[22] Wittenberg November 1715 – Dresden Anfang September 1719

[23] [25]Trostschreiben an einen sehr guten Freund wegen Absterben seiner geliebten Margaris in Leipzig

Aus Wittenberg, den 2. Aug. A. 1716.


Las dich, betrübter Freund, in deinem Kummer grüßen
Und nimm durch diesen Wuntsch so manche Tröstung an,
Als mancher Tropfen Salz dein Auge roth gebißen,
Seitdem dein Augentrost den lezten Blick gethan.
Die Kette meiner Treu hat noch kein Glied verloren,
Das Blut der Redligkeit ist wie ein schneller Fluß,
Der von den Quellen an, die seinen Lauf gebohren,
Bis in des Todes Meer das Ufer halten muß.
Du hast es gute Macht, den faulen Kiel zu schelten,
Der fast so gerne schreibt, als seine Dinte brennt.
Jedoch es wird die Hand und nicht die Brust entgelten,
Die ewig dir den Plaz bey seinem Herzen gönnt.
Es mag die Heucheley die neue Welt verstellen,
Es mag ihr Larvenkram ein reicher Handel seyn;
Ihr übertünchtes Gift geht mir in allen Fällen
So leicht als ein Camel den Nadelöhren ein.
Darum so prüfe nur mein Mitleid auf dem Steine
Der Warheit, bis der Strich von seinem Ernste zeugt,
Und glaube, daß ich jezt nicht als ein Blöder weine,
Dem, wenn er Thränen sieht, das Waßer aufwärts steigt.
Das Band der Freundschaft mißt die allerlängsten Meilen
Und macht es wie ein Seil, das man scharf ausgespannt:
Ein Ende pflegt den Schlag dem andern mitzutheilen;
So fühlt mein eignes Herz, was dir dein Herz entwand.
Du siehest dir den Tod an einer schönen Leiche,
Die in der Frühlingszeit schon auf der Baare steht,
Und zitterst, weil der Bliz von diesem Wetterstreiche
Durch Augen, Ohr und Herz und Marck und Beine geht.
Die Liebe, so dich zieht, wird fast ihr selbst gehäßig
Und wie die Niobe in einen Stein verkehrt,
Weil ihre Seele flieht und weil der Kummereßig
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Die Perlen süßer Ruh so unverhoft verzehrt.
Dein zärtlicher Verdruß, dein traurendes Beginnen
Kommt mir, ich weis nicht wie, in den Gedancken vor;
Du übernimmest dich mit so verrückten Sinnen
Als Beßer, da sein Herz den halben Theil verlor.
Die Bücher haben Ruh, die Hände sind verdroßen,
Weil sie ein Donnerkeil um alle Kraft gebracht.
Der Riegel schwarzer Gruft hält deinen Mund verschloßen,
Da die gesalzne Fluth die Feder stumpf gemacht.
Dein Geist, der immerdar sich aufgeweckt erwiesen,
Verirrt sich in sich selbst und hängt den Grillen nach.
Dein Muth, den alle Noth vor unverzagt gepriesen,
Fiel augenblicklich hin, als ihm die Stüze brach,
Und kein gesunder Wiz kan auch dein Leid verdencken.
Wer deinen Groll erfährt, der grämt sich nicht zu scharf;
Dein Hofnungsschif zerspringt an Klippen, Sand und Bäncken,
Woran es die Gefahr des rauhen Sturmes warf.
Du suchtest dermahleins dein Glücksschloß aufzuführen
Und trugest nach und nach Vergnügungssteine zu.
Es lies dein kluger Fleiß den grösten Eifer spüren;
Denn er versprach sich schon den Hafen sichrer Ruh.
Die schöne Margaris erhizte dein Gemüthe
Und lockte deiner Brunst viel tausend Seufzer ab.
Ihr Liebreiz sammlete die Flammen im Geblüte,
Die ihr geneigter Blick dir oft zurückegab.
Ihr Umgang war gewohnt, dein Scherzen wohl zu leiden,
Das Salz und Zucker führt und Ohr und Geist entzückt.
Die Zunge lechzte dir, sich auf der Brust zu weiden,
Der noch kein fremder Grif die Lilgen abgepflückt.
Jezt, da der Himmel selbst dein Nebenbuhler worden
Und ihre kalte Hand den Korb gezwungen giebt,
Trittstu in Wittwerstand, sie in der Engel Orden,
Der sie noch heftiger als deine Regung liebt.
Ach, welchen Wolckenbruch wird nicht dein Auge schütten,
Wenn es den süßen Rest des leeren Kleides sieht,
In dem ein Leib gewohnt, der an Verstand und Sitten
Nicht minder als an dem, was Schönheit heist, geblüht.
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Der Bißen wird dir stets im Halse steckenbleiben,
Wenn ihre Gegenwart nicht mehr bey Tische sizt.
Ihr Angedencken wird dir zwar die Zeit vertreiben,
Ach aber, durch ein Spiel, bey dem die Seele schwizt.
Du traurest nicht allein und hast viel Mitgesellen
In dieser Leidenschaft, so dir die Wangen wäscht.
Der Amor hängt den Kopf, sizt auf den Kirchhofsschwellen
Und kehrt die Fackel um, die er mit Thränen löscht.
Cythere schleyert sich in eine schwarze Binde
Und schenckt den Gratien den Flor betrübter Tracht,
Ihr Seufzen übergiebt den Jammer jedem Winde,
Der ihn auf diesen Tag mir kläglich zugebracht.
Jezt, schreyt sie, ärgert mich das Vorrecht großer Götter,
Wodurch ich leben muß, da meine M(enckin) stirbt.
Ach, wär ich doch ein Mensch, so schlüge mich das Wetter
