Robert Hamerling
Homunculus
Modernes Epos in zehn Gesängen

[Motto]

Geist und Sinn hat ew'ge Unrast:
Nur im Herzen keimt der Friede,
Keimt die Freude, lebt die Liebe,
Lebt der heil'ge Daseinswille.

1. Gesang: Aus der Retorte

[1] Erster Gesang.
Aus der Retorte.

Bravo! sagte der Homunkel,
Als er fertig, und hernieder
Von der riesigen Retorte
Sprang er auf den Tisch des wackern
Hoch- und tiefgelehrten Doktors
Und Magisters, welcher eben
Nach unsäglichem Bemühen
Mit den Mitteln der Chemie nur
Aus den ersten Elementen
Dargestellt und hergestellt ihn,
Zum Triumph der Wissenschaft.
»Bravo, Doktorchen!« so rief er
Noch ein zweites mal, indem er
Fröstelnd in ein Wämschen schlüpfte,
Welches schon für ihn bereit lag;
[1]
Und mit gnäd'ger Miene klopft' er
Auf die Achsel dem Erzeuger.
»So im Ganzen und vom reinen
Chemisch-physiolog'schen Standpunkt
Aus betrachtet, ist, mein Lieber,
Was du schufst, ein respektables,
Lobenswürdiges Stück Arbeit.
Im Detail, da wäre freilich
Mancherlei davon zu sagen.«
Also fortfuhr der Homunkel,
Ließ dann einige gelehrte,
Schätzenswerthe Winke fallen,
Sprach von Albumin sehr Vieles,
Von Fibrin, von Globulin auch,
Keratin, Mucin und Andrem,
Und von regelrechter Mischung,
Und belehrte seinen Schöpfer
Und Erzeuger gründlich, wie er's
Hätte besser machen können.
Musterte hierauf des Doktors
Hochgethürmten Bücherschragen,
Nahm ein Buch herab und streckte
Lesend sich in einen Lehnstuhl.
Mit Respekt still von der Seite
Sah der Doktor sein Geschöpf an,
Welches übrigens frappant ihm
Aehnelte: dieselben klugen,
Schlaffen, übernächt'gen Züge,
[2]
Nur daß, runzlig, der Homunkel
Aelter aussah als sein Vater,
Anderseits jedoch ein Kind noch,
Oder, wenn man will, ein Zwerg war.
Allgemach begann zu kritteln
Und zu nörgeln an dem Buche,
Welches er in Händen hatte,
Der Homunkel. Int'ressant war
Dies dem Doktor, er notirte
Die Bemerkung in's Notizbuch:
»Erste literar'sche Regung
Eines Menschleins – Rezensiren.«
Mittlerweil' kam so in Eifer
Der Homunkel und erging in
Glossen sich, so voll von Witz, so
Scharf, so beißend, so gepfeffert,
Daß ein Niesedrang den Doktor
Ueberfiel, der nicht zu stillen,
So daß dieser sich zurückzieh'n
Einen Augenblick und einsam
Lassen wollte den Erboß'ten,
Als der Kleine die Scharteke
Warf' bei Seit' und, mit den Beinchen
Wie gelangweilt schlenkernd, gähnend,
Zu sich winkte den Erzeuger.
»Hör' doch, Väterchen!« begann er.
»Was beliebt?« frug Jener. »Sag' mir,«
Fuhr der Kleine fort, »wie kam dir
[3]
Denn so eigentlich der Einfall
Mich, just mich zu fabriziren?
Warum hast du denn nicht lieber
Dich auf Alchemie geworfen?
Leute giebt es ja genug schon!
Besser hätte deine Mühen
Dir gelohnt ein goldner Klumpen.
(Apropos, wie steht das Agio?)
Gold, mein Lieber, das rentirt sich;
Alles andere ist Chimäre.
Bist ein Idealist, ein Schwärmer!
Mußt nun kleiden mich, ernähren!
Durst und Hunger schon verspür' ich!«
Braten ließ vom nächsten Garkoch
Und die beste Flasche Weines
Bringen unverweilt der Doktor,
Und die edle Gottesgabe
Stellt' er hin vor den Homunkel.
Der begann herumzustochern
Am Gebrat'nen, und zu nippen
An des Weines duft'ger Labe,
Aber baß den Mund verziehend,
Grimassirend wie vor Leibschmerz,
Sich das Bäuchlein reibend, krümmte
Auf dem Stuhle sich das Männchen.
Ach, abscheulich fand den Trank er
Und das Essen unverdaulich,
Bat ein Dütchen Gummi, Schwefel,
[4]
Coffeïn, dazu ein Gläschen
Reinen Alkohols sich aus.
Als er dran gelabt sich leidlich,
Kam zurück er auf die Frage:
»Wie verfielst du drauf, mein Lieber
Mich, just mich zu produziren?«
»Lieber, herrlicher Erzeugter!«
Gab zur Antwort der Gefragte;
»Ganz natürliches Ergebniß
Fortgeschritt'ner Wissenschaften
Bist du! Wissen, Freund, ist Können!
Dich zu machen, an der Zeit war's,
Wie es niemals noch gewesen,
Und wir thaten's, weil wir's konnten,
Weil wir wußten, weil wir glaubten,
Daß wir's könnten. Und so wardst du!
In der Luft schon gleichsam lagst du!
Zeitgemäß und folgerichtig
Kamst du, wie im März das Veilchen,
Kamst du, wie im Mai der Käfer,
Wie der Storch, der Wandervogel!«
»Danke für die Ehre!« sagte
Der Homunkel; »aber höre,
Was so eigentlich – wie sag' ich? –
Das Gemeingefühl – Bewußtsein
Dazusein – das Leben anlangt,
Das du mir geschenkt, so weiß ich
Wirklich nicht, ob ichs dir danke.
[5]
Fühle mich – hol' mich der Geier –
Nicht recht wohl in dieser meiner
Haut, so fein sie auch gesponnen,
Und es plagt mich Langeweile!« –
»Teufel!« rief entsetzt der Doktor,
»Glaube gar, du bist blasirt schon!«
»Glaub' es auch!« versetzte gähnend
Der Homunkel.
Allgemach dann
Hub' er an, in weinerlichem
Tone über dieses, jenes
Körperungemach zu klagen,
Und wenn theilnamvoll der Doktor
Näher ihn befragte, rief er
Aechzend nur: »Ach meine Nerven!
Meine Nerven!« – Wenn der Doktor
Seinen Puls befühlte, fand er
Selben fieb'risch galoppirend,
Und im nächsten Augenblicke
Wieder schleichend gleich dem Schrittgang
Eines eigensinn'gen Kleppers.
Ueber Wallungen, dann wieder
Ueber Blutarmuth auch seufzte
Der Homunkel; dem Erzeuger
Warf er vor, zu wenig Eisen
Sei gekommen in die Mischung
Seiner ersten Elemente.
»Elend ist auch die Verdauung,«
[6]
Rief er dann, »und Neuralgien
Zwacken hier und zwacken dort mich.
Packe mir den Koffer schleunigst,
Augenblicklich muß in's Bad ich!«
Eingebildet nennt der Doktor
Seine Leiden, ihn beschwicht'gend.
Der Homunkel drauf: »Die Sache
Ist, mein Lieber, daß ein bischen
Arg du im Detail gestümpert;
Und das muß ich jetzo büßen!«
Aergerlich den Doktor machten
Diese Reden und er sagte:
»Nimmst du ganz dein erstes Bravo
Schon zurück als Uebereilung
In so wachsend übler Laune?
Undankbar und unbescheiden
Bist du, Junge! Mir verdankst du
Diese Haut und diese Knochen,
Dies Gewebe, dies Geblüte,
Diesen Odem, diese Sinne,
Diese Denkkraft; mir verdankst du's,
Wenn auf diesem Erdenrund du
Deine siebzig, achtzig Jährchen
Völlig wie geborne Menschen
Leibst und lebst und liebst und leidest!«
»Achtzig Jährchen? wär nicht übel!«
Gab zurück ihm der Erzeugte.
»Hab es satt schon jetzt, das Leben!
[7]
Ist's vielleicht ein Gut, dies Leben?
Weißt du nicht, daß Nichtsein besser?
Rechenschaft von dir verlang' ich,
Wie, mit welchem Rechte du dich
Unterstanden, mich zu schaffen,
Mich auf's Rad des Seins zu flechten,
Zu verdammen mich zum Elend,
Zu dem Hunger, zu dem Ekel,
Zu der Langeweil' des Daseins?
Hab' ich dich darum gebeten?
Lag ich nicht im Schoß des Nichtseins
Wonniglich? Wie durftest du so
Mir nichts dir nichts aus dem besten
Schlaf mich wecken und mich zwingen
Mitzutrotten wider Willen
In dem langen, bettelhaften
Pilgerzug der Kreaturen?«
»Ungemüthlich,« rief der Doktor,
»Bist du, bist ein Hypochonder,
Bist verbittert, bist vergrämelt!
Schau' die Welt dir an, die schöne!
Und genieße sie!«
Da lachte
Der Homunkel: »Anschau'n soll ich
Diese Welt mir? Mit den Augen,
Welche du mir gabst, erscheint sie
Eine arge Pfuscherei mir,
Wie ich selber! – Und genießen?
[8]
Ha, genießen! Mit den Sinnen,
Welche du mir gabst, befällt mich
Bei dem Wort Genießen fliegend
Eine Hitze: doch dazwischen
Gleich durchfröstelt der Verstand mir,
Welchen du mir gabst, die Seele
Eisig scharf – Genuß, ha, würfe
Zwischen Glut und Frost umher mich,
Halb erstickend, halb erstarrend.«
Bei den Worten fiel des Kleinen
Blick zufällig auf das Bildniß
Eines schönen Frauenzimmers,
Das im Rahmen an der Wand hing.
»Welch' ein Weib!« begann er schmunzelnd,
»Welche Augen! welche Wangen!
Welche Lippen! welche Glieder!«
Konnte gar nicht satt sich sehen
An dem Bild, hub an zu strampeln
Mit den Beinchen vor Vergnügen.
Freudig merkend solch' korrekten
Fühlens Ausbruch, rief der Doktor:
»Liebe, Freundchen! lerne lieben!
Solches wird von übler Laune
Bald dich heilen! Will ein Weibchen
Dir erkiesen, dir vermählen,
Das dir bleibe schön verbunden
Immerdar in Lieb' und Treue!«
»Lieb' und Treue?« rief das Männlein,
[9]
Schlug ein helles Hohngelächter
Auf, daß das Gemach erbebte
Und das Bildniß von der Wand fiel.
»Bist ein Idealist, ein Schwärmer!« –
Und so immer ärger greint' er,
Tobt' er – immer unbarmherz'ger
Hunzt' er aus den armen Doktor,
Schalt ihn Ignoranten, schalt ihn
Stümper, warf ihm insbesond're
Vor, er habe soviel Phosphor
Beigemischt den Elementen
Seines zarten Organismus,
Daß genug es für ein Pferd wär',
Und infolge dessen glühe
Denkend, grübelnd des Gehirnes
Masse wie ein Kohlenmeiler
Ihm von Anbeginn, des hellen
Intellektes Flamme schlage
Schier ihm über'm Haupt zusammen,
Leucht' in jeden Kehrichtwinkel
Dieser Welt hinein so grell ihm,
Daß ihm nichts schier übrig bleibe,
Als aus seiner Haut zu fahren,
Als des Teufels ganz zu werden.
»Dank?« so schloß die Rede grinsend
Der Ergrimmte, »Dank verlangst du
Dafür, daß du mich geschaffen?
Eine tücht'ge Tracht von Prügeln
[10]
Ist der Dank, den du verdientest!«
Rief's und leiser dann zu wimmern
Fuhr er fort, sich zu beklagen
Ueber rasend-wilden Kopfschmerz.
Tiefbestürzt, mitleidig neigte
Sich der Doktor zu dem Kleinen,
Oeffnete sodann den Wandschrank,
Arzenei daraus zu nehmen
Für den Kranken. Doch der Schrank barg
Eine exquisite Sammlung
Auch von Giften, die in Fläschchen
Mit gar zierlich-netter Aufschrift
Wie »Arsenik«, »Cyankali«
Und so weiter, lang gereihet
Standen hier in schöner Ordnung.
Gierig haftet des Homunkels
Blick darauf; wie eine Katze
Lüstern leckt er sich die Lippe,
Und mit einem Griffe blitzschnell
Hat er eines Stücks Arsenik
Sich bemächtigt – will's verschlingen;
Mit genauer Noth entreißt es
Ihm der Doktor, sucht ihn schmeichelnd
Zu beschwicht'gen. Dann erwägend,
Was mit ihm sei zu beginnen,
Hält er es zuletzt für's Beste,
Vor der Hand in tiefen Schlaf ihn
Zu versetzen durch Hypnose.
[11]
Und er blies ihm in den Nacken,
Sah ihm starr in's Aug', begann dann
Kunstgemäß die beiden Schläfe
Ihm zu streichen, ihm zu drücken,
Und nach wenigen Minuten,
Tief zurückgelehnt im Lehnstuhl,
Lag im Schlummer der Homunkel.
»Gott sei Dank! sprach still vor sich hin
Der geplagte chem'sche Vater,
Und ein Seufzer der Erleicht'rung
Rang sich los aus seinem Busen.
»Ich riskire, daß der Range
Mich noch ohrfeigt!« sprach er weiter
Zu sich selbst; »ein Teufelsjunge!
Geistig ist er baß gerathen:
Nur was Kraftmaß, Säftemischung,
Konstitution des Leibes,
Was Gemüth, was Stimmung anlangt,
Nun, da hapert's. Sonderbar ist's,
Daß bei diesem ganz erweislich
Materiell-erzeugten, chemisch-
Construirten Lebewesen
Just das Leiblich-Materielle,
Das Natürliche verschrumpft ist,
Geist und Intellekt dagegen
Ueppig sind in's Kraut geschossen.
Hätt' es umgekehrt erwartet!
Nicht zu leugnen: Defizite
[12]
Giebt es noch im Lebenshaushalt
Dieses jungen Organismus:
Doch er funktionirt – er lebt!
Schwächen hat er und Gebreste:
Doch der Kern – den Kopf zum Pfande
Setz' ich – dieser ist gelungen;
Und zu Großem war berufen,
Ist berufen dieses Menschlein!
Eine große Rolle spielen
Muß er, wird er in der Welt noch!
Aber so mit Haut und Haaren,
Wie er ist – unmöglich wär' es,
Daß er durchdringt! Nicht zu Grund geh'n
Darf er, aber auch nicht bleiben,
Wie er vorliegt! Warte, Männchen,
Werde dich beim Worte nehmen!
Dich ein bischen »besser machen!«
Ueberstürzt war deine Bildung,
Ward »forçirt« – darin versah ich's –
Durch den Hitzegrad des Herdes,
Durch den Ueberfluß der Zufuhr.
Hätt' es machen sollen, wie es
Die Natur macht, die nie plötzlich,
Nie auf einen Ruck mit all' dem,
Was sie still bezweckt, herausplatzt,
Hier den Sporn braucht, dort den Hemmschuh,
Und mit vielen Ritardandos
Im spiralen Schneckengange
[13]
Des Prozesses der Entwicklung,
Was sie will, gemach vollendet.
Ja, mein Junge, deine Lehre
Nutz' ich – werfe dich noch einmal
In den Tiegel, reduzire
Auf das erste embryonale
Urprinzip dich! Diesen ersten,
Rein materiell erzielten,
Destillirten Lebensurstoff,
Welcher mir so schön gelungen, –
Herrlichster Triumph des Wissens! –
Diesen konservir' ich sorgsam:
Aber um den Keim zu bess'rer
Individueller Bildung
Zu entwickeln, muß verfahren
Anders ich mit ihm ab ovo!
Komm, mein Bürschchen! sei nicht bange
Für dein Leben! denn dein Punctum
Saliens, das ist geborgen:
Und im Wesen wirst du bleiben
Der du bist; zu deinem Vortheil
Umgeformt nur: präsentabler,
Hübscher, stattlicher, gedieg'ner!«
Also sprechend, warf der Doktor
Den entschlummerten Homunkel
Flugs zurück in die Retorte,
Reduzirt' ihn auf das erste
Urprinzip vitalen Daseins,
[14]
Wie er glücklich es erfunden,
Auf den embryonalen Zustand,
Auf ein rationell gemischtes,
Zartes Protoplasma-Klümpchen.
Und nachdem ihm dies gelungen
Mit unsäglichem Bemühen,
Sacht' den Embryo verpflanzt' er
Auf geheimnißvolle Weise
In den Mutterschooß der Gattin
Eines armen Dorfschulmeisters.
[15]

2. Gesang: Des Homunkels Lehrjahre

Zweiter Gesang.
Des Homunkels Lehrjahre.

Munkel hieß der Dorfschulmeister,
Dessen Gattin war erkoren,
Auszureifen, zu gestalten
In dem mütterlichen Schoße
Statt des eignen Liebesegens
Jenen Keim aus der Retorte,
Den gemischt der chem'sche Meister
Aus des Lebens Elementen.
Als vorüber nun der Monde
Neunzahl, trat an's Licht des Tages
Ausgereift und ausgestaltet,
Lebend und gesund, das zarte
Wunderkind, das ungezeugte.
Mit emporgezog'nen Brauen,
Stirnerunzelnd und mit großen,
[16]
Klugen Augen um sich blickend,
Lag es in der Wiege, weinte
Selten, lächelte noch seltner.
Keinen Engel sah's im Traume,
Denn es glaubte nicht an solche.
Aber in der Brütestätte
Jenes mütterlichen Schooßes
War dem Knaben, pilzkeimartig,
Angeflogen doch ein Etwas,
Das, als er herangewachsen
Und Gehilfe ward des Vaters,
Sich verrieth durch Versemachen.
In Romanen und Gedichten
Hatte seine wack're Mutter
Viel gelesen, während sie sich
Mit ihm trug, desgleichen später,
Während sie das Knäblein säugte
Mit der Milch aus ihren Brüsten.
So war er Poet geworden:
Nicht entgangen war es ihm,
Daß die Lust trägt in der Brust
Der Poet, den Schmerz im Herzen.
Und er machte die Entdeckung,
Daß im Lenz die Knospen springen,
Und die Rosen lieblich duften,
Und die Wasser wonnig rauschen,
Und gelind die Lüfte wehen,
Und daß hübsche junge Mädchen
[17]
Angenehm sind anzusehen –
Und er glühte vor Verlangen,
Dies Entdeckte ohne Säumniß
Aller Welt nun mitzutheilen.
Wußte nicht, daß solche Dinge
Seit Anakreons, des Tejers,
Zeit ein öffentlich Geheimniß!
Eine schöne Schenkin liebt' er,
Feierte sie zart in Liedern –
Hebe ihm zugleich und Muse!
Späterhin ein Nähmamsellchen,
Das mit stahlblank-scharfer Schere
Ihm erschien als ernste Parze
Seines Glücks- und Lebensfadens.
In die Hände eines Tages
Fiel ein enggedruckter Band ihm
Von Rezensionsauszügen
Ueber Schack's poet'sche Werke.
Dieses spornte seinen Ehrgeiz.
Nachzueifern solchen Flügen
War von da an sein Bestreben.
In der Prosa war Johannes
Scherr Idol ihm, Götze, Fetisch.
Wollte nun nicht länger harren,
Literarisch und ästhetisch
Durchgebildet im Verborg'nen,
Edlen Sanges Dank zu ernten.
Aber bald ward ihm bedeutet,
[18]
Daß die Themen seiner Lieder,
Maienlust und Liebeswonne,
Nicht so neu, als ihm bedünkte,
Daß vielmehr schon abgebraucht sie,
»Abgedroschen«, – flegelhaft fand
Er den Ausdruck – aber schließlich
»Eine neue Poesie denn
Zu erfinden gilt's,« so dacht' er;
»Eine neue zeitgemäße
Poesie mit funkel-nagel-
Neuen Stoffen – mit Gedanken
Und Gefühlen, unerhörten!« –
Und er machte die Entdeckung,
Daß die Menschen an sozialen
Uebeln kranken, daß die Armen
Sich in bittrer Noth verzehren,
Daß im Glück, im ungestörten,
Schufte leben, daß der Hunger
Junge Mädchen aus dem Volke
Auf die Bahn oft drängt des Lasters,
Daß dem welken, reichen Lüstling
Jungfrau'nblüte wird verkuppelt,
Daß der Bund der Ehe drückend
Ist für die, die sich nicht lieben,
Daß moralische Versumpfung
Aus der Armuth sich entwickelt,
Und nicht minder aus dem Reichthum –
And'res viel von dieser Art noch.
[19]
»Brächte,« dacht' er, »diese Dinge
In begeisterten Gesängen
Ich zur öffentlichen Kenntniß,
Ungeheures Aufseh'n müßten
Sie erregen und man fände
Sich bemüssigt, abzustellen
Die sothanen Uebelstände.
Nebenbei müßt' über Nacht ich
Zum berühmten Manne werden!« –
Aber er erlebt' es leider,
Daß die Welt bei seiner neu'sten
Poesie nicht minder gähnte,
Als bei jenen guten alten
Lenzeslust- und Liebesliedern.
In Verzweiflung ob des Scheiterns
Seiner stolzen Ideale,
Rafft' er auf sich zum Entschlusse,
Ueber's Knie den Lehrerbakel
Abzubrechen, fortzuwandern,
Hoffend, in der Welt, der weiten,
Endlich doch noch aufzutreiben
Neue Themen, welche »packten«.
Und er fand zwar nichts, was neu,
Aber manches doch, was Mode.
Dichtermode war zum Beispiel
Mittelalter just, das »finstre«,
Und das Alterthum das »graue«.
Und so schrieb er denn ein Epos,
[20]
Allerneu'ste »Nibelungen«,
Dacht' es stracks wie eine Bombe
Zündend in das Volk zu werfen.
Es gelang ihm, einzuschleichen
Sich mit zartem Minnesange
In das Herz der schönen Tochter
Eines reichen Buchverlegers.
Diesem bot er an sein Epos,
Warb zugleich um seine Tochter.
Doch der Buchverleger sagte:
»Willst du nach der Myrthe greifen,
Erst verdiene dir den Lorbeer!« –
Und das Buch, es ward gedruckt,
Und es ward hinaus gesendet
In die Welt und hochgepriesen
Ward's, in die Posaune stießen
Alle Kritiker, die Ohren
Gellten wie der angeschlag'ne
Heil'ge Erzschild zu Dodona
Mondenlang dem Publikum.
Während so vom Lob des Buches
Die Journale widerhallten,
Schwand das Jahr, und sieh, vergriffen
Waren – dreizehn Exemplare.
D'raufhin wies der Buchverleger
Stumm die Thür dem Minnesinger,
Gab die Tochter einem Andern,
Und das Epos stampft' er ein. –
[21]
In die Dienste eines jungen
Cavaliers auf Reisen trat nun
Unser Munkel. An der Seite
Dieses jungen, flotten, reichen
Don Juans – als Sekretär ihm
Sollt' er dienen – wohlgemuth sich
Anzuseh'n die Welt gedacht' er,
Hoffend, brauchbar'n Stoff zu finden
Endlich doch für jene neue
Poesie, nach der er strebte.
In der That an Don Juans Seite
Trieb er um in mancher schönen
Gegend sich, in mancher bunten
Groß- und Weltstadt, und in Bädern –,
Modebädern, das ist solchen,
Wo so recht behaglich plätschert
Einer in dem Schmutz des Andern –
Trieb sich um an manch berühmtem
Badespielort auch, und weilte
Nun an einem, der vor allen
Elegant war, fashionable:
Zu Tarteiffelburg, an Frankreichs
Und des deutschen Landes Grenze.
Dieser Ort ward hohe Schule
Für Jung-Munkel. Die Gesellschaft
Sah er hier, die große, feine,
Sah sie lächelnd, lispelnd, trippelnd,
Tänzelnd und balsamisch duftend,
[22]
Untermischt mit räthselhaften,
Uebertünchten, parfümirten
Existenzen, faul von innen –
Sah, wie los man wird am Spieltisch,
Was erknausert ward, erknickert,
Und ergattert und ergaunert –
Sah wie leicht verscherzt, verjubelt
Sind die durchgegang'nen Kassen
Und die durchgegang'nen Schönen –
Sah, naiv erstaunt, die edle
Weiblichkeit zum ersten male
Dekoll'tirt bis an den Gürtel –
Sah die Danaën geschminkt sich
In die gold'ne Traufe stellen –
Sah den kecken Abenteurer,
»Hahn im Korb« der gall'schen Hennen,
Der vielleicht nach ein paar Monden
Seine seidene Kravatte
Schon vertauscht mit einer hänf'nen ...
Eines Abends stand im weiten,
Hellen Saal am Spieltisch Munkel.
Einer, der, noch unbefangen,
Regen Sinns hier schaut die Spieler,
Festgebannt am grünen Tische,
Düster mit verstörten Mienen,
Dem erscheint der Tisch ein Angstrad,
Drauf geflochten die Unsel'gen, –
Meint zu lesen ein Kapitel
[23]
Aus der Höllenfahrt des Dante.
Aber Munkel sah den Tisch nicht,
Nicht die Spieler; sah nur Eines:
Aufgeschichtet auf dem Tische
Hohe, helle Haufen Goldes.
Da befiel auf einmal krankhaft
Ihn ein räthselhafter Zustand.
Stärker ward sein Puls und Herzschlag,
Ein gewisses Zucken spürt' er
Krampfig in den Fingerspitzen,
Vor den Augen ward es gelb ihm,
Flimmernd-gelb – ein Schwindel faßt' ihn ...
Ach, der Aermste ahnte nichts noch
Vom Geheimniß seines Ursprungs! –
Seines Keimes Elementen
Dachte, um ihn mehr zu kräft'gen,
Auch ein Element des Eisens
Beizumischen der Erzeuger.
Er vergriff sich; in die Mischung
Kam ein Element von Golderz.
Dies Goldelement im Keime,
Stets verlangt' es nach Erneurung,
Gleich den ander'n Elementen,
Und so lag ein räthselhafter
Durst nach Gold in Munkels Blute.
Fortstürzt Munkel; Ruh' gewinnt er
Erst, nachdem er weit gelassen
Hinter sich die gold'nen Haufen.
[24]
In der Nacht, im tiefsten Schlummer,
Naht ein märchenhafter Traum ihm.
Sah im Traum als Herkules sich
Selber steh'n am Scheidewege.
Auf der einen Seite winkte
Ihm das Ideal, mit Armuth
Und Entsagung im Gefolge;
Auf der andern winkte Glanz, Macht,
Reichthum. Und zu wählen hatt' er.
Eine blaue Blume hier –
Dort ein mächt'ger Klumpen Goldes.
Jene blühte auf smaragd'ner
Wiesenflur – der gold'ne Klumpen
Lag im Schmutz und Dust der Straße.
Auf der blauen Blume wiegten
Farbig-bunt sich sel'ge Falter,
Auf dem Klumpen Goldes krochen
Würmer, Spinnen, ekle Käfer.
Nach der blauen Blume greifen
Wollte Munkel. Doch des Erzes
Zauber auf sein Blut und Wesen
War zu stark – er nahm den Klumpen.
Und was sich im Traum entschieden,
Es verwirklicht sich im Wachen.
An den Spieltisch mit bescheid'nem
Einsatz wagt in nächster Nacht sich
Unser Held. Die Rollen häufen
Sich um ihn im Stundenfluge.
[25]
Heißa! mehr der gold'nen Rollen!
Immer mehr der gold'nen Rollen!
Als der Morgen angebrochen,
Findet er sich reich wie Krösus.
Als ein Mensch, ein Mann nun galt er,
Und in ihren Schoß aufnahm ihn
Süßlich lächelnd die Gesellschaft.
Arm in Arm mit Grafen ging er,
Um sich sah er nur noch Sklaven,
Und der Gürtel aller Phrynen
Schrumpfte für ihn ein zum Strumpfband.
Eines dieser schönen Kinder
Nahm er fort mit sich auf Reisen.
Frei und selber Cavalier nun,
Schöpft' er keck den Schaum der Welt ab,
Im Geleite dieser Schönen.
Aber da die Lust ihn ankam,
Auch zu pilgern nach dem lust'gen
Ungarland, an Ort und Stelle
Zu verkosten den Tokaier,
Und zu seh'n die üppig-schönen,
Weltberühmten Ungarfrauen,
Fiel er im Bakonyerwalde
Wilden Räubern in die Hände.
Führer dieser Räuberbande
War ein Enkel Rosza Sándors,
Und gutmüthig, wie nun einmal
Ist im Ungarland der Betyàr,
[26]
Wollt' er unserm armen Munkel
Nur die schöne Liebste nehmen,
Und dafür das Gold ihm lassen.
Doch die leichtgesinnte, munt're
Schöne, sie erklärte rundweg,
Daß sie bleibe, wo das Gold sei;
Und so sah der Enkel Sándors
Sich bemüssigt, zu behalten
Auch das Gold des armen Munkel.
Gerne wäre Munkel selber
Auch geblieben bei dem Golde,
Auch geblieben bei den Räubern;
Denn was sollt' er nun beginnen?
Von den Räubern fortgewiesen
Trieb er in der Welt umher sich,
Und es warf geraume Zeit ihn
Auf bewegtem Meer des Lebens
Eine Welle zu der andern.
So im Lauf der nächsten Jährchen
War er viel nicht stets, doch Vieles:
Volksmann, Wühler, Freischaarführer,
Polizeispion, Major dann
In dem Gardecorps des Papstes,
Börsenjobber, Spielbankhalter,
Bauernfänger, Wunderdoktor,
Kriegsschauplatz-Berichterstatter,
Vortragsbummler, Taschenspieler,
»Medium«, Gedankenleser,
[27]
Reisemarschall einer Säng'rin,
Sozialist, Carlist in Spanien,
Renegat und Roßschweifpascha,
Jesuit, Schaubudenhalter,
Hungerkünstler, Feuerfresser,
Sekretär entthronter Fürsten,
Schornsteinfeger in der Hölle,
Colporteur, barmherz'ger Bruder,
Reuß'scher Konsul in Tumbuktu,
Cirkusreiter, Clown, geheimer
Sendling, Mäkler, Geldverleiher,
Kommissär verschied'ner Mächte
In den Donaufürstenthümern,
Handlungsreisender, Schauspieler,
Unterschriften-, Wurzel-, Kräuter-,
Lumpen-, Abonnentensammler ...
Was von Seelenwanderung einst
Lehrten die Pythagoräer,
Was Braminen in Legenden
Und Ovid in fünfzehn Büchern
Von Verwandlungen erzählen,
Von Verwandlungen der Menschen,
Von Verwandlungen der Götter,
Messen darf es sich mit dem nicht,
Was geleistet unser Munkel
In der Kunst der Selbstverwandlung,
Seelenwanderung – in Farben-,
Kleider- und Gesinnungswechsel,
[28]
So im flücht'gen Lauf der Jährchen.
Schließlich bracht' ihn ein verdrießlich-
Böser Handel vor die Schranken,
Und von da – Gott weiß wohin.
Ward er flüchtig? Es verliert sich
Von da an für eine Weile
In geheimnißvolles Dunkel
Unser Held; die Weltgeschichte
Hat hier eine ihrer vielen,
Sehr bedauerlichen Lücken.
Aber aus dem Dunkel, siehe, –
Etwa wie aus eines Tunnels
Nacht man wieder kommt an's Tagslicht –
Trat mit einem mal in würd'ger
Haltung, reif für Höh'res, Munkel,
Als gewiegter, als gerieb'ner,
Ausgepichter, als mit allen
Salben, wie man sagt, gesalbter
Mann hervor, bewußt des Zieles.
Aufschlug er in einer Weltstadt
Seinen Wohnsitz, und in's Leben
Rief er eine große Zeitung:
Eine Zeitung von noch niemals
Dagewesener Bedeutung,
Riesigem Erfolg, betitelt:
»Blatt für Alles und für Alle
Kostenfrei geliefert ward es,
Dieses Blatt, dem Abonnenten.
[29]
Mehr noch: er bekam dazu auch
Unterschiedlich-hübsche Prämien,
Ostereier, Christgeschenke,
Neujahrsgelder und dergleichen.
Dies bekam der Abonnent
Mit der einzigen Bedingung,
Daß er las die Inserate! –
»Teufel, wie ist Solches möglich?
Und wie kommt er auf die Kosten?«
Also fragten naive Seelen,
Welche glaubten, daß ein Vogel
Von der Luft, ein Fisch vom Wasser,
Und ein großes Blatt, ein Weltblatt,
Lebt vom Geld der Abonnenten! –
Je nun – Jeder inserirte
In ein Blatt, das Jeder las. –
Honorare zahlte Munkel
Keine; ließ im Gegentheile
Stets sich selbst zu hohem Preise
Honoriren, was er druckte.
Um die Ehre, mitzuwirken
An dem »Blatt für Alle«, stritt sich
Die Elite der Gesellschaft;
Hof- und Staats- und and're Räthe
Oder auch die Führer mächt'ger,
Zahlungsfähiger Parteien
Lieferten die Leitartikel.
Große Bank- und Handelsfirmen
[30]
Lieferten die finanziellen,
Volkswirthschaftlichen Berichte,
Zahlten fabelhafte Summen
Für die Ehre, in Herrn Munkels
Blatte sich gedruckt zu sehen.
Literarische Kritiken
Lieferten die Buchverleger
Und die Feinde der Autoren.
Sehenswürdig war das eng're
Redaktionsbureau des Blattes.
Vier »interne« Kräfte zählt' es.
Anvertraut den beiden ersten
War das Werk des Redigirens.
Dieses Paar erprobter Kräfte
War der Rothstift und die Scheere.
Daran schloß sich als »interne«
Dritte Kraft ein Bullenbeißer,
Welcher Jenen in die Waden
Fuhr, auf welche man ihn hetzte.
Von den menschlichen Organen
War beim Vierten das Organ nur
Der Verantwortung entwickelt,
Das auch Sitzorgan genannt wird.
Vorbehalten hatte Munkel
Von den Redaktionsgeschäften
Für sich selbst sich das des Schweigens –
Das des Schweigens und Verschweigens –
Dieses lohnte sich am meisten.
[31]
In des Blattes Magazinen
Fand sich eine Riesentonne:
Und in dieser Riesentonne
War ein ungeheurer Vorrath
Aufgestapelt alles Süßen:
Alles Lobes, alles Ruhmes,
Jeder Art von Anerkennung.
»Unvergleichlich, herrlich, prachtvoll,
Meisterhaft, nie dagewesen,
Zauberhaft, entzückend, himmlisch« –
Jedes dieser Prädikate,
Jedes dieser Adjektive
Bis hinunter zu »befried'gend«
Und »genügend« und »nicht übel«
Hatte seinen Preis. Reklame,
Von der plumpsten bis zur feinsten,
Ohne Maske und mit Maske,
Unverschämte und verschämte,
Bot in Tausenden von sinnreich
Und kokett erdachten Formen
Sich dem Käufer dar zur Auswahl.
Aber wie es einst im alten
Attika den besten Honig
Und zugleich das beste Salz gab,
Hielt das Bittere dem Süßen,
Hielt dem Zuckerseim der Wermuth,
Hielt dem Sammtpfötchen die Tatze,
Asa foetida dem Weihrauch
[32]
Und der Unglimpf der Verhimmlung
In Herrn Munkel's Blatt die Wage.
Schwunghaft einen Handel treiben
Konnt' es heimlich mit den Häuten,
Die es Feinden abgezogen –
Eig'nen Feinden oder fremden.
An die großen Magazine
Der Reklame schloß dann weiter
Sich das große, weitberühmte
»Meinungspensionat« des Blattes:
Jede Art von öffentlicher
Oder auch privater Meinung,
Ansicht, Grundsatz, Ueberzeugung
Ward hier in die Kost gegeben
Und für Geld so groß gezüchtet,
Dick gefüttert, ausgestattet,
Und an Mann gebracht so günstig,
Als man es nur wünschen mochte. –
Alles Käufliche der Welt,
Alles Leckere des Erdballs,
Alles Schöne, Delikate,
Seltene, Begehrenswerthe,
Alles, was nur die fünf Sinne
Eines Menschen mag erregen,
Reizen, locken und verführen,
Gab bei Munkel's Blatt die Karte
Höflich ab und die Adresse.
Und von all' Dem, selbstverständlich,
[33]
Hatte das »jus primae noctis«
Munkel selbst – das »Recht der ersten
Nacht«, das Recht, es vorzukosten.
Tributpflichtig war die Welt ihm.
Freien Eintritt, freien Zutritt
Hatt' er überall durch off'ne,
Blumenüberhang'ne Pforten.
Keine Thür war ihm verschlossen,
Und kein Ohr, kein Herz, kein Beutel.
Alles beugte sich vor ihm,
Dem Gefürchteten, Allmächt'gen;
Alles zog vor ihm den Hut,
Wenn auch mit geheimem »Daß dich ...«
War er doch der große Richter,
Mittler, Förd'rer, Gnadenspender!
Fürsten und Minister drückten,
Juden küßten ihm die Hände.
Künstlerinnen, schön und häßlich,
Schmiegten – je nachdem – als Kissen
Ihm zu Häupten sich, im andern
Fall als Teppiche zu Füßen. –
Käuflich immer fand er Alle,
Weil er käuflich war für Alle.
So zu hohem Glanz und Ehren
Durch sein Blatt gelangte Munkel.
Aber als nun eben wieder
Eintrat eine Zeit des neuen
Volkswirthschaftlich hohen Aufschwungs,
[34]
Eine Aera wilden Taumels,
Eine Aera fieberhaften
Rennens, Ringens, eine Aera
Wüsten, korybant'schen Tanzes
Um das gold'ne Kalb – als üppigst
Voll in Samen schoß der Schwindel,
Jeder hinwarf, was er hatte,
Um ein Mehrer's einzutauschen –
Da verkaufte unser Munkel
Um ein Heidengeld an eine
Große Aktiengesellschaft
Sein Journal und wurde Gründer.
[35]

