[263] [267]Ritter und Freie

1499.

Die Schweiz

Was treibt euch wohl, ihr Fürsten, stets in die Schweizergaun?
Wollt einmal doch im Leben ein freies Land ihr schaun?
Wollt ihr das Zepter tauschen um einen Hirtenstab?
Ha, oder wollt ihr finden in freier Erd' ein Grab?
Seht auf das Land hernieder von hoher Alpenwand!
Da liegt's, gleich einem Buche, geschrieben von Gotteshand,
Die Berge sind die Lettern, das Blatt die grüne Trift,
Sankt Gotthard ist ein Punkt nur in dieser Riesenschrift.
Wißt ihr, was drin geschrieben? O seht, es strahlt so licht!
Freiheit! steht drin, ihr Herren; die Schrift kennt ihr wohl nicht,
Es schrieb sie ja kein Kanzler, es ist kein Pergament,
Drauf eines Volkes Herzblut als rothes Siegel brennt.
Seht dort den mächt'gen Felsberg, der Mönch heißt er im Land,
Der freie Aar umkreist ihm der kahlen Stirne Rand,
Fels ist die graue Kutte, Schnee seiner Scheitel Zier,
Das Weltall seine Zelle, das Sternzelt sein Brevier.
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Ist wo ein Mönch, bleibt sicher die Predigt auch nicht aus.
Der spricht im Lavinendonner, im rauschenden Quellengebraus;
Freiheit! das ist sein Spruchtext; will's euch nicht freun, ihr Herrn?
Der Pater ist ein Ketzer, Zeit wär's ihn einzusperrn!
Seht dort im weißen Schleier aufragt der Jungfrau Haupt,
Als Bräut'gam hat ihr der Morgen mit Rosen die Stirn umlaubt,
Sie hat mit bunten Blumen gestickt das grüne Gewand,
Dran spielen rauschende Quellen, ein flatternd Silberband.
Ob ihr wölbt sich zur Kuppel der Lüfte blauer Strom,
Der spitzen Gletscher Reihe rings scheint die Orgel im Dom;
Fürwahr, mich däucht, wo Jungfrau und Orgel zusammenkam,
Blieb da Musik und Sang aus, das wäre wundersam.
Horch, wie ihr Lied an Herzen so herrlich, kräftig pocht!
Freiheit, Freiheit! so singt sie, daß jeglich Herzblut kocht.
Beim Himmel, niemals sangen der Erde Töchter so schön,
Mitsingen wohl Gottes Engel in Chören auf den Höhn!
Ihr Herrn, will's euch nicht munden? Ihr hört wohl keinen Klang,
Weil kein Kastrat, kein Säbel euch's um die Ohren sang,
Im Schweizerland doch liest man gern jenes Riesenbuch
Und horcht dem Lied der Jungfrau und merkt des Pred'gers Spruch.
Im Schweizerland da springen die Quellen frei empor,
Frei schweben die segelnden Wolken und singender Vögel Chor,
Frei blickt vom Firn die Gemse auf krachende Wetter herab,
Und freie Weste flüstern um freier Helden Grab.
Viel tausend Schweizer stehen auf hoher Alpenwand,
Sie schaun ins Land hernieder und drücken Hand in Hand
Und schwören, in Tod und Leben zu stehen kühn und treu,
Und schwören, in Tod und Leben zu bleiben stark und frei!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Der letzte Ritter. Ritter und Freie. Die Schweiz. Die Schweiz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0CF8-8