parquet, Lebrigaud!«

»Er will uns zum Pferderennen abholen!« riefen Andere.

»Er will Würfel spielen, diese John Bouls haben immer Gold!«

»Narren!« sagte lachend der Corporal. »Der Bursche ist ein Schwamm, er hat Durst!«

»Ah c'est ça camarade! Du hast Recht, ich erinnerte mich nicht gleich, daß Du das Kauderwälsch verstehst. Achtung vor Corporal Bourdon, Inngens, er ist ein Gelehrter und der einzige Mensch, außer Mademoiselle, seiner Schwester, vor dem ich Respect habe.« Lebrigaud, der von kleiner Figur war, die aber ganz Muskel und Behendigkeit schien, blickte bei den Worten mit einer Art zärtlicher Bewunderung auf den viel jüngeren Mann, der ihn in der That ein Mal windelweich gewalkt hatte, als er seiner Schwester mit Gewalt einen Kuß geraubt. – »Mort de ma vie! ich habe nicht die geringste Eifersucht auf Dich, obgleich Du's bereits zum Corporal gebracht hast, während ich, Narcisse Lebrigaud, seit fünfzehn Jahren den Gemeinen spiele!«

»Mademoiselle Nini! Eine Flasche Wein!«

»Nein – Cognac! Diese Engländer trinken Nichts als Rum!«

»Teufel! Und sie sind doch eine so zärtliche Nation.«

»Zärtlich? wie so?«

»Ei, sie behandeln ihre Weiber wie die Kätzchen. Sagen Sie nicht zu jeder: Mies!?«

Ein brüllendes Gelächter belohnte den schlechten Witz.

»Dafür behandeln ihre Damen sie en Canaille! Sie sagen Mylord, und Mylord ...«

»Ist ein Hundename!« – Neues Gelächter, während dessen der Brite, der, ohne Ahnung von der Beleidigung seiner Nation, mit grämlichem Blick umherstarrte, in einer der Gruben vor Anker gebracht wurde, die vor der Bühne das Parquet bildeten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aus den hintern Räumen der Cantine kamen langsam im Gespräch drei Männer, denen ein kaum über dem Knabenalter stehender Jüngling, in ein russisches Capôt gehüllt, den linken Arm in einer Binde, die Stirn gleichfalls umwunden, folgte.

Die drei Männer waren der Lieutenant-Colonel Méricourt, der deutsche Arzt, jetzt Medecin-Major der dritten Zuaven – und Sir Edward Maubridge.

»Es thut mir leid, Monsieur de Lasaroff, daß ich Sie in das Gefangenen-Depôt abliefern muß,« sagte der Vicomte, »aber da Ihre Wunden so gut wie geheilt sind, muß ich meiner Pflicht Genüge leisten, wenn Sie Ihr Ehrenwort verweigern.«

»Mein Herr,« sagte der Jüngling schüchtern, »ich glaube nicht, daß Sie mich deshalb tadeln werden.«

[305] »Nicht im Geringsten, – das ist Ihre Sache! Aber da der Doctor heute sich dafür ausgesprochen hat, daß Ihr Schicksalsgenosse, der griechische Offizier, mit erster Gelegenheit nach Constantinopel zur bessern Pflege gebracht werden soll, muß ich den Posten einziehen, der Sie Beide bewacht, und Sie in's Hauptquartier einliefern, damit man über sie verfügt.«

Der Jüngling verbeugte sich schweigend und setzte sich in trübem Nachdenken an einen der Tische in der Nähe des Verschlages nieder.

Die drei Männer blieben unsern des Comptoirs, an dem jetzt Celeste beschäftigt war, nach Nini's Dictat eine Anzahl Speisekarten auszufertigen, in ernstem Gespräch stehen. Die Strapazen des Winters und des Feldlagers zeigten sich in den gebräunten festen Gesichtern des Colonels und des Arztes, während die Gestalt des Baronets noch hagerer und gebeugter erschien, als da wir ihm zuletzt begegnet, in den Schreckensscenen von Schloß Aja. Er war in die Farbe der Trauer gekleidet, der Flor um seinen Hut galt dem gemordeten Bruder, die eingefallenen Wangen zeigten die hektische Röthe, dieses gefährliche Kennzeichen innerlich verborgener schleichender Krankheit. Dennoch lag in seinem Auge, in seiner Haltung eine gewisse Kraft und Entschlossenheit, ein Daransetzen des ganzen Denkens und Lebens an einen bestimmten Zweck.

»So sind Sie also der Ansicht, daß Herr Caraiskakis die Ueberfahrt aushalten kann?« fragte er zu dem Arzt gewendet.

»Ja, Sir. Lassen Sie mich den unglücklichen Zustand meines Freundes noch ein Mal recapituliren, und Ihnen meine Rathschläge geben, denn leicht dürfte dazu in den nächsten Tagen nicht Zeit sein.«

»Ich bitte Sie darum.«

»Als Sie nach unserer merkwürdigen Rettung aus dem Felsenschloß der Palta, die zwei mir theure und gute Menschen, gegen welche ich mir leider schweren Undank vorzuwerfen habe, in's Verderben stürzte, – zu mir kamen, Sir Edward, gebeugt von dem schrecklichen Tode Ihres wackern Bruders; – als Sie offen und männlich das begangene Unrecht bekannten und meine Vergebung verlangten, daß Sie mich einem schmachvollen Tode überliefern gewellt –: da reichte ich Ihnen aufrichtig die Hand und versprach Ihnen meinen geringen Beistand; – denn wir trugen eine gemeinsame Erinnerung an Wesen im Herzen, die Tod und Schicksal von uns gerissen.«

»Aber Ihre Erinnerungen, Sir,« unterbrach ihn finster der Baronet, »waren rein, – an den meinen klebt die Schuld, und das Grab giebt seine Todten nicht wieder!«

»Diona ruhe in Frieden! Ihr seliger Geist möge den bittern Haß zwischen Ihnen und ihrem Bruder sühnen helfen. – Ich begriff, daß Ihr Leben und Denken – zuerst vielleicht aus Eigensinn und Laune, später von der Stimme des Gewissens gefestigt [306] – einzig an der Erlangung Ihre Kindes hing das Gregor Caraiskakis Ihnen verweigert, ja, von dem Sie nicht mehr als seine Existenz wissen, nicht einmal das Geschlecht. Ich begriff dies Gefühl; denn ich empfand, daß ich selbst mein Leben opfern könnte für ein Kind, welches das meine wäre. Ich versprach Ihnen, wie gesagt, meinen Beistand, da Sie nicht von den Mauern Sebastopols weichen wollten, hinter denen Sie Ihren Gegner und vielleicht auch das Pfand seiner Rache glaubten.«

»Der Erfolg hat es bewiesen!«

»Sie haben Recht – Gott selbst hat durch eine seiner wunderbaren Fügungen die Lösung des Räthsels in Ihre Hand gelegt und es dennoch auf's Neue verwickelt. Der Handjar des jungen Arabers, der jetzt da drinnen bei seinem Opfer sitzt und dessen Beziehungen zu Gregor Caraiskakis mir selbst fremd sind, hatte den Kopf meines unglücklichen Freundes gespalten bei dem nächtlichen Angriff der griechischen Freischaar und der Russen auf die britischen und türkischen Batterieen am Mamelon. Es war nicht Zufall, sondern des Allmächtigen Fügung, die Sie am Morgen auf die Kampfstätte führte und den Schwerverwundeten erkennen und aus den Händen der unwissenden Türken retten ließ.«

»Sie, Doctor, waren der erste Gedanke, der mir einfiel; ich wußte, daß Sie sein Freund waren.«

»Ich danke Ihnen für das Vertrauen gegen mich. Sein Fanatismus, der ihn zum Verrath selbst an der Freundschaft führte, hat uns getrennt, aber ich wäre ein schlechter Mann, hätte sein Unglück nicht jede Erinnerung an seine Verschuldung getilgt und nur das Andenken an unsere frühere Gemeinschaft zurückgelassen. Ich danke es dem Herrn Vicomte hier von Grund des Herzens und unserer braven kleinen Bourdon, daß sie mich in den Stand setzten, den Verwundeten nicht seinem Schicksal in einem entfernten Lazareth überlassen zu müssen, sondern ihn hier unter meiner persönlichen Aufsicht und unter steter Pflege behandeln zu können.«

»Aber seine Krankheit – wir sind noch immer so weit vom Ziel, wie je.«

»Es ist wahr, die Folgen der Verwundung sind eigenthümlich gewesen. Der dicke griechische Feß scheint zwar den Säbelhieb des Arabers aufgehalten und seine tödtende Kraft gebrochen zu haben und die Wunde selbst ist vollkommen geheilt. Dagegen ist hier die in der Chirurgie hin und wieder, doch selten vorkommende Erscheinung einer peripherischen Paralyse, einer Asphyxie aller äußern Nerventhätigkeit, eingetreten. Der Kranke vermag weder zu sprechen, noch sich zu bewegen. Es läßt sich dies nur durch die Verletzung oder Betäubung gewisser Nervencomplexe erklären, wie beim Schlagfluß. Wir wissen und sehen Alle, daß das volle Bewußtsein und Gefühl ihm längst zurückgekehrt ist, der Ausdruck seines Auges zeigt dies, ebenso ist sein Gehör scharf und unverletzt, der Verstand, das Denken ist bei ihm in voller Thätigkeit [307] – und ich bin überzeugt, daß die aufopfernde Sorgfalt, die Sie ihm gezeigt, selbst eine Umstimmung seiner Gefühle gegen Sie bereits hervorgebracht hat. Nur daß er gegenwärtig außer Stand ist, sie auszudrücken.«

»Wenn ich mich recht erinnere, findet sich ein ähnlicher Fall in dem bekannten Roman ›Monte Christo‹ von Dumas,« sagte der Vicomte, der bisher schweigend der Erörterung zugehört hatte.

»Ganz richtig, nur mit dem Unterschied, daß dort ein Schlagfluß zum Grunde gelegt wird und wir hier nicht ein Gebilde der Phantasie, sondern wirklich einen jener merkwürdigen Fälle aus dem Nervenleben vor uns haben, wie sie eben nur die Chirurgie zeigt.«

»Aber Sie sprachen selbst die Hoffnung auf eine rasche volle Umwandlung, auf eine völlige Genesung aus.«

»Und ich hege sie noch. Es giebt, meiner Ansicht nach, zwei Wege, die dazu führen. Der erste ist ungestörte Ruhe, eine Absonderung von den aufreizenden Ereignissen des Tages, welche die Nerventhätigkeit wieder stärken und zu den alten Funktionen zurückführen wird; der zweite ist eine analeptische mächtige Aufregung der Seele, einer verborgenen Leidenschaft, die mit einem Schlage die ganze Lebenskraft wieder herzustellen vermag. Das Letzte ist ein Mittel, was keine Kunst, nur der Zufall herbeizuführen im Stande ist – wir können uns daher nur an das Erste halten, und deshalb habe ich Ihnen gerathen, Ihren – Schwager jetzt, wo seine spezifische Heilung vollendet, mit erster Gelegenheit von hier fort und nach einem ruhigern Aufenthalt zu schaffen.«

»Ich habe bereits meinem Agenten in Constantinopel Auftrag gegeben, uns alle Bequemlichkeiten zu sichern, und werde das nächste Dampfschiff benutzen.«

»Dann bürge ich für die Heilung; – nur an dem Wann? scheitert die Bestimmung der Wissenschaft. Gott helfe dazu und lege Frieden und Versöhnung in Ihrer Beider Herzen!«

Der Vicomte war bei der letzten Wendung des Gesprächs an das Comptoir getreten, wo er Nini und Celeste freundlich begrüßte. »Wir hoffen auf eine gute Mahlzeit, meine Kleine, der Doctor und dieser Herr speisen mit mir.«

Nini salutirte militairisch. »Aufzuwarten, mein Kommandant. Sie wissen, das Beste, was die Cantine vermag, steht zu Ihrem Befehl. Wo wünschen Sie, daß Ihr Tisch gedeckt werde?«

»Ei, mein Schelm, bei den andern Offizieren – wo sich Platz findet, wir haben hier keine Aristokratie. Sie haben Ihre schönen Hände mit der Dinte geschwärzt, Madame.«

Celeste rieb kokett die zierlichen Finger. »Mein Unstern ist an dieser fatalen Situation Schuld, Herr Vicomte, und dennoch mußte ich das Anerbieten der kleinen Nini, die ich in Paris zufällig kennen gelernt, noch mit Dank annehmen, da Ihre Lagergesetze so unartig gegen Damen sind. Haben Sie noch keine Gewißheit über Herrn von Sazé?«

[308] »Noch immer keine!«

»Fatal! – aber es ist abscheulich, daß er mich solcher Verlegenheit aussetzen konnte. Ich wollte, ich wäre in Paris, statt in diesem abscheulichen Wirrwarr!« Sie warf dem Vicomte durch die schmachtend halbgeschlossenen Augenlider einen verführerischen Blick zu, doch die Verlockung prallte an dem gestählten Herzen und dem Unwillen über die selbstsüchtige Gleichgültigkeit gegen das Schicksal seines Freundes ab. »Sie verstehen sich zu entschädigen, Madame! – Sorgen Sie für den armen Knaben, den Russen, Nini,« sagte er kurz abbrechend zu der jungen Wirthin der Cantine, »Ihre Pflegebefohlenen sollen Ihnen nicht lange mehr lästig fallen.«

»Wie, mein Kommandant, sind Sie unzufrieden mit mir?«

»Gewiß nicht, hübsche Nini – aber der griechische Offizier soll nach Constantinopel gebracht und der junge Russe muß endlich an's Gefangenen-Depot als gesund abgeliefert werden.«

»O, mein Herr – es ist ein halbes Kind – die armen Leute haben es dort gewiß schlimm, es muß so schrecklich sein in einem Gefängniß!« Thränen standen in ihrem bittenden und mitleidigen Auge, das bei den Worten auf der Gestalt ihres blödsinnigen Vetters ruhte.

»Die Pflicht gebietet, mein Kind, und ich setze mich ernster Verantwortung aus,« sagte freundlich aber bestimmt der Vicomte, »wenn ich noch länger gegen Ihren hübschen Protegée solche Nachsicht übe. Sie wissen, daß, als er von Tonton und Ihrem Bruder zum Gefangenen gemacht wurde, er nach der Vorschrift angemeldet ist, nur Ihre Bitte und das Wohlwollen, das ich für den Knaben selbst fühle, bewogen mich, ihn aus Veranlassung seiner leichten Wunden als krank und in Privatpflege anzugeben. Aber der gestrige Tagesbefehl verordnet auf's Strengste die Ablieferung aller Gefangenen in's Haupt-Depot und der Kranken in die Lazarethe, und Doctor Welland hat nicht länger zögern können, ihn als gesund zu melden.«

»Fi donc! der abscheuliche Doctor!«

Der Offizier lächelte. »Ich kann jetzt in Wahrheit Nichts weiter thun, da der Bursche selbst die Abgabe seines Ehrenworts verweigert. Bringen Sie Ihre Bitte bei Oberst Polkes an – vielleicht übernimmt er die Verantwortung.«

»Brrr! Nein, mein Kommandant,« lachte, sich schütternd, das Mädchen – »lieber einer Batterie entgegen! Monsieur le Colonel ist ein wilder Bär und ich weiß sehr wohl, daß nur Ihrem Schutz das arme Kind die Erlaubniß zu danken hatte.«

»Also – Mademoiselle – die Dienstgeschäfte zwischen uns sind erledigt – und nun zu Tische!«

»Sie sollen sogleich bedient werden, mein Kommandant, denn Sie sind eine Perle aller Stabsoffiziere.« Ein koketter galanter Knix, und die hübsche Marketenderin sprang davon. – – – –

Die Mittagsstunde war heran gekommen und die Soldaten [309] lagerten vor ihren Zelten um die Feldkessel, oder waren noch mit der Zubereitung der Menagen beschäftigt. In den Küchengräben loderten lustig ganze Reihen kleiner Feuer, vor den Cantinen und Marketenderbaracken dinirten die Gruppen der Offiziere mit den seltsamsten Tafelarrangements, auf Faßböden, rohen Tischen oder dem Rasen. Ueberall Heiterkeit, Gelächter, bunte Unterhaltung – keine Spur des grausigen Kampfes, wenn nicht von Zeit zu Zeit ein dumpfer, ferner Kanonenschlag herüber gedröhnt wäre und eine leichte weiße Rauchwolke sich aus der Ebene in die lichte, von der Hitze vibrirende Lust emporgekräuselt hätte, die Lage der Trancheebatterieen anzeigend. Regelmäßig antwortete darauf ein gleicher Knall, ein gleicher Rauchwirbel aus den lang hingestreckten braunen Erdwerken der Festung. Seit einer Viertelstunde jedoch war auch dieses eherne Frag-und Antwortspiel verstummt, denn es war nachgerade auf beiden Seiten Gewohnheit geworden, außer an Tagen scharfen Bombardements, um die Mittagszeit von 12 bis 3 Uhr das Feuer gänzlich einzustellen.

Die Aussicht vom Abhang des Sapun war prachtvoll und das Panorama der Bucht von Sebastopol im Hintergrund von den Bergwänden der Nordforts geschlossen, lag in voller Ausbreitung vor den Augen. Die Höhe des Sapun war ungefähr 5- bis 6000 Schritt von dem User der Rhede in gerader Linie entfernt, der Blick beherrschte dieselbe bis zu den Forts Alexander und Constantin und tauchte dann weit hinein in die Lichtreflexe des anscheinend unbeweglichen Meeresspiegels, von dem sich in einzelnen dunklen Punkten die vor dem Eingang stationirten Schiffe der alliirten Flotte oder ein nach Eupatoria ziehender Dampfer abhoben. Die Luft war so klar und durchsichtig, daß man auf der Rhede selbst mehrere der Takelage und des Spierenwerks beraubte, noch vorhandene russische Dreimaster genau überschauen, die Boote über die Süd- und Schifferbucht kreuzen, ja in den Straßen der Stadt die Soldatenzüge sich bewegen sehen konnte. Während links der Laboratornaja-Grund längs des grünen Hügels zur Südbucht zog, durchfurchten rechts der Dokawaja-, Kilen- und Steinbruchgrund die gelbe Fläche, auf der die Trancheen und Batterieen sich wie dunkle Zeichnungen hervorhoben, bis östlich über die Tschernaja hinweg, seitwärts der Ruinen von Inkerman, das von den hellen reflectirenden Farben geblendete Auge einen angenehmen Ruhepunkt an den Weinbergen der Meierei Bugharinaja fand.

Quer über die Südbucht sah man eine Anzahl russischer Linienschiffe in zwei Reihen ankern und ihre furchtbaren Breitseiten dem Einschnitt des Kirchhofs zwischen dem Redan (Bastion III.) und dem Malakoff (Kormlowski-Bastion) über die weißen Häuserreihen der Vorstadt zukehren. Das Ganze bot allerdings ein interessantes militairisches Bild, doch nur das Auge eines Eingeweihten oder eines Genieoffiziers hätte zu erkennen vermocht, daß einer jener wüthenden Kämpfe in wenig Stunden bevorstand, deren Donner [310] Himmel und Erbe erschütterten, die mit Blut und Leichen den Felsenboden der Krimm düngten. Einzelne Truppenkolonnen, die sich im Schutz der Bergrücken und Schluchten zu sammeln begannen, ein stärkerer Zug der Munitionskarren und Lastthiere nach den Batterieen, bildeten allein diese Anzeichen für den Kundigen.

Unter einer Korkeiche, deren mageres Schattendach noch durch ausgespannte Leinentücher verstärkt war, saß, um einen niedern schmalen Tisch von Fichtenbrettern, eine Anzahl französischer Offiziere, meist zu dem hier lagernden dritten Zuaven-Regiment gehörig, dazwischen die Uniformen verschiedener anderer Corps, Artilleristen der auf dem Sapunhügel erbauten Mörserbatterie, und zufällige Gäste, darunter zwei Offiziere der sardinischen Bersaglieri.

Die Unterhaltung flog bald heiter, bald ernst über hundert verschiedene Gegenstände und kreuzte sich in Scherzen und Mittheilungen, bis dazwischen wieder die Erzählung Eines oder des Andern eine allgemeinere Aufmerksamkeit für kurze Zeit fesselte. Der seltenste Gegenstand, der berührt wurde, war auffallender Weise das bevorstehende Bombardement.

»Sie trafen gestern in Kamiesch ein?«

»Die Veloce warf vorgestern Abend Anker. Wir brachten die Nachrichten, die das Bülletin gestern veröffentlicht hat.«

»Man hört schöne Geschichten von Kertsch, Herr Kamerad von der See? Wenn nur die Hälfte wahr ist, muß es verteufelt locker dort zugegangen sein.«

Der Marineoffizier sah sich vorsichtig um. »Sind Engländer am Tisch?«

»Daß ich nicht wüßte! Nein – wir sind zufällig noch unter uns!«

»Dann, meine Herren, muß ich Ihnen sagen, daß unsere werthen Verbündeten, die Engländer und Türken, sich auf das Abscheulichste benommen und Dinge in einer unvertheidigten Stadt begangen haben, die uns der Schmähung von ganz Europa aus setzen werden.«

»Mordioux! um das zu sagen, – warum braucht man da die Anwesenheit der Beafsteaks zu fürchten!« rief ein Offizier.

»Wenn Sie die Güte haben wollen, mir Ihre Zeit zu bestimmen, Capitain Parquez,« sagte der Marine-Lieutenant höflich, »so hoffe ich Sie zu überzeugen, daß es der Mannschaft der Veloce in keiner Weise an Muth fehlt.«

»Unsinn! Estas en vestra camisa? Davon kann keine Rede sein! Capitain Parquez hat nicht daran gedacht, an dem Ruf der Männer von der Veloce zu zweifeln. Außerdem – Sie sind mein Gast.«

Der gascognische Capitain murmelte einige Worte. »Kommandant de Narbonne Lara hat vollkommen meine Meinung ausgedrückt.«

Der See-Offizier verbeugte sich freundlich. – »Auch that [311] ich die Frage nur, weil ich nicht Unbetheiligte verletzen wollte. Die Art und Weise aber, wie unter den Augen des Generals Brown und Vice-Admirals Lhons von den englischen Soldaten und Matrosen verfahren wurde, war empörend.«

»Man hörte doch von einem Befehl des britischen General Brown,« bemerkte ein Offizier der Chasseurs d'Afrique, »daß jeder Mann, der nach Dunkelwerden in der Stadt betroffen würde, gepeitscht werden solle?«

Allgemeines Gelächter. – »Der Befehl existirt,« bestätigte der Lieutenant der Veloce, »aber er galt nur in Jenikale und paßt übrigens für englische Soldaten und Matrosen. Unter uns – eine große Vertheidigung der Küste und des Zugangs zum Asow'schen Meer fand nicht statt, die wenigen Batterieen wurden von der Flotte bald zum Schweigen gebracht und Kertsch ohne Widerstand übergeben.«

»Die Russen sollen über Hals und Kopf sich auf allen Punkten zurückgezogen haben?«

»Das ist ihr System. Die Geschütze wurden unbrauchbar gemacht, die Magazine geleert oder gesprengt. Die ganze Küste glich in der Nacht, nachdem wir bei Ambalaki gelandet, einer Reihe ledernder Vulkane. Dennoch fand die verbündete Armee noch kolossale Vorräthe nicht allein in den Schiffsarsenalen, sondern namentlich an Getreide in den Magazinen.«

»Ei, so hoff' ich, werden uns die Commissaire bald ein besseres Brot liefern, als das hier auf meinem Messer.«

»Täuschen Sie sich nicht, Lieutenant Brande,« lachte der Schiffsoffizier. »Bei meinem Abgang hatte die Flotte bereits 248 Schiffe mit Getreide vernichtet und in Kertsch allein wurden über 2 Millionen Kilogramms verbrannt.«

»Ader doch blos Vorräthe der Regierung?«

»Ich glaube nicht, – man hat keinen Unterschied zwischen dem Privateigenthum der Kaufleute und den Vorräthen der Regierung gemacht. Selbst das große Magazin des österreichischen Consuls, das geschickt unter der Form einer Villa versteckt war, wurde angezündet. General d'Autemarre schlug zwar vor, die Getreidemassen nach Constantinopel und unseren Lägern zu schaffen, oder wenigstens allen französischen und englischen Kauffahrern in Kamiesch und Balaclawa zu gestatten, hier umsonst Ladung zu nehmen, aber unsere Verbündeten eilten, ihren Hauptzweck zu erfüllen: den Russen möglichst viel materiellen Schaden zuzufügen.«

»Sie wollten uns die Zerstörung von Kertsch erzählen, Kamerad,« sagte der Kommandant des zweiten Bataillons, dü Moulin.

»Wir rückten am Freitag, den 25., ein, marschirten aber sofort nach Jenikale weiter, indem nur eine kleine Abtheilung Franzosen, dagegen ein Regiment Engländer und der größte Theil der Türken unter Reschid Pascha zurückblieb. Außerdem war eine Zahl britischer Matrosen und Marinen gelandet und hatte den Auftrag, [312] die Regierungsfabriken und eine Privatfabrik zur Verfertigung von Miniékugeln und Patronen zu zerstören. Viele der wohlhabenderen Bewohner und die Beamten hatten mit der russischen – wie ich hörte, wenig über 2000 Mann starken – Besatzung die Stadt verlassen. Die Zurückgebliebenen aber kamen den Truppen an den Thoren nach ihrem Landesbrauch mit Brot und Salz entgegen, und es wurde ihnen Schutz des Lebens und Eigenthums zugesagt. – Wie gesagt, unsere Truppen rückten noch an dem Vormittag weiter, kaum aber hatten sie die Stadt verlassen, so begannen die abscheulichsten Scenen der Plünderung. Die Thüren der verschlossenen Häuser wurden erbrochen – was nicht fortgeschleppt werden konnte, muthwillig zertrümmert. Mord und Notzucht wütheten in allen Straßen, die Horden der Zigeuner und der Tataren machten bald mit den Soldaten und Matrosen gemeinschaftliche Sache und führten sie von Haus zu Haus der russischen Kaufleute und Handwerker, ihnen dort neue Opfer der Habsucht oder der Wollust zeigend. Die Bevölkerung unterlag, völlig wehrlos, der viehischen Brutalität und es wurden Thaten verübt, deren sich Karaiben schämen könnten!«

»Und geschah Nichts, dem zu steuern?«

»Capitain Fontain schickte täglich Patrouillen aus, so lange wir auf der Rhede ankerten – aber was halfen die Wenigen, die nicht einmal das Recht hatten, gegen die Engländer einzuschreiten! Ich selbst schoß einen türkischen Marodeur nieder, der betrunken die Straße daher taumelte, auf seinen blutigen Säbel einen Säugling gespießt 5. In fast allen Häusern waren Fenster und Thüren zertrümmert, die Möbel zerschlagen, die Betten und Matratzen aufgeschlitzt aus bloßer Zerstörungslust. Die Plünderung dauerte noch fort, als wir am 3. zurückstellen. Wäre sie nicht von so abscheulichen Scenen begleitet gewesen, man hätte lachen müssen über die Unvernunft dieser Raubsucht. Ich sah Matrosen sich müde schleppen an einem alten Lehnstuhl, an schweren Federbetten oder an einem hölzernen Heiligenbild mit einer Glorie von Blech um den Kopf. Einzelne machten freilich vorzügliche Beute. Ihrer Majestät 79. Regiment zum Beispiel stahl eine große Quantität Silberzeug aus einem der Häuser.«

»Ich hörte, daß das berühmte Museum von Kertsch mit den Alterthümern klassischer Vorzeit zerstört worden?« fragte Capitain Stahl.

»Bis auf die letzte Scherbe! – Wilde hätten nicht ärger hausen können! Man begriff nicht, wie die Wuth weniger Menschen in so kurzer Zeit eine solche Verheerung anrichten konnte. Ich fand den Fußboden des Museums fußhoch mit zerbrochenem Glas, Bruchstücken von Statuen, Vasen, Urnen, dem kostbaren Staub großer Erinnerungen, den sie einschlossen, und halbverkohlten [313] Stücken Holz und Knochen bedeckt. Kein Stückchen von Etwas, das sich zerbrechen oder verbrennen ließ, war vom Hammer oder Feuer verschont geblieben. Die Schränke und Regale waren von den Mauern gerissen, das Glas in Atome zerschmettert, die Statuen in Stücke zerklopft; es war kaum möglich zu errathen, was sie früher gewesen waren. Eben so barbarisch hatte man an dem Grabmal des Mithidrates gehaust.«

»Und Sie konnten Nichts dagegen thun?«

»Als ich hinkam – war bereits das Werk vollendet. Wenige Schildwachen vor alle diese Gebäude gestellt, hätten sie vor der jämmerlichen Zerstörung gerettet. Wie naiv unter solchen Scenen blutigen Schreckens es auch klingen mag – ich mußte wenigstens meiner Entrüstung Worte geben und schrieb sie mit Bleistift auf den weißen Thürflügel des Eingangs 6

»Das ist das Loos des Krieges,« murrte CapitainMongin. »Wozu uns um das alte Gerümpel ärgern, wir haben wichtigere Dinge in der Nähe. Sie haben also gleichfalls noch keine Ordre beim Zweiten, Blanchet?«

»Parbleu – nein! – ich glaube, man wird die Gar den beschäftigen und uns in den Laufgräben lassen.«

Der alte Capitain lächelte hämisch: »Unsere Jungen sollen ihnen einen empfindlichen Streich gespielt haben,« flüsterte er – »es ist gut, daß Polkes seit heute Morgen fort ist.«

Sein Nachbar nickte lächelnd. »Geht heute Jemand zu den Briten? Wann beginnt das Rennen?«

»Méricourt wollte hinüber. Ich wette, die Narren jagen den Hund mitten zwischen die Batterieen hinein. Man sollte ihnen die Spielereien verbieten.«

»Lassen Sie ihnen immerhin das Vergnügen, Kommandant,« bemerkte lachend der Chasseur-Offizier. »Ihre Prahlerei, besser zu reiten als wir, hat ihnen höchstens bei Balaclawa Vortheil gebracht, als die russischen Ulanen sie jagten.«

»Haben Sie Mistreß Duberly reiten sehen?« fragte ein Lieutenant.

»Ei, die Méricourt gestern besuchte und zu heute einlud? Der Teufel soll mich holen, eine hübsche Frau, aber doch nicht so interessant und noch lange keine so kühne Reiterin, wie die schöne Sardinierin. Wie heißt sie doch, Herr Kamerad?«

»Sie meinen die Gräfin Pisani,« sagte höflich der Bersaglieri. »Es ist eine Ungarin und ich sah nie eine schönere und festere Hand ein Pferd regieren.«

[314] »Dabei sieht sie sehr blaß und leidend aus. Es ist Thorheit, eine Dame den Strapazen dieses Feldzugs auszusetzen.«

»Der General, ihr Gemahl, soll sehr eifersüchtiger Natur sein,« berichtete der Sarde. »Er soll sie im vorigen Jahre während des Donau-Feldzuges geheirathet haben und ein famoses Vermögen mit ihr.«

»Jedenfalls ist Ihr Oberst besser daran, wenn sie unfreiwillig gefolgt ist,« sagte lachend Lieutenant Rouet, »als unser armer Delorny vom Genie, der nach Dépuis Tod hierher kam. Sie haben doch von der pikanten Geschichte mit seiner Heirath gehört?«

»Nein! – Was ist's? – Erzählen Sie.«

»Ei, der Charivari und mehrere andere Journale theilten schon vor einem halben Jahre den Prozeß mit.«

»Pah – wer findet in den Laufgräben den Charivari oder die Gazette des Tribüneaur? – Die Engländer sind in dieser Beziehung besser bedient.«

»Ja – in dieser einzigen. Kannte Jemand von Ihnen Madame d'Alembert?«

»Bedenken Sie, Rouet, daß wir aus Afrika kommen!«

»Nun – man ist auf Urlaub in Paris. Ueberdies war Herr von Alembert ehemals ein wackerer Offizier und Madame die Tochter des Generals Valpré aus der Kaiserzeit. D'Alembert war gelähmt und brachte seine letzten Lebenslage im Spital zu Val de Grace zu, Madame aber wohnte bei der Gattin eines unserer Generale und lernte dort Delorny kennen. Die Dame war 40 Jahr, als ihr Gatte im März des vorigen Jahres starb und verliebte sich in den jungen Capitain, der sich die Sache anfangs gefallen ließ, ohne jedoch von Heirath zu sprechen.«

»Caramba! Da hatte er Recht!«

»Aber Madame d'Alembert sah die Sache nicht von dieser Seite an. Sie nahm im vorigen Sommer Opium – zwei Mal sogar – und wollte sterben! Der Arzt erklärte wenigstens, sie werde die Nacht nicht überleben, und Delorny fühlte ein menschliches Rühren in seinem Gewissen und ließ sich mit ihr – wie man sagt – in extremis trauen.«

»Und dann wurde die Dame plötzlich gesund? Cap de Bious – ich wittere den Braten.«

»Richtig – nur nicht ganz so rasch. Delorny soll sich dann haben bewegen lassen, die Trauung in der Kirche St. Thomas zu wiederholen, doch heimlich, ohne Zeugen und Ausweis der Kirchenbücher. Madame behauptet zwar, die Ehe sei vollzogen trotz ihrer vierzig Jahre – Delorny weigerte sich jedoch, ohngeachtet der gerichtlichen Klage, irgend einen Schritt zur Legitimation zu thun, hielt sich von ihr entfernt und verschwand endlich ganz. Erst vor einem Monat erfuhr die zärtliche Gattin, baß er sich zur Orient-Armee hatte versetzen lassen und machte sich auf, ihm zu folgen. Vorgestern traf sie, in Begleitung des Feld-Almosenier Tenelli und [315] der Obersten Brancion, von Constantinopel hier ein und überraschte gestern den ungetreuen Flüchtling, der sich Nichts weniger träumen ließ, als diesen Besuch.«

»Ich kann mir die Scene denken!«

»Vielleicht doch nicht, wie sie in Wirklichkeit war. Delorny wurde grob, so daß Brancion ihn fordern wollte, die zärtliche Frau aber brachte sich mit einem Dolch, den sie im Kleide verborgen trug, zwei Stiche in der Nähe des Herzens bei.«

»Hol' der Teufel die Tollheit der Weiber!«

»Namentlich der alten, Capitain! Man hat ihr zwar glücklich die Waffe entrissen, ehe sie sich wirklich tödten konnte, was für Delorny wohl das Beste gewesen wäre, aber die Geschichte hat das ganze Hauptquartier in Alarm gebracht und General Pelissier wüthet noch ärger gegen allen Frauenbesuch, als bisher, und hat geschworen, daß, mit Ausnahme der Marketenderinnen, der Profoß Alles aus dem Lager spediren soll, was einen Unterrock trägt.«

»Der General scheint demnach kein so galanter Verehrer des schönen Geschlechts, wie sein Vater,« sagte lachend der deutsche Medecin-Major, der eben mit Méricourt und dem Engländer zum Tisch getreten war und Platz nahm.

»Ah, sieh' da, Doctor! Setzen Sie sich hierher. Was wissen Sie denn von dem Vater des Generals? – ich denke, die Familie ist ziemlich unbekannt.«

»Der Zufall machte mich mit Umständen vertraut,« erzählte der Arzt, »die vielleicht dem General selbst ganz fremd sind und er ahnt wahrscheinlich gar nicht einmal die Existenz einer Schwester.«

»In Frankreich?«

»Nein – in meiner Heimath; Einige von Ihnen wissen wohl, daß ich aus Berlin bin.«

»Und dort lebt eine Schwester des Generals?«

»Nicht in Berlin selbst – aber doch in der Nähe. Es ist eine sehr achtbare Dame, die Gattin einen angesehenen Kaufmanns, Namens Mertens in Mittenwalde, einem kleinen Städtchen unsern der Preußischen Hauptstadt. Ihre Mutter war eine Mademoiselle Dütertre in Berlin und hatte ein Verhältnis mit dem Capitain François Pelissier vom 18. Voltigeur-Regiment, der als Adjutant Dudinot's 1808 in Berlin sich aufhielt. Die Familie besitzt noch ein Portrait dieses Capitain Pelissier, des Vaters der Madame Mertens, in der Uniform seines Regiments, und einen Brief an seine Geliebte, in dem er seine Freude über die Geburt der Tochter ausspricht. Später hat jedoch weder Mutter noch Kind je wieder von ihm gehört.«

»So würde dies eine ältere Schwester des Marschalls sein, denn so viel ich weiß, ist er erst 44 Jahr.«

»Er gehört zur jüngern Schule der Afrikaner,« bemerkte der Vicomte. »Pelissier, Bosquet, Changarnier, Lamoriciere, Mac-Mahon – sie sind Alle aus Bügeaud's Erziehung hervorgegangen. Er [316] wurde frühzeitig nach Algier gesandt, weil er in Paris ein ziemlich wildes Leben führte und Schulden machte.«

»Bah – wer thäte das nicht! Man liebt, man trinkt, man spielt! Wozu wäre das Leben da?«

»Wissen Sie denn, daß Letour, der berüchtigtste Grec von Paris, sich in Kamiesch eingefunden hat?«

»Der Doctor?«

»Ja, ich sah ihn gestern – die Lagerpolizei wird ihm hoffentlich bei Zeiten den Weg weisen.«

»Warum nennt man ihn den Doctor?« fragte Welland, – »ist er ein Arzt?«

»Das nicht – er gab der Fakultät bloß eine kleine Lection. Sie müssen die Geschichte in Paris vernommen haben.«

»Ich bin nicht so glücklich.«

»Nun, so hören Sie. Letour ist, wie gesagt, einer der gewandtesten Grecs und äußerst schlau der Polizei gegenüber. Er wußte, daß Herr Düport, eine der medicinischen Celebritäten von Paris, sehr reich und gleichzeitig ein leidenschaftlicher Spieler war, aber es gelang ihm weder den Doctor in ein Spielhaus zu locken, noch sich in den Salons Zutritt zu verschaffen, die jener besuchte. Er miethete deshalb ein comfortables Logis, legte sich zu Bett und ließ den Doctor Düport rufen. Dieser kommt, fühlt den Puls, verordnet einen Trank und verspricht Abends wiederzukommen. Dies erwartete man. In der Thal, als er eintrat, fand er im Zimmer des Kranken einen Tisch, an welchem mehrere Herren, wie sie sagten, um ihren Freund zu zerstreuen, spielten. Der Tisch war mit Gold bedeckt. – ›Es geht mir viel besser, Doctor,‹ sagte der vorgebliche Kranke und fügte nach einigen Worten über seinen Zustand bei: ›Sie haben eine glückliche Physiognomie, möchten Sie wohl die Güte haben, einige Parthieen für mich zu machen?‹ – ›Gern,‹ erwiderte der Arzt. Der Grec gab ihm 10 Louisd'ors und der Doctor fing an zu spielen. Er war sehr glücklich, gewann 100 Louisd'ors, zählte sie dem Kranken hin und meinte, daß er öfter Lust gehabt, halbpart mit ihm zu machen. ›Aufgeschoben ist nicht aufgehoben,‹ meinte der Grieche. ›Wenn Sie morgen einige Augenblicke Zeit haben, so kommen Sie. Ich werde diese Herren einladen und wir machen eine Partie.‹ Doctor Düport stellte sich pünktlich ein und associirte sich mit seinem Kranken, der sich ziemlich wohl befand. Zuerst ließ man ihn einige Louis gewinnen, aber bald drehte sich die Chance und in drei Besuchen verlor der Doctor nicht weniger als 25000 Franken. Zu spät sah er ein, daß er betrogen sei; denn als er das vierte Mal wieder kam, um Revanche zu nehmen, war das Nest ausgeflogen.«

»Was kommt dort für Cavalkade?« fragte ein Offizier, der zufällig aufgestanden.

[317] »Wo? – dort? – ich glaube, es ist Feverrier – der Bursche muß es eilig haben.«

»Nein – ich meinte da nach der andern Seite – die Staubwolke?«

Der Brigade-Adjutant war herangesprengt. »Meine Herren, der Oberst läßt Sie wissen, daß der General en Chef sogleich mit dem ganzen Stab hier sein wird. Die Leute sollen aber in ihrer Beschäftigung bleiben – wie ich sehe also bei der Mahlzeit. Sie wissen, der General liebt es nicht, zu geniren und ist heute ohnehin nicht besonderer Laune.«

»Wie so – was giebt es – erzählen Sie, Feverrier!« Die Offiziere umdrängten ihn.

»Ei, unter uns – es hat einen verteufelten Sturm gegeben. Der Ober-General war bei Lord Raglan in Kamara und, wie mir General Wimpfen vertraut, ist es zu einer Scene gekommen, wegen der Befestigungen, welche die Engländer bei Kertsch und Pawlowskaja verstärken wollen.«

»Doch wohl, um sich dort festzusetzen? Ein neues Corfu oder Gibraltar am Azow'schen Meer.«

»So scheint es! Doch reichen Sie mir einen Becher Wein – meine Kehle ist so trocken wie die Sahara. – General Pelissier,« fuhr er fort, nachdem er getrunken, »hat dem Lord erklärt, er werde d'Autemarre den Auftrag senden, sich mit Gewalt jeder Fortifikation an der Küste zu widersetzen, die einen andern Zweck habe, als die Expedition zu sichern. – Wahrhaftig – da sind sie schon, der Teufel traue dem Dicken!«

Der greis der Offiziere zog sich zurück, während die Anhöhe herauf der zahlreiche Stab des französischen Ober-Feldherrn, begleitet von mehreren Divisions- und Brigade-Generalen, Ismaël-Pascha und dem General La Marmora, kam.

Zwei Araber, in weißen wehenden Gewändern, ritten dem General Pelissier voran, der auf einem kräftigen Grauschimmel saß. Er war ein starker, fast fetter Mann, was ihm das anhaltende Reiten sehr erschwerte, mit fast weißem, kurz abgeschnittenem Haar. Die Gestalt nicht groß, das Gesicht von einem gutmüthigen Ausdruck, von dem ganz verschieden, den man nach seinen Antecedentien in Afrika erwarten sollte. Nur um die Nasenwurzel verkündeten einige Falten den harten, festen und eigensinnigen Charakter. Der General trug eine mit Orden geschmückte Uniform, und darüber trotz der Hitze, einen weißen Mantel, ähnlich denen der arabischen Häuptlinge.

Die Umgebung des Generals zeigte zahlreich Namen, die sich bereits in der neuesten Geschichte des französischen Waffenruhms in Afrika, Spanien, Griechenland und Italien mit Ruhm bedeckt hatten, obschon sie, gleich Pelissier, meist erst im Alter zwischen 40 und 50 Jahren standen, oder die durch ihren Heldentod vor den Wällen des Malakoff bei den spätern Stürmen des 18. Juni [318] und 8. September sich einen Platz in den Büchern der Geschichte erkauft haben, wie Mayran, Brünet, Rivet, der Generalstabschef des I. Armee-Corps, Saint Pol, Breton und Marolles. Der Ober-General unterhielt sich lebhaft mit dem General La Marmora, dessen Bruder, General Alessandro La Marmora, bereits an der Cholera erkrankt war, und seinem Liebling Rivet, der in der Nacht zum 14. April und 2. November die Logements vor der Redoute Schwarz genommen hatte.