3. Gesang: Der Billionär

Dritter Gesang.
Der Billionär.

Gründer eines Unternehmens,
Welches großen Ausfuhrhandel
Trieb mit frischen Regenwürmern
Nach dem steinigen Arabien,
Wurde Munkel. Eine Zeit war's,
Wo es schneite Werthpapiere,
Wo ein Gold- und Silberhagel,
Wo ein Regen, eine Sintflut
Niederging von Millionen
Auf der Menschen sel'ge Häupter.
Kalifornien, Bimini,
Kolchis, Dschinnistan, Atlantis,
Avalun und Eldorado
Waren nicht so reich an Wundern,
Waren nicht so reich an Märchen,
[36]
Wie der Börse heil'ge Hallen.
Jeder hatte Gold, weil Jeder
Es hinauswarf. Jeder hatt' es,
Aber es gehörte Keinem.
Jeder Seckel hatt' ein Loch,
Durch das er sich stets entleerte,
Aber auch sich wieder füllte.
Eine ungeheure Rolle
Spielte Munkel bald als Geldmann.
Jeden Krösus, jeden Nabob,
Jeden Rothschild übertrumpfend,
Stand er schließlich da als erste
Geldmacht dieses Erdenrundes.
Eine große dampf-getrieb'ne
Couponsschnittmaschine hatt' er:
Diese, rastlos Tag und Nacht,
Sichelte von kolossalen
Stößen seiner Werthpapiere
Die Coupons nur so herunter,
Wie die Häckselschnittmaschine
Häcksel schneidet auf der Tenne.
Mit verschwenderischem Aufwand
Ueberstrahlend aller Fürsten,
Aller Höfe Prunk und Prächte,
Trank und aß er nur aus Gold,
Stand und ging und saß und lag er
Nur auf Goldbrokat und Seide.
Jede seiner Festmahlzeiten
[37]
Riß ein Loch in die Natur,
Und die Welt, verarmt, geplündert,
Zitterte vor Angst, durch Munkel's
Und durch seiner Gäste Gurgel
Nächstens ganz gejagt zu werden.
Zu Gespielinnen erkor er
Holde Wesen aus Cirkassien,
Polen, Ungarn und Rumänien;
Und die Danaën, sie schützten
Sich vor Munkels gold'nem Regen
Nicht mit aufgespannten Schirmen,
Ließen über sich ergehen
Wolkenbrüche seiner Gnade.
In dem ries'gen Hühnerhofe
Hatt' er steh'n den Vogel Phönix,
Und im Stall den Pegasus,
Welcher mit gestutzten Flügeln
Und beschlag'nem Huf sich spannen
Ließ vor seine Prachtkarossen.
Seiner ersten Favoritin
Nachzutragen ihre Schleppe
Und den Schatten in der Sonne,
Dient' ihm ein gefang'ner Elf.
Selbst der Teufel, hieß es, habe
Sich ihm schon gestellt zu Diensten,
Und erboten sich, als Mohr
Bei den gold'nen Prachtkarossen
Munkel's hinten aufzusitzen.
[38]
Mächt'ger wuchsen noch die Schwingen
Ihm, da er als Gründer auftrat
Eines neuen Unternehmens,
Einer Aktiengesellschaft
Zur Behebung des versenkten
Nibelungenhorts im Rheine.
Würdigend so edles Beispiel
Patriotischer Gesinnung,
Hob das Volk ihn bis zum Himmel,
Ueberhäuften Deutschlands Höfe
Seine Brust mit Ordenslasten,
Schlugen ihn zum Ritter, gaben
Bald ihm auch die Freiherrnkrone.
Straßen und Kanäle, Länder
Fern am Nordpol und im Monde,
Schiffe, Hüte und Kravatten,
Und Planeten, neu entdeckte,
Nannte man nach seinem Namen.
Sein Porträt fand auf Bonbons sich,
Auf Lebkuchen, Zündholzschachteln,
Tanzordnungen, Busennadeln,
Tabaksdosen, Tabakspfeifen,
Auf Schnupftüchern, Kaffeetassen,
Bierglasdeckeln, Wirthshausschildern.
Jede illustrirte Zeitung
Wandelte für ihn zum Spiegel
Sich, draus ihm wie zum Rasiren
Sein Gesicht entgegengrinste.
[39]
Doch bei all' den Herrlichkeiten
Fühlte Munkel oft sich elend.
Unerklärliches Gebreste
Regte sich in seinen Gliedern.
War ihm doch, als würden manchmal
In ihm locker die Atome,
Und als könnt' im Niesen etwas
Von Molekeln des Gehirnes
Ihm entweichen durch die Nüstern.
Krankhaft wüster Durst nach Gold,
Seltsame Gemüthszustände
Quälten ihn und zehrten heimlich
Ihm an Leber, Herz und Lunge.
Lüsternheit, Blasirtheit mischten
Peinlich sich in seinem Wesen,
Heimgesucht von schnöden, fremden,
Wunderlichen Appetiten
Fühlt' er sich: Gelüste kamen
Ihm noch Asa foetida
Schweingegrunze – bärt'gen Schönen.
Manchmal sehnt' er sich nach Prügeln,
Zankte, balgte sich mit Wichten,
Oder einen Unbekannten
Bat er in des Markts Gedränge,
Zu versetzen ihm für gutes
Trinkgeld einen Nasenstüber,
Schurke, Dummkopf ihn zu schelten.
Aerzten jeder Schule warf er
[40]
Haufen Goldes vor die Füße;
Und die Aerzte übersetzten
Ihm in's Griech'sche seine Leiden –
Das war alles, was sie konnten.
Manche auch, mit seines Wesens
Innerster Natur und Herkunft
Nicht vertraut, nicht klug geworden
Aus des Kranken irren Reden,
Und deshalb nur um so dreister
Ihre Diagnosen stellend,
Salben mischend, Tränke brauend,
Brachten ihn dem Tode nahe.
Einen Preis ausschrieb der Kranke
Schließlich: einen Scheffel Goldes
Für den Arzt, der ihn verstände.
Kunde kam hiervon zu Ohren
Auch dem würd'gen, tiefgelehrten,
Zauberkund'gen Mann, aus dessen
Händen war hervorgegangen
Der Homunkel-Embryo.
Mittlerweil' zum Greis geworden,
Hatt' er aus der Ferne Munkels
Lebenslauf verfolgt mit größtem
Herzensantheil stets im Stillen.
Stören dieses Lebenslaufes
Vielversprechenden Emporgang
Wollt' er nicht durch Uebereilung,
Durch Enthüllungen zur Unzeit.
[41]
Aber jetzt vor Munkel treten
Wollt' er, seiner Leibesschwächen
Art und Grund und Grad erforschen,
Ihm zum Helfer sich erbieten,
Ihm eröffnen das Geheimniß.
Gähnend erst empfing, gelangweilt,
Munkel den Gelehrten, welcher
Nur gekommen schien, das Tausend
Voll zu machen seiner Helfer.
Aber bald, wie von geheimer
Sympathie zu ihm gezogen,
Stand er Rede diesem Würd'gen,
Schüttete vor ihm sein Herz aus.
»Ach,« so seufzt' er, »selber rathlos,
Stets vergebens Hilfe suchend,
Helfen soll ich aller Welt!
Soll für Alle sein der heil'ge
Niklas, welcher füllt mit Gaben
In der Nacht an allen Fenstern
Die hinausgestellten Schuhe!
Und auf ihren Knieen bitten
Mich die Armen, mich die Wittwen,
Mich die Waisen, selbst die Bettler,
Anzunehmen ihr Erspartes,
Und zum Fortunatussäckel
Soll in meiner Hand dem Eigner
Wandeln sich der Bettlerranzen!
Volksaufläufe, Prügeleien
[42]
Vor den Pforten meines Hauses
Stören Morgens mir den Schlummer.
Ja, dies Haus, der Welt ein Mekka,
Heil'ges Grab, ein Montsalvatsch,
Eine Burg des heil'gen Gral ist's!
Pumpende Finanzminister
Treten sich in meinem Vorsaal
Ab die Zehen! Wie das Gold mich
Anzog mit geheimer Kraft stets,
Zieh' ich an das Gold auch selber.
Mir als lebendem Magnetberg
Fliegt es zu aus den Verstecken,
Von des Königs Schatzgewölben
Bis hinab zu dem mit harten
Thalern angefüllten Wollstrumpf
Eines greisen Harpagons.
Ha, bald bin ich gar der Einz'ge,
Und die Welt mein Eigenthum!
Siebenmeilenstiefel liefert
Mir mein Schuster und Gewande
Von Asbest mein Kleidermacher;
Wiederfand mein Koch die alten,
Längst verlorenen Rezepte
Der Ambrosia, des Nektars!
Ach, bei den lukull'schen Mahlen
Meiner Küche fehlt mir nichts,
Als der Hunger – auf den seid'nen
Kissen meines Schlafgemaches
[43]
Nur der Schlaf – im Arm der Liebe
Nur die Liebe!« –
So sprach Munkel
Und geleitete den Alten
Durch die Säle seines Hauses,
Wo sich drehend in den Angeln,
Alle Thüren Melodieen
In kristall'nen Spieluhrklängen
Wundersam vernehmen ließen.
Seine strahlenden Gemächer,
Seine Bühne, seines Schachbretts
Märchenpracht mit kostümirten
Lebenden Figuren zeigt' er
Im Vorbeigeh'n dem Besucher,
Seinen Springbrunn, der Champagner
Perlend in die Lüfte sprühte,
Und an welchem kunstgefügte,
Automatische Figürlein,
Ganymed und Hebe, gold'ne
Becher füllten und kredenzten.
Denn in Munkel's Hause waren
Meist ersetzt lebend'ge Diener
Jeder Art, Schauspieler, Sänger,
Virtuosen, durch kunstvolle
Automaten, und zum Theil auch
Durch Maschinen, drahtgezog'ne,
Dampfgetrieb'ne: und Geräthe,
Todt sonst, durch lebend'ge Wesen.
[44]
So bewegten Lebewesen
Zierlich sich auf Munkel's Schachbrett,
Ein dressirter Löwe schmiegte
Statt des bloßen Löwenfells als
Teppich sich vor Munkel's Lager,
An dem Pavillon des Gartens,
Im Barockgeschmack errichtet,
War das Kuppeldach getragen
Von dressirten Boaschlangen,
Welche sich darunter stemmten,
Regelrecht den Leib geringelt
In Gestalt gewund'ner Säulen.
Aber eine Nachtigall,
Die bezaubernd sang im Bauer,
War ein Automat – desgleichen
Ein Eichhörnchen, dessen Sprünge
Lenkten, wie an Zauberdrähten,
Wunderkräfte der Elektrik.
Munkel hieß den Greis am Springbrun'
Mit dem Schaum aus Hebe's Spitzglas
Sich die Lippe baß erfrischen.
Zeigte dann auch dem Erstaunten
Seine Raritätensammlung,
Ohne viel Gewicht zu legen
Auf Kleinode, altberühmte,
Märchenhafte, die für ihn
Einzig nicht »Chimäre« waren,
Weil er sie – bezahlen konnte.
[45]
»Hier der Stein der Weisen,« sprach er,
»Leider nur zu spät gefunden,
Schon verwittert und zerbröckelnd!
Hier Faust's Mantel, arg verschlissen,
Löcherig, drum ohne Flugkraft!
Hier die einstens vielgenannte
»Blaue Blume« der Romantik,
Duftlos, eingepreßt, getrocknet!
Hier das Horn des Oberon,
Das so wunderbar erklungen
Durch die Schluchten, durch die Thäler,
In der Minne gold'nen Zeiten –
Heiser jetzt und dumpf nur klingt es!
Hier des Fortunatus altes
Wunschhütlein! Nur noch als Schlafmütz'
Brauch' ich es zuweilen. Nicht mehr
Aufzutreiben war das alte
Echte Horn des Ueberflusses:
Traun, ersetzt in unsern Zeiten
Ist das Horn des Ueberflusses
Durch den Ueberfluß an Hörnern.
Hier das Kostbarste: die Schale
Ist's des heil'gen Gral! Geschnitten
Aus Smaragdgestein! Unschätzbar!
Habe sie von einem Juden,
Welcher sie bei einem Köhler
In den Pyrenä'n entdeckte
Unter altem Kram, voll Spinnweb,
[46]
Staub und Dust – für zehn Realen
Nahm der Jude sie vom Köhler,
Ich erwarb für eine halbe
Million sie vom Hebräer:
Solches ist der Werth des Steines.«
Fröstelnd drückte jetzo Munkel,
An des Alten Seite weiter
Durch die Prunkgemächer wandelnd,
Auf die Feder eines wucht'gen,
Halbverborg'nen Mechanismus.
Wie durch Zauber drehten plötzlich
Sich der Sonne zu die Fenster
Des Gemachs, das sie durchschritten.
Drehbar stand das Haus auf Säulen,
Zuzukehren seine Fenster
Nach Belieben jetzt der Schatten-,
Jetzt der warmen Sonnenseite.
Eines Zifferblattes Zeiger
Rückte Munkel im Vorbeigeh'n
Auf des Wärmegrades Ziffer,
Den er wünschte, und ein linder
Zephyrhauch von duft'ger Wärme
Strömte hin, elektro-thermisch
Angefacht, durch alle Räume.
Doch zu frösteln fortfuhr Munkel,
Und sich matt auf eines Sophas
Seid'ne Purpurkissen werfend,
Hub er grämlich an zu klagen
[47]
Ob der Schwächen und Gebreste,
Die ihn quälten. Erst am Mund ihm
Hing mit unverwandtem Lauschen
Still der Alte; doch dann, fragend,
Jetzo Puls und Herzschlag prüfend,
Jetzt der Zunge Blaß erwägend,
Jetzt das Gelbgrün aller Adern,
Jetzt betupfend und betastend,
Jetzt beklopfend und behorchend
Alle Glieder und Organe,
Drang so allgemach mit manchem
»Hm!« und »Ha!« und »Ei!« der Meister
Durch bis auf den Grund der Dinge.
In ein Brüten dann versank er,
Schien ein Schweres zu erwägen
Und nach dienlichem Entschlusse
Wankend, angestrengt zu ringen.
Endlich hatt' er durchgekämpft sich
Zu gewichtiger Entscheidung,
Und den ernsten Blick auf Munkel
Richtend, hub er an in dumpfem
Und schier feierlichem Tone:
»Für dein Leiden, edler Munkel,
Für die Schwächen und Gebreste,
Die dich quälen, giebt es einen,
Einen Arzt nur, einen Helfer!
Einen Helfer, welcher wissend,
Wahrhaft in dein Inn'res blickend,
[48]
Ganz dein tiefstes Sein erfassend,
Auch allein dich stärken, heilen,
Retten kann! Und dieser einz'ge
Arzt und Helfer und Berather –
Es ist der, der dich geschaffen,
Dich gerufen hat ins Dasein!«
»Sprichst du von dem lieben Gotte?«
Fragte Munkel, sah mit leichtem
Naserümpfen von der Seite
Seltsam schielend auf den Alten.
»Nein!« versetzte lächelnd Dieser.
»Nein, mein Freund, der liebe Gott,
Glaub' es mir, hat nichts zu schaffen,
Nicht mit dir, noch deiner Schöpfung,
Und er wird dir auch nicht helfen!
Nein, der dich ins Dasein rief,
Dich erschuf, es ist ein Mensch,
Ja, ein Mensch, ein Mensch wie and're –
Mißversteh' mich nur nicht wieder:
Nicht den Dorfschulmeister mein' ich,
Den als Kind du Vater nanntest;
Nein, es ist ein Mann des Wissens
Höh'rer Art, von dem ich rede!
Dieser Mann – nun fasse dich,
Edler Munkel, Aug' in Auge
Fest zu schau'n dem allertiefsten,
Wunderbarlichsten Geheimniß:
Dem Geheimniß deines Daseins!
[49]
Dieser Mann, er hat nach langem
Forschen, Sinnen und Bemühen,
Hat in langen Winternächten
Im verschwiegenen Gemache,
Stoffe bindend, Säfte brauend,
Deines Daseins, deines Wesens
Keim gemischt und ausgestattet
Mit des Lebens Wunderkräften.
Dieser Mann – bin ich!«
Mit starren,
Aufgeriss'nen Augen blickte
Munkel auf den Wunderthäter;
Keines Wortes war er mächtig.
Ihm getreu den ganzen Hergang
Seiner ersten, zweiten Schöpfung
Nun erzählt der greise Meister.
Wie er hergestellt allein ihn
Ohne mütterliches Zuthun –
Eines Bessern durch Erfahrung
Dann belehrt, ihn eingeschmolzen,
Aufgelöst bis auf den Urkeim,
Der, zwar reinste Stoffnatur,
Doch in einem Mutterschoße
Langsamer gereift und kräft'ger
Und natürlicher entwickelt,
Trat hervor an's Licht: geboren,
Aber nicht gezeugt ...
Noch immer
[50]
Schweigend in den Kissen lehnte
Munkel, horchte starr der Kunde.
Jetzo schwand ihm das Bewußtsein,
Und er sank in sich zusammen.
Aber aus der tiefen Ohnmacht
Ruft zurück ihn bald der Meister,
Spricht ihm Muth ein, heißt ihn dankbar
All' des Herrlichen gedenken,
Das ihm ward, und wie so anders,
Glücklicher sein Loos gefallen,
Als der andern Menschenkinder,
Bürgschaft leistend für den Vorrang,
Des durch Wissensmacht Geschaff'nen
Vor den Andern, den Erzeugten!
Und die Schwächen und Gebreste,
Die ihn lang bedrängt, für diese
Sei der Wissende, der Helfer,
Der Berather nun gefunden!
»Alte Weise,« sprach er, »dachten,
Fäulniß-widriges Prinzip sei,
Was man Seele nennt im Leibe,
Frisch erhaltend all' die tausend
Ingredienzien, die zarten,
Eines thier'schen Organismus;
Da nun aber jene Seele,
Die verlieh'n ward deinem Urkeim,
Reine Stoff- und Kraftnatur zwar,
Doch nur Präparat der Stoffe,
[51]
Und der Kräfte, die wir kennen,
Die bis heute wir ergründet,
Ueber die wir heut verfügen,
Gilt's auch fortan auf demselben
Engbegrenzten Stoff- und Kraftweg,
Den wir kennen, stets ihr fleißig
Nachzuhelfen; insbesondre
Gilt's mit Salzen, gilt's mit Würzen
Reichlich dein Geblüt zu pfeffern,
Daß nicht bei lebend'gem Leibe
Hirn und Herz und Eingeweide
Dir verwesen, theurer Munkel,
Sondern neu gestärkt, gesundet,
Völlig zur Entfaltung reife
Deines Wesens Kraft und Blüthe!« –
Durch des Greises Wort ermuthigt,
Raffte Munkel wie aus schwerem
Traum sich auf. Den Meister bat er,
Zu bewahren das Geheimniß
Vor der Welt – mit Rollen Goldes
Es zu lohnen ihm versprach er,
Und zum Leibarzt warb er ihn.
»Ehre machen dieser Herkunft,
Die du heute mir enthülltest,«
Rief er aus zuletzt, begeistert,
»Ehre machen dir, dem Meister,
Dir und deiner Schöpfung will ich!
Will die Sendung treu erfüllen,
[52]
Die geworden mir auf Erden!« –
Insgeheim fortan verkehrten
Munkel viel und sein Erzeuger,
Der mit Bädern und mit Reizen
Und mit Salben und mit Salzen
Und mit Tränken, wunderthät'gen,
Und mit Goldtinktur, Goldpillen,
Steuerte den räthselhaften
Schwankungen des eigenart'gen
Kunstgeschaff'nen Organismus. –
Bald nachher lief eine Kunde
Weit umher durch alle Länder,
Munkel's Ruhm aufs Höchste steigernd.
Diese Kunde, sie besagte,
Daß nunmehr der Reichthum Munkel's
War gelangt zur Schwindelhöhe,
Die bisher kein Mensch errungen:
Daß er Billionär geworden!
Anlaß ward's zu einem Feste,
Wie noch keines ward gefeiert;
Anlaß ward's zu Huldigungen,
Wie noch Keiner sie genossen.
Fernher, selbst vom Czar, vom Sultan,
Von dem Schah des Perserlandes,
Chinas Herrn, vom Dalai Lama,
Kamen ihm die Festgeschenke:
Pferde, Sklavinnen, Kleinodien,
Hausgeräth und Tand und Zierrath
[53]
Aller Arten, aller Zonen,
Auch in ungeheuren Mengen
Leckerbissen: Fleischpasteten,
Torten, ind'sche Vogelnester,
Früchte, Kaviar, Liqueure,
Und dazu an die dreihundert
Reichgestickte Perlenbänder
Für den Hals von Munkel's Hund.
Eingeschmuggelt wurde heimlich
Schon am Abend vor dem Feste
Im Gemach und unter'm Lager
Des Gefeierten ein Redner,
Daß er früh im Morgengrauen,
Wenn die Lider Munkel öffne,
Ueberraschend ihn begrüße
Gleich mit einer Jubelrede.
Um die dritte Morgenstunde
Wachte Munkel auf, und dürstend
Griff nach einem Trinkgefäß er,
Halb im Traum noch. Aber vor ihm,
Wie gewachsen aus der Diele,
Stand auch schon der edle Sprecher.
Aus den Händen des Erschrock'nen
Glitt das Prachtgefäß, zerklirrend,
Und ein apoplekt'scher Anfall
Traf ihn selbst – zum Glück nur leicht.
Später, als er von dem Lager
Sich erhoben und das Messer
[54]
Des Barbiers die eine Backe
Raschen Fluges ihm geglättet,
Kam der Deputationen
Vortrab angerückt, und danken,
Bärtig auf der einen Seite,
Glattgeschoren auf der andern,
Mußte Munkel, und tagüber
Tragen so zur Schau die beiden
Unsymmetrischen Profile:
Denn es hielt von jener Stund' an
Immerdar in ihrem Kreis ihn
Festgebannt die Jubelfeier.
Unwillkürlich auf dem Gipfel
Seines Glanzes, tief bedeutsam,
Zeigt' er so ein Janusantlitz
Seiner Zeit, ein Bild der Halbheit!
Durch die Straßen in maskirtem
Festzug auf der Menge Schultern
Ward er im Triumph getragen.
Blumen streuten, festlich vor ihm
Einhertänzelnd, schöne Frauen,
Drunter welche à la Makart.
Die Berliner physikalisch-
Geographische Gesellschaft
That den Vorschlag, daß den ersten
Meridian man künftig ziehe
Durch Herrn Munkel's Riesenkasse,
Durch die Billionenkasse,
[55]
Welche heut' mit Blumenkränzen
Reich verziert war, und vor welcher
Staunend stand das Volk in Andacht,
Wie vor einem Hochaltare.
Müd' auf's Lager wirft sich Munkel
Spät am Abend. Schwere Träume
Spinnen fort des Tages Plage:
Frauen überfallen schwärmend
Ihn auf off'nem Markt, und jede
Rupft ein Büschel Haar aus seinem
Scheitel sich zum Angedenken.
Und dann wird – in Lebensgröße,
Nicht wie wir von fern ihn sehen –
Ihm als Ordensstern der Sirius
Auf die Brust gewälzt, so daß er
Aechzt, erstickt, wie unter'm Alpdruck.
Aber diesem Angsttraum wird er
Mitten in der Nacht entrissen,
Aufgerüttelt durch Gesandte,
Die ihn feierlich entführen,
Daß die Stadt- und Höh'nbeleuchtung
Er bewund're, die zu Ehren
Ihm in tausend Flammen lodert,
Und vorbei auch lasse ziehen
Dann an sich den unerhörten
Riesenfackelzug, zu welchem,
Gleichfalls ihm zu Ehren, eine
Welt sich drängt.
[56]
Im Wirbel dieser
Uebermenschlichen Strapazen
Und Erregungen verrückt wird
Munkel und verfällt in einen
Seltsamen Bedankungs-Wahnwitz,
Also, daß er lächelnd, weinend,
Mit unsäglich weicher Rührung
Einzeln Jeden auf der Straße
Unter Einem küßt und ohrfeigt.
Böses Blut macht dies im Volke,
Und das Hochfest endet damit,
Daß man ihn, des Tages Helden,
Fluchend sperrt in's Haus der Irren.
Doch am Morgen nach dem Hochfest,
Unerwartet auf der Börse
Fluch- und segenreicher Stätte
Kommt ein nie vorher erlebter
Ungeheurer Krach zum Ausbruch,
Und es büßt dabei der große
Munkel ein die kaum errung'ne,
Die gefeierte, die gold'ne,
Glanzumstrahlte Billion.
Als davon die Schreckenskunde
Drang auch in die Zelle Munkel's,
Da geschah ein Wunder: plötzlich
Wieder kam er zu Verstande ...
Doch was nützt nun der Verstand ihm?
Was das Leben? Um der Schmach sich
[57]
Zu entziehen, doppelt drückend
An der Stätte einst'gen Glanzes,
Will er in die Fremde flüchten.
Eines Dampfers Bord am Rheinstrom
Nimmt ihn auf und bringt stromaufwärts
Ihn – wohin? Gleichviel! Am liebsten
Säß' er jetzt in Charons Nachen,
Wollt', es wär' ein Styx der Rheinstrom.
Mehr und mehr von Stund' zu Stunde
Ueberkommt ihn die Verzweiflung,
Und die grünen Wellen locken
Ihn hinab, als blinkte draus ihm
Der von ihm der Welt verheiß'ne
Nibelungenhort entgegen.
Widerschein des Mondes war es,
Was so blinkt', und holder Sterne,
Die nunmehr heraufgezogen
An dem abendlichen Himmel.
Nein, nicht länger leben will er!
Rasch entschlossen stürzt er plötzlich
Ueber Bord sich in die Wogen! –
Aber hinter ihm her gleitet
In die Fluth ein Frauenwesen:
Und dies Wesen, es entreißt ihn,
Den Versinkenden, der Tiefe,
Bringt behend, als regt' ein Fischlein
In vertrautem Naß die Flossen,
Schwimmend an den öden Strand ihn.
[58]
Nacht ist's. Mond und Sterne glänzen,
Wie sie glänzen nur am Rheine,
Und die dunklen Wellen rinnen
Mit dem wundersamen Rauschen,
Das man kennt aus deutschem Sange,
Und der öde nackte Felsstrand
Liegt in gold'nem Dämmerscheine,
Den man kennt aus deutschen Märchen.
Den Geretteten geborgen
Hat das kühne Frauenwesen
Dicht am Strand in einer Felskluft.
Hier erwacht er neu zum Leben.
Und erstaunt, die Retterin,
Die von wundersamer Schönheit,
Vor sich sehend – trübe Schwermuth
Noch im Blicke, sagt er Dank ihr,
Fragt sie dann nach Stand und Namen.
Sie geleitet aus der Felskluft
Ihn, und mit der Hand, der weißen,
Nach der Uferhöhe deutend,
Weis't sie einen Felsensitz ihm.
»Hast von Lurlei du vernommen?
Längst nicht mehr auf jenem Steine
Singt sie Nachts im Mondenscheine!
In die Welt hinausgewandert
Ist sie, Menschenloos zu kosten!
Hat vertauscht des Nixenschleiers
Gaze mit Brabanter Spitzen,
[59]
Hat gelernt von Menschenkindern
Neue Töne, neue Weisen;
Auf Europens Opernbühnen
Hat sie Gold und Ruhm geerntet.
Heut als deine Fahrtgenossin
Auf dem Strom, an Bord des Fahrzeugs,
Hat sie dich erkannt, den Großen,
Den Gefeierten, den Gründer
Jenes stolzen Unternehmens
Zur Behebung des versenkten
Nibelungenhorts im Rheine!
Auf der melanchol'schen Stirn dir
Las sie trübe Todgedanken,
Und als du nun über Bord sprangst,
Spornte sie geheimer Antrieb
Dir zu folgen ... War's Verhängniß?
War's der Drang, an dieser Stätte
Ihrer einstigen Behausung
Wieder einmal sich zu tauchen
In die Fluth, die holdvertraute? –
War's geheime Sympathie
Mit dem Manne, den zu retten
Ihr bestimmt war vom Geschicke?« –
»Dankenswerth,« erwidert Munkel,
»Scheint das Sein auch dem, der's wegwarf,
Gibt zurück es solche Hand ihm!
Bist du, wunderbares Wesen,
Bist du wirklich Nixe Lurlei,
[60]
Welche singend in des Rheinstroms
Tiefe Manchen niederlockte,
Aber heut gerettet Einen?
Ei, wie kam's, daß du entsagtest
Einem leidlos-schönen Dasein
Und in's wirre krause Leben
Uns'rer Menschenwelt dich stürztest?«
»Dies,« versetzte drauf die Nixe,
»Ist gesagt mit wenig Worten,
Kaum der Rede werth – vernehmen
Wirst zuletzt vielleicht noch lieber
Du in Kürze meinen bunten
Lebenslauf im Weltgetriebe!« –
Neugier sprach aus Munkel's Blicken,
Und was Nixe Lurlei sprach,
Künd' ich euch im nächsten Sange.
[61]

