[168] VII. Kleinere Märchen, Fabeln und Parabeln.

[169] [171]1. Die Elefanten und die Hasen.

Es war einmahl eine große Dürrung im Lande, daß schier alle Brunnen austrockneten und alle Quellen versiegten. Da litten alle Thiere Mangel, besonders die Elefanten. Und sie sagten zu ihrem Könige, sie wollten andre Weide und Wasser suchen. Das war der König zufrieden; und sie wählten ein Paar von sich aus, daß sie Wasser und gute Weide suchen sollten. Und sie gingen aus, und fanden einen Ort, da war ein Brunnen, der hieß Brunnen des Monds, darum, weil er von allen Thieren für einen Lieblingsort des Mondes gehalten ward, [171] und weil der Mond sich besonders klar und schön darin spiegelte.

Als nun die Kundschafter heim kamen, sagten sie zu dem Könige und den übrigen Elefanten: »Kommt, folget uns, wir haben einen Ort funden, da ist ein Brunnen, der heißt Brunnen des Monds, und sein Wasser ist besonders frisch und wohlschmeckend.«

Und der Elefantenkönig folgte ihnen, und sie zogen alle zu dem Brunnen des Mondes. Als sie aber dahin kamen, wohnten da die Hasen mit ihrem König; und wo die Elefanten gingen, traten sie mit ihren schweren Füssen die Höhlen der Hasen zusammen, und traten auch viel Hasen todt. Da liefen die Hasen zu ihrem Könige, und klagtens ihm, und begehrten von ihm, er solle das Unglück abwenden.

Und der Hasenkönig berief alle seine Räthe zusammen, und sprach: »Ich gestehe, daß ich nicht die Weisheit habe, mein Reich zu schützen gegen diese großen Feinde. Rathet ihr mir, so gut ihr könnt. Sollen wir [172] weg ziehen, aus diesem schönen Lande? Das wäre doch auch Schade! Sollen wir förmlich Krieg anfangen mit den starken Elefanten? Was vermögen wir gegen sie?«

Da sprach einer der Räthe, des Hasenkönigs: »Nicht also, mein König, laß uns nicht verzagen. Freylich vermögen wir nichts gegen sie im Kriege; aber laß uns List brauchen, vielleicht bringen wir sie dann wieder aus dem Lande. Herr, wenn du mich zum Elefantenkönig schickest, so will ich das Unheil wenden. Damit du aber erfährst, was ich dort verhandle, so schicke einen von deinen getreuesten Dienern mit.«

Da antwortet' ihm der König: »Ich habe keinen Argwohn auf dich, darum gehe hin zum König der Elefanten, und sage ihm, was dir gut dünkt.« Und er machte sich auf in einer Nacht, da der Mond in vollem Schein stand, und ging hin zum Brunnen des Monds, und rief dem König der Elefanten, und stellte sich auf einen Hügel, und Sprach zu ihm: »Der Mond schickt mich zu [173] dir. Rechne mirs nicht zu, was ich dir sagen werde. Denn ich muß thun, was mir mein Herr gebeut.«

Da sprach der König der Elefanten: »Wie die Sonne die Königinn des Tages und aller Könige Königinn ist, so ist der Mond, der König der Nacht und aller Könige König. Darum sprich, was mir der Mond gebeut?« Und der Hase sagte: »Der Mond läßt dir sagen, du begnügest dich nicht damit, zu seyn der König der Elefanten, du seyst auch gekommen zum Brunnen des Mondes, wo die Hasen wohnen, und habest ihrer viele zertreten, ihre Wohnungen zerstört, und ihr Futter gefressen; ja, du habest sogar gewagt, das Wasser in dem Brunnen des Mondes mit euern Rüsseln trübe zu machen. Nun gebeut er dir, daß du solches nicht mehr thuest, sonst will er euch die Augen trübe machen und euch verjagen. Darum hat mich der Mond zu dir geschickt, daß ich dir dieses sage. Und wenn du nicht glaubst, so gehe jetzt mit mir zum Brunnen [174] des Monds, da wirst du selbst seinen Unwillen merken.«

Als der Elefantenkönig das hörte, erschrack er, und ging mit dem Hasen. Und als er in das Wasser sah, so sah er darin das Bild des Mondes abgespiegelt. Da sagte der Hase: »Strecke einmahl deinen Rüssel hinein, so wirst du merken den Unwillen des Mondes.« Und der Elefantenkönig streckte den Rüssel hinein, und wie er das Wasser berührte, so erzitterte es und des Mondes Bild zitterte zugleich auf den bewegten Wellen. Darüber erschrack er und fragte: »Warum zürnet der Mond? Weil ich mit meinem Rüssel das Wasser berührte?«

»Du sagst wahr!« antwortete der Hase. Da bekam der Elefantenkönig noch größern Schrecken, und sprach: »Herr Mond, ich will nicht mehr gegen dich sündigen, und will mit den Meinigen von hinnen ziehen.« Und so räumte er das Land der Hasen.

[175] Aber die Hasen freuten sich darüber, und rühmten den König; denn er hatte doch auf klugen Rath geachtet, wenn er gleich selbst sie nicht retten konnte.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grimm, Albert Ludewig. Märchen. Kindermärchen. 7. Kleinere Märchen, Fabeln und Parabeln. 1. Die Elefanten und die Hasen. 1. Die Elefanten und die Hasen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-FE89-2