2.
Scire Tuum nihil est!

Was bild ich mir doch ein!
Ich: der ich in dem Thal der Threnen nichts denn Plagen/
Vnd nichts denn grimme Pein.
Vnd nichts denn Angst vnd Tod muß augenblicklich tragen!
Wo denckt mein Hertz wol hin!
Daß ihm die Eitelkeit der Erden so beliebet/
Verlier ich meinen Sin.
Vmb diß was meinen Geist ohn vnterlaß betrübet?
Sol dieser Feder Macht
Mit schärffen den Verstand/ vnd mich dem Tod' abdringen/
Dann/ wann die schwartze Nacht
Der tieffen Grabes-Klufft/ wird Haupt vnd Hand vmbringen?
[72]
O allzuschnöder Dunst!
O überfalscher Wahn! wie viel gelehrter Sinnen
Hat weder Fleiß noch Kunst
Bey immer stettem Ruhm vnd Lob erhalten können
Vnd was ich hier sey stehn!
Der wehrten Bücher Lust! was kan die anders lehren.
Als daß wir vntergehn!
Wie dieser der sie schrieb/ was kan ich anders hören?
Als daß ich gleich dem Klang;
So itzt die Lufft durchstreicht/ vnd itzt auch gantz verschwindet
Eill auff den Vntergang
Gleich einer Wiesenblum die man nicht wieder findet.
Gleich einem leichten Tau/
Gleich einem Wintertag/ vnd grünem Sommer-Grase/
Gleich blütten auff der Au.
Der Menschen Ehre gläntzt vnd bricht gleich einem Glase/
Ein Augenblick verkehrt
Was langer Nächte Fleiß/ was vieler Jahre Sorgen
Vnß Armen kaum gewehrt/
Was dieser Abend grüst/ kan vntergehn vor morgen!
Ein unerhofftes nu/
Reisst alle Weißheit hin/ die Fenster meiner Sinnen
Die Augen fallen zu/
Durch die ich angeschaut/ was Menschen schaun zerrinnen.
Der Sonnen grosse Flucht
Deß Monden Wanckelmuth/ die Leiche der Cometen
Der Bäume Laub vnd Frucht
Bezeugen/ daß die Zeit/ kan was nur zeitlich tödten.
Der müden Seelen Haus/
Der Cörper den du trägst/ vnd schmückest muß verwesen
Man schleust kein Wissen auß/
Auch ist durch hohe Kunst kein einig Fleisch genesen.
Der gar zu strenge Tod/
Hält keinen vnterscheid wenn wir zu Aschen werden.
Offt fault der weise Kott
In eines Thoren Grufft! wie manchem schlägt die Erden/
[73]
Ein Häufflein leichten Sand/
Vnd enge Ruhstätt ab/ wie offt wird Sarg vnd Steine
Durch Rasen grauser Hand
Zerschmettert vnd zustört/ vnd die gelehrten Beine
Zutritt ein grober Fuß
Was hilfft die Wissenschaft? wenn vor deß Herren Throne
Die Seel erscheinen muß?
Da Witz vnd Vnverstand/ da Hirten Stab vnd Krone
Zu gleicher Wage geht/
Da Pflug vnd Zepter eins! da alle Weißheit schwindet
Vnd dieser nur besteht
Den in deß Lebens Buch der strenge Richter findet;
Im Buch der Seligkeit.
O Wol! vnd ewig wol! dem so da eingeschrieben!
Ihn wird kein Hertzeleid/
Vnd Trotz der herben Angst/ ihn wird kein Schmertz betrüben/
Er wird was niemand weiß/
Erkennen ohne Müh' er wird dort alles können
Was keinem hier sein Fleiß/
Was keinem sein Verstand vnd scharffer Sinn wil gönnen
O mein Herr Jesu Christ!
O wares Lebens Buch! daß du voll Schläg vnd Striemen
Für mich geschrieben bist:
Hilff daß ich möge mich nur deiner Wunden rühmen!
Laß mich auß deiner Seit
In letzter sterbens Angst die grosse Sanfftmuth lesen
Vnd liebe Freundligkeit
So bin ich/ ob mich gleich der Satan schreckt genesen.
Sprich/ daß in deiner Hand
Ich angezeichnet steh vnd nur dein Reich sol erben/
So werd ich von der Schand
Deß Schwartzen Sünden Buchs errettet/ frölich sterben.

Psal. 138. V. 7.

Si ambulavero in interiori angustiæ, vivicabis me, super iram inimicorum meorum mittes manum tuam, etc.

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TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Gedichte. Oden. Oden. Das dritte Buch. 1657. 2. Scire Tuum nihil est!. 2. Scire Tuum nihil est!. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-193A-B