[44] [63][Brutus. 2]

1
Die Sonne taugte sich im Schoos des Abends nieder
Ihr lezter Scheideblick fiel auf der Römer Heer
Es sandte hier der Tod sein ehrenes Gefieder
Und alle wateten in einem blut'gen Meer
Die weite Ebne raucht die Rosse stampfen wilder
Im wütenden Gefecht erklingen schwere Schilder.
2
Schon naht die Dämmrung sich, und die Entscheidung weilet
Der Sieg schwankt ungewis, in Brutus Seele flammt
Der stählerne Entschlus, wenn ihm das Glück enteilet
Flieht er dem Grabe zu was auch daraus entstammt
Und seinem Schwure hat sich Kassius Schwur verbunden
Nicht in Gefangenschaft zu zählen Trauer Stunden.
[63] 3
Jetzt sinkt der Freiheit Herr, durchbohret von dem Schwerde
Das Cäsars Brust durchdrang stürzt Kassius blutig hin
Ha! rufet Brutus aus, Ha! sterbender Gefährte
Mit Dir stirbt Romas Glück und wahrer Freiheits Sinn
Verweile Freund! Bald eilt mein Geist dem deinigen zu
In jenem schwarzen Styksumflossnen Land der Ruh.
4
Mit einem großen Blik der eine Erd' umfasset
Mit einem Schmerz zu schwer für diese kleine Welt
Mit dem Gefühl vor dem die Menschheit scheu erblasset
Verweilet Brutus noch im blutgetränkten Feld
Er fühlt der Sterbenden weitaufgerißne Wunden
Und hört im Geiste schon von Rom die Trauer kunden.
5
Verlaßt mich spricht er jezt verlaßt mich ihr Getreuen
Entflieht der Sclaverei, sucht euch ein Vaterland
Allein nur kan ich mich der Schicksalsgöttin weihen
Zufrieden wohin auch ihr strenger Ruf mich bant
Doch wählt ich zwischen meinem Fall und jener Siegen
Weil lieber würd' ich für die Freiheit unterliegen.
[64] 6
Ein stummer Abscheid trent ihn schmerzlich von den Freunden
Und traurig schweigend eilet er ins nächste Thal
Von allen tausenden die sich ihm sonst vereinten
Sind zwei gesinnt mit ihm zu sinken gleichen Fall
Ergeben bis zum Tod und ewig treu dem Kühnen
Bis an des Orkus schwarzumhülltes Thor zu dienen.
7
Noch zögert Brutus denn noch einmal will er leben
Im lezten Augenblik des Lebens schweren Traum –
Weh ihm! mißlungne Mühen, Zweifel Schmerzen schweben
Wie Furien um ihn im öden wüsten Raum
In dieser Stunde weichet des Bewußtseins Frieden
Und ihn umzischt die gräßlichste der Eumeniden.
8
Und doch des eigenen Schicksals ehrner Griffel gräbet
In seine große Seele solche Wunden nicht
Daß was so zehrend ihm im starken Busen bebet
Ist, daß er nimmer nun der Römer Ketten bricht
Auf seinem Grabe wird die Tiranei regieren
Der Freiheit Genius auf ihren Trümmern irren.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günderode, Karoline von. Gedichte. Gedichte aus dem Nachlaß. [Brutus. 2]. [Brutus. 2]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1FF2-E