Das Glück und Melinde

Aus einem Sonett des Girolamo Gigli.


Ich sahe jüngst das Glück, und durft' ihm kühnlich sagen:
Bereue deinen falschen Tand;
Dein flatterhafter Unbestand
Berechtigt alle Welt zu klagen.
Was du am Morgen kaum verliehn,
Darfst du am Abend schon entziehn.
Das Glück versetzte mir: Wie kurz ist aller Leben!
Unendlich ist der Güter Wahl,
Unendlich meiner Sklaven Zahl:
Sollt' ich nicht jedem etwas geben?
Dient, was ich einem nehmen muß,
Nicht gleich dem andern zum Genuß?
Ich wandte mich darauf zur scherzenden Melinde,
Und sprach: Dem Glück steh' alles frei!
Wenn ich nur dich, mein Kind, getreu
Und mir so hold als schön befinde,
[303]
Und wenn dein Mund, der mich ergötzt,
Nur mich der Küsse würdig schätzt.
So wohl belehrt ich sie; doch gab sie ihrem Lehrer
Mit Lächeln den Bescheid zurück:
Ich bin ja reizend, wie das Glück,
Ich habe, wie das Glück, Verehrer;
Und warum sollt' ich denn allein
Dem Glück im Wechsel ungleich sein?

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Oden und Lieder. Viertes Buch. Das Glück und Melinde. Das Glück und Melinde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-31D6-B