[157] China in Italien

Hingekauert an der Straßen
Eine Aloe sich dehnt,
Wie ein Knäul von Gliedesmaßen,
Breit, gemächlich hingelehnt.
So im fernen China sitzen
Mag ein feister Mandarin,
Streckend blanke Nägelspitzen
Selbstbehaglich vor sich hin.
Eine Pinie sprießt daneben,
Neigt auf sie ihr buschig Zelt,
Wie sein Sklav' ob Jenem eben
Baldachin und Schirmdach hält.
Hundert Jahre ziehn die Straße!
Und von Sonnenschein welch Meer!
Lenzesblüthen, welche Masse!
Staub und Wandrer, welch ein Heer!
Endlich spürt so seltsam mächtig
Aloe ihr Herz bedrängt,
Bis ein Schaft, gar schlank und prächtig,
Blüthenvoll die Hülle sprengt.
[158]
Erste Blüthe, helle, blanke,
Die den kahlen Schaft umlaubt!
Erster blühender Gedanke
Um des Mandarinen Haupt!
Weh, daß einmal nur in Tagen
Des Jahrhunderts blüht dein Gruß!
Wehe, daß, wer dich getragen,
Auch an dir verscheiden muß!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Gedichte. Lieder aus Italien. China in Italien. China in Italien. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1149-D