[96] Großgünstiger Leser

Ob wol meine Meinung niemals gewesen dich alhier mit weitläuftiger Vorrede auffzuhalten/ weil zumal ich mit diesen wenigen vnd geringen Liedern gar nicht zu prangen suche/ Hat mich doch hierzu veranlasset daß vnlängst mein Carolus den ich iederzeit an mich zu halten begehret/ wider mein vermutten/ in vieler ja auch Fürstlicher vnd vortreflicher Personen Hände gerathen/ Derowegen ich mir einbilden muß/ daß eben so wol heute geschehen könne/ was sich gestern zugetragen/ vnd dürffen sich etliche bey übersehung dieser Blätter verwundern über mir/ über der Art zu schreiben/ vnd über dem Wercke selbsten. Was mich betrifft/ muß ich bekennen/ daß ich anitzo nicht nur durch allerhand schwere Geschäffte/ sondern auch durch die Drangseligkeiten meines noch nicht zu Kräfften kommenden Vaterlandes/ gar fern abgetrieben von der anmuttigen Ruhe/ welche alle dieselbigen suchen/ die etwas taugliches auffzusetzen ihnen vorgenommen/ dennoch könte mich/ wenn vonnöthen/auch der numehr stumme Mund so vieler vortreflicher Männer || entschuldigen/ welche auch in den höchsten Würden vnd Verrichtungen sich zuweilen nach demParnassus 3 vmbgesehen. Maphæum Barberinum hinderte nicht die Purpur/ ja nicht die dreyfache Crone/ dessen Pœnitens oder reuender Sünder/ aller Urtheil vnd Lob übersteiget/ J.A. Thuanus konte bey so vielen Geschäften/ die Ihm (wie man zu reden pfleget/) kaum zulissen Athem zu holen/ bey außfertigung seiner niemals von freyen vnd auffrichtigen Gemüttern/ genung geprisenen Jahrbücher/ nicht vnterlassen/ daß ich anderer Gedichte nicht erwehne/ die Propheten vnd der Heyligen Geduld höchstes Beyspiel vnd reinesten Spiegel zu übersetzen. Wer sihet Hugonis Grotii grosse vnd sinnreiche Schrifften ohne Bestürtzung an? Wer bedencket was ihme vor eine hohe vnd mühsame Ehrenstelle anvertrauet/ vnd erinnert sich nicht zugleich/ daß er mit seinen zwey Traurspielen schier aller Ruhm verdunckelt? Doch ists nicht der Wichtigkeit/ daß ich mich hinter dieser vnd anderer vnsterblichen Gemütter Schatten verberge/ sintemal ich/ was du hier sihest/ in erster Blüthe der noch kaum zeitigen Jugend dem Papier vertrauet/hätte es auch vieleicht länger in dem Staube liegen/vnd vor mir vntergehn lassen/ wenn [97] nicht ein vnd andere Ode bereits vor etlichen Jahren von Bekanten vnd Freunden abge-|| schrieben/ vnd noch itzt begehret worden. Derowegen ich mich endlich entschlossen/lieber meinen eigenen Auffsatz selbigen durch den Druck mit zutheilen/ als durch offtes vmbschreiben veränderte Worte vor die Meinen zu erkennen. Vnd werden diese Lieder niemands auffgedrungen/ steht auch iedwedem frey/ wo sie ihm ja in die Hände gerathen möchten/ mit selbigen vmbzugehen wie ihm beliebet/ ja auff seinem Herde oder auff seinem eigenen Hertzen zuverbrennen/ ich werde darumb nicht zörnen. Was die Art zu schreiben belanget/ ist selbige auff das schlechteste/ vnd so viel möglich/ an die Worte der heiligsten Geschichte gebunden/ Denn weil ich hier nichts als die Andacht gesuchet/ habe ich mich bekanter Melodien vnd der gemeinesten Weyse zu reden gebrauchen wollen. Wehm poetische Erfindungen oder Farben in derogleichen heiligen Wercke belieben/ den weise ich zu meinem Oliveto, Golgatha vnd Trauer-Spielen/ ja auch in vorhergehenden Oden zu der verlassenen Zion/ oder den hinweggeführeten Kindern. Hier bringe ich zu dem Grabe meines Erlösers nicht teure Aloen vnd Myrrhen/ sondern nur schlechte Leinwand vnd Ehre derjenigen Feder/ die bey dem grossen Söhn-Altar deß Sohnes Gottes höher fliegen wollen. Denn ich der Meynung gar nicht zugethan/ die alle || Blumen der Wolredenheit vnd Schmuck der Dichtkunst auß Gottes Kirche bannet/angesehen die Psalmen selbst nichts anders als Gedichte/ derer etliche übermassen hoch vnd mit den schönesten Arten zu reden/ die himmlischen Geheimnüß außdrucken/ wie daß ich anderer nicht erwehne/auß dem 19. 104/25/68. mehr denn Sonnen klar zu spüren. Die aller trefflichsten Wolthaten deß Höchsten/ werden von den Alten nicht so wol beschrieben als besungen/ die heilige Schwester deß grossen Gesetzgebers brauchet zugleich Paucke vnd Zunge/ da der Tyrañ in dem roten Meer ertruncken/ Moses selbst weiß diese wunderbare Errettung, nicht besser als auff solche Art heraußzustreichen/ vnd seine letzte Weissagung bestehet in seinem letzten Gesang. Debora/Hanna/ Judit/ sind mehr denn zuviel bekandt. Hiskias richtet sich singend auff von seinem Sichbette/ vnd Jonam hindert nicht das Eingeweide deß Walfisches/wo nicht die Sti ie/ doch die Seufftzer zu erheben. Was sag ich von der vnbefleckten Jungfrauen der heiligsten Mutter vnsers Erlösers/ welche sich Gott ihres Heilandes auff diese weise freuet/ denn daß man einwenden wil es [98] könten solche Stellungen nicht alle verstehen/ schleust so viel als nichts: Wolte ich wol sagen/ daß das hohe Lied nicht heilig/ weil ich es nicht verstehe? || Daß die letzten Gesichter Ezechielis nicht vortreflich/ weil sie mir zu dunckel! Das Hiob zu verwerffen/ weil er voll schwerer Sprüche? das die heimliche Offenbahrung/ dessen/ der Amen/ den warhafftigẽ Zeugen gesehen/ nichts nütze/ weil bißher auch die Gelehrtesten Außleger darüber zu Kindern worden/ oder/ daß der 45. 68. vnd andere Psalmen nicht deß heiligen Geistes/ weil sie zierlich vnd verblümet.