»Guten Tag, meine Herren,« sagte Pelissier. »Wir müssen Sie hier kurze Zeit stören, weil man von Ihrer Höhe eine Aussicht hat, die ich brauche. – Das Glas. Selim!«

Der arabische Leibdiener überreichte dem Feldherrn das Feldperspectiv.

»Kommen Sie her, Bosquet,« fuhr der Kommandirende fort, »wir werden uns hier leichter verständigen. Wenn Sie Vergé mit seiner Brigade die linke Parallele bis zu den Steinbrüchen, auf der Flanke der Engländer, besetzen lassen, kann Wimpfen im Dokowaja-Grund sich aufstellen, von Brünet unterstützt. Ich hoffe jedoch, es wird der Reserven nicht bedürfen. Am besten ist's, Sie lassen den Mamelon gleich von drei Seiten her angreifen, so theilt sich das Feuer. Wenn Oberst Shirley mit den Briten seine Schuldigkeit thut, wird er den Kirchhof zu dieser Zeit besetzt haben und die Kanonen des Malakoff zur Genüge beschäftigen.«

General Bosquet verbeugte sich schweigend, – er und Pelissier waren keine besonderen Freunde und häufige Rivalen.

»Ich glaube, Camou wird hier ein leichteres Spiel haben, als Mayran und Dülac vor den Redouten,« fuhr der General fort. »Dennoch wird die Wegnahme des Mamelon für uns von größter Bedeutung sein. Der Teufel soll das Nest holen, dessen Bau man gar nicht so weit hätte gedeihen lassen sollen!«

»Ich danke Euer Excellenz für die Ehre, die Sie uns mit dem Befehl erzeigt haben,« sagte General Camou.

»Eigentlich wären freilich die Garden an der Reihe gewesen,« meinte der Feldherr, »und Pontèves wird mir's gewaltig übelnehmen. Indeß er ist der Jüngste von uns und hat Zeit. Wer kommt dort?«

Er deutete nach der Bergseite, die nach Südosten führte und auf deren Abhang eine Reitergruppe von den entfernten Lagerplätzen der Garde herkam. »Parbleu – ich glaube, das ist Mellinet, der mich zu quälen kommt. Vorwärts, meine Herren, zur Victoria-Redoute!«

Ehe jedoch der Stab sich in Bewegung setzen konnte, sprengte der Commandeur der Garde-Divisi on, General Mellinet, mit seinen beiden Divisionairs, den Generalen Ulrich und Pontèves, und mehreren Offizieren der Garde-Regimenter, herbei und schnitt dem Ober-Kommandanten gleichsam den Weg ab.

Als General Pelissier sah, daß er nicht mehr entkommen konnte, [319] blieb er, verschiedene Verwünschungen murmelnd, auf der Stelle halten. Es war bekannt, daß er mit den obern, seinem Kommando untergebenen Offizieren häufig nicht besonders höflich umsprang und weit eher den Soldaten und unteren Graden etwas nachsah; namentlich erfreuten sich die Garden nicht gerade besonderen Vorzugs.

Um diese Thatsachen schien sich General Mellinet jedoch wenig zu kümmern, als er gerade auf den Ober-General zuritt und kalt salutirte.

»Es freut mich, daß Sie kommen, Mellinet,« sagte dieser, offenbar irgend einem Anliegen vorbeugend, »ich vermißte überhaupt heute die Herren von der Garde bei dem Besuch im britischen Hauptquartier; Sie können mich nach der Victoria-Redoute begleiten.«

»Verzeihen Eure Excellenz,« sagte der Angeredete kalt und fest, »ich muß um einige Augenblicke Gehör bitten und bin dazu hierher gekommen, da ich hörte, daß der Stab diesen Weg genommen.«

»Nun, sprechen Sie unterwegs, ich habe Eile – Sie werden wissen, daß das Feuer in drei Stunden beginnen muß.«

»Ich habe nicht die Ehre, Eurer Excellenz Anordnungen schon zu kennen,« beharrte der General, der wohl merkte, daß der Ober-Kommandant ihm zu entkommen suchte, »aber ich muß bemerken, daß die Sache sich am besten hier an Ort und Stelle entscheiden lassen wird.«

»Meinetwegen denn! bitte, was wünschen Sie?«

»Ich komme im Namen der Garden Beschwerde zu führen, über Beleidigungen und Verhöhnungen, die man sich fortwährend gegen sie erlaubt.«

»Ach. Larifari, die alte Leier von den ewigen Zänkereien,« schrie der Ober-Kommandant. »Lassen Sie mich endlich damit ungeschoren, wenn Sie keine bestimmten Beschwerden anführen können. An allen Streitigkeiten hat ein Theil so viel Schuld als der andere.«

General Mellinet schien in Voraus entschlossen, Ruhe und Gelassenheit zu behalten, obschon die Behandlung ziemlich impertinent war und sein Gesicht sich zu röthen begann; er begnügte sich daher, dem Ober-Befehlenden ein Papier mit den Worten zu überreichen: »Ich bitte Eure Excellenz, dies zu lesen.«

Pelissier entfaltete das Blatt – es war eines der Plakate, welche man an die Zelte der Garden während der Nacht angeheftet hatte und dessen Inhalt wir bereits erwähnt haben.

Der künftige Marschall las das Pamphlet und brach dann in ein schallendes Gelächter aus. – »Mort de ma vie! Gestehen Sie, Mellinet, der Witz ist nicht übel. Ich bitte, Rivet, lesen Sie das Dings da!«

Er reichte mit baucherschütterndem Lachen das Blatt dem [320] Generalstabs-Chef, aus dessen Hand es die weitere Runde machte, während die Offiziere der Garde bleich und roth vor Zorn wurden.

»Gottes Blut,« sagte endlich der General Pontèves, dessen Gesicht dunkelroth zu glühen begann, »wir sind nicht hier, um Ihr Gelächter zu hören, meine Herren, sondern um Genugthuung für dir Beleidigung zu fordern.«

»Ah, sieh da, Pontèves,« rief der Ober-General, »sei verständig und lache über den Scherz. Das ist das Beste, was die Herren thun können, denn – die Angelegenheit der Trancheers ist doch nun ein Mal Wahrheit.«

»Excellenz,« sagte General Mellinet mit scharfem und erhobenem Tone, »wie dem auch sei, wir kommen nach gepflogener Berathung mit unsern Offizier-Corps, um zwei Dinge zu verlangen. Das Erste ist, daß Sie den Garden gestatten, auf ihr Vorrecht Verzicht zu leisten und in dem Trancheendienst abzuwechseln, wie jeder andere Theil der Armee; – das Zweite ist eine strenge Untersuchung wegen des angethanen Schimpfes, der bereits Blut gekostet hat und noch mehr kosten wird, wenn Euer Excellenz uns Ihr Einschreiten verweigern.«

Der Ober-General sah den Redner von der Seite an, doch mochte er sich der Sache vor dem sardinischen Ober-Kommandanten schämen, denn er sagte ärgerlich: »Was ist's damit? reden Sie deutlich und klar, Herr General!«

»Es haben in Folge dieses Schimpfes heute Morgen bereits drei Duelle stattgefunden und ein Sergeant der Grenadiere ist dabei erstochen worden,« sprach der Ankläger. »Die Soldaten der ganzen Division sind wüthend, außer sich, – und ich kann Euer Excellenz nicht für ausgedehnte Excesse einstehen, wenn die Thäter nicht sofort bestraft werden.«

Die Falte zwischen des Ober-Generals Brauen hatte sich vertieft, in den Krähenfüßen um die Augenwinkel lag Hohn mit aufsteigendem Zorn gemischt, als er fragte: »Das sind Alles allgemeine Anschuldigungen, General Mellinet, aber wer ist der Thäter?«

»Es sind Zuaven vom dritten Regiment,« sagte Pontèves barsch. –

Der Oberst des dritten Zuaven-Regiments, de Bonnet-Maurelhan-Polkes, drängte im Augenblick sein Pferd aus den hintern Reihen. – »Erlauben Sie, Herr General, das ist – –«

»Still!« sagte der Ober-Befehlshaber mit gebietender Stimme und Handbewegung. »Ueberlassen Sie das mir, Oberst. Wo sind die Beweise für Ihre Behauptungen, Herr General?«

»Die Schildwachen haben Zuaven in der Nähe unserer Zelte bald nach Mitternacht umherschleichen gesehen, ein Corporal der Grenadiere behauptet, zwei von ihnen erkannt zu haben. Den Einen bezeichnet der Name dieser Brieftafel, die man an einer Stelle fand, an welcher jene Nichtswürdigkeit angeheftet war, der [321] Andere hat sich durch das Duell verrathen, indem er heute den Corporal des ersten Grenadier-Regiments, der ihn beschuldigte, tödtlich verwundete.«

General Pelissier hatte das Notizbuch geöffnet, seine Stirn war finster wie eine Gewitterwolke, weniger aus Aerger über den Unfug, als aus Groll über die directen Beweise. – »François Bourdon« las er, – »wie heißt der andere Bursche, den man gesehen haben will?«

»Lebrigaud!«

»Lebrigaud? – der Name ist mir nicht unbekannt – ein toller Taugenichts, wenn ich mich recht erinnere. In welcher Compagnie stehen dir Beiden?« – Sein Blick heftete sich auf den Kreis von Offizieren und Soldaten, der sich in einiger Entfernung um die Generale gebildet hatte und in gespanntem Schweigen der Entwickelung harrte. Der Kommandant des ersten Bataillons, Vicomte de Méricourt, trat salutirend aus der Reihe.

»Euer Excellenz zu Befehl, die beiden Leute stehen beim ersten Bataillon, das ich zu kommandiren die Ehre habe, aber ich glaube, für Corporal Bourdon bürgen zu können, der einer der bravsten und ordentlichsten Soldaten ist.«

»Ich habe Sie um Ihr Zeugniß noch nicht gefragt, Herr,« sagte grämlich der General. »Lassen Sie die beiden Männer hierher kommen.«

Der Befehl lief schnell durch die Menge, die sich näher herandrängte, und einige Augenblicke darauf trat der Corporal Bourdon in den Kreis und blieb in dienstlicher Haltung vor den Generälen stehen. Ihm folgte Lebrigaud, in den Talar und die Mütze eines polnischen Juden gekleidet, die als das Costüm eines russischen Popen gelten sollten, an der Hand nicht ohne einiges Sträuben die noch scandalöser ausgeputzte Figur seines Collegen Bernaudin hinter sich herzerrend.

Ein unterdrücktes Lachen lief durch die ganze Cavalkade des Stabes bei der Erscheinung dieses seltsamen Kleeblatts, während die Offiziere der Garden ihre Lippen wund bissen.

»Was soll die Mummerei heißen, – wer sind die Kerls?« fragte der Ober-Kommandant, bemüht, eine strenge Miene anzunehmen.

»Excellenz halten zu Gnaden,« nahm der verkleidete Pope mit einer tiefen Verbeugung das Wort, »ich bin für heute Nachmittag der ehrwürdige Vater Basilius Papodorowitsch und das da ist Ihre Durchlaucht die Fürstin Mulaschpulaschkin, die Besitzerin verschiedener Goldbergwerke im Uralischen Gebirge oder am Kasperschen See, die sterblich in einen Offizier von Euer Excellenz getreuen Zuaven verliebt ist und mit des Himmels Hilfe und meinem Beistand seine eheliche Gallin werden soll.«

Das Gesicht des Generals wurde jetzt im Ernst finster. »Nimm [322] Dich in Acht, Bursche, und bedenke, vor wem Du stehst! Wie heißt Du?«

»Lebrigaud, Excellenz, und das ist mein Kamerad Bernaudin,« sagte der Lüderjahn unbesorgt, »wir haben heute, mit Erlaubniß des Obersten, eine kleine Theatervorstellung, zu der wir Euer Excellenz und die Herren Generäle gern einladen möchten, wenn es der Respect erlaubte; – Euer Excellenz wollen das Costüm entschuldigen, – wir durften es nicht wagen, Sie warten zu lassen.«

»Es ist gut! – Dein Name kommt mir bekannt vor?«

»Möglich, General. Wir haben Beide einen großen Theil unserer Zeit in Afrika zugebracht.«

»Du warst unter den Zephyren beim Angriff auf die Verschauzung der Veni-Passan?«

»Ja, General – es sind fünfzehn Jahr her und ich bin seitdem nicht schöner geworden. Ich half Sie da mals über die Schanze werfen – Sie waren da noch nicht so dick und schwer wie heute 7 – ich erinnere mich genau.«

»Richtig, Du warst einer von den Dreien, aber ich habe ein eben so gutes Gedächtnis und erinnere mich auch, daß Du der Erste bei mir warst. Ich kenne jetzt auch Dein Gesicht, trotz des Bartes.«

»O,« sagte der Zuave höflich, indem er den falschen Bart entfernte, »da kann ich dienen, General!«

Jedermann sah jetzt, wie die Untersuchung enden würde, denn Pelissier nahm bei jeder Gelegenheit seine alten Zephyre in Schutz, obschon sie die berüchtigsten Taugenichtse der afrikanischen Armee waren. Trotzdem konnte sich der General Pontèves nicht enthalten, noch einen Versuch zu machen, indem er auf die breite Schmarre des Zuaven wies: »Da steht der Beweis auf seinem Gesicht, daß er Derjenige ist, welcher sich heute Morgen geschlagen hat.«

»Fichtre! ich denke, ich habe es noch nicht geleugnet! – Es kam wegen einer Beleidigung, die nur die Garden angethan haben.«

»Dir, Kerl?«

»Ja, General, sie haben mir eine Brieftafel, die mir mein Freund und Corporal Bourdon hier zu meinem Namenstag als Andenken geschenkt hatte, gestohlen! Der Henker weiß zu welchem Zweck!«

Unaufhaltsam, trotz der Gegenwart des Ober-Be fehlshabers, war das Gelächter, das nach dieser frechen Anschuldigung hervorbrach. Der Spitzbube hatte offenbar die vorhergegangene Anklage und Verhandlung hinter der Bühne versteckt angehört und parirte auf diese Art den Beweis, da er seinem jüngern und ehrlicheren Kameraden nicht recht trauen mochte.

[323] »Und Euer Excellenz gestatten diesem Schuft eine solche Infamie?« schrie wüthend General Mellinet.

»Ich begreife nicht,« fuhr der Zuave mit derselben stoischen Ruhe fort, »wie man sich darüber ärgern kann. Wir müssen uns doch auch gefallen lassen, daß die Herren von der Garde uns nicht anders, alsHühnerdiebe nennen, während sie die ganze Zeit doch ihre Eier in unsere Nester zu legen bemüht sind.« Er wies mit der Hand nach dem Eingang der Cantine, wo man einen Adjutanten des General Pontèves, heimlich vom Pferde gestiegen, die Gelegenheit benutzen sah, sich so eifrig mit Mademoiselle Celeste zu unterhalten, daß das Pärchen nicht einmal die Aufmerksamkeit bemerkte, die der Zuave schlau darauf gewandt.

»Sie werden dem Grafen Bretanne drei Tage Arrest dafür geben, Herr General,« sagte der Ober-Kommandant – kein besonderer Freund des schönen Geschlechts – barsch, »daß er seiner Liebeleien wegen die Achtung vor seinen Vorgesetzten aus den Augen setzt. – Was die Beleidigung anbetrifft, so stehen Anschuldigungen aus beiden Seiten. Hast Du dies geschrieben, Bursche? – Sprich die Wahrheit!« – Er zeigte dem Zuaven das Plakat.

Der Halunke spielte wie die Katze mit der Maus mit seinen Gegnern. Er besah das Blatt hinten und vorn, zeigte es kopfschüttelnd seinem Gefährten und sagte dann, die Augen listig zusammenkneisend: »Aber General, die ganze Compagnie weiß, daß ich kein Gelernter bin und nicht einmal meinen Namen schreiben kann, sonst müßte ich ja längst mindestens Oberst sein, abgesehen von den paar kleinen Verurtheilungen. Außerdem kann hier Bernaudin, mein Kamerad, der die Fürstin Mulaschpulaschkin darstellt, bezeugen, daß ich die ganze Nacht nicht von seiner Seite gekommen bin!«

»So wahr alle neunhundertundneunundneunzig Heiligen meiner Seele gnädig sein mögen, ich will mein Leben lang Nichts als saure arabische Milch fressen,« schwor die Fürstin geläufig, »wenn das nicht Alles die reine Wahrheit ist, Euer Excellenz, Herr General-Ober-Kommandant! Ich will verdammt – –«

Eine Handbewegung und ein einziger Blick des Generals unterbrach und scheuchte ihn einige Schritte zurück. – »Kannst Du einen ähnlichen glaubwürdigen Zelgen für Dein Alibi stellen, Corporal?« fragte er, zu Bourdon gewendet.

Der junge Mann war blutroth und scheute sich offenbar, eine Lüge vorzubringen, obschon er Zuave war. Lebrigaud sprang ihm jedoch eilig zu Hilfe und sagte: »Der Sergeant-Major Fabrice war bei ihm.«

»Fabrice Tonton? – Das ist ein Braver – ich kenne ihn. Laßt ihn vortreten.«

Papa Fabrice wurde sehr gegen seinen Willen in den Kreis gedrängt und schien sich ziemlich unbehaglich und verlegen zu fühlen.

»Nun, mein Alter,« sprach freundlich der General, »die Sache [324] hier muß ein Ende nehmen. Sprich also frisch heraus, ob Dir bekannt, wo dieser Mann hier die Nacht zugebracht!«

Der Sergeant-Major drehte sich noch immer verlegen den langen Schnurrbart oder rückte den Feß von einer Seite auf die andere und kraute sich hinter dem Ohr.

»Nun wirds?«

»Peste! – Es ist freilich nicht ganz recht, General,« murmelte der Angeredete endlich, »daß so ein alter Esel, wie ich, sich verführen läßt – aber die Wahrheit muß heraus! – Wir haben zusammen getrunken, mein General – es war so, wie ein Namenstag, ich weiß nur nicht genau welcher! – aber wir saßen die Nacht beisammen, das ist wahr, nur ...«

»Das ist genug,« sagte der Ober-Kommandant. »Tretet zurück, Bursche. Sie sehen, General Mellinet, daß sich Nichts hat ermitteln lassen. Was Ihr Verlangen betrifft, so bewillige ich dasselbe und die zweite Garde-Brigade soll bei der heutigen Ablösung bereits den Dienst in den Trancheen beziehen. Treffen Sie die nöthige Aenderung in den Bestimmungen, Rivet.«

»Aber das Duell – der erstochene Sergeant?«

»General Wimpffen möge ein Kriegsgericht anordnen – Sie hörten ja, daß der Bursche behauptet, der beleidigte Theil zu sein.«

Der Kommandant der Garden wandte sich zu dem Kommandeur des Regiments. »Da mir hier jede Genugthuung verweigert wird,« sagte er, bleich vor unterdrücktem Aerger, »so habe ich Sie, Oberst Maurelhan, nur noch darauf aufmerksam zu machen, daß, läßt sich Einer von Ihren Schuften noch ein Mal im Bereich des Lagers der Garden blicken, die Wachen Ordre haben werden, ihn wie einen Hund nieder zu schießen!«

»Wenn Sie hierher gekommen sind, General,« schrie der alte Polkes heftig, »um mich zu beleidigen, so ...«

»Halt da, meine Herren,« unterbrach die strenge Stimme des Ober-Befehlshabers, »keinen Streit! Meine Entscheidung ist gefällt und Sie mögen bedenken, General Mellinet, daß ich wegen eines Witzwortes doch unmöglich brave Soldaten erschießen lassen kann. Begleiten Sie uns weiter, Mellinet, wenn es Ihnen genehm.«

»Euer Excellenz werden mir erlauben, nach meinem Quartier zurückzukehren,« sagte der Garde-Divisionair, kurz und kalt salutirend, und wandte, ohne Antwort abzuwarten, sein Pferd.

»Oberst Maurelhan-Polkes,« fuhr der Ober-General fort, das Regiment scheint mir allerdings etwas außer Zucht und ich muß Sie bitten eine größere Strenge eintreten zu lassen. Um den Uebermuth etwas zu dämpfen und zu bestrafen, soll das Regiment morgen die Spitze nehmen beim Sturm auf den Mamelon. Lassen Sie daher die Brigade Vergé die Stellung im Dokowaja-Grund einnehmen und die erste Brigade den Angriff machen, Camou!

Ein donnerndes »Vive l'Empereur!« »Vive le général [325] Pelissier!« erschütterte bei dieser Strafbestimmung rings umher die Luft. Die Zuaven geberdeten sich wie wahnsinnig; sie umringten, vorstürzend, den General, sie umarmten und küßten die Füße seines Pferdes, sie schwenkten die grünen Shawls ihrer Kopfbedeckung durch die Lust und trieben tausend tolle Possen.

»Das ist unbillig, General Pelissier,« sagte ernst Pontèves, der von der Garde-Suite allein noch zurückgeblieben war. »Diese Genugthuung hätte zum Mindesten den Garden gebührt und ich hatte Ihr Versprechen für meine Brigade bei der ersten Gelegenheit und mahne Sie jetzt daran.«

Der Ober-General klopfte ihn freundlich auf die Schulter. »Sei vernünftig, Pontèves, wenn es Ernst gilt auf den Malachof, sollst Du mit Deinen Grenadieren nicht fehlen, auf mein Wort. Der Mamelon ist ein Vorposten und den zu nehmen das Gesindel da gerade gut, das tolle Blut wird dabei genug decimirt werden, und nach dem Gefecht die Freundschaft wieder hergestellt sein. Ich kenne das und schicke deshalb Deine Brigade in die Trancheen, damit heute Ruhe bleibt. – Ist es gefällig, meine Herren, wir haben viel Zeit verloren! – Adieu, Kinder, und beeilt Eure Vorstellung, damit Euch die meine nicht stört!«

Er galoppirte unter dem Zuruf der Menge in weit besserer Laune davon, als er hergekommen; gefolgt von der ganzen Suite.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Ober-General und sein Stab waren noch nicht in der Schlucht verschwunden, als das ausgelassenste Leben und Treiben in dem Lager dieser Männer begann, die Narren und Kinder in ihrem Müssiggang, Löwen und Helden im Gefecht sind! Die Nachricht von dem bevorstehenden Kampf lief wie ein Blitz durch die Zeltreihen der ganzen Brigade und schien, trotz der brennenden Mittagshitze, Alles zu elektrisiren. Selbst die Offiziere waren von dem allgemeinen Taumel angesteckt. Ueberall waren Kreise und Gruppen in lebhafter Demonstration, vor dem Theater sammelten sich dichte Massen, nahmen die Plätze bunt durch einander um den eingeschlafenen britischen Matrosen ein und schrieen nach dem Beginn des Schauspiels und nach Musik, die Lieblingslieder und den Sturmmarsch zu spielen. In der That winde auch die Ruhe erst einigermaßen hergestellt, als die Musiker, in einem Erdloch vor der Bühne postirt, den Zuavenmarsch begannen, der Vorhang in die Höhe ging und die sämtlichen dramatischen Künstler in den absurdesten Aufzügen in einer Reihe gruppirt erschienen, während Lebrigaud an ihrer Spitze mit einer entsetzlichen Stimme den Text des Liedes brüllte, in dessen Chor bald die ganze Versammlung einfiel, daß die Melodie weithin durch die von der Sonnengluth zitternde Lust erklang.

Während dieser Scenen, die so wechselnd und belebt das allgemeine Interesse in Anspruch nahmen, hatten – gleichsam hinter [326] den Coulissen – andere Auftritte gespielt, die nicht minder wichtig und fesselnd waren für die einzelnen Personen unserer Erzählung.

Michael Lasaroff, der gefangene Unterfähnrich, war bei dem Erscheinen der Cavalcade des Ober-Kommandanten neugierig, wie es die Jugend ist, an ein offenes Fenster der Cantine getreten, die Feldherren zu sehen, während Nini, mit der Anklage gegen ihren Bruder noch unbekannt, neben ihm stand und ihm die Namen der Generäle nannte. Plötzlich fuhr der Jüngling zurück – sein Blick war auf eine ihm wohlbekannte Gestalt getroffen, einen alten Mann in Civilkleidung, die aber den früheren Krieger nicht zu verbergen vermocht hätte, auch wenn das Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust und zwei tiefe Narben im Gesicht, von denen die eine sich am Schädel verlief, darüber in Zweifel gelassen hätten.

Der Greis ritt in der Suite des Generals en Chef. Sein Auge musterte traurig und ernst die bunten Kriegergruppen. Eine kurze Wendung weiter – und es hätte gefunden, was es so sehnsüchtig suchte.

Der junge Unterfähnrich war lebhaft bewegt – Blässe und fliegende Röthe wechselten auf seinem von dem Wundlager noch angegriffenen Gesicht. Dann schien er seinen Entschluß gefaßt zu haben und zog sich hastig, wie vor einer Entdeckung fliehend und zur Verwunderung seiner Beschützerin Nini, in die ihm angewiesene Abtheilung der Cantine zurück.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die kurze Unterredung, welche der zum Arrest befohlene Grenadier-Offizier mit Madame Celeste geflogen, hatte doch genügt, dem Schicksal der Eitlen und Leichtsinnigen eine neue Wendung zu geben. Die Anwesenheit von Frauen im Lager ohne bestimmten militairischen Einrichtungen entsprechenden Beruf war zwar von beiden Ober-Feldherren untersagt, das Verbot wurde aber vielfach und unter allerlei Vorwänden umgangen.

In dieser Weise war auch Madame Bibesco von ihrem Entführer, dem Capitain de Sazé, während des Winters im Lager von Kamiesch untergebracht worden und hatte dort die Leiden und die Noth der Armee weniger empfunden. Erst als ihr Beschützer und zeitweiliger Geliebter gefallen oder wenigstens verschwunden war und sie dadurch in allerlei Verlegenheiten gerieth, hatte sie den Vicomte de Méricourt, als den ihr bekannten Freund desselben, aufgesucht und dabei Nini Bourdon in ihrer neuen Lage wiedergetroffen. So peinlich und unangenehm in vieler Beziehung ihr auch die Begegnung mit der früheren Freundin und deren Gefährten sein mochte, hatte die Klugheit ihr doch geboten, das gutherzige Anerbieten derselben und eine Stelle als Demoiselle de Comptoir in der Cantine anzunehmen, die sie seit einer Woche bekleidete und die ihr reichlich Zerstreuung und Gelegenheit gab, mit den besuchenden Offizieren zu kokettiren und ihre Netze auszuwerfen. Die fortwährenden Intriguen, in denen sie sich bewegte, [327] waren es auch, die ihre Aufmerksamkeit von der Aehnlichkeit des armen Blödsinnigen mit dem früheren Geliebten Nini's in Paris abwandten und sie nicht näher und schärfer nachforschen ließen, als daß sie ein seltenes Spiel des Zufalls darin sah. Irgend eine Geschichte, die ihr die ehemalige Grisette von dem armen Verwandten erzählt, genügte ihr daher wenigstens scheinbar, da sie sorgfältig und aus ihr wohlbekannten Gründen vermied, auf die Scene jenes Abends in der Rue St. Joseph zurückzukommen und sich auch wohl gehütet hatte, Nini von ihrem späteren Zusammentreffen mit dem Fürsten Iwan Oczakoff zu erzählen. Dennoch blieb ihr das Verhältniß zu Nini Bourdon und deren Umgebungen höchst unbehaglich und sie ergriff daher die erste sichere Gelegenheit, sich ihm zu entziehen, indem sie die Anerbietungen des reichen Garde-Offiziers annahm. – – –

Während ihres Gesprächs mit dem Grafen Bretanne und den draußen vorgehenden lebhaften Scenen war daher auch der Eintritt eines englischen Offiziers wenig beachtet worden, der unfern des Eingangs Platz nahm und Kaffee bestellte.

Der Fremde trug die Interims-Uniform eines englischen Linien-Regiments, mit allen Nebenerfordernissen der feinsten Toilette. Ein röthlicher Schnurr- und Backenbart rahmte sein offenbar noch sehr jugendliches Gesicht ein, eine blaue Brille bedeckte die Augen.

Dennoch schien dies Gesicht einen eigenthümlichen Eindruck hervorzubringen, denn Nini, bei der der britische Offizier im Vorübergehen Kaffee bestellt, betrachtete ihn mit halb erstaunter Miene und ging zwei Mal an ihm vorüber, ihn neugierig anschauend, ehe die Wendung des Verhörs vor General Pelissier all' ihre Aufmerksamkeit und ihre Besorgniß fesselte.

Der schwachsinnige Jean brachte, da alle Bedienung sich außerhalb der Cantine befand, das Getränk und setzte es in seinem träumerischen Wesen achtlos vor dem fremden Offizier nieder.

Nicht so spurlos ging die einfache Begegnung bei diesem vorüber. Der Anblick des armen blödsinnigen Burschen durchzuckte ihn gleich einem elektrischen Schlage; er machte unwillkürlich eine Bewegung, aufzuspringen, die Arme erhoben sich – doch eben so schnell schien er seiner Bewegung Meister zu werden und jedes Zeichen der Aufregung zu unterdrücken, außer, daß seine Blicke von diesem Moment an unverändert allen Bewegungen des Schwachsinnigen folgten, der das empfangene Geld zum Comptoir trug und den Rest dem Offizier zurückbrachte.

Dieser berührte hastig dabei die Hand des armen Burschen – es schien, als ob er sie drückte. Wer in diesem Augenblick ihn näher beobachtet hätte, würde bemerkt haben, daß zwei große schwere Tropfen unter den blauen Gläsern der Brille langsam hervor und über seine Wangen flossen.

General Pelissier hatte bereits den Platz verlassen und verschiedene Gruppen der Offiziere und Soldaten hatten, während [328] der Lärm und Jubel draußen tobte, sich um das Comptoir Celesten's oder in der Cantine selbst versammelt, jener und der jungen Marketenderin die komischen Scenen des Verhörs schildernd, von dem bevorstehenden Kampf plaudernd oder sich gemächlich zum Einnehmen ihres Kaffee's anschickend. Die britische Uniform war eine zu gewöhnliche Erscheinung, als daß sie irgend hätte Aufmerksamkeit erregen können, als höchstens einige flüchtige Blicke, da der fremde Offizier sich abgesondert hielt und den Kopf in die Hand gestützt dadurch einen Theil seines Gesichts verbarg.

Zwei Männer nur hatten ihm eine schärfere Beachtung gewidmet, ohne daß er dies bemerkte. Es war der Corporal Bourdon, der seinen sehr grämlichen und ärgerlichen Sergeant-Major in eine Ecke gezogen, um sich dort gegen die Vorwürfe zu vertheidigen, die der Alte für seinen Aufruf zum Zeugniß ihm machte.

»Den Teufel über Euch, Halunken,« schmälte der Feldwebel. »Konntet Ihr Euch nicht herauslügen aus der Geschichte, ohne einen alten Kerl, wie mich, und seine kleinen Sünden vor den General zu bringen? – Wenn er mich nun degradirt hätte, Ihr Schufte, blos weil ich mich verleiten ließ, mir in Gesellschaft solcher Laffen einen kleinen Haarbeutel zu trinken? He – was hätte man dann in der ganzen Armee von Sergeant-Major Fabrice gesprochen? Welche Schmach wäre damit auf die sämtlichen Zuaven gefallen! Fichtre!«

»Il n'est pas si diable qu'il est noir, Papa Fabrice!« beruhigte ihn der Corporal. »Ihr habt Nichts von einem Haarbeutel gestanden und nur die Wahrheit gesagt, daß Ihr mit uns ein Wenig gebechert. Wie sollte das Eurem Ruf schaden? Oder wolltet Ihr vielleicht lieber, daß wir in eine arge Klemme kamen, wo es blos galt, ein Paar Worte Wahrheit zu sprechen? Parbleu – laßt das meine Schwester nicht hören!«

»Na, na,« brummte der Alte, »es hätte mir freilich leid gethan, aber ...«

»Ich schwöre Euch überdies, Papa Fabrice,« fuhr der Corporal fort, »Ihr war't auch im Geringsten nicht betrunken. Ich weiß ganz gewiß, daß Ihr uns Alle zu unserm Lager gebracht habt und der Letzte war't, der einschlief.«

»So – na, wenn das ist! – ich habe auch so eine dunkle Erinnerung! – Aber der Aerger vor dem General hat mir die Kehle ganz trocken gemacht – ich muß mich wahrhaftig umsehen – –«

»Bleibt ruhig hier sitzen, Papa Fabrice, und seht Euch unterdeß den Engländer an, von dem uns Nini gesprochen und der Jean so ähnlich sehen soll, indeß ich uns eine Flasche hole.«

Er kehrte bald darauf zurück und schenkte ein. Von dem Platz, den sie gewählt, konnten sie unbemerkt den britischen Offizier beobachten.

»Peste!« murmelte der Sergeant-Major, »es ist wunderbar, [329] wie ähnlich er dem blödsinnigen Jungen schaut. – Erinnerst Du Dich noch des Russen, der bei Inkerman mit seiner Pistolenkugel mir die Wange schlitzte? – Es ist, als ob der Teufel das verhenkerte Gesicht in alle Nationen der Welt hinein gehext hätte!«

»Morbleu – Du hast Recht, Papa Fabrice, mich daran zu erinnern! Ob der Bursche am Ende gar ein falscher Engländer ist? – Ich will mich doch gleich überzeugen!«

Er erhob sich, nachdem sie die Flasche geleert, und schlenderte bei dem Tisch des Briten vorüber, wo er wie zufällig stehen blieb.

»Wollen Sie nicht unser Theater mit Ihrer Gegenwart beehren, mein Offizier?« fragte er auf Englisch. »Es wird ein prächtiges Stück aufgeführt und ich werde für einen guten Platz sorgen.«

Der Fremde fuhr bei der unerwarteten Anrede zusammen, antwortete aber sogleich: »Später, mein Tapferer. Im Augenblick bedarf ich einer kleinen Erholung, denn es ist eine ziemliche Strecke von Kadikoi bis hierher.«

»Ach, Sie kommen gewiß, das Bombardement mit anzuschauen. Man wird es prächtig von hier sehen, das französische und britische Feuer in einem Ueberblick.«

»Und wann soll es beginnen, mein Freund?« fragte der Engländer, aufmerksam geworden, mit einiger Unruhe.

»Ah – General Pelissier ist von noblem Charakter. Er wird uns nicht in unserm Vergnügen stören. Unsere Landsleute am weißen Berg müssen ja auch zuvor ihr Steeple-chase abhalten, wie sie ihre Hundejagd nennen. Ich denke so gegen fünf Uhr, Sir. Aber das wird gar Nichts sein gegen unsern Sturm morgen. Sie wissen doch, daß das dritte Zuaven-Regiment die enfants perdu bilden wird?«

»In der That – ich wußte es nicht!«

»O dann müssen Sie morgen wieder hierher kommen oder hier bleiben und den Spaß ansehen, wenn der Dienst Sie nicht bindet. Auf Wiedersehen, mein Offizier – ich höre meine Kameraden mich rufen, aber ich komme es Ihnen zu sagen, wenn der zweite Act beginnt!«

Er entfernte sich nach dem Ausgang der Cantine, wo Fabrice mit der Marketenderin Nini sich unterhielt, während daneben das Publikum eben einem Couplet der Fürstin Mulaschpulaschkin donnernden Beifall klatschte. »Wir haben uns getäuscht, Papa Fabrice – der Herr ist ein veritabler Engländer, der aus reinem Zufall dem armen Jean so ähnlich sieht.«

Eben traten der Vicomte, der Arzt und der Baronet zu der Gruppe. –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der schwachsinnige Bursche, der Geräth von den Tischen der Cantine fortgeräumt, schlich wieder zurück nach dem hintern, für [330] die beiden Kranken und Gefangenen bestimmten Raum, wo er den größten Theil seiner Zeit zubrachte.

Er war kaum durch die Thür verschwunden, so erhob sich der britische Offizier, nachdem er einen raschen Blick in der Cantine umher geworfen und sich unbemerkt gesehen hatte und folgte dem Blödsinnigen.

Er legte die Hand auf den Drücker der Thür und horchte einen Augenblick – im nächsten schloß sie sich hinter ihm.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In dem halb von Seegeltuch, halb von Holzwerk gebildeten Seitenbau der Cantine lag auf einem Feldbett, den Kopf in eine Binde gehüllt und von einem hohen Kissen gestützt, regungslos die abgezehrte Gestalt von Gregor Caraiskakis.

An seinem Bett saß stumm, die dunklen Augen fast bewegungslos auf sein Gesicht geheftet, Abdallah ben Zarujah, der Emir aus der Hedjas, und am andern Ende der stumpfsinnige Schützling Nini's.

Auf der andern Seite des Gemachs stand Michael Lasaroff, seinem kranken Leidensgefährten von dem Besuch des Generals Pelissier und was er von dem Bombardement und dem bevorstehenden Angriff auf die Festungswerke erlauscht, erzählend.

Weder die Anwesenheit Jean's, der sich mit sichtlicher Vorliebe an den jungen Unterfähnrich angeschlossen und aufmerksam den russischen Liedern lauschte, die dieser manchmal zum Zeitvertreib sang – noch die des Arabers schien den Erzähler zu stören. An Beide war man gewöhnt, denn der Emir erschien, wie bereits in dem Gespräch der Zuaven erwähnt worden, fast täglich in der Cantine, um nach seinem Gefangenen zu sehen, dessen Genesung er sehnsüchtig zu erwarten schien, obschon die stolze Würde seines Volkes ihm Ruhe und Geduld gab. So pflegte er, wenn der Dienst ihn nicht abhielt, eine bis zwei Stunden neben dem Kranken zuzubringen, die Augen auf sein Gesicht geheftet.

Auch dieser selbst schien sich an den Besuch gewöhnt zu haben, dessen Ursache gleichwohl Jedermann ein Räthsel war. Doctor Welland hatte an diesem Nachmittag dem Krieger der Wüste mitgetheilt, daß der kranke Grieche nach Constantinopel, behufs seiner bessern Heilung, geschafft werden solle und der Araber saß seitdem in ernstem Nachsinnen über die gewöhnliche Zeit seines Besuchs hinaus.

Zwei Augenpaare waren aufmerksam auf die erzählenden Lippen des jungen Russen geheftet, gleich als wollten sie jedes Wort verschlingen. Wir wissen, daß die einzige Lebensthätigkeit in dem fast völliger Apathie unterlegenen Körper des griechischen Capitains in den Augen lag, durch die sich das volle Seelenbewußtsein aussprach. Diese Augen drückten jetzt deutlich die Theilnahme des vielgeprüften Mannes, des treuen Bundesgenossen der Russen, an der Gefahr aus, welche die Festung bedrohte, und den Schmerz, hilflos hier liegen zu müssen.

[331] Im seltsamen Gegensatz schien die innere geistige Thätigkeit des zweiten Aufhorchenden Null, während er körperlich im vollen Besitz aller Lebensthätigkeiten war. Nur der Klang der russischen Worte, in denen der Fähnrich erzählte, schien seine Aufmerksamkeit zu erregen und sein Ohr wohlthätig zu berühren.

»Und wir müssen hier gefangen sein,« schloß Michael Lasaroff seine Rede, »wir können ihnen keine Nachricht geben von der drohenden Gefahr. Die Lünette ist das Vorwerk unsers Bollwerks, – das erkennen und wissen diese Fremden gut genug und daß, wenn der Malakoff fällt, Ssewastopol verloren ist! O, möchte immer an seinen Wällen ihr Stolz und ihr Uebermuth sich brechen!«

Eine klare feste Stimme gab die Antwort auf den Wunsch des tapfern Knaben:

»Dai Bosche!«

Erstaunt schaute der Fähnrich nach dem Eingang. Dort stand der britische Offizier, die Hand zum Himmel erhoben. Die Linke hatte die Mütze und die entstellende blaue Brille entfernt – seine Augen waren fest und innig auf den Irren geheftet, während er nochmals die Worte wiederholte:

»Dai Bosche!«

War es der Klang dieser Stimme – waren es die zwei Worte selbst, mit denen der Russe häufig auf ein Gebet oder einen Segensspruch antwortet – sie wirkten wie ein elektrischer Strom auf die Seele des Irren, wie eine plötzliche Erinnerung aus der Kindheit und Jugend, wie ein Strahl von Licht auf die Nerven seines Denkvermögens. Er war emporgesprungen, seine Hände an die Schläfe gepreßt, seine großen braunen Augen hafteten weit geöffnet auf der fremden Erscheinung, die mit magischer Gewalt ihn anzuziehen schien. Dann Schritt vor Schritt, sie unverrückt anstarrend, schwankte er auf sie zu.

Eben so fest hielt der britische Offizier seine Augen auf ihn geheftet, aus denen Trauer und Zärtlichkeit sprach. Langsam senkte sich sein Arm, und seine Hand streckte sich nach dem armen Schützling Nini's aus – seine Lippen öffneten sich wie zu einem Wort, einem Ruf, den wogende kämpfende Gefühle in seiner Brust noch erstickten.

Aber noch ehe er die Lippen überschritten, hatte sich die Scene verändert.

Mit Staunen hatten die stummen Zuschauer das seltsame Naturspiel betrachtet, das die beiden einander so fremden Wesen boten. Wie sie so dicht auf einander zugetreten, war die Aehnlichkeit zwischen ihnen deutlich, ja wahrhaft erschreckend. Das blasse krankhafte Antlitz des Irren trug unverkennbar die Züge des schönen kräftigen Gesichts des fremden jungen Offiziers – Augen, Nase und Mund boten dieselben Formen. Die merkwürdige Aehnlichkeit, dies Spiegelbild schien eben so auffallend auf den Irren zu wirken und den Eindruck der Stimme und der Worte des Fremden [332] fortzusetzen. Es kämpfte und rang offenbar in seinem Geist, gleich als wolle er eine schwere Last von sich schütteln. Seine Hände wühlten krampfhaft in dem lockigen Haar – in dem Spiegel der Augen schien Verstand und Erinnerung zu dämmern.

Der Gang der Ereignisse verhinderte die Katastrophe. Der Auftritt hatte noch andere Zeugen gehabt, auf welche der Anblick des nicht mehr durch die Brille entstellten Gesichts des Offiziers seine Wirkung geübt.

Die Hand Michael Lasaroff's zeigte nach der Thür; seine Miene schien verwirrt nach der Bedeutung der seltsamen Scene zu fragen.

Eine andere faßte zugleich des Briten Arm. »Keine Bewegung, Fürst – um des Himmels Willen schauen Sie nicht zurück, oder Sie sind verloren,« flüsterte eine Stimme an seinem Ohr. »Geschwind die Brille vor die Augen.«

Neben dem englischen Offizier stand der Vicomte de Méricourt, gefolgt von dem Arzt und dem Baronet, und durch die geöffnete Thür schauten der Sergeant-Major und das Geschwisterpaar Bourdon.

