[184] An Leonoren bey Absterbung ihres Carl Wilhelms

Mein Mitleid, glaub es mir, betrübte Leonore,
Weint gleichfalls insgeheim bey deinem Trauerflore,
Und da dein zärtlich Herz vor Angst und Wehmuth schlägt,
Wird auch mein treues Blut, ich weis nicht wie, bewegt.
Du grämst dich um dein Kind und hast auch Recht zum Grämen;
Es läst doch Fleisch und Blut sich nicht die Regung nehmen,
Und was von Herzen kommt, das muß zu Herzen gehn,
Wenn Kummer und Verlust aus seiner Flucht entstehn.
Dein Herz ist von Natur zu zärtlich im Empfinden,
Du kanst den schnellen Riß nicht allzubald verbinden.
Ein Tuch, ein Kleid, ein Ort bringt jezt mit großer Pein
Den Jammer deines Sohns oft ins Gedächtnüß ein.
Nun, weil du Mutter bist, so seze dich und weine,
Doch so, daß auch dein Schmerz nicht gar Verzweiflung scheine.
Verscharre deine Qual so wie den Sarg ins Grab
Und brich doch nicht so viel von deinen Kräften ab.
Du hast ja mehr Vernunft als andre deines gleichen,
Ach, las dir doch von ihr ein heilsam Pflaster reichen.
Du kennst, du siehst und weist den Grund im Christenthum,
Ach, sieh dich in der Schrift nach Ruh und Tröstung um!
Dein Carl ist wohlversorgt, was sollt er auf der Erden?
Je mehr man Jahre zehlt, je mehr der Sünden werden;
Er stirbt in Unschuld hin und läst die böse Welt,
Bevor ihr falscher Schein ihm Nez und Angel stellt.
Ach, wolltestu ihm wohl des Lebens Elend gönnen,
Wie leichtlich hätt er dich nicht mehr betrüben können,
Wenn irgend mit der Zeit die wohlgerathne Zucht,
Durch fremde Schuld verführt, dein Herz mit Angst verflucht.
Betrachte doch einmahl den Lauf von unsern Zeiten,
Wo Laster und Gefahr die Frömmigkeit bestreiten,
Wo Recht und Billigkeit nur Hohn und Haß erwirbt
Und wer es ehrlich meint in Noth und Staub verdirbt.
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Je mehr das Alter wächst, je schwerer wird das Sorgen.
Auf eine stille Nacht, auf einen guten Morgen,
Folgt oft ein Jahr voll Qual, voll Unruh, voll Verdruß,
Sodaß man sich den Tod vergebens wüntschen muß.
Du sprichst: Ach wenn mein Kind nur nicht so viel gelidten,
Sein allzu großer Schmerz, der Bein und Marck durchschnidten,
Durchdringt mein Mutterherz so wie ein schneidend Schwerd
Und stört mich, wenn der Leib im Bette Ruh begehrt.
Schweig, Leonore, schweig, und las dich dies nicht plagen,
Der Herr legt nicht mehr auf als unsre Kräfte tragen;
Dein allerliebster Sohn ward durch den Kampf geübt,
Wovor ihm jezt der Sieg die reichste Crone giebt.
Ach, sollt er dir anjezt in seiner Pracht erscheinen,
Ich weis, du würdest selbst vor Lust und Freuden weinen,
Er spielt und jauchzt und singt im auserwehlten Chor
Und stellt in weißer Tracht den schönsten Engel vor.
Schweig, Leonore, schweig, und las ihm sein Ergözen,
Du bringst ihn nicht zurück und hast hier zu versezen
Und wirst auch künftighin noch manchmal freudig schaun,
Was die vor Seegen crönt, die Gott in Noth vertraun.
Ist auf der Welt ein Weib, an dem mir unter allen
Wiz, Tugend und Person im Herzen wohlgefallen,
So ist es, las mir hier ein frey Bekäntnüß zu,
Ein Bild von seltner Art und welche sonst als du!
Dies sag ich ohne List und ohne geiles Schmeicheln,
Mein Geist ist von Natur ein Feind von Brunst und Heucheln
Und will kein fremdes Schaaf und ehrt und liebet dich,
Der Herr mag Zeuge seyn, nur keusch und brüderlich!
Ich merck an dir und mir viel Gleichheit am Gemüthe,
Und darum bitt ich auch von Gottes Rath und Güte,
Daß, wo ich auf der Welt mich einst vermehlen soll,
So mach ein Weib wie du mir Bett und Armen voll.
Geh du auch selbst in dich und frage dein Gewißen,
Ich weis, es wird mir jezt ein Zeugnüß geben müßen,
Daß manch verborgner Trieb, man weis oft selbst nicht wie,
Zwo Seelen unverhoft geheim zusammenzieh.
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Dies ist der stumme Bund, den niemand wehrt und hindert
Und deßen starcke Glut Gesez und Macht nicht mindert.
Dies ist der schönste Zug, der schon im Blute steckt
Und der sich allsobald durch Aug und Mund entdeckt.
Bekäm ich dermahleinst ein solches Kind zu küßen,
Wie zärtlich sollt es mir des Lebens Angst versüßen,
Wie zärtlich wollt ich nicht mit solchem Schaze thun
Und unter aller Last auf Glück und Rosen ruhn!
Indeßen wirstu mir dein ehrlich Angedencken
So gern als dir mein Wuntsch den reichsten Seegen schencken.
Die Freundschaft unter uns soll ohne Fleck und Schein
Und du von nun an mir die liebste Schwester seyn.
Wir wollen unter uns ein Seelenbündnüß machen,
Dein Leiden sey mein Leid, dein Scherzen sey mein Lachen.
Geht es dir stets nach Wuntsch und blüht dein zeitlich Heil,
So nehm ich stets daran mein höchst vergnügtes Theil.
Der Neid, so nichts verschont, soll nichts davon erfahren,
Der Himmel gebe dir von meinen Lebensjahren,
Er stürze deinen Feind, er seegne dein Geschlecht
Und hemme, was dein Herz mit Last und Unruh schwächt.
Das Glücke treibt mich jezt aus meinem Vaterlande
Und bringt mich wunderlich wer weis zu welchem Stande.
Drum sag ich: Gute Nacht, gedenck an einen Freund,
Der auf der Welt mit dir es wohl am besten meint.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Landeshut Oktober 1721 - Jena 15. März 1723. An Leonoren bey Absterbung ihres Carl Wilhelms. An Leonoren bey Absterbung ihres Carl Wilhelms. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-21E8-8