Man sihet wie hoch bald nach Christi Leiden/ die leidend- vnd streittende Kirche sich bemühet die heiligen Gesichte/ die vornemesten Gründe vnsers Glaubens: den Zweck vnserer Hoffnung durch solche Art zubeschreiben vnd vnter das Volck zu bringen. Clemens Alexandrinus vnd Eusebius haben in ihren Büchern noch etliche Stück Ezechielis eines vornehmen Meisters/ Christlicher Traurspiele erhalten/ eben dieser Eusebius erwehnet im 22. Capittel deß 7. Buchs der Kirchen-Geschichte deß Nepotis welcher vnterschiedene Psalmen vnd Lobgesänge gedichtet. AlsHarmonius seine Ketzerey durch Lieder außgestreuet/hat der heilige Ephræm ihn durch Lieder bekrieget vnd überwunden.

Apollinaris erhilt vnter Juliani Verfolgung das Gedächtnüß deß Christlichen Glaubens durch geistliche Trauer- vnd Lustspiele/ Lieder vnd Gesänge. Wie Sozomen im 17. || Capit. deß 5. Buchs erweiset/ vnd als er selbst hernach in gefährliche Ketzerey gerathen/sang Gregorius von Nazianz, seine Verdammung.Augustinus schrib Psalmen wieder die Donatistẽ. Wie herrlich betrachtet Prudentius die Auferstehung der Todten in dem überaußschönen Begräbnüß-Gedichte? Wie donnert er wider Symmachi schleichende Beredsamkeit. Wie vieler heiligen Märterer Gedächtnüß hat er vnsterblich erhalten? Diese vnd mehr seliger Seelen wurden zu jener Zeit gelobet: Da wir hergegen itzund alles tadeln vnd verwerffen/ was nur etlicher massen geistreich scheinet/ wiewol es wenig wunder/ denn wir ausser dehnen Jharen.


[99]
Cum rudis, & simplex nondum se fecerat artem
Relligio, nondum titulum pietatis habebat
Fulmineus Mavors, & sceptri dira Cupido,
Cum brevis, hoc totum melior quovita paratur
Regula dictabat, non solis nota magistris;
Sed populi commune bonum. neque docta ferebant
Jurgia dissidium, sed certabatur amando.
Omnibus idem ardor, Verum defendere, tantùm
Morte suâ, nullusque alieni sangvinis usus.