»Willkommen, Lieutenant Talbot!« fuhr der Vicomte mit Geistesgegenwart laut fort, »es freut mich, Sie hier zu treffen – die Aehnlichkeit des armen Burschen da mit Ihnen hat gewiß auch Ihr Interesse erregt!« Er war zwischen den Offizier und die Thür getreten, sein Auge traf zugleich bittend und verständigend den Arzt, und dieser trat zu Nini und ihrem Bruder, ihnen erzählend, daß der Fremde ein ihnen längst bekannter Offizier sei. Fabrice und der Corporal zogen sich sogleich respectvoll zurück.

Der Lieutenant-Colonel athmete tief auf, als er die nächste Gefahr so glücklich beseitigt sah. »Welche thörichte Verwegenheit führte Sie hierher, Fürst?! General Pelissier läßt ohne Ansehen Jeden als Spion erschießen, der in Ihrer Lage betroffen wird. Sprechen Sie – was kann ich – was können wir Alle thun, Sie zu retten; denn wir Alle danken Ihrer edlen Schwester Leben und Freiheit.«

Fürst Iwan Oczakoff, denn Dieser war allerdings der verkleidete Russe, nahm, ohne ein Wort zu entgegnen, ein versiegeltes Briefpacket aus der Brusttasche und reichte es dem Vicomte.

»Für mich?«

Der Fürst nickte bejahend.

Méricourt riß die Emballage auf, ein Dokument, mit dem Siegel des Gouverneurs von Sebastopol bescheinigt und ein an ihn adressirter Brief waren darin. »Von de Sazé? – demnach ist er gefangen in Sebastopol?«

Das Auge des Fürsten wies traurig nach dem Brief, den der Vicomte rasch überflog. »Der Unglückliche – so hat er geendet?«

Der Fürst entfaltete eines der Papiere, es war der amtlich beglaubigte Todtenschein.

[333] »O mein Gott – in seiner Blüthe, als ihm das Glück lächelte!« Der Colonel preßte traurig die Hand an seine Stirn. »Sein Vermächtniß, sein Wille soll mir heilig und all' meine Thätigkeit dem Recht seiner Gattin geweiht sein. Aber er starb in Ihrem Hause, Fürst, gepflegt in seiner letzten Stunde von Ihrer hochherzigen Schwester, die ich mit Entsetzen jetzt in den tausend Gefahren jener Stadt sehe! Das muß uns ein neuer Sporn sein, Sie zu retten – welcher Grund Sie auch immer zu diesem verwegenen Schritt bewogen hat. Kommen Sie her, Doctor – Sir Edward, ich beschwöre Sie, helfen Sie uns ein Mittel ersinnen, diesen Unbesonnenen einem schmählichen Tode zu entziehen und glücklich über die Linien hinaus zu bringen.«

»Von welcher Seite gelangten Sie in das Lager, Fürst?« fragte der Arzt.

Iwan Oczakoff deutete ruhig nach Osten. Es war offenbar, daß er nicht Rede stehen wollte.

»Es ist unmöglich, ihn dort wieder hinauszuschaffen,« erklärte der Colonel. »Die Wachen sind, seit der Sturm beschlossen, verstärkt, Niemand darf unter irgend einem Vorwand die Linien verlassen, ich selbst kenne das Paßwort noch nicht.«

»So müssen wir versuchen, ihn auf der Seite der Engländer entfliehen zu lassen – die Aufsicht ist dort fahrlässig.«

»Denken Sie an das Rennen,« mischte der Baronet zum ersten Mal sich ein. »Die Gelegenheit ist unbedingt günstig – die Tollköpfe setzen oft bis in die russischen Linien hinein und wenn der junge Mann Muth, Geistesgegenwart und ein gutes Pferd hat – ist seine Rettung leicht. Ich selbst will ihn so weit als möglich begleiten. Meine Nähe wird ihn vor jedem Verdacht sicher stellen.«

»Der Gedanke ist vortrefflich,« sagte überlegend der Arzt, »und muß auf's Schnellste ausgeführt werden, denn« – er sah nach der Uhr – »es fehlt nur noch eine halbe Stunde zur Rennzeit. Aber wo nehmen wir ein Pferd her?«

»Das meine steht gesattelt,« fiel hastig der Vicomte ein, »erinnern Sie sich, daß ich Sir Edward begleiten wollte!«

Der besonnene Arzt schüttelte den Kopf. – »Das geht nicht,« sagte er, »Ihr Pferd trägt das französische Sattelzeug und ist überdies ein schwerer Normann, der hinter den flüchtigen Rennpferden der englischen Offiziere zurück bleiben würde. Wir müssen ein Pferd haben, was ihm die Chancen des Entkommens sichert. Außerdem bestehe ich darauf, Vicomte, daß Sie als Offizier ganz aus dem Spiel der Hilfeleistung bleiben.«

Eine leichte Hand berührte leise seinen Arm, – es war Abdallah, der Araber, der, obgleich er nur einzelne Worte französisch verstand, doch mit der scharfen Beobachtung seines Volkes der Unterredung gefolgt war.

[334] »Mein Freund, der die Heilkräfte der Kräuter und Metalle so gut kennt,« fragte er sanft in türkischer Sprache, »braucht ein Roß?«

»So ist es, Emir – ein Pferd, schnell wie das Deine!«

»So nimm Eidunih, meine geliebte Stute, den Schatz der Zarugah – ich gebe sie Dir unter einer Bedingung.«

»Welche? – sprich!«

»Laß mich diesen Mann begleiten, wenn sie ihn, wie ich hörte, nach Stambul bringen wollen.«

»Was hast Du mit ihm, edler Emir – er ist Dein Gefangener, aber bedenke, er ist ein Unglücklicher, den Gott getroffen.«

»Der Mann hat Abdallah ben Zarugah nie ein Leid zugefügt – er kennt ihn nicht! Aber Abdallah muß das Erwachen seiner Lippen belauschen, um ihn zu fragen, wo Der ist, dessen Züge er trägt und dessen Bruder er sein muß. Ich habe gesonnen und gesonnen, bis der Prophet Licht in meine Seele gesandt und mir zugeflüstert hat, daß der Moskow, den ich fing an den Ufern der Katscha und den die blutige Rose von Skadar von mir forderte, der griechische Verräther ist, den sie liebte.«

»Ich weiß nicht, von wem Du sprichst, Emir.«

»Er weiß es,« sagte der Araber, auf den Capitano deutend, »denn Jener trug das Antlitz seiner Familie. Er soll mir Kunde geben, wohin Fatinitza, die Rächerin, verschwunden ist, ob sie meiner Hilfe bedarf oder ob sie treulos geworden am Glauben ihrer Väter um eines Feigen willen.«

»Ich wiederhole Dir, ich verstehe Dich nicht – doch ich nehme Dein Anerbieten an, und Du sollst diesen Kranken begleiten, wenn Du das Heer verlassen darfst und mir schwörst, diesem Manne kein Leides zu thun.«

Der junge Emir legte die Hand auf sein Haupt. – »Ich gelobe es Dir, weiser Hekim-Baschi. – Abdallah ist ein freier Mann und kann gehen und kommen, wann und wie er es für gut findet. – Wohin soll ich die Stute Dir führen?«

»Bringe sie hinter das Lager dort rechts und harre unserer – an den beiden Cypressen. Sei rasch, Emir Abdallah, ich bitte Dich, und wenn es angeht, entstelle das Aeußere Deiner Stute, damit man sie nicht erkennt.«

Der Araber nahm seine Gewänder zusammen, warf noch einen Blick auf seinen Gefangenen und verließ das Gemach. Doctor Welland theilte eilig den Freunden das Anerbieten mit, und sie Beide kannten genugsam die edlen Eigenschaften des Pferdes, um zu wissen, daß es die Flucht des Russen sichern würde.

»Sie, Vicomte, müssen hier bleiben,« fuhr der Arzt fort, »und die scharfen Augen Derer abwenden, denen bereits die unheilvolle Aehnlichkeit aufgefallen ist. Der Baronet und ich werden unsern jungen Freund oder Feind begleiten und Gott und seiner Geistesgegenwart muß das Weitere überlassen bleiben.«

»Einen Augenblick noch,« sagte der Colonel. »Ich kann es [335] mit Ehre und Gewissen vereinbaren, Fürst, Sie von einem schmählichen und unedlen Tode zu retten, aber ich darf nicht ganz meine Pflicht als Soldat und Franzose vergessen. Was auch der Grund war, der Sie hierher geführt – dieser Brief oder ein unbesonnener Diensteifer – Sie müssen mir Ihr Ehrenwort geben, Nichts von den militairischen Vorbereitungen zu verrathen, welche die Festung bedrohen und von denen Sie vielleicht Kenntniß genommen. Sie werden als Soldat und Edelmann meine Forderung würdigen.«

Iwan Oczakoff legte betheuernd die Hand auf die Brust – es war seltsam, daß er selbst in diesem Augenblick zu sprechen vermied. Aber sein Auge traf zugleich mit bedeutungsvollem Ausdruck auf das des jungen Unterfähnrich.

»So bin ich zufrieden, Gott schütze Sie und sagen Sie der Fürstin, Ihrer Schwester, daß es eine kleine Zahlung auf unsere große Schuld an sie sei.«

Fürst Iwan lächelte, indem er zwei Finger in die Höhe hob, als wolle er andeuten, daß der Franzose ihn zwei Mal gerettet. Dann, indem Jener das Gemach verließ und am Eingang der Cantine mit der Marketenderin, ihrem Bruder und Celesten ein Gespräch begann, machte er sich bereit, dem Arzt und dem Baronet zu folgen.

Dies schien ihm, trotz der Gefahr, in der er schwebte, nicht leicht zu werden, denn er war auffallend bewegt, während seine Augen mit ängstlichem, zärtlichem Ausdruck auf dem Irren ruhten.

Der Arme hatte sich bei dem Dazwischentreten scheu in einen Winkel zurückgezogen, das Gesicht mit den Händen bedeckt und schien gleichfalls lebhaft erregt und von einem Ringen in seinem Innern gequält.

Der Arzt betrachtete erstaunt und nachdenklich diese kurze Scene.

»Eilen wir!« sagte der Baronet, an dessen Melancholie dies Zwischenspiel bedeutungslos vorübergegangen war.

Iwan Oczakoff faßte sich mit einer raschen Anstrengung, indem sein Auge dabei dem fragenden Blicke des Arztes begegnete. Er trat mit raschem, elastischem Schritt auf den Irren zu, schlug mit dem Daumen der rechten Hand ein Kreuz über ihn und küßte ihn nach russischer Sitte auf die Stirn. Dann wandte er sich schnell ab und verließ mit seinen beiden Begleitern das Gefangenen- und Krankengemach.

In der Cantine geleitete sie der Arzt durch einen hintern Ausgang in's Freie, während das brüllende Gelächter des Publikums über die tollen Späße der Fürstin Mulaschpulaschkin dicht neben ihnen erscholl. Indeß Sir Edward sein Pferd von einer nahen Baracke holte, geleitete der Arzt seinen jungen Schützling rasch weiter.

Er gedachte des ähnlichen Auftritts in Widdin und wie seltsam das Schicksal spielte, daß es ihn hier zum zweiten Mal als [336] Retter des Feindes auftreten ließ. Er konnte sich nicht enthalten, den Fürsten zu fragen, ob er den Stabs-Capitain Meyendorf kenne und dieser sich in Sebastopol befinde.

Fürst Iwan nickte bejahend.

»Dann,« sagte der Arzt, »bitte ich Sie, ihm den Namen eines Freundes, den meinen – Doctor Welland – zu nennen und ihm zu sagen, daß Graf Pisani mit seiner edlen Gemahlin sich in der sardinischen Armee auf den Höhen der Tschernaja befindet.«

Sie waren nur wenige Schritte noch von der Cypressengruppe entfernt, in deren Schatten Emir Abdallah bereits die Stute Eidunih – das Roß des Windes – bereit hielt, als der Russe stehen blieb und plötzlich sein Schweigen brach.

»Doctor Welland,« sagte er feierlich und aufgeregt, »ich weiß von Einer, deren Leben und Denken Ihnen gehört, daß Sie das Herz eines Ehrenmannes haben. Wollen Sie dem Dienst, den Sie mir in diesem Augenblick erweisen, noch einen wichtigeren, heiligeren hinzufügen, der mich Ihnen ewig verpflichten wird?«

»Sprechen Sie, Fürst!«

»Geloben Sie mir zuerst auf Ihre Ehre, was ich Ihnen vertraue, in Ihrer Brust zu bewahren, bis meine Lippe oder der Tod es löst?«

»Auf meine Ehre!«

»So beschwöre ich Sie, all Ihre Kunst, Ihr menschenfreundliches Herz dem armen Irren zuzuwenden, den ich in jenem Gezelt verlassen mußte, ich binde ihn auf Ihre Seele, denn – –« der junge Fürst trat dicht an ihn heran und flüsterte einige Worte, bei deren Anhören der Arzt erschrocken und staunend zurücktrat. Im nächsten Augenblick schon war Iwan Oczakoff bei dem Araber und im Sattel. Zugleich galoppirte Sir Edward herbei. Einen flüchtigen Gruß noch – ein Schweigen mahnendes Drücken des Fingers auf die Lippen, dann flogen beide Reiter dahin nach dem Labordonaja-Grund und der englischen Stellung.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die britischen Offiziere hatten zu ihrer Unterhaltung eine eigenthümliche Art des Wettrennens erfunden – die Jagd auf die wilden Hunde, die sich in der Nähe der Lager und der Schlachtfelder mit ihren fliegenden Genossen, den Geiern, sehr zahlreich aufhielten. Die Thiere bildeten die Mitte zwischen Wolf und Schakal und zeigten sich gewöhnlich ziemlich furchtlos und schlau, indem sie – gleich als wüßten sie, wo sie Schutz vor ihren Verfolgern finden könnten, – wenn es irgend anging, den Weg nach den russischen Festungswerken nahmen. Die Hetze wurde sowohl dadurch, als durch das wechselnde unbekannte Terrain ein sehr gefährliches Spiel, bei dem Unglücksfälle nicht selten waren.

Die schon mehrere Tage vorher in Folge einer Wette für diesen Nachmittag angekündigte Jagd hatte eine bedeutende Anzahl [337] von Offizieren und Gentlemen aus dem Administrations-Personal auf dem Plateau des weißen Berges, diesseits der Trancheen und Batterieen, zwischen den Zugängen des Labordonaja-und Sarakandina-Grundes versammelt. Man hatte sich genöthigt gesehen, trotz der Hitze, die Jagd auf eine frühere Nachmittagsstunde anzusetzen, da das angekündigte Bombardement sie später unmöglich machte und der Wortlaut der Wette das Niederhetzen einer bestimmten Anzahl von Hunden in bestimmten Tagen, deren Datum am Abend ablief, erforderte.

Der Kreis der militairischen Sportsmen und Jäger war jetzt ziemlich gut beritten, denn viele Offiziere hatten im Laufe des Frühjahrs von England sich treffliche Pferde nachkommen lassen, zum Theil auch unter den türkischen gute Einkäufe gemacht. Es befanden sich jedoch nur wenige französische Kavallerie-Offiziere in der Gesellschaft, da im Ganzen bei diesen Wettrennen die Franzosen sich als weit schlechtere Reiter bewiesen hatten und ihren Verbündeten nicht gern diesen Triumph über sich einräumten. Als der Baronet und sein Schützling auf dem Platz des Rendezvous ankamen, fanden sie die ganze Reitergruppe bereits in Bewegung und langsam dahin reitend, um den Gegenstand der Verfolgung aufzusuchen. Dies war ein sehr günstiger Umstand, der jede Aufmerksamkeit von ihnen ablenkte und sie schlossen sich unbemerkt der Cavalkade an.

Die Jäger trugen am rechten Handgelenk herabhängend eine schwere Hetzpeitsche von Riemen aus Büffelleder, in deren drei Spitzen Büchsenkugeln eingeflochten waren, und es galt, mit dem Schlag der Peitsche das Thier, so bald es erreicht worden, zu Boden zu strecken.

Unter den vordersten Reitern des Zuges konnte man eine Dame bemerken, die – fest im Sattel – mit großer Sicherheit ihr schönes braunes Pferd leitete und mit ihren Nachbarn sprach. »Das einfältige Bombardement,« bemerkte sie eben, »wird uns am Ende ganz die Jagd verderben. Die Munitionskarren, die unaufhörlich in Bewegung sind, und die Herren vom Genie haben alle Thiere verscheucht, und ich wette, wir bekommen kein einziges zu sehen.«

»Dann würde der Preis unentschieden bleiben,« sagte galant der Infanterie-Capitain an ihrer Seite, »und Mistreß Duberly, trotz ihrer schönen Aussichten, ihn verlieren.«

»Dasselbe geschieht, wenn ein Anderer, als wir Drei, heute das Wild niederschlägt,« entgegnete die Amazone. »Wie viel trafen Sie doch in diesen acht Tagen, Capitain Cavendish

»Drei Stück, Mylady!«

»Und ich und Herr O'Malley hier, ohne daß er den Hals gebrochen, eben so viele, während die Anderen nur zwei zählen. Was haben Sie da in der Hand, Sir?«

»O – Nichts, Mylady, nur eine Dose von indischer Elfenbeinschnitzerei. [338] Ich hatte sie in meine linke Gilettasche gesteckt und bemerkte, daß sie mich dort genirt. Sie ist mit getrocknetem Ingwer gefüllt – darf ich Ihnen anbieten?«

»Nein, Sir – ich danke. Aber bitte, zeigen Sie mir die Dose selbst, die Arbeit scheint ausgezeichnet.«

Capitain Cavendish überreichte sie ihr. – »Ich kaufte sie im Augenblick, als ich an Bord gehen wollte, um nach Europa zurückzukehren, von einer indischen Händlerin, die mich mit seltener Aufdringlichkeit plagte. Ich hatte die Dose ganz vergessen, da ich mein Gepäck nicht wieder nachgesehen, seit ich an der Wunde von Inkerman in's Lazareth zu Balaclawa kam. Ich fand sie heute zufällig beim Kramen und nahm sie zu mir.«

»Die durchbrochene Elfenbeinarbeit ist ausgezeichnet, ich habe sie selten so schön gesehen,« meinte die Dame, die Dose zurückreichend.

»Waren Sie mit dem Fähnrich O'Mailley verwandt, Sir?« fragte der Offizier den Dragoner, »der bei unserm Regiment stand und bei Inkermann fiel?«

»Er war ein Vetter von der Linie der O'Mailley von Timberary, Capitain. Warum?«

»Es kam mir in den Sinn, weil in den letzten Stunden, die ich mit ihm verlebte, zufällig auch die Rede von meinen Erinnerungen aus Indien war.«

»Ich will nicht hoffen, daß Sie mir ein ähnliches Schicksal daraus vindiciren,« lachte der Dragoner-Lieutenant. »Hollah ho! – da haben sie Etwas entdeckt – vorwärts, Mylady, sonst kommen wir zu spät!«

Er gab seinem Pferde die Sporen und sprengte, von der Dame und dem Capitain begleitet, dem Orte zu, wo mehrere Reiter plötzlich angehalten.

»Wahrhaftig – da ist der Bursche,« rief der Capitain – »sehen Sie dorthin, Mylady, an dem Oleandergebüsch am Abhang.«

Dort kauerte allerdings ein großer gelbbrauner Hund, den spitzen Kopf weit vorgestreckt, die Ohren zurückgelegt, gleich als wisse er recht gut die Annäherung der Feinde und wolle doch voll Selbstvertrauen nicht eher von dem Pferdeknochen weichen, den er zwischen den Vorderpfoten hielt, als bis es die höchste Noth erfordere. Die Reiter kamen rasch näher, während der Hund sie anbellte, und breiteten sich nach rechts und links aus, um ihm den Weg abzuschneiden. Plötzlich schien das Thier seine Sicherheit zu verlieren, es sprang empor, zog den Schwanz ein und fing an, davon zu laufen, während die ganze Gesellschaft ein wildes Tally-ho ertönen ließ und im Galopp über das felsige Terrain die gefährliche Jagd begann.

Der Hund nahm seinen Weg nach dem Labordonaja-Grund und überschritt die Woronzoffstraße, sich dann links wendend, nachdem [339] die Jäger sich vergeblich bemüht hatten, ihm in dieser Richtung zuvorzukommen.

»Jetzt ist es Zeit,« flüsterte der Baronet dem jungen Russen zu. »Vorwärts, und Gott schütze Sie!«

Iwan Oczakoff kniff, wie ihn der Araber bedeutet, in das linke Ohr der Stute und sofort stürzte das edle Pferd in gestrecktem Lauf voran.

Die Jagd ging über einen gefährlichen, von Felsspalten und Steinmassen vielfach durchbrochenen Boden. Cavendish, die Lady und der junge Irländer waren allen Andern voran; aber in wenig Augenblicken schon sahen sie den unbekannten Offizier ihnen zur Seite, und gleich darauf ihnen voran schießen.

»Goddam! der Bursche ist vorzüglich beritten – echt arabisches Blut. Nun, Mylady, lassen Sie Bob seine Künste zeigen!«

Die Dame trieb ihren Vollblutrenner mit Peitsche und Sporen an, der Capitain war dicht hinter ihr – O'Mailley mehrere Längen zurück mit seinem Halbblütigen. Aber alle Anstrengungen waren vergeblich; denn der unbekannte Rival war bereits weit voraus und dem Thiere dicht auf den Fersen, das, von den Soldaten einer nahe gelegenen Feldschanze gescheucht, jetzt geradezu seine Richtung zwischen den englischen Trancheelinien hindurch den Grund entlang nach dem Ende der Südbucht und der Batterie Stal nahm.

Plötzlich erschütterte eine dröhnende Salve die Luft, weiße Rauchwirbel kräuselten empor, Schuß auf Schuß aus schwerem Geschütz donnerte die Reihen der Batterieen entlang bis zur Canrobert-Schanze auf dem äußersten rechten Flügel, und aus den Festungswerken der Bastionen der linken Stadtseite flammte und krachte die Erwiderung; – das Bombardement hatte mit voller Wuth begonnen.

Capitain Cavendish parirte sein Pferd. »Zurück, Mylady, um des Himmels willen, oder wir kommen in die Schußlinien. Zurück!«

Die Dame hielt unerschrocken den schnaubenden Renner an. »Sehen Sie dorthin – den Mann vor uns – der Unbesonnene! – Sie winken ihm aus den Batterieen – er achtet nicht darauf.«

»Das Pferd muß mit ihm durchgegangen sein – er scheint nicht Herr mehr desselben – Schade um den kecken Burschen – er ist rettungslos verloren, wenn er nicht etwa ein Ueberläufer ist. Aber fort von hier, Mylady, die Stelle ist für Sie zu gefährlich!« Eine Vollkugel aus dem Redan ricochettirte unsern von ihnen, Beide wandten die Pferde und sprengten davon.

Fürst Iwan war im Pulverdampf der Batterieen an der Biegung der Woronzoff-Straße verschwunden.

Allmälig sammelte sich die Reiterschaar auf der Höhe des weißen Hügels von der so gefährlich unterbrochenen Jagd und besprach den Ausgang, von dem günstigen Standpunkt außerhalb [340] der Schußlinien der Kanonade zuschauend. Der Allen unbekannte Reiter und sein Schicksal bildete natürlich einen Hauptgegenstand des Gesprächs und der Vermuthungen.

»Er muß von Balaclawa herauf gekommen sein,« behauptete Lieutenant O'Mailley; »vielleicht Einer der neuen Burschen, die von Constantinopel gekommen. Aber schade ist es um das Pferd – der Blitz ist langsam gegen solch Blut. Ich möchte mein Patent dagegen wetten, so neu es auch ist, daß es ein reiner Araber war von der Mohanna-Race.«

»Wenn ich recht gesehen,« sagte Mistreß Duberly, »kamen Sie ja mit dem Herrn zugleich, Sir Edward?«

»Ich traf ihn auf dem Wege zum Abritt, kannte ihn jedoch nicht.«

»Jedenfalls war unser Rennen ein todtes,« meinte lächelnd der Infanterie-Capitain, »vielleicht in doppelter Beziehung. Aber der tolle Ritt hat mich doch etwas angegriffen – ich fühle noch zuweilen die Nachwehen des Lazareths. – He, Mickey – nimm mein Pferd und halte reinen Mund gegen Capitain Stuart, sonst brummt er drei Tage lang mit mir.«

»O Jemine, Capitain,« sagte der Irländer, der diesmal den Reitknecht spielte, »warum hören Sie auch nicht auf guten Rath und bleiben hübsch im Lager, wenn das Regiment ein Mal Ruhe hat. Das kommt Alles davon, daß Sie Pferde halten, Capitain, was beim 95. doch nur der Oberst thut. Wollen Sie eine Stärkung, Akushla – 's ist echter Whiskey in der Flasche?«

Capitain Cavendish hatte sich neben der Reitergruppe, die sich durch zahlreiche unberittene Zuschauer vermehrt hatte, auf ein Felsstück gesetzt. – »Ich danke, Mickey, ich bin noch zu erhitzt. Ich will zuerst von diesem Ingwer genießen, den ich noch nicht probirt.«

Er holte die Dose aus der Tasche, öffnete sie und nahm einige Stücke heraus, die er in den Mund steckte, während der Soldat mit den Pferden lüstern neben ihm stehen blieb.

Plötzlich sprang der unglückliche Offizier empor, schlug die Arme wild um sich und stürzte mit einem entsetzlichen Schrei zu Boden. Alles sammelte sich sogleich um ihn her, zuerst in der Meinung, er sei von einer Kugel getroffen; die Zuckungen des Unglücklichen, der Schaum, der ihm vor die Lippen trat und das rollende blutunterlaufende Auge zeigten jedoch bald, daß es sich hier um einen innern Krankheitsfall handle, und ein Arzt, der sich unter den Zuschauern befand und sogleich zu Hilfe eilte, erklärte die Symptome für die einer schrecklichen und tödtlichen Vergiftung.

Der ehrliche Mickey, zum Tode erschrocken, vermochte Anfangs kaum Rede zu stehen, und erst nach vielem Hin- und Herfragen kam er zu der Auskunft, daß der furchtbare Anfall sogleich nach dem Genuß des Inhalts der Dose erfolgt war, die der Capitain noch in der krampfhaft geballten Hand hielt. Der Doctor entfernte sie [341] mit Gewalt, öffnete sie und schüttete den Inhalt heraus, den er sorgfältig prüfte, ohne jedoch ein Anzeichen des Giftes zu entdecken. Mißtreß Duberly wiederholte eben, was ihr der Capitain von dem Kaufe der Dose erzählt, als sie bemerkte, daß auf dem Boden derselben ein Pergament- oder Papyrusstreifen zurückgeblieben war. Man zog ihn heraus, er enthielt in englischer und indischer Sprache nur den hindostanischen Gruß:

»Gehe, wohin Deine Wünsche Dich rufen und mögen Deine Wege leicht und angenehm sein!«

Ein Offizier hatte die Worte halblaut verlesen, aber der Kranke sie, trotz des Kanonendonners, mittelst der Schärfung der Sinne verstanden. – »Nikalanta!« stöhnte er, »es war seine Tochter – ihr Gift brennt wie Feuer an meinem Herzen – Hilfe! zu Hilfe!«

Sie lag nicht in Menschenkräften, in menschlichem Wissen! Der Arzt mochte dies erkennen, denn er erhob sich mit einer Geberde des Bedauerns und sagte zu einem Stabsoffizier in der Nähe: »Diese Früchte sind wahrscheinlich mit einem indischen Narcoticon zufällig oder absichtlich getränkt, dessen Analyse uns unbekannt und gegen das kein Mittel existirt. Vielleicht Upas von dem berüchtigten Baum. Die Fälle solcher Vergiftungen sollen in Indien nicht selten vorkommen, wenn sie auch weniger acute Wirkung zu zeigen pflegen.«

»Der Teufel hole das Land!« murmelte der Offizier, »Cholera, Brillenschlangen, Tschaugh's und Tiger wären Unannehmlichkeiten genug, als daß man noch Giftmischerei dazu brauchte! England wird es nicht eher mit Sicherheit genießen können, als bis die eingeborene fanatische Brut ganz und gar vertilgt ist!«

»Sir, das sind 150 Millionen Menschen!«

»Und wären es 1500 Millionen, wenn sie sich nicht dem Segen unserer Cultur fügen wollen. Wie war es mit Irland noch vor 50 Jahren? Irland ist jetzt ruhig, seit man den Repeal über's Meer deportirt hat!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Als am Abend Mickey dem Capitain Stuart den Tod des Führers der zweiten Compagnie meldete, bemerkte der Offizier: »Es thut mir leid! Cavendish war ein besserer Kamerad, als wir Anfangs dachten und erst seit acht Wochen aus dem Lazareth. Schade, daß er noch immer vergessen hatte, uns die hübsche Geschichte mit den Tigern zu Ende zu erzählen!«

Man war sehr gleichgiltig geworden gegen die Leben im Lager vor Sebastopol! –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nicht der Frieden der Nacht, der prächtigen, funkelnden, üppigen Juninacht, ruht über Meer und Land, über Stadt und Berg. Der Donner der Mörser weckt die Echo's, an dem lichten Sternenhimmel ziehen die Bomben ihre lichteren, feurigen Bogen; aus[342] den dunklen Erdschanzen und von den Wällen der bedrängten Stadt blitzt und flammt es von Minute zu Minute und der Hagel von Eisen, die Würfel des Todes rasseln über das Feld und furchen in der vergänglichen Nacht die Ruhestätten der langen, ewigen – die Gräber!

Durch das Verderben besäete Feld schleicht still und spähend ein Knabe; – der sausende Tod, der auf den Granaten daher fegt, auf den feurigen Bomben durch die Luft saust, kümmert ihn nicht! Seine einzige Sorge ist, vor den lauernden Posten, vor dem Schutz der belebten Schanzen, Batterieen und Laufgräben weit auszubiegen in die Fläche, wo die Vernichtung auf jedem Schritte droht. –

Ein blaues Licht zischt in die Höhe – dort liegt die Bastion, die dunklen Wälle des Redan erheben sich kaum 200 Schritt von ihm! –

Die gebückte, schleichende Gestalt ist einen Augenblick sichtbar geworden und in den Contre-Approchen bemerkt.

»Stai – Wer da?«

»Gutfreund! Gott schütze Rußland!«

Michael Lasaroff ist bei den Seinen! – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Mit dem Anbruch des Tages hat die Kanonade wieder begonnen, die eiserne Ablösung des eisernen Bombardements der Nacht. –

In der Cantine saß, 24 Stunden später als unsere vorige Scene begann, an einem Tisch mit dem ältesten Capitain seines Bataillons der Vicomte, während einige Papiere vor ihnen lagen und die Marketenderin mit ihrer Freundin, der Corporal Bourdon mit Lebrigaud und der irre Jean dabei standen.

»Wir wollen zunächst die Sache mit Madame Bibesco zu Ende bringen,« sagte der Kommandant. »Sie haben gehört, Madame, daß mein verstorbener Freund mich beauftragt hat, Ihnen seine sämtliche im Lager zurückgebliebene Baarschaft auszuhändigen, die der Oberst seines Regiments in Verwahrung genommen hatte. Hier ist das Verzeichniß – die Summe besteht in 70,500 Francs, davon 50,000 in Wechseln auf das Haus Jacq. Alléon u. Comp. in Constantinopel auf Sicht zu zahlen, und 20,500 Francs in Napoleond'ors. Hier sind die Papiere und das Geld. Wollen Sie die Güte haben, mir über die Summe in Gegenwart dieser Herren zu quittiren?«

»Darf ich fragen, ob der Marquis in Beziehung auf mich nicht irgend eine weitere Bestimmung getroffen?« fragte die Abenteurerin, indem sie zur Bewahrung des Scheins das Taschentuch an die Augen führte.

»Nein, Madame.« Die Worte des Briefes lauten blos: »Er hoffe, die Summe würde hinreichen, um Sie seinen Namen vergessen zu machen.«

[343] »Abscheulich! – Ich kann also ohne Bedingung über dies Geld verfügen?«

»Ja, Madame.«

Die Augen der ehemaligen Lorette funkelten – alle Vergnügungen und Freuden von Paris tauchten in lockenden Farben vor ihrem Geist auf. Doch schien zugleich ein Gedanke, ein Zweifel sie zu bedrücken und unschlüssig zu machen. Sie schob mehrmals einige der Geldrollen hin und her und ihr Auge flog verstohlen zu Nini hinüber. Unwillkürlich schrak sie zusammen, als ihr Blick dabei den ihr zunächst stehenden irren Burschen traf. Noch nie war ihr die Aehnlichkeit desselben mit dem Fürsten Oczakoff so aufgefallen, und ihr Innerstes erbebte, als der Arme ihr mit einem bisher an ihm nicht gekannten Lächeln des dämmernden Verständnisses zunickte und flüsterte: »ich weiß es wohl, Zehntausend!«

Eine dunkle Röthe überzog die Stirn der jungen Frau, sie nahm hastig fünf der Rollen zusammen und schob sie auf Nini zu. »Das ist Dein Antheil an mei nem Reichthum,« sagte sie fast ängstlich. »Nimm – es ist das Deine!«

Die Marketenderin schaute sie erstaunt an. – »Was – ich sollte Dir Dein unverhofftes Glück schmälern? Was fällt Dir ein, Celeste – die kleinen Dienste, die ich Dir geleistet, sind reichlich durch Deine Gefälligkeit aufgewogen und ich werde doch von einer Freundin nicht Bezahlung annehmen!«

»Ich bitte Dich, sei nicht thöricht, Kind,« bat die Bojarin, »dieses Geld ist das Deine, Du hast volles Recht darauf, glaube mir, und ich bitte Dich um meinetwillen, um jenes armen – Kranken willen, es anzunehmen. Ich würde keine ruhige Stunde mehr haben, wenn Du es ausschlägst.«

Der Eifer, die Dringlichkeit, mit der sie bat, waren auffallend, und die kleine, leicht bewegte Grisette machte bereits Miene, die Großmuth ihrer Freundin zu preisen und anzunehmen, als ihr Bruder rauh dazwischen trat.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte er streng und fest, »aber Nini bedarf Ihres Goldes nicht. Wenn sie einen Bruder behalten will, wird sie keinen Sous jenes Geldes berühren, für das einst das Herz und die Liebe eines ehrlichen Mannes verrathen wurde.«

Die Lorette wandte sich beleidigt von dem Jugendgeliebten und raffte das Gold wieder zusammen. – »Wie es Ihnen beliebt, Herr Bourdon. Ich hielt es für meine Pflicht, Ihrer Schwester die Summe anzubieten,« – sie warf einen hastigen Blick auf den Schwachsinnigen, schien jedoch durch das Resultat beruhigt; – »wenn sie die Annahme weigert, ist es nicht meine Schuld. Was meine Liebe und meine Person betrifft, so halte ich sie noch heute für zu gut, um sie an den ersten besten Arbeiter oder Soldaten wegzuwerfen.«

François wollte heftig antworten, ward aber von der Schwester zurückgehalten, während Celeste, im Besitz ihres Schatzes, eine [344] hochmüthige und trotzige Verbeugung der Gesellschaft machte und in der hintern Abtheilung der Cantine verschwand.

Man hatte es kaum bemerkt, daß während der kleinen Scene ein Fremder eingetreten und in der Nähe Platz genommen hatte, derselbe benarbte Alte, dessen Anwesenheit in Pelissier's Generalstabe am Tage vorher den russischen Fähnrich erschreckt hatte.

»Jetzt zu Ihnen, denn Sie haben mich in eine sehr unangenehme Lage versetzt, Mademoiselle,« fuhr der Lieutenant-Colonel zu der Marketenderin fort. »Nach Allem, was bis jetzt ermittelt, sind Sie und dieser Schuft hier« – er wies auf Lebrigand – »es gewesen, die dem jungen Russen zur Flucht geholfen. Was veranlaßte Sie, meine Nachsicht auf diese Weise zu mißbrauchen?«

»Bedenken Sie, mein Kommandant,« schluchzte Nini, »er war so jung und Sie wollten ihn jetzt in ein Gefängniß schicken.«

»Es war meine Pflicht, die ich zu lange versäumt. Corporal Bourdon, ich frage Sie auf Ihr Ehrenwort als französischer Soldat, wußten Sie um den Anschlag Ihrer Schwester?«

»Nein, mein Kommandant!«

»Das freut mich, ich hätte Ihnen ungern die Gelegenheit entzogen, sich heute am Mamelon Beförderung zu holen. Nehmen Sie dem Burschen da den Säbel ab und führen Sie ihn zum Profoß. Capitain Mongin wird ihm Arrest geben.«

Der Capitain nickte. »Wir kennen uns, mein Vögelchen, und ich will Dir die großmüthigen Galanterieen vertreiben!«

Der lüderliche Zuave hatte bis jetzt mit großer Gleichgültigkeit die gegen ihn erhobene Anklage angehört, als er aber nun vernahm, daß er in Arrest geschickt werden sollte, während ein Kampf bevorstand, gerieth er außer sich, warf seinen Feß auf den Boden und trampelte wie ein Narr darauf umher. – »Que le diable les importe! Zum Henker mit allen Weibsleuten, sie sind zu meinem Unglück auf der Welt und machen mit einem Augenzwinkern einen Narren aus mir! Capitain Mongin – mein Kommandant – Sie werden doch um einer solchen Lumperei willen mich nicht um den Sturm bringen? Fichtre! Ich will meine eigene Zunge verschlucken, wenn ich den Schimpf überlebe.«

»Das hättest Du eher bedenken sollen, bevor Du Dich von einem Mädchen verleiten ließest, gegen Deine Pflicht zu handeln!«

»Maudit, mein Kommandant! – Aber wozu wären die Frauenzimmer sonst auf der Welt. Es passirt vernünftigeren Leuten als ich bin! Hier Mademoiselle bethörte mich, indem sie mir freiwillig einen Kuß versprach. Mordio! – so dacht' ich – was kommt es auf einen Russen mehr oder weniger an, Du holst dafür heute zehn Andere von ihren Schanzen, und so führt' ich ihn im Dunkel bis an die letzte Tranchee, nachdem ihm Jean hier seinen eigenen Rock gegeben. Unmöglich, mein Kommandant, konnte ich mich doch von einem verrückten Burschen in der Galanterie übertreffen lassen?«

[345] Der arme Schützling Nini's nickte ihm vergnügt lächelnd zu. Er schien offenbar seinen Antheil an der Sache zu verstehen und sich darüber zu freuen. – »Er ist fort,« sagte er, »der Andere auch, ich weiß, sie gaben ihm das Pferd! Jean's Seele ging mit ihnen – aber er wird sie wiederholen – dai Bosche!«

Niemand achtete viel auf die Worte des Irren, doch fiel die Erinnerung an die in seiner Gegenwart verabredete Flucht des jungen russischen Fürsten schwer auf des Vicomte Seele und er befand sich in großer Verlegenheit, da er sich sagen mußte, er habe ja Aehnliches gethan.

Der rasche Eintritt des Medecin-Major unterbrach jedoch die peinliche Situation. Doctor Welland war offenbar sehr aufgeregt, seine Miene unruhig und nachdenkend. Hinter ihm folgte Jussuf, der Mohr, der beim Erblicken des Vicomte sogleich auf diesen zusprang und mit dem höchsten Ausdruck von Freude seine Füße umfaßte und küßte.

»Jussuf? – um des Himmels willen, wo kommst Du her?«

»Inshallah – es ist Jubel in meinen Augen, Herr, daß ich Dich wiedersehe. Was kann ich sagen? – ich war verwundet und gefangen bei den Moskows – ein Engel hat den armen Mohren gerettet und ihm die Freiheit gegeben, daß er zu seinem Aga zurückkehren möge.«

»Ich habe mich einige Augenblicke von meinem Posten entfernt,« sagte der Arzt, »um Ihnen die seltsame Nachricht zu bringen. Vor einer Stunde brachte eine Ordonnanz des kommandirenden Offiziers der Vorposten an der Tschernaja den Mohren zu mir, den wir für todt im Schloß Aju zurückgelassen und der seitdem bei den Russen gefangen war. Er behauptete, sich selbst ranzionirt zu haben und hat sich bei den Wachen auf mich und Sie berufen. Ich bestätigte seine Aussage und übernahm seine weitere Meldung. – Er bringt das Pferd des Arabers zurück und den Dank des Fürsten, der glücklich Sebastopol erreicht hat,« fügte er flüsternd hinzu. – Das Ehrenwort, das er dem Fliehenden gegeben, ließ ihn verschweigen, wie der Mohr zugleich der Ueberbringer eines geheimen Schreibens an ihn gewesen, das seine Blicke jetzt nachdenkend und forschend auf dem irren Schützling der Marketenderin weilen machte.

