[15] Sendschreiben an Herrn Johann Gottfried Hahn in Leipzig

Den 21. Jul. A. 1714.


Monsieur Mon Frere!


Entschuldige, mein Freund, die Faulheit meiner Hand,
Die dir den Abschiedsbrief nicht eher zugesand;
Du kennest meine Treu, ich aber dein Gemüthe.
Wenn ich dich also nun um die Vergebung bitte,
So weis ich ganz gewis, daß die Bescheidenheit,
Die du zur Mutter hast, mir alle Schuld verzeiht,
Die dieses welcke Blat dir zu bezahlen suchet,
Obgleich mein schwacher Kiel auf das Verhängnüß fluchet,
Durch deßen Boßheit mir kein reiner Vers gelingt,
So daß der lahme Reim mit dem Vulcanus hinckt;
Was Wunder, daß, ob er den Abschied früh genommen,
Der Weg ist etwas weit, so spät nach Leipzig kommen.
Mein Phoebus stirbt vor Gram, mein Herze vor Verdruß,
Seitdem es einen Freund an dir entbehren muß,
Der, wenn die Einsamkeit mir einen Eckel brachte,
Durch ein erbaulich Wort die Sinnen ruhig machte.
Wie ofters hat dein Mund mir nicht das Ohr erquickt
Und mein Excerptenbuch mit Weißheit vollgespückt,
Wie selten ist dein Herz mir in der Noth entfallen,
Wie reichlich hastu mich und zwar vor andern allen
(Das heist geconstruirt) mit deiner Huld ergözt,
Wie sparsam und wie karg durch seinen Zorn verlezt!
Wie manchen guten Tag, wie manche frohe Stunden
Hat meine Gegenwart an deiner Brust empfunden,
Empfunden und nicht mehr. Doch, wo der alte Hahn
Nur mit den Federn nicht den Sinn verändern kan,
So soll der Freundschaft Glut, die noch nicht gar vergangen,
Bey der Zusammenkunft von neuem Zunder fangen.
Die Schule scheinet mir indeßen so verhast,
Daß ich aus Ungedult den festen Schluß gefast,
(Den ich bisher erfüllt,) sie eher nicht zu drücken,
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Bis mir die Præsides das schwarze Creuze schicken
Und bis Herr Leubscher selbst, ich rede nicht zuviel,
Mir schwöret, daß er dich uns wiederschafen will,
Ich müste denn noch einst, den Abschiedsspruch zu bethen,
Nach löblichem Gebrauch auf die Catheder treten.
In Schweidniz träget sich gar wenig Neues zu.
Dorindchen hat noch nicht vor dem Galenus Ruh;
Der wäre gestern bald vor Zorn ums Leben kommen,
Weil wir ihm die Musick vom Tanze weggenommen,
Aus Ursach, daß er uns, da er in Schwenckfeld war,
Durch seinen groben Stolz den grösten Schmerz gebahr.
Sie aber kaufet ihr das Cammertuch zur Haube,
Ihr Kränzgen fürchtet sich schon vor dem süßen Raube,
Den eine geile Nacht an ihr begehen soll:
(Das Punctum steht nicht recht) sie lebt indeßen wohl
Und exercirt den Fuß, auf ihrem Hochzeitreigen
(Zu dem der Musicus die neubezognen Geigen
Schon auf den Vorrath stimmt) französisch herzugehn
Und das gebogne Pas in esse zu verstehn.
Der neue Bau ist aus und das Theatrum fertig
(Denn Schauplaz kommt so kahl), ja jeden Tag gewärtig,
Wenn der Befehl erschallt: der Actus soll geschehn.
Die Scenen sind gemahlt und herrlich anzusehn.
Auf einer stuzt der Pan in einem deutschen Kleide,
Und an der andern sizt ein Bacchus auf der Weide,
Actæon schiest ein Reh mit einer Flinte todt,
Hier trägt der Himmel Graß, dort ist die Erde roth,
Hier sieht der Juppiter aus einer Zopfperruque,
Wie Juno, sein Gemahl, ihr die Fontange flicke;
Dort zieht die Cynthia den weiten Steifrock aus,
Wo Troja untergeht, da brennt ein altes Haus,
Hier eilt der Pegasus mit einer Sau zum Troge,
Dort kommt das Goldne Vlies auf einer Waßerwoge,
Hier drückt ein Satyrus das Waldhorn an den Mund,
Alcides kleidet sich in einen Kettenhund,
Der Künstler Dædalus fliegt mit zwo Flederwischen,
Der Zeus wohnt in der See, Neptunus in den Büschen;
