[62] Lob der Freundschaft

Kein Mensch hat von des Höchsten Güte
Ein größer Zeugnüß auf der Welt,
Als wem sie ein getreu Gemüthe
Durch seltne Führung zugesellt,
Dergleichen Schaz lehrt uns auf Erden,
Viel eitler Wüntsche loszuwerden.
Die Güter des bedrängten Lebens
Sind insgemein mehr Schein als Werth.
Man sucht das Glücke da vergebens,
Wo Ehr und Pracht das Haupt beschwert
Und wo Gefahr und Last und Sünden
Im Purpur Plaz und Nahrung finden.
Der geile Saft von Sodoms Früchten
Ergözt uns durch ein süßes Gift,
Bis Zeit und Lust den Leib zernichten
Und Rach und Glut die Seelen trift,
Die mancher schönen Lais Küßen
Zulezt umsonst verfluchen müßen.
Der Mammon macht in aller Ohren
Den schön- und angenehmsten Klang.
Zehlt immerhin, ihr kargen Thoren,
Die Finger blau, das Silber blanck;
Dies niederträchtige Vergnügen
Soll mich nicht um die Ruh betriegen.
Ein Herz, das mit mir lacht und weinet,
Nachdem sich mein Verhängnüß kehrt,
Das, was es sagt, auch denckt und meinet,
Des Nechsten Heil wie seins begehrt,
Mich freundlich straft und unterrichtet
Und allen Zanck mit Sanftmuth schlichtet,
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Ein solches Herz ist meinem Herzen
Ein Reichthum, den kein Dieb berührt,
Ein Stab und Trost in Fall und Schmerzen,
Ein Ancker, den kein Sturm entführt,
Ein Arzt, der Schlag und Wunden heilet
Und allzeit sichern Rath ertheilet.
Im Glück ist dies mein gröstes Glücke,
Daß so ein Freund es mitgenießt,
Und giebt der Himmel saure Blicke,
So wird die Bitterkeit versüßt,
Wenn Jonathan und David ringen,
Einander ehrlich beyzuspringen.
Da trennt kein Eigennuz die Seelen,
Die in zwey Cörpern eines sind,
Da darf man nichts aus Furcht verheelen,
Da kommt die List der Misgunst blind,
Da müßen Argwohn, Neid und Haßen
Den Bund wohl unzerrißen laßen.
Wir sezen uns vertraut zusammen,
Betrachten Gott, uns und die Welt.
Bald fluchen wir den Kriegesflammen,
Wodurch manch schönes Reich zerfällt,
Bald wüntschen wir des Friedens wegen
Dem großen Carlen Sieg und Seegen.
Wir richten andre sonder Spotten
Und gehn uns selber nicht vorbey.
Wie mancher Misbrauch auszurotten
Und wie gedrückt die Armuth sey,
Das pflegen wir mit treuem Klagen
Einander christlich vorzusagen.
Die Unschuld scherzt mit uns zur Seite,
Die Weißheit giebt uns Licht und Ruh,
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Und droht uns auch der Tod noch heute,
So sezt uns sonst kein Kummer zu
Als dieser, daß wir fürchten müßen,
Uns nicht in einen Sarg zu schließen.
Nun mag das Unglück Pfeile schärfen,
Dir, Himmel, hab ich nun nicht mehr
Mein Creuz und Elend vorzuwerfen:
Ich seh, du liebst mich noch zu sehr
Und läst mich die versagten Gaben
Durch meinen Freund auf einmahl haben.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Wittenberg November 1715 - Dresden Anfang September 1719. Lob der Freundschaft. Lob der Freundschaft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2593-2