Fünfzig Jahre

Als du heraufkamst an der Tage Morgen,
Da war die Welt bedeckt mit Mord und Blut,
Es hatte scheu das Recht sein Haupt verborgen,
Den Himmel rötete der Feuer Glut.
Du aber, dein bewußt erst in Gefahren,
Mit Feldherrnaug vereinend Kampfeslust,
Du holtest aus erregter Feinde Scharen
Der Ahnfrau Zeichen dir als Schild der Brust.
Und so bewehrt, bestrahlt von ihrem Geiste,
Standst du in Fechterstellung schützend da,
Und hinter dir barg froh dein Volk das meiste,
Was vor dir sich in Schutt und Trümmern sah.
Den Franken, als er trunken noch vom Weine,
In dem der mäßge Trinker Stärke sucht,
Rangst du darnieder, daß vom blutgen Rheine
Er rück die Grenze trug auf wilder Flucht.
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Als, kletternd dann auf Leichen seiner Brüder,
Der Mann, wie Kleine klein, wie Große groß,
Die hundert Schlangen eint zu einer Hyder,
Warst du des Ruhms ihm Gegner und Genoß.
Ihm, den besiegt die Welt, da er alleine,
Standst du allein, da mit ihm noch die Welt,
Eh ihm ein Gott in blutgem Rachescheine
Die Rechte noch gelähmt auf Moskaus Feld.
Gemessen habt ihr euch, habt euch gewogen,
Wo jetzt die Donau schaut ein friedlich Reich;
Und daß die Schale schwankte, neu gezogen,
Zeigt höchstens an, daß die Gewichte gleich.
Der Friede kam, das Grab der Überwinder.
Du aber blicktest auf der Ahnfrau Stern,
Und mild wie sie, die Mutter ihrer Kinder,
Entwich der Groll und blieb dem Herzen fern.
Aus den vom Streit noch halb gezognen Brauen
Brach, wie nach Sturm, die Sonne hell und klar,
Und ließ uns als der Bürger ersten schauen,
Der kurz vorher im Kampf der erste war.
Zur Seite deiner Gattin, die gewesen,
Umringt von deinen Kindern, die noch sind,
Gabst du der Welt den hohen Spruch zu lesen:
Daß Gut und Groß aus einer Quelle rinnt.
Du echter Fürst! Vergessend nie der Würde,
Nur mild weil schwach, gemeinsam weil gemein –
Entzogst du dich ihr nicht als einer Bürde,
Sie uns erlassend, blieb sie immer dein.
Ja, von dem Haß, dem Dränger im Gefechte,
Hielt sich ein Tropfen auf der Seele Grund,
So haßtest du das Niedrige und Schlechte,
Und mit dem Trug war ewig dir kein Bund.
[287]
Drum Heil dir! Heil bis an der Tage Grenzen!
Und laß uns deiner Söhne Kraft und Zier,
Daß in der Brust die gleichen Sterne glänzen,
Die auf der Brust schon einer trägt, gleich dir.

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TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Gedichte. Gedichte. Fünfzig Jahre. Fünfzig Jahre. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-EC22-C