475. Der Rammelsberg

Zur Zeit, als Kaiser Otto I. auf der Harzburg hauste, hielt er auch an dem Harzgebirge große Jagden. Da geschah es, daß Ramm (nach andern Remme), seiner besten Jäger einer, an den Vorbergen jagte, der Burg gegen Niedergang, und ein Wild verfolgte. Bald aber wurde der Berg zu steil, darum stand der Jäger ab von seinem Roß, band es an einen Baum und eilte dem Wild zu Fuße nach. Sein zurückbleibendes Pferd stampfte ungeduldig und kratzte mit den Vorderhufen auf dem Grund. Als sein Herr, der Jäger Ramm, von der Verfolgung des Wildes zurückkehrte, sah er verwundert, wie sein Pferd gearbeitet und mit den Füßen einen schönen Erzgang aufgescharrt hatte. Da hub er einige Stufen auf und trug sie dem Kaiser hin, der alsbald das entblößte Bergwerk angreifen und mit Schürfen versuchen ließ. Man fand eine reichliche Menge Erz, und der Berg wurde dem Jäger zu EhrenRammelsberg 1 geheißen. Des Jägers Frau nannte sich Gosa, und von ihr empfing die Stadt Goslar, die nahe bei dem Berg gebaut wurde, ihren Namen. Das Flüßchen, das durch die Stadt rinnt, heißt ebenfalls Gose, desgleichen das daraus gebraute Weißbier. Der Jäger wurde in der Augustinskapelle begraben und auf dem Leichenstein mit seiner Frau in Lebensgröße ausgehauen; Rammel trägt in der Rechten ein Schwert über sich und Gosa eine Krone auf dem Haupt.

Nach andern hat nicht der Jäger, sondern eines Jungherrn Pferd Rammel geheißen, das man einmal an dem Berge anband, wo es so rammelte und stampfte, daß seine wohlgeschärften Hufeisennägel eine Goldader bloßmachten.

Noch sieht man auf dem Rammelsberge einen Brunnen, der Kinderbrunnen genannt, worauf zwei steingehauene Kinder stehen; daher, weil unter Heinrich II. eine schwangere Frau bei diesem Brunnen zweier Söhnlein entbunden wurde. Kaiser [449] Otto soll auf dem Berg oben an dem Platz namens Werl ein Schloß oder einen Saal gehabt haben, vor dem er einst einem gefangenen König das Haupt abschlagen ließ. Späterhin schlug das Bergwerk einmal ein und verdarb so viel Arbeiter, daß vierthalbhundert Witwen vor dem Berge standen und ihre Männer klagten; darauf lagen die Gruben hundert Jahr still, und Goslar wurde so einsam, daß in allen Straßen hohes Gras wuchs.

Fußnoten

1 In den Rammelsberg soll mehr Holz verbaut sein als in die Städte Braunschweig und Goslar. Man hatte ein altes Lied, das so anfängt:

De Ramelsburgk hefft enen gulden Foet,

drumb tragen wi en stolten Moet.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grimm, Jacob und Wilhelm. Sagen. Deutsche Sagen. Zweiter Band. 475. Der Rammelsberg. 475. Der Rammelsberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0853-9