4. Gesang: Der Homunkel und die Nixe

Vierter Gesang.
Der Homunkel und die Nixe.

Wie es kam, daß ich entsagte
Einem leidlos-schönen Dasein
Und ins wirre krause Leben
Eurer Menschenwelt mich stürzte?
Leidlos-schön wohl war's, dies Dasein,
Aber freudlos ward's allmählich,
Und es lohnte sich nur wenig,
Auf dem öden Fels da sitzend,
In des Mondes goldnem Scheine
Sich die gold'nen Haare kämmend,
Seinen schönsten Sang zu singen.
Nur noch Wenige gelang es
Zu bezaubern, zu verlocken,
Von den wahrhaft Liebenswürd'gen:
War zu stark die Konkurrenz doch,
[62]
Die gemacht in neuern Zeiten
Ward uns Nixen von der Halbwelt
Und von den Theaterdamen.
Und der Troß, der ganz gemeine,
All' der »Schiffer in dem Kahne«,
Welche da vorüberfuhren,
War mir, daß ich's nur gestehe,
Zu bornirt, zu schal, zu ledern:
Zu bezaubern die, zu ködern,
Lohnte sich nicht mehr der Mühe.
All' die heisern Bierbaßkehlen,
Die an meinem Fels vorüber
Schiffend Heine's »Lurlei« sangen,
All' die reisenden Philister,
Die aus aller Herren Ländern,
Rothe »Bädecker« in Händen,
Gaffend da vorüberkamen,
Meinen Felsen lorgnettirten,
Ach sie waren mir so lästig,
Wie der Schnackenschwarm des Rheines,
Der da schwärmt am Sommerabend.
Und schon fand ich fast allein mich;
Viele meiner Nixenschwestern
Hatten sich, geplagt von Langweil',
Aufs Französische geworfen,
Waren eine nach der andern
Schließlich nach Paris gegangen,
Um daselbst ihr Glück zu machen.
[63]
Als dann endlich gar ein Steinbruch
Ward in meinem Berg eröffnet –
Hätt' ich da noch zögern sollen,
Selber auch Reißaus zu nehmen,
Selbst zu suchen auch das Weite?
Zur Theaterdame war ich
Bald nun selbst geworden, übte
Meine alte Kunst des Singens
Und Bezauberns auf den Brettern,
Und mit besserem Erfolge.
Aber sonst auch trieb das Schicksal
Mich umher und eig'ner Wille
Viel auf krausverworr'nen Pfaden.
Kommend aus dem Rheinstrom, stürzt' ich
In den größern mich des Lebens,
Plätscherte in tausend Wirbeln,
Rang und schlängelte hindurch mich
Zwischen Klippen, durch die Hochfluth
Tausend bunter Abenteuer
Mit der Leichtigkeit der Nixe.
Bunt, ja bunt und wechselreich war
Nun mein Leben! Bald mich glanzvoll
Auf des Daseins Gipfel wiegend,
Bald gesunken, schier verloren –
Bald in reichster Fülle schwelgend,
Bald so nackt im Leben stehend,
Und mit keiner größern Habe,
Als ich mein genannt vor Zeiten
[64]
Auf des Rheines Grund als Nixe –
Ohne Leidenschaft, doch jener
Jo gleich umhergetrieben,
Die gehetzt ward von der Bremse,
Hascht' ich gierig nach dem Wechsel:
Heut ein Roß im Cirkus tummelnd,
Morgen wild den Cancan tanzend,
Uebermorgen mit bebrillter
Nase mich als Blaustrumpf gebend,
Oder als emanzipirtes
Mannweib, keck, gespornt, gestiefelt –
Als politische Agentin,
Nihilistin, als Walküre
Auf dem Schlachtfeld wilderregter
Oeffentlicher Tageskämpfe.
Schließlich auch als Dottoressa!
Nixe mit dem Doktorhute!
Ich studirte, promovirte,
Gab am Tag der Graduirung
Einen Festkommers – es fehlte
Nicht dabei an Jubelräuschen ...
Ueberdruß das Alles! Grille!
Von des Lebens Orgie war ich
Matt schier bis zum Ueberdrusse –
Nicht befriedigt, nicht gesättigt!
Lebensmüd, doch lebenssatt nicht!
Manchmal kam mir der Gedanke
Fromm zu werden – fromm und sittig,
[65]
Tugendhaft – was man so nennt!« –
»Tugendhaft?« rief Munkel lachend,
Bei den Worten hier der Nixe;
»Tugendhaft mit diesen Schultern,
Dieser königlichen Büste? –
Aber sage (fuhr er fort),
Unverhohlen, schöne Nixe,
Sag', wie hieltst du's mit der Liebe?
Hast du viel geliebt im Leben?« –
»Kann ich lieben?« giebt zurück ihm
Lächelnd Lurlei. »Kann ich lieben,
Ich, die Nixe, ich die Tochter
Feuchter Kühle, kühler Feuchte?
Die Poeten, ach, verneinen's;
Doch ich selber kann's nicht sagen.
Oft versucht' ich es, zu lieben;
Und wenn es bisher nur wenig –
Oder gar nicht – mir gelungen,
Schöpf' ich Trost mir aus der Frage:
Lohnt sich's, einen Mann zu lieben?
Einer, dem ein Weib anhängen
Und an welchem es sich halten
Sollte, müßt' er nicht erst selber
Feststeh'n auf den eig'nen Füßen?
Müßt' er nicht als starke Säule
Der Beständigkeit erscheinen,
Daß vertrauensvoll mit weichen
Epheuranken sich die Liebe
[66]
Sicher um ihn winden könnte?
Aber niemals an den Männern,
Die zu lieben ich versuchte,
Hab' ich solchen Halt gefunden.
Giebt es überhaupt nur irgend
Festen Halt im Menschenleben?
Wo ich dachte, Halt zu suchen,
Halt zu machen eine Weile,
Allzubald begann der Boden
Unter meinem Fuß zu schwanken.
Unglück' hatt' ich – Unglück bracht' ich.
Der Banquier, traun, den ich liebte, –
Den zu lieben ich versuchte –
Ward bankrott; der General,
Den ich liebte, ward geschlagen,
Der Minister ward gestürzt,
Und der Freiheitsheld gehangen.
Feuer- ward und Wasserschaden
Zum Verderb dem Oekonomen,
Durchfiel des Poeten Stück,
Ausgepfiffen ward der Mime.
O, ich glaube, daß, wenn einmal
Wirklich ich den Rechten fände,
Alsbald ihm ein Meteorstein
Fiel' aufs Haupt und ihn erschlüge!
Unbestand ist, ach, das alte,
Große Weltgesetz der Dinge.
Liebt denn auch der Mann je selber
[67]
Festzuhalten, was sein eigen?
Im Beginne meiner Laufbahn
Da verrieth ein junger Garde-
Kapitän, den ich beinahe
Liebte, mich an seinen Oberst,
Dieser an den Adjutanten
Des Monarchen, eines Königs,
Dieser an den Fürsten selber.
Dieser Fürst, es war ein alter,
Kluger, weiser, schönheitskund'ger,
Kunsterfahrner Mann, Feinschmecker
In ästhet'schen Dingen. Heiter
Denk' ich immer noch der Scene,
Wie ich allzuerst gestanden
Und bestanden vor dem Kunstgreis.
Ward durch sie doch eingeleitet
Meines Daseins Glanzepoche!
Zu sich lud der edle Fürst mich;
Und als ich ihm nun, befangen,
Stand vor Augen, fing er an, mich
Ernst und sinnend zu betrachten,
Wie ein ausgegrab'nes Bildwerk.
Plötzlich mit der Fingerspitze
Auf die volle, feste, runde,
Florumhüllte Brust mir tippend,
Lispelt er die krit'sche Frage
Ernst in's Ohr mir: »Ist Natur ganz
All' der Reiz? Wie vielen Antheil
[68]
Hat die Kunst an diesem Zauber?« –
Zürnend und erregt, aus meiner
Ernsten Bildwerksruhe tretend,
Aber schweigend, riß des Busens
Flor entzwei ich, und geblendet
Taumelt' er zurück vor einer
Schönheit, wie der Nixe sie
Gab Natur in Stromesgründen,
Nicht wie sie gefälscht der Schneider.
Und von diesem Augenblick war
Freund und Sklave mir der Kunstgreis.
Ja, es war die Glanzepoche
Meines Daseins, und es lohnte
Sich dabei wohl zu verweilen.
Aber wenig Monde später
Jagten leider diesen edlen,
Weisen, schönheitskund'gen Fürsten
Aus dem Land die Unterthanen.
Mich begnügen mußt' ich später
Mit der Freundschaft eines Schiffsherrn;
Eine Reise um die Welt
Macht' ich an des Freundes Seite.
Und die Reise, sie war lang,
Aber währte doch nicht ewig:
So erging es auch der Freundschaft.
Unbeständig ist der Seemann,
Wie das Meer, auf dem er segelt.
Ich versucht' es nun mit einem
[69]
Luftschifffahrer; in der Gondel
Seines Luftballs saß ich furchtlos,
Als der kühnen Fahrt Genossin.
Hoch im Blauen riß der Luftball
Und wir stürzten; ach, der Wack're
Brach den Hals, ich ward gerettet.
In der Liebe so aus einem
Element in's and're kam ich:
Auf die See hinaus vom Lande,
Und von da hinauf ins Luftreich.
Aber höher noch zu steigen
War bestimmt mir. An der Seite
Eines schwärmenden Poeten
Macht' ich den Versuch, auf Flügeln
Der Begeist'rung mich zu schwingen
In die höchsten Regionen.
Doch die höchsten Regionen
Waren nicht mein Element. Nein!
Zur Natur zurückzukehren,
Zur Natur, der unverfälschten,
Unverbildeten, beschloß ich,
Und im schroffen Sinneswechsel
Ein Naturkind mir erlas ich,
Einen unverdorb'nen, armen,
Wackeren Slovakenknaben,
Der als Mäusefallenhändler
Barfuß in der Welt umherlief.
Dieses Kind zum höher'n Menschen
[70]
Und zum Liebenden erzieh'n mir
Wollt' ich. Es mißlang. Der Junge,
Hoffnungsvoll auf halbem Weg schon
Der Gesittung, heimwärts floh er
Nach der fernen Slovakei,
Zu der braunen Marianka.
Nun, für den Verrath des Einen,
Schlachtet' ich ein Racheopfer,
Eine Männer-Hekatombe,
Welche sich um meinetwillen
Duellirt, zu Grund gerichtet,
Sich ertränkt, erhängt, erstochen,
Todtgeschossen und vergiftet,
Weil ich für ihr heißes Minnen
Kalt wie das bekannte Schneeweib
Blieb des heil'gen Franz Xaver.
Himmel, was für Kämpfe gab es
Mit den Schwärmern, mit den Thoren,
Welchen ich mein Herz versprochen
Irgendwann in toller Stunde,
Und die dann, wie Jude Shylok
Starr auf ihrem Schein bestehend,
Dies verschrieb'ne Fleischpfund grausam
Aus dem Leib mir schneiden wollten!« –
So und mit viel andern Worten
Und Erzählungen enthüllte
Ihrem aufmerksamen Hörer
Lurlei sich als problemat'sche
[71]
Frau'nnatur – als fille de marbre,
Als ein Wesen, das doch immer
Neu als Nixe sich bewährte,
Als die Tochter feuchter Kühle,
Kühler Feuchte, schön, dämonisch,
Eins der echten Musterbilder
Von des Weib's »allmächt'ger Ohnmacht«.
Ihr Beruf war: nachzutrachten
Einem Ideal von Manne;
So versuchend stets, zu lieben,
Liebte nie sie, liebte immer.
Sie gehörte nicht zu Jenen,
Welche sterben, wenn sie lieben –
Nein, sie lebte von der Liebe.
Während Lurlei, harmlos plaudernd,
Preisgab so ihr tiefstes Wesen,
Hatte Munkel erst unmerklich,
Dann in immer stärkerm Grade
Blicken lassen sonderbare
Zeichen einer innern Unruh',
Die nicht im Zusammenhange
Schien mit dem, was Lurlei sagte,
Und die er nicht meistern konnte,
Trotz des hochgespannten Antheils,
Den er nahm an Lurleis Worten.
Stärker ward sein Puls und Herzschlag,
Ein gewisses Zucken spürt' er
Krampfig in den Fingerspitzen,
[72]
Vor den Augen ward es gelb ihm,
Flimmernd gelb – ein Schwindel faßt' ihn ...
Lurlei merkt des Hörers Unruh',
Fragt befremdet, was ihm fehle.
»Nichts – o nichts!« versetzt er stockend,
Voll Verwirrung. Noch zu schwanken
Schien er, ob zu schweigen besser,
Ob zu reden – ob zu leugnen,
Ob es offen zu gestehen,
Was ihn überkam so seltsam.
Ei, verdient nicht Lurlei, seine
Schöne Retterin, Vertrauen?
»Sehr befremdlich,« sprach er zögernd,
Sehr befremdlich wird dich dünken,
Edle Schöne, mein Geständniß.
Diese Unruh', dies Erzittern,
Dieser stärk're Puls und Herzschlag,
Dieser Krampf der Fingerspitzen,
Dieses blendend-gelbe Flimmern
Vor den Augen, dieser Schwindel,
Wie ich's eben jetzt empfinde,
Nicht zum erstenmal befällt mich's.
Ein geheimnißvoll Symptom ist's
Meines eigenart'gen Wesens:
Es bedeutet ein merkwürd'ges,
Krankhaft aufgeregtes Ahnen« ...
»Und was ahnst du, edler Munkel?«
Fragt erstaunt, befremdet Lurlei.
[73]
»Goldesnäh'!« versetzte Munkel.
Und sein Aug' blickt starr, ekstatisch,
Visionär! »Ja, Goldesnähe!
Goldesnäh' in reicher Fülle
Und von unschätzbarem Werthe!« –
Tiefer noch erstaunte Lurlei
Und auf Munkel starrt auch sie nun
Schweigend, mit weitoff'nen Augen
Einen Augenblick, dann spricht sie:
»Leerer Wahn nicht ist dein Ahnen!
Nein, sie täuscht dich nicht, die tiefe,
Die geheimnißvolle Regung,
Die dich fieberisch durchwittert!
Nah' zu Füßen ruht ein Goldschatz,
Uns an diesem Ort: ein Goldschatz,
Der von unnennbarem Werthe –
Ruht der Hort der Nibelungen!
Unter'm Lurleifelsen ruht er,
Und ich kenn' ihn lange, lange;
Doch zu heben ihn – versagt, ach,
War und ist es mir für immer,
Mir, der Nixe, und nicht minder
Ist's versagt den Menschenkindern!
Unergreifbar ist der Goldschatz,
Unerfüllbar die Bedingung,
Die den Hort zu eigen gäbe
Einem Wesen dieser Erde!« –
»Die Bedingung?« fragte Munkel,
[74]
Gierig, vor Erregung zitternd;
»Nenn', o nenne die Bedingung!« –
»Wenig,« sagte Lurlei, »wenig
Wird dir's nützen, zu vernehmen
Die Bedingung. Doch vernimm sie:
»Altem Schicksalsspruch zufolge
Kann den Schatz ein Mensch nur heben:
Doch ein Mensch von solcher Herkunft,
Wie noch keiner ward gesehen,
Noch geseh'n wird werden künftig:
Heben soll den Schatz ein Mensch nur,
Der – gezeugt von keinem Vater!« –
»Der gezeugt von keinem Vater?
Dieses wäre die Bedingung?«
Kreischte Munkel. »Wär' es möglich?«
Und fortfuhr er, hochgemuthet:
»Wisse, Kind, da vor dir steht es,
Leibhaft, jenes Wunderwesen,
Das du nennst – das nie geseh'n ward,
Noch geseh'n wird werden künftig,
Wie du meinst. Ich selber bin es!
Bin gezeugt von keinem Vater!« –
»Du?« versetzte Lurlei zweifelnd,
Dacht' an geistige Verwirrung,
Dacht' an Größenwahn, an Irrsinn ...
Fortfuhr Munkel: »Bei dem Goldschatz,
Der da ruht – nichts And'res, Höh'res
Weiß ich, um dabei zu schwören –
[75]
Eine Mutter zwar gebar mich,
Doch es zeugte mich kein Vater!
Nicht gezeugt – erzeugt, traun, ward ich!« –
Und nun gab er, hastig flüsternd,
Der Verwunderten getreue
Kunde von dem Schöpferkunststück,
Das in's Leben ihn gerufen.
Tief erregt vernimmt ihn Lurlei.
»Ist es so,« denkt sie im Stillen,
»Ist der Mann ein Ungezeugter, –
Welch' ein Fund für mich! Den gold'nen
Hort heb' ich mit seiner Hilfe;
Und muß ich ihn mit ihm theilen,
Ha, kein Weib und keine Nixe
Wär' ich, wenn ich die verlor'ne
Hälfte nicht zurückgewänne!« –
»Auserkor'ner, Hochbeglückter!«
Ruft sie, »hast du nicht begründet
Glorreich jenes ruhmgekrönte
Unternehmen zu des gold'nen
Nibelungenhorts Behebung?
Zwar du hast ihn nur behoben
Aus der Aktionäre Taschen –
Spärlich – und verlorst ihn wieder;
Doch nun werden wir ihn heben
Leibhaft, wie ihn birgt die Tiefe
Hier am Lurleifels im Rheine!
Du und ich – ja, ich und du:
[76]
Eines mit des Andern Hilfe!« –
»Eines mit des Andern Hilfe!« –
»Und wir theilen dann?«
»Wir theilen!« –
Jetzo führte Lurlei Munkel
Aus der Grotte, wo sie saßen,
Abwärts tief in eine and're,
Durch viel mannigfach verschlung'ne
Enge unterird'sche Pfade.
Eine lange Holzspanfackel,
Angefacht mit Funken, welche
Lurlei schlug aus demantharten,
Demanthellen Rheineskieseln,
Warf ein spärlich Licht in's Nachtgrau'n
Dieser labyrinth'schen Gänge.
Jetzo auf dem tiefsten Grunde
Standen sie der dunklen Höhlung:
Ein natürlich Felsgewölbe
War's, gefügt aus Steingeschieben,
Die karfunkelähnlich gleißten,
Funkelten im Fackellichte.
Ob des Raumes nied'rer Wölbung
Hörte man des Rheines Brausen,
Der darüberhin da oben
Seine dunklen Wellen wälzte.
In des Raumes Mitte senkte
Sich der Grund. In der Vertiefung
Stand, goldglänzend, eine Urne.
[77]
Um die Urne her geringelt
Lag ein mächtig großer Drache.
Seltsam war das Thier gestaltet:
Einen kleinen Kopf nur hatt' es,
Aber sechsunddreißig Schwänze.
Altersschwach, halbblind und blöde
Schien's, doch züngelt' es bedrohlich.
»Diesem altersschwach-halbblinden,
Blöden Drachen, sagte Lurlei,
Auszuzieh'n in muth'gem Angriff,
Oder auch mit schlauem Wagniß
Seine sechsunddreißig Schwänze,
Ist der Weg, der führt zum Horte.
Sich'rer ist's mit schlauem Wagniß.«
Sacht dann nahte sie, vertraulich,
Sich dem Unthier: zu erkennen
Schien's die einst vertraute Nixe,
Ließ von ihr den Kopf sich krauen.
Sie begann ein Lied zu trällern:
Glaub', es war die »Wacht am Rheine«,
Oder »Sollen ihn nicht haben«,
Oder sonst ein altes Rheinlied.
Er entschlummert, liegt gefesselt
Wie vom Zauber der Hypnose.
»Geh' an's Werk!« spricht Lurlei mahnend
Zum Genossen; »unzerreißbar
Ist der Bann, der jetzt ihn bindet.«
Und an's Werk ging dieser muthvoll:
[78]
Zog dem Drachen aus die Schwänze,
Alle sechsunddreißig Schwänze,
Mühelos – sie saßen locker.
Und dann hob er, frohen Muthes,
Aus dem Grund die gold'ne Urne
Und durchmusterte mit Lurlei
Den gehob'nen, unschätzbaren
Hort, verzückt, vor Wonne bebend.
Von uralten Königskronen
Gleißt es, goldenen Monstranzen,
Kelchen, Bechern, ander'm Zierrath,
Alterthümlichem Geschmeide,
Reich besetzt mit großen, edlen
Steinen, Perlen und Korallen.
»O was giebt's da einzuschmelzen,
O was giebt's da zu verwerthen!«
Flüstert Munkel, mit den Blicken
Die Kleinodien verschlingend.
Und zu tiefst in seinem Innern
Regt unwiderstehlich, krankhaft,
Die Begierde sich, das Alles
Sein zu nennen – ganz sein eigen.
Und im selben Augenblicke
Regt dieselbe Gier im Herzen
Sich der Nixe – ganz zu eigen
Haben möchte sie den Schatz auch.
O geläng' es einzuschläfern
Durch den Zauber der Hypnose
[79]
Kraft- und willenlos zu machen
Den Genossen, wie den Drachen! –
Ist sie nicht die Nixe Lurlei?
Kann sie nicht an dieser Stätte,
An dem Lurleifels erproben
Noch einmal den alten Zauber? –
Also kreuzten die Gedanken,
Die geheimsten, sich der Beiden.
Aber nichts verrieth ihr Antlitz.
Lächelnd gegenüber standen
Sie sich, heiter, wonnestrahlend.
Und beladen mit dem Schatze,
Gingen, wie beschwingt, den Irrpfad
Sie zurück zur Ufergrotte.
»Laß uns weilen,« sagte Lurlei,
»Hier am Strom, am schönen Strande,
Bis es tagt! Die Nacht ist lieblich:
Eine sternenklare Nacht ist's,
Eine Nacht, wie ich so viele
Hier durchlebt an trauter Stätte,
Ruhend auf dem Nixensteine,
Singend, mit dem gold'nen Kamme
Kämmend meine gold'nen Locken
In des Mondes gold'nem Scheine! –
Ach, es ist doch schön gewesen!
Ganz besaß ich, unverkümmert,
Damals jene sel'ge Kühle
Noch, die nixenhafte, reine,
[80]
Des Gedankens, der Gefühle!
Aber seit in's Menschenleben
Ich mich stürzte, lernt' ich doch auch –
Mehr als ich zuvor gestand dir –
Menschlich fühlen; eine Schwüle
Ueberkommt mich oft, das Blut schießt
Heiß zum Haupt mir, heiß zum Herzen!
So in jenem Augenblicke,
Als ich dich, den Fahrtgenossen,
Springen sah vom hohen Schiffsbord
In des Rheines dunkle Fluten!
Da erfaßte mich ein Mitleid –
Mehr als Mitleid war's – die tiefste
Menschlich-wärmste Sympathie war's,
Die mich riß, unwiderstehlich,
Dir nach in des Stromes Wogen,
Dich zu retten, dich dem Dasein,
Dich der Welt zurückzugeben!«
Also Lurlei, und ein heller,
Warmer Blick voll Minnezaubers
Aus dem schönen Aug' der Nixe
Fiel auf Munkel. Dieser aber,
Tief im Innersten erwog er
Still das Wort, das Thun der Schönen.
Er durchschaute sie. Ihr Wesen
Und ihr Wollen war so klar ihm,
Wie das eig'ne. Und mit klugem
Sinn vereiteln die Entwürfe
[81]
Wollt' er, welche spann die Nixe,
Wollte schlau sie selber fangen
In den Schlingen, die sie legte.
Und ein heimlich Stoßgebetlein
That er an der Musen Neunzahl,
Honigsüße schöne Worte,
Redensarten, fein gesponnen,
Ihm zu legen auf die Zunge:
Blüten einer Poesie,
Die in nebelgrauer Ferne
Hinter ihm lag – würz'ge Nelken
Auserles'ner Galant'rie,
Wie er längst nicht mehr sie übte,
Parfümirte Rosen, duft'gen
Tand, gesproch'nes Patchouli,
Fähig, selber einer Stromfei
Scharfe Sinne zu benebeln.
Duftschwül war die Nacht auch selber,
Sternenhell. Es glich der Himmel
Einem Sieb, durch dessen tausend
Löcher quoll der Glanz des Himmels.
Hingelehnt saß Lurlei lächelnd
Auf bequemem, grün bemoostem
Felsensitz am Grotteneingang;
Ihr zu Füßen der Homunkel.
Noch vom Schatze sprachen sie
Und wie sie im Morgengrauen
Heimlich fort ihn wollten schaffen –
[82]
Niemand sollt' ihn schau'n, so lang' er
Ungeschmolzen, ungemünzt noch
Läg' in seiner Zauberurne.
»Kräfte fühl' ich,« sagte Munkel,
Hoch ihn hebend, »Kräfte fühl' ich,
Ihn durch eine Welt zu tragen!« –
»Wird er allzuschwer nicht lasten
Auf der Schulter dir?« sprach Lurlei.
»Allzuschwer?« rief Munkel lachend.
»Eher wird zu schwer dem Westwind
Einer Blume süßer Wohlduft,
Den er trägt auf seinen Schwingen,
Als ein Goldschatz Munkel's Schultern!« –
In demselben Augenblicke
Zeigt unfern in einer kleinen
Bucht des Strom's ein Fischerboot sich
Munkel's Blicken, das da ruhte
Wie verloren und vergessen.
Sehr erwünscht war dieser Fund ihm,
Mehr als er gestehen durfte;
Sagte blos: »In jenem Boote
Rudern wir, wohin's beliebt uns,
Mit dem Schatz in grauer Dämm'rung!« –
»Ach,« begann nach kleiner Pause
Munkel wieder, und ein Seufzer
Stahl dabei aus seiner Brust sich,
»Ach, ist dieser Schatz denn Alles?
Nicht mein einziger Gedanke
[83]
Ist er, traun, in dieser Stunde,
Dieser schicksalvollen Stunde,
Die mich führt mit dir zusammen! –
Edle Retterin, Genossin,
Schöne Nixe, aus den Wellen
Hast du mich gezogen, aber
Nur um aus der kühlen Feuchte
Mich in heiße Glut zu stürzen,
Die vielleicht noch sich'rer tödtet!
Ruhe werd' ich erst gewinnen,
Glücklich werd' ich mich erst nennen,
Wenn des Schicksalsschwertes Spitze
Nicht mehr hängt an einem Haare
Ueber meinem Haupte, wie es
Hängt in diesem Augenblicke!
Diese Spitze, die mir droht,
Ist ein scharfes, schroffes, kaltes
Wort aus einem schönen Munde –
Und das Haar, an dem sie hängt,
Ach, es ist ein seideweiches,
Sonnstrahl-feines, gold'nes Härlein
Deines Hauptes, schönste Lurlei!« –
Ganz zu Füßen ihr sich werfend,
Laut aufseufzte Munkel: »Süßes
Götterweib, ich liebe dich!« –
Lurlei schwieg; doch hohe Wellen
Warf ihr Busen unter'm Anhauch
Dieses stürm'schen Liebesseufzers,
[84]
Und ein Vogel im Gebüsche
Fuhr empor aus seinem Schlummer
Bei dem Laute dieses Seufzers.
»Darf ich's glauben?« lispelt Lurlei,
»Liebst du mich? und ist's die echte,
Wahre, die beschwingte Liebe,
Welche du für mich empfindest?
Nicht die niedrige, gemeine,
Die am Boden kriecht im Schlamme?
Ach, die Lieb' ist, wie der Falter,
Ohne Flügel nur ein Wurm!« –
»Schönste Nixe!« flehte Munkel,
O erbarme dich – erwarme!
Ach an deinen kühlen Busen
Locktest du mein heißes Herz!
Heile mich von meinem Harme!
Werde mein! Mit seid'nen Segeln
Führ' ich dich durch rauhe Wogen
Auf dem hohen Meer des Lebens!« –
»O erhebe dich!« versetzte
Lächelnd Lurlei; »nicht zu meinen
Füßen, wahrlich, ist die Stelle,
Deiner würdig, edler Munkel!« –
»Laß, o laß mich!« ruft er feurig:
Höher bin ich nie gestiegen,
Als da ich dir lag zu Füßen! –
O beglückt, wer je gesehen
Auf dem weißen Nixensteine
[85]
Hell dein Haar im Winde wehen –
Und beglückt, wen deiner Töne
Zaubermacht zu dir verlockte –
Und beglückt, wer in der Tiefe
Fand den Tod in deinen Armen!
Einmal, einmal nur dich sehen
Möcht' ich so, auf deinem weißen
Fels im Mondlicht – selbst in leichtem
Kahn an dir vorüberschiffend,
Aufwärts blickend, nach dir schmachtend!« –
Lurlei, diesen Worten lauschend,
Still im Innersten erwägt sie
Klug die Worte des Homunkels.
Sie durchschaut ihn. All' sein Wesen,
All' sein Wollen ist so klar ihr,
Wie das eig'ne ...
»Gerne,« spricht sie,
Lieblich lächelnd, »gern erfülle
Deinen Wunsch ich, edler Munkel!« –
Und sie schickt sich an zu ihres
Felsens Höh' emporzuschreiten.
Unterdessen eilt zum Boote
Munkel, um es los zu machen,
In Bereitschaft es zu setzen.
Hastig dann zurück sich wendend,
Späht sein Auge nach dem Goldschatz
Mit den Blicken eines Greifen,
Drachen oder Arimaspen,
[86]
Welcher lauernd Schätze hütet.
Doch der Goldschatz ist verschwunden,
Mit sich auf den Fels genommen
Hat ihn Lurlei. Seht die Nixe!
Munkel nicht allein vermag es,
Gold'ne Last zu tragen, müh'los,
Wie der West den Duft der Blume! –
Tief beschämt steht Munkel, merkend,
Daß ihm ebenbürtig Lurlei,
Ebenbürtig ihm an Schlauheit,
An energisch-festem Wollen ...
Traun, den »Schiffer in dem Kahne«
Muß er spielen nun in Wahrheit,
Muß empor zu Lurlei schmachten
Und zu ihrem gold'nen Horte.
Auf dem Felsen ruht die Nixe,
Ihr zu Füßen ruht die Urne.
Hoch am Himmel glüh'n die Sterne,
Lüfte wehen, Wasser rauschen,
Wie sie thun in solchen Nächten,
Wundervoll hebt an zu schlagen
Eine Nachtigall im Busche,
Wie sie schlägt in solchen Nächten.
Wird nicht auch die Nixe singen?
Nein; sie greift nur in die Urne,
Lächelnd, läßt die Kronen klingen,
Die Monstranzen und die Kelche,
All' die goldenen Geräthe,
[87]
Sanft sie aneinander schlagend,
Wie man Cymbeln schlägt, nur leiser,
Etwa wie zu Elfentänzen:
Und es hallt in zaubervollen
Gold'nen Klängen durch die Nacht hin,
Uebertönt das Lied des Sprossers,
Der beschämt verstummt im Busche.
Dicht heran zum Born der Klänge
Rudert in Verzückung Munkel,
Blickt hinauf zu Lurlei schmachtend.
Auf ein Knie sich niederlassend,
Spricht er: »Wie unendlich schöner,
Schöne Nixe, bist du jetzo,
Als vor Zeiten! Wie unendlich
Lockender, verführerischer!
Einen gold'nen Kamm nur hattest
Damals du und gold'ne Strähne –
Und den gold'nen Glanz des Mondes:
Jetzo blinkt ein ganzer reicher
Gold'ner Schatz um dich, du Schöne!
Statt der einst'gen »gold'nen Lieder,«
– Wie man's nannte – »gold'nen Töne«,
Läßt du wesenhaft-gedieg'nes,
Echtes Gold nunmehr erklingen!
Wenn in den verscholl'nen Tagen
Viele schon der Strom verschlungen,
Die, im Kahn vorüberschiffend,
Dich erschauten, nach dir schmachtend,
[88]
Selbst den bittern Tod verachtend,
Welches Loos muß dem erst fallen,
Der dich schaut im heut'gen Glanze,
Perle du in gold'ner Muschel!
War's doch nur das leichte Traumglück
Einer seligen Minute,
Was, die Sinne nur bezaubernd,
Du geboten den Verzückten,
Ihr bethörtes Herz zu laben:
Heute ruhst du auf dem Felsen
Gnadenreicher als Madonna,
Als des Glückes Göttin selber
Mit dem Füllhorn aller Gaben!
Sprich mein Urtheil, schönste Nixe!
Soll die Welle mich verschlingen,
Oder ist's vergönnt dem Schiffer
Sich zu dir emporzuringen,
Deine Höh' mit dir zu theilen,
Traut zu ruh'n an deiner Seite,
Wo die gold'nen Töne klingen?«
Und die Nixe winkte lächelnd.
Munkel eilt zu ihren Füßen,
Und verständnißinnig blicken
In die Augen sich die Beiden.
Niemals wird von diesen beiden
Ebenbürt'gen höher'n Wesen
Eins das and're überlisten!
Sollen sie auf ewig scheiden?
[89]
Nein, sie reichen sich die Hände,
Schließen einen Bund, vereinigt
Zu genießen und zu wirken,
Zu besiegeln vor der Welt auch
Ihren Bund am Traualtare.
So verstanden sich in jener
Nacht bei linder Lüfte Wehen,
Bei der Wasser holdem Rauschen,
Bei der Sterne lichtem Scheinen,
Bei der Nachtigall Gesängen,
Bei des gold'nen Schatzes Klängen
Auf dem stillen Lurleifelsen
Der Homunkel und die Nixe.
[90]