Was endlich das Werck selbst betrifft/ vermeynen etliche/ es wäre gar nicht erlaubet/ || daß Musen vmb das Creutz deß Herren singen solten; Denen muß nicht nur Lactantius, Cyprianus, Alcimus, Ambrosius, Damasus, Prudentius, Prosper, Paulinus, Sedulius, Juvencus, Fulgentius, Gregorius, Fortunatus, Nonnus, vnd welchem vorzeiten allein nechst dem heiligen Johanne der Titel eines Theologi gegeben/Gregorius Nazianzenus vnbekand seyn/ sondern ich möchte wol wissen/ ob sie den Rednern zuliessen/über den Tod deß Herren zu wehklagen? Sagen sie/nein: So verwerffen sie der gantzen sechzehenhundert Jahre berühmbteste Lehrer/ deren iedweder/ nach seinem vnd seiner Zeiten Vermögen/ mit dem bestürtzten Hauptmann geschryen hat: Warlich dieser ist Gottes Sohn gewesen. Sagen sie Ja: So bitte ich/ man wolle mir entdecken/ warumb diese mehr Vorzugs haben sollen denn jene. Poeten (spricht man) pflegen zu dichten; es ist war/ aber auch Redner zu lügen. [100] Und die Geschichte der Weltlichen vnd Kirchenhändel bezeugen/ wer den grössesten Schaden thun könne/zumal wenn man den gläntzenden Mantel der Scheinheiligkeit recht zu brauchen weiß. Es sey aber ferne/daß etlicher Geister Unart/ die der edelsten Gaben Gottes/ zu schaden ihrer Seelen vnd ihres Nechsten mißbrauchen/ so schöne Künste selbst auffheben solle. Mehr wäre zu wüntschen/ daß alle/ die Eytelkeit (G) dieses Lebens recht beobachten/ vnd ihre Feder allein in dem Blutt deß vnbefleckten Lammes netzen möchten.

Ein vortreflicher Mann wolte kurtz vor seinem Ende/ daß alle seine Papiere vnd Getichte Aschen wären/ ausser denjenigen/ die von göttlichen Sachen handelten. Denn die Betrachtung der Geheimnüß deß Höchsten erquicket vns in Schwermuth/ vnd begleitet/wenn wir von allem verlassen werden: Was man der Welt zu Ehren schreibet/ das vergehet mit der Welt/vnd beschwärtzet offt die Finger vnd Gewissen derer/die damit bemühet. Ich weiß mich zu erinnern/ daß diese/ welche derer todte Leichẽ/ die durch faulende Kranckheiten von dieser Welt abgefordert/ mit Balsam vnd Kräutern vor der Verwesung bewahren wollen; Salben vnd Specerey verderbet/ vnd selbst einen bösen Dampff/ der ihrer Gesundheit höchst schädlich/an sich gezogen. Ich weiß mich zu erinnern/ das jenige/ welche böse Leute durch prächtige Reimen oder wolklingende Reden heilig machen wollen/ ihren Fleiß übel angeleget/ vnd in dem sie andern einen grossen Namen machen wollen/ ihren eigenen guten verlohren. Vnd nicht vnbillich: denn Gott hat über die schon längst seinen Fluch vnd Weh' außgesprochen/die das Böse gut/ vñ das Gutte böse heissen. Im gegentheil werden die || jenigen welche in den köstlichen Würtz-Laden der Balsam vnd Geruchkrämer sich auffhalten/ auch vnwissend von dem guten Geruch gantz durchzogen/ vnd die/ welche eines treflichen vnd wolverdieneten Mannes Leben beschreiben/ nehmen die Abbildungen der Tugenden an ihre Seele/ in dem sie selbige rühmen/ gleich einem Maaler/ der eines Menschen Gestalt zuvor in seine Sinnen wol einfassen muß/ ehe er denselbigen auff das Tuch entwerffen wil. Haben nun irrdische vnd vergängliche Dinge die Krafft vnsere Leiber vnd Gemütter zu verändern/ was wird der nicht können/ der den seinen ist ein Geruch deß Lebens zum Leben/ vnd dessen wehmüttigste Blicke Petrum bekehren/ vnd den am Creutze lästernden Mörder vmbkehren? dem befehle ich dich vñ mich/ Großgünstiger Leser. Glogau. Den 9. Januar. dieses 1652. Jahres.

Andreas Gryphius.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Gedichte. Oden. Oden. Das vierte Buch oder Tränen über das Leiden Jesu Christi 1657. [Vorwort]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1EFF-B