Der Vicomte war hocherfreut durch die Rückkehr des On-Baschi's seiner frühern Bozuks, den er bei seiner Rückkehr zu dem 3. Zuaven-Regiment zu seinem Diener gemacht. Er reichte ihm die Hand und überwies ihn an den Bruder Nini's, um ihn zu equipiren und alles Nöthige ihm zu verschaffen. Dann wandte er sich wieder zu dem Arzt. »Sie finden mich und Capitain Mongin bei einer unangenehmen Untersuchung. Das thörichte Mitleid von Mademoiselle dort hat Ihren wiederhergestellten Patienten, der heute der allgemeinen Ordre gemäß an das Gefangenen-Depôt in Kamiesch zurückgeliefert werden sollte, entkommen lassen. [346] Seine Genesung war bereits durch Oberst Polkes gemeldet und wir werden nun Beide wahrscheinlich vielerlei Verdrießlichkeiten für unsere Nachsicht und Ueberschreitung der allgemeinen Regel haben. Zum Glück hat die Flucht auf ihren Freund keinen Einfluß, der von den Türken zum Gefangenen gemacht worden.«

»Die Sache ist kaum so bedeutend, als Sie dieselbe ansehen, Kommandant. Das Gelingen oder Mißlingen des bevorstehenden Sturmes wird ganz andere Dienstsünden bedecken, und es ist wohl unnöthig, daß Sie irgend Jemand deshalb zur Strafe ziehen. Wenn Ihre Zuaven den Mamelon nehmen, wird kein Oberst oder General der ganzen Armee nach einem entkommenen russischen Knaben fragen, wie der kleine Lasaroff war!«

»Lasaroff? – Michael Lasaroff?« rief der Fremde, der aufmerksam dem Gespräch zugehört. »Verzeihen Sie, mein Herr, Sie nennen einen Namen, der mich angeht. Der russische Gefangene, der diese Nacht entflohen – ist es der Fähnrich Michael Lasaroff?«

»Derselbe, mein Herr!«

Der alte Mann schlug die Hände vor das Gesicht. »Alles umsonst – Alles verloren! – auch hier zu spät! – So geschehe denn der Wille Des da Oben; – was sind menschliche Berechnung, sterbliche Mühen gegen Seine Bestimmung!« – Traurig und gebrochen taumelte die hohe Greisengestalt auf den Sessel zurück, – zwei schwere Thränen quollen aus den grauen Wimpern und flossen langsam über die gefurchten Wangen, – die eherne Kraft, die so lange ihn aufrecht gehalten im Kampf für seine Pläne, seine Meinungen und seine Zwecke, – sie war vernichtet vor der Ueberzeugung, daß in der Bestimmung über Völker wie über Menschen der Wille des Ewigen keinen Eingriff sterblicher Hände duldet. – Verwundert, aber mit achtungsvollem Schweigen schauten die fremden Krieger auf den alten Mann, bis dieser sich ermannte und seine feste ernste Haltung wieder gewann. »Verzeihen Sie einem Manne die Schwäche,« sagte er mit Würde, »der selten in einem langen und bewegten Leben ihr unterlegen. Ich bin der Graf Lubomirski, einst Capitain unter Napoleon dem Ersten, – und der Knabe, der diese Nacht nach Sebastopol zurück entflohen, ist mein Enkel, der einzige Sprosse meines Blutes. Ihr Kaiser – es ist gleichgiltig, wie ich die Gefangennahme erfuhr – gab ihn in meine Hände, hier ist der Befehl, ihn Angesichts desselben mir auszuliefern. Doch vergeblich forsche ich seit zwei Wochen im Hauptquartier, in allen Gefangenen-Depôts, ich fand den Namen zwar in den Listen angeführt – seine Person jedoch war verschwunden.«

»Vielleicht eine Fahrlässigkeit der Schreiber,« sagte der Vicomte. »Der junge Mann wurde als verwundet gemeldet und nicht abgeliefert, da seine Jugend uns dauerte und der Aufenthalt in den Lazarethen durch den Typhus Gefahr bringt.«

»Ich begreife es und danke Ihnen dafür. Erst heute Morgen [347] vernahm ich in Folge des erlassenen Generalbefehls aus dem Hauptquartier zufällig, daß bei Ihrem Corps sich noch einige Gefangene und Verwundete befänden und eilte hierher. Es war zu spät!« – Er schwieg einige Augenblicke, dann überreichte er dem Vicomte die kurze offene Ordre von der Hand des Kaisers. »Nehmen Sie, Herr Kamerad,« sagte er traurig, »sie ist jetzt nutzlos für mich und wird Sie jeder Verantwortlichkeit für Ihre Güte überheben. Wenn Sie einem alten Krieger, einem Gefährten des Ruhmes der französischen Adler eine weitere Freundlichkeit erweisen wollen, so strafen Sie nicht die Flucht des Knaben an Denen, die mit ihrer Hilfe ihm eine Liebe zu erweisen dachten. Ich nehme das Leben meines Enkels mit diesem Papier als empfangen aus Ihrer Hand und lege es in die Gottes!« –

Die Trommeln wirbelten, – die Hörner der Zuaven riefen draußen das Regiment zum Sammeln, – die Brigade- und Divisions-Adjutanten flogen mit dem Befehl zum Abmarsch an den Lagerreihen entlang! – einen kurzen theilnehmenden Händedruck nur tauschte der Vicomte mit dem einsamen Greis und dem zu seiner Ambülance eilenden Freunde, während sein Befehl dem jammernden Lebrigand den Säbel wiedergab; dann eilte er an die Spitze der Seinen, wo Oberst Polkes bereits ungeduldig harrte.

Unter dem Jubel der Zuaven bildeten sich die Reihen zum Abmarsch.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Sieben Uhr Abends! – Auf der Höhe, auf der am Tage vorher der unglückliche Zufall das Jagdrennen so traurig beendet, standen zahlreiche Gesellschaften von Offizieren, die Fernröhre und Gläser an den Augen, alle Blicke nach dem Mamelon – der Lünette Kamschatka – gerichtet, deren Wälle ein ununterbrochenes Feuer spieen, während vom Malakoff her und aus den zwei Reihen russischer Linienschiffe, die quer über die Südbucht sich gelegt, der eiserne Hagel durch Flammen und Pulverdampf daher fegte.

Aus dem Dokowaja- und Kilengrund herauf, aus den Trancheen in der Front entwickelten sich jetzt die französischen Kolonnen, lösten ihre Reihen und kletterten den steilen Aufgang zum Mamelon empor.

Man sieht die einzelnen Krieger wie Punkte und Schatten höher und höher klimmen, – jetzt die ersten an der Böschung, – Pulverdampf umhüllt sie, Feuerströme fahren dazwischen, doch nur Einzelne reißt das tödtende Eisen aus den zerstreuten Reihen, – plötzlich zeichnen sich zwei dunkle Schattengestalten auf den Kamm der Brustwehr gegen den Abendhimmel ab, – eine Fahne weht als Sammelpunkt, ein dunkler Menschenknoten ballt sich darum her – und hinein in den Mamelon dringen in hellen Haufen die kühnen dritten Zuaven.

Da wirbeln die Trommeln durch den Pulverdampf, die russischen Reserven rücken in das Werk, das die französischen und englischen [348] Batterieen zu bestreichen aufgehört, die Bajonette klirren an einander, das kleine Gewehrfeuer knattert und die Franzosen werden über die Brustwehr zurückgeworfen.

Aber am Abhang sammeln sich die Haufen, kaum haben ein oder zwei Kanonen aus den Schießscharten auf's Neue ihre Blitze gegen sie gespieen, so stürmen sie die Böschung wieder hinan, – ihnen voran die hochgewachsene Gestalt eines Offiziers, winkend mit Säbel und Hand. Wieder tauchen die dunklen Schatten auf gegen die Abenddämmerung auf der Höhe der Brustwehr, – in dichten Massen wogt und drängt der Kampf in's Innere, – dann speit die Kehle des Werks dunkle Massen Flüchtender aus, die unter dem Feuer des Malakoff Schutz suchen, – von der Höhe der Lünette flattert die Tricolore – und ein tausendstimmiges »Vive l'Empereur!« überdonnert das Gekrache der Geschütze.

Der Mamelon – die Vormauer des Malakoff ist genommen.

Fußnoten

1 Das gebe Gott!

2 Gottes Blut!

3 Fossoyeur, Todtengräber, ein Beiname, den die Soldaten dem General Canrobert gaben wegen eines Bülletins, in dem er die Approchen »Gräber für die Besatzung von Sebastopol« genannt.

4 Anémoscope. Lord Raglan war wegen seiner eifrigen Witterungsbeobachtungen unter diesem Spottnamen bekannt.

5 Eigener Bericht der Times!!

6 Sie lauteten: »En entrant dans cette temple, où reposent les souvenirs d'un millénaire passé, j'ai reconnu les trâces d'une invasion des Vandales! Helas! Anglais ou Français, faites la guerre à la postérité, mais ne le faites pas à l'histoire. Si vous avez la prétention d'être nations civilisées, ne faites pas la guerre des barbares!«

7 P. hatte als Bataillons-Kommandant der Zephyre Befehl, eine Schanze wegzunehmen, aber die Araber vertheidigten sie tapfer. Da befahl er: »Jetez moi à travers; mes hommes me suivront alors!« Gesagt, gethan; drei Mann warfen ihn hinüber, er erhielt vier Wunden, aber seine Soldaten folgten ihm.

Die Orgie
[349] Die Orgie.

Die glühende Hitze des Augusttages ist vorüber. Von den Symplegaden her, den rastlosen Felsenthoren des Bosporus, die Jason's kühne Fahrt an den Grund fesselte, – an der Geierstadt des König Phineas vorüber, wo Herkules mit seinen Pfeilen die gierigen Harpyen erschoß, streicht der kühlende Seewind die breite Felsenstraße entlang mit ihren durchsichtigen Wogen und den aufgethürmten Ufern, dem reichen Boden klassischer Sagen und romantischer Erinnerungen. Mit den Wellen kommt er daher vom hochaufwogenden Pontus an den Felsenschlössern vorüber, den genuesischen Castellen, von Murad IV. wieder erneut, – jetzt Anatoli- und Rumili-Kawak geheißen, – wo einst die eherne Kette den Eingang zu Byzanz den thracischen Räubern wehrte, wo über der Kapelle der heilgen Maria von den Zinnen des Furris Timäa das Feuerbecken hoch durch die Nacht den Schiffern im Pontus leuchtete; – über den geheiligten Hain von Petra rauscht er, dessen Bäume die Axt nicht berühren darf, damit das mächtige Wasserbecken nicht vertrockene, das Werk des Comnenen Andronikus, das noch heute das große Byzanz tränkt; – über das große Thal von Buyukdere, wo neben den sieben Platanen der sieben Brüder die stolzen Flaggen der europäischen Ambassaden sich brüsten. Oder er streift drüben am asiatischen Ufer das Ancyräum, von dem Jason seine Anker mitnahm, die bythinianischen Berge des Olymp, wo der Argyrer Phrygos den Tempel der zwölf Götter baute, Poseidon seinen Altar hatte und die Heruler mit ihrer Flotte ankerten! An Hieron treibt er die Wogen hin, wo unter Kaiser Romanos 942 der Patrizier Theophanes die Schiffe der Russen schlug, die jetzt die letzten Freunde seines geknechteten Volkes sind; wo die Genuesen und Venetianer 1 ihre ehrgeizigen Kämpfe um die Herrschaft des alternden Byzanz fochten; wo die türkische Mythe das antike Bett des Herkules zum Riesengrabe Josua's gewandelt, das von Derwischen bewacht wird; – stößt, weiterstreichend, an [350] das Vorgebirge Argyconium mit seinen phantastischen Schlössern der Sultana's, berühmt als Unkiar Skelessi, wo am 26. Juni 1853, im Angesicht der lagernden russischen Armee, jener Tractat geschlossen wurde, der die Dardanellen den Flotten England's und Frankreich's sperrte und die Ursache des großen Kampfes geworden ist.

Diesseits aber bricht sich der kühlende Luftzug, der Strom der Wellen in der Bucht von Therapia, ehe Beide weiter fluthen.

TherapiaPharmacia – wo Medea ihr Gift auf die Küste streute, Perle des Bosporus, wo die fürstlichen Familien des alten Byzanz ihre Sommerpaläste bauten und in den kühlenden Lüften des Pontus schwelgten! Therapia, dessen Wässer so oft das Blut der Venetianer und Genuesen röthete, wohin Nicolo Pisano sich flüchtete, als er am 13. und 14. Februar 1352 mit dem Feind und den Stürmen gekämpft: – sei mir gegrüßt, lieblichste Bucht des lieblichen Bosporus am Thale der kühlen Quelle, wie Dein leuchtendes Bild vor meiner erinnernden Seele steht! – – –

Nahe dem Palast, den Fürst Ypsilanti erbaut und der jetzt zu einem französischen Lazareth eingerichtet worden, taucht ein stattliches, im orientalischen Styl gebautes, Landhaus den kurzen Mauervorsprung seines untern Stockwerks in die zum goldenen Horn eilenden Wogen. Zur Seite öffnet sich, wie bei all' diesen Villen, welche die Ufer des Bosporus zieren, das Wasserthor zum Einlaß der Kaïks, und das Haus umgeben, auf der Rückseite von hoher Mauer eingeschlossen, Terrassen mit Oleander, Geranium, Myrthen und Lorbeer bedeckt. Die erste Terrasse trägt, an das Vorderhaus stoßend, einen großen Pavillon.

In diesen Winkel des Edens von Constantinopel hat sich der tiefe Kummer und die zügelloseste Lust geflüchtet. Der griechische Banquier, dem das Haus gehört und der das Reich bis zu Ende des Krieges verlassen mußte, hat es durch seinen bulgarischen Agenten vermiethet; den geräumigen, mit einem besonderen Ausgang versehenen, Seiten-Pavillon bewohnt der englische Baronet mit dem kranken Griechen, dessen Erwachen aus dem lethargischen Zustand er – selbst ein Schatten und dem Grabe verfallen – hartnäckig bewacht, gemeinsam mit dem jungen Araber, der seinem Gefangenen hierher gefolgt. In dem ersten Geschoß des Vorderhauses aber wohnt Celeste Bibesco, die Geliebte des Garde-Capitains GrafenBretanne, der im mißlungenen Sturm der Verbündeten auf den Malachof am 18. Juni verwundet, sich an die Ufer des Bosporus hat bringen lassen, um hier unter der Pflege von Frauenhand zu genesen.

Die schöne Lorette ist nicht blos mehr die Geliebte des reichen Offiziers; das Testament Alfred de Sazé's hat sie selbst zur Besitzerin [351] von Reichthum gemacht, den sie bereits mit vollen Händen zur Befriedigung all' ihrer Lüste und Launen verschwendet. In der Wohnung der übermüthigen Coquette und ihres ausschweifenden Beschützers feiern jede Freude, jeder wollüstige Genuß des Orients ihre nächtlichen Orgien, während die Hitze des Tages die Bewohner im Schutz ihrer luftigen Gemächer an's Lager oder in die kühlen Baderäume fesselt.

Es ist Mitternacht – die Jalousieen des großen Gemachs, das, nach orientalischer Sitte, den ganzen Flügel des Hauses einnimmt, sind geöffnet und lassen durch die schützende Hülle der Muskitairs die köstliche milde Seeluft eindringen. Eine Tafel, bedeckt mit den feurigen Weinen von Cypern und Santorin, dem dunklen Olymp, Bordeaur, Scherbet und Champagner in großen Eiskufen, mit prächtigen dunkelglühenden Trauben von Brussa, den süßen Pfirsichen von den Felsenwänden des Hellespont und den Feigen von Smyrna; besetzt mit den schwelgerischen Confitüren, die auf Chios aus Rosenblättern und Geranium, Quitten und Mastix bereitet werden, – steht in der Mitte des halb europäisch, halb asiatisch möblirten und rings an den Wänden mit breiten Divans umgebenen Saales.

Sechs Paare befinden sich darin in höchst ungenirten Situationen. Der Zustand der Tafel, die zerbrochenen Gläser und Teller, die auf dem Boden umhergeworfenen seidenen Kissen der langen Divans an den Wänden, der tolle Uebermuth der Einen und die stumpfe schlaftrunkene Haltung der Andern beweisen, daß die Orgie schon stundenlang gedauert hat.

Zwei Mänaden, die Verderbniß des Occidents und des Orients gleichsam repräsentirend, führen den Vorsitz. An dem untern Ende des Tisches, auf den weichen indischen Matten, ruht die junge Smyrniotin, die ihr Schicksal aus dem Dunkel eines asiatischen Dorfes in den Palast von Tschiragan geführt, aus der Alma des Großherrn zur Freundin des brittischen Baronets und zur Odaliske des Pascha's von Varna, ihres jetzigen Gebieters, gemacht hat: NausikaNedela, die Tochter des Kameeltreibers, des Räubers vom Pagus zu Smyrna! Der rechte Arm, von prächtigen goldenen und Korallen-Braceleis fast vom Handgelenk bis zum Ellbogen bedeckt, hält nachlässig ein zierliches mit Perlmutter und Silber ausgelegtes Tambourin zwischen den hannahgefärbten Fingern, während die linke Hand ein Champagnerglas hebt, um es von dem Offizier an ihrer Seite füllen zu lassen. Ein gelber persischer Shawl ringelt sich in leichten, vom Zufall geworfenen Falten um ihren schönen Wuchs und hebt den durchsichtigen Teint des reizenden Gesichts, während die Fluth dunkelbrauner Locken frei um Hals und Schultern wogt und das schwimmend blaue Auge aus den langen, schwarzgemalten [352] Wimpern emporschaut, die weißen perlenartigen Zähne sich wie in keckem Spiel aus den purpurnen Lippen drängen. Die neunzehnjährige Mänade steht jetzt in der vollen Blüthe und Entwickelung ihrer Schönheit, und die von dem gewohnten Druck des Orients entfesselte Leidenschaftlichkeit droht Verderben in Liebe und Haß jedem, der ihr naht.

Der Offizier neben ihr stützt die Hand leicht auf den kleinen chinesischen Rohrsessel, während sein aristokratisch-schönes, jetzt vom Lärmen und Rausch geröthetes Gesicht mit dem feinen französischen Backen- und Kinnbart sich zu ihr niederbeugt. An der an dern Seite des Gemachs, vor einem prächtigen Fortepiano von Rosenholz, sitzt mit einem noch jungen Mann von charakteristischer Gesichtsbildung die schlanke Figur der Bojarenfrau. Ein leichtes orientalisch weites Gewand von jenem weißen nebelartigen Mousseline, den allein die kunstfertigen Finger der Hindu's an den Ufern des Ganges weben, umfließt faltig die graziösen Formen der Pariserin, die kleinen Füßchen wippen und spielen mit den goldgestickten Pantoffeln, ein zierliches Spitzenhäubchen hängt lose nur noch an einem kirschrothen Band im Cendré ihrer aufgelösten Frisur und das übermüthig lachende Auge ruht halb spöttisch auf der Gruppe ihr gegenüber, während ihre Finger eine kecke Polka über die Tasten des Instruments herrauschen.

Am Tische selbst sitzt ein Offizier in der Interimsuniform des Stabes, aus einem langen, mitten zwischen die Flaschen, Früchte und Gläser gestellten Nargileh mit Eiswasser duftigen Latakia dampfend und übersättigt in ein Blatt des Journal de Constantinople schauend, indeß auf dem Divan in der Ecke ein Vierter mit zwei jungen Frauen, deren Züge die georgische Abstammung verrathen, neckend, tändelnd, jene Sprache junger Herzen in der ganzen Welt spricht, wo das verständigende Wort gegenseitig fehlt.

Die bunten Feredschi's und Schleier am Boden, die einzelnen Uniformstücke mit dem Abzeichen der Garden und der Marine, und die kaum vernarbten, zum Theil noch verbundenen Wunden der Männer zeigen, daß hier eines jener lockeren Rendezvous, eine jener Orgien begangen wird, welche so häufig zwischen den zu ihrer Genesung von den Wunden des Kampfes oder dem Gift der Lagerkrankheiten in die am Bosporus eingerichteten Lazarethe gesandten Offizieren und den türkischen Frauen stattfanden. Das Gold und die Gewandtheit der Gelangweilten sprengte die Riegel der bestversicherten Harems, machte die Wächter blind und beförderte, trotz der strengen Befehle der Oberkommandanten und der Bemühung der Gesandten, die fast immer damit verbundenen Gefahren verachtend, eine Menge Liebeshändel und Abenteuer, [353] die noch lange ihre Folgen auf das häusliche Leben der Türken üben werden.

Die ehemalige Lorette präludirte mit einer Hand weiter auf dem Piano, während sie mit der andern die kleine Papier-Cigarre zwischen den Lippen hervornahm und fortwarf. »Eine neue, Monsieur,« sagte sie herrisch zu dem Offizier, der neben ihr saß. – »Was meinen Sie, Graf, können Sie sich eine nachsichtigere Beliebte wünschen, als ich bin?«

»Ah ciel! Sie sind ein Engel, Celeste« sagte der Capitain der Garde-Voltigeurs, indem er die Hand der Nedela an seiner Seite küßte. »Sie sollen dafür auch volle Freiheit haben, wenn wir erst wieder nach Paris kommen.«

»Wein, gieb mir den schäumenden, süßen Trank,caro mio!« flüsterte die Odaliske. »Wirst Du mich mitnehmen, schöner Aga, nach dem goldenen Paris, von dem Ihr so viel erzählt?« Er raunte die Antwort ihr zwischen den wallenden Locken in das Ohr.

»Auf – Montaillier! Schämen Sie sich nicht, eine Zeitung zu lesen, wo es die letzten Stunden unserer Freuden gilt? Sie sind zum Einschlafen langweilig mit Ihrer Politik. Sehen Sie Vaudricourt, wie er mit doppelten Karten spielt!«

»Es lebe die Coeur-Dame!« schrie der junge Schwelger vom Divan her.

»Zum Henker mit Euch! Laßt mich mit Euren Thorheiten in Ruhe. Ich will lieber wieder den Malachof stürmen oder drei Tage in den schändlichen Trancheen liegen und weniger müde sein, als von einem Eurer Zechgelage.«

Ein schallendes Gelächter der Kameraden belohnte ihn, auf das die Odalisken verwundert horchten, da sie die Ursache nicht verstanden.

»Es lebe der Malachof! Es lebe der 18. Juni, der uns hierher geschickt!« schrie der junge Marquis de la Houdini è re.

»Euer Vergnügen ist mit Mayran's und Brünet's 2 Fall und 6000 Mann theuer genug erkauft!«

»Bah – das giebt Avancement; in der Linie sind bereits drei Regimenter frei! Die Engländer büßten verhältnißmäßig noch mehr ein – Campbell, Shadforth und der tolle Yea sind böse Verluste!«

»Der Teufel hole sie!« schrie der Graf von seinen Kissen her. »Hätten sie mit uns zugleich angegriffen, so hatten wir den Thurm. Das 19. Regiment hielt seine Fahne zwanzig Minuten lang auf der Brustwehr aufgepflanzt, und erst die Geschütze vom Sägewerk 3 jagten uns wieder herunter. Das verdammte Wettermännchen hatte die Zeit verschlafen.«

[354] »Still! – Der Lord hat seine Schuld bezahlt, und die Zukunft wird lehren, ob wir mit seinem Nachfolger besser daran sind. Der einzige Nutzen, den die Engländer uns gebracht, ist, daß sie die Zufuhren der Festung jetzt am Faulen Meere abschneiden.«

»Falsch – die Russen haben mehr zu beißen, als wir! Der Landtransport dauert ungehindert fort; Tausende von Wagen sind unaufhörlich unterwegs, und wir können lange passen, bis wir sie aushungern, wenn wir Perecop nicht nehmen. Man meldet, daß sie an der Tschernaja sich sammeln und erwartet dort einen Angriff gegen unsere Linien. Taganrog und Berdiansk sind beschossen. Anapa hat man geschleift gegen den Wunsch der Tscherkessen.«

»Das ist schlecht gehandelt an Schamyl!«

»Was geht uns der Imam an? Giebt es sonst Neues?«

»Im Journal nicht. Privatim hörte ich, daß die Cholera unter den Sardiniern arge Verheerungen angerichtet.«

»Desto aufrichtiger wollen wir dem Malachof danken, daß er uns hierher geschickt. Es lebe die Liebe, es lebe der Champagner!« Der Lieutenant faßte die Hand der Nedela, die sich erhoben hatte.

»Halt da, Boisrobert – Jedem das Seine!«

»Ah bah! lassen Sie mich plaudern!«

»Aber Sie verstehen kein Wort italienisch, Bursche!«

»Diese Damen hier sprechen auch nicht französisch – die Lingua Franca, die ich rede, verstehen sie Alle!«

»Keinen Streit! – Die Tage, die wir zugebracht, waren zu angenehm, als daß wir sie uns noch verderben sollten. Der alte Kiradschia soll leben, der bulgarische Ehrenmann und Hauswirth, der so geschickt den Unterhändler zu spielen versteht. Möge Allah den Sali Pascha noch lange in Saloniki fest und von seinem Palast am Bosporus entfernt halten. Meinst Du nicht auch, Schätzchen?«

Die junge Odaliske mit den Mandelaugen hob sie nach dem Offizier, obschon sie kein Wort seiner Sprache verstand. »Allah bilir,« flüsterte sie – »Bana bak, aï gusum!«

»Den Henker auch – auf die Dauer wird's langweilig, daß man so wenig mit ihnen reden kann. Houdinière hat sich den besten Theil erwählt in Madame Celeste!«

»Meinen Sie, Monsieur? Kommen Sie her und unterhalten Sie mich. Der Kapitain spricht nur Fadaisen.«

»Nichts da – ich lege Protest ein!«

»Freiheit meine Herren, oder Graf Bretanne und ich schließen unsere orientalischen Salons und werden Einsiedler, wie unsere Nachbarn im Pavillon!«

[355] »Der Schurke von Bulgare, warum vermiethet er die Villa auch an zwei Parteien!«

»Der Mann versteht seinen Vortheil – die Häuser werden mit Gold aufgewogen in Therapia, und wir kamen später.«

»Was hat der Schuft sich für seine Hilfe zahlen lassen?«

»Vierzig Napoleons! Er schwört, er habe drei Eunuchen und wer weiß wie viel alte Weiber zu bestechen gehabt.«

»Es lebe die Liebe! Die Franzosen bleiben die Sieger im Orient überall – ich weiche keinen Schritt mehr von Constantinopel!«

»Bis Mellinet befiehlt – er versteht keinen Spaß und die Doktoren im Lazareth sprechen bereits davon, daß wir geheilt wären und Andern Platz machen könnten!«

»Bah! wir haben unsere Ruhetage verdient. Wenn die Lücken durch die Cholera und die russischen Kugeln zu groß werden, wird uns Pelissier schon zurückholen. Bis dahin – zu allen Teufeln mit jedem Gedanken an den Dienst!«

»Zum Tanz, zum Tanz, Messieurs! Sein Sie nicht so träge! Passen Sie auf – ich will Feuer in Ihre Adern gießen!«

Sie raste eine spanische Melodie auf dem Klavier; wie von Federn geschnellt, sprang die Nedela von den Kissen empor, warf den Shawl um ihre Schultern und begann den Tanz.

»Auf – auf, Ihr Schläfrigen! Die Augen auf, zum Tanz!« Der Eine zerrte die ruhenden Paare empor, die Andern klatschten Beifall um die tanzende Mänade. Der tolle Vaudricourt sprang ihr gegenüber und begann die wüsten Touren des Cancan aus den pariser Barrièrenkneipen.

Die übermüthig wilde Gesellschaft faßte einander an den Händen und zog einen wirbelnden Kreis um die Tänzer.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Plötzlich klopfte es heftig an die Thür, durch den dicken Vorhang und dem bachantischen Lärmen drangen die flehenden Töne einer Stimme: »Signor Francese! Signor Conte! bei der heiligen Panagia, öffnen Sie, oder wir sind Alle verloren!«

Graf Bretanne war an die Thür gesprungen, während die Offiziere erschreckt durch einander liefen. Die türkischen Mädchen schauten verwundert auf die Männer – sie vertrauten ihrem Kismet.

»Wer ruft? – Bist Du es, Paswan?«

»Si Excellenza. Es sind verdächtige Männer unten am Wasserthor – auf dem Bosporus halten zwei Boote! Wenn es die Polizeiwache ist, giebt es Lärmen.«

»Verdammt – die Lazarethordre ist streng.« Der Graf öffnete halb die Thür. »Ist der Gartenweg zur Lazareth-Terrasse frei?«

»Ich sandte Jovas, den Diener, dahin. Die Signori's müssen [356] fort und die Weiber auch sogleich. Mein Kopf ist verloren, wenn man die Odalisken hier findet.«

»Das ist Deine Sache, Freund Paswan, dafür bezahlten wir Dich. Aber meine Kameraden müssen in Sicherheit – General Sol hat den Teufel im Leibe, und die Sache würde zu großen Lärmen machen. Ich werde sie selbst entfernen, unterdeß lösche die Lichter aus und bringe die Weiber in Sicherheit. Ich hoffe, man wird nicht wagen, in eine französische Privatwohnung einzudringen.«

Einige Worte unterrichteten die Offiziere. Während man die Lichter bis auf eins oder zwei auslöschte, beobachtete man durch die Jalousieen die Wasserseite. Zwei große Kaïks hielten in der Entfernung von etwa 50 Schritt regungslos auf den Wellen.

»Fort mit Ihnen, meine Herren! ich geleite Sie über die Terrassen. Morgen sehen wir uns wieder.«

Die Lorette klammerte sich an den Grafen, »Du wirst mich nicht verlassen, Guillaume! Mir graut vor der unbekannten Gefahr!«

»Keine Sorge, mein Kind – wir haben Nichts zu fürchten hier im Hause. Was es auch sei – kein Türke wagt die Frauengemächer zu betreten. Nur unsere Freunde will ich fortschaffen.«

Er riß sich los von ihren umschlingenden Armen. Die Offiziere hatten ihre berauschten Kameraden empor gerissen, ihre Kleider zusammengerafft und folgten ohne Abschied eilig dem Capitain 4.

Die armen verlassenen Geschöpfe sahen, traurig und ängstlich geworden, ihnen nach, indem sie sich eilig wieder in ihre Gewänder zu hüllen suchten. Der Kiradschia stand beobachtend an der Jalousie.

Die Nedela war verschwunden.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Ruderer hielten mit leisem Schlag einen großen Kaïk auf seiner Stelle fest. Die Augen des Mannes, der hoch aufgerichtet im Boot stand, waren mit flammender Wuth auf die Fenster der Villa gerichtet. Schwarze Gestalten, Schlingen in den Händen, die Handjars im Gürtel, kauerten mit teuflischem Grinsen auf den verzerrten zwitterhaften Gesichtern um ihn.

In dem zweiten Boot dicht neben an lehnte über den Rand Wassili, der griechische Diener des Pascha's von Varna – Vaso, der Bräutigam Nausika's, der er in eifersüchtiger und ohnmächtiger Liebe bis zum Harem des Türken gefolgt. Er war bleich und zitterte heftig.

»Allah sei Dank,« sagte der Pascha, »wir kommen zur rechten Zeit, ihre Lust zu stören. Du kennst meine Befehle?«

»Ja, Hoheit.«

»Du bist ein treuer Diener, Wassili, und ich würde Dich zum [357] Aufseher meines Hauses machen, wenn Du kein Dschaur wärest. Aber bei dem Barte meines Vaters, ich bin noch Muselmann genug, mich zu rächen, wenn ich auch die großen Städte dieser Franken gesehen habe. Du weißt also, daß der Inglis, mein Gast in Varna, jenen Pavillon bewohnt?«

»Du sagst es, Herr!«

»Und die Weiber sind nicht bei ihm?«

»Nein, Hoheit. Der Bulgare, der das Haus verwaltet, führte sie zu den Aga's der Franzosen.«

»Mögen ihre Väter verdammt sein. Der Hund soll ihr Schicksal theilen und der Aufseher der Weiber dazu, der seine Pflicht vernachlässigte. Du zähltest ihrer fünf und die Nedela ist dabei?«

Der Grieche zauderte einige Augenblicke, bevor er antwortete. »Ich weiß es nicht, Hoheit, ich kenne nur die Zahl, die hierher kam. Das Haremlik ist Deinem Diener verschlossen.«

»Lahnet bi Scheitan! ich kenne ihren intrignanten Geist und ihr wollüstiges Herz. Sie hat die Sclavinnen verführt. Ich wollte, der Engländer hätte sie behalten, oder ich wäre nicht der Thor gewesen, die Weiber mit nach Stambul zu nehmen, daß sie mir in den Bart lachen, wenn der Großherr mich auf die Reise sendet. Sie müssen sterben, wie ich befohlen.«

»Aber die Offiziere – die Franken?«

»Sie werden es nicht wagen, sich zur Wehr zu setzen. Wenn es sein muß, knebelt sie, aber tödtet sie nicht, ich habe es dem Tschauschi-Baschi gelobt, als er mir die Tschokadars und Verschnittenen lieh, den mir angethanen Schimpf zu rächen. Korkma! es ist keine Gefahr dabei, wenn Du treu und vorsichtig bist. Niemand wird uns erkennen, meine Rückkehr ist noch unbekannt, darum sandte ich Dir Botschaft, mich an den süßen Wassern zu erwarten. Eile Dich, Wassili – sie löschen die Lichter aus – sie haben uns bemerkt! Vorwärts!« Er klatschte leise in die Hände und die Kaïks schossen im Nu an die Marmortreppen, wo sie bereits zwei der Männer fanden, welche die Zugänge vom Lande her bewacht. Im nächsten Augenblick waren alle Ausgänge umstellt und ein kräftiger Tschokadar sprengte mit dem Brecheisen die Pforte, durch welche Wassili mit den schwarzen Eunuchen in's Innere drang.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

An sein Lager gefesselt lag der Grieche Caraiskakis – der Letzte der drei Brüder. Eine fieberhafte Unruhe leuchtete und glühte in seinem Blick, es war, als ränge das Leben in Folge eines unbekannten magnetischen Einflusses nach der Sprengung der Bande.

Der Jubel des Bachanals war durch die offenen Jalousieen von der Villa zu ihnen deutlich herüber geklungen. Der Baronet hatte schon hundert Mal die unruhige Nachbarschaft verwünscht, die seiner Meinung nach die Genesung des Gelähmten störte. Scharfsichtiger als er, hatte der Araber, der von seinem Burnus[358] bedeckt auf einer Bastmatte im Winkel des Gemachs lagerte, bemerkt, wie häufig eine dunkle Röthe die Stirn des Griechen überzog, wenn ein helles frivoles Gelächter von drüben herüber schlug.

Der Baronet hatte dem Kranken die neuesten Nachrichten der Tagesblätter vorgelesen, die Fortschritte der Belagerung nach dem verunglückten Sturm auf den Malachof, die Abberufung Canrobert's nach Paris auf den Wunsch Pelissier's, den Zug der Russen gegen Kars und die Bestimmung Omer-Pascha's nach Kleinasien.

Das Journal war auf den Tisch gesunken, seine Hand stützte das Haupt – seine Gedanken schweiften hinüber nach der bedrängten Stadt, nach dem Schatz, dem jetzt all sein eigensinnig beharrliches Streben galt.

Die Zeichen der Orgie drüben waren verstummt.

Plötzlich unterbrach ein wilder Schrei, der Hilferuf einer weiblichen Stimme, die Stille der Nacht.

Edward Maubridge horchte auf, auch der Emir hatte sich halb erhoben.

Abermals gellte der Schrei wild – verzweifelnd durch die Nacht: »Zu Hilfe, Bretanne! zu Hilfe!«

Im Nu war der Baronet empor. »Was geht dort vor? Laß uns zum Beistand eilen, tapferer Emir!« Er hatte ein Pistol ergriffen und eilte die Treppe hinab,Abdallah, seinen Ruf begreifend, folgte ihm mit einem Sprung.

Die Thür aus dem Pavillon war von Außen versperrt.

Gregor Caraiskakis blieb allein!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Abdallah und der Baronet hatten, nachdem ihr Bemühen sich vergeblich gezeigt, die Thür zu öffnen, eines der Fenster des Erdgeschosses aufgerissen und sprangen auf die Terrasse. Eine Gestalt huschte im Schatten der Nacht an ihnen vorüber, während sie weiter liefen, eine zweite folgte lautlos, aber jammernde Laute und das Geräusch eines Ringens riefen sie zu Hilfe und sie eilten über den Hof, der den Pavillon von dem Vordergebäude trennt, und drangen in die untere Halle, die sich auf der andern Seite nach dem Wasserthor öffnet.

Der Anblick, der sich ihnen bot, war seltsam genug.

Ein vierrudriger Kaïk hielt dicht an den Stufen der Halle und in dem Sternenlicht sah man wenige Schritte davon in der Meeresfluth auf den gestemmten Rudern einen zweiten größern halten.

Fünf sackartige Ballen lagen auf den Marmorfliesen des Bodens, krampfhaft sich windend und schlagend, und ein dumpfes verzweifeltes Stöhnen drang von ihnen her. Sie schienen eben die Treppe herab aus dem ersten Stockwerk geschleift und mehrere schwarze Gestalten waren bemüht, sie in den Kaïk zu werfen, während [359] andere einen Mann zu dem Boot zerrten, der heftig widerstrebte. Am Boden nahe dem Eingang lagen gebunden und geknebelt zwei Menschen.

Vier Männer traten den Eindringenden sogleich entgegen, ihre blanken Wehren funkelten im matten Licht vom Eingang.

»Was geht hier vor? Fort mit Euch, Raubgesindel, oder ich feuere!«

»Zurück, Dschaur! Gebt Freiheit der Gerechtigkeit des Padischah!«

»Zu Hilfe, Excellenza! Rettet Euern Wirth!« Es war die Stimme des Kiradschia, welche flehte.

»Hund ohne Leber! Allah verbrenne Deine Zunge!« schrie der Tschokadar, der den Alten vorwärts zerrte, und holte zum Streich mit dem Yatagan aus.

Der Schuß des Baronets traf den Einen der Eunuchen, während der junge Araber vorwärts stürzend in den weiten Falten seines Burnus den Hieb auffing und den Alten den Händen seiner Bewältiger entriß.

Ein starkes dreimaliges Händeklatschen gab, so bald der Pistolenschuß gefallen, vom größern Kaïk her das Zeichen zum eiligen Rückzug. Die schwarzen Eunuchen warfen eben den letzten der seltsamen Ballen in den heftig schwankenden Kahn und sprangen nach. Ein schriller Schrei als Signal, dann stürzten sich die Zurückgebliebenen in das Wasser, und das Boot, von den aufgestemmten vier Rudern getrieben, schoß weit ab vom Lande zu seinem Genossen. Als der Baronet und sein Gefährte auf die Marmorbalustrade des Wasserrandes sprangen, sahen sie die Köpfe der Schwimmenden bereits an den Seiten des größern Kaïks emportauchen, die Arme sich festklammern und beide Boote dann wie streichende Möven nach der Mitte der Meerenge zu verschwinden.

Wenige Augenblicke darauf, während sie ihnen noch nachstarrten, hörten sie über das Wasser her ein schweres Aufplätschern, wie von dem Fall eines großen Körpers in die Wellen –

Dann ein zweites – ein drittes –

Fünf Mal wiederholte sich der Ton, den die Wasserfläche als Leiter des Schalles zu ihnen herüber trug. Der alte Bulgare an ihrer Seite zitterte heftig, als er sie zurückzog in das Innere des Hauses, und ohne ihren Fragen Rede zu stehen, hastig die gesprengte Pforte zu schließen versuchte und eine Lampe anzündete.

In ihrem Schein erkannte man in den beiden geknebelten Gestalten an der Wand das alte griechische Weib, das mit dem Kiradschia und einem in Therapia wohnenden Burschen die Miether des Hauses bediente, und den französischen Offizier, den Beschützer und Geliebten der Bojarenfrau. Der Baronet, noch immer an einen bloßen Raubanfall glaubend, löste mit dem Kiradschia möglichst rasch seine Bande, wobei er bemerkte, daß die Brust des Offiziers wie von einem eben bestandenen heftigen Ringen keuchte. [360] Kaum war der Knebel aus seinem Munde gelöst, so stieß der Capitain den Namen seiner Maitresse aus, schaute mit wildem Blicke umher und stürzte die Treppe hinauf zu dem großen Gemach, in welchem noch kurz vorher die Orgie stattgehabt, der Uebermuth und die Wollust das Scepter geführt.

Die Andern waren ihm gefolgt, Abdallah den blutenden Arm, den der Yataganhieb des Tschokodars durch die Gewänder verletzt, mit diesen umwindend.

Aber der Ruf »Celeste!« fand keine Antwort.

Das Gemach bot einen Schauplatz der ärgsten Unordnung und Zerstörung dar, nur noch durch die von der Decke hängende Ampel erleuchtet. Der Tisch in der Mitte war umgestürzt, Fetzen der bunten Feredschi's und der weißen Schleier der Frauen lagen überall hin zerstreut, ein wildes Jagen und Ringen hatte offenbar stattgefunden. Der zitternde Kiradschia reichte dem Offizier ein zerrissenes Frauenhäubchen, das er aus einem Winkel aufhob und das an den Bändern leicht als das der unglücklichen Lorette zu erkennen war. Vergeblich blieb das Suchen in allen Zimmern, man fand in einem derselben nach den Terrassen zu eine Jalousie geöffnet, doch nirgends weiter eine Spur von ihr.

»Wir müssen den Kommandanten der Lazarethwache wecken und ihnen nachsetzen,« rief der Offizier endlich. »Welches Recht sie auch an die andern Frauen haben mögen, sie haben mit ihnen eine Französin entführt und sie muß befreit werden.«

Der Kiradschia hielt ihn zurück. – »Excellenza – es ist zu spät. Das Unglück ist geschehen und wir mögen aus unsere eigene Sicherheit bedacht sein, wenigstens was mich betrifft; denn meines Bleibens ist nicht länger in Stambul. Die Ihr retten wollt, liegt bereits todt auf dem Grunde des Meeres. Wir selbst hörten den Fall der fünf Opfer.«

»Entsetzlich!« stöhnte der Graf, »und wir verließen sie, statt sie zu vertheidigen! Aber Du sprichst von fünf – sechs Morde haben die Barbaren begangen!«

»Fünf Mal nur tönte der Fall in's Wasser,« entgegnete der Engländer. »Als wir, durch die versperrte Thür aufgehalten, Ihnen zu Hilfe eilten, floh eine Gestalt an uns vorüber nach dem Pavillon zu.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Durch das geöffnete Fenster hatte sich lautlos, um die andern Mörder nicht aufmerksam zu machen, das fliehende Weib in das Innere geschwungen und stürzte, nur von einem Manne verfolgt, in das Vordergemach. Ihr Fuß glitt aus, noch ehe sie die Thür gegenüber erreichen konnte, und sie fiel zu Boden. Im Nu war der Verfolger an ihrer Seite und riß an den langen Flechten ihr entsetzenbleiches Haupt zurück.

»Erbarmen! Hilfe! – Wassili – Du? – und Du willst mich morden?«

[361] Der junge Diener schlug ein gellendes Hohnlachen auf. »Wassili? – Hast Du nur Blicke für Deine Buhler, Tochter Jani's, des blutigen Rächers von Smyrna?« – Er riß das Pflaster von seinem Auge. – »Hat die falsche Farbe des Haares, der Gram der drei Jahre den Gespielen Deiner Kindheit, den Mann, dem Dein Vater Dich verlobt, so ganz aus Deinem Gedächtniß gerissen?«

»Vaso!?«

»Ja, Vaso – den ein Jahr lang in Deiner Nähe Qual und Eifersucht verzehrt haben, der sah, wie Du die Buhlerin warst der Feinde und Unterdrücker meines Volkes, des kaltherzigen Inglesen, des grausamen Türken. Du, seines Harems Erste und doch Nichts als die Sclavin seiner Lüste! Und jetzt die Buhlerin der prahlerischen Franzosen, die unsers Glaubens Schützer bekriegen! – Ich war es – ich – der zertretene vergessene Wurm – der Deine nächtlichen Wege belauschte, während das Gold die Augen Eurer Wächter bestach! Ich war es, der Sali's Rache hierher rief! Mein Auge verfolgte Dich, als Du unbemerkt Deiner Strafe zu entrinnen gedachtest – meine Hand hat Dich ergriffen, – Du mußt sterben, Nausika, damit das höllische Feuer aufhört, mich zu verzehren!«

Er hob die Hand mit dem breiten Dolchmesser bewaffnet zum Stoß auf den nackten Busen – schlaff, in Todesfurcht sanken die Arme der abtrünnigen Buhlerin nieder, auf ihren bleichen Lippen verstummte der letzte Schrei – –

Aber eine Hand erfaßte die Waffe und entriß sie der seinen, – ein Arm stieß den in den Qualen der lang unterdrückten Eifersucht fast wahnsinnigen Mann zurück – zwischen ihm und seinem Opfer stand Gregor Caraiskakis, finster, drohend, die Hand bedeutungsvoll erhoben. – Der Ruf Nausika's hatte die Bande der Lethargie gesprengt, wie es der deutsche Arzt voraus gesehen.

»Kennst Du mich?«

»Capitain Caraiskakis?« – Sein Daumen schlug das Verbrüderungszeichen der Elpis.

