94. Die Lilie

Im Land zu H. war ein Edelmann, A.v. Th. genannt, der konnte Köpfe abhauen und wieder aufsetzen. Er hatte bei sich beschlossen, hinfort des teuflischen, gefährlichen Dings müßig zu gehen, eh er einmal darüber in ein Unglück geriete, wie dann doch geschah. Bei einer Gasterei ließ er sich von guten Gesellen überreden, diese Ergötzlichkeit ihnen noch einmal zu guter Letzt zu zeigen. Nun wollte, wie leicht zu erachten, niemand gern seinen Kopf dazu leihen; letztlich ließ sich der Hausknecht dazu brauchen, doch mit dem gewissen Geding, daß ihm sein Kopf wieder festgemacht würde. Nun hieb ihm der Edelmann den Kopf ab, aber das Wiederaufsetzen wollte nicht gehen. Da sprach er zu den Gästen: »Es ist einer unter euch, der mich verhindert, den will ich vermahnt haben und gewarnt, daß er es nicht tue.« Da versuchte er's abermal, konnte aber nichts ausrichten. Da vermahnte und dräute er zum andernmal, ihn unverhindert zu lassen. Da das auch nicht half und er beim drittenmal den Kopf nicht wieder aufsetzen konnte, ließ er auf dem Tisch eine Lilie wachsen, der hieb er das Haupt und die Blume oben ab. Alsbald fiel einer von den Gästen hinter sich von der Bank und war ihm der Kopf ab. Nun setzte er dem Hausknecht den sei nen wieder auf und floh aus dem Lande, bis die Sache vertragen ward und er Verzeihung erhielt.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grimm, Jacob und Wilhelm. 94. Die Lilie. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-FF13-F