5. Gesang: Literarische Walpurgisnacht

Fünfter Gesang.
Literarische Walpurgisnacht.

Als mit Lurlei Eins geworden
Munkel so, ein Paar zu werden,
Ringe wechselnd vor dem Altar
Sie den Seelenbund besiegelt,
Mit dem ganzen, ungetheilten,
Eingeschmolz'nen und gemünzten
Nibelungenhort als Brautschatz,
Gaben sie der Welt das Schauspiel
Einer übermenschlich prächt'gen,
Märchenhaften Hochzeitsfeier.
An die Trauung schloß sich Festmahl,
Tanzfest, Festspiel, Bacchanal.
Auf dem Marktplatz um geschmorte
Gratisrinder, Kälber, Lämmer,
[91]
Und um rinnende Gebinde
Unerschöpflichen Getränkes
War das ganze Volk versammelt.
Bei dem Feste glänzte Lurlei
In phantastischer Gewandung
Etwa einer glanzumstrahlten
Nixenkönigin, die Hochzeit
Hält mit einem Elfenfürsten.
Eine Robe trug sie, welche
Ganz gewoben war aus gold'nen
Spinnwebfäden, und darüber
Eine schimmernde Mantille,
Die bestand aus lauter prachtvoll-
Farbigbunten Falterflügeln.
Ein in Gold gefaßtes, reich mit
Edelsteinen ausgeschmücktes
Pfauenrad dient' ihr als Fächer.
Im demant'nen Diademe
Ihres Hauptes schien's, als wären
Die Gestirne des Orion
Rund in Gold gefaßt; ihr Schleier
Schien im Lufthauch zu zerrinnen,
Ihres Kleides lange Schleppe
Glich der großen Sternenschleppe,
Welche milchweiß hinter sich her
Zieht die Königin der Nacht,
Wenn sie hin am Himmel wandelt.
Und nun erst sie selbst! Ihr Aug' war
[92]
Der Polarstern dieses Himmels,
Um den all' die andern kreis'ten,
Ihr Gelock ein goldnes Vließ, ihr
Busen, hold bewegt, ein Becher,
Der von Reizen überschäumte.
So mit überird'schen Reizen
Wandelte die stolze Lurlei
Bei dem Feste der Vermählung
Durch den Schwarm entzückter Gäste,
Wie die Sonne durch den Thierkreis.
Doch was quäl' ich mich zu schildern
Reiz und Glanz und Pomp des Festes,
Da dafür doch Worte fehlen?
Laßt mich lieber euch erzählen
Von der Feier heit'rem Nachspiel,
Von dem großen, bunten, muntern
Maskenfestspiel-Bacchanale,
Das das Fest beschloß und krönte!
Schauplatz dieses Maskenfestspiels
War der Blocksberg – als Parnaß;
Und betitelt war das Festspiel:
»Literarische Walpurgis-
Nacht des laufenden Jahrhunderts
Vier kastal'sche Quellen sprudeln
Sah man auf dem Blocksberg-Parnaß:
Den kastal'schen Quell des Wassers,
Den kastal'schen Quell des Weines,
Den des edlen Gerstentrankes,
[93]
Und zum Vierten den kastal'schen
Quell des Schnapses – des Absinthes.
Demnach theilten die Poeten
Auch sich ein in Wasserdichter,
Weinpoeten, Bierpoeten,
Und in Schnaps-, Absinthpoeten.
Ganz verfallen herbem Weltschmerz,
Bitt'rem Lebensüberdrusse,
Finsterer Melancholei,
Prometheisch-geierbissig-
Lebersiechem Pessimismus,
War der Schwarm der Wasserdichter;
Fanden Alles miserabel,
Nur nicht ihre eignen Verse.
Wohler in der Haut um Vieles
War den Wein- und Bierpoeten.
Diesen war die Welt soeben
Recht, und nur an einem Uebel
Krankten sie: der Wasserscheu.
Die Absinthpoeten schließlich,
Mit den Wein- und Bierpoeten
Theilten sie die Wasserscheu,
Und den Geierbiß des finster'n
Melancholisch-überdrüss'gen,
Lebersiechen Pessimismus
Mit dem Schwarm der Wasserdichter:
Und sie waren doppelt elend.
In der Schenke bei den Krügen
[94]
Als Vertreter wasserscheuer
Wein- und Gerstensaft-Begeist'rung
Saßen drei der besten Zecher
Im Kostüm der drei berühmten
Frohgemuthen Handwerksbursche
Aus »Lumpazivagabundus«.
Und sie zechten und sie sangen,
Und sie sangen und sie zechten.
»Uns,« so sangen sie vergnüglich,
Uns genügt, wie jenem Alten,
Dem Diogenes, dem weisen,
Eine Tonne, hei, juchheissa,
Aber eine volle!
Und wenn wir sie leer getrunken,
Kriechen wir hinein, juchheissa,
Daß mit uns von einem Wirthhaus
Sie zum andern rolle!
Lebens- und auch Liebeswonne
Spendet sie, die volle Tonne;
Komme was da wolle!
Aus dem Schaum des Gerstentrankes,
Dralle Schenkin, steigt dein Bildniß
Immerdar als alte deutsche
Venus, als Frau Holle!« –
Draußen vor der Thür der Schenke
In dem grünen Grase saßen
An der Quelle, an dem Bache,
Stumm und kühl die Wasserdichter.
[95]
Saßen grün und gelb vor Mißmuth,
Aergerten sich baß, daß Jene
Drinnen in der Schenke, singend,
Zechend, jauchzend, springend lärmten,
Und sie wollten es nicht leiden;
Sagten, dieser Lärm der Zecher,
Dies Gesinge, dies Gekreische
Wirke auf sie ohrzerreißend,
Nervenfolternd, sinnverwirrend,
Und vom Anblick jener Räusche
Hätten sie den Katzenjammer.
Unterdessen hat die Schenke
Ganz mit munteren Gesellen
Sich gefüllt. Und das Gestöhne
Draußen vor der Thür vernehmend
All der blassen Wassertrinker,
Hebt der Zecherschwarm ein keckes
Spottlied johlend an zu brüllen:
»Hol' der Teufel diese blassen,
Diese wasserblassen Dichter,
Die da wimmern, die da winseln,
Wehevoll-waschlapp'ge Wichter!
Von des Lebens schweren Nöthen
Faseln sie, die Schwerenöther,
Doch geschrieben steht's:
Wie man's treibt, so geht's, juchhei,
Wie man's treibt, so geht's!« –
Grimm befällt die Wassertrinker
[96]
Und mit Kieseln aus dem Bache
Zielen sie durch Thür und Fenster
Nach den Zechern in der Schenke.
Zur Erwid'rung fliegen ihnen
Krüg' und Töpfe an die Köpfe.
Und die Wasserdichter fluchen,
Nehmen ein in Sturm die Schenke.
Aber drinnen, ha, geprügelt
Werden sie, hinausgeworfen,
Und hinabgescheucht zum Bache;
Und sie springen, Fröschen ähnlich,
In die Flut, wo sie am tiefsten,
Während hinter ihnen her es
Heult zum Hohne: »Hol' der Teufel
Diese blassen Wassertrinker,
Diese wasserblassen Trinker –
Wie man's treibt, so geht's, juchhei,
Wie man's treibt, so geht's!« –
Und schon ist es Nacht geworden.
Festgebannt noch immer sitzen
Bei den Krügen in der Schenke,
Blaß und blöde schon, die Zecher,
Und die Augen glänzen glasig,
Und sie lachen und sie lallen,
Und sie faseln, flennen, fluchen,
Oder schnarchen unter'm Tische.
Plötzlich von der nahen Thurmuhr
Dröhnt ein Schlag wie dumpfer Donner.
[97]
Horch! was hebt da an zu sausen
Und zu brausen vor der Herberg'?
Wilder Sturm heult von der Höhe,
Und »Halloh! Hoiho!« so hallt es.
Hei, was ist das? Heissa, ho,
's ist der Zug des Rodensteiners!
»'raus da! 'raus aus dem Haus da!
Herr Wirth, das Gott mir helf'!
Giebt's nirgends mehr 'nen Tropfen Wein
Des Nachts um halber Zwölf?« –
Also brüllt vom Gaul herunter
In den Sturm der Rodensteiner:
Hinter ihm, hui, schallt und knallt es,
Klafft und blafft und bellt und gellt es;
'raus da! 'raus aus dem Haus da!
Jo, hihaho!
Rumdiridi!
Hoidirido!
'raus! 'raus! 'raus!« –
Heissa, hei, wie heult der Sturmwind,
Der da aus der dumpfen Schenke
Fegt hervor die Zecher alle
Sammt und sonders in die Lüfte
Hoch empor und fort dann, fort,
Fort im Zug des Rodensteiners!
Hol' der Teufel, Rodensteiner,
Dich, der Nächtens du die Leute
Fort so reißest aus der Schenke,
[98]
Fort sie führst im wilden Heerbann –
's ist manch' wack'rer Bursch darunter! –
And're Scenen, and're Bilder
Drängen wechselnd sich vor's Auge.
Seht einmal! Zum Theil in zierlich
Kostümirten Maskenzügen
Kommt die Schaar der Liebesdichter!
Seht ihr da die deutschen Perser?
Perser von dem Main, der Elbe,
Von der Isar, von der Pleisse,
Mit Kaftanen und Turbanen
Und mit großen langen Bärten!
Wolfgang nennt sich Hatem, Friedel
Nennt sich Mirza, Michel Hafis,
Stehlen Rosen, stehlen Früchte
Aus dem Gartenhain von Schiras,
Und »vomiren dann Gaselen«.
Hans und Grete sind nun Jussuf
Und Suleika, Gül und Bülbül! –
Seht, wie billig, nun den Perser
Diese Höflichkeit erwidern:
Seht, er dichtet und er singt nun
Seinerseits von »Hans« und »Grete«,
»Bub« und »Maidle«, jauchzt und jodelt,
Und loslegt er mit »Vierzeil'gen«,
Reiherfeder auf dem Spitzhut,
Knapp die Hose, grün die Jacke!« –
Doch es naht nicht minder reizend
[99]
Jetzt und harmlos eine and're
Neu'ste Liebesdichtertruppe:
Mittelalterlich-maskirte,
Kostümirte Minnesinger!
O wie zierlich die Gewandung!
O wie drollig-derb die Sprache!
Wie possirlich die Gebarung!
Und nun seht das Seitenstück auch,
Wie der Franzmann provençalisch,
Wie der ernste Brite gälisch,
Wie der Wälsche alt-italisch,
Wie der Skandinave gothisch
Girrt, sich trägt und sich geberdet.
Ja, der Mummenschanz ist reizend,
Ja, der Mummenschanz ist harmlos,
Und wie möcht' ihn Einer schelten?
Gern in Masken geht die Minne.
Ganz im Gegensatz zu Diesen,
In verwegenstem Kontraste,
Hat die lyrische Cohorte,
Die da naht, nicht blos Kostüme
Fremder Art verschmäht und Masken,
Sondern kecklich abgeworfen
Schier sogar die eig'nen Kleider.
»Nackte Wahrheit« ist ihr Wahlspruch.
Jetzo hält der Zug und Einer
Läßt, mit einem Ruck sich schwingend
Auf die Schultern der Genossen,
[100]
Flammenzüngig sich vernehmen:
»Hört, Genossen! Allzu tief ist
Leider wiederum die Menschheit
Des Jahrhunderts in Askese
Und in Frömmelei versunken!
Statt sich arglos hinzugeben
Heiterem Genuß, befassen
Junge Männer, junge Mädchen
Sich mit Fleischabtödtung, tragen
Stachelgürtel und kastei'n sich.
In dem Joch der Pflichterfüllung
Schmachten die Vermählten – schöne
Frau'n verzehren in Entsagung
Sich wie Nonnen in der Zelle,
Ungeliebt und ungenossen.
Gar so schwer entschließen Menschen
Sich zu lieben und zu küssen!
Unser Fleisch, mit Einem Wort, ist
Nicht emanzipirt genug noch,
Und so ist's durchaus vonnöthen,
Daß man Fleisch und Kult des Fleisches
Nicht besinge blos, nein, pred'ge,
Und die Welt sich des zu strengen
Sittlichkeitsbegriffs entled'ge,
Damit an die Stelle düst'rer
Mönchischer Askese, welche
Herrschend jetzt in allen Kreisen,
Heiteres Behagen trete.
[101]
Den Verliebten zu bedeuten
Gilt's, daß Treu', geschwor'ne Treue,
Th orheit, wenn man heischt von ihr,
Daß sie Liebe überdau're.
Fort mit Treue ohne Liebe!
Fort mit dem Phantom der Pflicht,
Wenn sie will, daß bei Erfüllung
Seiner Pflicht der Mensch versau're!
Diese Botschaft zu verkünden
Sei die Losung, sei die Sache
Nun der Dichtkunst des Jahrhunderts.
Fern von sittlicher Verschämtheit
Und ästhetischer Verbrämtheit,
Kein Geheimniß soll sie machen
Aus natürlichen Instinkten:
Darf sich so mit Recht der Wahrheit,
Nackter Wahrheit Schule nennen! –
Dennoch sind wir idealistisch
Durch und durch auch; denn wann gehen
In der Wahrheit, in der Nacktheit
Bei der Schild'rung und Verkündung
Des bacchant'schen Fleischeskultus
Wir so weit, daß dabei solche
Dinge in Betracht wir zögen,
Welche widrig und prosaisch:
Etwa wie gewisse Folgen,
Die bacchantisch kultivirtes
Fleisch oft hat für Haut und Knochen!
[102]
Traun, das Fleisch ist Poesie,
Prosa aber Haut und Rückgrat –
Nicht zu reden von noch andern
Unästhet'schen Vogelscheuchen
Auf dem Saatfeld des Genusses!
Und so sind denn wir »Veristen«,
»Realisten«, just die wahren
Idealisten, die des Lebens
Und des Liebens und Genießens
Heikle und verfehmte Themen
Von der wirklich idealen,
Reinsten, schönsten Seite nehmen!« –
Stürm'scher Beifall und zustimmend-
Laute Rufe unterbrachen
Oft den Redner, und nun hallte
Heller Jubel ihm entgegen.
Reizende Hetären waren
In dem Zuge. Mit Gelächter,
Scherz und Tanz auf grünem Rasen
Brachten sie einander zwanglos
Dar mit hochgemuthem Sinne,
Die Poeten und die Schönen,
Den Tribut der freien Minne.
Plötzlich aber dringt ein Schelten
Und ein Toben durch's Getümmel,
Eines zorn'gen Mannes Stimme,
Eines Weibes Angstgestöhne.
Bei den Haaren die Geliebte
[103]
Schleppt ein Liebender im Grimme
Wild herbei. Wuthschnaubend klagt er
Eines Treubruchs an die Schöne.
Einer war es dieser freien
Minnepriester, und er tobte:
»Treuloses Geschöpf! Unwürd'ges
Pflicht- und ehrvergess'nes Wesen!
Abschaum du von einem Weibe!
Dies der Dank für meine Liebe?
Dies die Treu', die du geschworen?« –
»Ach, ich liebte dich nicht mehr
Aechzt sie unter seinen Schlägen.
»Das ist's eben!« ruft er wüthend.
»Unverschämte, wankelmüth'ge,
Zuchtlos eitle, männertolle
Delila, verworf'ne Dirne!
Fluch dir, Ausbund aller Falschheit,
Aller Schwäche du des Weibes!« –
So der Ungetreu'n entgegen
Verse voll erhab'nen Zornes
Speit er und markirt den Rhythmus
Auf des Weibes Liljenrücken.
Solches Zwischenspiel der Minne
Brachte in den allgemeinen
Bacchischen Begeist'rungstaumel
Dieser Trunk'nen eine kleine
Und fast unliebsame Störung.
Neu zum Festzug reiht der Schwarm sich
[104]
Und zieht fürder dann des Weges.
Plötzlich jetzt erschallt ein donnernd',
Mark und Bein erschütternd wildes,
Ohrzerreißendes »Hurrah!«
Und begleitet war's von schrillen
Tönen einer Kindstrompete.
Nach dem Lärm zu schließen, nahte
Sich im Marsch ein kampflust-glüh'ndes
Regiment der schwersten Reiter.
Doch es waren zarte Knaben –
Kinder – manche noch getragen
Auf den Armen von der Amme.
Als verklungen war das wilde,
Brausende Hurrah, da fielen
Jene, die schon gehen konnten,
Sich einander in die Haare,
Nannten Stümper sich und Tölpel,
Und dann rannte dieser ganze
Literar'sche Kinder-Kreuzzug
Durcheinander, auseinander –
Jeder heim zu seiner Mutter.
Ernster zeigte sich den Blicken,
Märchenhaft schier, jetzt ein buntes,
Sinnverwirrendes Geschwärme:
Mißgeburten, große, kleine,
Krüppel, Knirpse, Zwitter, Tröpfe,
Heldenköpfe, Spindelbeine,
Greise Gnomenangesichter
[105]
Auf noch ros'gen Säuglingsleibern –
Hie und da ein Feuerauge,
Doch vereint mit faun'scher Nase
Und mit thierisch-roher Schnauze –
Oder wohlgewachs'ne Glieder,
An verkehrter Stelle sitzend –
Zwischendurch auch Thiergestalten,
Buntgemischte: Regenwürmer
Gab es da mit Eselsohren –
Schnecken gab's mit Hirschgeweihen –
Einen Esel auch mit Adler-,
Und ein Schwein mit Psycheflügeln,
Gimpel, Pfauenräder schlagend,
Aeffchen, hoch auf Straußenbeinen
Stelzend, ein Kameel mit Flossen,
Dachse mit Gazellenhälsen,
Stockfische mit Haifischrachen,
Zeisige mit Eulenköpfen –
Und dazwischen wassersücht'ge
Krokodile, schäb'ge Tiger
Mit vom Zahnarzt eingesetztem,
Künstlichem Gebiß, wuthkranke
Pudel, melanchol'sche Kater ...
Und von diesen Mißgeschöpfen
Ward gefangen, ward gebunden
Fortgeführt ein edles, hohes
Frauenbild voll reiner Schöne –
Und sie belfern und sie greinen
[106]
Gegen sie voll Wuth, begeifern
Ihr Gewand, verhöhnen grinsend
Sie als »Vettel«, »graue Vettel!«
Sieh, ha sieh, wie vor dem Anblick
Des Gesunden, Schönen, Reinen,
Sie sich krümmen, diese Wichter,
Kraus verzerren die Gesichter,
Sich in tollen, immer toller'n
Sprüngen wüthig überstürzen,
Ueberpurzeln, überkollern!
Sie beginnt ein kühnes, hohes
Lied zu singen: das des Lebens,
Das der Freiheit, das der Zukunft.
Aber jene Mischgebilde
Schnappen weg vom Mund das Wort ihr;
Dieses Lied, das hohe heh're,
Sagen sie, es sei das ihre;
Sie nur hätten es ersonnen,
Sie nur wüßten es zu singen,
Sie nur – Himmel, welch' Gekreische,
Neben lautern Himmelslauten,
Die sie von den Lippen stehlen
Jener Schönheit, der geschmähten!
Die Gefang'ne mit sich schleppend,
Zieht das Zwitter-Thiergelichter
Bellend, blöckend, plärrend weiter. –
Was glänzt blau dort im Gebüsche?
Blaue Strümpfe? Seid willkommen,
[107]
Starke Glieder ihr des schwachen
Und des schöneren Geschlechtes!
Edle Geistesritterinnen,
Vielbespöttelt – Frauen seid ihr:
Alles könnt ihr, nur nicht schweigen.
Rührig ist die Frauenzunge,
Rührig ist die Frauenfeder.
Vor euch tragt ihr im Triumphe
Siegesbeute, Siegeszeichen,
Welche kecklich bei verschied'nen
Literar'schen Preiswettrennen
Ihr den Männern abgewonnen!
Dein zu spotten, edler Blaustrumpf,
Sind ja deiner Trägerinnen
Nachgerade schon zu viele!
Giebt es in den Reihen Jener,
Die in idealer Maske
Schwärmen, manche, die hysterisch,
Die erotomanisch kränkeln –
Manche, die für demokratisch-
Soziale Weltverbess'rung
Schwärmend zu Hyänen werden
Und den Besenstiel der Hexe
Keck als Fahnenstange schwingen –
Zu geschweigen von Geringern,
Welche reiten, welche rauchen,
Solchen, welche Hosen tragen –
Nun man muß auch das entschuld'gen.
[108]
Insbesond're, wenn sie Hosen
Tragen wollen, ist's begreiflich.
Bloße Sittsamkeit ist dieses
Bei den Frauen, die da streben,
Dieser schnöden Erdenscholle
Engen Schranken zu entfliehen.
Denn wie soll's ein Weib vermeiden,
Das sich will zur Höhe schwingen
Vor der Welt profanen Augen,
Seine Beine zu bekleiden? –
Große Portefeuilles in Händen
Tragend mit gewicht'ger Miene,
Schreitet eine Schaar trübsel'ger,
Aber selbstbewußter Käuze.
Vollgestopft mit Wechselbriefen
Sind die Taschen, die sie tragen,
Und auf Lob und Anerkennung,
Auf die Würdigung der Nachwelt,
Lauten ihre Wechselbriefe.
Und mit diesen Wechselbriefen
Stellen sie, die schnöd' Verkannten,
An das Wochenbett der Zeit sich,
Still den Augenblick erlauernd,
Wo zur Welt sie bringt die Nachwelt;
Präsentiren wollen dieser
Sie wie Shylok ihre Scheine.
Arme, ungebor'ne Nachwelt,
Lieber ungeboren bleibe!
[109]
Bankerott ja gegenüber
Dieser Last von Zahlungspflichten,
Dieser Legion von Gläub'gern,
Bist du schon im Mutterleibe! –