»So wage es nicht, das Blut dieses Weibes zu vergießen – um ihres Erzeugers willen, Deines und meines Freundes! Das Leben ist das einzige Gut der Gesunkenen. Bei dem Zeichen, das uns verbündet, rette sie vor ihren Verfolgern.«

Die Nedela, ihn erkennend, hatte sich zu seinen Füßen geworfen und umschlang sie schmeichelnd. – »Mein Gebieter, mein Freund! Nausika ist glücklich, daß sie Dich gefunden, Licht ihrer Augen! Sie wird die treue Sclavin sein Deines Willens!«

Der bleiche Patriot sah mit verächtlichem Blick auf sie nieder; sein Fuß machte sich frei von ihr und stieß sie zurück. – »Als ich Dich retten wollte und Dir meinen Namen geben um des Märtyrers, Deines Vaters willen, führtest Du mich zum Morde! Als ich das Blut Deines Buhlers vergossen, riefest Du die Schergen[362] des neuen zu meiner Verfolgung und warfest Dich zum zweiten Mal in die Arme des verfluchten Geschlechts, das Deinen Vater getödtet. Geh' – meine Schuld an Dir ist gelöst und jene Nacht im Fanar zum Fluch an mir geworden; die Geliebte Gregor Caraiskakis' durfte einzig das Vaterland sein!«

»Was gebietest Du, Capitano, daß ich thun soll?«

»Führe sie mit Dir, aber sichere ihr Leben; – thue mit ihr, was Du willst, was sie verlangt. – Nimm!« – Er kehrte mit festem Schritt in das zweite Gemach zurück, nahm aus dem Schrank des Briten eine Börse voll Geld und warf sie mit der leichten Seidendecke, die sein Lager bot, der Odaliske zu. Vaso reichte ihr die Hand. – »Komm!« sagte er.

»Wohin?«

»In Sali's Harem zurück, wenn Du willst. Du kannst es sicher betreten, denn eine Andere hat Deine Stelle auf dem Meeresgrunde eingenommen, und Dein lügnerischer Mund wird ihn leicht überreden, wenn er von Stambul zurückkehrt und Dich findet, daß Du es niemals verlassen. – Oder laß uns zusammen fliehen nach Demetri in's Griechenquartier und uns dort verbergen, bis wir nach unserer Heimath entweichen können. Die Panagia wird mir helfen, zu vergessen, was Du gewesen bist!« Die alte Liebe hatte in dem schwachen, lenkbaren Herzen des jungen Mannes wieder die Oberhand gewonnen.

Sie hüllte sich in die Decke und blickte auf ihn und den Capitano. – »Komm!«

»Wohin, Nausika?«

»Ich heiße Nedela und bin nicht für Dein Elend geboren. In das Harem Sali's!«

Caraiskakis wandte sich verächtlich ab; er wies stumm nach dem Aufgang zur Plattform des Daches, von der man zur obern Terrasse gelangen konnte. Die abtrünnige Odaliske folgte mit festem Schritt ihrem Begleiter, um, zwischen den Mauern der Gärten niedersteigend, einen Kaïk zu suchen, der sie zurück an's andere Ufer führen sollte. – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wenige Minuten, nachdem sie verschwunden, kehrte der Baronet, von Abdallah, dem französischen Offizier und dem Kiradschia begleitet, nach dem Pavillon zurück. Zu ihrem höchsten Erstaunen fanden die beiden Ersten den Kranken bleich, aber im vollen Wiederbesitz seiner Glieder und seiner Sprache, auf dem Lager sitzen, das ihn so lange als eine lebendige Leiche getragen.

»Mashallah! Ein Wunder ist vor meinen Augen! Gesegnet sei die Stunde Deiner Auferstehung!«

»Was ist geschehen, was hat sich ereignet? – Sie sind genesen, mein – mein Schwager?« Der Baronet streckte zögernd die Hand nach ihm aus. Caraiskakis ergriff sie ernst, doch freundlich, während er seine Linke dem Araber reichte. Doch der junge [363] Mann, der sein erstes Staunen bewältigt, trat einen Schritt zurück. »Warum zögert Abdallah ben Zarujah, die Hand eines besiegten Feindes anzunehmen, nachdem er ihm hundert Wohlthaten erwiesen?«

Der junge Scheik kämpfte sichtlich mit sich selbst. »Du bist ein tapferer Christen-Aga,« sagte er dann; »aber Dein Antlitz erinnert mich an Einen, der die blutige Rose von Skadar mir gestohlen und verschwunden ist mit ihr und Scheitan, ihrem Hunde, ohne Spur seit dem Tage, da die Christenheere vom Bjelbek nach der großen Feste der Moskows zogen. Ich muß wissen, was aus Fatinitza, der Rächerin, und dem Manne geworden ist, den ich gefangen nahm und den sie von mir forderte für das Kleinod der Zarnjah.«

»Wenn Du meinen Bruder Nicolas meinst, tapferer Emir, der, wie ich vernommen, ein Türkenmädchen aus Skadar liebte,« sagte der Grieche nach einigem Sinnen, »so kann ich Dir keine Auskunft über ihn geben. Er zog nach Ssewastopol in der Zeit, die Du erwähnst, mit einem wichtigen Auftrag, aber keine Kunde ist seitdem zu mir gedrungen von ihm, trotz allen Forschens.«

»Die Albanesen, die ich zurückließ, sahen ihn, das Weib und den Hund hinausfahren auf schwankem Boot in die Wüste der Gewässer.«

»Dann frage Den da,« sprach finster der Grieche, indem er auf den Baronet wies; »er erzählte ihr Schicksal in Deiner und meiner Gegenwart, ohne daß ich wußte, wen es betraf. Sie Beide, die Du suchst in Haß und Liebe, ruhen längst auf dem Felsenboden des Meeres vor Ssewastopol. Auf dem Schiff, das ihn damals trug, sah man sie versinken, das Weib, den Mann und den Hund, an dem Morgen nach dem Tage, von dem Du sprichst.«

Er schwieg, – der Araber reichte ihm jetzt die Hand, dann verhüllte er das Gesicht mit dem blutigen Burnus, den er trug. Nur Paswan, der Kiradschia, hatte von den Anwesenden das Gespräch verstanden, das in türkischer Sprache geführt worden. Nach einer Weile näherte er sich mitleidig dem jungen Scheik, und versuchte seinen Arm zu entblößen, um nach der Wunde zu schauen, die ihm der Handjar des Tschokodars geschlagen.

»Edward Maubridge,« fuhr der Grieche, zu diesem gewendet, mit feierlicher Stimme fort, »der allmächtige Wille Gottes hat mich zum Leben auferstehen lassen durch die Gefahr Einer, die wir Beide in Sünden kennen. Frage nicht und forsche nicht nach ihr, so wenig, wie ich fragen mag, wie sie hierher gekommen, wir haben mit Wichtigerem unsern Geist zu beschäftigen. Wir Beide haben schwer gefehlt, laß uns vergeben, um Diona's willen. Das Kind, das Du suchst, der Knabe meiner Schwester und der Erbe Deines Namens ist in Ssewastopol, so Gott ihn seit meiner Verwundung beschützt hat, wohl und kräftig, in der Familie des Popen Basili Polatnikow, des Kaplans des ›Wladimir‹. Ehe wir scheiden für [364] immer, will ich ein Schreiben in Deine Hand legen, auf welches das Kind und jede Legitimation Dir ausgeliefert werden soll. Mache gut an ihm, was Du an seiner Mutter verbrochen.«

»Bei der Ehre meines Namens,« sagte der Baronet mit Kraft, »es soll der einzige Zweck vom Rest meines Lebens sein. Auch mich hat die Hand Gottes schwer getroffen, und sein Auge sieht die Reue eines Mannes. Warum aber willst Du – jetzt mein Bruder – mich wieder verlassen und zu jenem unseligen Kampfe zurückkehren, der uns so Vieles geraubt hat?«

»Nicht zum Kampf – nicht in die Schlacht! Ich bin ein Sohn des Unglücks, und habe Verderben gebracht über Alle, die ich liebte: Diona – Janos – dem deutschen Freunde, ihr, der Gefallenen und dem letzten Bruder, den ich hatte. Mein Arm ist nicht mehr gemacht für den Kampf des Kreuzes, und wenn ich diese Stätte verlasse, geht mein Weg zum Athos, zu den Klöstern meines Volkes. Auf jenen freien Felsenhöhen wird Gregor Caraiskakis sein Leben schließen im Gebet für den Sieg, den Triumph seines Vaterlandes und die Seelen Derer, die ihm vorangegangen.«

Er schwieg – das Haupt in die Hand geneigt. Selbst der französische Offizier wagte es nicht, die Stille zu unterbrechen, obgleich er wenig von Dem, was um ihn her vorgegangen, begriffen. Er sah, daß von Celeste auch hier keine Spur zu finden, und das schreckliche Schicksal, dem sie im Augenblick des höchsten Uebermuths verfallen, machte ihn schaudern und einen tiefen Eindruck auf sein Gemüth. Wir wollen hinzufügen, daß am andern Morgen alle Nachforschungen der französischen Behörden natürlich keinen Erfolg hatten, und daß der Graf nach der Einnahme Sebastopols als ernster und geprüfter Mann nach Frankreich zurückkehrte, während die meisten seiner Kameraden bei der furchtbaren Orgie auf den Wällen des Malachof sielen. –

Erst der Kiradschia störte nach einer Weile die Stille. Er hatte den Arm seines Lebensretters halb mit Gewalt entblößt und die Wunde untersucht, als plötzlich seine Hand zu zittern begann, und er aufmerksam, fast erschrocken in das ernste Antlitz des jungen Scheik sah. »Was ist das? Um der gebenedeiten Mariam willen, die auch Du verehrst, Emir, was bedeutet dies Zeichen?« Sein Finger wies auf zwei verschlungene Buchstaben, die auf der Schulter des jungen Arabers blau eingeäzt waren. »Wie kommt das Namenszeichen meines Freundes Melek Ibrahim, des Oda-Baschi der Zagrandschi's auf Deinen Arm?«

»Meine Mutter stach es mir ein, da ich ein Knabe war, zum Gedächtniß ihres verlorenen Bruders, der es gleichfalls auf seiner Schulter trug.«

»Und Deine Mutter – sprich – woher kam sie, wie heißt sie?«

»Zuleika, Freund. Mein Vater fand sie als fünfjähriges Kind, halb todt, verschmachtet auf dem Wege der Karavane zur Kabah von Mekka. Ein hartherziger Sclavenhändler hatte die Kranke [365] dort zurückgelassen. Mein Vater, damals ein Jüngling, wie ich, führte sie zu den Zelten unsers Stammes und nahm sie sechs Sommer später zum Weib, da sie schön geworden, wie der Duft der Blumen aus den Oasen.«

»Und sie – woher kam sie, weiß sie sich Nichts aus ihrer Kindheit zu erinnern?«

»Du siehst, Freund, daß sie des Zeichens gedachte, das ihr Bruder trug. Sie wußte, daß sie über's Meer gekommen, und daß ihr Vater einer der tapfern Jenethtschjieri gewesen, die der Wille des Großherrn verflucht hat. Die Männer der Wüste kümmern sich nicht um den Zorn des Padischah, und da mein Vater ein Tapferer war, nahm er die Tochter eines Tapfern unter seine Frauen.«

»Lebt sie noch?«

»Zuleika, die Gattin Omars, weilt unter den Lebendigen und harret der Heimkehr ihres Erstgeborenen. Aber die Gebeine meines Vaters ruhen in der Wüste von Yemen, und das Blut der verfluchten Magrebi ist geflossen, sie zu rächen.«

»Ich glaube Dir, Emir, – aber höre mich an, Sohn! Der Vater Deiner Mutter lebt, er beweint seine Kinder, und Dich zu schauen, seinen Enkel, würde Wonne sein für die greisen Augen!«

Der Emir sah ihn erstaunt an. »Deine Worte sind süß für mein Ohr, alter Mann. Doch der weise Lokmann sagt: Glaube nicht Das, was Dir wohlklingt, bevor es die Probe bestanden.«

»Bei Deinem und meinem Gott, Emir, es kann kein Zweifel hier sein. Melek Ibrahim, der Oda-Baschi, wohnt in den Felsenklüften des Balkan bei meinem Volk und wird Dich gern als seinen Enkelsohn erkennen. Ich verlasse morgen in aller Frühe diesen Ort und ziehe nach Norden, denn hier droht mir Gefahr nach Dem, was diese Nacht geschehen. Komm' mit mir, wenn Du kannst, und nimm das Erbe, das wir für Dich bewahrt haben.«

Der Emir reichte ihm die Hand. »Mein Kismet hier ist erfüllt,« sagte er traurig. »Achmet, mein Milchbruder, führt die Leute meines Stammes an meiner Statt, die, wie ich vernommen, Iskender-Pascha nach Batum gefolgt sind. Ich bin frei und werde Dich begleiten. Vielleicht, daß das Wort eines weisen Greises Frieden gießt in meine Seele, die tief betrübt ist. Ruhe jetzt, alter Mann, von den Schrecken des Abends, Abdallah wird für Euch wachen und am Morgen mit Eidunih, seiner Stute, bereit sein!«

Er setzte sich auf die Schwelle des äußeren Gemachs und schaute über den offenen Balkon hinaus auf die im Sternenlicht tanzenden Wellen des Bosporus.

Wie hier die buhlerischen Odalisken, die leichtfertige Tochter des fernen Paris, – so deckten sie dort im Norden das Weib seiner ersten Liebe. – Fahre wohl, junger Ritter der Wüste!

Fußnoten

1 1350.

2 Divisions-Generäle.

3 Redan.

4 Es ist Thatsache, daß eine Gesellschaft französischer Offiziere die Frauen, die sie aus einem Harem zu sich gelockt, ohne Weiteres verließ und der Rache des beleidigten Türken preisgab.

Der Malachof
[366] Der Malachof.

Wir sind am Schluß unsers Buches – noch ein Mal rollt der Vorhang auf, Dir flüchtig die blutigsten Bilder zu zeigen; – dann, Leser, scheiden wir! –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Sturm am 6. Juni hatte nicht blos die Lünette Kamtschatka – den Mamelon – sondern auch die beiden andern vorgeschobenen Werke, die Selenginski-und Vohlinski-Redoute nach einem heftigen Kampf und Blutbad in die Hände der Franzosen gebracht. Sie verloren an 3000 Mann, darunter den General Lavarande, die Russen nicht viel weniger mit dem General-Major Timotjef. Die beiden Redouten wurden gesprengt, der Mamelon unter dem Namen Brancion-Redoute zu einer Batterie gegen den Malachof umgewandelt. Bosquets Lorbeeren ärgerten jedoch General Pelissier und er entfernte ihn daher vor dem beabsichtigten großen Sturm, indem er ihm den Ober-Befehl der Tschernaja-Linie übertrug.

Man schien absichtlich den Jahrestag der napoleonischen Erinnerungen zu wählen, selbst der traurigen, und da zum 14. – dem Tag der Schlacht von Marengo – die Vorbereitungen nicht vollendet werden konnten, wählte man den 18. – den Tag von Waterloo – zum Sturm auf den Malachof, um den Engländern zu zeigen, daß man zu siegen verstehe. Aber das Schicksal hatte es anders bestimmt. Die Divisionen Mayran, Brünet und d'Autemarre – das Bosquet'sche Corps war zum großen Nachtheil für den Erfolg durch die Eifersucht Pelissier's getrennt – mit der Garde sollten den Malachof, die Engländer den Redan angreifen, nachdem am Morgen des 17. auf der ganzen Belagerungslinie ein heftiges Bombardement eröffnet worden, während dessen 20,000 Kugeln und 10,000 Bomben von den Franzosen auf die Festung geworfen wurden.

Aber die Russen waren auf den Angriff vorbereitet und, wie heldenmüthig auch der Ansturm der Franzosen war, die zwei Mal bis in das Werk drangen und sich in der Vorstadt festsetzten, sie [367] wurden mit furchtbarem Verlust geworfen, da sie ohne Unterstützung durch die Engländer blieben, deren Angriff vollkommen verunglückte. General Mayran fiel, Brünet wurde durch die Brust geschossen, fast sämtliche Regiments-Commandeure waren verwundet, die Franzosen verloren als kampfunfähig gegen 6000 Mann, die Engländer an 2000; auch der russische Verlust betrug 5000. An einzelnen Stellen um den Malachof lagen die französischen Leichen vier Ellen hoch übereinander; die Bedienungsmannschaften der Geschütze im Malachof hatten drei Mal ersetzt werden müssen; von der Compagnie des tapfern Szewski-Regiments, wel che die Batterie Gervais vertheidigt, waren noch 35 Mann am Leben. – Entsetzlich waren die Scenen, die sich bei dem von den Alliirten begehrten Waffenstillstand zur Beerdigung ihrer Leichen zeigten. Die Geier hatten sich auf dem Schlachtfelde bereits gesammelt; ein Augenzeuge berichtet, daß er auf dem Wahlplatz einen englischen Offizier fand, der, tödtlich getroffen, noch Kraft genug hatte, in der krampfhaft geballten Faust einen Vogel zu erwürgen, der an ihm zu nagen begann.

Mit dem verunglückten Sturm auf den Malachof trat gewissermaßen eine Pause in der Heftigkeit des Kampfes ein; man begnügte sich, die Belagerungsarbeiten fortzusetzen, mit der Sappe immer näher und näher an die Festungswerke heran zu dringen und den Kreis der Trancheen enger zu schließen. Die Länge derselben betrug zu dieser Zeit bereits 17 Stunden; 85 französische Batterieen waren errichtet, freilich nicht ohne den bedeutendsten Verlust, denn der Bau der einzigen Batterie Nr. 22 mit nur 3 Geschützen kostete allein 865 Mann. Der Minenkrieg begann gegenseitig jetzt nach allen Richtungen zu spielen, auf russischer Seite von dem Stabs-Capitain Melnikoff geleitet, der in Totlebens Stelle trat, als dieser zu Anfang Juli am Fuß verwundet wurde und gegen Ende August, noch nicht geheilt, doch wieder in den Werken erschienen auf's Neue erkrankte, und auf Befehl des Fürsten Gortschakoff nach Symferopol gebracht wurde. Mit welcher Aufopferung die Soldaten an dem berühmten Schöpfer der Vertheidigung von Sebastopol hingen, beweist der Zug, daß, als während des Sturmes vom 18. auf den Malachof eine 7 Pud schwere Bombe gerade neben dem General niederfiel und der Luftdruck ihn ohnmächtig zu Boden warf, sechs Soldaten herbeisprangen und ihn mit ihren Körpern deckten. Fünf wurden augenblicklich getödtet, der sechste schwer verwundet, während Totleben damals mit einer leichten Contusion davonkam.

Am 11. Juli, Abends 8 Uhr, fiel der Dritte des Heldenkleeblatts der russischen Admiräle: Nachimoff, als er von der Brustwehr des Malachof die Feinde recognoscirte. Wie an Lord Raglan's Begräbniß, der am 28. Juni an der Cholera gestorben, die Russen ihre sämtlichen Geschütze schweigen ließen, so ehrten die Franzosen mit gleicher stummer Huldigung das Andenken des tapfern [368] Gegners. Sechszehn Stunden hatte er nach seiner Verwundung in den Kopf noch gelebt; als er sein Ende fühlte, wandte er sich zu den Matrosen der 39. Tschernanor'schen Flottenequipage, die ihn schluchzend umringten mit den Worten: »Kinder, vergeßt nicht, das Kreuz (die Kriegsflagge) vor dem Feind wie bei Sinope an den großen Mast zu heften!« Sein Tod machte auf die ganze Besatzung den tiefsten Eindruck und stimmte sie zu verzweifeltem Muth. Als der Sarg in die Gruft der Wladimir-Kathedrale sank, schwor General Chruleff: »Dein Denkmal, braver Seemann, soll Berge feindlicher Leichen werden!« und: Da budet tak! (So soll es sein!) rollte durch die beiwohnenden Regimenter.

Die Zahl der tapfern Seeleute in der Festung war gewaltig geschmolzen, obschon am Tage vor dem Sturm 2000 Matrosen der vernichteten Flotte des Azow'schen Meeres eingerückt waren. Von den 36 Marine-Offizieren, welche bei Beginn der Belagerung die Batterieen kommandirten, war noch Einer kampffähig. Aber Begeisterung und fester Todesmuth erfüllte Offiziere wie Soldaten. Am 8. Juli weihte der Erzbischof von Cherson und Taurien, Innocenz, auf dem Catharinen-Platz die versammelten Truppen und reichte ihnen das Abendmahl. Sie schworen, auf ihrem Posten zu sterben. Im Laufe des Juli trafen die 7. und 15. Infanterie-Division in Ssewastopol ein, zu Anfang August aus Polen die 2. und 3. Division des berühmten Grenadier-Corps, so daß die russische Armee der Krimm trotz aller Verluste zu Anfang September wieder 160,000 Mann zählte. Fünfunddreißigtausend Arbeiter waren allnächtlich mit der Ausbesserung der Schäden beschäftigt, welche die Kanonade des Tages an den Wällen verübt, oder errichteten neue Vertheidigungswerke. Fortwährend suchten die Belagerten durch kleinere und größere Ausfälle die Arbeiten des Feindes aufzuhalten, die bedeutendsten erfolgten in der Nacht zum 25. Juli, 2. und 15. August. Am 28. verursachte eine russische Bombe im Mamelon eine furchtbare Explosion, die an 200 Mann tödtete und verstümmelte.

Auch die Verluste der Alliirten waren entsetzlich. Bis zum Juni hatten die Franzosen bereits 80,000 Mann durch Krankheit und Wunden vor Sebastopol eingebüßt, die englische Armee war zwei Mal fast vollständig erneut worden. Von den Anfang Mai eingetroffenen 15,000 Sardiniern waren nur noch 8000 kampffähig, 2000 schon bis zum 1. August an der Cholera gestorben. Die Miasmen, die sich aus den Leichenfeldern und aus der versumpfenden Tschernaja entwickelten, verbreiteten, im Verein mit dem acuten Wechsel der Witterung – während des Tages oft 31–34° Wärme, des Nachts kaum 3–4° – Seuchen, nachdem die Cholera im August nachgelassen, den Typhus und Scorbut in desto größerer Heftigkeit. Es wurden während des Monats täglich 6–800 Kranke auf den Schiffen in die Spitäler am Bosporus transportirt. Durch das Feuer der Russen, die durchschnittlich [369] in 24 Stunden 4000 Schüsse thaten und 600 Bomben warfen, war der Verlust in den Laufgräben, je mehr sie sich den Werken näherten, desto entsetzlicher.

Die Stimmung, die sich ziemlich offenkundig in der Armee kund gab, ließ nicht frei von Besorgnissen. Offiziere und Soldaten sahen sich nutzlos decimirt und als Beute von Krankheiten und Anstrengungen. Die täglichen Verluste in den Laufgräben, während mit jedem Morgen neue russische Werke aus der Erde zu wachsen schienen, ermatteten auch den Stärksten. Die Garden selbst schickten Deputationen an den Generalissimus mit der Bitte, ihr allzu auszeichnendes Lederzeug ablegen zu dürfen, und General Reynault forderte gleich heftig ihre größere Schonung, wie man früher auf ihre Theilnahme am Dienst bestanden; man verlangte mit dem Muth der Verzweiflung nach einem neuen allgemeinen Sturm, um zu sterben oder zu siegen, denn Allen graute vor einer nochmaligen Ueberwinterung und schwerlich hätte man sich dieser gefügt. Als auch der Napoleonstag, der 15. August, ohne den gehofften Sturm vorübergegangen war, kamen mehrmals Fälle der offenen Renitenz vor, wenn die Regimenter zum Laufgrabendienst beordert wurden. Dazu zeigten sich wieder häufig unter allerlei Verkleidungen Emissaire der revolutionairen Propaganda im Lager und begannen ihre Wühlereien. General Pelissier verkannte die Gefahr nicht und ergriff verschiedene Maßregeln, um die Aeußerungen des Mißvergnügens zu unterdrücken, da er zu gut einsah, daß er nicht Alles auf einen letzten entscheidenden Wurf setzen durfte, ohne dessen Erfolg möglichst gesichert zu sehen. Die erste Maßregel war die Ausweisung der französischen Correspondenten, selbst der officiellen Journale, die der Generalissimus am 14. Juli auf ein Schiff packen und nach Constantinopel bringen ließ; – freilich blieben die weit ungenirteren englischen zurück! In Kamiesch wurde eine förmliche Militair-Censur-Commission eingesetzt, welche alle abgehenden Briefe controllirte und jede Klage unterdrückte. Hierauf folgte die Entfernung Canrobert's, der, so oft er sich zeigte, der Gegenstand von Ovationen der Soldaten war. Der General inspicirte – es war am 26. Juli – gerade die Laufgräben, als Pelissier ihm in Abschrift eine Stelle aus der Depesche des Kriegsministers zugehen ließ, wodurch der Kaiser ihn, im Interesse seiner Gesundheit, zur Rückkehr aufforderte. Canrobert antwortete auf der Stelle, daß er sich nur einem ausdrücklichen Befehl fügen werde, und schon am 29. war dieser durch den Telegraphen da. Der General verließ am 4. August die Krimm, von seinem glücklichern Rivalen wenigstens beim Scheiden noch mit allen Ehren umgeben.

Schon lange vorher, ehe dies geschah, hatten die Belagerer einen neuen Angriff der russischen Armee von der Tschernaja her erwartet und vollkommen Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten und ihre Stellung zu befestigen. Er erfolgte am Morgen des 16. August – bekannt unter dem Namen der Tschernaja-Schlacht,[370] oder der Schlacht an der Traktir-Brücke. Die Russen stiegen unter den ungünstigsten Verhältnissen aus ihrer gedeckten Stellung in das Tschernaja-Thal nieder, überschritten den Fluß und gingen die gegenüber liegenden wohlbefestigten Höhen hinan, zuerst die Türken und die verschanzten Sardinier angreifend. Bald aber ließ sich, gegen die ausdrückliche Disposition des Oberbefehlshabers, General Read von seinem Ungestüm fortreißen, mit dem rechten Flügel die gesicherte überlegene Stellung der Franzosen an den Fedhujini-Bergen zu stürmen und hier die Schlacht zu engagiren. Drei Mal gewannen die Russen die Höhen, drei Mal wurden sie von Bajonnet und Kartätschen zurück geworfen, und der Tod mähte in ihren Reihen. General Read büßte seine Verwegenheit mit dem Leben – vier Stürme der Freiwilligen, um seine Leiche zu holen, warfen die französischen Kartätschen nieder; General-Major Weymarn, sein General-Stabs-Chef fiel – auf dem Rücken trug sein Adjutant, der gigantische Lieutenant Stolypine, den Körper des geliebten Führers aus dem Getümmel; an der Seite des russischen Generalissimus wurde GeneralWrewski getödtet, nachdem er, zwei Mal schon getroffen, verweigert hatte, sich zurückzuziehen. Nutzlos, vergeblich opferten die tapfern Grenadiere immer und immer wieder ihr Leben, bis GeneralKotzebue, die Unmöglichkeit des Gelingens, das Zwecklose des Blutbades erkennend, vom Pferde sprang und auf dem Sattel die Ordre zum Rückzug an die engagirten Divisions-Chefs schrieb. Eine Granate schlug neben ihm nieder und platzte, während sich die Umgebung eilig zurückgezogen, ihn mit einer Wolke von Staub und Splittern bedeckend. Als sie sich verzogen, sah man den General ruhig fortschreiben und erst, nachdem er geendet, das Blut von der Stirn trocknen.

Weit über 3000 Russen, 1100 Franzosen, an 900 Türken und 200 Sardinier deckten den Kampfplatz, das Flußbett war gefüllt mit Leichen. Die Sardinier verloren den General Montevecchio, auch von den französischen Führern waren viele verwundet, darunter der tapfere Oberst der dritten Zuaven, Polkes. – Auf die Belagerung selbst hatte die Schlacht keinen Einfluß.

Dagegen vermehrte sie die Spaltung zwischen den französischen und englischen Truppen, die schon nach dem Sturm am 18. Juni, dessen Mißlingen man den Engländern geradezu Schuld gab, bedeutend hervorgetreten war und sich in Uebermuth und Verhöhnungen auf Seiten der Franzosen offen kund gab. Die Erbitterung brach in hundert Zügen aus, als die englischen Soldaten das Tschernaja-Schlachtfeld, das nicht ihr Blut gekostet, auf eine so schaamlose Weise plünderten, daß 6 Stunden nach beendigtem Kampf nur die nackten Leichen noch dort lagen und General Simpson selbst in einem Tagesbefehl vom 20. seinen Truppen ihr Benehmen vorwarf. Man mußte zuletzt den französischen und englischen Soldaten verbieten, dieselben Schankboutiken zu besuchen.

Am 17. August ließ General Pelissier das Feuer auf's Neue [371] verstärken; während der zweiten Hälfte des Monats wurde in Kamiesch Tag und Nacht Munition ausgeladen und nach den Batterieen gebracht. Fortwährend trafen neue Verstärkungen ein, am 24. General Mac-Mahon, der geprüfte Afrikaner, 1840 noch Bataillons-Commandant der Vincenner Jäger, dann Oberst in Algerien, wo er sich, um sich vor dem Herzog von Orleans auszuzeichnen, auf einem Zug gegen die Kabylen an der Spitze seines Regiments auf den drei Mal stärkern Feind warf, sein rechtes Auge verlor, aber zum General ernannt wurde. Er trat an Canrobert's Stelle.

Die Zeit eilte – und der dem General Pelissier im Geheimen gesetzte Termin nahte heran; Depesche auf Depesche brachte der Telegraph und der hitzige, durch die nicht erfüllte Hoffnung auf den Marschallsstab am 15. August erbitterte General sandte die berüchtigte Antwort: »Sire, wenn Sie glauben, es besser machen zu können, so kommen Sie selbst!«

In den ersten Tagen des September endlich war man mit der Sappe so weit vorgedrungen, daß die Spitze der französischen Trancheen nur noch 30 Metres (90 Fuß) von den Werken des Malachof entfernt war; schon mehrere Tage konnten sich die Gegner sprechen hören. Der allgemeine Sturm wurde beschlossen.

Am 5. September begann die letzte allgemeine Kanonade, bestimmt, die Bastionen, – schon längst kaum mehr als ein Schutthaufen – vollends zusammen zu schmettern. Sechshundert französische und 200 englische Feuerschlünde größten Kalibers eröffneten ein Feuer, welches die Erde ringsum erbeben ließ und selbst in der Entfernung einer Viertelmeile nur in den Pausen gestattete, sich anders, als durch Zeichen verständlich zu machen.

Die Festung antwortete in gleicher Weise, obschon an vielen Stellen die Trancheen der Gegner so weit vorgedrungen waren, daß sie unter dem Niveau der Geschütze lagen. Die Zerstörung im Innern war furchtbar. Die Erde innerhalb der Werke und um sie her war von Kugeln so aufgepflügt, daß nicht ein Sandkörnchen an seinem Orte geblieben, sie war mit Flintenkugeln, Kartätschen, Granatensplittern, Kanonenkugeln und Bomben vollständig bedeckt. Wir führen beispielsweise bloß die Thatsache an, daß vom 22. Mai bis 10. Juni die russischen Soldaten und Matrosen auf der ganzen Vertheidigungslinie an Blei von feindlichen Kugeln 1960 Pud (78,400 Pfund) und 1015 achtzigpfündige, nicht geplatzte Bomben sammelten, aber das machte kaum ein Drittel, da zwei Drittel im Wall oder in den Mauern stecken blieben und nach der Stadt und den Buchten hinüber flogen. Schon im Mai waren gegen 500 Häuser von Grund aus zerstört, selbst das Straßenpflaster aufgewühlt. Ende August waren nur wenige Gebäude bewohnbar, die Lazarethe und alle Büreau's nach Fort Paul und Fort Nicolaus verlegt. In dem letztern wohnte der Commandant Kismer mit mehr als 20,000 Menschen. Der Bericht [372] Pelissier's giebt an, daß während der 336 Tage der Belagerung über 1 Million 600,000 Schüsse aus 800 Feuerschlünden, also durchschnittlich täglich 4434 Schüsse auf die Stadt geschehen. Die Vertheidigungswerke waren sämtlich so zu Staub zermalmt, daß die Erdarbeiten kaum noch auszubessern waren, und Fürst Gortschakoff, – nachdem bereits am 5. und 6. August eine Pontonbrücke über den Handels- und Kriegshafen zur bessern Verbindung der beiden Stadtseiten geschlagen worden, – für den Rückzug nach der Sievernaja (der Nordseite) eine Brücke über die Bucht zu schlagen beschloß. General Buchmeier, der Chef der Ingenieure, führte, unter dem Kugelregen der Feinde, mit Hilfe des Contre-Admirals Suckow und Oberst Narew dies Riesenwerk in 15 Tagen aus, und die schwimmende Balkenbrücke von 1500 Schritt Länge und 9 Schritt Breite, zwischen den Forts Nicolaus und Michael die Ufer verbindend, wurde am 27. August eingeweiht. In der Nacht zum 6. August ward das erste russische Linienschiff, die »Mariam« durch die Bomben der Alliirten in Brand geschossen.

Es ist eine entsetzliche Thatsache, daß in den letzten neun Tagen dem Bombardement und den Krankheiten täglich viertausend Mann in der Festung zum Opfer fielen!

Während die Franzosen und Engländer so ihre Vorbereitungen zur Entscheidung des Kampfes trafen, sahen die Türken immer mehr ein, welch überflüssige Rolle sie in der Krimm spielten und Omer-Pascha traf, schwer erbittert über die erfahrenen Zurücksetzungen, am 18. Juli in Constantinopel ein, den Sultan für eine Verlegung des Kampfplatzes zu gewinnen. Seine Pläne wurden jedoch hintertrieben und Mitte August Iskender-Bey, jetzt Iskender-Pascha (Graf Ilinski), der bei Eupatoria von dem russischen Oberstlieutenant Wimmer mit schweren Säbelhieben verwundet worden, mit der Cavallerie, gegen Ende des Monats der Serdar selbst mit dem größten Theil der Infanterie nach Klein-Asien geschickt zum Entsatz von Kars, das von General Murawieff und den Fürsten Andronikoff und Bebutoff schwer bedrängt war. Die Stelle der türkischen Truppen in Eupatoria nahmen die englischtürkischen Baschi-Bozuks ein, welche durch die offene Empörung am 7. Juli in Dardanelli und ihre dort verübten Greuelthaten eine Probe von der Organisation geliefert, die ihnen General Beatson – bei dem Aufruhr verwundet – und Vivian beigebracht hatten. In Constantinopel selbst war Ende August Mehemed-Ali wieder zum Kapudan-Pascha ernannt worden und die alttürkische Partei auf's Neue an's Ruder gekommen. Der Hat-Humayum, diese großmüthige Erwerbung der alliirten Mächte zu Gunsten der christlichen Bevölkerung, an die Stelle des Tansimats und der Forderungen Rußlands gesetzt, blieb ein Spiel in den Händen der fanatischen Pascha's und ohne alle Wirkung.


[373] Die Folgen der Trennung der Bosquet'schen Divisionen waren bei dem Sturm am 18. Juni zu klar hervorgetreten, als daß der Generalissimus für die Erreichung des Hauptzweckes nicht jede kleinliche Rivalität hätte aufgeben sollen. General Bosquet war mit seinem Corps nach der Tschernaja-Schlacht wieder in die Belagerungs-Linien eingerückt, und das 3. Zuaven-Regiment, jetzt kommandirt von Colonel Méricourt, hatte sein früheres Lager am Sapun wieder bezogen.

Der alte polnische Oberst hatte das Feldlager nicht wieder verlassen, obschon er nach jener traurigen Täuschung jede weitere Hoffnung und Bemühung aufgegeben, das Schicksal seines Enkels lenken zu können. Die Theilnahme, die Méricourt diesem bewiesen, hatte ihn häufig in seine Gesellschaft gezogen, bis der Colonel ihm eine frei gewordene Baracke auf dem Sapun anbot. Er bezog sie zusammen mit dem von Constantinopel zurückgekehrten Baronet. Die beiden trüben und wortkargen Gefährten paßten gut zu einander. –

Es war am Mittag des 7. September, als der alte Propagandist allein in der Hütte saß, auf einer umgestülpten Tonne schreibend und von Zeit zu Zeit mit traurigen Gedankenbildern auf den Donner hörend, der, Luft und Erde erschütternd, von den Wällen und Batterieen herauf rollte. Den Eingang verdunkelte eine Gestalt und aufblickend gewahrte er einen der Armenier, die als Handelsleute das Lager durchstreiften. Unwillig, gestört zu werden, winkte der Oberst ihm, fortzugehen, der Fremde legte jedoch zu seinem Erstaunen den Packen von sich und setzte sich ihm gegenüber auf eine Kiste, nachdem er sich vorsichtig umgesehen.

»Der Lärmen, den die Kanonen dieser Soldateska machen,« sagte der Eindringling in italienischer Sprache, »sichert uns wenigstens gegen das Behorchen. Ist meine Verkleidung wirklich so trefflich, daß ich erst dieses Zeichens bedarf?« – Er bog den Mittelfinger der linken Hand ein und streckte sie gegen den Polen.

»Abbé Cavelli?« rief dieser mit Staunen.

»Still, lieber Graf – keine Namen! Sie könnten mich eben so gut den Banquier Thomas, den Lord So und So und wer weiß wie nennen, gegenwärtig bin ich der Handelsmann Basil Aristarchi, wohlbekannt auf dem Bazar von Constantinopel, und es genügt, daß Sie über meine Person im Klaren sind. Wir sind doch sicher hier?«

»Ich erwarte keinen Besuch, Signor. Doch muß ich Sie auf Eines aufmerksam machen – ich habe seit dem 28. April aufgehört, Mitglied des Bundes zu sein und ...«

»Der höchsten Gewalt Ihren Rücktritt zugleich mit der Warnung mitgetheilt, die der Kaiser Napoleon so gütig war, uns zukommen zu lassen. Ich weiß das Alles und noch mehr, aber Sie werden sich erinnern, lieber Graf, daß, wenn man nach unsern Statuten auch berechtigt ist, die Function als thätiges Mitglied [374] des Rathes der Sieben niederzulegen – man doch nicht aufhört, ein Wissender und Gehorchender zu bleiben; – der Eid des Eintritts gilt für das Leben, und ich hoffe, daß Graf Lubomirski ihn nicht brechen wird, wie ihn Andere in diesem Lager gebrochen haben.«

Der Greis blickte ihn erstaunt an. – »Sie kannten meine Stellung, Signor? ich glaubte Sie blos Mitglied des fünften Grades?«

»Ei, man schreitet vorwärts, Oberst, und wer weiß, was aus dieser unscheinbaren Hülle des Armeniers noch hervorgeht,« spottete der Italiener. – »Doch, unsere Augenblicke sind gezählt. Ihre Dienste, Signor Conte, hatten Sie zu einem so hervorragenden Mitglied des Rathes der Sieben gemacht, daß man Ihre Thätigkeit und Ihre Erfahrung schwer vermißt. Ich komme mit dem Auftrag, Sie um den Wiedereintritt in den Rath zu bitten.«

»Mein Entschluß steht fest,« sagte der Andere. »Ich habe das Recht, wie Sie selbst zugestehen, alle Thätigkeit aufzugeben und ein Wissender zu bleiben, da der Grad, den ich eingenommen, nicht mehr gestattet, mich ganz aus der Gemeinschaft des Bundes zu entlassen. Ich bin ein Greis – meine Kraft ist durch Manches, was Sie nicht interessirt, gebrochen, ich kann nicht mehr nützen und – gerade heraus, ich will es nicht. Die Erinnerungen meiner Jugend sind mächtig in mir erwacht – ich mag nicht weiter kämpfen weder gegen das Haus Bonaparte, noch gegen das Haus Romanow!«

Der Italiener lächelte verächtlich. – »Ich kann nicht glauben, daß Alter die Nerven wirklich so verwelkt, um Geist und Kraft zu lähmen. Das Beispiel der Diplomatie zeigt, daß dem nicht so ist. Talleyrand hatte – Nesselrode und Metternich haben trotz ihres hohen Alters ihren Geist bewahrt.«

»Signor Abbé,« sagte der Pole, »Sie sind im Verhältniß zu mir jung, vor Ihnen liegt noch die Welt; – ich weiß nicht, welche Stellung Sie haben, denn Sie sind ein Geheimniß auch für mich – aber ich will Ihnen eine Erfahrung sagen, einen Rath geben. Die schärfsten Pläne des menschlichen Hirns brechen oft an der Schwäche der menschlichen Herzen. Nicht das Alter allein ändert die Menschen, jeder trägt seine Stelle im Innern, nennen Sie sie Grundsätze, Laster oder Gefühl, – wo er Egoist bleibt. Darum müssen Sie mit den Menschen, welche die Mittel zur Ausführung der festen Pläne sind, wechseln, wie Gott mit den Geschlechtern der Menschen wechselt. Daß sie diesen Egoismus, diesen Punkt, an welchem die Willfährigkeit aufhört, nicht achteten, sondern ihn unterdrückten, zwangen, das war der Fehler der größten Verbindung, der größten Verschwörer aller Jahrhunderte: der Jesuiten.«

Der Abbé schaute ihn nachdenkend an. – »Der Rath hat sein Wahres! wir haben in letzter Zeit dahin zielende Erfahrungen gemacht. Die Agenten zum Beispiel, welche im März 53 von der [375] damaligen Versammlung ausgesandt wurden, sind fast sämtlich ihrer besondern Interessen und Ansichten wegen aus unsern Reihen desertirt. Der Banquier Ripièra wurde ein Verräther aus Furcht und Habsucht, die spanische Tänzerin machten Eitelkeit und Blut ungehorsam und zur Maitresse eines Russen, Ihnen, Signor Conte, galt das Leben eines Knaben mehr als die Zukunft der Propaganda, den deutschen Arzt hat ein allzu zartes Gewissen gerührt und von den beiden Arbeitern hat den Einen seine Ungeschicklichkeit auf das Schaffot gebracht, den Andern sein thörichter Begriff von Familienehre zum enthusiastischen Soldaten gemacht.«

Der Graf schwieg.

