[243] Die sechste Ode des Horaz

im dritten Buche.


Du büßest, unverdient, der Väter Missethaten.
Bis du, o sichres Rom, die Tempel wieder baust,
Der Götter Wohnungen, die in Verfall gerathen,
Auf deren Bildern du noch Rauch und Moder schaust.
Durch Ehrfurcht gegen sie hast du das Heft erhalten.
Sie gründete den Flor, der dir den Vorzug gibt;
Doch sahn die Götter kaum den ersten Dank erkalten,
So ward Hesperien durch öftre Noth betrübt.
Wir kriegten ohne sie, uneingedenk der Zeichen:
Schon zweimal bändigt uns Monaeses und Pacor.
Durch größrer Ketten Gold, den Raub von unsern Leichen,
Hebt sich der Parther Hals weit stolzer, als zuvor.
Bald hätt' Aegyptens Volk, das mit der Seemacht schreckte,
Und bald der Dacier, der frech den Wurfpfeil schwenkt,
Als alles schwürig war und voller Aufruhr steckte,
Die Mauern unsrer Stadt in öden Staub versenkt.
Der Zeiten öftre Brut, der Frevel und die Schande,
Beschmitzten anfangs bald die Ehen, Haus und Stamm;
Und diese Quelle war's, aus der dem Vaterlande,
Dem Volke des Quirins, der Strom der Strafen kam.
Ein reifes Mädchen lernt der geilsten Griechen Tänze,
Der Stellung Wissenschaft, der Glieder Fertigkeit,
Und sinnt, voll Ungeduld, in ihrem ersten Lenze,
Schon auf ein Meisterstück der frühen Lüsternheit.
Sie freit und wagt beim Schmaus vom Mann sich wegzustehlen.
Sucht jüngre Buhler auf, mit denen sie entschleicht,
Und ihnen, schnell und frech und ohne langes Wählen,
Wann sie das Licht entfernt, verbotne Küsse reicht.
Doch nein! Sie heißt den Mann, der Schande Hehler, trinken,
Steht auf und schmieget sich an eines Fremden Brust;
Es mag ein Mäkler ihr, es mag ein Schiffherr winken,
Als die Meistbietenden für manche schnöde Lust.
[244]
Roms tapfre Jugend ist von solchen nicht entsprungen;
Nie färbt' ein Meer durch sie der Poener Blut und Fall.
Durch Söhne bess'rer Art ward Pyrrhus Heer bezwungen,
Der Held Antiochus, der grimme Hannibal.
Durch rüstig Bauernvolk, durch manchen Held im Kittel,
Der, durch den Feldbau stark, gehärtet durch den Pflug,
Nach scharfer Mütter Sinn, noch emsig Scheit und Knüttel
Zum Schluß der Arbeit hieb und in die Hütte trug:
Bis, wann die Sonne nun den Wagen tiefer lenkte
Und an den Bergen sich der spätste Schatten wies,
Die süße Stunde kam, die ihm die Ruhe schenkte
Und aus dem schweren Joch die müden Rinder ließ.
Was mindert nicht die Zeit? Verarten wir nicht immer?
Die Römer sind nicht mehr was sie gewesen sind:
Die Ahnen waren arg, die Väter wurden schlimmer,
Und ärger, als wir selbst, wird Kind und Kindeskind.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Oden und Lieder. Erstes Buch. Die sechste Ode des Horaz. Die sechste Ode des Horaz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-32AE-0