Mittlerweile schau'n mit Neid sie,
Diese großen Unbekannten,
Auf die würdevoll Gesetzten,
Regungslosen, Stummen, Alten,
Welche dort im Winkel thronen.
Dieses sind die respektabeln,
»Schätzbar'n Mittelmäßigkeiten«
Und die »vaterländ'schen Dichter«,
Welche lang' schon todt, doch so gut
Literarhistorisch-kritisch
Eingebalsamt, daß sie wenig
Oder gar nicht übel riechen.
Der Parnaß hat auch Philister
Und da eben naht ihr Aufzug.
Doch sie sind nicht sehenswürdig.
Aber eine Sorte giebt es,
Eine ganz besond're, rare
Spezies von Erzphilistern,
Welche äußerst sehenswürdig.
Grimassirend, perorirend,
Alltagsschwätzer, doch mit Worten,
Mit cyklopisch-ungeschlachten,
Wie mit Blöcken um sich werfend,
Seht ihr dort verschied'ne Recken.
[110]
Das ist jene ganz besond're
Spezies von Erzphilistern,
Die, um für Genies zu gelten,
Sich so recken und so strecken,
Kraftgenialisch sich geberden!
Seht wie jener dort Geschosse
Ballt aus Schnee und Straßenunrath,
Flucht wie ein betrunkner Küster:
Dünkt ein Carlyle sich und ist nur
Ein salbadernder Philister,
Erzphilister, und so durchaus
Ledern, daß man aus ihm schustern
Könnte wasserdichte Stiefel ...
Hei, wer reitet dort so spät durch
Nacht und Wind auf – Steckenpferdchen?
Diese Pferdchen, Steckenpferdchen,
Die sie reiten, Pegasusse
Sind's von Holz, auf Rädern rollend.
Zahllos ist der Schwarm! Poeten
Sind sie, wie die Fliegen Vögel,
Und die Regenwürmer Schlangen.
Laßt den Kleinen doch die Freude –
Diesen Mücken, diesen Grillen
Und Heupferdchen des Parnasses ...
Ei, wer sind sie? Ach, das liebe
Völkchen ist's der – Rathet einmal! –
Und die Kecken dort? – Vaganten!
Literar'sche Strolche! Alles
[111]
Sagt der Name. Guarda e passa! –
Seht doch lieber – ha! was soll das?
Esel kommen da mit Hörnern
Ochsenhörnern! Alle guten
Geister ...! Aber still, nur stille!
Nein, man darf nicht laut es sagen!
Esel, ach, »gehörnte Esel«
Nannte Swift die Rezensenten!
Fall auf ihn zurück das Schimpfwort!
Esel sind nicht alle – nein!
Hörner freilich haben alle!
Orpheus, der erhab'ne Sänger,
Zähmte einst die wilden Thiere:
Diese waren nicht darunter.
Kritische Vivisektoren
Sind's – sie martern die Lebend'gen
Und behandeln zart die Todten.
Ach, wer nennt sie? Da ist Einer,
Der nach Herkuls Keule greift,
Eine Mücke todt zu schlagen.
Da ist Einer, der vor Jahren
Schrieb ein ungewürdigt Epos,
Dann vergrämelt, grausam grollend,
Kritisch jahrelang mit sieben
Cerb'rusköpfen grimm sich ausboll,
Aber jetzo schweigt mit allen
Sieben Köpfen, sieben Zungen –
Wohl aus Aerger, weil er merkt,
[112]
Daß, was lebt, noch immer lebt,
Und was todt, noch immer todt ist.
Da ist X. X., eine Mischung
Diskrepanter Eigenschaften:
Witzig ist er, aber dumm.
Da sind manche – o sehr Viele! –
Welche gestern den Lutschbeutel
Erst vertauscht mit der Cigarre.
Auf der Brust, wie Orden, tragen
Just die Unverfror'nen jetzo,
Unverschämten, ihre Namen
Offen, keck vor aller Welt.
Keiner will mehr anonym sein:
Anonyme Unverschämtheit –
Wär' sie nicht ein Widerspruch? –
Stattlich naht, sehr stattlich dort jetzt
Sich ein Aufzug. Hoch zu Roß da
Sitzen Jene, welche machen
Was man nennt die Litt'ratur.
Mit Geleit von Buchverzierern
Halten sie und Buchvergoldern
Vor der Fama hohem Tempel,
Wo die Priesterin – Französin
Von Geburt, genannt Reclame –
Sie empfängt an lichter Pforte:
Hinter ihr die Tempelsklaven,
Welche gänzlich dieser Göttin
Dienst geweiht sind, in Gestalt
[113]
Von lebendigen, mit Blättern
Grellbunt überklebten Säulen.
Weihrauchopfer bringt man hier,
Blauen Dunstes Weihrauchopfer,
Und zum hohen Osterfeste
Schlachten hier die Buchverleger
Nicht von Stieren, doch von Krebsen
Manchmal eine Hekatombe.
Bunter jetzt und immer bunter
Wird das Treiben. Gleich wie Karten
Mischt der Zufall im bewegten
Festgetümmel kraus die Menschen.
Durch die Menge, rechtshin, linkshin
Fuchtelnd mit der Pritsche, gaukelt
Toll ein blinder Harlekin.
Im Gedränge wird auf frischer
That ergriffen ein Ideen-
Taschendieb. Ein Autographen-
Jäger sammelt Autographen,
Und Skandalhistörchen sammelt
Ein Skandalhistörchenjäger.
Nach Versteinerungen, Muscheln
Späht dort Einer im Geklüfte;
Ohne Zweifel Geolog?
Nein, ein Dichter! sucht Motive
Zu historischen Romanen
Aus der Juraperiode.
Ein Erzähler, der berühmte
[114]
Muster strebt zu überbieten,
Späht nach realist'schen Zügen
Und nach ekelhaften Dingen,
Läßt von einem Arzt soeben
Im Detail die Symptomatik,
Pathologik, Therapeutik
Sich der Läusesucht erklären,
Weil gebaut auf dieses Thema
Der Roman ist, den er eben
Sinnvoll plant. Professor Jäger
Geht umher als Seelenriecher,
Insgeheim nach hierhin, dorthin
Schnüffelnd, Lust- und Unlustdüfte
Kundig prüfend – glaubt zu finden
Viel Gestank und wenig Seele:
So daß er von seiner Lehre,
Die bekanntlich Duft und Seele
Nimmt für Eins, beinah' zurückkommt.
Bietet nebenbei Vorräthe
Seines Wollkostüms Liebhabern
An und seiner Haarduftpillen.
Ein Wagnerianer macht
Propaganda – nicht für seines
Meisters Kunst, nein, für die reine
Pflanzenkost, auf die als Erster
Im Geschlecht der Menschenkinder
Einst verfiel Nebukadnezar.
Einen ew'gen Freitag predigt,
[115]
Einen ewigen Quatember
Unser Vegetarianer,
Und versichert, Wagner's Tonkunst
Müsse freilich wohl die Nerven
Seiner Gegner krankhaft reizen,
Wenn sie Fleisch dabei genießen.
Judenfleisch nur sei erlaubt,
Sagt er, Vegetarianern. –
Ei was giebt es dort zu schauen,
Dort zu hören in der hohen,
Musenpriesterlichen Halle,
Wo man an umdrängter Pforte
Geld erlegt hat für den Eintritt?
In der Halle vor den Hörern
Steht ein wandernder Rhapsode:
Lorbeer um das Haupt geschlungen,
Himmelwärts den Blick gerichtet,
Rezitirt er Hochgesänge
Voll pindarisch stolzen Schwunges
Vor der lauschenden Versammlung.
Und sobald den ersten Sang er
Weihevoll geendet, geht er,
Noch vom heil'gen Feuer glühend,
Mit dem Lorbeer auf dem Haupte
Zum Kassier hinaus und sagt ihm:
»Lassen sie das Volk von jetzt an
Um den halben Preis herein!« –
Viel berühmte Leute neu'rer,
[116]
Wie vergang'ner Zeit erblickte
Man im bunten Schwarm der Gäste.
Faust, Don Juan, Münchhausen sah man,
Eulenspiegel, Schlemihl, Bräsig,
Don Quixotte, Hudibras,
Frau George Sand und Frau Aspasia,
Und Frau Buchholz; Nana, Teut,
Und Diogenes, der Menschen
Suchte, die Latern' in Händen.
Sehr vergnügt war Peter Schlemihl:
Der bekannte »Mann« (der ärmste!)
»Ohne Schatten« war auf einen
Schatten ohne Mann gestoßen,
Deren es ja gibt so manche:
Und nun wandelten die Beiden
Seit' an Seite, stolz, den Mangel
Einer so des Andern deckend.
Auch der Teufel fehlte nicht
Mitten im Geschwärm des Festes.
Ja, leibhaftig war er da mit
Pferdefuß und Hahnenfeder,
Und er führte durch die Menge
Sein Großmütterchen am Arme.
Doch er gab sich sehr bescheiden:
Sehr armselig war sein Aussehn,
Sehr verschlissen die Gewandung,
Und er that, als wäre gänzlich
Er herunter nun gekommen,
[117]
Und als müss' er, um das Leben
Dem Großmütterchen zu fristen
Und sich selber, betteln gehen.
Seine einst'gen Diener, sagt' er,
Feuer, Wasserfluten, alle
Die zerstörenden Gewalten
Der Natur, die Elemente,
Seien Sklaven in des Menschen
Dienst geworden, und ihm selber
Wolle Keiner seine Seele
Mehr verschreiben, unter'm Vorwand,
Daß es Seelen gar nicht gebe,
Und daß man, sein Glück zu machen,
Selbst nun schlau genug geworden,
Nicht des Teufels mehr bedürfe.
Und so sei er denn in Wahrheit
Jetzo ganz ein armer Teufel.
Unter solchen heuchlerischen
Reden geht, Almosen sammelnd,
Er umher; zufällig aber
Auf den Pferdefuß getreten
Einmal im Gedräng', vergißt er
Fluchend sich, speit Feu'r im Zorne ...
Alles, was um ihn hier vorgeht,
Still belauernd, macht er manchmal
Heimlich sich 'nen Knopf in's Schnupftuch.
Später, als es bunter zugeht
Schon im Kreise, treibt er tolles
[118]
Zeug und Taschenspielerkünste.
Plötzlich ist der Mond vom Himmel
Weggeschwunden – Alle staunen,
Schaudern, fragen, wo er hin sei?
Da zieht lachend Meister Urian
Den Vermißten aus der Tasche
Wirft ihn in die Luft wie einen
Ball an seine alte Stelle,
Wo er ruhig weiterleuchtet.
Auch ein Spiritist, ein »Medium«,
Treibt sich um im Schwarm der Gäste,
An verstorbene berühmte
Männer, Frauen, stellt er Fragen,
Und sie schreiben, ungesehen,
Antwort ihm auf Schiefertafeln,
Doch nicht alle. Manche bleiben
Ganz die Antwort schuldig, oder
Aeußern sich sehr unmanierlich.
Bacon, den man höflich fragte,
Ob es wahr, daß außer seinen
Eig'nen er die Werke Shakespeare's
Auch so nebenbei geschrieben,
Gab zur Antwort dem Befrager
Einen geisterhaft-unsichtbar'n,
Aber fühlbar'n großbritann'schen
Boxer-Fauststoß vor den Magen.
Victor Hugo schrieb, als eine
Antwort man von ihm verlangte,
[119]
Für ein Honorar von mind'stens
Hunderttausend Franken steh' er –
Anders aber nicht – zu Diensten.
Nur geistlose Geister, leider,
Kritzelten die Schiefertafeln
Voll mit äußerstem Behagen.
Ich auch ging den Geisterbanner
Schließlich an: »Vermagst du Geister
Zu beschwören, so beschwöre
Mir den Geist der Zeit! Ein Blättlein
Hätt' ich gern von ihm für's Stammbuch!« –
Und der Edle ward beschworen,
Kam und klexte mir in's Stammbuch –
Unterm Tisch nach Geisterbrauch –
Einen Zeitungsleitartikel,
Welcher pries des deutschen Geistes,
Deutschen Schriftthums, deutscher Sprache
Macht und Pracht vor allen andern
Und geschrieben war im reinsten,
Parlaments- und Zeitungs-Diebsdeutsch,
So gespickt mit odiösen,
Ominösen, factiösen,
Querulösen und scabrösen,
So wie auch minutiösen
Und irrelevanten Themen,
Mal- und Tergiversationen,
Opportun-inopportunen
Ingerenzen, Entrevuen,
[120]
Plaidoyers und Pourparlers,
Konziliant-, intransigenten
Transaktionen, Kompromissen,
Inkompatibilitäten,
Velleitäten, Chauvinismen –
Mit so viel perhorreszirten
Interims, Strikes, Brouhahas,
Salemaleks, Tohubohus,
Daß durch diese Spracheinwurstung
Unser bied'rer Zeitgeist schließlich
Zweifellos als würd'ger jüng'rer
Bruder sich erwies des alten
Geists der Zeit von Babel's Thurmbau.
Durch den Schwarm so vieler Menschen
Sah man hie und da zuweilen
Wespen, kleine Blocksbergwespen,
Schwirrend hin und wieder fliegen.
An den Leibern dieser Wespen
Waren Blättchen aufgebunden,
Und auf diesen Blättchen standen
Lesbar kleine Epigramme,
Einige mit scharfem Stachel,
And're harmlos, unverfänglich.
Haschen wir die ein' und and're
Dieser kleinen Bocksbergwespen.
Rathend, mahnend, scheltend, zücht'gend,
Denkst du Wunder was es nutzt;
[121]
Aber hilft die Brille Blinden,
Und der Esel, wird er klüger,
Wenn man ihm die Ohren stutzt?

* * *

Schau, die Hexe fährt zu Berg!
Aber nicht mehr auf dem Besen:
Knappes Leibchen, kurzes Röckchen,
Und den Zwicker auf der Nase!
Und Touristin nennt sie sich.
* * *

Weil dich just der Schnupfen plagt,
Denkst du durch die Wand zu rennen?
Schneuze dich, sagt Epiktet,
Schneuze dich, anstatt zu flennen!
* * *

Tropfen seid ihr Straßenkothes,
Unter'm Lauf der Zeitenräder
Hochauf gegen Himmel spritzend,
Und ihr wollt euch Sterne dünken?
* * *

Ein erlesenes Talent! – Ja!
In der That, es ist erlesen!
[122]
Ach wie ist so unbeständig,
So zweideutig, so verlogen,
Solch' ein Proteus Mancher, daß man
Schwören möchte, wär' gekommen
Er zur Welt als Ochs, so würfe
Er den Schatten eines Esels!
* * *

Daß dem Schönen Frische fehle,
Hört man vielfach jetzo klagen.
»Frische fehlt dir, meine Gute!«
Hört' ich jüngst im Garten sagen
Stolz zu einem welken Röslein
Eines Vögleins frischen Quark.
* * *

Rein im Formenglanze blinken
Laß, o Dichter, dein Gedicht!
Zwar Tyrtäus durfte hinken,
Aber seine Verse nicht!
* * *

Armer deutscher Poet! meist hast du noch
lange den Ruf nicht,
Den du verdienst: erst den, den der
Verleger dir macht!
* * *

[123]
Niemand wußte, wer der Autor
Dieser Verslein. Nur der Teufel,
Dieser hatte lauernd, schielend,
Wohl bemerkt, das ich's gewesen,
Ich, der Schreiber dieser Zeilen,
Der geknüpft sothane Verslein
Heimlich an die Wespensteiße.
Und er machte sich den Spaß nun,
Abzufangen sie wie Fliegen.
Auf mich zu dann trat er grinsend.
»Mit Vergunst, schätzbarster Dichter!«
Hub er an und sah dabei mir
In's Gesicht mit seinem kohlschwarz
Glüh'nden Aug', in dem kein Weißes.
»Mit Vergunst! Mir altem Kerl, mir
Wär' ein Wort zu gut' zu halten,
Dächt' ich, wenn es um Satire
Sich, um Bosheit, Spott, Verneinung
Handelt – und man sollte, dächt' ich,
Nicht verschmäh'n von Unsereinem
Was zu lernen; Unsereiner
Ist kein Neuling doch hierinnen –
Ganz im Gegentheil! –
Wenn Einer
Solcher Dinge sich befleißigt,
Kann ich ihm nur sagen: Mensch!
Spieße, rädere, skalpire
Deinen Nächsten: aber Einen
[124]
Immer – einen ganz Bestimmten,
Den man kann mit Fingern zeigen!
Schinde deinen Nebenbuhler!
Kreuz'ge den, der and'rer Meinung,
An den Pranger stell' die Besten!
Dieses wird man dir verzeihen.
Aber fuchtle mit der Geissel
Nicht umher im Allgemeinen!
Und vor Allem, Bester, hüte
Dich, der Schlechtigkeit, Verderbtheit,
Schwäche, Thorheit an und für sich
Allzudämlich nah' zu treten!
Kein Pedant, mit Einem Wort, kein
Sittenprediger, kein Swift sei
Und kein Juvenal! Denn diese
Art Humors ist gar nicht »lustig!«
Ein Humor, bei dem man ernst bleibt,
Nicht in heller Lache losplatzt,
Ist langweilig, wie die Tragik,
Die nicht wirkt auf Thränendrüsen!« –
»Sehr verbunden!« gab zur Antwort
Ich; »indessen ... ich bedaure ...
Menschenschwäche, Menschenthorheit,
Unser angebor'nes Erbtheil,
Das uns so verhängnißvoll oft
Wird im langen Erdenleben,
So ein bischen durchzuhecheln,
Ist ein Thun, womit der Mensch sich
[125]
Tröstet und erbaut zu Zeiten.
Aber meine schlimmsten Feinde
Oder Kritiker zu schinden –
Namentlich zu persifliren –
Nein, ich thu's nicht! – Einen Einz'gen
Nehm' ich aus: den Herrn F. M.,
Der mir ausdrücklich vor Kurzem
Sagte, persiflirt zu werden
Sei die angenehmste Sache
Von der Welt; ihn selbst, den Witz'gen,
Hätte Mancher schon gebeten,
Ihn doch ja zu persifliren,
Denn es sei doch auch – Reclame ...
»Den allein? das ist zu wenig!«
Sprach der Böse. Aber heimlich –
Wie ich merkte – dacht' er: »G'nug ist's,
Hoff' ich, dir den Hals zu brechen!« –
»Wer nicht hören will, muß fühlen!«
Warf er hin. »Der Lorbeer, fürcht' ich,
Den du erntest mit dergleichen,
Wächst auf einer Haselstaude!« –
Darauf ich: In jedem Falle
Laß' ich bald ein Büchlein drucken:
Lachen wird es Keinen machen,
Und sehr Viele werden's lästern,
Und nicht Viele werden's lieben,
Und nur Wen'ge werden's loben,
Aber lesen – werden's Alle! –
[126]
Stracks anbeißend auf den Köder,
Den ich mit dem übermüth'gen
Scherzwort »Alle werden's lesen«
Hinwarf seiner Schadenfreude
Und dem Witz der Rezensenten –
»Meinst du?« rief er grinsend, rollte
Tückisch, still-vergnügt, sein glüh'ndes
Kohlenaug', in dem kein Weiß ist,
Und verschwand mit Hinterlassung
Des ihm eigenen Geruches. –
Schlendernd, sinnend wandt' ich wieder
Mich zurück ins Festgewimmel.
Auf das große Hochzeitsballfest
Im Verlauf der Nacht vereinte
Sich des Gästeschwarmes Antheil.
Es gestaltete sich glanzvoll;
Lebhaft war das Tanzvergnügen.
Mit der Braut antrat der Ritter
Von dem Pferdefuß zum Tanze.
Das Großmütterchen des Ritters
Schwenkt' im Takte der Homunkel.
Federleicht und schmiegsam hinflog
Frau George Sand in Faustens Armen,
In Diogenes', Münchhausens
Schlemihls, Don Juans, Eulenspiegels,
Und noch vieler And'rer Armen.
Bräsig walzte mit Frau Buchholz,
Teut vergaffte sich in Nana,
[127]
Tollte mit ihr hin im Reigen.
Mit Aspasia, der schönen,
Machten Kritiker ein Tänzchen,
Sprangen mit ihr um wie Rüpel,
Doch es ging der Athem ihnen
Früher aus als ihr, der Schönen.
Trüber brannten schon die Lichter,
Um so heller aber brannten
In der Dämmerung die Blicke.
Schon gestaltete ein wenig
Orgiastisch sich das Hochfest:
Was des Breiteren zu schildern
Ich hier billig unterlasse.
Eins nur darf ich nicht verschweigen:
Daß bei diesem Hochzeitsfeste
Auf dem Punkte stand Schön-Lurlei,
Von Champagnerschaum umbrandet,
Zu entflieh'n zum ersten Male,
Seit sie war getraut mit Munkel.
Hinterlassen schon bereit lag
Ein Billet, drin sie gestand
Ihrem angetrauten Gatten,
Daß sie einen Mann gefunden,
Bei dem Feste der Vermählung,
In der Festlust holdem Taumel,
Der ihr Herz entfachte, wie es
Niemals ihr bisher geschehen –
Den vielleicht sie lieben könne.
[128]
Doch nach einer halben Stunde
Hatte sie die Ueberzeugung,
Daß der Mann, dem sie zu folgen
Im Begriff war, den, umbrandet
Von Champagnerschaum, sie vorschnell
Für ein Ideal gehalten,
Nur ein ganz gemeiner Wicht sei.
Und zurück zur rechten Zeit noch
Kehrte sie, ihr bräutlich Bette,
Wie geziemend, zu besteigen
Mit dem angetrauten Gatten.
[129]

6. Gesang: Eldorado

Sechster Gesang.
Eldorado.

