An seinen Freund Damon

Geliebter, gläube mir, ein Mensch ist glücklich dran,
Der in dem treuen Schoos von Freunden ruhen kann,
Die mit vereintem Fleis nach Kunst und Weisheit streben,
Und auch der Menschlichkeit, was ihr gebühret, geben.
Ein solcher ist gewis der weisen Henne Sohn;
Die Sonne sieht auf ihn von ihrem goldnen Thron
Mit Neid und Groll herab, und wünscht sich solche Stunden,
Wie zwischen mir und dir in reiner Lust verschwunden.
[16]
Dem Höchsten sey gedanckt, der, wenn ichs sagen darf,
Mich aus besondrer Huld in deine Armen warf;
Und als ich dich einmahl in seinem Tempel schaute,
Mich auch so gleich mit dir vor seinem Altar traute. 1
Seit diesem kam mirs vor bey aller Sklaverey,
Als ob ich sorgenlos, und ungebunden sey;
Ich glaübte, wenn ich dich aus süsser Liebe hertzte,
Euryalus zu seyn, der mit dem Nisus schertzte,
Und sah ich dich zu mir mit holden Schritten gehn,
So meynt ich, wie im Traum, die Musen selbst zu sehn.
O daß der Himmel mir das hohe Glücke gönnte!
Daß ich zunächst bey dir auf ewig wohnen könnte;
Und daß ich diese Stirn, den Thron der Redlichkeit,
Dies holde Augenpaar, das so viel Anmuth streut,
Und diesen süssen Mund, der oft mein Hertz bewegte,
Den langen Tag hindurch beschaun und hören mögte!
Wenn eine Nachtigall die nackte Brut verläst,
So schreyt und zwitzert sie in dem einsamen Nest,
Man sieht sie ringsumher auf die begrünten Auen,
Die Hälsgen ausgestreckt, mit ofnen Schnäbeln, schauen,
Bis aus der nahen Saat der Mutter Stimm erklingt,
Die schon geflogen kömmt, und frisches Futter bringt:
So sehn ich mich nach dir. Ich muß es endlich wagen,
Dir, was ich leiden muß, mein werther Freund, zu sagen.
Mein Hertze wallet schon aufs neue zu dir hin,
Wenn ich nur einen Tag von dir geschieden bin;
Schau ich nicht stets dein Bild leibhaftig vor mir schweben,
So fehlt mir alle Lust in diesem Land zu leben;
Des Tages holder Strahl ist mir alsdann verhast,
Und jede Sommernacht die allerschwerste Last.
[17]
Ach! bist du dann mein Freund, suchst du mein Glück zu bauen,
So laß dich jeden Tag bey deinem Freunde schauen;
Wenn du bey mir nicht bist, so leb ich als verbannt;
Wo du, Geliebter, bist, da ist mein Vaterland.

Fußnoten

1 Sie bekamen in einer Kirche Gelegenheit einander kennen zu lernen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Götz, Nicolaus. Gedichte. Versuch eines Wormsers in Gedichten. An seinen Freund Damon. An seinen Freund Damon. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E582-6