»Ich komme so eben von einem Andern unserer Freunde,« fuhr der Abbé spöttisch fort, – »ich habe General Pisani's Beichte gehört, ein Geschäft, das ich natürlich besser verrichten konnte, als jeder Andere. Ihn hat der Ehrgeiz und der Reichthum, wenn auch nicht abtrünnig, doch seine eigenen Pläne vorziehen gemacht, – jetzt muß er Beides verlassen, den neuen Rang und den Reichthum seiner Frau. Wenigstens ist er Teufel genug, die Letztere mit sich zu nehmen! – Sie haben Recht, Signor Conte, man muß die Werkzeuge nur so lange benutzen, als ihre eigenen Interessen nicht mit den unsern collidiren!«

»Signor,« sagte der alte Mann entschlossen, »das sind Gespräche, die uns nicht zum Ziel führen. In welcher Absicht haben Sie mich aufgesucht?«

Der Abbe sah ihn scharf an. – »Ich erwähnte bereits, Signor Conte, daß ich den Auftrag hätte, Sie zu uns zurückzuführen.«

»Und ich erklärte Ihnen, daß ich mich von jedem thätigen Antheil zurückgezogen habe.«

»Ist dieser Entschluß unwiderruflich?«

»Er ist es.«

»Auch dann, wenn ich den Auftrag habe, Ihnen dies zu bieten?« – Er übergab ihm eines der mehrerwähnten Kreuze – es zeigte neun Silberstifte. Der Pole zuckte zusammen und sah ihn erstaunt an. – »Sie – mit welchem Recht – das Zeichen der höchsten Gewalt?«

»Ich muß das Recht wohl haben, da ich Ihnen den Eintritt anbiete. Die Leiter der Unsichtbaren wünschen Sie in ihrer Mitte zu wissen – um Ihres Vaterlandes willen und da sich mächtige Dinge vorbereiten.«

Der Pole schüttelte das greise Haupt. – »Mir scheint es, Signor, der Bund thäte besser, günstigere Zeiten abzuwarten – der Kampf mit den Dynastieen ist nicht zu seinen Gunsten ausgefallen. Der Kaiser Napoleon –«

»Hat morgen zu regieren aufgehört. Was Pianori verfehlt, wird Bellamare treffen. Wenn jener Mann heute, morgen oder übermorgen das Theater besucht, wird ein neuer Versuch auf sein [376] verfluchtes Leben gemacht werden, sein Glück wird ihn nicht immer schützen!«

»Meuchelmord – immer und immer wieder – und glauben Sie dadurch die verlorene Schlacht zu gewinnen? Er wird unsere Sache vollends verderben.«

»Die Revolution, Signor Conte, wird nie mehr in Europa unterliegen, so lange sie nur den Muth hat, zu kämpfen, und so lange England seine Mission begreift, uns zu schützen! Meinten Sie wirklich, die Drohung dieses Emporkömmlings könne uns einschüchtern? Er ist es, der uns fürchtet; dies Coquettiren schon mit der Demokratie, wie jene Rede seines Vertreters in der Ausstellung zeigt es. Wir sind ihm den Prozeß gegen die 150 Mitglieder der Marianne, die im März verhaftet und am 31. Juli im Saal des pas perdus verurtheilt wurden und Dheniers Verdammung in Lille 1 schuldig! Aber selbst, wenn sein Stern ihn nochmals beschützen sollte, sind die Chancen in ganz Europa der Art, daß sie unsere erneute Thätigkeit fordern.«

»Verzeihen Sie, Signor,« sagte gemessen der Graf, »ich bin ein Wenig aus der Kenntniß gekommen.«

»Es ist nöthig, daß Sie von unsern Aussichten unterrichtet sind. Daß zwei wichtige Mitglieder des Bundes gestorben sind, wissen Sie wahrscheinlich, der Triumvir Marmiani in Athen und General Pepe am 15. August in Turin. Der Nachfolger des Corsen hat zwar seine sogenannte National-Anleihe von 360 Millionen erhalten, aber die Sache ist zu einem Börsen-Geschäft gemacht worden, und von den dreimalhundertundzehntausend Narren, welche das Zehnfache der Millionen zeichneten, sind zwei Drittel Unzufriedene geworden, weil man ihr Geld nicht nahm. Am 27. August sind bereits bedeutende Unruhen in Angers ausgebrochen. Auf die Armee kann sich der Usurpator für seine Pläne nicht stützen, von den 101 Infanterie-Regimentern Frankreichs sind 41 im Orient, 2 in Rom, 112 in Afrika, Paris allein braucht ihrer 10, und es bleiben ihm für die Bedrohung Preußen's und Deutschland's durch das sogenannte Ostlager kaum 120,000 Mann. Eben so wenig wird er die Revolution in Spanien damit niederhalten, wenn die 25,000 Mann Spanier, die sich O'Donnel durch den geheimen Tractat vom 7. August für eine Anleihe von 500 Millionen Francs zu stellen verpflichtet, die Halbinsel verlassen haben. Mißglückt der Sturm auf Sebastopol, wie wahrscheinlich ist, so steht es schlimm mit dem napoleonischen Regiment, denn in der Armee ist die Zahl der Mißvergnügten groß, und ihnen ihr Ziel zu geben, bin ich hier. Das Offizier-Corps des 14. Regiments hat bei dem Abschiedsfest in Rom am 5. August bereits offen seine Empörung gezeigt – man hat es nicht gewagt, es nach dem Orient [377] zu schicken. Napoleon – wenn sein Glück ihn vor Bellamare's Pistole rettet – wird dann von der Armee gezwungen werden, den Krieg hier aufzuheben und ihn an den Pruth, in die russischpolnischen Provinzen zu verlegen, dahin haben auch Omer-Pascha und Ilinski in Constantinopel agirt. Sckarzinski 2, Zsurmanski, Wolawski, Sasit-Bey halten den Sirdar auf diesem Plan fest und England wird das Geld geben zur Bildung zweier Legionen der Türkischen Kosaken, die nur aus Polen und Ungarn bestehen dürfen. Czaikowski leitet die Organisation, das war die Mission des Grafen Zamoiski in England und Frankreich. Mit der Ueberschreitung des Pruth durch den Serdar oder die Franzosen bricht die Erhebung in ganz Polen aus, Miroslawski und Mak werden sie in dem Preußischen Großherzogthum verbreiten. – Die Leitung der Polnischen Sache soll Ihre Aufgabe sein.«

»Signor,« sagte der Oberst, »meine Berichte aus Polen sollten Sie bereits über diesen Irrthum enttäuscht haben. Die Polen hassen Rußland weniger, als Sie denken. Von all' den Polen, die in der Armee von Sebastopol stehen, sind bis jetzt nur vier in's Lager der Alliirten desertirt, während die Zahl der Deserteure aus den Reihen der Sardinier und der Fremden-Legion bedentend ist. Wenn Sie keine andere Stütze Ihrer Pläne haben, als eine Revolution in Polen, steht es schlecht mit Ihrer Armee.«

»England wirbt sie für uns, Graf, im Norden wie im Süden. Die Fremdenlegion in Schorncliffe wird, wenn unsere Fahne weht, ihr folgen. Jeder Legionär ist ein Soldat mehr für uns, und das Geld, was das Parlament dafür bewilligt, ist nichts Anderes als ein Beitrag zur Revolution. In der Schweiz sinb neue Werbungen im Gange; die Bildung einer italienischen Legion ist beschlossen, General Percy zur Organisation bereits am 17. August in Turin eingetroffen; von Schweden her hat Doctor Rosenschild eine Freischaar gegen Rußland angeboten. Zwischen Sardinien und Frankreich herrscht bereits Spannung, der Papst hat seine Allucation geschleudert, die famose Rede Palmerstons am 10. August über Italien hat den Brand von den Alpen bis zum Cap Passaro 3 geschürt, Rom ist in Gährung, unser geheimes Bündniß mit den Müratisten und Miroslawski's Brochüre gegen die Bourbonen über ganz Neapel verbreitet, Pisacane harrt meines Winkes für ganz Unteritalien, die halbe Armee ist sein, und bei dem ersten Anstoß, dem ersten Ruf zur allgemeinen Erhebung, wird mit dem Norden auch der Süden in Flammen stehen und Beide werden sich im Kampf die Hand reichen.«

Der Italiener, von der Leidenschaftlichkeit seiner Natur fortgerissen über die gewöhnliche Vorsicht, schwieg jetzt erschrocken und sah sich scheu um; das halb spöttische, halb traurige Lächeln des [378] Greises beruhigte ihn, nur in der Nähe, in der sich Beide befanden, war es möglich, seine Worte zu verstehen. »Das Alles, Signor,« sagte ruhig und bestimmt der Oberst, »läßt mir zwar über Ihre Person keinen Zweifel mehr, aber es überzeugt mich nur, daß noch ein anderer Grund existirt, weshalb Sie mich aufgesucht und meinen Rücktritt wünschen.«

Ein leichter rother Fleck zeigte sich auf der magern Wange des Revolutionairs – er erkannte, daß die edlere Natur seines Gegners ihn zur Offenheit zwang. »Wohl, Signor,« sagte er, »Sie haben Recht. Wie auch Ihr Entschluß auf mein aufrichtig gemeintes Anerbieten lauten mag, Sie sind mir gleiche Offenheit schuldig, mit der ich Ihnen unsere Pläne enthüllte. Sie sind im Besitz eines Geheimnisses, das den Leitern der Unsichtbaren nöthig ist. Es fehlt ein Glied in unsern Conjecturen, es eristirt Etwas, das uns irre macht in unsern Combinationen und das uns bis jetzt verschwiegen blieb. Es ist Etwas in Paris berathen, beschlossen worden, das wir nicht kennen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß Sie im Besitz dieses Geheimnisses sind, Ihre Unterredung mit dem Kaiser – Ihre plötzliche Sinnesänderung, Ihr Verweilen hier im Lager, das Ihre Mittheilung über Ihren Enkel nicht mehr genügend erklärt –«

»Und was führt Sie überhaupt zu der Annahme, daß ein solches Geheimniß existirt?«

»Der Mangel jeder Vorbereitung Frankreichs auf den Fall, daß Sebastopol nicht fällt! – Die ausgestreueten Gerüchte einer zweiten Ueberwinterung, eines neuen Heerlagers bei Constantinopel können nicht bemänteln, daß man gar keine Anstalten dazu getroffen. General Pelissier verzögert es selbst, für einen nothwendigen Fall die Wiedereinschiffung der Armee durch eine stärkere Befestigung von Kamiesch zu sichern, während die Engländer dies aus allen Kräften mit Balaclawa gethan haben. Entweder, Napoleon muß des Falles von Sebastopol sehr sicher sein, oder –«

»Daß er es ist, zeigt sein Brief vom 20. August an die Armee.«

»Was er über die Lage der russischen Streitkräfte und der Festung durch die beiden Spione in Berlin und den Verrath der Briefe aus der Umgebung des Königs von Preußen erfährt, wissen wir auch – aber das genügt nicht, um die Chancen des Kriegsglücks mit Bestimmtheit zu berechnen.«

»Oder –«

»Oder es existirt ein geheimer Pakt – kurz, Sie müssen um das Geheimniß wissen!«

»Ich kenne es!«

»So werden Sie sich erinnern, Graf, daß jede Wissenschaft der Unsichtbaren den Oberhäuptern gehört.«

»Signor,« sagte der Veteran entschlossen, »die Tage, die ich noch zu leben habe, sind gezählt und ich fürchte deshalb die Dolche [379] der Unsichtbaren nicht. Mein Entschluß ist deshalb gefaßt. Die Gewalt, die Sie mir bieten, soll der Preis des Geheimnisses sein, das Sie wünschen. Ich kann ihn nicht annehmen, ich habe Ihnen meine Gründe gesagt. Aber Sie sollen es haben für einen andern Preis – den einzigen, gegen den ich es verkaufe.«

»Lassen Sie hören.«

»Ich schulde dem Kaiser Napoleon ein Leben – das Meine, und eine Güte – meinen Enkel. Geben Sie mir die Erlaubniß, ihn, ohne Sie oder den Thäter zu compromittiren, gegen den Mordversuch zu warnen und versprechen Sie mir, nicht weiter durch Meuchelmörder gegen ihn zu kämpfen, und das Geheimniß ist das Ihre.«

Der Italiener dachte nach. »Schwerlich kann ihn Ihre Warnung noch zu rechter Zeit erreichen – und sie muß ohnehin zu unbestimmt sein, dergleichen werden ihm und seinem Herrn Pietri täglich zugehen.«

»Der Erfolg steht in Gottes Hand!«

»Wohlan, ich will es wagen und verpflichte mich mit meinem Ehrenwort, aber merken Sie wohl – nur auf zwei Jahre!«

Der Greis öffnete seinen Rock und zog unter dem Hemd ein flaches blechernes Kästchen hervor, das an einer Schnur um seinen Hals hing. Er öffnete es und nahm einen im offenen Couvert steckenden Brief heraus, den er entfaltete und vor den Abbé legte, ohne ihn aus den Händen zu geben.

Der Brief enthielt nur die Worte:


»Ich wiederhole den bestimmten Befehl, den Rückzug der russischen Armee von der Südseite Sebastopols in keiner Weise zu gefährden.

Napoleon.«


Der Abbé ließ das Blatt los. »Also ein Tractat zwischen Rußland und Frankreich noch vor Entscheidung des Krieges? Man hat sich geeinigt und die Fortsetzung der Belagerung ist ein bloßes Spiel?«

»So scheint es – ich habe nur versprochen, sobald es Noth thut, von dieser Ordre Gebrauch zu machen.«

Der Italiener schwieg einige Augenblicke. »Die Gewißheit schon,« sagte er dann, »ist wichtig – sie ändert all unsere Pläne im Norden. Leben Sie wohl, mein Herr, ich werde mein Wort halten, nach zwei Jahren werden wir Andere haben, wie wir jetzt Bellamare haben. Leben Sie wohl – Ihres Schweigens wenigstens sind wir sicher.« In der Thür stieß er auf den Vicomte, der eben vom Pferde stieg.

Der Pole empfing seinen jüngern Freund mit sichtlicher Freude. Der Vicomte nahm seine Hand und führte ihn in die Baracke. »Wo ist Sir Edward?«

»Er verließ mich diesen Morgen, ohne bis jetzt zurückgekehrt zu sein. Ist der Beschluß des Kriegsraths ein Geheimniß?«

»Nicht für Sie,« berichtete der Colonel. »Für morgen Mittag [380] 11 Uhr ist der Sturm auf der ganzen Linie bestimmt, mein Regiment wird die Reserve gegen den Malachof bilden.«

»Das Blutbad wird entsetzlich sein.«

»Wir sind gefaßt darauf. Jetzt muß ich meine Vorbereitungen treffen, die strengste Vorsicht ist befohlen, damit es uns gelingt, die Russen zu überraschen. Man ist in den letzten Tagen wieder feindlichen Spionen auf die Spur gekommen und es ist der Befehl gegeben, alle verdächtigen Personen sofort zu verhaften und wenn sie sich nicht ausweisen können, zu erschießen. Auch Agenten der revolutionairen Propaganda sollen sich im Lager zeigen und die Mißstimmung der Soldaten und Offiziere aufreizen. General Pelissier hat sogar auf unser Corps besonders hingedeutet. Das erinnert mich daran, daß ich den Schurken Lebrigaud alsbald nach dem Hauptquartier zu senden versprochen habe. Er ist einer der alten Zephyre des Generals und der Adjutant sagte mir, daß er ihn sprechen wolle, wahrscheinlich um ihm ein Geschenk zu geben. Wir treffen uns wohl in einer Stunde in der Cantine Nini's, Herr Graf?«

»Ich muß sogleich nach Kamiesch,« sagte dieser, »und werde Sie daher erst am Abend wiedersehen. Sie rücken doch vor morgen nicht aus?«

»Nein! Wir nehmen morgen noch die letzten Ordres in Empfang!«

»Auf Wiedersehen also, Colonel!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war am Abend; um die Cantine der jungen Marketenderin hatten sich zahlreiche Gruppen gesammelt, denn es war so eben darin ein kurzes Kriegsgericht über einen ertappten Spion gehalten und dieser zum Erschießen verurtheilt worden. Der Unglückliche hatte sich unter der Maske eines armenischen Händlers mit seinem Knaben in Kamara und dem sardinischen Lager umhergetrieben, und gerade diese Verkleidung hatte zu seiner Entdeckung beigetragen, da aus dem Hauptquartier geheime Warnungen gegen einen gefährlichen Agenten der Propaganda an demselben Tage erlassen worden. In Kamara war der Verdächtige zwar verschwunden, ehe man sich seiner versichern konnte, dagegen wurde er in den französischen Linien auf dem Sapun von Zuaven ertappt und von einem Soldaten als der Zigeuner wieder erkannt, der im vergangenen Sommer in der Dobrudscha den Brunnen vergiftet. Auch der Colonel erkannte ihn wieder, überdies fanden sich mehrere wichtige Papiere bei ihm, die bewiesen, daß er das Spionenhandwerk schon lange im Lager mit großem Erfolg getrieben, und daß er augenblicklich im Besitz aller Nachrichten über den morgenden Sturm war. Die Erbitterung der Soldaten, als sie von der Vergiftung des Brunnens durch die Leichen hörten, war so groß, daß die Wache, die mit dem armen Sünder jetzt aus der Cantine trat, um ihn zur Execution zu führen, ihn nur mit Mühe vor einem [381] noch furchtbareren Schicksal bewahren konnte. Es war Mungo, der Zigeuner, den die Schwester diesmal nicht zu retten in der Nähe war, Mungo, der endlich seinem Schicksal verfallen. Die Gewöhnung an die Gefahr hatte ihm jetzt eine festere Haltung gegeben, als damals, da ihm zuerst der Strick drohte. Mit der Verstocktheit seines Volkes hatte er auch jedes Geständniß über seine Verbindungen im Lager und seine Mitschuldigen verweigert und schritt jetzt zum Tode, zwar mit scheuem, angsterfülltem Blick, nach jeder Gelegenheit des Entkommens spähend, aber wenigstens ohne weibische Klage. Neben ihm, in der Mitte der Wachen, ging der Knabe Mauro, sein Gefährte bei den meisten seiner kecken Spionagen, und in dem finstern Gesicht, den zusammengebissenen Zähnen und den feindlichen Blicken, mit denen er die Drohungen und Verwünschungen der Soldaten vergalt, lag der ganze Trotz und Haß, mit denen seine Jugend gegen die Unterdrücker seiner Kindheit erfüllt worden. Das Kriegsgericht hatte, in Betracht seines Alters, entschieden, daß er der Hinrichtung seines Gefährten beiwohnen, dann gepeitscht und in's Bagno von Constantinopel abgeliefert werden sollte.

Zugleich verließen die Offiziere, die das Kriegsgericht gebildet, die Cantine. Der Adjutant des General Wimpffen reichte dem Vicomte die Hand. »Berichten, Herr Oberst,« sagte er, »werden wir auf alle Fälle an General Bosquet, vielleicht dem Generalissimus müssen. Doch wird dazu die Abschrift der betreffenden Stelle genügen, wir haben kein Recht, indiscreter als nöthig mit dem Brief einer Dame zu sein, besonders unter so traurigen Umständen. Behalten Sie also einstweilen den Brief und befragen Sie Ihren Freund, den Medecin-Major, sobald er aus dem Lazareth von Kamiesch zurückkehrt, ich zweifle keinen Augenblick, daß er jede genügende Aufklärung wird leisten können.«

»Ich verbürge mich mit meiner Ehre für die seine.«

»Gewiß, gewiß – das Ganze ist offenbar eine Privatangelegenheit und wir durften sie nur um seiner selbst willen in Gegenwart der Offiziere nicht fallen lassen. Auf morgen denn, vor dem Malachof, der Ihr Patent einweihen wird!« Er ritt davon, »während der Colonel zur Cantine zurückkehrte, um die Meldung der vollzogenen Execution abzuwarten.«

Während der Sergeant-Major Fabrice die Papiere des Gerichts auf dem Feldtisch zusammennahm, ergriff der Vicomte den verhängnißvollen Brief, den man mit verschiedenen verrätherischen Notizen bei dem Spion gefunden hatte. Er war an den russischen General-Stabs-Capitain von Meyendorf in der belagerten Festung gerichtet und lautete:


»Mein Freund!


Im Angesicht des Todes, – ich selbst eine dem Tode Geweihte, – richte ich die letzten Worte an Sie auf dieser Welt. Der Mann, der mir Ihren Namen nannte, den Sie [382] sandten, nach mir zu forschen, wird Ihnen diese Zeilen überbringen.

Unsere Liebe, unser Glück wurde das Opfer eines Teufels. Von seinem Schmerzenslager, auf das die Wunde ihn warf, die Ihre rächende Hand in der Tschernaja-Schlacht ihm geschlagen, höre ich bis hierher den Verworfenen seine Flüche auf Sie und mich brüllen. Man will es mir nicht sagen, aber ich glaube, daß sein Haß mich absichtlich mit dem Pesthauch seiner Krankheit vergiftet hat, während ich meine Pflicht an seinem Lager that. Das fühle ich, daß meine aufgezehrten Kräfte mich nur wenige Stunden noch von der Ruhe trennen, die mein zerrissenes gebrochenes Herz begehrt.

Denn erst seit Tagen weiß ich durch die Geständnisse seines Fiebertobens und den Freund, den Gott an meine Seite stellte, am Krankenbett wie am schrecklichen Traualtar, ohne helfen zu können! – daß mein Opfer ein nutzloses, daß ich auch damit hintergangen war! – Doctor Welland, der Sie rettete in Widdin und Ihre Flucht bewerkstelligte, der in Silistria mit Ihnen in Verbindung stand und den ich als Regimentsarzt der Zuaven vor Sebastopol wiederfand, hat mir Alles klar gemacht und mir auch gefagt, daß er Ihnen Botschaft gesandt, wie nahe wir uns. Aber das Leben entflieht, und die Sterbenden haben Eile, darum sende ich meine letzten Grüße nicht durch ihn. Der Allmächtige gebe, daß Ihre Pflicht Sie morgen auf der Nordseite zurückhält und fern von den Gefahren, mit denen um 11 Uhr ein allgemeiner, sorgfältig verheimlichter Sturm den Malachof und alle Ihre Bastionen bedrohen wird. Wahren Sie Ihr Leben, um dem Gedächtniß Derjenigen eine lange, lange Erinnerung weihen zu können, die selbst als die Gattin eines Andern – des Vampyrs, der mein Herzblut gesaugt – nie aufgehört hat, Sie zu lieben, und die ihre Liebe hinüber nimmt in die ewige Zeit, wo keine Trennung ist! Meine Hand ermattet – das letzte Lebewohl, Alexander! – bis zum Wiederfinden dort Oben!

Helene.«


Er las den Brief wieder und wieder, und dachte betrübt an die Herzen, die rauh das Schicksal trennt und von einander reißt! Er dachte traurig der eigenen, in den Geschicken der Völker versinkenden Liebe! –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Erst gegen Mitternacht kehrte Doctor Welland von Kamiesch und den anstrengenden Vorbereitungen für den morgenden Kampf zurück; mit ihm der Baronet und der polnische Oberst. – Während der Vicomte dem Arzt den Brief zum Lesen einhändigte und ihn von dem Vorgefallenen in Kenntniß setzte, erschien der Sergeant-Major Fabrice Tonton mit einer dringenden Meldung. Er zeigte an, daß der Zuave Lebrigaud vor einer halben Stunde im trunkenen Zustand zurückgekehrt, prahlerische Reden führe, die [383] auf ein gefährliches und wichtiges Vergehen schließen ließen. Die Ausdrücke, die der Feldwebel berichtete, machten die Aufmerksamkeit des Vicomte rege und er befahl, mit Uebergehung der bereites der Ruhe vor dem blutigen Kampf pflegenden Bataillons-Offiziere, den Kerl ihm vorzuführen.

Der Lüderjahn erschien alsbald, von Bourdon und Vernaudin geführt, mit der unverschämten und unbesorgten Miene, die all' sein Thun begleitete, und der erste Anblick schon bewies, daß er stark getrunken hatte.

»Ah, mein Commandant – nein, mein Colonel, ich grüße Sie!« sagte der Bursche, halb taumelnd salutirend. »Was steht zu Befehl, mein General, Ihr Befehl ist vollzogen und das Geld redlich verdient!«

»Wo kommst Du in diesem Zustand her – Du bist total betrunken.«

»Ah, mein General –« der Lüderjahn hielt offenbar den Vicomte für einen Andern, – »es ist eine verfluchte Fahrt auf den Grund des Meeres und man hat wohl das Recht, sich da einen Spitz zu trinken. Der Wein von Constantinopel ist verflucht gut! Fichtre – die Bursche paßten mir arg auf, ehe ich sie überlisten konnte! Drei Mal mußte ich tauchen, ehe ich das höllische Tau fand! Dieu me punisse! Wenn ich nicht meine Jugend am Strand von Marseille zugebracht – es wäre unmöglich gewesen. Aber Peste! General, Sie kennen Ihre Leute und erinnern sich der kleinen Fähigkeiten Ihrer Zephyre!«

»Was hast Du gethan – was sollen die Reden?«

»Ei, General,« lachte vertraulich der Halunke, »stellen Sie sich doch nicht so – das Tau des hundsföttschen Telo-Grafen ist durchschnitten, mindestens hundert Klaftern vom Ufer weit, und die Narren werden zu thun haben, die Enden wieder zu kriegen. Ich fand zum Glück einen Nachen – aber spät, General – sie paßten auf den Dienst und ich durfte doch erst im Dunkeln an's Werk!«

»Schurke – Du hast den Drath des Telegraphen zerstört?«

»Den Teufel, ja, General, stellen Sie sich doch nicht so, als ob Sie's mir nicht befohlen hätten. Sie wußten recht gut, daß ich mit jedem Seewolf um die Wette tauche! Geben Sie mir die zehn Napoleons, General – die andern sind – hui! Weiß der Henker, wo das Geld bleibt!«

Der Oberst wechselte mit den Freunden erschrocken erstaunte Blicke, dann winkte er dem Sergeanten und Corporal, zurückzutreten, und den Trunkeneu beim Arm fassend, sagte er mit unterdrückter Stimme zornig: »Du zerschnittest das Tau auf Befehl des General Pelissier?«

»Versteht sich, General, Sie befahlen es ja selbst heute Mittag, als wir allein waren,« er schaute den Offizier mit gläsernen verstörten Blicken an, dann schien ihm die Wahrheit emporzudämmern. [384] – »Peste!« stammelte er – »ich glaube, ich bin ein Dummkopf gewesen – Sie sind nicht der Kommandant der Zephyre, nein, richtig, Sie sind mein Colonel! – Verdammt!« Er begann, sich hinter den Ohren zu kratzen und auf die Lippen zu beißen, der Schreck fing an, ihn nüchtern zu machen.

»Nehmen Sie diesen Kerl und übergeben Sie ihn dem Profoß,« befahl der Colonel dem Sergeant-Major. »Daß kein Mann mit ihm zu sprechen sich untersteht. Wagt er selbst, noch einen Laut von sich zu geben, so stecken Sie ihm einen Knebel in den Mund. Sie Drei beobachten strenges Schweigen über Alles, was Sie gehört. Fort mit ihm, ich werde ihn selbst morgen in aller Frühe zum Hauptquartier begleiten.«

Er winkte und der Zuave wurde, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, verdutzt und bestürzt abgeführt.

Als sie allein waren, wandte der Oberst sich zu dem Arzt und dem Grafen. »Was halten Sie von den Geständnissen des Burschen?«

»Es sähe General Pelissier ähnlich,« sagte der Arzt. »Man erzählt noch ganz andere Willkür von ihm und er wünscht wahrscheinlich für den morgenden Sturm und seine Folgen sich allen Befehlen von Paris zu entziehen. Aber mein Gott, was fehlt Ihnen, Graf – was bewegt Sie so tief?«

Der alte Mann, indem er sich mit den Zeichen der größten Aufregung aus einen Stuhl warf und die Hände faltete, stieß den Brief der Gräfin, den der Arzt auf den Tisch gelegt, herunter, daß er im Luftzug der geöffneten Thür einige Schritte davon flog.

Im Winkel saß der irre Jean, ohne daß man auf keine Anwesenheit geachtet. Seine Blicke waren fest auf den Brief geheftet gewesen, dessen Inhalt der Arzt laut gelesen, – sein bleiches abgemagertes Antlitz zeigte die Züge der äußersten Spannung, in seinen Augen blitzte es wie Wetterleuchten der immer mehr und mehr sich losringenden Seele, wie ein Entschluß ein Wille des zurückkehrenden Verstandes. Leise, wie mit Schritten einer Katze schlich er im Schatten dem Gegenstande seines Verlangens zu – noch eine Bewegung – er streckte die Hand danach – »Eilf Uhr! der Zug geht ab! Ich komme noch zur rechten Zeit!« – –

»Es liegt ein Fluch auf Allem, was ich thue!« sagte der Greis. »Diese unglückselige That wird die traurigsten Folgen haben. Der Kaiser –«

»Was ist mit ihm? reden Sie!«

»Wenn die Depesche, die ich nach Paris absandte, nicht schon abgegangen, bevor der schmähliche Streich, verübt ward, ist der Kaiser verloren und Pelissier trägt die Schuld. Doch – die Leben der Fürsten liegen in der Hand Gottes, sie mag ihn schützen, wenn sie will – meine Schuld ist abgetragen – hier aber, hier soll der Ehrgeiz und der Eigenwille eines Untergebenen nicht breitere Ströme von Blut vergießen, als der Wille des Gebieters gefordert [385] Gott sei Dank, ich kann den General zwingen, dem Entsetzlichen Einhalt zu thun, und unter den Geretteten wird der Allmächtige mir das Leben meines Enkels bewahren!«

»Sie sind außer sich, Graf – General Pelissier muß seine Pflicht thun gegen den Feind und diese fordert dessen Vernichtung.«

»Thörichte Männer,« sagte hohnlachend der Pole, »wißt Ihr nicht, daß all dies Blut, diese Leben nur einem leeren Spiele geopfert werden? daß der Friede zwischen den Herrschern längst geschlossen und Ihr nicht für Frankreich kämpft gegen Rußland, sondern für die Thorheit, Eure Fahne auf zerschossene Wälle zu pflanzen, deren Besitz dem Feinde bereits wieder gesichert ist?«

»Entsetzlich – diese Ströme von Blut, die täglich vergossen werden –«

»Sie haben keinen Zweck, als das kaltherzige Spiel der Diplomatie! Spiel – grausame, herzloses Spiel ist Alles im Leben, – der Republikaner spielt mit den Köpfen seiner Brüder für thörichte unausführbare Ideen, und der Autokrat thürmt Berge von Leichen seiner Getreuen um einer stoltzen Salve willen vom Invalidendom her! Soldaten meint Ihr zu sein, Krieger für Recht und Ruhm? – Gladiatoren seid Ihr, die der Imperator in die Arena schickt zu seiner Lust, und die, wenn Nero gesättigt, noch vom Ehrgeiz seines Centurionen zur Schlachtbank gepeitscht werden!«

Er sank erschöpft zurück in die Arme der erschütterten Offiziere; draußen aber vor dem Eingang der Cantine schollen die Tritte eines Pferdes, der Ruf der Schildwacht und die Antwort: »Ordonnanz aus dem Hauptquartier! Depesche für den Oberst des dritten Zuaven-Regiments.«

Der Vicomte nahm sie selbst dem Boten ab, bescheinigte den Empfang und öffnete sie in Gegenwart der Freunde. Sie war von dem General-Stabs-Chef Martimprey gezeichnet und lautete: »Colonel Méricourt hat sich mit dem Medecin-Major Welland morgen früh 7 Uhr bei dem Generalissimus zu melden und die Führung seines Regiments auf den angewiesenen Posten dem ältesten Major zu übertragen.«

»Das kommt meiner Absicht zuvor,« sagte fest der Colonel, »und gewiß – ich werde nach dem, was wir gehört, zur Stelle sein.«

»Und ich werde Sie begleiten,« sprach der Graf, »ich werde morgen sein Schatten bleiben.«

»Aber der Befehl, der uns bescheidet, hat offenbar Bezug auf die Verhaftung des Spions,« fügte Welland hinzu. – »Nahmen Sie den Brief zurück, Colonel? ich legte ihn hierher.«

»Nein!«

Der Brief war verschwunden. Jean – der Irre – der Schützling Nini's, mit ihm. Sie aber schlief sanft und ermüdet auf ihrem Lager.


[386] Der Morgen graut unter dem Zischen und Krachen der Bomben; der Feind hat in den letzten 24 Stunden an 70000 Vollkugeln und 16000 Bomben und Granaten in die Stadt geworfen.

Zwischen den demolirten Weingärten, welche sich von der Meierei Burnasi am Zusammenstoß des Laboratornaja- und Sarakandina-Grundes nach der Spitze der Südbucht hinziehen, zwischen dem großen Redan und der Mast-Bastion kriecht von Graben zu Graben, von Trümmern zu Trümmern ein armselig Wesen, ein junger, in den grauen Platschtsch gehüllter russischer Soldat. Er ist waffenlos, seine fast nackten Füße bluten, an scharfen Stein- und Eisensplittern zerrissen. Noch hat die Kanonade nicht begonnen, deren Beantwortung aus den Batterieen Perekomski, Stal und Kostanarof mit einem Hagel von Kartätschen und Vollkugeln sonst den Boden fegt und jede Annäherung unmöglich macht. Nur einzelne Bomben, von der Chapman-Batterie auf dem weißen Berg geworfen, schlagen in den Felsenboden ein oder klatschen weiter hin das Wasser der Bucht. Der junge Mann wendet kaum den Kopf nach ihnen. Einen Augenblick hält er unter den Trümmern einer Feldschanze an, welche die Kugeln zusammengerissen, und hebt den Kopf, um sich zu orientiren. Aber die aus dem Meer und den Schluchten aufsteigenden Nebel hindern ihn, der leise Anschlag der Wellen, den sein geschärftes Ohr in einzelnen Pausen des Bombardements vor sich zur Rechten hört, ist der einzige Halt, den er wahrnimmt. »Ich bin von dem Wege abgekommen,« murmelt der arme Bursche vor sich hin – »das ist nicht die Richtung, die ich dem Fähnrich bezeichnete! Doch Gott und die Heiligen haben bis hierher geholfen und werden mich schützen – eilf Uhr, ich komme vorher!« – Es ist Jean, der Irre, der in dem sorgsam bewahrten Mantel des Fähnrichs Lasaroff dessen Flucht mit dem kostbaren Brief, den er gestohlen, nachgeahmt. Der arme Bursche hat einen weiten Umweg gemacht, um den französischen Posten und Batterieen zu entgehen, die Erinnerung der Kinderjahre, während deren er einige Zeit in der Festung zugebracht, ist in ihm aufgetaucht und hat mit merkwürdigem Instinkt ihn die verborgensten Richtungen geführt.

Eine auffallende Veränderung ist überhaupt mit ihm vorgegangen; das Bewußtsein, der Verstand kehrt immer klarer zurück, nur einzelne wüste Sprünge macht der Wahnsinn noch, der ihn so lange befangen; die deutliche zusammenhängende Erinnerung fehlt ihm zwar noch, Tage, Monate, Jahre scheinen ausgestrichen aus seinem Gedächtniß, nur einzelne Momente daraus stehen deutlich vor seiner Seele, während aus dem Zustand seines Irrseins ganze zusammenhängende Wahrnehmungen, Beobachtungen und Entschlüsse sich bereits in ihm entwickelten.

Er weiß, daß er Russe ist, daß sein Vaterland in Gefahr, Ssewastopol von den Feinden bedroht ist! Er hat erfahren, daß der Malachof die Vormauer der Festung, daß er am nächsten [387] Morgen um 11 Uhr angegriffen werden soll und Alles davon abhängt, daß die Garnison zum Kampfe bereit sei. Er weiß, daß dies Alles der Brief enthält, den er auf der Brust verborgen trägt und daß seine Bestellung, verbunden mit der mündlichen Botschaft, die Festung retten mag! Das ist der einzige Gedanke, das einzige Ziel seiner wiedererwachten Vernunft!

So schleicht er vorwärts – von Stein zu Stein, von Wall zu Wall, bald kriechend, bald zusammen kauernd, bis plötzlich ein russischer Anruf, die Frage nach dem Feldgeschrei, ihn emporschreckt. Ehe er sich noch besinnen, ehe er eine Antwort stammeln kann, blitzen Musketen vor seinen Augen, knallen Schüsse, ein heftiger zuckender Schmerz am Kopf, wie ein Peitschenschlag, warmes Blut, sein eigenes, strömt über sein Gesicht, und er fällt besinnungslos nieder.

Ihm wird wohler und wohler, er fühlt gleichsam, wie das Fieber von ihm weicht, das bisher sein Gehirn verzehrt. Ihm ist, als hörte er um sich her Stimmen, er fühlt sich aufgehoben und fortgetragen. Ein Augenblick lichteren Bewußtseins läßt ihn russische Soldaten, Offiziere und Matrosen um sich, wie durch Nebel erkennen, einen Wundarzt, der neben ihm knieet und ihn verbindet, er versteht in einer kurzen Pause des Geschützdonners der Batterie Worte, die flüchtig gewechselt werden.

»Es hat nicht viel auf sich, Excellenz,« sagt der Wundarzt. »Drei bis vier Stunden Ruhe werden ihm vollkommen Besinnung und Kraft zurückgeben. Der dicke Bund um den Zuaven-Fez hat die Kraft des streifenden Schusses gebrochen und die leichte Blutung thut ihm eher gut, als daß sie schadet.«

»Der Fürst muß erst dieser Tage in Gefangenschaft gerathen sein und hat sich offenbar selbst ranzionirt. Aber wir haben keine Zeit, die Sache zu untersuchen, und hier kann er nicht bleiben. Diesen Dienst wenigstens sind wir seiner hochherzigen Schwester schuldig, die, seit das Mütterchen Praßkowja Iwanowna auf dem Malachof Kurgan von der Bombe zerrissen wurde, der Engel der Barmherzigkeit für unsere Brüder auf der andern Seite ist. Nehmen Sie vier Mann und lassen Sie den Verwundeten mit einer Trage zum Paulsfort bringen – dort in der Nähe des Lazareths wohnen die Geschwister, seit ihr Haus von den Kugeln zerstört.«

Wieder krachten die Kanonen und verschlangen halb den Befehl – wiederum schwand das Bewußtsein des Verwundeten, der sich auf's Neue emporgehoben und in dem Kugelregen fortgetragen fühlt, der auf die Bastionen und die Trümmer der Stadt herunterprasselt.

Die Hand des Allmächtigen schützt die Träger, schützt die Bahre! –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Stunden verrinnen in dem furchtbaren Toben der Geschütze; stürzende Mauern, berstende wankende Dächer, das Stöhnen der [388] Verwundeten, das letzte Aechzen der Sterbenden! Kommandorufe, die sich kaum verständlich machen können, das Rollen der Trommeln – die Hölle scheint alle Schleusen ihrer Schrecken geöffnet zu haben.

Auf einem Feldbett in einem kleinen kasemattirten Gemach des Fort Paul, das mit einer anstoßenden Kammer die allgemeine Verehrung, die Iwanowna Oczakoff genießt, ihr und den Ihren eingeräumt hat, liegt der junge Verwundete, den General Semjakin von der Mastbastion hierher gesandt hat. Vor ihm knieet Nursädih, die schwarze Sclavin, beschäftigt, sein Gesicht mit stärkenden Essenzen zu reiben, während ihre Linke das Kind an ihre Brust preßt. Unfern davon – bleich, ängstlich die Wiederkehr des Bewußtseins beobachtend, steht Annuschka – die Wittwe de Sazé's mit dem zweiten Kinde, das Gottes Schickung am Hochzeitstage an ihr Herz gelegt.

Sie zittert heftig – sie allein mit der treuen Nursädih weiß um das Geheimniß, sie hat den Verwundeten erkannt.

Dumpf nur hallt der Kanonendonner in diesem geschlossenen Raum. Plötzlich schlägt der Kranke die Augen auf, seine Blicke sind klar, lebendig. Er richtet sich empor – er schaut um sich, zuerst erstaunt, bestürzt, allmälig bewußter; er erkennt die Frauengestalt am Fuße des Lagers: »Annuschka, treue Annuschka, Du bei mir – sprich, wo bin ich, wo ist Iwanowna, meine Schwester?«

»Fürst Iwan! Gott und die heilige Jungfrau seien gelobt, die Dich uns zurückgegeben. Du bist in Ssewastopol, Gospodin, Du warst bei den Feinden Deines Volkes und Dein Geist von der Hand des Herrn mit Schatten bedeckt.«

»Ssewastopol! – mein Gott, ja – ich erinnere mich –« er springt vom Lager empor – »der Brief – eilf Uhr – die Flucht – das weiß ich! Alles Andere ist wirr und dunkel noch in meinem Gedächtniß! Aber der Brief – wie viel Uhr ist es, Annuschka?«

»Zehn Uhr, Batuschka!«

»Zehn Uhr!« Der Ruf gellt schneidend durch das Gemach. »Fort, um Gotteswillen, fort! oder Alles ist verloren!« Ein hastiger Blick umher zeigt ihm einige Uniform- und Waffenstücke an den Wänden; er reißt sie herunter und ist im Nu damit bekleidet. Annuschka ringt die Hände und sucht ihn vergebens festzuhalten, alle Kraft und Besinnung ist ihm wiedergekehrt, das vergossene Blut hat wohlthätig auf ihn gewirkt.

»Um des Erlösers willen, Fürst Iwan, ich lasse Dich nicht! Die Fürstin –«

»Wo ist sie? Wo ist Wassili, Dein Bruder?«

»Heiliger Basilius – Du weißt nicht, daß er für Dich starb?«

»Nichts, Weib, ich weiß Nichts, als daß jeder Augenblick Zögerung Ssewastopol stürzt.« Er sucht hastig nach dem Brief und [389] zieht ihn aus seiner Brust hervor. »Wo ist der Oberkommandant, weißt Du, wo der Generalstab sich befindet?«

»Auf der Sievernaja, Fürst Iwan, ist General Osten- Sacken – wo willst Du hin, Herr – Iwanowna –«

»Das Vaterland vor der Schwester! Wenn Du eine Russin bist, wenn der zehnfache Fluch aller kommenden Geschlechter von Boris nicht auf Dir ruhen soll, fliege, eile, suche den Capitain Meyendorf dort auf, gieb ihm diesen Brief, dem General selbst, wenn Du jenen nicht findest! Schrei' es aus durch die Gassen, jedem Offizier, dem Du begegnest, entgegen! Die Franzosen stürmen um Mittag die Stadt, dreißigtausend Feinde stehen verborgen vor dem Malachof!«

»Allmächtiger Gott, und die Fürstin ist auf der Bastion – auf Deinem Posten, Fürst Iwan!«

»Auf meinem Posten? – Wahnwitzige! Ja wohl ist der meine dort, Ssewastopol zu retten! fort mit Dir!«

Er warf ihr den Brief zu und stürzte hinaus – Annuschka ihm nach. Draußen am Eingang der Kasematten lehnten Olis und Demetri, die Letzten der sechs Brüder, zum Schutz der Frauen von der Fürstin zurückgelassen, während der Jessaul sie begleitet hatte, und die erstaunt der wohlbekannten Gestalt nachschauten, die sie fern auf den Wällen wähnten. »Ihm nach!« befahl mit Wort und Geberden die Frau, »ihm nach, weicht nicht von seiner Seite und schützt sein Leben mit dem Euren!«

An den prächtigen, jetzt mit Trümmern und Verwundeten bedeckten Quais und Docks der Schiffer- Bucht entlang floh der junge Mann den wohlbekannten Weg nach den äußeren Bertheidigungswerken zu, gefolgt von den beiden Kosaken.

Seit einer Stunde fast hat das heftige Feuer der Belagerer nachgelassen und nur in Pausen fallen die Schüsse. Die russischen Kanoniere verschnaufen schweiß- und blutbedeckt an ihren Kanonen – die Mannschaften lagern sich an den Leichen ihrer Kameraden zur augenblicklichen kurzen Ruhe; Abtheilungen rücken zur Stadt zurück – sie Alle glauben, daß die gewöhnliche Ruhe der Mittagszeit eingetreten in dem beiderseitigen Feuer, und obschon auf die Meldung, daß feindliche Truppen die Trancheen vor dem Malachof anfüllten, einige Truppen von General Chruleff, dem Kommandeur der Karabelnaja-Seite als Reserve aufgestellt worden, hielt man doch nicht den Angriff für so nahe.