Keine Lust verspürte Munkel,
Seinen Schatz, den neu gehob'nen,
Und den größern seiner hohen
Angeborenen Talente
Irgendwie noch in den faulen
Unternehmungen der morschen
Alten Welt auf's Spiel zu setzen.
Eine neue Welt zu suchen
Ging er aus für höh're Zwecke,
Unabhängig von dem Zwange
Der Verhältnisse des Welttheils
Seine Sendung zu erfüllen,
Zu verwirklichen im höchsten
Stile den Homunculismus.
Eine Kolonie zu führen
[130]
In die Fremde, war sein Vorsatz,
Weit hinweg – am liebsten fernhin
Nach dem gold'nen Eldorado!
Warum sollt' es ihm nicht glücken,
Zu entdecken dieses Eiland,
Dieses sel'ge Land des Goldes
Fern im Westen, wenn er auszog
Als ein anderer Columbus,
Mit dem eig'nen und mit Lurlei's
Uebermenschlich feinem Spürsinn
Für verborg'ne gold'ne Schätze? –
Lange war die Fahrt und mühsam –
Mag ein And'rer sie beschreiben –
Und es setzten just die Meut'rer,
Wie in solchen Fällen üblich,
Auf dem Schiff dem kühnen Führer
An die Brust des Degens Spitze –
Da erscholl es: »Land!« und leuchtend
In dem Glanz der Morgensonne
Lag vor Aller Augen herrlich
Eldorados gold'ne Küste.
Dieses Land, ein Paradies war's
Ohne Schlange, reich und blühend.
Golderz glomm in Bergestiefen,
Flimmert' im Gestein, im Sande.
Milch und Honig floß in Bächen.
Stürme gab es nicht im Lenze,
Wetter nicht in Sommertagen,
[131]
Graue Nebel nicht im Herbste,
Schneefall nicht in Winterszeiten.
Gärten, Wiesen, Felder grünten
Blühten ungedüngt. Es fraßen
Keine Raupen an den Blüten,
Keine Wespen an den Früchten,
Keine Käfer an den Rinden,
Keine Nager an den Wurzeln.
Bienen hatten keine Stacheln,
Katzen hatten keine Krallen,
Rinder hatten keine Hörner,
Esel keine langen Ohren.
Keine Eulen, keine Marder
Gab es, Geier nicht noch Habicht,
Keine Hunde in den Gassen;
Keine Maden gab's im Käse,
Keine Motten im Gewande,
Keine Wanzen in den Pfühlen,
Keine Ratten in den Kellern,
Keine Mäuse in den Löchern,
Keine Läuse in den Pelzen,
Keine Flöhe in den Ohren.
Keine Würmer in den Nasen,
Keine Steine auf dem Herzen,
Keine Fliegen im Getränke,
Und kein Haar im Suppentopfe.
Friedlich lebten die Bewohner
Hin in edler Sitteneinfalt,
[132]
Ohne Haß und ohne Neid,
Ohne Ehrgeiz, ohne Zwiespalt,
Ohne Habgier, ohne Hoffahrt,
Ohne Spiegel, ohne Schminke,
Ohne Brillen, ohne Krücken,
Ohne Stelzen und Kothurne,
Ohne falsche Zähne, ohne
Falsche Culs und falsche Waden,
Ohne Schulden und Duelle,
Ohne Hörner in der Ehe,
Ohne Wortbruch, ohne Treubruch.
Nicht Verrückte, nicht Verbrecher
Gab's, noch Kranke; nur freiwillig
Starben Greise, eingerostet
War und stumpf die Parzenscheere.
Keinen Antisemitismus
Gab es hier und keine Juden,
Kein Revanchegelüste, keinen
Nationalitätenhader.
Die Bewohner dieser Gaue
Zankten niemals um des Esels
Schatten und des Kaisers Bart sich,
Zäumten nie das Pferd beim Schwanz auf,
Drehten niemals einen Sandstrick,
Machten nie den Bock zum Gärtner,
Faßten nie beim Schwanz den Aal
Und ein schönes Weib beim Worte,
Zogen niemals das unrechte
[133]
Schwein beim Ohre aus dem Koben,
Brachen über's Knie die Wurst nicht.
Und die Büchse der Pandora
Oeffneten sie nie so weit,
Daß das Unheil Zeit und Raum fand,
Mit dem Heil herauszuschlüpfen.
Keine läst'gen Dilettanten
Gab's, und keine Denkmalbettler,
Keine literar'schen Strolche,
Keine groben Droschkenkutscher,
Keinen unreinlichen Zahnarzt,
Keinen Priester, keinen Anwalt,
Keinen Arzt und Salbenkrämer,
Keine Schmeichler, keine Flegel,
Keine grämlichen Philister,
Kein verbummeltes Genie.
Ha, wie stürzten sich die gier'gen
Fremdlinge, die Kolonisten,
Ueber diese gold'nen Fluren!
Und in Schaaren strömten and're
Von der alten Welt herüber.
Bald wie Tropfen in der Meerflut
War im fremden Schwarm verschwunden
Das idyllische, das stille,
Sel'ge Volk der Ureinwohner.
Munkel aber ging an's Werk,
Im gesegneten Gelände
Ruhmvoll einen zeitgemäßen
[134]
Großen Musterstaat zu gründen.
Müh'voll war das Unternehmen,
Langsam schritt die Sache vorwärts,
Wie bei allem Großen, Schönen:
Langsam wie die Perle reift
In der Muschel, wie der Demant
In der Erde, die Versöhnung
Unter Oest'reichs Völkerschaften,
Die Kultur in Kamerun,
Und der deutsche Geist im Elsaß.
Gerne will ich euch berichten,
Wenn es nicht zu sehr euch langweilt,
Einiges von diesem großen,
Zeitgemäßen Musterstaate.
Als die oberste, die erste
Macht im Staate ward verkündet
Das Gesetz: und zur Verehrung
Ausgestellt in einem Tempel
Als Palladium, als Idol,
War's in sichtbarer Gestaltung:
Die Gestaltung eines ries'gen
Paragraphenzeichens hatt' es,
Und gefertigt war's aus Kautschuk,
Anzudeuten, daß es biegsam,
Daß es schmiegsam, – und es ließ sich
Auf den Kopf sogar auch stellen,
Ohne die Gestalt zu ändern.
Das Gesetz war Gott und Munkel
[135]
Sein Prophet. Zur Seit' ihm standen
Die Minister; hinter diesen
Stand das Parlament, und hinter
Diesem stand die Volksversammlung.
Die Partei'n im Parlamente
Nannten sich nach zweiunddreißig
Richtungen der Windesrose:
Eine Süd-Süd-Ostpartei,
Eine Nord-Nord-Westpartei auch
Gab es, u.s.w. Jede
Dieser sämmtlichen Parteien
Hatte sechs Parteiminister,
Welche, je nachdem des Windes
Richtung brachte Gunst und Ungunst,
Kamen, gingen, gingen, kamen,
Wie Figürlein aus dem Häuschen
Bei gewissen Apparaten
Nach des Wind's und Wetters Wechsel.
In den Rath der Alten theilte
Sich das Parlament – die Rechte
Der Vergangenheit vertrat er –
Und den Rath der Jungen, welcher
Stets vertrat das Recht der Zukunft:
Gegenwart blieb unvertreten.
Klein das Ohr und groß die Zunge –
Dieses galt als erstes Merkmal
Eines echten Volksvertreters.
Worte, stromweis sich ergießend,
[136]
Der Verstand nur tröpfelnd – dieses
Hatte sich bewährt als rechte,
Zweckentsprechend-prakt'sche Mischung
In dem Volksvertretungsleben.
Hohe Weisheit war's, die Stimmen
Nicht zu zählen, nein, zu wägen.
Eine kolossale Wage
Stand mit ungeheuren Schalen –
Flachen Räumen, breit wie Tennen,
Festgefügt aus eich'nen Bohlen –
In des hohen Hauses Mitte.
In die ein' und and're Wagschal'
Traten die Partei'n, die Fragen
Zu entscheiden, und es stellte
Sich heraus, daß diese Wägung
Mindestens in gleichem Maße
Stets zum Sieg verhalf dem Rechten,
Wie der alte Brauch der Zählung.
Aber der Instanzen höchste
War, sobald im Parlamente
Man das Votum abgegeben,
Des souv'ränen Volkes Stimme.
Dies versammelt' auf dem Markte,
Oder auch, bei Regenwetter,
In den Schenken sich zu letzter,
Zu endgültiger Entscheidung,
Die im Staat nicht weiter zuließ
Eine höhere Berufung,
[137]
Und die fertig ihm geliefert
Wurde von den Straßenrednern
Und den öffentlichen Blättern.
So geartet war der Grundbau
Der politischen Verfassung.
Fest- und Feiertage wurden
Abgeschafft in Eldorado,
Bis auf eins, das, hoch-bedeutsam,
Hieß das große »Affenschwanzfest«.
Dieses sinn'ge Fest, entlehnt war's
Einem Indianerstamme.
Einen Tag und eine Nacht lang
Tummelte mit aufgebund'nen
Affenschwänzen in den Wäldern
Sich, zu ewigem Gedächtniß
Ihrer Herkunft und Verwandtschaft,
Fröhlich, fessellos die Menge.
Abgeschafft desgleichen wurden
Die gewohnten Heil'gennamen,
Auf die man vordem getauft war,
Und ersetzt durch klangvoll schöne
Wissenschaftlich int'ressante.
Auf dem nächsten Balle sah man
Doktor Amphioxus Meyer
Walzen mit Monera Schmidt
Und mit Frau Gasträa Schulze.
Glänzend war des Musterstaates
Fortschritt in des Rechtes Pflege.
[138]
Die Verhandlungen entschied man
Meistentheils durch Schachpartieen
Des Vertheid'gers und des Anwalts
Der Gerichte; jezuweilen
Auch durch Boxen oder sonst'ge
Balgereien zwischen Beiden.
Bei Bestrafung der Verbrecher
Gab den Ausschlag stets die Rücksicht
Auf Naturgesetze, wie sie
Längst ermittelt die Statistik:
Daß in jeder Zeitepoche
Nach Gesetzen des Naturlaufs
So und so viel Menschen stehlen,
So und so viel sich erhängen,
So und so viel mit Injurien
Fremder Ehre nahe treten,
So und so viel ihres Nächsten
Hausfrau lieben, und so weiter.
Demgemäß nun gingen immer
Straflos aus so viel Verbrecher
Jeder Art, als in dem Genre
Das Naturgesetz erheischte
Nach statistischem Ergebniß.
Laufen ließ man so an jedem
Tage von den Taschendieben
Zeh'n, weil dieses die Normalzahl:
Doch der Eilfte ward gehangen.
Ganz auf chemisch-physikalisch-
[139]
Physiologische Prinzipien
Stützte man die Wehrverfassung
Und die Art der Kriegesführung.
Heeresmassen abzustoßen
Lehrte jetzo die Mechanik,
Und statt and'rer Schläge gab es
Jetzt elektrische im Felde.
Auch erwiesen sich im Nothfall
Nützlich Cholerabacillen,
Ungeziefer aller Arten,
Bomben, welche platzend plötzlich
Mörd'rischen Gestank entluden,
Gase, schrille Dissonanzen,
Ohrzerreißende; nebst andern
Sinnesfoltern, wie der Scharfsinn
Sie ersann, sich überbietend.
Anvertraut ward der Armeen
Oberstes Kommando jetzo
Professoren, tücht'gen Meistern
Der Chemie, Physik, Mechanik.
Im Verkehr des Handels galten
Und der Industrie die alten
Sprüchlein: »Decipi vult mundus«
»Jeder ist sich selbst der Nächste.«
Uebervortheilung vermied man
Dadurch, daß gefälschte Waaren
Man mit falschem Geld bezahlte.
Schließlich war statt wucht'ger Münze
[140]
Leichtes Werthpapier in Umlauf:
Scheine, Bons, wie man sie nannte,
Welche Zwangscours hatten, niemals
Eingelöst zu werden brauchten.
Jeder Käufer stellte solchen
Bon aus im Betrag des Preises;
Der Empfänger gab ihn weiter,
Und von Hand zu Hand so gehend,
Nützten bald sich ab die Zettel,
Bis beschmutzt, zerfetzt von selber
Sie aus dem Verkehr verschwanden.
Froh des Seinen ward der Bürger,
Steuern gab es nicht noch Zölle,
Und der Staat bestritt die Kosten
Der Verwaltung ganz mit Schulden.
In den religiösen Dingen
Herrschte Duldsamkeit; doch wieder
Eingeführt ward eine heil'ge
Hermandad für Tagesmeinung
Im Bereich der Wissenschaften:
Streng verbrannte man die Ketzer.
In der Journalistik aufging
Alles Schriftthum und die Presse
Blieb für öffentliche Meinung
Tonangebend dadurch, daß sie
Sich zu ihrer Sklavin machte.
Auf die Zuchtwahl ward gegründet
Ehe- und Familienleben.
[141]
Neugebor'ne wurden alsbald
Meist verkauft an Kinderhändler.
Wer Verlangen trug nach Kindern,
Kaufte nach belieb'ger Auswahl
Solche in der Kinderhandlung;
Namentlich in der »zum Storch«
Kaufte man sie schön und billig.
Ihrem Gatten hatte Lurlei
Als des schönsten Ehebundes
Frucht geschenkt ein holdes Knäblein,
Eldorados echten Sprößling:
Golden waren seine Härlein.
Aber, ach, obgleich der Mutter
Treues, reizend-schönes Abbild,
Todtgeboren kam zur Welt
Dieses goldgelockte Knäblein.
Anvertraut den Anatomen
Ward sein Leib, um zu ermitteln
Seines frühen Todes Ursach',
Seines Tod's noch vor dem Leben.
Und es fanden die Zerglied'rer,
Daß des Knäbleins Organismus
Unvollständig: wie ja öfters
Neugebornen dieses, jenes
Glied zu viel, zu wenig mitgiebt
Die Natur in's Leben: etwa
Vier statt fünf der Finger oder
Zehen – so gebrach dem zarten
[142]
Sprößling des erles'nen Paares,
Des Homunkels und der Nixe,
Ein gewisses für den Blutlauf
Dienliches Brusteingeweide:
Jener große, weiche Muskel,
Den wir Herz zu nennen pflegen.
Sehr zum Leide, zum Verdrusse
War es Munkel, daß er seine
Vaterhoffnung sah gescheitert:
Gern erprobt hätt' er die höher'n,
Feiner'n Künste der Erziehung
An dem eigenen Geblüte,
An dem echten Sohn und Erben.
Zum Ersatz erwarb er käuflich
Aus des Eilands Neugebornen
Einen Knaben sich, ein Mägdlein.
Reizend waren sie und rosig,
Dieser Knabe, dieses Mägdlein,
Arme und verlorne Waisen
Eingeborener Familien,
Des geringen Ueberrestes
Der verdrängten Ureinwohner,
Die noch hie und da, in stillen
Buchten Eldorados hausend,
Ein idyllisch Leben führten.
Eldo nannte sie und Dora,
Weil dem Urstamm Eldorados
Rein entsproßt, ihr Pflegevater.
[143]
Vielversprechend aufzublühen
Schien in edler Vollkraft dieses
Schönste Kinderpaar der Insel.
Eldo zu der Männer Vorbild,
Dora zu der Frauen Muster
Zu erzieh'n nach eig'nem Sinne,
Eig'nem Plan, gedachte Munkel.
Tadellos zu jener Zeit war
Lurlei's Ruf in Eldorado;
Nur daß hie und da gemunkelt
Ward im Land von einer kurzen,
Aber seltsamen Berührung
Uns'rer nixenhaften Schönen
Mit dem »fliegenden Holländer«,
Dem bekannten Geisterschiffsherrn,
Der verdammt zu ruheloser
Irrfahrt auf der öden Salzflut,
Bis ein edles Frauenwesen,
Wahrhaft liebend, ihn erlöset
Von dem bösen Schicksalsfluche.
In der That war dieser Aermste
Auf der ziellos grausen Irrfahrt
Einmal auch vorbeigesegelt
An dem Eiland Eldorado,
Hatt' am Strand erblickt die Lurlei
Ruhend auf besonnter Klippe,
Trällernd leis' ein Zauberliedchen,
Wie von ihrer Nixenzeit her
[144]
Sie zu thun noch nicht verschmähte
Manchesmal in müss'gen Stunden –
War entbrannt in heißer Flamme
Für das Weib, das zauberschöne,
Hatt' im Wahn der Leidenschaft sich
Hingegeben der Erwartung,
Dieses sei das Frauenwesen,
Das er suche, wahrhaft edel,
Und bestimmt, ihn zu erlösen.
In Gestalt und mit Manieren
Eines schmucken Kapitäns
Huldigt' er, an's Land gekommen,
Ihr, der nixenhaften Schönen.
Sich're Einzelheiten fehlen;
Doch gewiß ist, daß der Arme,
Der gespenst'ge Geisterschiffsherr,
Unerlöst, um eine bittre,
Schmerzliche Erfahrung reicher,
Eines Tag's sehr bleich zurückschlich
Auf sein Geisterschiff im Meere ...
Gleiche Rechte mit den Männern
Hatten allzumal die Frauen,
Saßen auch im Parlamente.
Lurlei hatte, muthvoll kämpfend,
Durchgesetzt in Eldorado
Lange vorenthalt'ne Rechte;
Uebernahm nun selber oft auch
Glänzende Vertrauensämter,
[145]
Würden aller Art im Staate.
Halb begannen zu verzichten
Auch auf ihre Tracht die Frauen,
Gingen gern in Männerkleidern,
Ungezwungenem Verkehr
Der Geschlechter zur Erleicht'rung.
Da indeß es umgekehrt auch
Männer gab, seltsam geartet,
Welche sich als Weiber fühlten,
Weiblich Wesen in sich pflegten,
Wurde diesen gern gestattet,
Auch zu geh'n in Weiberkleidern,
Und es ward verfügt am Ende,
Daß die Landeskinder sämmtlich
Vor der Obrigkeit, der hohen,
Einzeln hatten zu erklären,
Ob sie zu den Männern wollten
Zählen oder zu den Weibern.
Selbstverständlich war's, daß Frauen,
Welche sich für Männer gaben,
Eine Ehe konnten schließen
Mit den Ueberläufern – mit den
Männern weiblichen Geschlechtes;
Und naturgemäß dann führten
Sie das Regiment im Hause.
Mit der Heilkunst auch befaßten
Sich die Frauen, und als Regel
Wurde festgesetzt, daß Aerzten
[146]
Männlichen Geschlechts die Frauen,
Weiblichen Geschlechts die Männer
Sich erkrankend anvertrauten.
Hierdurch ward, merkwürd'ger Weise,
Fortan zwar vermehrt die Zahl
Der Erkrankungen beträchtlich,
Doch vermindert sehr erheblich
Ward die Zahl der Todesfälle.
In errungenen polit'schen
Hohen Stellungen verstanden
Es die Frau'n, der Untergeb'nen
Neigung für sich zu gewinnen,
Straften aber auch nichts strenger,
Unnachsichtlicher, als Mangel
An Ergebenheit und Treue.
In der Kriegskunst schien den Frauen
Mancher Lorber auch zu blühen,
Und in off'nem Felde sah man
Aus dem Lieblings-Tic der Frauen,
Stets das letzte Wort zu haben,
Und aus ihrer Ungeneigtheit,
Keckem Angriff feig den Rücken
Zuzukehren, Eigenschaften
Von soldatisch hohem Werthe
Sich entwickeln. –
Und nun laßt mich
Schließlich noch ein Wörtchen sagen
Von dem Leben, von dem Treiben
[147]
Der Partei'n in Eldorado.
Musterhafte Disciplin war
Eingeführt in dieses Eilands
Rührigem Parteienleben.
Jeder Einzelne – bei schwerer
Leibes- oder Lebensstrafe
War, wie billig, er verpflichtet,
Blindlings zuzuschwören einer
Von den herrschenden Parteien,
Blindlings dann in allen Stücken
Aufzuopfern jener Meinung,
Die zufällig just im Schwange
War im Schoße der Partei,
Seine bess're Ueberzeugung,
Und nichts anders sein zu wollen,
Als Partei-Kanonenfutter.
Der Zersplitterung der Stimmen
Und der unheilvollen Schwäche
Weich-rührseliger Gemüther
War gesteuert durch Gesetze,
Streng, doch wirkungsreich – wie folgt:
Wer da zu behaupten wagte,
Daß die andere Partei auch
Nur ein einzigmal im Recht sein
Könnt' in der geringsten Sache –
Fünfzig Streiche auf die Sohlen
Mit dem Bambusrohr bekam er.
Wer der Meinung, daß des Rechtes
[148]
Und der Sittlichkeit Begriffe
Gelten auch im Völkerleben,
Gelten auch im öffentlichen
Leben müßten – ward gesteinigt.
Wer behauptete, man dürfe
Auch im öffentlichen Leben
Kämpfen nicht mit allen Mitteln,
Nicht mit Lüge und Verleumdung –
Ward gesperrt in's Haus der Irren.
Wer so dreist war, eine Sache
Je von einem andern Standpunkt
Als dem Standpunkt der Partei,
Etwa dem des Rechts, der Wahrheit,
Zu erörtern – ward geköpft.
Einer, der in seinem Blatte
Einmal ließ verlauten etwas,
Dessen Kunde, wenn auch wahr, nicht
Im Int'resse der Partei lag,
