[Nimm, großer Aaron, von deines Knechtes Händen]

[9] Als der hochwürdige, in Gott andächtige, groszachtbahre und hochgelahrte Herr, Hr. Gottfried Fuchsius, der Evangelischen Kirche und Schulen zur Heiligen Dreyfaltigkeit vor Schweidniz hochverdienter Inspector, Pastor Primarius und Scholarcha, seinen jüngsten herzlich geliebten Sohn Theobald Gottfried den 5. Septembr. Anno 1712. in hochansehnlicher volckreicher Trauerversammlung beerdigen lies, sollte sein schuldiges Mitleiden durch diesen einfältigen Reim gehorsamst bezeigen des hochbetrübten vornehmen Priesterl. Hauses unterthäniger Knecht wie auch des Seeligstverstorbenen treugewesener Commilito.


Johann Christian Günther Schol. Svidn. Alumn.


Nimm, großer Aaron, von deines Knechtes Händen
Den schlechten Trauerthon bey tausend Thränen an;
Mein Unvermögen läst mich jezt nichts Beßers senden.
Als Gott den großen Riß in deiner Brust gethan,
Ward auch zugleich mein Sinn durch solchen Fall erschüttert,
So daß sich Geist und Kraft zur Poesie verlor.
Die Schule, welche noch ob diesem Schlage zittert,
Hüllt aus Betrübnüß sich in den geschwärzten Flor.
Sie weinet vor Verdruß bey des Entseelten Baare,
Auf die man abermahl ein Glied aus ihr gelegt,
Und klagt, daß man den Rest der annoch grünen Jahre,
Der Jugend Purpurkleid, mit ihm zu Grabe trägt.
Es ruft ihr blaßer Mund: Wie kan ich wohl bestehen,
Wenn das Verhängnüß sich an meine Kinder wagt?
Darf sein verwegner Fuß in diese Tempel gehen,
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Wo man nur nach Verstand und guten Künsten fragt?
Es zeigten bald darauf die untermengten Zähren,
Daß Zorn und Kümmernüß die schwache Zunge band;
Doch mich ermahnte sie besonders, zu gewähren,
Was der Gehorsam mir vor andern zuerkand.
Hier stellt sich, großer Mann, die Pflicht, so mir gebühret,
In Schalen ohne Kern mit aller Einfalt ein;
Wo sie die Hoheit nicht von deinem Nahmen zieret,
So werden es gewis nur leere Schlacken seyn.
Du bists, den Stadt und Land des Herren Priester nennet,
In welchem sich der Geist des Eleasars regt;
Dein Ruhm, den alle Welt, auch unser Zion, kennet,
Bleibt nunmehr ewiglich in Marmor eingeprägt.
Du weist dein Israel, wie sichs gebührt, zu führen,
Worüber dich der Herr zum Hirten längst gesezt;
An dir kan jedermann des Pauli Eifer spüren,
Wo er Eliä Geist nicht etwan höher schäzt.
Die andachtsvolle Glut der unbefleckten Flammen,
Die dein zerknirschtes Herz vor Gottes Antliz bringt,
Will selbst der Höchste nicht, warum ein Mensch? verdammen.
Dein Lehren, deßen Kraft durch Marck und Adern dringt,
Giebt Körner ohne Spreu, reicht die erwüntschte Speise,
Des Herren reines Wort, den matten Schaafen dar;
Dein Warnen schüzet sie auf der bedrängten Reise
In jenes Canaan und zeiget die Gefahr.
Dein Balsam Gileads erquickt die zarten Seelen,
Dein Donner schröckt und schlägt auf die verführte Welt,
Er reißet manches Schaaf aus jenen Mörderhöhlen,
Wo ein Beelzebub die schwarze Hofstatt hält.
Las nur, Hochwürdiger, was hier ein Kiel geschrieben,
Der dich, o theures Haupt, in tiefster Demuth ehrt,
Nach deiner Vaterhuld vorjezo dir belieben
Von diesem, den dein Mund des Herren Wege lehrt.
Ich muß den harten Schluß des Himmels zwar bedauren,
Der den geliebten Sohn so zeitig von uns reißt;
Doch er erfreut sich jezt in Salems sichern Mauren,
Wo er des Höchsten Lob mit tausend Psalmen preist.
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Nun kan der Himmel ihm zu einer Schule werden,
Es ist der Weißheit Glanz sein wahres Eigenthum,
Ja er verlacht den Tand der Klügsten auf der Erden
Und achtet nur wie Glas den allergrösten Ruhm.
Hier speist ihn Engelbrodt an statt Egyptens Bohnen,
Kein tödtlich Seelengift versalzet seine Kost,
Ihn ziert ein großer Schmuck von vielen Kaysercronen,
Sein Seelenmalvasier ist mehr als Nectarmost.
Er darf nicht wie zuvor in Kedars schwarzen Hütten,
Wo man Zeboims Mord und Drachenhöhlen sieht,
Um ein erwüntschtes Heil und die Erlösung bitten,
Weil ewig Wohlergehn auf seiner Scheitel blüht.
Er hat den schweren Streit des Todes überstanden,
Dem er sich auch nunmehr als Überwinder zeigt,
Er kommt ins Paradeis, befreyt von seinen Banden,
Wo alles Herzeleid und aller Kummer schweigt.
Bethörte Sterblichen, weg mit gelehrten Sprüchen,
Die nur jemahls Athen und Latien erdacht!
Es hat ein einzig Wort sie zu den ärgsten Flüchen
Bey dir, o Seeligster, durch seinen Werth gemacht.
Der Nahme deß, der uns die Seeligkeit erworben,
Muß dir dein bester Spruch im lezten Kampfe seyn;
Ist in dem Munde gleich die Zunge fast erstorben,
So will dein matter Geist: Mein Jesu, hilf mir! schreyn.
Beglückt, wer so wie du Gomorrhens Blutgerichte
Und Sodoms Zauberwein, so bald er kan, verläst;
Ein Gosen reicht uns dort weit beßre Zuckerfrüchte,
Woraus man Göttertranck und Muscateller preßt.
Entseelter Jonathan, schlaf in dem kühlen Sande,
Bis einst der große Bau der festen Erden bricht;
Dein nunmehr freyer Geist schwebt im gelobten Lande,
Wo er von Jesu viel und deßen Warheit spricht.
Aus Nain führt dich Gott auf Thabors Freudenhügel,
Wo deiner Seelen Schaz kein Höllengeyer raubt.
Mit Thränen geh ich zwar von deines Grabes Riegel,
Doch sey mir stets ein Blick nach deiner Gruft erlaubt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Lob- und Strafschriften. Schweidnitz 1710-1715. [Nimm, großer Aaron, von deines Knechtes Händen]. [Nimm, großer Aaron, von deines Knechtes Händen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-26AE-D