Dem dahin Stürmenden, der den begegnenden Offizieren und Soldaten zuschreit, der Malachof-Kurgan sei in Gefahr, wirbelt Trommelschlag in der Nähe der Bjelostok'schen Kirche entgegen. Das Regiment Jelets rückt in die Linie hinter der Batterie Scherwe, ein Bataillon des Jäger-Regiments Fürst Warschau, das die Nacht über in der Korniloffski-Bastion geschanzt hat, will die Pause der Kanonade benutzen und zur Stadt zurück. Offiziergruppen sind den Truppen voran – ihnen begegnet JeanIwan mit dem [390] Ruf: »Zu rück! Zurück! die Franzosen stürmen den Malachof!« Man staunt einen Augenblick ihn an, ein Stabs-Offizier springt vor, Graf Wassilkowitsch, jetzt General-Major, der seit acht Tagen mit den Verstärkungen eingerückt, eben vom Malachof kommt. – »K tschortu, Capitain Oczakoff, wie kommen Sie hierher? Sie haben Ihren Posten auf dem Kurgan verlassen? Geben Sie Ihren Degen ab, Herr, Sie sind Arrestant!« – Der junge Capitain faßt seinen Arm. »Meinen Posten?Ich war auf dem Malachof? ich? ich bin so eben aus dem feindlichen Lager entflohen, die Gefahr der Festung zu verkünden!« – »Sind Sie wahnsinnig, Herr?« tobt boshaft der Ober-Offizier – »ich verließ Sie vor zehn Minuten auf dem Posten, den ich Ihnen zugetheilt, wie Sie mir einst den Posten auf Schloß Aju anwiesen. Antwort, Herr Capitain, wie kommen Sie hierher?«

Da kracht es und schwirrt und tobt und prasselt es durch die Luft, – eine einzige Salve aus neunhundert Feuerschlünden! Drei steinschleudernde Fugassen entladen sich aus den kaum 30 Metres von dem Malachof noch entfernten Approchen und zermalmen die Brustwehren und Merlon's in dem ausspringenden Winkel der Bastion. Ein donnerndes »Vive l'Empereur!« jubelt durch den Geschützdonner und ein heftiges Kleingewehrfeuer von links und vorwärts zeigt den begonnenen Kampf.

Durch die Vorstadt herauf kommt General Chruleff mit wenigen Adjutanten gesprengt und wirft sich vom Pferde. Meldungen jagen von allen Seiten herbei, Befehle fliegen davon. »General-Major Wassilkowitsch, nimm die Jäger Fürst-Warschau und das Brjanskische Regiment und hinauf mit ihnen zur Korniloffski-Bastion. Fürst Iwan Oczakoff, bringe Sabaschinski an der fünften Abtheilung den Befehl, der Thurm-Bastion 4 zu Hilfe zu eilen. Fort mit Dir!« Der junge Mann, erschrocken, willenlos vor dem plötzlichen Ausbruche der Gefahr, eilt, dem Befehle Folge zu leisten, davon.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Vor der bestimmten Stunde schon hat sich der Colonel Méricourt mit dem Medicin-Major Welland und dem polnischen Obersten im Hauptquartier eingefunden. Eine Wache von zwei Mann geleitet hinter ihnen den Zuaven Lebrigaud mit auf den Rücken gebundenen Händen und verlegenem trübseligem Gesicht.

Die drei Männer sind ernst und gedankenvoll. Dem unangenehmen Verlust des Briefes ist am Morgen ein anderes seltsames Ereigniß gefolgt – der irre Jean ist aus der Cantine Nini's verschwunden, der Bursche, der sich sonst nicht ohne Begleitung fünfzig Schritt über die Baracken-Reihen des Regiment gewagt, ist nirgends zu finden und Nini untröstlich, denn die Pflicht ruft sie in die [391] Reihen ihres Bataillons, und sie will heute durchaus nicht zurückbleiben – eine unbestimmte Ahnung treibt sie.

Doctor Welland beschäftigt dies Verschwinden offenbar mehr, als der neue verdrießliche Verdacht, der auf ihm lastet. Er hat, so viel in der Eile sich thun ließ, die eifrigsten Nachfragen angestellt, ohne indeß auf eine Spur zu stoßen, außer daß unter den wenigen Sachen des Armem der russische Mantel fehlt, den er nach seinem eigenen Geständniß von dem jungen Fähnrich zurückbehalten. Zehn Mal treibt es ihn an, die seltsame Entdeckung, die ihm Fürst Iwan bei seiner Flucht zugeflüstert, den Inhalt des von Jussuf heimlich überbrachten Briefes, der ihm mit den dringendsten Worten ängstliche Sorge und Aufmerksamkeit für den Irren an's Herz legt, dem Colonel mitzutheilen. Zwar ahnt er nur die Hälfte des Geheimnisses, er weiß aus den Worten des Fürsten nur, daß Jean ihm nahe steht durch Bande des Blutes – er weiß zu wenig von den Geschwistern, um eine bestimmte Muthmaßung zu fassen, und seine vorsichtige Nachforschung bei Nini und ihrem Bruder ist an deren Schweigen gescheitert. Aber sein feierliches gegebenes Ehrenwort an den Fürsten bindet ihn und läßt ihn schweigen.

Das Quartier des Generals, halb Zelt, halb Baracke, ist von Stabsoffizieren umgeben, Adjutanten kommen und gehen jeden Augenblick und die Pferde des Generalissimus stehen bereits gesattelt. Auf die Mel dung, die der Colonel durch einen der arabischen Leibdiener Pelissier's hineinsendet, kommt jedoch alsbald der Befehl, in das innere Gemach zu treten. Der Colonel befiehlt Lebrigaud zu folgen, während der alte Pole zurück bleibt und sich mit den Offizieren des Generalstabs unterhält.

In der Zelt-Abtheilung, die das Cabinet des Ober-Kommandirenden bildet, befindet sich, von dem zweiten Araber bedient, General Pelissier, mit dem Ankleiden beschäftigt, während General Martimprey, sein Stabschef, über einen großen Plan der Festungswerke gebengt, noch verschiedene Details mit ihm bespricht und ein Adjutant die Punkte notirt.

Die Miene des Generals ist hart und finster, als er die Beiden eintreten sieht, aber offenbares und unangenehmes Erstaunen malt sich auf seinem Gesicht, als er hinter ihnen den Zuaven erblickt. Er tritt sogleich hastig auf sie zu. – »Was soll die Freiheit heißen, Colonel Méricourt, die Sie sich herausnehmen, diesen Burschen in mein Gemach zu bringen, während ich nur Sie und diesen Herrn da hierher befohlen habe?«

»Euer Excellenz wollen den Drang des Augenblicks entschuldigen,« erwidert ruhig der Vicomte, »ich wäre auch ohne den eingegangenen Befehl genöthigt gewesen, mich Ihnen vorzustellen. Dieser Mann hat sich diese Nacht im Trunk gerühmt, das Seil des unterseeischen Telegraphen bei Kamiesch durchschnitten zu haben.«

»Da hätten wir ja den Thäter,« sagt General Martimprey. [392] »So eben ist die Meldung von dem Unheil eingegangen, das der Bursche angestiftet.«

»Zum Teufel mit dem Telegraphen!« herrscht unwillig der General. »Die Anzeige hätte Zeit gehabt bis morgen, oder an den General der Brigade geschehen müssen.«

»Euer Excellenz entschuldigen, ich hielt ihn hierher zu führen für meine Pflicht. Der Kerl hat anzudeuten gewagt, daß er den Telegraphen auf Euer Excellenz Befehl zerstört hat.«

Das Gesicht des Ober-Feldherrn färbt sich dunkelroth bis unter die weißen Haare. Ein wüthender Fluch entschlüpft seinen Lippen, auf welche tief sich die Zähne pressen, sein funkelndes Auge fährt zornig bald auf den Colonel, bald auf den Zuaven. »Maudit soit le butoir! Das hast Du gewagt, Schurke?«

Lebrigaud blickt halb trotzig, halb furchtsam auf. – »Gesagt kann ich's wohl haben, wenn's der Colonel einmal behauptet,« murrt er, »aber das ist kein Beweis, daß es wahr sein muß! Ich weiß keine Sylbe davon und war betrunken.«

General Pelissier läßt einen pfeifenden Ton zwischen den Zähnen hören, man kann nicht unterscheiden, ob er Behagen oder Zorn anzeigt; ehe er aber noch der Sprache Herr wird, mengt sich der General stabs-Chef in die Verhandlung, indem er sich zu dem Gefangenen wendet: »Aber Du gestehst zu, den Drath zerstört zu haben?«

»Fichtre! was hilft alles Leugnen, das Unglück ist mir passirt – beim Baden, ich tauche ziemlich gut und blieb hängen an dem verfluchten Strick; er oder ich! Da dacht' ich, es wäre besser, daß der Kaiser einen Zuaven behielte, der heute die Fahne auf den Malachof pflanzen kann, als daß ich da unten im Grunde wie an einem Angelhaken hängen bliebe. Zur Niederschlagung auf den Schreck hab' ich ein Paar Flaschen getrunken, und da vielleicht dummes Zeug geschwatzt, um mich vor Strafe zu schützen. An einer Lüge stirbt ein Bursche wie ich bin nicht gleich!«

»Nein, der Schlag müßte Dich denn jetzt gerührt haben!«

»Lassen Sie den Burschen, Martimprey,« sagte der Generalissimus, »die Entschuldigung läßt sich hören. Mach', daß Du zu Deinem Regimente kommst, Canaille, und wenn Du heute Mittag nicht der Erste im Sturm bist, so laß' ich Dich morgen schinden. Fort mit Dir!«

Der Halunke läßt es sich nicht zwei Mal sagen und mit einer halb spöttischen Verneigung verschwindet er, während die andern Anwesenden sich betroffen ansehen.

»Und nun zu Ihnen, mein Herr, der Sie mit solchen Lappalien die kostbare Zeit rauben,« fährt der General den Offizier an. »Ich habe gestern Abend noch mit General Bosquet über den Bericht des Generals Wimpffen gesprochen. Dieser Herr da« – er deutete auf den Arzt – »hat schon früher sich verdächtig gemacht und ist in Varna unter dem Verdacht des Verkehrs mit [393] dem Feinde verurtheilt worden. Wo ist der Brief, der die Bestätigung der Spionage enthält und den man verkehrter Weise in Ihren Händen gelassen, der Sie der Freund und Gönner dieses saubern Herrn sind?«

Das Gesicht des Colonels entfärbt sich. – »Excellenz, ein unglücklicher Zufall hat das Papier verloren gehen lassen, aber ich betheure auf meine Ehre ...«

»Wenn mir Euer Excellenz Gehör gestatten wollen,« fügt der deutsche Arzt hinzu, »so ...«

»Schweigen Sie! Wer mit den Russen verkehrt, ist ein Feind! Diese deutschen Eindringlinge waren stets Verräther gegen Frankreich. Sie sind Ihres Dienstes entlassen und werden mit dem ersten Schiff nach Constantinopel die Krimm verlassen!«

»Das ist eine Ungerechtigkeit, Excellenz! ohne Untersuchung, ohne Vertheidigung meiner Ehre ...«

»Danken Sie es diesem Herrn hier,« schrie der General, »der so geschickt zur rechten Zeit die Briefe seiner guten Freunde verliert, während er Verleumdungen seiner Vorgesetzten protegirt, daß ich Sie nicht dem Kriegsgericht übergebe, wie ich es gewollt. Und Sie, Colonel, schämen Sie sich der Freundschaft für so zweideutige Gesellen. Wenn das die vielgerühmte Treue für den Kaiser ist, die die adeligen Herren von der Garde in die Linie mitbringen, so danke ich für solchen Einschub!«

Der Vicomte ist todtenbleich – seine Augen funkeln, aber er sucht sich gewaltsam zu fassen, während General Martimprey besorgt näher tritt. – »Mäßigen Euer Excellenz Ihre Worte,« sagte er endlich, ein Papier aus der Uniform ziehend. »Wer sich seines Verkehrs zu schämen hat, glaube ich nicht zu sein. Wenn Euer Excellenz meine Ernennung zum Oberst des dritten Zuaven-Regiments unangenehm, so kann ich Ihnen damit entgegenkommen, daß ich Ihnen mein Abschiedsgesuch hiermit überreiche und um seine Beförderung bitte. Ich diene Frankreich's Ehre, nicht einem frevelhaften Spiel mit dem Leben der Armee – und bitte Euer Excellenz, wenn ich den Sturm überlebe, mein Kommando bis zur Entscheidung des Kriegsministers niederlegen zu dürfen!«

»Gleich, Herr! gleich! zur Stelle, wenn's beliebt! Wenn dem Herrn Vicomte der Malachof zu gefährlich scheint, wird jeder bürgerliche Unter-Lieutenant gern seine Stelle beim Angriff versehen!«

Der Colonel zuckte zusammen. – »Meine Ahnen, Herr General, fochten als Barone bereits mit Auszeichnung in den Kreuzzügen, während die Ihren vielleicht noch vor sechszig oder siebzig Jahren als Schuster hinter'm Ofen saßen. Alter Adel hat wenigstens das Gute vor den Emporkömmlingen aus dem Plebejerthum, daß er sich in allen Lagen als Gentleman zu betragen versteht!«

»Mir das, Herr!?« – in blinder Wuth hob der General die Hand, in der er bereits die Reitpeitsche trug.

[394] Der Vicomte trat einen Schritt zurück und legte ohne ein Wort zu sagen die Hand an den Säbelgriff. Martimprey fiel dem General in den Arm und der Arzt umfaßte den Freund und zog ihn halb gewaltsam aus der Thür. Die Offizier-Gruppen im Vorgemach hatten bei dem Geräusch des bevorstehenden Aufbruchs und der entfernten Kanonade wenig von dem Streit gehört und waren zu gewöhnt an Zornausbrüche des Generalissimus, um viel darauf zu achten. Der Colonel stand noch vor dem Zelt mit den Freunden, einen Augenblick unentschlossen, was er zu thun habe, als General Martimprey ihm nach kam, ihn am Arm faßte und bei Seite führte. – »Es thut mir leid, Herr Vicomte,« sagte er, »daß es zu einer solchen Scene gekommen. Aber der Generalissimus hat gestern Abend mit Bosquet und heute Morgen andere Verdrießlichkeiten bereits gehabt und die dumme Geschichte mit dem Telegraphen, an der er wahrscheinlich nicht ohne Antheil ist, hatte ihn in Wuth gebracht. Sie sind ihm indeß Nichts schuldig geblieben und er läßt Ihnen sagen, Sie möchten an der Spitze des Regiments den Russen nur eben so begegnen wie ihm. Morgen, so wir leben, wird sich Alles ausgleichen und hoffentlich auch für den Doctor da Etwas thun lassen. Jetzt eilen Sie fort, denn der General wird sogleich zu Pferde steigen, um die letzte Besichtigung vorzunehmen.«

Der Colonel salutirte höflich, aber kalt. – »Nehmen Sie meinen Dank, Herr General – ich werde meine Pflicht thun, doch, verschont mich auch die Schlacht, der Armee des Kaisers Napoleon werden wir Beide nicht länger angehören. Leben Sie wohl!«

Einige kurze Worte noch zu dem polnischen Veteranen, ein bezeichnender Händedruck, dann eilte er mit dem Freunde davon.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Verbündeten harrten in drei Angriffs-Colonnen des Zeichens zum allgemeinen Sturm; alle Dispositionen waren auf's Sorgfältigste getroffen und größtentheils den Russen gänzlich verborgen geblieben, indem schon seit dem frühen Morgen ein heftiger Nordwind wehte und große Staubwolken emportrieb, welche die Bewegungen der Franzosen verhüllte.

Die Division Levaiklant auf dem linken Flügel sollte die Central-Bastion (V.) und ihre Lünetten angreifen, unterstützt von der Division d'Autemarre, welche sich gegen die Mast-Bastion (IV.) zu wenden bestimmt war im Verein mit der sardinischen Brigade des Generals Craldini. Die DivisionenBouat und Paté mit dem 30. und 35. Linien-Regiment bildeten die Reserven auf dem äußersten Flügel, den Quarantaine-Werken gegenüber; General deSalles führte den Oberbefehl.

Auf der östlichen Seite, der Karabelnaja gegenüber, war der gleichzeitige Angriff gegen mehrere Punkte gerichtet. General Dülac sollte mit zwei Brigaden auf dem rechten Flügel den kleinen Redan (die (Thurm-) Bastion II.) stürmen, unterstützt von [395] der Brigade Marolles und dem Garde-Jäger-Bataillon. Der zwischen dem kleinen Redan und der Kornilowski-Bastion (Malachof) gelegenen großen Courtine, welche beide Werke unter sich und mit der rückliegenden zweiten Vertheidigungs-Linie, den sogenannten schwarzen Batterieen (Batterie Henrighof), verband, stand General de la Motterouge gegenüber mit zwei Brigaden, die Voltigeurs und die Grenadiere der Garde unter General Mellinet als Reserve.

Den Malachof selbst und die Batterie Scherwe (Gervais – zwischen dem Malachof und dem großen Redan) war General Mac-Mahon mit der ersten Division des Bosquet'schen Corps anzugreifen bestimmt, die Brigade Wimpffen und die zwei Garde-Zuaven-Bataillone als Reserve.

Sobald die Franzosen im Malachof sich festgesetzt, sollten auf ein gegebenes Zeichen die Engländer den großen Redan (Bastion III.) stürmen. Der Erfolg am 18. Juni hatte gezeigt, daß, so lange die Batterieen des Malachof den Redan deckten, die Engländer ihn nicht zu nehmen vermocht hätten. General Simpson hatte sich in den kläglichen Antheil gefügt, den Pelissier seinem Verbündeten an dem blutigen Ruhm des Tages zugestanden.

Gegen einen Angriff des Fürsten Gortschakoff von Inkerman und der Tschernaja her waren die Truppen der Generäle d'Herbillon und d'Aurelle, die Cavallerie d'Allonville's und der Rest der Sardinier aufgestellt.

Um 8 Uhr Morgens hatten die sämtlichen Truppen ihre Aufstellung in den Trancheen genommen, in denen zum leichtern Vorgehen breite Durchgänge eingehauen waren. Zwei Batterieen Feidgeschütz standen in der Lancaster-Batterie bereit, im Galopp heranzustürmen, und vier andere Batterieen als Reserve in der Victoria-Redoute. Jede Colonne hatte 60 Sappeurs bei sich, je ein halbes Bataillon führte Werkzeuge und Bohlen für das Passiren des Grabens, und die Colonne begleiteten 50 Kanoniere, um nach den Ergebnissen des Kampfes die eroberten feindlichen Geschütze zu vernageln oder gegen die Russen selbst zu kehren.

Um 10 Uhr hatte sich General Bosquet auf den gewählten Posten in die sechste am weitesten gegen die Courtine vorgeschobene Parallele begeben, wohin freilich die Schußlinien der feindlichen Geschütze convergirten, der aber einen vollständigen Ueberblick des Kampfplatzes ermöglichte. Hier erwartete er die festgesetzte Stunde. Ein Signal zum Beginn des Sturmes sollte von der Brancion-Redoute, wo der Generalissimus um 10 Uhr 45 Minuten sich eingefunden, nicht gegeben werden. Alle Uhren der Divisions-Generale waren nach der Uhr des Ober-Befehlshabers gestellt – sobald der Zeiger auf eilf Uhr 30 Minuten stand, hatten die drei Angriffs-Colonnen hervorzubrechen.

Die Russen lagen ruhig und achtlos in ihren Traversen.

Es waren Augenblicke der furchtbarsten Spannung. Die [396] französischen Generale standen aufrecht unmittelbar an den Brüstungen, die Uhr in der Hand, die Offiziere hatten ihre Säbel und Degen gezogen, die Truppen, in gebückter Stellung in den Trancheen, hielten das Bajonnet gefällt.

In der äußersten Tranchee, welche links nach dem Kirchhof zu und dem Dokowaja-Grund die Strandstraße aus Sebastopol nach der Inkerman-Brücke schneidet, hat das dritte Zuaven-Regiment mit den algierischen Scharfschützen seinen Stand; es ist bestimmt, die Batterie Gervais anzugreifen, und die Zuaven fluchen heimlich, daß die Reihe, die Ersten zu sein gegen den Malachof, diesmal ihre Kameraden vom ersten Regiment getroffen.

Auf den Säbel gestützt, in Gedanken trotz des furchtbaren Augenblicks verloren, steht der Vicomte. Die leise Berührung einer eiskalten Hand, welche sich auf die seine legt, weckt ihn. Aufblickend sieht er neben sich Nini, die Marketenderin. Ihre Augen sind geröthet von Thränen, ihr bleiches Gesicht drückt Angst und Kummer aus. »Haben auch Sie noch immer keine Spur von ihm gefunden, mein Herr? Verzeihen Sie meine dreiste Frage, die Angst zerreißt mein Herz!« Sie flüstert es leise, denn jedes Geräusch ist streng verboten.

»Sie meinen Jean? Nein, Mademoiselle. Der Bursche wird sich wohl wiederfinden. Doch, was thun Sie hier, Nini? Sie gehören zum Nachtrab und nicht in die vordersten Reihen.«

Das Mädchen preßte die Hände auf das Herz und ihr banger seelenvoller Blick schaute bittend zu ihm empor. »O, lassen Sie mich hier, Monsieur le Colonel,« flüsterte sie – »wissen Sie denn nicht, daß er ein Russe ist?«

»Ein Russe?«

»Ich wußte es zuerst auch nicht, aber später wurde mir's klar. Vor zwei Jahren war er mein Freund und Beschützer in Paris – aber am Abend des 5. Juli traf uns Alle ein furchtbares Unglück und seitdem ist er irrsinnig.«

Der Vicomte starrte sie mit Entsetzen an – der 5. Juli – in seiner Seele stieg ein Bild empor – ein Gedanke, selbst halb wahnwitzig und dennoch – all' die sich verkettenden Umstände – er öffnete die Lippen zur weitern Frage – –

Da krachte und donnerte es über ihren Häuptern, als wollte der Himmel zerreißen in seinen urewigen Grundfesten. Die sämtlichen Geschütze hatten noch eine volle Ladung gegeben – der Augenblick war gekommen. Die Generäle, ihren Hut über dem Haupte schwingend, erschienen auf der Brüstung, auf dem äußersten Epaulement der Trancheen zeigte sich das Commando-Fähnlein Bosquets, die Trommeln wirbelten, die Trompeten schmetterten, ein tausendstimmiges Hurrah erschütterte die Luft – und vorwärts ging es zum Sturm.

Mac-Mahon mit der Brigade Espinasse, das erste Zuaven-Regiment voran, links ihm folgend das 7. Linien-Regiment, warf [397] sich auf den Vorsprung des Malachof und auf die linke Façade der Bastion, dort wo dieselbe mit der Courtine zusammenhing. Der Raum zwischen den Laufgräben und dem Ravelin der Bastion betrug etwa 50–70 Schritt im Sturmeslauf, im Nu ist er überflogen, der halb verschüttete Graben überschritten, ohne auf die Hilfe der Sappeurs zu warten, die Abdachung der Wälle erklommen und der ZuaveLihaut vom ersten Regiment, dem Mac-Mahon die Commandofahne anvertraut, pflanzt sie im ersten Anlauf auf den Wällen des Malachof auf; um sie sammeln sich die emporklimmenden Tapfern.

Die Russen sind bestürzt – überwältigt, die Brustwehr ist nur mit den Mannschaften der Artillerie besetzt, die an ihren Stücken niedergestoßen werden. Das ganze Innere des Malachof, bis auf den Kurgan – die Trümmer des allen Thurmes – ist mit hohen Traversen durchzogen, hinter denen die Soldaten Schutz gegen das Bombardement gesucht. Vereinzelt stürzen die Compagnieen des Regimentes Praga daraus hervor – ihr tapferer Kommandant Oberst Freund wirft sich mit ihnen dem Feinde entgegen und stürzt verwundet; es ist ein Zusammenstoß Mann gegen Mann, die russischen Offiziere, den Degen in der Hand, stürzen sich auf das Parapet, mit Wort und Geberde ihre Soldaten zum Widerstand ermunternd. Einer nach dem Andern sinken sie unter den Kugeln, die aus nächster Nähe auf sie gerichtet werden – aber der Kampf entbrennt jetzt am ganzen Wall. Man ringt Leib an Leib mit einander in wilder Wuth, das Bajonnet ist unnütz geworden, man schlägt sich mit Kolben und Steinen nieder, mit Schaufeln, Protzstangen und Holzstücken, die man von den Geschützblendungen abreißt.

Doch Schaar auf Schaar dringt in das Innere der Bastion ein und das Regiment Praga wird geworfen. –

Die 5. Division unter de la Motterouge hat ein schwierigeres Terrain, als die Stürmer des Malachof, doch steht sie bald in geschlossenen Massen an der Front der Courtine und nimmt im Anlauf die Batterie von 6 Geschützen de la Poterne, welche den Malachof flankirt. Während die Kanoniere die Geschütze vernageln, dringt die Infanterie gegen die zweite Vertheidigungslinie vor. Das Kartätschenfeuer der Russen schmettert die Spitzen der Colonnen und ganze Reihen nieder, aber Nichts hemmt ihren Lauf. Sie ersteigen die Brüstungen, die Kanoniere werden an ihren Stücken erschlagen und die zweite Linie ist erobert, das 11. Regiment dringt bis an die Thore der Vorstadt!

Die Division Dülac hat im ersten Anlauf den kleinen Redan – die (Thurm-) Bastion II. – genommen, trotz des furchtbaren Kartätschen- und Musketenfeuers, das Regiment Olonetz zurückgeworfen, einen Theil der Geschütze vernagelt und bereits die zweite Verteidigungslinie und den Uschokowaja-Grund erreicht, der kurz zur Rhede führt. Aber hier wirst sich den Eingedrungenen der [398] Major Jaroschewitz mit einem Bataillon des Regiments Bzelofersk entgegen und mit dem Bajonnet sie bis über die Brustwehr zurück.

Das Glück der Schlacht wendet sich, die Russen sind nur überrascht, nicht überwunden. Die Zurückgedrängten sammeln sich unterm Schutz der in den Ravins des Uschokowaja- und Apollo-Grundes gelagerten Reserven. Zwanzig bespannte Feldgeschütze fliegen herbei und eröffnen ihr Feuer, die Batterieen des Nordufers werfen Bomben in die Colonnen, die drei Dampfer Wladimir, Chersones und Odessa legen sich in die Kilenbucht und schleudern einen Tod und Verderben sprühenden Kartätschenhagel auf den Feind. Die französischen Brigaden wanken, sie wenden sich – vergebens suchen sie sich am schnell verrammelten Eingang des Redan zu halten, – dann in den Gräben, – erst an der ersten Linie der Courtine machen ihre Verfolger Halt. Hier formiren sich die Franzosen auf's Neue, abermals wirbeln die Trommeln zum Sturm und der Kampf um den Redan beginnt zum zweiten Mal. General Saint-Pol fällt, General Bisson ist schwer verwundet, wiederum wanken die Angreifer, als die Reserve-Brigade Marolles herbei eilt und zwei Grenadier-Bataillone der Garde unter Pontèves von General Bosquet zu Hilfe gesandt werden, den gleich darauf ein Bombensplitter auf seinem gefährlichen Posten an der rechten Seite trifft und betäubt zu Boden wirst. Für einen Augenblick sind nochmals die Parapets und Batterieen des Redans in den Händen der Franzosen.

Aber die Russen wissen sehr wohl, daß der Verlust des Redan die Möglichkeit eines Rückzugs über die Schiffbrücke in Frage stellt. General-Major Sabaschinski mit 3 Regimentern der 8. Infanterie-Division wirft den Feind zurück, drei Mal wiederholt sich der Angriff, drei Mal müssen die Franzosen unter dem furchtbarsten Feuer weichen. Die Generale Marolles und Pontèves, der tapfere Führer der Garden, dem Pelissier den blutigsten Posten versprochen, opfern ihr Leben, fast sämtliche Führer der Compagnieen der Linie sind gefallen – es bleibt Nichts übrig, als der rascheste Rückzug nach dem Graben der Courtine.

Das Schlüsselburger Jäger-Regiment, das von General Chruleff gesandt, dem Redan zu Hilfe eilt, findet die Arbeit bereits gethan und wendet sich gegen die Courtine. Vergebens versuchen die Franzosen auch dort den schnell errungenen Sieg zu behaupten, vergebens rasseln, von Bosquet letztem Befehl herbeigerufen, die an der Victoria-Batterie aufgestellten Feldgeschütze über ein Terrain heran, welches das Feuer der Russen vollkommen beherrscht, protzen im heftigsten Kugelregen ab, der binnen wenig Minuten zwei Drittheil der Offiziere und Mannschaften niederwirft, und beginnen ein Feuer, das endlich die Kriegsdampfer nöthigt, sich zurückzuziehen; – die Schlacht ist auf dieser Flanke verloren und die Division de la Motterouge vermag, nachdem auch der Führer der Garde-Reserven, [399] General Mellinet, verwundet ist, sich nur kurze Zeit noch in der ersten Enceinte der Courtine zu halten.

General Dülac hat das Kommando in Stelle Bosquets übernommen, der durch die schwere Wunde endlich genöthigt ist, die Kampflinie zu verlassen und sich auf einer Tragbahre nach der Lancaster-Batterie bringen zu lassen. Auch auf der linken – der westlichen – Seite der Stadt sind die Franzosen nicht glücklicher. Der Hauptsturm auf die Central-Bastion (V.) mißglückt, trotz der Aufopferung der Offiziere und Soldaten, ein Angriff der Mast-Bastion wird unmöglich, jeden Augenblick demaskiren die Russen neue Batterieen, Flatterminen zerreißen den Boden unter den Füßen der Stürmenden; die Generale Breton und Rivet fallen, General Trochü wird schwer verwundet, die Fremdenlegion fast vernichtet und de Salles muß den Befehl zum Rückzug geben in das Innere der vorgeschobenen Waffenplätze. Der russische Ober-Commandant General Graf Osten-Sacken überzeugt sich selbst von dem Sieg der Seinen auf dieser Seite und eilt dann hinüber zu jener Stelle, wo sich das Schicksal des Tages entscheiden muß.

Das ist der Malachof.

Die Zuaven und algierischen Jäger haben bei dem Angriff auf die Batterie Gervais das Jägerregiment Großfürst Michael zurückgedrängt, der Zuave Lebrigaud ist der Erste auf dem Wall und wird schwer verwundet von seinen Kameraden zurückgetragen. Die Franzosen haben sich auf dem verschütteten Graben festgesetzt und schießen durch die Embrasüren, aber das Kostrana'sche Jäger-Regiment eilt der Batterie zu Hilfe, die Kanonen der linken Seite des großen Redan vertreiben die Angreifer von der Batterie Gervais; ein Befehl Mac-Mahons ruft sie zur Unterstützung der Franzosen im Malachof.

Da diese sich hier festgesetzt, geben um 121/2 Uhr drei Raketen aus der Victoria-Batterie den Engländern das Zeichen zum Angriff auf den großen Redan. Sie haben eine breite Fläche aus ihren Trancheen zu überschreiten und das Kartätschenfeuer der Russen decimirt ihre aufgelösten Reihen. Die Anstalten der Engländer sind so schlecht getroffen, daß sich kaum 1500 Mann zum Sturm entwickeln, während ihre Reserven unthätig in den Laufgräben bleiben. Nur Wenige übersteigen die Brustwehr und versuchen die Faschinen auf den Backen der Embrasüren anzuzünden; das Wladimir'sche Regiment, anfangs zurückgedrängt, aber bald unterstützt durch Compagnieen der Regimenter Kamtschatka und Jakutsk wirst die Briten mit dem Bajonet zurück, und das Feld mit ihren Leichen besäend, fliehen diese nach den Trancheen zurück.

Die Schlacht ruht auf dem linken Flügel der Franzosen und auf der Stellung der Engländer, nur um den Schlüssel von Sebastopol, um den Malachof, wird mit gesteigerter Wuth gekämpft.

Der Zuaven-Unteroffizier Lihaut hat die ihm vertraute Fahne auf der Stelle vertheidigt, auf der er sie aufgepflanzt, – von [400] 42 Büchsen- und Musketenkugeln, von drei Kanonenschüssen wird sie zersplittert und zerfetzt, aus fünf Wunden blutet der Held und dennoch wankt und weicht er nicht von seinem Posten. Um ihn haben sich die Kameraden gesammelt und stürmen gegen den Feind; Oberst Collineau, der Kommandeur des Regiments ist am Kopf verwundet, aber die Russen sind bis an die Kehle des Werks geworfen, wo sich rasch die algierischen Schützen in einem Verhau festsetzten.

Jetzt stürmen die Russen wieder heran, GrafWassilkowitsch, der heimtückische boshafte Mann, schlägt sich wie ein Held im Innern der Bastion in der Nähe des alten Thurms, auf welchem die Schützen postirt sind und ein gefährliches Feuer unterhalten. General-Lieutenant Chruleff selbst stellt sich an die Spitze des Regiments Ladoga und stürmt gegen die Kehle der Korniloff-Bastion; er wird in diesem Augenblick verwundet. General-Major Lisenko übernimmt das Kommando und fällt, schwer getroffen, im Eingang der Redoute – General-MajorInseroff läßt sich an der Spitze der andringenden Regimenter tödten – General-Lieutenant Martineau wird schwer verwundet – vier Mal stürmen die Colonnen der Russen, das Bollwerk Sebastopol's wieder zu erobern – vergebens! – immer neue dichte Massen der Franzosen stürzen sich in die eroberte Bastion, die Brigade Vinoy, – das dritte Zuaven-Regiment, der Rest der Reserven – Mac-Mahon selbst übersteigen den Wall, zu seinen Füßen wirrd der tapfere Oberst de la Tour du Pin von einem Wurfgeschoß zerrissen; man kämpft mit dem Bajonnet, mit den Zähnen, mit der Faust, der Fuß gleitet auf Strömen von Blut und Bergen von Leichen!

In den bereits erwähnten Trümmern des ehemaligen Kurgan des Malachof, nahe dem Ausgang, die durch das crenellirte Erdwerk und die soliden Blendungen eine kleine Festung im Innern der Bastion bilden, kämpft mit Glück ein junger russischer Offizier mit etwa 60 Mann, darunter zwei Greise, der Eine in der Tracht der Kosaken, der Andere von riesiger Gestalt in dem Rock der Druschinen. Auf diesen Kurgan stützen sich die letzten Kämpfe der Russen, in seiner Nähe vertheidigt General-Major Wassilkowitsch noch immer die Batterie nach der Seite des Redan. Das mörderische Feuer aus den Schießscharten dieser kleinen Bollwerke erregt die Aufmerksamkeit des Generals Mac-Mahon und er befiehlt dem Obersten des dritten Zuaven-Regiments, sie und die Batterie zu ihrer Seite zu nehmen. Aus die Letzere stürzt sich die Masse – ein Säbelhieb des Colonel verwundet den alten Feind, der ihm gegenübertritt, Graf Wassilkowitsch, von den Seinen geführt, wird mit dem Rest der Russen bis an die Kehle der Bastion gedrängt.

Er erhebt sein Tuch – er winkt hinüber nach dem Kurgan, auf dessen Brustwehr der Greis in der Druschinen-Tracht mit einem Kanonenwischer die stürmenden Zuaven niederschlägt.

Der Alte sieht das Zeichen – er springt zurück – durch [401] die breit von einer Kanonenkugel zerrissene Blendung sieht man ihn mit der Rechten eine Lunte schwingen, mit der Linken eine Steinplatte zur Seite werfen.

Da stürzt sich eine jugendliche Gestalt, blutend bereits aus zwei Wunden, zwischen ihn und die Oeffnung und sucht ihn zurückzudrängen – gleich einem Kinde schleudert sie der fanatische Alte zurück – er hat das Zeichen gesehen, das ihm der Graf gegeben, und will sein Versprechen erfüllen, er beugt sich vor, er hebt die Lunte – da – im letzten Augenblick reißt der junge Offizier das Pistol aus dem Gürtel und sein Schuß streckt den Alten zu Boden. Sein eignes Blut hat Michael, den Tabuntschik, getödtet und den Mord des Kaisers gerächt. Der Hand Iwan Oezakoff's entfällt das Pistol, sein Auge trifft den Vicomte auf der überstiegenen Brustwehr, den seine That am eigenen Volk gerettet, und er verliert das Bewußtsein, während die Zuaven die letzten Vertheidiger des Kurgan hinaustreiben zu Wassilkowitsch's flüchtender Schaar.

Die Sappeure stürzen sich auf die Oeffnung, deren bedeckenden Quader der Tabuntschik gehoben, und entdecken einen Luntengang in die Tiefe, – ihre Schaufeln und Aexte reißen quer vor dem Kurgan die Erde auf und finden noch zwei electrische Dräthe: – das untere Gewölbe des Kurgans ist mit 40000 Kilogrammen Pulver gefüllt, und die Lunte des Roßhirten hätte glorreich die Schreckensthat seiner Jugend gesühnt, wenn die Liebe nicht triumphirt hätte. –

Hinter der Kehle der Bastion entspinnt sich ein neuer Kampf zwischen den verfolgenden Franzosen und den Russen, deren Verstärkungen zu einem letzten Versuch herandringen. Dem von zwei Soldaten zurück geführten General-Major Wassilkowitsch begegnet eine eben herbei eilende Compagnie des Schlüsselburger Jäger-Regiments – Spielwerk der Hölle: – an ihrer Spitze Iwan Oczakoff, dessen That im Malachof er eben verflucht. Der Verwundete stürzt auf ihn zu: »Verräther, wo kommst Du her, ich sah Dich blutend sinken im Malachof nach Deiner schändlichen That?« – »Im Malackof, mich? ich focht am Redan!« – »Lügner, Dich selbst oder Dein Ebenbild – –« Der junge Offizier faßt ihn an – wie ein Blitz zuckt es durch seinen Geist, die Worte, die Annuschka gesprochen, die Erinnerung an die Schwester, die er im Drang der Gefahr ganz vergessen – die Erinnerung an sein Ebenbild im Lager am Sapun, dessen Wort ihn zuerst geweckt aus der geistigen Nacht – eine Schlußreihe von Gedanken in einem Augenblick – »Allmächtiger Gott – Iwanowna anmeiner Stelle!« – Der Graf starrt ihn einen Augenblick an, auch ihm wird mit Blitzesschnelle die Ueberzeugung: »Verflucht sei die Metze, die, um ihren Buhler zu retten, Rußland's Sieg geopfert hat!« – Blutiger Schaum stürzt aus seinem Mund, während Iwan Oczakoff ihn von sich stößt und davon stürmt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[402] Auf seinem Arme hat der alte Kosaken-Häuptling den jungen Offizier des Kurgan aus den Leichenhaufen getragen und lehnt ihn in einem Winkel der Bastion an die Wand, beschützt von Méricourt und dem Sergeant-Major Fabrice. An der Seite des Bewußtlosen knieet Nini, die Marketenderin, seinen Kopf auf ihrem Schooß – sie reißt, schreiend vor Angst und Schmerz um den geliebten Flüchtling, die Uniform ihm auf – eine volle üppige, blutüberströmte Frauenbrust quillt ihr entgegen, enthüllt sich allen Blicken! – »Barmherziger Gott – Iwan – Iwanowna!« tönt auch hier der Schrei des Colonels – – da rast es herbei, die Menschenwoge der Franzosen, geworfen auf dem äußern Abhang der Bastion und die tapfern Feinde dringen ihr nach durch die Kehle des Werks noch ein Mal in das Innere des Malachof! Ein Schlachten, ein Würgen ringsum! An der Spitze seiner Jäger stürmt Iwan Oczakoff auf die weichenden Zuaven, – das Auge der Marketenderin trifft auf die bekannte Gestalt, das bleiche Gesicht; sie fährt empor –: »Das ist der Rechte! Jean! Jean, zu mir!« Da knallen die Büchsen der russischen Jäger – da schlagen die Kugeln ein in nächster Nähe in die Hausen der Franzosen – ein einziger herzzerreißender Schrei und auf die Stelle, wo Iwanowna's Haupt in ihrem Schooß gelegen, stürzt mit zerrissener Brust todt die treue Marketenderin. Ueber den jugendlich schönen Leib hinweg wogt und stürmt der Kampf; – der alte Jessaul hat den Augenblick benutzt, den Körper Iwanowna's über seine Schultern geschwungen und ist mit ihm in den Reihen der Seinen.

Da kracht es und hebt es sich, als wollte die Erde sich gegen den Himmel bäumen, als wären ihre Grundfesten gelöst, der Himmel selbst erzittert, dichte Rauch- und Staubwolken wälzen eine Nacht in den hellen Tag, Trümmer, zuckende Glieder fliegen umher – beide Heere stehen entsetzt und glauben dennoch den Malachof in die Luft geflogen und Tausende in seinen Werken und den Reduits begraben.

Allmälig sinken die Staubwolken, der Malachof steht, hoch von seinem Wall flattert noch keck die Tricolore, – nur die Batterie de la Poterne an der Flanke der Courtine und der Bastion ist gesprengt, das Pulvermagazin durch die brennenden Faschinen entzündet worden.

Einen Augenblick noch stehen erschüttert die Gegner – aber schon haben sich die Franzosen gesammelt.

Neue Massen der Sieger des Malachof stürmen heran – die Russen werden geworfen und retiriren in dunklen Haufen aus der Kehle der Bastion, die rasch mit Faschinen geschlossen wird – auch der letzte Versuch ist gescheitert – der Malachof verloren.

General Osten-Sacken erkennt, daß die Wiedernahme der Bastion eine Armee kosten würde – er beschließt, seinen geheimen Instructionen gemäß, den Sieg auf allen anderen Punkten und die Erschöpfung des Feindes zu benutzen, um die Südseite der Stadt [403] zu räumen, die nach dem Verlust des Malachof nicht mehr zu halten ist. Er befiehlt daher dem General-Lieutenant Schepelieff, ohne einen Angriff auf die Kornilowski-Bastion weiter zu versuchen, den Feind daran zu verhindern, von dort in die Stadt zu debouchiren, und bis zur Nacht die zerstörten Gebäude auf dem nördlichen Abhang des Hügels zu halten. –

Aber nur ein Trümmerhaufe soll in die Hände der Feinde fallen, wie vor 43 Jahren nur die Brandstätte von Moskau den Cohorten des ersten Napoleons überlassen ward.

Von 5 Uhr ab ist der Kampf nur noch durch die Artillerie unterhalten worden. Bei Eintritt der Dämmerung bemerkt man die dunklen Colonnen der Russen über die Schiffbrücke von der Nicolaus-Bastion nach der Sievernaja in ununterbrochener Reihe ziehen. Im Innern des Malachof sind, bereits durch Menschenhände herbeigeschafft, acht Coehorn-Mörser zur Beschießung bereit, mehrere russische Geschütze wieder in Stand gesetzt und General Thiry, der Chef der Artillerie, giebt Befehl, die Brücke zusammen zu schießen.