Während seine Pflicht erheischte,
Im Parteiblatt einzig dessen
Zu erwähnen, was da Wasser
Auf der Mühle der Partei war,
Alles And're zu verschweigen,
Zu verdrehen – ward gerädert.
Dies die Disciplin, durch welche
Kräftig man zu steuern suchte
Der Zersplitterung der Stimmen
Und dem Schwachsinn weicher Seelen.
[149]
Traun! Heilsamen Schreckens voll
Betete im stillen Jeder:
»Mit den anderen Parteien
Werd' ich fertig; aber schütze,
Herr, mich vor den Gleichgesinnten!« –
Aufrecht stets in wünschenswerther
Schneidigkeit und Schärfe hielten
Sich im Staat die Gegensätze,
Daß so kräftigst und gesündest
Blühte das Parteienleben.
Nun geschah es, daß von jenen
Einflußreichen Straßenrednern,
Die des Volkes Urtheil lenkten,
Mächtig einer sich hervorthat,
Schwengel war in allen Glocken,
Eine Art von Strolch – die Herkunft
Unbekannt, an Rumpf und Gliedern
Zwerghaft fast, doch riesenköpfig,
Löwenstimmig, redemächtig.
Grob war er wie ein Genie,
Und galant wie ein Gorilla.
Riesig stark war er, so daß er
Einen ausgewachs'nen Ochsen
Zwar nicht auf den Berg hinauftrug,
Wie einst Milo, aber aufaß.
Nachgesagt von Feinden, Freunden
Ward ihm, daß er seine Mutter
Noch als Kind im Mutterleibe
[150]
Tödtete mit einem Fußtritt.
Aus dem Mund flog ihm das Wort wie
Stöpsel aus Champagnerflaschen,
Und sein Haupt glich eines Zünders
Phosphorköpflein – die geringste
Reibung, und er explodirte.
Demokrat vom reinsten Wasser
Und leibhaftige Verkörp'rung
Sozialistischer Prinzipien
War er in der Volksversammlung.
Gegen den, der über ihm stand,
Donnert' er: »Gleich sind wir Alle!«
Den hernach, der unter ihm,
Warf er nieder mit dem Zuruf:
»Wicht, du willst dich mir vergleichen?« –
Und sein Wort war wie die Windsbraut,
Ungeheuren Staub aufwirbelnd,
Und so feurig, wie der Samum,
Ungeheuren Brand entfachend
In den menschlichen Gemüthern:
Ungeheu're Wasserspritzen
Waren nöthig zu besprengen
Markt und Gassen und Gemüther,
Wenn er öffentlich gesprochen.
Leo Hase war der Name
Dieses mächt'gen Volksaufrührers.
Noch hatt' er die große Mehrzahl
Nicht im Volk auf seiner Seite:
[151]
Doch die Kühnsten und die Stärksten.
Die Parole, die er ausgab,
Lautete: Wir lassen uns
Nicht majorisiren!« –
Für das »Recht der Minderheiten«
Eintrat er vor aller Welt!
Einberufen eines Tages
Hatt' er auf dem off'nen Marktplatz
Eine große Volksversammlung.
Um ihn drängte dicht der Schwarm sich.
Flugs auf einer alten Tonne
Ober'n Deckel, die zufällig
Dastand in der Straßenecke,
Sprang er, und von da herunter
Schleudert' er in's Volk die wucht'gen
Donnerkeile seiner Rede.
»Hört!« so rief er; »einen Landsturm
Bin zu pred'gen ich gekommen –
Gegen die verhaßte, alte,
Schnöde Tyrannei der Mehrheit! –
Diese Tyrannei der Mehrheit
Will ich stürzen, Bahn zu brechen
Für die echte, wahre Freiheit,
Für das echte, wahre Recht;
Und dies Recht, es ist kein and'res,
(Hört!) kein and'res, als das schmachvoll
Unterdrückte, lang' verkannte,
Heil'ge Recht der Minderzahl!
[152]
Himmelschreiend ist das Unrecht,
Daß wir Andern deshalb einzig,
Weil wir in der Minderzahl,
Sklavisch uns dem Willen fügen
Sollen jener eitlen Mehrzahl!
Eine neue Staatsverfassung
Gilt's zu fordern, die gegründet
Auf das heiligste der Rechte,
Auf das Recht der Minderheit! –
Beifallsrufe zollte brausend
Die Partei dem kühnen Sprecher:
Aber greulich ihm entgegen
Lärmte die Partei der Mehrheit.
»Nein, ihr Brüder, und ihr Andern
Alle hört! Wir lassen uns
Nicht majorisiren!« –
Also zeterte der Wilde,
Stampfend auf der Tonne Deckel,
Drauf er stand.
»Wir lassen uns
Nicht majorisiren ...«
Jetzt war der Moment gekommen,
Wo, wie's Brauch in solchen Fällen,
Brach die Tonne – drauf gewartet
Hatten schon die Häscher: eilig
Stürzten sie herbei und rollten
Fort im Faß den Demagogen,
Rollten ihn bis zu des Kerkers
[153]
Pforte, die sich krachend aufthat –
Während grimmig auf dem Markt sich
Raufte Mehr- und Minderheit.
Und der Sieg – er blieb den Stärksten,
Blieb den Kecksten. Und ermuthigt
Durch den Glanzerfolg des Tages,
Achten sie nicht Schranke weiter
Noch Gesetz: vor jenen Kerker
Rücken sie in hellen Haufen,
Wo der Held in Banden schmachtet.
Und mit wildem Lärm erbrechen
Sie die Pforten und befreien
Den Gefang'nen: im Triumphe
Tragen sie auf ihren Schultern
Durch die Gassen ihn, wo schweigend
Und die Augen niederschlagend,
Hinschleicht die beschämte Mehrzahl.
Und von da an, auf der Stirne
Martyr-Glorienschein vereinend
Mit dem Lorber des Erfolges,
Feiert stolz er, mit Behagen,
Diese Himmelfahrt des Ruhmes,
Folgt dem Ruf zu großen Thaten,
Rafft sich auf zum Heldenthume.
Er bewaffnet seinen Anhang,
Rückt ins Feld, verschanzt sein Lager,
Zieht an sich viel neue Schaaren,
Um zu führen dann den Hauptstreich.
[154]
Alte Sage lebt' im Lande,
Daß in Eldorados Bergen
Reiche gold'ne Schätze ruhten.
Zwar der Insel stilles Urvolk
Hatte, harmlos-glücklich, wenig
Sich um solchen Hort gekümmert;
Doch die neuen Kolonisten
Schürften emsig nach des gold'nen
Erzes Adern im Gefelse.
Eines Kegelberges Gipfel
Ragte nah' der Inselhauptstadt,
Der, umgrünt von Rebgeländen,
Holden Friedens, reichen Segens
Stätte war seit grauer Urzeit.
Aber sieh, des hellen Goldes
Unerschöpflich reichste Mine
War zu Tage nun getreten
In desselben Berges Schoße.
Gierig strömten sie zusammen
Eldorados neue Bürger,
Auszubeuten diesen Erzschacht.
Tief einbohrte sich die Habgier
In die goldesschwang'ren Schollen,
In den Glimmerfels – vergessen
War vom Volke, und vergessen
Selbst, so schien's, vom umsichtsvollen
Neustaatsgründer, Neustaatslenker,
War von Munkel, was des Neustaats
[155]
Wohlfahrt, Sicherheit erheischte.
Dessen freute sich im Herzen
Leo Hase, der verschmitzte
Volksaufrührer, welcher lauernd
Mit dem schlagbereiten Heere
Stand im Feld. Es murrten manche
Schon der Seinen, daß vergönnt nicht
Ihnen auch es sei, zu schürfen
Ihren Antheil aus dem Goldschacht.
Aber Leo Hase sagte,
Als er Eldorados Mehrzahl,
Munkel's Arimaspenvolk,
Statt mit Eisen sich zu gürten,
Blind sah nach dem Golde hasten:
»Grabt nur nach den goldnen Körnern!
Scharrt in eures Angesichtes
Schweiß sie lechzend aus der Erde!
Wenn gesammelt ist der Segen
Und in Garben steht die Goldsaat,
Kommen wir, um sie zu holen! –
Langt nur immerhin, ihr »Reichen«,
Aus der heißen Asche für uns,
Für uns »Arme« die Kastanien –
Diese goldenen Kastanien! –
Die ihr euch gelacht in's Fäustchen
Einst, dieweil wir, eure Taschen
Füllend, blut'gen Schweiß vergossen,
Finden werdet ihr am Ende,
[156]
Daß ihr euch für uns bemühet ...«
So mit schrecklicher Geberde
Sprach der wilde Volksaufrührer
Leo Hase, und die Seinen
Brüllten Beifall in der Runde.
Unansehnlich, kampf-unmuthig
War die Streitmacht, welche Munkel
Endlich doch in letzter Stunde
Eilig noch zusammenraffte
Und mit welcher den Rebellen
Er in off'nem Feld sich stellte
Zu dem Kampfe der Entscheidung.
Und die Schlacht, sie ward geschlagen:
Eine Schlacht, nach welcher wochen-,
Mondelang die Raben litten
Und die Geier in der Gegend
An Beschwerden der Verdauung.
Was von Munkel's ganzer Streitmacht
Nicht zum Fraße ward den Raben,
War zersprengt in alle Winde.
Leider zum Entscheidungskampfe
War zu spät gekommen Lurlei's
Amazonenschaar, die kühne.
Es vernimmt mit Schamerröthen
Von des Gatten Niederlage,
Von dem Siege der Rebellen
Lurlei die beschwingte Kunde.
Sie versinkt in tiefes Sinnen.
[157]
Aber flugs nunmehr die Spitze
Selbst zu bieten jenem Kecken,
Den der Lorbeer schmückt des Sieges,
Ist sie muth'gen Sinns entschlossen.
»Lieber unterliegen,« ruft sie,
»Einem kecken Ueberwinder,
Als an eines Mannes Seite
Müssig ruh'n, der unterlegen!«
Spricht's und macht mit ihren Schaaren
Stracks sich auf, will »Fühlung« suchen
Mit dem Feind, dem trotzig-stolzen
Siegeshort der »Minderzahl«.
Und bald lagern sie einander
Gegenüber sich: der Heerbann
Der Rebellen und die Schaaren
Muthbeseelter Amazonen.
Angriff ist nicht Frauensache;
Abwehr ist der Frauen Stärke.
Und so harrt des Angriffs Lurlei
Thatlos, aber unerschrocken.
Eines Tags die Ihren mustert
Hoch auf weißem Zelter Lurlei.
Vom erhöhten Standort blickt sie
Auf die Reihen in der Runde,
Auf die Reih'n der Frauenwesen,
Die da steh'n zum Kampf gerüstet
In des Morgens frischem Glanze.
Und wie einst der Perserkönig
[158]
Bei der Ueberschau der Seinen
An des Hellesponts Gestade
Plötzlich stumm sein Haupt verhüllte,
Schwermuthsvoll begann zu weinen,
Still gedenkend, was aus dieser
Heldenmacht noch würde werden –
So auch plötzlich sah man Lurlei
Schwermuthsvoll die Stirne neigen,
Eine Thrän' im Aug' ihr blinken.
Und man fragt sie nach dem Grunde
Solcher Trauer.
Lange schweigt sie ...
Aber endlich in die Worte
Bricht sie aus mit tiefem Seufzer:
»Ach, ihr stolzen Amazonen,
Kraftbeseelt und jung und blühend,
Die ihr da so muthig steht,
Siegsgewiß, unwiderstehlich,
Reizumstrahlt – in dreißig Jahren
Alte Weiber seid ihr alle!« –
Spielend necken sich die Posten,
Unbedeutende Scharmützel
Gibt es erst, wobei gefangen
Manchmal wird ein unerfahr'nes,
Naseweises Amazönchen.
Doch indessen sann im Stillen
Kecklich der Rebellenführer,
Und nicht minder schlau als keck,
[159]
Zu entscheiden rasch die Dinge:
Plante nächt'gen Ueberfall.
Sehenswerth, traun, werth der Schild'rung,
War das Amazonenlager.
Wie Stecknadeln sonst wohl zahlreich
In der Frau'n Gewandung stecken,
D'ran gar leicht sich ritzt den Finger,
Wer da küssen will und kosen:
Also staken diese muth'gen
Kriegerinnen voll von Dolchen,
Von Revolvern, von Geschossen,
Dynamitpatronen – wehe!
Losgeh'n sie, ha, explodiren,
Wenn ein Finger sie berührt! –
Abends machen sie indessen
Sich's doch gern bequem ein wenig.
Und des Zeitvertreibes halber
Nach dem Strickzeug greift die eine,
And're nähen, and're sticken.
Hei, welch' buntes Durcheinander
Weiblichen Geräths mit Erzwehr!
Zarte Nadeln, scharfe Lanzen –
Seifen- und Kanonenkugeln –
Pulver für die Feuerrohre,
Poudre, sich zu schminken – Salben,
Um die Wunden einzureiben,
Duftige Pomadetöpfchen! –
Lurlei hatt' in freien Stunden
[160]
Sich beschäftigt mit Entwürfen
Von kleidsamen Toiletten
Für sich selbst und für die Ihren:
Von »Vorposten-Toiletten«,
Von »Wachtstubentoiletten«,
»Morgen-Lagertoiletten«,
»Angriffs-«, »Abwehrtoiletten«,
»Fühlungs-«, »Ueberfallstoiletten«,
»Busch- und Hinterhaltstoiletten«,
Und so weiter.
Nebenbei auch
Wohl erörtert sie im enger'n
Kreis der näher ihr Vertrauten
Pläne, die sie hegt im Geiste:
Nach dem Sturze der Rebellen
Sich nicht mehr mit gleichem Rechte
Zu begnügen vor den Männern,
Die so schmählich unterlagen.
Schwatzhaft ausgemalt dann werden
All' die tausend Konsequenzen,
Welche knüpfen an den Vorrang
Sich des weiblichen Geschlechtes.
Eben herrschend war im Lager
Lurlei's wiederum ein solches
Reizendes Sichgehenlassen.
Später Abend war's. Die Haare
Hatten eingedreht die Meisten
Schon in Wickeln, und in blankem
[161]
Négligée die Schönen saßen,
Standen, lagen, wie sich's fügte.
Unterdessen hatte lauernd
Unter eines dichten Nebels
Schutz durch's Buschwerk der Rebellen
Horde sich herangeschlichen.
Unerwartet, unbegreiflich,
Wie gefallen aus den Wolken,
Oder wie dem Grab entstiegen,
Stand mit einemmal die Meute
Dunkler, bärtiger Gesellen,
Finster blickend, höhnisch grinsend,
Ihre Wehr bedrohlich schwenkend,
Mitten unter den entsetzten,
Schreckensblassen Amazonen.
Sollten sie nach ihren Kleidern
Greifen oder nach den Waffen?
Sollten sie sich lieber leiblich,
Lieber taktisch und strategisch
Blößen geben vor dem Feinde?
Rathlos schwanken sie – von guten
Kopien der medizä'schen
Venus wimmelt's in der Runde.
Es verschmähten auch die Meut'rer
Ihre Waffen zu gebrauchen.
Suchten, froh des ausgezeichnet
Raschen, glänzenden Erfolges
Dieser kühnen Ueberrump'lung,
[162]
Sich auf guten Fuß zu setzen
Mit den Zorn- und Schamerglühten.
Halfen ihnen schließlich selber
Zu ergänzen die Toilette,
Trösteten die, welche schluchzten,
Riefen neu zurück in's Leben
Jene, die in Ohnmacht fielen.
Aber manches Mannweib gab es
In der Meut'rerhorde Leo's,
Männlicher als all' die andern
Wilden bärtigen Gesellen.
Diese Ueberläuferinnen
Des Geschlechts, sie warfen frech sich
Auf die armen, überraschten
Einstigen Geschlechtsgenossen,
Grüßten sie mit Hohngelächter
Und mit unverschämten Küssen,
Bis die Männer, schamerröthend,
Sie mit manchem derben Faustschlag
Nach dem Hintergrunde trieben.
Friede ward indeß geschlossen
Zwischen Lurlei und dem Führer
Der Rebellen, und vereinbart
Die Artikel des Vertrages.
Freier Abzug für das ganze
Wack're Heer der Amazonen,
Lurlei einzig ausgenommen,
Ward gewährt, mit der Bedingung,
[163]
Daß man sich gedulden solle
Bis zum Morgen mit dem Aufbruch.
Als so leidlich überwunden
War der erste Schreck der Frauen
Und die Scham der Niederlage,
Wurde viel gezecht, geschmaus't,
Viel gesungen auch, und schließlich
In den Zelten und im Freien –
Es war eine schöne Mondnacht –
Auch getanzt. Bei fortgeschritt'ner
Laune bildeten sich Pärchen
Zwischen Siegern und Besiegten,
Und es ward nun viel geplaudert,
Viel gelacht, und auch geschäkert
Hie und da an trauter Stelle,
Und es schluchzte Keine mehr,
Keine fiel nun mehr in Ohnmacht,
Während Lurlei die Artikel
Des Vertrags in's Reine brachte
Mit dem Führer der Rebellen,
Der sich fügsam zeigt' in Allem,
Nur nicht darin, mit den andern
Frau'n auch Lurlei frei zu geben.
Und so herrschte denn ein leidlich
Einvernehmen, bis die Sieger
In die Haare sich geriethen
Und sich zwischen ihnen selber
Kleine Prügelei'n ergaben,
[164]
Wenn sie über die Bewachung
Und die sonstige Behandlung
Ihrer weiblichen Gefang'nen
Eins zu werden nicht vermochten.
Lurlei, die vor Scham und Aerger
Einen Dolch in's Herz im ersten
Augenblick sich stoßen wollte,
Dann mit dem Rebellenführer
Aufgesessen war die Nacht durch,
Ueber des Vertrags Artikel
Im Detail sich zu verständ'gen,
Lernte kennen, lernte schätzen
Nebenbei in diesem Führer
Einen Mann auch von Charakter,
Energie, gewalt'gen Gaben.
Und da Munkel nun gestürzt war,
Nah' der Untergang des Reiches,
Galt es in das bitt're Loos sich
Der Gefangenen zu schicken
Und dem neuen Stern zu folgen,
Wohin er sie führen würde.
Nach der Hauptstadt bricht am Morgen
Auf mit seinem sieggekrönten
Heerbann der Rebellenführer,
Um sie in Besitz zu nehmen:
Sie mitsammt der gold'nen Beute.
Auf dem Wege kommt entgegen
Ihm ein wunderbar Ereigniß.
[165]
Nach der heiter'n Kriegskomödie,
Kriegsidylle dieser Nacht,
Welch' ein tragisches Geschehen!
Welch' ein riesiges Verhängniß!
Jener hohe Bergeskegel,
Der gelegen nah' der Hauptstadt,
Und in dessen tiefste Schachte
Eingewühlt sich maulwurfartig
Die Begier nach lichtem Golde –
Dieser Berg beginnt nun plötzlich
Tief in seinem Grund zu beben
Und zu donnern – aufzusperren
Einen ries'gen Flammenrachen.
Rauchgewölk erst wallte, Asche
Rieselte, Glutfunken stoben,
Und zuletzt sein Gold in glühend
Heißen, in geschmolz'nen Massen
Wirft er aus! – Gold ist die Lava
Dieses neuen Feuerkraters,
Welche theils wie Regenfluten
Aus den Lüften niederprasselt
Auf die Stadt und auf das Eiland,
Theils in gelben Feuerströmen
Sich hinunterwälzt in's Flachland,
Ueberschwemmend und versengend.
Viele kommen um im Kampfe
Mit den gold'nen Flammenwogen.
Aber die noch leben, stürzen
[166]
Mit unsäglicher Begier sich
Auf die Goldflut – in Gefäße
Schöpfen sie den Schatz, und Jeder
Rafft an sich, was er vermag –
So entspinnt ein grimmer Kampf sich,
Und schon mischt sich Blut dem Goldstrom.
Auf des Volks verwirrt Getümmel
Mit der wohlbewahrten Heerschaar
Wirft sich der Rebellenführer,
Drängt zurück es von der Stätte,
Wo der Goldschatz gleißend lockt –
Doch nun stürzen auch die Krieger
Blindlings auf die blanke Flut sich,
Achten nicht Befehl, noch Mahnung,
Kämpfen, tödten sich im Wettstreit –
Raserei und Wahnsinn herrschen.
Munkel hat, wie all' die Andern
In des Golddursts wildem Fieber
Sich gestürzt in diesen Wettkampf.
Er mit Wenigen noch rettet
Sich zuletzt in schwanken Booten
Auf das Meer hinaus – doch hier auch
Würgen, tödten sie einander
Um des gelben Erzes willen,
Das an sich gerafft sie flüchtend.
Mit dem ros'gen Kinderpaare
Eldo, Dora, an der Seite,
Kehrt zurück aus Eldorado,
[167]
Kehrt zurück zur alten Heimat
Unser Held, der schwer geprüfte,
Aufbehalten zu noch ander'n,
Zu noch größeren Geschicken.
Und so hat das sel'ge Goldland
Diesem fremden, übermüth'gen,
Unersättlichen Geschlechte
Seinen Goldschatz flammenlodernd
In den gier'gen Schlund gegossen –
Rächend so das paradiesisch-
Schöne Dasein auf dem Eiland,
Welchem sie gemacht ein Ende.
[168]

