Der Gelehrte

Beglückt ist der, zu dem sein Vater spricht:
Sohn, sei gelehrt! und der den Vater höret,
Und, nur auf Ruhm, auf Meisterschaft erpicht,
Bald vieles lernt, und endlich alles lehret,
Mit gleichem Muth bejahet und verneint,
Beweisen darf, und zu beweisen scheint.
Sein Ernst verschmäht, was Höfen stets gefiel:
Den Ueberfluß geschmückter Freudenfeste,
Die frühe Jagd, den späten Tanz, das Spiel,
Das Nachtgepräng' erleuchteter Paläste,
Der Masken Scherz, wo Mummerei und List
Verliebte paart, Gepaarten günstig ist.
Ihn reizen nie der Waffen Glanz und Pracht,
Der Edlen Muth, der Enkel tapfrer Ahnen,
Der Helden Lust, die feuervolle Schlacht,
Der stolze Sieg, der Ruhm erfocht'ner Fahnen.
Das Kriegsgeschrei, das donnernde Metall,
Der kühne Sturm, und der erstiegne Wall.
Er mehrt auch nicht den zu geheimen Rath,
Der um den Thron erhabner Fürsten sitzet,
Und, sonder Ihn, den anvertrauten Staat
Bewacht, versorgt, erweitert und beschützet.
Er will, Er kann (wie oft trifft beides ein!)
Kein Cineas von einem Pyrrhus sein.
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Was Ihn bemüht, verherrlicht und ergötzt,
Sind weder Pracht, noch Kriegs- und Staatsgeschäfte:
Es ist ein Buch, das er selbst aufgesetzt,
Es ist ein Schatz von Ihm beschriebner Hefte,
Ein Kupferstich, der Ihn, mit Recht, entzückt,
In dem Er Sich, mit Ruhm verbrämt, erblickt.
Es ist Sein Krieg ein schwerer Federkrieg,
In dem durch Ihn Beweise stehn und fallen;
Und Er betritt, auf den erhaltnen Sieg,
Den Helden gleich, des Ehrentempels Hallen,
Und stellet dort Sich Seiner Leser Schaar,
Der Setzerzunft, und den Verlegern dar.
Ja! dreifach groß und furchtbar ist der Mann,
Der muthig schreibt, bis Neid und Gegner schwinden.
Er trifft in Sich mehr, als neun Musen, an,
Er wird in Sich mehr, als den Phöbus, finden,
Und ist im Streit, wie Ajax beim Homer,
Des Heeres Schutz, ja selbst ein ganzes Heer.
Erwünschter Preis gelehrter Ritterschaft!
Dein Lorbeer krönt den, so der Muth erhoben:
Doch braucht auch der nicht stets der Waffen Kraft;
Er lobet auch, damit ihn andre loben,
Und lohnt dem Ruhm, den er im Lenz erhält,
Mit Gegenruhm, noch eh' die Blüte fällt.
Es keimt und sproßt die Saat der Dankbarkeit
In Zeitungen, und wächst in Monatsschriften.
Ein werther Freund belehrt die Folgezeit,
Und zeigt uns selbst, wie viel wir Gutes stiften,
Und dich ermahnt sein süßes Lobgedicht,
Germanien! zu der Bewundrungspflicht.
Oft ist der Ruhm, der Schriftverfasser hebt,
Ursprünglich schwach; doch hilft die Gunst ihm weiter.
Der Gönner Huld, nach der die Zuschrift strebt,
Macht Kleine groß, und dunkle Namen heiter,
Und wer zuerst um Nachsicht bitten muß,
Gebeut zuletzt, und ist ein Pansophus.
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So wie ein Bach, der träg' und dürftig quillt,
Durch Kies und Schlamm trüb und verächtlich fließet,
Sich krümmt und schleicht, von fremden Wassern schwillt,
Dann rauscht und glänzt, sich stolz ins Land ergießet,
Dort Bächen folgt, hier Bäche selbst regiert,
Und endlich gar des Stromes Namen führt.
Des Beifalls Kraft begeistert den Verstand
Mit allem Witz der Neuern und der Alten,
Wird zum Beruf, heißt jeden, der ihn fand,
Das Richteramt auf dem Parnaß verwalten,
Und macht den Mann, den Muth und Glück erhöhn,
Oft zum Virgil, noch öfter zum Mäcen.
Sein Haß entehrt. Warum? Weil Seine Gunst
Kaum weniger, als mancher Pfalzgraf, adelt.
Nur Er versteht, wie meisterliche Kunst
In Zeilen lobt, in ganzen Blättern tadelt.
Sein Ausspruch nur, der stets die Regel trifft,
Entscheidet schnell den Werth von jeder Schrift.
Die Ungeduld der Fremden, Ihn zu schaun,
Spornt ihren Fuß auf den gelehrten Reisen.
Sie müssen sich aus Seinem Mund erbaun,
Und Ihm, Ihm selbst, sich und ihr Stammbuch weisen,
Vergleichen Ihn mit Seinem Kupferstich,
Sehn, wie Er lacht, freun und empfehlen sich.
Er lehrt die Welt. Sein Ton, Sein Vorrang steigt,
Und Seine Stirn umstrahlt der Glanz der Ehre.
Das, was Er sagt, und das, was Er verschweigt,
Ist, wie ein Licht und Nebel Seiner Lehre,
Das, wann Er will, der Schlüsse Band entdeckt,
Der, wann Er muß, des Bandes Grund versteckt.
Der Körper Stoff, was ihre Kraft erhält,
Wie jede wirkt, sieht Er von allen Seiten.
Sein Witz durchstreift sogar die Geisterwelt,
Das dunkle Land entlegner Möglichkeiten,
Und spähet dort mehr Dinge seltner Art,
Als ein Ulyß bei seiner Höllenfahrt.
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Der Wahrheit Reich macht Er sich unterthan.
Er herrscht allein, mit sieggewohnten Schätzen.
Empöret sich des Zweiflers kecker Wahn,
So kann doch das Sein Ansehn nicht verletzt.
Umsonst erregt ein Aeol Sturm und Flut:
Neptun erscheint, und das Gewässer ruht.
Doch, wann Er Sich von jenen Höhen schwingt,
Wo, außer Ihm, den größten Weisen träumet,
So reizt auch Ihn, was uns Thalia singt;
Er spielt ein Lied, ein leichtes Lied, und reimet:
Wie Socrates, der so viel Geist besitzt,
Zur Werkstatt eilt, und Huldgöttinnen schnitzt.
Dann übt Er oft, die Musen zu erfreun,
Die Wissenschaft, ein Lob recht auszuzieren,
Die Fertigkeit, viel Glück zu prophezein,
Die strenge Kunst empfindlicher Satyren,
Und gleicht an Witz, an Einsicht, an Geschmack
Dem Despreaux, fast wie ein Cantenac.
Sein Ruhm wird reif, und güldner Zeiten werth,
Der dankbaren, doch längstvergess'nen Zeiten,
Wo den Petrarch das Capitol verehrt,
Und Dichter noch auf Elephanten reiten.
O großer Tag! o altes Heldenglück!
Kommt wiederum, doch nur für Ihn, zurück.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Moralische Gedichte. Der Gelehrte. Der Gelehrte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-305F-3