Nach meinem Wuntsche todt, der keinen Tod erwirbt,
Dies ungemeine Kind verwelcket in dem Lenze
Des Alters, das man noch kein Alter nennen kan.
Der Riß erduldet nicht, daß ihn ein Trost ergänze,
Hier kommt es nun auf nichts als die Verzweiflung an.
Die edle Lindenstadt zieht viel berühmte Töchter;
Doch keine lebet mehr, die ihr das Waßer reicht.
Ich zog sie prächtig auf, mein Auge war ihr Wächter,
Jezt krieg ich meinen Lohn, da sie so früh erbleicht.
Die Farben gab ich ihr von meinen eignen Gliedern,
Ihr Antliz war ein Thron der holden Majestät,
Ihr wohlbedachtes Wort klang nach den Anmuthsliedern,
Die eine Nachtigall aus ihrer Kehle dreht.
Ihr abgereifter Wiz beschämte tausend Frauen,
Die an Gebehrden jung, im Reden Kinder sind.
Die Jugend war an nichts als der Gestalt zu schauen,
Die in dem Sarge noch der Schönsten abgewinnt.
Die Demuth gieng mit ihr in einem gleichen Paare.
Die Warheit fällt daher der Meynung zu und bey,
Daß, wer sie nicht gesehn, von nun an nie erfahre,
Was die Bescheidenheit vor eine Tugend sey.
Verhängnüß, rechne nun dies alles wohl zusammen
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Und überschlag den Schaz, den mir dein Eifer stiehlt.
Womit verdien ich denn den Zorn von solchen Flammen,
Der seine Schwefelglut in meinem Blute kühlt?
O ungerechter Schlag, der Rosenstöck entblößet
Und einen Dornenbusch mit Frieden wachsen läst,
Der alter Weiden schont und Cedern niederstößet,
Die Reifen übergeht und nur die Sauren preßt.
Kommt, kommt, verwaistes Volck, ihr Nymphen an der Pleiße,
Kommt, sammelt, pflückt und brecht die Blumenkörbe voll,
Damit der Flora Schmuck den edlen Leib beschmeiße,
Der viel zu kostbar ist, als daß er modern soll.
Hier schlummert euer Ruhm, hier lieget eure Crone,
Die nun, betrübter Schmuck, der Leichenstein versezt.
Man sage nun nicht mehr, daß ich in Paphos wohne,
Hier, hier steht mein Pallast, den man vor höher schäzt.
Kommt, lagert euch herum, und helft mir brünstig weinen,
Bis das erwärmte Grab in unsrer Wehmuth schwimmt,
Grämt euch den Purpur ab, bis wir so bleich erscheinen
Als dieses Leichentuch, das eure Schwester nimmt.
So hohl bestürzter H(ahn), so bangsam klingt die Glocke,
An die die Venus jezt mit ihrer Zunge schlägt,
Und ich empfind es starck, daß mir die Feder stocke,
Da mir der Widerschall die leichte Faust bewegt.
Nun hebe noch einmahl, und zwar zu guter Lezte,
Des Sarges Deckel auf, in dem dein Glücke liegt.
Betrachte doch den Mund, der auch den Feind ergözte,
Wie ihm des Todes Schnee die Rosenblätter biegt!
Schau den gestreckten Arm, der dir so bald entfallen,
Und küße noch das Eiß, von dem die Hand gefriert!
Dir müßen Herz und Geist und Blut und Adern wallen,
Wenn du dabey gedenckst, was deine Brust verliert.
Dies ist der Myrthenkranz, dies ist das Hochzeitbette,
In welchem sich der Tod der Jungferschaft vermehlt.
Hier, hier versinckt der Schaz, der dich bereichert hätte,
Wenn ihn die Schickung nicht dem Himmel zugezehlt.
Beweine, werther Freund, beweine deine Liebe,
Wer glücklich weinen kan, der braucht der Tröster nicht.
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Nein, nein, bescheide dich und hemme solche Triebe,
Weil nicht zu ändern steht, was das Verhängnüß spricht.
Sie stirbt dir jezt nur halb und noch nicht an der Seite,
Dies lindert gröstentheils den Schmerz verliebter Brust.
Wie müstestu denn thun, wenn sie ein andrer freyte
Und wenn du nichts von ihr noch ihrer Gunst gewust?
Las deine Großmuth jezt ein Wunderwerck beweisen,
Nimm dich zum Tröster an, durchforsche deinen Geist,
Wie weit er fähig sey, der Klugheit nachzureisen,
Die uns in Freud und Leid die Mittelstraße weist.
Was klagstu, daß ihr Fuß so zeitig weggegangen,
Da nichts bequemer ist, als um die Morgenzeit
Die schönste Reise thun? Verblühn die vollen Wangen,
So tragen sie die Frucht der Unvergängligkeit.
Den Freunden muß ein Freund mehr als sich selber gönnen;
Wo deine Liebe nun von ächtem Zunder glimmt,
So wird dich nimmermehr ihr Tod betrüben können,
Der, ob gleich du verlierst, ihr viel Gewinn bestimmt.

Excusabit pietas tua, charissime H(ahni), musarum mearum intemperentiam, quae calamo praecipiti officio potius suo quam gloriae consulere voluit. Vale et proxime plures ingenii mei, quod exiguum est, foetus expecta.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Wittenberg November 1715 - Dresden Anfang September 1719. Trostschreiben an einen Freund. Trostschreiben an einen Freund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2606-5