Aber nur wenige Schüsse fallen, als ein Adjutant des Generalissimus herbeistürmt und den Befehl überbringt, das Feuer einzustellen und den Rückzug der Russen nicht weiter zu hindern. Graf Lubomirski hat sein Versprechen gehalten und Pelissier, ihn verwünschend, alle Verfolgung aufgegeben. Ohnehin wäre sie kaum möglich gewesen, denn Explosion auf Explosion zeigt, wie der abziehende Gegner seine Vertheidigungswerke, seine Pulvermagazine und Gebäude, so wie er sie verläßt, in die Luft sprengt. Rothe Flammenmassen wirbeln an hundert Punkten zum Nachthimmel empor. – – –

Doch die ersten Schüsse auf die Brücke haben noch einige Opfer gekostet. Vergebens hat Annuschka, die junge Wittwe, nach der Sievernaja zu gelangen versucht, den ihr anvertrauten Brief zu bestellen. Truppen, zu den Wällen eilend, füllen die Brücke – sie eilt zurück zum Fort Paul – aber kaum hat sie es erreicht, so verbreitet sich die Nachricht, daß die Franzosen den Malachof genommen haben und in die Stadt dringen. In Todesangst, während Nursädih sich zu folgen weigert, ergreift sie das ihr anvertraute Kind und stürzt auf die Straßen, die zur Brücke der Südbucht und der westlichen Stadt führen, als ein Name mitten in den drängenden Hausen der Soldaten und Bewohner ihr Ohr erreicht: »Meyendorf – Capitain Meyendorf!« Sie faßt die Hand des Offiziers – sie fragt ihn – er ist der Gesuchte und sie übergiebt ihm den Brief, indem sie um seinen Schutz bittet. Aber die Massen trennen sie wenige Augenblicke darauf und vor dem Hagel der Kugeln flüchtet Annuschka unter den Vorsprung eines Hauses, wo ein abgesprengter Stein ihre Stirn trifft und sie bewußtlos und blutend niederwirft.

Capitain Meyendorf hat noch keinen Augenblick gefunden, [404] den ihm so dringend übergebenen, Brief zu lesen; erst als die ersten Colonnen über die Brücke zur Sievernaja ziehen, benutzt er einen günstigen Augenblick, ihn zu öffnen. Noch hat er die ersten Zeilen kaum überflogen, als ihn ein Splitter einer der vom Malachof geworfenen Bomben am Kopf trifft. Er fällt dicht zur Seite des Oberstkommandirenden – sein letzter Laut ist ihr Name – dieselbe Stunde hat sie vereinigt im Himmelreich! –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es ist Nacht. Der Riesenbrand des Nicolas-Fort zeigt, daß die Pontonbrücke bereits abgebrochen worden – von Zeit zu Zeit noch fliegt ein Pulvermagazin in die Luft – die Zahl der gesprengten beträgt fünfunddreißig.

Zehntausend Leichen – darunter 4 russische und 5 französische Generale – decken das Schlachtfeld. Jede der beiden Partheien zählt überdies eine gleiche Anzahl Verwundeter oder Vermißter. Von der französischen Garde, die in's Gefecht gekommen, ist die Hälfte getödtet und verwundet. An einzelnen Stellen, vor dem Redan, an der Kehle des Malachof, liegen die Leichen zu Hügeln gethürmt.

Während die Artillerie und das Genie arbeitet, Batterien zu errichten und die Befestigungen herzustellen, tragen die Soldaten die Leichen in Haufen zusammen und die Chirurgen verrichten bei Fackelschein ihre blutige Arbeit.

Ein Mann – erschöpft – hat diese verlassen und tritt zu einer Gruppe an den Ruinen des Kurgan. Ein Zuaven-Burnus deckt einen am Boden liegenden Körper – es ist Nini's Leiche, deren kalte Hand winselnd Minette, die kleine Katze des Sergeant-Majors, leckt. Der Alte selbst sitzt kummervoll neben der Marketenderin – sein Arm ist zerschmettert und erst flüchtig verbunden, aber er will die Todte nicht verlassen, bis die Kameraden am Morgen sie holen.

Neben ihm, an die Trümmer des Kurgan gestützt, steht Bourdon, der Sergeant, unverletzt im dichtesten Kampfgewühl, die Augen finster, thränenleer auf den Körper zu seinen Füßen gerichtet. Colonel Méricourt spricht mit Jussuf, dem Mohren; – er ist mehrfach, aber leicht verwundet und nach dem Zurückführen des Regiments, dessen Commando er dem einzigen unverletzten Capitain übertragen, in den Malachof zurückgekehrt.

Welland, der trotz seiner schimpflichen Entlassung seine Pflicht als Arzt erfüllt hat, reicht dem Freunde die Hand, er hat bereits den größten Theil der Ereignisse des Tages erfahren. Der Colonel bittet ihn, einem jungen Russen seine Hilfe angedeihen zu lassen, den Jussuf, durch die Nennung seines Namens aufmerksam gemacht, an der Kehle des Werkes aus den Leichenhaufen hervorgezogen. Es ist Olis, der Kosak Iwans, oder vielmehr Iwanowna's, der an der Seite des jungen Fürsten – der Letzte der sechs Brüder – gefallen. Der Arzt erkennt bald, daß menschliche Hilfe [405] hier vergeblich, und sucht nur den Tod des Armen nach Kräften zu erleichtern. Man hat ihn neben Nini gebettet.

Dann erklärt Jussuf, der Mohr, seinem Herrn den Entschluß, in die brennende Stadt hinabzusteigen, deren Wege er kennt und bis zum Paul-Fort vorzudringen, wo – wie ihm der Sterbende beschrieben – die Schwester und die Fürstin gewohnt. Eine drängende Ahnung der Seele treibt den Vicomte zur Begleitung an – auch der Arzt erbietet sich dazu, nachdem er sich einige Augenblicke erholt. Russische Soldatenmäntel, um sie im Innern der Stadt unkenntlich zu machen, sind leicht herbeigebracht von den zahllosen Leichen. Als die Gesellschaft das Werk verläßt und Méricourt die ausgestellten Posten mit dem Paßwort befriedigt, gesellt sich stumm, aber entschlossen, Sergeant Bourdon zu ihr.

Es ist ein furchtbarer Gang. In der Nähe der Schlachtfelder Leichen auf jedem Schritt; zwischen Trümmern und verstreuten Kugeln, demontirten Geschützen und Munitionskarren schreitet man vorwärts in ein Chaos der Zerstörung. Aber je weiter man vordringt – die russische Armee scheint verschwunden, nur die dunklen Gestalten einzelner Marodeurs schleichen umher, schmerzliches Stöhnen eines Verwundeten und Zurückgelassenen dringt hier und da an ihr Ohr. Brennende Magazine beleuchten von Zeit zu Zeit ihren schaurigen Weg – der Donnerschlag einer aufgesprengten Batterie auf der Westseite zeigt ihnen, daß der Feind wenigstens noch thätig ist in der aufgegebenen Stadt.

So – im Schutz der Dunkelheit oder der grellen Feuersbrunst, der allgemeinen Verwirrung und Zerstörung, die nicht nach Freund und Feind fragen läßt, und in der bergenden Verhüllung ihrer Platschtsch's – gelangen die kühnen Männer, in den Abhängen an der Schifferbucht sich haltend, in die Nähe des Pauls-Forts. Der Umstand, daß es noch nicht gesprengt oder angezündet, beweist, daß man es noch nicht gänzlich aufgegeben, daß noch menschliche Wesen darin sind. Jussuf schleicht sich voran, die Gefährten in einem Versteck zurücklassend; bald kehrt er wieder, er ist auf keine Gefahr gestoßen, nur auf entsetzliches Leid – und winkt ihnen zu folgen.

Sie gelangen glücklich in den ersten Hof und durch diesen in eine Höhle der Verwesung und des Jammers, in die Lazarethe.

Von allen Schrecknissen des Krieges, die sie erlebt, ist dieser Anblick der schrecklichste, herzbrechendste. Lange Reihen von Verwundeten, mit Todten, ja bereits Verwesenden abwechselnd, haben als rettungslos zurückbleiben müssen – faulende und verfaulte Körper in ihrem letzten Todeskampf, dicht an einander gedrückt – ohne Beistand, ohne Pflege, die Einen auf der Diele, die Andern auf elenden Bettstellen oder blutgetränkten Strohbunden, aus denen ekle Flüssigkeit sickert. Die Mauern, das Dach des Saales, von Bomben gespalten – liegen sie da, die Unglücklichen – Viele noch lebendig, während die Maden bereits an ihren Wunden nagen; [406] Andere halb wahnsinnig vor Schmerz und Leiden, haben sich dem Eingang zugewälzt, um der Hölle zu entrinnen, und deuten sterbend, um einen Tropfen Wasser flehend, auf ihre Todeswunden. Der beengende Leichengeruch, dieser Gestank von brandigen Wunden, verpestetem Blute, verwesendem Fleische ist grausenhaft über alle Begriffe – selbst der Arzt, der die türkischen Lazarethe an der Donau gekannt, schaudert im tiefsten Grauen – Méricourt verhüllt das Gesicht. »All' dies unsägliche Elend – für welchen Zweck?!« – Endlich gelangen sie in den zweiten Hof – zu der Reihe der kasemattirten Wohnungen. Sie wagen es nicht, eine der wenigen, still und verdrossen umherwandernden Gestalten anzusprechen, um sich nicht zu verrathen – Stube auf Stube durchsuchen sie – alle sind leer, oder die Bewohner stumm – auf ewig.

Endlich deutet der Arzt auf ein Licht, das aus dem Gitterfenster einer Mauer leuchtet – man findet die Thür und öffnet sie – ein leiser monotoner Gesang, eine jener Todtenklagen summt ihnen entgegen, die melancholisch fallende Melodie der Steppenvölker des Ostens; – sie treten ein: auf einem Feldbett ruht eine halb verhüllte Gestalt, zu ihren Füßen schläft ein kleines Mulattenkind, eine schwarze Frauengestalt kniet daneben und am Kopfende murmelt Iwan der Jessaul, Iwan der Steppenteufel seine Todtengebete. Der Schein einer Lampe fällt auf das Gesicht der Gestalt auf dem Lager – hellbraune Locken umgeben das bleiche Oval, die festgeschlossene Lippe, das volle Kinn – den schönen Schwung des Gesichts – den halb entblößten Frauenbusen – es ist Iwanowna, und der Colonel stürzt an ihre Seite und bedeckt die kalte Hand mit Küssen.

Noch eine andere Scene hat sich im gleichen Augenblick ereignet; – von dem Bruder, der sie emporhebt, gleitet der thränenschwere Blick des armen Mohrenmädchens auf den deutschen Arzt. Da stammelt sie seinen Namen, reißt sich los von dem Bruder und streckt Jenem das schlafende Kind entgegen. Er zaudert, er sieht sie mit verwunderten Blicken an, bis sie, mit der Linken das Kind an ihre Brust gepreßt, ihn mit der andern Hand in den Strahl der Lampe zieht und diese Hand ihm entgegenhält – auf dem vierten Finger der schwarzen Hand glänzt ihm der Granatreif, das Geschenk seiner Schwester, entgegen, den er der Unbekannten gegeben, die in der süßen Nacht von Madara sein Lager getheilt.

Die Wahrheit überkommt ihn mit überzeugender Gewalt, und er drückt Weib und Kind an die Mannesbrust.

Die Todtenklage des Jessaul ist verstummt; flammenden Auges, Angst, Entzücken in allen Zügen, reißt der Colonel den Freund aus den Armen der schwarzen Sclavin zum Lager Iwanowna's – und legt seine Hand auf den Marmor-Busen, den so eben seine Lippen berührt. Der erfahrene Arzt fühlt sofort den leisen Schlag des Herzens, das noch pulsirende Leben. Sein Wink entfernt die Anwesenden mit Ausnahme Nursädih's und seine geschickte Hand [407] beginnt sofort die Untersuchung der Wunden, die nur unvollständig verbunden sind. Nursädih erzählt ihm, daß der alle Jessaul die Fürstin bis in das Fort gebracht, daß Iwan, ihr Bruder, in rasender Leidenschaft, all' ihre unendliche Aufopferung vergessend, mit einem Fluch sie dem Tode überlassen, weil sein Ebenbild Schmach auf seinen Namen gehäuft und der Rettung des Feindes ihres Volkes die Rettung Sebastopols geopfert habe, – und daß sie, erschüttert, mit gebrochenem Herzen, wieder in jene tiefe Ohnmacht gefallen, die die Unkundigen für den erlösenden Tod gehalten.

Nach kaum zehn Minuten kann der Arzt dem Freunde die Versicherung bringen, daß keine der Wunden des hochherzigen Mädchens tödtlich ist, daß nur der starke Blutverlust ihren gefährlichen Zustand veranlaßt hat. Eine rasche Berathung der Männer folgt: die Möglichkeit einer Rettung Iwanowna's liegt in ihrer Entfernung aus dem Fort und man beschließt, sie zu versuchen. Eine Tragbahre ist rasch aus dem Lazareth herbeigeschafft und von liebenden Händen geordnet. Der Jessaul, dem der Colonel durch Nursädih volle Freiheit, zu gehen und zu kommen, zusichert, will Die nicht verlassen, die er so lange bewacht. Er und der Mohr nehmen die Trage, an deren Seite der Arzt und der Colonel sorgsam über die Bewußtlose wachend gehen, während Nursädih voran den nächsten Ausweg in die Stadt zeigt, ohne das Lazareth nochmals zu berühren, und der Zuaven-Sergeant den Rückzug deckt. Die Hand des allmächtigen Gottes ist über ihnen in den Gefahren der brennenden Stadt, der explodirenden Minen, und als die erste Morgendämmerung über den Höhen von Inkermann dämmert, sind sie bereits im Schutz der französischen Posten.

François Bourdon, der tapfere Zuave, ist nicht allein, auf seinem Arm trägt der Tapfere ein junges Kind, dessen leises Wimmern ihn auf dem Wege durch die Straßen unter die Halle eines halb zerstörten Hauses gelockt und das der leicht zum Mitleid bewegte Soldat aus den Armen einer blutbedeckten erstarrten Frau genommen. Er bringt das Kind dem Regiment als Ersatz für die jetzt todte Schwester!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es ist wiederum Mittag – auf dem Malachof-Hügel sitzen, drei Männer, ernst und düster auf die zerstörte Stadt, auf die blaue Rhede schauend, von der die mächtige Kriegsflotte des Pontus, der Stolz Rußland's, verschwunden ist, verbrannt, versenkt in die Tiefen des Meeres, das sie so lange beherrscht. Noch dampfen und rauchen die Ruinen der Stadt, noch donnert in langen Zwischenpausen eine einzelne Explosion und von den Nordforts herüber dröhnt von Zeit zu Zeit ein warnender Schuß.

Einzelne Haufen plündernder Soldaten sind bereits in die Vorstadt hinabgestiegen, aber noch wagen nur Wenige, weiter vorzudringen, obgleich man die Stadt jetzt vom Feinde verlassen weiß.

Tausende sind beschäftigt, weite Gräber zu graben, in denen [408] die erbitterten Gegner friedlich neben einander schlafen sollen, bis ein anderer Trompetenstoß sie weckt – zum ewigen Weltgericht. Man muß eilen mit den Leichen, denn die Sonne des Südens brennt verwesend und giftige Fliegenschwärme umsummen bereits die Todten.

Am Fuße des Malachof-Hügels, zu Füßen der drei Männer, graben Zuaven ein einzelnes Grab – an dessen Seite harmlos ein zweijähriger Knabe spielt. Es ist Nini's Grab, und die Hand des Bruders bettet sie in den Schooß der Erde. Wie Kinder schluchzen die bärtigen wilden Gesellen, die gleichmüthig als Loos der Schlachten tausend tapfere Kameraden an ihrer Seite fallen sahen. –

Die Augen der drei Männer am Hügel schweifen über die Gräber und über die Trümmer – suchend und suchend – vielleicht bis der Tod sie selbst nimmt. Der Eine hat auch den Liebling vor wenig Stunden in die Erde gebettet – er schaut jetzt nach dem Letzten seiner Enkel, welches der weiten Gräber vielleicht ihn birgt – denn allein ist Fürst Iwan aus dem Kampfe zurückgekehrt! – Der alte Pole an seiner Seite sucht den Einzigen, den Knaben seines Herzens, und sein greises Auge sieht hinüber nach den Felswällen der Sievernaja, als könne es sie durchdringen und erkunden, ob sie den Geretteten bergen? – Der Dritte – der stolze Baronet, schaut mit gefalteten Händen, mit unstätem, verzweifelndem Blick auf die riesige Trümmer- und Todesstätte und ahnt nicht, wie nahe ihm das Ersehnte, wenn die strafende Hand Gottes den Schleier von seinem Auge nehmen wollte.

Drei Männer – Männer im Sturme des Lebens! – die ihr Theuerstes verloren und zu ihren Füßen die Gräber und die Trümmer Sebastopols!

Suchet! – Suchet! – Suchet! –

Fußnoten

1 Wegen des Versuchs, den Eisenbahn-Train des Kaisers in die Luft zu sprengen.

2 Osman-Bey.

3 Die südlichste Spitze Siciliens.

4 Il. – kleine Redan.

Die letzte Rose von Charlottenhof
[409] Die letzte Rose von Charlottenhof.

Zwei Jahre fast sind verschwunden seit der Einnahme Sebastopols, – Frieden sind geschlossen, neue Bündnisse erregen die Welt, der Osten stürzt sich mit Gewalt in die Cultur des Westen und reißt die fest gebauten Schranken zweier Jahrhunderte nieder.

Die Dynastie der Napoleoniden ist legitimirt durch Visiten und Gegenvisiten, es hat ein Heer von Sternen geregnet – Frankreich hat seinen Sohn – und der Hat-Humayum hat Alles beim Alten gelassen! Unter der Asche Italiens lodert die Revolution und am Ganges zieht das Gericht der Vergeltung herauf für die prahlerischen Wucherer mit dem Blute der Völker.

Was ist anders? – Ein großes Herz fehlt in den Reihen der Gesalbten und viermalhunderttausend ordinaire Menschen deckt die orientalische Erde!!! – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die sonntäglichen Extrazüge haben Tausende müßiger, vergnügungslustiger Berliner nach dem Paradiese von Sanssouci befördert, von dem sich der Königliche Monarch von Preußen nur den kleinen Raum der obern Terrasse mit der Sterbestätte seines großen Ahnen bewahrt. Wenn das Leben und Wohnen irgend eines Hofes der Welt öffentlich und dem Volke gehörig ist, so ist es das des Königlichen Hauses der Hohenzollern. Der König von Preußen ist ärmer, als der geringste seiner Unterthanen; denn er hat in der That kaum ein eigenes Haus.

Dieser schöne Zug von Königlichem Socialismus zeigt sich durch die ganze erhabene Familie. Fremde und Einheimische erzählen, daß der ritterliche Prinz von Preußen mit dem beau idéal eines künftigen Regenten, dem Prinzen Friedrich Wilhelm, geduldig vor der Thür von Babelsberg, ihrem herrlichen Schlosse, gewartet haben, indeß das Publikum neugierig und indifferent ihre Arbeits- und Schlafkabinette beschaute. Eben so hindert auf Sanssouci die dünne Schnur vor dem Zugang der obersten Terrasse nicht den Blick in die Häuslichkeit des mächtigen Fürsten.

Die Kunstschätze und die herrlichen Anlagen des Parks haben [410] heute nicht allein die Menge nach der zweiten Residenz des Königs gezogen. Erhabene Gäste weilen dort, – Namen, auf welche die Welt schaut, eine hohe Frau, jedem Preußen bekannt und jedem Preußenherzen theuer in ihrem Wittwenschleier, wie einst unter dem Blumenkranz des Mädchens und unter der Krone des größten Reiches der Welt; – ein Fürst, der eine halbe Erde, sein Erbe reformiren will und der Raum zu dem Versuche findet von der Weichsel bis zum chinesischen Meer, vom Nordpol bis zum Fuß des Ararat; – ein Prinz, der sich im Schlachtgewühl von Inkerman den Lorbeer geholt, den er jetzt in den Myrthenkranz der Braut schlingen will.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das schöne militairische Fest des Mittags, dem der ganze Hof beigewohnt, ist vorüber, die Höchsten Herrschaften haben sich einen Augenblick zurückgezogen, die Hitze hat auch das Publikum vertrieben, und nur einzelne Gruppen von Damen und Herren, meist in reichen Uniformen, bewegen sich in dem duftigen Schatten der riesigen hundertjährigen Orangen und der vergoldeten Broncelauben, während die Wasser der herrlichen Cascadenfontainen über ihre Marmorbecken niederrauschen und aus dem Meer grüner Baumgipfel der Strahl der Riesenfontaine seine Perlen in die Lüfte streut.

Auf einer der zierlichen Gitterbänke von Gußeisen sitzen zwei Damen, eine ältere mit festen aristokratisch stolzen Zügen, das Auge beweglich und doch so sicher, die Zweite jung, zierlich und elegant gebaut, zu dem hellblonden Haar und der etwas matten seinen Miene passend. Eine Dritte, imponirend durch ihren Wuchs, die Zahl der Sommer durch die blendende Toilette unmöglich zu entscheiden, wenn der Gothaer Almanach nicht zu Hülfe kommt, mit dunklem Auge die Gruppe überblitzend, stützt leicht die von der feinsten Pariser Hülle bedeckte Hand auf den Kasten des nächsten Orangenbaumes.

Vier Herren stehen im Gespräch um sie gruppirt, nur einer davon ist in Civil, die drei Andern tragen Uniform. Der Erste von ihnen ist ein hoher Offizier von hohem Alter, aber von ungebeugter martialischer cavaliermäßiger Haltung. In dem kleinen von Falten umgebenen Auge, das scharf umherblickt, liegt ein gewisser gutmüthiger Humor; er spricht langsam und gegen Männer mit dem Ausdruck Eines, der zu befehlen gewohnt ist.

Der Zweite ist ein Garde-Artillerie-Offizier in der vollen stattlichsten Mannesblüthe. Sein frisches Aeußere imponirt, seine Bewegungen sind die der höchsten Gesellschaft und stellen seinen Nachbar in Schatten, der zwar von gleichem Alter und in einer glänzenden russischen Garde-Uniform, die junge breite Brust mit Orden bedeckt, doch zuweilen zeigt, daß das Feldlager und Schlachtgewühl ihm ein gewohnterer Boden, als das Parket eines glänzenden Hofes. Sein interessantes männlich schönes Gesicht ist eine Verschmelzung slavischer mit deutschen Zügen.

[411] Der Herr im schwarzen Civilfrack, auf der Brust eine Reihe von Orden, unter denen das Hohenzollernkrenz ein Herz deckt, das mit jedem Gedanken, mit Wort und That auf diese Anerkenntniß seines Königs ein Recht hatte, zeigt ein gewisses Embonpoint, jene solide Behaglichkeit geistreicher Genußmenschen. Für die letztere Eigenschaft spricht das runde kräftige Kinn, für die erstere das blaue klare und doch scharfe Auge, die rastlose Beweglichkeit dieses höfischen gemüthlichen Proteusgesichts, das bald Spott und Humor, bald sinnenden Ernst, ja tiefes Studium zeigt, ewig wechselnd im Ausdruck nach der Stimmung und dem Stoff, mit dem sich sein Geist augenblicklich beschäftigt, – den Ausdruck, dessen Vielseitigkeit auf die Leinwand zu fesseln der geniale Pinsel Adams's allein vermocht hat.

Der fortschreitende Geist der Zeit hat nicht allein die Völker, sondern auch die Höfe der Fürsten geläutert. An Stelle der Grumbkow's sind Männer wie Humboldt und Jener getreten, das schönste Zeugniß für den erhabenen Standpunkt Dessen, der ihnen das Vertrauen seiner Mußestunden zugewendet.

»Sie sind uns noch den hohen Scherz schuldig, Prinz Kraft,« sagte die sitzende Dame mit dem strengen Ausdruck, »über den unser Hofrath so viel gelacht. Mon Dieu, wäre er nicht für unsere Ohren?«

»Warum nicht, meine gnädigste Gräfin,« erwiederte der junge Offizier. »Ich überbrachte die telegraphische Depesche von Wien, welche für morgen die Ankunft Ihrer Majestät der Königin von Griechenland meldet; Seine Majestät meinten heiter scherzend: Das Hotel zum Schwarzen Adler wäre in diesem Sommer doch das besuchteste von ganz Berlin.«

»Wenn Ihre Majestät die Königin von Griechen land kommt,« bemerkte mit leichter Satyre die hohe Dame am Orangenbaum, »so werden wir Gelegenheit haben, zu erfahren, ob Ihr Herr Caraiskakis oder Grivas noch am Leben, lieber Hofrath?«

»Es ist doch recht abscheulich von Ihnen,« sagte die junge Blondine, »daß Sie das arme Marketendermädchen so grausam sterben lassen. Sie sind sonst so ein herzensguter Mann und lesen uns manchmal so liebe komische Dinge, daß ich gar nicht begreife, wie Sie so grausam sein können.«

»Also Sie haben das Buch auch gelesen, ma chère?« fragte scharf die ältere Dame, »Sie leugneten es doch neulich auf das Bestimmteste.«

Das reizende Gesichtchen der jungen Baronesse überzog sich mit Roth. »Es fielen mir neulich einzelne Hefte bei meiner Schwester in Berlin in die Hände, deren Gemahl sich dafür interessirt. Die Beschreibungen der Schlachten sind wirklich – wie soll ich sagen, recht unterhaltend, namentlich wenn man jetzt die Herren vor sich sieht, die darin mitgekämpft. Haben Sie nicht auch die militairischen Schilderungen recht pikant gefunden, Excellenz?«

[412] »Verzeihen Baroneß,« sagte der alte Feldmarschall trocken, »ich lese dergleichen Zeug's nicht. Ich begreife nicht, wie sich hier der Hofrath, seiner Zeit ein ganz verständiger Soldat, mit so nichtsnutzigem Geschreibsel befassen kann!«

Der Hofrath wehrte mit Hand und Mund. »Ich bitte Euer Excellenz und Sie meine gnädigsten Damen auf das Unterthänigste, doch endlich Akt zu nehmen von meinem Protest. Ich werde doch gewiß nicht einen solchen Verstoß begehen, ein Buch zu schreiben, in dem allerlei lebende hohe und verehrungswürdige Persönlichkeiten mit so frevelhafter Dreistigkeit behandelt sind.«

»Sie haben Recht, lieber Hofrath,« sagte die ältere Dame, »ich traue Ihnen so Etwas nicht zu, obschon Sie manchmal gewisse kleine Tücken noch immer nicht ablegen können. Nicht wahr, ma Comtesse, Sie sind auch meiner Meinung?«

Die schöne Dame am Baum klappte mit einem leichten ironischen Lächeln den Fächer zu. »Man hätte am Ende gar noch zu befürchten, selbst zur Staffage der Scenen des unbekannten Autors zu dienen!«

»Himmel! was denken Sie, meine Liebe, – eine solche Anmaßung! Ich schicke Ihnen morgen Ihr häßliches Buch durch meinen Diener zurück, Hofrath, ich mag es gar nicht zu Ende lesen; es war ohnehin unverantwortlich von dem Autor, wer der Herr auch sei, so lange mit dem Schluß uns warten zu lassen.«

»Ich traue Ihnen doch nicht, Hofrath,« sagte der Artillerie-Offizier, »die allgemeine Stimme hält Sie oder den Kabinetsrath für den geheimen Verfasser oder Faiseur, denn es ist unglaublich, daß einem der gewöhnlichen Herren von der Feder alle die Hilfsquellen und Mittel zu Gebote gestanden hätten, die offenbar zu dem Buche benutzt sind.«

»Auf meine Ehre, Durchlaucht,« betheuerte der Hofmann, »Sie thun mir Unrecht. Der Autor, wenigstens der, den ich dafür halten muß und den ich freilich das Unglück habe zu kennen, der mir aber gewiß selbst noch irgend eine Bosheit für das Gerücht spielt, war heute im Park. Ich sah ihn unter dem Publikum bei dem Fest.«

»Ei, und Sie zeigten ihn uns nicht? Sein Name?«

Der in die Enge getriebene Hofrath nannte nach einigem Sträuben, als die Hand der schönen Dame sich halb schmeichelnd halb befehlend auf seinen Arm legte, den bescheidenen Schriftsteller-Namen.

Niemand zollte ihm weitere Aufmerksamkeit, als der Russe; – mit der Gewöhnlichkeit eines Namens schwindet ja so häufig das Interesse an irgend einer bis dahin pikanten Erscheinung.

Der russische Capitain bat den Hofmann, den Namen zu wiederholen, was dieser mit seiner einschmeichelnden Gefälligkeit that. »Er wird vielleicht ein kleines Interesse für Sie haben, Herr von [413] Potemkin, weil Sie selbst ja jene blutigen Tage so ehrenvoll mit durchkämpft,« er deutete fein auf die Orden. »Ja – es ist merkwürdig, ich erinnere mich sogar, daß Ihr in Rußlands Geschichte so berühmter Name in eine Scene an der Donau, ich glaube, bei der Verwundung des Generals Schilder, verflochten ist.«

»Ich stand allerdings bei Silistria und hatte bei Inkerman die Ehre, Seiner Kaiserlichen Hoheit bekannt und deshalb zu Höchstseinem Stabe befördert zu werden. Das Buch, von dem Sie sprechen, mein Herr, ist mir jedoch unbekannt und ich fragte bloß nach dem Namen, weil er der meiner verstorbenen Mutter ist. Sie war eine Deutsche und mein Vater lernte sie in dem Feldzuge von 1813 kennen.«

»Ihre gnädige Frau Mutter hat vielleicht Verwandte bei uns?«

»Ich weiß es nicht – meine Mutter starb sehr jung – man sagte mir später, am Heimweh. Ich habe nie den meinen Verwandten gehört und mein Kriegerleben von Jugend auf hat mich auch gehindert, danach zu forschen.«

Die Gesellschaft erhob sich, denn es zeigte sich eine Bewegung am mittlern Pavillon und aus den Laubgängen von der Seite der berühmten Mühle von Sanssouci her kam, von hohen Militairs gefolgt, ein majestätisch stattlicher Offizier in der Uniform eines preußischen Ulanen-Regiments. Der Feldmarschall ging ihm sogleich ehrerbietig entgegen.

»Bitte, bester Hofrath,« flüsterte im Vorübergehen die junge blasse Baronesse dem Civilisten zu, »fragen Sie doch den Herrn, was aus der Gräfin Iwanowna geworden und ob sie sich wirklich noch bekommen haben?«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In der schattigen Allee, nahe der prächtigen und künstlerisch sinnigen Idylle, mit deren Namen ein mächtiger Fürst das Andenken seiner erhabenen Schwester feierte, und die in früheren Zeiten, als der unvergeßliche, heilig verehrte Vater noch die Krone trug, sein Lieblingsaufenthalt war, gingen zwei Männer spazieren, von einem blonden kräftigen Knaben gefolgt.

Wir sind ihnen früher begegnet – auf der Rennbahn bei Berlin, dem Journalisten mit dem losen Mund und seinem Freund, dem Arzt, der damals nach Sebastopol ging. Er ist zurückgekommen aus den südlichen Steppen des russischen Kaiserreichs, wo er nach dem Fall von Sebastopol sich eine Existenz gegründet hat, um noch ein Mal die hochbetagte Mutter zu sehen und die Freundin, die treulich auf ihn, den längst in Rußland Verheiratheten in stiller unerkannter Liebe gehofft.

»Sagen Sie mir, lieber Freund,« fragte der Doctor, »was ist aus der vornehmen schönen Dame geworden, der wir damals zufällig Gelegenheit hatten, einen kleinen Dienst zu erweisen? – Besuchen Sie noch ihr Haus, wohin der Herr Gemahl Sie eingeladen?«

[414] »Der Graf ist vor etwa zwei Jahren gestorben und hat sie als reiche Frau hinterlassen. Die Gräfin hat jedoch vorgezogen, die erneuerten Bewerbungen des früheren Verehrers zurückzuweisen, und statt am Cap der guten Hoffnung sich unter den Kaffern und Buschmännern anzusiedeln, mit – einem hübschen an Kindesstatt adoptirten Mädchen auf eines ihrer Güter in Schlesien zurückzuziehen. Doch bei der Erwähnung fällt mir ein, daß Sie ja damals auch mit einer der Persönlichkeiten bekannt wurden, denen man später den gemeinen Verrath der von untreuen Dienern erkauften russischen Depeschen an Frankreich und England schuld gab.«

»Wen meinen Sie?«

»Den Mann, der das Geheimniß der armen Frau von jenem abscheulichen Weibe erfahren wollte und leider auch wirklich später durch einen unglücklichen Zufall erfahren hat. Er sog sich wie ein Blutigel an dem Erlauschten fest und erst der Tod ihres Gemahls befreite die Gräfin von seinen Erpressungen.«

»Es erfolgten ja damals wohl verschiedene Verurtheilungen?«

»Das Sprüchwort von den kleinen und großen Dieben hat sich nur theilweise bewahrheitet. Es schwebt immer noch ein gewissen Geheimniß über der Sache, das die eben verbreitete Nachricht eines Berliner Blattes von der Anstellung einer der Hauptpersonen keineswegs geeignet ist, aufzuklären. Ein Opfer ist freilich der Justiz gefallen. Wenn man, wie Andere, aus aller Zeit dreitausend Thaler Antheil an gewissen Versicherungsgesellschaften bezieht, kann man wenigstens den Folgen Trotz bieten. Die Polizeiakten einer nordischen Provinzial-Residenz sollen darüber interessante Daten liefern.«

»Lassen Sie mich etwas Anderes fragen. Wollen Sie denn Ihr Buch nicht beenden? So viele der lebendigen Figuren, an denen der Leser reges Interesse genommen, sind ohne Abschluß geblieben.«

Der Journalist lächelte spöttisch, indem er dem Knaben, der neben ihn getreten, das blonde Haar aus der Stirn strich. »Warum denn Alles immer erschöpfen bis auf die Hefe der Alltäglichkeit? Sind wir nicht schon Philister genug? Soll ich ihnen etwa erzählen, daß der deutsche Demokrat und seine schwarze Gattin von Mariam's Todesgeschenk glücklich und zufrieden unter dem Schutz der despotischen Herrschaft des Doppeladlers in Odessa leben, die schwarze Frau ihrer Liebe und er in weitem Wirkungskreise geehrt und gesucht? – Sie selbst sind dem Paar ja dort begegnet und wissen, daß er das beste Theil erwählt; denn mit der Mohrin am Arm wäre in den Berliner Straßen ihm die löbliche Gassenjugend nachgelaufen und hätte Pietsch gespielt!«

»Aber Méricourt? Iwanowna?«

»Auf den hohen Bergebenen des freien Daghestan soll ein Haus stehen, halb Palanka, halb Villa, das der Gattin Djemaladin's gehört, des verschollenen Tscherkessenprinzen, die er sich geholt [415] in sternenloser Nacht am Ufer des Kuban. Dort wohnt ein fremder Krieger mit seinem Weibe, – sie Beide haben Namen und Glanz aufgegeben und mit der Vergangenheit gebrochen; er schwingt den Säbel nicht mehr für Ehre und Fürstengunst, sondern nur, wenn die Gefahr es heischt, für die heiligen Nationalrechte eines freien Volkes; sie vergißt im Arm der Freundschaft und Liebe den undankbaren Fluch eines Bruders. Ob es Méricourt, ob Iwanowna, das Paar, von dem ich hörte – ich weiß es nicht! Was kümmern mich die Briefe an Herrn Nöhring, meinen Verleger, die nach ihrem Schicksal fragen. Wollen Sie die Badeliste von Kissingen lesen, – Sie finden vielleicht Fürst Iwan darin. Durch die französischen und deutschen Blätter lief schon im vergangenen Winter die artige Anecdote von dem Zuaven-Sergeanten, der ein Kind in den Trümmern von Sebastopol unverletzt in den Armen einer blutbedeckten, anscheinend todten Frau fand und mit sich nahm. Eine trauernde Dame – so lautet die Geschichte der Zeitungen – steigt eines Tages, nachdem die Presse viel von dem kleinen Regimentsknäblein der Zuaven erzählt hat, in Begleitung von Freunden an der Kaserne der Rue de la Pépinière ab; sie fragt nach dem Sergeanten B ......, man sagt ihr, der Herr Lieutenant wohne in der Nachbarschaft. Die Besucher begeben sich dahin. Als die junge Frau in das bescheidene Zimmer des Offiziers tritt, sinkt sie ohnmächtig auf einen Stuhl; sie hat das Kind, das sie zu Sebastopol verlor, spielend am Boden erkannt. Lieutenant B. erzählt einfach, was er gethan, und indem er die älteren Rechte ehrt, bittet er nur um die Erkaubniß, den Kleinen von Zeit zu Zeit umarmen zu dürfen. Der Bericht fügt bei, daß der Knabe im Hôtel der schönen russischen Dame mit dem französischen Namen bald Vater und Mutter haben würde. Sind Sie nun befriedigt?«

»Aber – – –«

»Kein ›Aber‹, Freund, ich habe genug schon gegen das eigene Gefühl gesündigt. Da blicken Sie hin, ein Stück Geschichte aus der Gegenwart, das interessanter ist, als jede Romanfigur. Die Mütze ab, mein Junge, hier kommen Die, vor denen sie jeder Preuße zieht.«

Equipagen, gallonirte Vorreiter voran, die prächtigen Rappen des Trakehner Gestüts biegen in die Allee und halten vor dem Eingang von Charlottenhof. Ehrerbietig ziehen sich die Zuschauer in die Umgebung des berühmten Rosengartens der Villa zurück. Der prächtige Blumenflor ist zwar längst vorbei, die Hitze des Sommers hatte die Blätter vor ihrer Zeit verdorrt, die Winde haben den Rest zerstreut in die Lüfte und blüthenleer stehen die mit seltener Kunst gezogenen und gepflegten Stämme.

Nur an einem Zweig noch blüht in sich entfaltender Pracht eine dunkle Granatrose, gleich einem schimmernden Blutfleck auf dem grünen Gewand der Blätter. Herrlich ist ihr Kelch aufgethan, süß der Duft, der ihr entströmt.

[416] In ehrerbietiger Ferne halten sich die wenigen zufällig Anwesenden, als die hohe Gesellschaft aus dem grünen Rondeel der prächtigen Villa tretend, den leeren Rosengarten durchwandelt. Eine Dame, in einen Schleier gehüllt, die Farben ihrer Robe blau und weiß, wird von einem jungen stattlichen Offizier geführt; der hohe Mann, den auf der Terrasse der Feldmarschall begrüßte, geht an ihrer andern Seite, mit einer still freundlichen Dame sich unterhaltend, die jenen höchsten Ruhm des Frauenhaften selbst auf einem Throne genießt, daß nur bei Werken des Segens von ihr gesprochen wird. Ein ältlicher, etwas starker Herr von etwa 60 Jahren, in einfacher Uniform, promenirt, mit einem jungen reizenden Mädchen plaudernd, voraus. Seine Stirn ist hoch, das runde offene Gesicht voll Seelengüte und Würde, die von der Kurzsichtigkeit und dem Bedürfniß, sich eines Glases zu bedienen, häufig zwinkernden Augen leuchten Humor und Geist. Der Herr bleibt vor der Rose stehen und betrachtet sie durch das Glas. »Ah magnifique! Sehen Sie einmal, schöne Nichte, ist das nicht deliciös? Noch so spät und so süperbe Entfaltung!« Er verweilt einen Augenblick, während der hohe Kreis weiter schreitet. Sein Auge fällt auf eine Gruppe, die in einem Seitengang des Gartens steht – ein hoher, alter und ehrwürdig aussehender Mann von feiner aristokratischer Haltung, an seiner Hand ein junges reizendes Mädchen, und neben ihnen ein schlichter, einfacher Arbeiter in kräftigen Mannesjahren, mit einer offenen Blouse und einem grauen Hut bekleidet, den er jetzt in der Hand trägt und der um einer preußischen Kokarde geschmückt ist, obschon der Mann etwas Fremdes in seinem Aeußern zeigt.

Die kleine Gesellschaft ist schon früher dem Arzt und Journalisten aufgefallen, wie sie jetzt dem hohen Herrn am Rosenbaum auffällt. Er winkt ihr, näher zu treten, und der alte Mann, die Hand des Mädchens fassend, gefolgt von dem Handwerker, naht sich mit ehrerbietigen, von der feinsten Tournüre zeigenden Verbeugungen.

»Wer sind Sie? – Sind Sie fremd hier?«

»Sire! ich nenne mich Ereuxdeven! und komme aus – aus dem neuen Canton Neuenburg, Sie noch ein Mal zu sehen, ehe ich mein Haupt niederlege auf die Erde meiner und Ihrer Väter.«

Der hohe Herr scheint betroffen von der Auskunft, die er erhalten. Auf seinem Antlitz zeigt sich eine schmerzliche tiefe Bewegung. Er sucht sie mit Gewalt zurückzudrängen.

»Ist dies Ihre Tochter, Herr Graf?«

»Mein einziges Kind, Sire, ihre Mutter war aus der Familie Gélieu. Hätte Gott meine Ehe mit Söhnen gesegnet, Sire, so würden diese Sie um eine neue Heimath gebeten haben. Ich bin zu alt, um die gewohnte noch zu verlassen. Diesen Mann hier, den Milchbruder meiner Tochter, den Montagnard mit preußischem [417] Herzen, begleiten wir auf dem Weg nach Schlesien, wo er sich anzusiedeln gedenkt.«

Wiederum zuckt es schwer und trübe über das Antlitz des hohen Herrn. Seine Hand bricht unwillkürlich achtlos, wie krampfend vom innern Schmerz, die Rose von dem Strauch an seiner Seite. –

»Sire!« sagt der Greis, »leben Sie wohl! Möge Gott Sie und Ihr hohes Haus segnen, unser Herz bleibt das Ihre, auch wenn Ihr Premier nicht den preußischen Friedrichsd'or für den neuenburger Groschen wagen wollte!«

»Schweigen Sie, Herr Graf!«

Der Greis beugt sich auf seine Hand und küßt sie. In die Augen des hohen Herrn steigt es trübe empor – ein Tropfen – ein kostbares heiliges Naß fällt auf die Rose in seiner Linken; dann reicht er sie dem jungen Mädchen und mit den Worten: »Nehmen Sie, mein gnädiges Fräulein – zum Andenken, und bewahren Sie Alle das meine – wie ich –« wendet er sich hastig ab und schreitet sichtlich bewegt seiner hohen Gesellschaft zu.

Der majestätische Offizier in der Ulanen-Uniform tritt ihm entgegen mit einem Blick nach jener Gruppe: »Immer freundlich und huldreich gegen die Damen, mein Oheim?!«

Ein schweres trübes Lächeln liegt um den Mund des Herrn, als er den ernsten Blick zuerst auf der hohen Dame in Weiß und Blau ruhen läßt und ihn dann auf den Fragenden wendet: »Verzeihung, mon neveu, daß ich Sie warten ließ. Ich tauschte eben die letzte Rose von Charlottenhof für das Vergißmeinnicht von Sebastopol!«


Ende. [418]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goedsche, Herrmann. Roman. Sebastopol. Sebastopol. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E29B-8