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Dort steht Terentius und zeigt zu dieser Frist,
Wie emsig er das Buch des Moliere list.
In Summa kurzgefast, Paris und seines gleichen
Muß in der Schauspielkunst vor uns die Seegel streichen.
Ruæus giebet mir jezt seinen Cyrus vor,
Der treibet manchesmahl die Finger hinters Ohr.
Vier Scenen haben mich fünf Wochen schon gehudelt,
Die große Schwürigkeit macht, daß der Dichter sudelt;
Ich wollte, könt es nur nach meinem Wollen gehn,
Viel eher Deutschland selbst von hier in Latien,
Ja gar den Riesenberg mit allen seinen Schäzen
Als dieses Trauerspiel in deutsche Reime sezen.
Die Uhr verhindert mich, der Seiger hemmt den Kiel,
Der jezund weder Zaum noch Zügel leiden will,
Das Auge sieht den Schlaf, die Nacht befiehlt zu eilen,
Das Bette klaget fast mein säumendes Verweilen
Durch sein Erwarthen an; da mir dazu das Licht
Und mein Poetenpferd, der Kraustaback, gebricht,
Mein Bruder, lebe wohl, und bleib mir stets gewogen,
Bis mich die Brüderschaft des Todes dir entzogen.
Doch dencke, wenn dein Mund in Leipzig leckt und küst,
Wie ofte Schweidniz dir der Bücher Ernst versüßt
Und daß in Schlesien auch schöne Kinder leben,
Die den Studenten noch ein willig Mäulchen geben.
Ersticke nicht die Glut, so deinen Fleiß erregt,
Der Ehrgeiz hat dir schon die Sporen angelegt,
Die Flügel angesezt, den Atlas zu ersteigen,
Auf deßen Gipfel sich dir Ehrenpalmen zeigen.
Ich aber werde mich aus Eifersucht bemühn,
Durch einen Schwanenflug dir eilends nachzuziehn,
Um mit Verwunderung die Straße zu den Sternen
Durch meine Poesie dir ernstlich abzulernen.
O höchstbeglückter Schluß, der Geist und Blut gerührt,
Daß ich dem Opiz schon in etwas nachgespürt!
O höchstbeglückter Tag, der meine Dichterflöthen
Das erste Mahl gehört! Der Hunger mag mich tödten,
Das Schwerd erwürge mich, dem Feuer mag der Leib
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An statt der Nahrung seyn, wenn nur mein Zeitvertreib,
Das edle Harfenspiel, die Seele meines Lebens,
Nicht in dem Tode stirbt, so hab ich nicht vergebens,
So hab ich nicht umsonst mich um den Cranz erhizt,
So manch Papier befleckt, so manch Papier beschwizt,
So manchen Kiel verstampft. Wird nun die Lorbeercrone
Mir von des Phoebus Hand durch mein Verdienst zu Lohne,
So soll die Leyer dir, mein Freund, zu Dienste stehn
Und dein gepriesnes Lob bis an den Pol erhöhn,
Ja durch den Widerschall die Nachwelt selbst betäuben;
Ich werde deinen Ruhm in das Register schreiben,
Wo diese Nahmen stehn, die keine Zeit verlöscht,
Die auch die Sündfluth selbst der Misgunst nicht verwäscht
Und die der Neid verschont. Hier soltu bey den Dichtern
Des grauen Alterthums troz allen Splitterrichtern
Den Himmel und den Mond zu deinen Füßen schaun
Und bey der Sonne dir ein ewig Wohnhaus baun.
Genung, es schlägt schon drey, der frühe Tag kommt wieder,
Die Vögel rühren jezt die ausgeruhten Glieder,
Die ich schon oft gedähnt. Hier hastu Mund und Hand,
Daß, eh die Sonne steigt, ich euren Pleißenstrand
An statt der Weistriz seh. Las mich nur ehstens lesen,
Ob dir mein Quodlibet auch sey verhast gewesen.

Monsieur mon Frere
votre
tres humblement
Serviteur

Joh. Christian Günter.

Svidnicii, die 21. Julii. Noctu a
hora undecima usque ad dimidiam
quartae posteri. Datum in musæo.
1714.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Schweidnitz 1710-1715. Sendschreiben an Herrn Johann Gottfried Hahn in Leipzig. Sendschreiben an Herrn Johann Gottfried Hahn in Leipzig. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-26C0-1