Der wahre Glaube

Dahingestreckt auf grüne Matten,
Lag, mit Almansorn Hand in Hand,
Nadir an eines Baches Rand,
In einer Palme kühlen Schatten.
Es war im Lenz. Mit süßer Kehle
Sang ein erfreuter Vögelchor
Aus jedem Busche froh hervor,
Und zärtlich klagte Philomele.
Die Freunde sind ganz Ohr. Sie lauschen
Dem tausendstimmigem Konzert
Der Waldbewohner, jeder hört
Mit stiller Lust des Baches Rauschen.
Bis doch Nadir das lange Schweigen,
Den Freund umarmend, unterbricht,
Almansorn küsset und dann spricht,
Mit Mienen, welche Ehrfurcht zeigen.
[24]
Dein Geist zerreißet jene Bande,
Die Aberglaub um Menschen schlingt,
Und da dein Aug den Wahn durchdringt,
Nennt man dich weis' im ganzen Lande.
Drum sprich: Wer lehrt die Vögel Lieder?
Wer schuf sie selbst? auf wessen Ruf
Entstanden Welten? und wer schuf
Der Wälder Volk, der Luft Gefieder?
Kannst du mir alles dies erklären?
Sag, Freund! mir, wie der Schöpfer heißt!
Dann lob ich deinen großen Geist
Und will wie einen Gott dich ehren.
Doch nicht allein will ich ihn kennen,
Den unbegreifbar mächtgen Gott;
Auch wissen will ich sein Gebot,
Auch meine Pflichten mußt du nennen!
Almansor spricht, und Tränen nässen
Dabei sein würdig Angesicht;
Wer jener ist, das weiß ich nicht,
Wer kann den Ewigen ermessen?
Er heiße Jupiter, heiß Allah;
Bet Ormuzd, bet Osiris an
Und sei ein Christ, sei ein Braman,
Verehr den Wischnu, den Jehovah!
Doch nur erfülle deine Pflichten! –
Tu jeder Gutes, was er kann,
Und hat er recht und brav getan:
So wird Gott jenseits gnädig richten.

Den 4ten April 1806

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TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Gedichte. Gedichte. Der wahre Glaube. Der wahre Glaube. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-F2AA-5