7. Gesang: Die Affenschule

Siebenter Gesang.
Die Affenschule.

Nach so trauriger Erfahrung
Sah nun wohl der edle Munkel,
Daß nicht viel mehr anzufangen
Mit der gegenwärt'gen Menschheit,
Daß sie welk und abgestanden
Und verderbt bis in die Knochen.
Kam daher auf den Gedanken,
Sich für seinen Zweck ein and'res,
Taugliches Geschlecht von frischen,
Unverdorb'nen Lebewesen
Allgemach heranzubilden.
[169]
Erst verfiel er auf die Wilden,
Auf die Kaffern, Hottentotten,
Auf die Indianerstämme.
Doch es bracht' ein ihm sehr werther,
Höchst intelligenter Affe,
Den er hielt in seinem Hause,
Ihn auf die Idee, es lieber
Zu versuchen mit den Affen,
Die ja ein gewisses Anseh'n
Schon genossen auch in seinem
Musterstaat als Stammesväter
Unsres sterblichen Geschlechtes.
Zu vernünftigen Geschöpfen
Würden sie sich bald entwickeln,
Dacht' er, wenn man ihnen gäbe,
Was bisher sie schwer entbehrten:
Sprache, Wissenschaft, Erziehung!
War die Menschwerdung des Affen
Denn ein Traum? War dargethan sie
Nicht geschichtlich als gelungen
In dem Lauf der Jahrmillionen
Auf dem Wege der Entwicklung?
Jetzt auf kürzer'm, rascher'm Wege
Den Prozeß zu wiederholen,
Zu vermenschlichen den Rest auch
Dieser altehrwürd'gen Rasse –
Munkels genialer Plan war's.
Stracks in einem affenreichen
[170]
Lande ging er d'ran, zu gründen
Eine große Affenschule,
Neben welcher Filialen
Zahlreich blühten. Auch in and're
Affenländer ausgesendet
Wurden Affen-Missionäre,
Affenfänger, Affenjäger,
Affentreiber, zuzuführen
Munkels hoher Affenschule
Vielversprechende Talente.
Edle Frauen strickten Socken,
Nähten Jacken für das neue,
Sprossende Geschlecht der Brüder.
Zu des löblichen Kulturzwecks
Förd'rung wurde rasch gegründet
Eine Aktiengesellschaft,
Und wie vordem zur Bekehrung
Schnöden Heidenvolks man auszog
Mit der Bibel, mit dem Schwerte,
Jetzt mit Fibel und mit Bakel
Zog man aus, bekehrungseifrig,
Um die Affen zu gewinnen
Für das Himmelreich der Bildung.
Und gelehrig war der Affe,
Lernte sprechen, lernte lesen,
Schreiben, singen, musiziren,
Lernte turnen, lernte tanzen.
Hei, wie drängten gaffend, lauschend,
[171]
Zu den Affenschulpalästen
Sich die Leute, zuzuhören
Vor den Fenstern, wie da drinnen
Sich die muntern Affenjungen
Mit Gezeter und mit Lärmen
In den vierundzwanzig Lauten
Uns'res Alphabetes übten! –
In der Kunst, der wunderbaren,
Welche endlich doch erfunden
Unser leuchtendes Jahrhundert:
Auszusprechen, was so viele
Tausend Jahr' als unaussprechbar
Galt: den Mitlaut ohne Selbstlaut –
In dem Hauchen, Pfauchen, Prusten,
Zischen, Schnalzen der Lautirkunst
Zeigten sich die Affenkinder
Menschenkindern überlegen.
Ueber Unruh' nur beklagten
Sich der Affenschule Meister,
Denn es rissen diese edlen
Sprößlinge von den gewissen
Angewöhnungen der Rasse
Schwer sich los: von der, zum Beispiel,
Ueberall emporzuklettern.
Auch vergaßen sie zuweilen
Sich so weit, in langen Stunden
Ernsten Unterrichts einander
Abzufangen Ungeziefer,
[172]
Machten auch wohl gar in tollem
Schwarm sich über den Erzieher
Her, um ihm den Kopf zu lausen. –
Als gebildet nun die Affen,
Machten Konkurrenz den Menschen
Sie auf jeglichem Gebiete.
Zu den schönen Künsten waren
Trefflich sie durch angebornes
Nachahmungstalent befähigt.
Ohne Gleichen – selbstverständlich –
Waren sie als Bühnenkünstler,
Unternahmen Gastspielreisen
Mit dem glänzendsten Erfolge.
Posse, Lustspiel, Operette,
Parodie – war ihr Gebiet.
Kabinets- und Meisterstücke
Drastischer und feinster Komik,
Wie man nie sie schaute, waren
Die Gesichter, die sie schnitten.
Weitberühmte Liedertafeln
Hatten sie – Brüllaffen waren
Die Solisten, und sie schlugen
Hie und da bei Preiswettsingen
Menschliche Gesangvereine.
Paviane, faunisch grinsend,
Bildeten sich aus zu Stutzern,
Eleganten Pflastertretern,
Gaben auch auf Bällen flotte
[173]
Tänzer ab, und das galante
Wesen, das sie kecklich zeigten
Bei den Frauen, war zum Theile
Sehr nach dem Geschmack der Letztern.
Was die Affenfrauen anlangt,
Thaten sie den Menschenfrauen
Bald es gleich und bald zuvor auch
In der Kunst des Kokettirens.
Immer modisch sich zu kleiden,
Wer verstünde Solches besser
Als ein Affe? Sie verstanden
Sich mit Zierrat zu behängen,
Und mit Quasten, Bändern, Schleifen
Selber der partie honteuse
Ihrer Leiblichkeit, den Schwänzen,
Reizend-holden Schmuck zu leihen.
Selbstverständlich gab es Affen,
Welche literarisch thätig,
Affen, welche Bücher schrieben,
Rezensirten, redigirten.
Selbst an hohen Schulen lehrten
Sie, und Einer, Namens Krallfratz,
Bracht' es vom Privatdozenten
Zum Rector magnificus.
Immer tiefer sank der Mensch,
Immer höher stieg der Affe,
Hohe Stellen leicht erklimmend
Mit der Flinkheit seiner Rasse.
[174]
Und er hatte auch im Wedeln,
Wo am Platze war das Wedeln,
Viel voraus als Langgeschwänzter.
So weit kam's zuletzt, daß mancher
Mensch, um Carrière zu machen,
Sich für einen Affen ausgab,
Ein sich schlich in Aemter, Würden,
Bis zuletzt heraus sich stellte,
Daß er von Geburt ein Mensch:
Wurde dann aus seiner Stellung
Meist gejagt mit Schimpf und Schande.
War's ein Wunder, daß den Menschen,
Welche noch auf sich was hielten,
Endlich überlief die Galle
Bei des Affenhochmuths Treiben?
Auch nicht zu verwundern war es,
Daß aus Neid die andern Thiere
In dem Wettstreit zwischen Menschen
Und dem Affenthum Partei
Für die Ersteren ergriffen.
Namentlich verhaßt den Hunden
Waren diese Parvenus,
Und den Katzen, edlen Thieren,
Ausgezeichnet stets durch Treue
Und durch echt erprobte Freundschaft
Für den Menschen. Wo sie konnten,
Schnappten Köter nach den Waden,
Wollte sagen nach den Beinen
[175]
Edler Affen, und geputzten
Stolzen Affenfrauen wurde,
Wenn in Modetracht sie prunkten,
Auf dem Marktplatz, in den Gassen,
Von den Krallen böser Katzen
Arg zerfetzt die seid'ne Schleppe,
Ja, wenn sie's nicht wollten leiden,
Ueberdies zerkratzt das Antlitz.
Doch was half's? Die Affen dünkten,
Angelangt auf solcher Höhe,
Sich erhaben über Menschen.
Nicht zufrieden, daß mit diesen
Gleiches Recht sie nun genossen,
Strebten heimlich erst, dann offen
Sie den Vorrang anzumaßen
Ihrem eigenen Geschlechte.
Fragten, was der Mensch vor ihnen
Denn voraus zu haben glaube?
Etwa seine Hinterbacken?
Diese gönnten sie ihm gerne! –
In des Dünkels schnödem Ehrgeiz
Protestirten sie sehr lebhaft
Gegen den bekannten Lehrsatz,
Daß der Mensch vom Affen stamme.
Anfangs schienen sie geneigt noch,
Diesen Lehrsatz umzukehren.
Doch da kam ein Stammesbruder
Fern aus Indien, aus Benares,
[176]
Wo sich göttergleich verehrte
Affenschaaren lärmend tummeln
In den Tempeln, um die Säulen,
Und mit Stolz heruntergrinsen
Auf die Frommen, die vor ihnen
Betend liegen auf den Knieen.
Einer dieser heil'gen Affen,
Der auf Reisen war gegangen,
Wünschte von der Stammesbrüder
Neuem Fortschrittsreich, von welchem
Bis nach Indien gedrungen
War der Ruf, genaue Kunde
Einzuzieh'n an Ort und Stelle.
Und empfangen ward mit hohen
Ehren dieser edle Fremdling,
Ward gefeiert mit Banketten,
Wo man sich erging in Reden,
Zahllos Toaste widerhallten.
Ein gelehrter Orangutang
Trat hervor mit einer Festschrift
Zu des hohen Gastes Ehren,
Und nachwies in dieser Schrift er,
Daß längst göttliche Verehrung
Vom Geschlecht der Menschenkinder
Dem Sylvanenvolk gebührte,
Auch gezollt ihm ward im grauen
Alterthum von den Aegyptern,
Arabern und Afrikanern.
[177]
Aus den ind'schen Heldenliedern,
Uraltheil'gen, wies er nach,
Was von Hanuman sie melden,
Der mit seinen Affenschaaren,
Hohen Sinnes voll, zu Hilfe
Zog dem Sonnenhelden Rama,
Und der jetzt in Indertempeln
Glorreich thronet neben Wishnu.
Er erwähnte, wie vor Zeiten
Malabar'n und Ceylonesen
Zahlten siebenhunderttausend
Stück Dukaten für den einen
Heil'gen Zahn aus Affenmunde,
Den in Andacht sie verehrten,
Und der glaubenslosen Fremden
War gesallen in die Hände.
Er bewies nicht minder gründlich,
Daß selbst von den Griechen, Römern
Waren hochverehrt die Affen,
Hochverehrt als Waldgottheiten,
Als Sylvane, Faune, Satyrn,
Und daß Pan, der große Pan,
Nicht der Waldgottheiten größter
Bloß, nein, aller Götter größter,
Was sein Name schon bedeutet.
Facta solcher Art citirte
Noch zu Hunderten der Autor,
Und fuhr fort dann, zu beweisen,
[178]
Daß anjetzo mehr als je
Dem Sylvanenvolk gebühre
Hohe göttliche Verehrung.
Und da es, wie klar ersichtlich,
Von den alten Göttern stamme,
Selber göttlich, sei es kecke,
Wind'ge Prahlerei der Menschen,
Wenn sie ihrerseits sich gleicher
Herkunft rühmten mit den Affen.
Stammten wirklich sie von diesen,
Wie sie jetzt so gerne sagten,
Könnten sie nur als entfernte
Und entartete, verkomm'ne
Sprossen gelten dieses edlen,
Dieses göttlichen Geschlechtes.
Ungeheuer war, Epoche
Machend, dieses Buches Wirkung
Und erregte eine Hochflut
Nationalen Selbstbewußtseins,
Patriotischer Begeist'rung
Im gesammten Volk der Affen.
Nannten fortan sich Sylvane,
Satyrn, Faune, Waldesgötter.
Für die Lande, wo sie herrschten,
Ward erneut der alte Name
Jenes alten, fabelhaften
Affenreichs »Lemuria«.
Unsern Ausdruck »bestialisch«,
[179]
Den verbaten sich die Affen,
Nannten das, was wir so nennen,
Fortan »menschlich« und »human«.
Lange Zeit sah mit geheimem
Stolze Munkel auf die großen,
Auf die glänzenden Erfolge
Der von ihm in's Werk gesetzten
Bildung, von ihm angebahnten
Gleichberechtigung des äff'schen
Mit dem menschlichen Geschlechte.
Aber unter den Gelehrten
Menschlichen Geschlechts, die schnöd' sich
Sah'n verdrängt aus ihrer Stellung
Durch des Faunenvolkes Aufschwung,
War ein Mann auch, den wir kennen,
Dessen Hochverdienst wir schätzen.
Kein Gering'rer war's, als jener
Hohe Meister der Retorte,
Munkels chemischer Erzeuger!
Ja, verdrängt von seinem Lehrstuhl
War der Stoff- und Kraftgebieter,
War der Magier, Wunderthäter,
Und ersetzt durch einen eitlen
Affengecken – Doktor Krallfratz
War sein Name –, welcher auch schon,
Wie verlautete, als thät' er
Es zum Hohne seinem Vorfahr,
Sich vermaß, auf chem'schen Wege,
[180]
Elemente bindend, lösend,
Einen Affen zu erzeugen,
Einen Simiunkel! – Grimmig
War der Haß, den der Verdrängte
Warf auf seinen Nebenbuhler;
Grimm'ger, den er warf auf Munkel,
Den er selbst erzeugt, und der nun
Den Erzeuger in's Verderben
Stürzte mit so vielen Andern
Durch des Affenthums Entfess'lung.
In Gedanken saß versunken
Eines Tages Munkel. Plötzlich
Vor ihm stand der greise Meister,
Stand der Kraft- und Stoffgebieter,
Stand vor ihm mit vorwurfsvollem,
Zornerglühtem Blick, vor welchem
Munkel niederschlug die Augen.
Und mit lautem, hartem Vorwurf
Anhub jetzt der würd'ge Alte:
»Hab' ein Wort mit dir zu reden,
Freund und Gönner du der Affen,
Ha! von welchen wahrlich du nicht
Stammst, Gebilde meiner Hände!
Ja, Gebilde meiner Hände!
Wen'ger als mein Sklave bist du!
Bist mein Machwerk – folglich bist du
Auch mein Eigen – meine Sache!
Kann verschenken dich, verschachern,
[181]
Kann in Käfig oder Bude
Zeigen dich für Geld auf Märkten,
Oder in den Schrank dich werfen,
Zu den andern Präparaten;
Kann in Spiritus dich setzen,
Stellen dich wie ein Skelett
In den Winkel meiner Stube!
Dich vernichten kann ich straflos,
Wenn es mir beliebt, so wie ich
Dich erschuf! Nicht ein natürlich
Menschenkind wie Andre bist du,
Und deshalb auch unter'm Schutz nicht
Menschlicher Gesetze stehst du.
In den Tiegel, wenn's beliebt mir,
Werf' ich dich zum dritten Male,
Peitsche dich durch hundert todter
Stoffe Bindung, Lösung: gebe
Dich zurück dem Born der Stoffwelt
Noch einmal, und rastlos treiben
In dem Wirbel der Atome
Magst du maniges Jahrtausend,
Bis der Zufall dich zusammen
Wieder fegt zum Lebewesen!
Her zu mir! folgst du nicht willig,
Thu' ich kund, was, zu gefällig,
Ich bisher verschwieg, und ford're
Dich zurück von den Gerichten
Als mein Eigen, meine Sache!« –
[182]
Im Gesichte Munkels kämpften
Bei dem »Her zu mir!« des Greises
Alle Farben: ein Erröthen,
Ein Ergilben, ein Ergrünen
War's, bis all' die farb'gen Schatten
Optisch-regelrecht verschmolzen
In ein kreideweiß Erblassen.
Doch zuletzt sich neu ermannend,
Nach gedankenvoller Pause
Muthiger das Haupt erhebend
Und mit scharfem Blicke messend
Seinen grollenden Erzeuger,
Sprach er dumpf, gemess'nen Tones:
»Hast du Kunde nicht vernommen
Von Mohammed, dem Profeten,
Weshalb er in Thon, in Farben
Nachzubilden Menschenwesen
Streng verboten seinem Volke?
Weil die Statuen, die Bilder,
Lehrt' er, von dem Mann, der frevelnd
Nachgeäfft die schöpferische
Gottesurkraft, Menschen formend,
Vampyrgleich, gespenstig, plötzlich
Vor ihn treten, eine Seele
Von ihm heischend – eine Seele,
Und da er, der Stümper, ihnen
Diese nicht vermag zu geben,
In geheimnißvoller Art sich
[183]
An ihm rächen, Unheil bringend,
Und ihn ins Verderben stürzend! –
So verachte denn auch du nicht
Dein Geschöpf, o weiser Meister!
Denn es könnte, sich ermannend,
Ueber's Haupt dir wachsend, heischen,
Was du nicht vermagst zu geben.
Könnte Rache an dir nehmen,
Statt gehofften Dank zu zollen,
Könnte dir auch Unheil bringen!
Besser mag's darob uns ziemen,
Daß wir uns die Hände reichen,
Besser, daß wir Frieden schließen
Und den alten Bund erneuern!« –
Nicht ganz wirkungslos verhallten
In des greisen Hörers Ohren
Des Homunkels dumpfe Worte.
Schweigend schlug er ein, als Munkel,
So die Friedenshand ihm reichend,
Bat, das Schweigen zu bewahren,
Das mit blanken Rollen Goldes
Vorlängst er von ihm erkaufte.
War bekannt auch, daß geschaffen
Der gelehrte Tausendkünstler
Einen lebenden Homunkel,
Niemand wußte, niemand ahnte,
Wer er sei und wo er weile,
Dieser lebende Homunkel.
[184]
Zu bewahren dieses Schweigen
Fernerhin so wie bisher auch,
Bat nun Munkel den Erzeuger,
Und dafür mit feierlichem
Schwur gelobt' er, kühn entgegen
Fortan sich mit allen Kräften
Aeff'schem Uebermuth zu stellen.
Bald nachher bei einem großen
Satyrfestmahl wurden Reden,
Unverschämt und feind den Menschen,
Wie sie üblich nun, gehalten.
Mit geheucheltem Bedauern
Aeußerte sich ein Gorilla,
Daß der Niedergang des Menschen
Unleugbar – und auch nicht minder
Unaufhaltsam: sei in manchen
Gegenden er doch verdummt schon
Völlig und verthiert und friste
Nur als Hausthier noch sein Leben
In bemittelten Familien
Edler Faune. Als Beweis dann
Unverdienten, selbstlos-milden
Sinns von Seiten der Sylvane
Gegen dieses undankbare
Menschliche Geschlecht erwähnt' er,
Daß gebildet in den höher'n
Faunenkreisen jüngst ein großer
»Philanthropischer Verein« sich,
[185]
In Betracht zu zieh'n, mit welchen
Mitteln wieder aufzuhelfen
Dem gesunkenen Geschlechte,
Und es wieder zuzuführen
Einer höhern Bildungsstufe.
Von den Meisten ward verfochten,
Schuld an dem Verfall der Menschheit
Sei die Fleischkost. Denn die Affen,
Seit so mächtig sie geworden,
Meinten, weil sie selbst, als Affen,
An die Pflanzenkost sich hielten,
Sollten auch die andern Thiere,
Menschen, Löwen, Adler, Fische,
Lurche, Würmer und Insekten
Sich's versagen, Fleisch zu essen.
Kurzweg ward gestellt der Antrag,
Daß man alle Thiergeschlechter,
Und zumal den Menschen, zwinge,
Auch in diesem Punkt dem edler'n
Brauch, dem reineren Gesetz sich
Des Sylvanenthums zu fügen.
Diesen höhnisch dreisten Neu'rern
Trat entgegen Munkel; schüchtern
Wagt' er es, in wohlgesetzter,
Läng'rer Rede zu betonen
Unmaßgeblich Dies und Jenes,
Und die Freunde, die so Vieles,
Die schier Alles ihm verdankten,
[186]
Zur Bescheidenheit zu mahnen.
Ob des wohlgemeinten Zuspruchs
Zürnten ihm die Uebermüth'gen;
Und die ihn zuvor gepriesen
Als des Satyrvolks Prometheus,
Schalten jetzt ihn Ignoranten,
Tropf und Schwachkopf. Was er wolle?
Sei er doch am Ende selber
Nur ein Mensch – noch lang' kein Affe!
Mehr noch. Man begann zu munkeln
Allgemach schon, daß der große,
Stolze Munkel – ein Homunkel;
Daß ihn nicht der »Storch« gebracht,
Daß er – wie so mancher And're –
Nicht der Sohn sei seines Vaters.
And're endlich sprachen gar ihm
Die organische Natur ab
Und erklärten ihn für einen
Ganz gemeinen Automaten.
Diese Letzter'n, von frivoler
Neugier aufgestachelt, machten
Frech und boshaft einen Anschlag,
Ihn in Stücke zu zerlegen:
Wollten so gemach sein inn'res
Trieb- und Räderwerk studiren
Und es dann als alt Gerümpel
Werfen auf den Kehrichthaufen –
Während Jene, die ihn gelten
[187]
Ließen doch als Organismus,
Als gelungenen Homunkel,
Sich damit begnügen wollten,
Auf der anatom'schen hohen
Schule ihn vivisektorisch
Zu behandeln, dann als Mumie
Seinen Leichnam zu verwahren
In dem städtischen Museum,
Für die Nachwelt zur Belehrung.
Solcher Undank ist der Welt Lohn!
Mit genauer Noth entzog sich
Diesen tück'schen Plänen Munkel
Durch die Flucht.
Auch von den Menschen
Sah er jetzt sich angefeindet
Mit Erbitt'rung. Sein Bemühen,
Einst als genial gepriesen,
Dess' Gelingen ihn zum Heros
Aller Zeiten schien zu machen:
Zu vermenschlichen den Affen –
Dieses selbe kühne Wagniß
Ward geschmäht nun als mißlungen
Vom erboßten Menschenvolke;
Als mißlungen, ja, so schmählich,
Wie es stets mißlingen müsse,
Wenn der Meister ein Homunkel.
Zwar gebildet, hieß es, seien
Nun die Affen, doch sie seien
[188]
Immer Affen doch geblieben:
Und dies gelte sowohl physisch
Als moralisch: denn sie hätten
Kein Gemüth, und was ihr Aeuß'res
Anbelangt, trotz aller Bildung
Sei ihr fratzenhaftes Antlitz
Schöner um kein Haar geworden.
Boshaft, tückisch sei der Affe,
Wie er es nur je gewesen;
Ja, die thier'schen Eigenarten
Seiner Rasse fielen jetzo
Mehr in's Aug' als je, bewährend
Jenes altbekannte Sprüchlein,
Daß, je höher steigt der Affe,
Um so besser man gewahr wird
Seine schwielenreiche, nackte,
Widerwärt'ge Hinterseite.
Weise und erfahrne Männer
Sagten, still die Köpfe schüttelnd,
Affenthum, summirt mit Bildung
Und mit Wissen, gebe lange
Noch kein echtes Menschenthum.
Auf dergleichen neid-entspross'ne,
Ehrenrührige Sarkasmen,
Hatten Hanumans, des großen
Affen, Enkel keine Antwort,
Als ein würdevolles Grinsen.
Ach, der arme Munkel hatte
[189]
Mit dem großen Ungemache,
Das so schlecht den Kampf ihm lohnte
Für der Thierwelt höher'n Aufschwung,
Noch das klein're zu verwinden,
Das ihn traf im engsten Kreise.
Auch bei Eldo, Dora blühten
Keine Rosen dem Erzieher.
Mit des Wissens feinstem Manna
Wurden sie genährt – gefegt ward
Aller Wahn aus ihren Seelen,
Alle Phantasie'n, Gefühle,
Schwärmerei'n der Kindheit wurden.
Ausgetilgt schon in der Wiege
Bei den zarten Menschenknospen:
Doch vergebens; denn die Art,
Die Natur, die angestammte,
Dieses Knaben, dieses Mägdleins,
Widerstrebte dem Bemühen,
Und es war das Endergebniß
Nicht im Sinn und Geiste Munkels.
Voll Natürlichkeit und Einfalt
Blieben beide, naiv-unschuldig,
Blieben schüchtern stets und blöde,
Waren frühreif nicht, noch altklug;
Thaufrisch blühte Dora, niemals
Litt an Bleichsucht, Hysterie sie;
Unverschämt gesund war Eldo.
Und sie liebten sich so zärtlich!
[190]
Liebten sich, wie Kinder lieben!
Munkel zürnte – trug's nicht länger,
Stieß das unverbesserliche,
Blöde Paar aus seinem Hause.
Ackerbauern übergeben
Wurden sie in fremder Gegend –
Ach, getrennt, zu ihrem Leide! –
Fortan selbst auch hinter'm Pfluge,
Hinter einer Lämmerherde,
Hinter Webstuhl oder Spindel
Ihren Unterhalt zu suchen.
Aber auch das Volk der Faune
War nicht glücklich stets in weitaus-
Sehenden Erziehungsplänen.
Sie bedünken wollt' es schließlich,
Als ob eins nur ihnen fehle
Noch, den stolzen Sieg zu krönen
Ueber alle Erdenkinder:
Flügel wünschten sie zu haben!
Flügel, um sich aufzuschwingen
Kühn, wie sonnentrunk'ne Adler,
Ueber dieses an die Scholle
Festgebannte, auf zwei Beinen
Torkelnde Geschlecht der Menschen.
Da kam Munkel's genialem
Nebenbuhler, jenem Krallfratz,
Der Gedanke, seiner würdig:
Eine höhere, beschwingte
[191]
Faunenspezies zu züchten.
Und indem er einen Eh'bund
Zwischen einem Orangutang
Schloß und einem Drachenweibchen,
Ward erzielt aus solcher Ehe
In der That ein Flügeläffchen,
Welches vorderhand, als Säugling,
Drollig und possierlich aussah.
Füße, Hände wie sein Vater
Hatt' es, Flügel wie die Mutter,
War verseh'n mit einem schönen,
Langen, schupp'gen Drachenschwänzchen!
Welch' ein Jubel in Lemurien!
Die gediegensten Erzieher,
Die gelehrtesten, die klügsten
Lehrer wurden aufgeboten,
Den geflügelten Sylvanen,
Seines Volkes Stolz und Hoffnung,
Zu der Bildung Meisterstück,
Der Gesittung höchstem Wunder
Zweifellos heranzubilden.
Aber ach, der Satyrsprößling,
Der aus eines Flügeldrachens
Mutterschoß an's Licht geborne,
Er erwies sich, trotz der Schwingen,
Alsbald als ein seltsam-tolles,
Unzähmbares Lebewesen,
Und das droll'ge Flügeläffchen
[192]
Wuchs heran zum ungeschlachten
Ungethüm, in dem verschwistert
Unheilvoll dem Faunenwesen
Schien die tückische, die wilde,
Feurige Natur des Drachen.
Seine Lehrer und Erzieher
Biß er wüthend in die Kehlen,
Oder peitschte ihre Schläfe
Mit dem schupp'gen Drachenschwanze.
Jeder Züchtigung entzog er
Leicht sich auf den starken Schwingen.
Und nicht minder blöd' als boshaft
War er – ein Kretin der Thierwelt!
Gut gelaunt, als Affe, schlug er
Purzelbäume, äffte täppisch
Nach, was thun er sah die Andern;
Doch im Zorn, als Drache, spie er
Flammen – glühend heiße Tropfen
Seines gift'gen Geifers stoben
Um den Rachen ihm wie Funken
Um den Amboß ...
Seltsam war es
Anzuseh'n, schier grausig-drollig,
Wenn vom Boden das beschwingte
Affenungeheuer plötzlich
Sich erhob und mit dem langen
Drachenhängeschwanz umherflog,
Dann auf einem hohen Wipfel
[193]
Oder eines Thurmes Spitze
Taglang saß, die Zähne fletschend.
Keine Bosheit war ihm fremd,
Keine Unnatur und Unzucht.
Bitt'res Herzeleid empfanden
Drob die Faune. Dr. Krallfratz
Schämte sich in tiefster Seele,
Flocht sich eine hänf'ne Geißel,
Den Mißrathenen zu bessern.
Dieser aber faßte grinsend
Den Gelehrten, riß mit sich ihn
In die Lüfte, ließ ihn fallen –
Und im nächsten Augenblicke
Fand man unter einem Felsgrat
Mit zerschelltem Haupt und Gliedern
Diesen Darwin, diesen Haeckel,
Diesen Büchner – doch was sag' ich?
Diesen Faust des Affenvolkes!
Hell aufloderte die Zornwuth
Gegen jenen unglücksel'gen
Mischling, das beschwingte Scheusal,
Das entsproßt aus Affensamen
War und Drachenblut. Die Hoffnung
Vordem und der Stolz Lemuriens,
Als ein Auswürfling betrachtet
Ward er nun; man wollt' ihn tödten,
Warf mit Steinen ihn, mit Prügeln,
Wenn er wiederkam zur Erde,
[194]
Und verfolgte selbst ins Luftreich
Ihn mit Pfeilen, Flintenkugeln.
Doch der Mischling, er verlief sich,
Er verflog sich in die tiefste
Bergwaldwildniß, die kein Mensch,
Die kein Waldgott noch betreten;
Hauste da bei alten Drachen,
Seinen Tanten, im Geklüfte.
Edleren Ersatz zu bieten
Schien dem Faunenreich das Schicksal.
Ein'ge Blößen anfangs hatte
Unter seinen fortgeschritt'nen
Bildungsreichen Stammgenossen
Sich gegeben der verehrte
Heil'ge Affe aus Benares.
Aber bald, zum Staunen Aller,
Uebertraf er, flugs nachholend,
Was ihm erst gebrach an Bildung
Und an hoher Weisheit Alle.
War doch Indien seine Heimat,
Und man merkte, daß aus heil'gen
Gangesfluten er getrunken,
Daß genährt er mit dem Mark sich
Von den Früchten heil'ger Haine.
Angespornt vom Heldenthume
Seiner Ahnen, das zu würd'gen
Er gelernt nun erst in Wahrheit,
Rief er auf zu großen Thaten
[195]
Seine Brüder – einen Kreuzzug
Predigend, um zu befest'gen
Allenthalben seines Stammes
Herrschaft auf den letzten Trümmern
Des verhaßten Menschenthumes.
Nicht zurück mehr wollt' er kehren
Nach des heil'gen Ganges Ufern,
Wo in träger heil'ger Muße
Dumpfen Sinns, obzwar behaglich,
Er genossen Götterehren.
Kämpfen wollt' er nun und wirken!
Den Entschluß mit Jubel grüßten
Seine Brüder; auf den Schild ihn
Hoben sie als Oberfeldherrn
Des gesammten Reichs Lemurien,
Und in stürmischer Bewegung
Reihten sich um ihn die Scharen.
Sie erwählten für ihr Banner
Heines »Affensteißcouleuren« –
Und eröffneten den Feldzug,
Zum Heloten ganz zu machen
Den verachteten Rivalen,
Und sich selbst zu Herr'n der Erde,
Welchen göttliche Verehrung
Wieder wie in alten Zeiten
Würd' erwiesen von den Völkern.
Und des Affen angestammte
Kriegestüchtigkeit im Bunde
[196]
Mit dem neu erworb'nen Wissen,
Bald erprobte sie sich glänzend.
Diese Bursche, sie marschirten,
Exerzirten, manövrirten
Wie die Teufel. Doch vor Allem
Affenmäßig flinkes Wesen
War, nicht Hexerei, die Kriegskunst,
Die von Sieg zu Sieg sie führte.
Leicht erkletterten die Mauern
Diese stürmenden Sylvane,
Und zum Kampfgefild erwählten
Sie am liebsten Waldgebiete,
Wo sie in der Bäume Kronen
Wunderschnell zurück sich zogen
Und den Feind mit einem Hagel
Von Geschossen überhäuften.
Ihre Wachen, ihre Späher
Hingen mit den Wickelschwänzen
Auf der Bäume höchsten Aesten,
Auf der Thürme höchsten Zinnen,
Kündeten mit grellem Aufschrei
Jegliche Gefahr von weitem.
Ausgezeichnet durch die technisch-
Mathematische Erziehung
Und durch die ererbte Kunst,
Umzugeh'n mit Wurfgeschossen,
Thaten auch als Artill'risten
Sie in off'ner Feldschlacht Wunder.
[197]
Doch das Schönste war der Anblick
Ihrer Reiterregimenter:
Da der Rosse sie entbehrten,
Ritt ein Satyr auf dem andern,
Und ein dritter auf dem zweiten.
Vor den Gardegrenadieren,
Zähnefletschenden Gorillas,
Nahmen Reißaus flugs die Menschen.
Kurz – die Faune triumphirten
In dem Land, wo die Kultur sie
Schlangen gleich genährt am Busen.
»König Langhand hoch der Erste!«
Scholl es nun durch ganz Lemurien,
Und aufs Haupt gedrückt dem Feldherrn,
Dem erprobten Schlachtenlenker,
Ward des Faunenreiches Krone.
Als verrauscht der Krönungsjubel,
Ausgeruht die tapfern Scharen,
Zog ins Feld zu neuen Kämpfen
Mit den Seinen König Langhand.
Und von Land zu Land gefesselt
Blieb der Sieg an seine Fahnen.
Schließlich galt's noch einen weiten
Länderstrich zu unterwerfen,
Der bewohnt von Indianern.
Diese rohen Völkerstämme
Konnten wohl in regelrechter
Kriegesführung sich nicht messen
[198]
Mit civilisirten Streitern.
Doch sie kannten die Sylvane,
Schier wie Brüder, aus den Wäldern,
Wo mit ihnen sonst verkehrt sie,
Waren wohlvertraut mit ihren
Sinnesarten und Instinkten,
Seltsamkeiten und Manieren.
Ungebildete Geschöpfe,
Wie sie waren, diese Wilden,
Hatten sie sehr wenig Achtung
Vor der Bildung, vor dem Wissen,
Dünkten sich auf alle Fälle
Noch den Affen überlegen,
Ueberlegen an Verstand
Und an Mutterwitz als Menschen.
Zuversichtlich so ersannen
Eine Kriegslist sie, die leider
Zu des edlen Satyrvolkes
Großem Schaden sich bewährte.
Tag für Tag abfingen schwärmend,
Lauernd, mit verweg'ner List sie
Sämmtliche Proviantvorräthe,
Bis im Faunenlager einriß
Eine Hungersnoth voll Grausens;
Und dann plötzlich überfielen
Stürmend sie das Faunenlager;
Schrecklich war das Schlachtgeheul.
Aber vorbereitet trafen
[199]
Sie die Gegner. König Langhand
Hatte mit dem Generalstab
Seiner besten Feldgelehrten
Ausgegrübelt einen Schlachtplan,
Der gebaut war auf strategisch-
Taktisch-technisch-planimetrisch-
Hygrostatisch-hypsometrisch-
Akrobatische Prinzipien.
Während nun die schnell in Ordnung
Aufgestellte Satyrvorhut
Donnernde Kanonensalven
Abgab in die Reih'n der Wilden –
König Langhand selbst entrollte
Das Panier des Faunenreiches –
Schleuderten und rollten Jene
Riesenkörbe, vollgefüllte,
In die Reih'n der Waldgottheiten ...
Starr und ehern stand die Phalanx
Uns'rer neuen Herr'n der Erde –
Nur in den Gesichtern zuckt' es
Mit entsetzlichen Grimassen –
Einen Augenblick so standen
Unbeweglich sie ... doch plötzlich
Lösten sich der Waldgottheiten
Reih'n in greulicher Verwirrung:
Und sie warfen hin die Flinten,
Warfen hin die stolzen Fahnen,
Ließen ab von den Laffetten,
[200]
Liefen, wüthend einzubeißen –
Mitten darunter König Langhand –
In den weitumher verstreuten
Inhalt jener Riesenkörbe;
Balgten grinsend, zähnefletschend,
Sich um Mandeln, Datteln, Feigen,
Ananasse, Kokosnüsse.
Aber alle diese Früchte
Waren arg versetzt mit Giften,
Scharfen Säften, Koloquinthen;
Und indeß die Waldesgötter
Heulend sich vor Leibweh krümmten,
Stürzten die verthierten Wilden
Ueber sie sich her mit Stöcken,
Schlugen todt sie unbarmherzig ...
König Langhand einzig wurde
Nicht getödtet, nur gefangen
Und für schnödes Geld verhandelt
An den wandernden Besitzer
Einer großen Thierschaubude.
Dieser ließ vor Menschenpöbel
Künste machen den Gefall'nen.
Was Verstand war, hohe Bildung,
Wurde von der Gaffer blödem
Schwarme für Dressur genommen
Und entweiht durch Beifallsgrinsen.
Tief empfand der Schicksalswendung
Schmach der Held im tiefsten Innern.
[201]
Schwermuthsvoll am Schwanze nagend,
Wie gefang'ne Faune pflegen,
Dacht' er oft der Zeit, wo er noch
Nichts war als ein wohlgenährter
Heil'ger Affe zu Benares.
Und noch lieber sich versenkt' er
In Erinn'rungen der früh'sten
Muntern Affenkindheit, wo er
Nichts war als ein Affe schlechtweg.
Doch dann faßt er stolz sich wieder
Und gelobt, ob auch gerathen
In's Verderben durch die Bildung,
Mannhaft doch, da er nun einmal
Sich zu höherm Sein erschwungen
Durch die Bildung, Werth und Würde
Einst'ger Größe zu behaupten,
Und verhängter Schmach entfliehend,
Hochgemuth den Tod zu suchen.
Und von Stund' an keine Speise
Mehr berührt' er, trotzte schweigend
Selbst den Drohungen und Prügeln
Seines mitleidslosen Zwingherrn.
Eines Morgens fand ihn dieser
Regungslos im Käfig sitzend,
Grinsend, mit verglasten Augen,
Aber würdevoll. Gedenkend,
Was mit ihm nun ging zu Grabe,
Hatt' er es verschmäht, auf Vieren
[202]
Hingestreckt zu ruh'n im Sterben,
Wie ein and'res Waldgethier.
Und so saß er todt und aufrecht,
Wie der Kaiser Karol sitzt
In der Kaisergruft zu Aachen.
[203]

8. Gesang: Im neuen Israel

Achter Gesang.
Im neuen Israel.

Muse, die du Polka tanzest
In vierfüßigen Trochäen
Vor den Augen des blasirten
Deutschen Publikums nach meiner
Sehr bescheid'nen Pfeife, die ich
Aus dem Röhricht des Parnasses
So für mich zurechtgeschnitten –
Gott erhalte dir den Odem!
Zu berichten gilt's die letzten,
Gilt's die größeren, die höher'n,
Die entscheidenden Geschicke
Uns'res Helden, des Homunkels.
Armer Munkel! Viel erduldet
Hat er im bisher'gen Dasein,
Viel gewonnen, viel verloren,
[204]
Bittern Undank viel geerntet,
Schmählichen Verrath erlitten,
Sich gesellt ein übermenschlich-
Reizend', übermenschlich-kluges
Nixenweib, und es verloren
An den Tölpel Leo Hase.
Aermster Munkel! Traun, zu wünschen
Ist's, daß endlich er ein schönes,
Hohes, festes Ziel erreiche,
Oder daß er Ruhe finde.
Jenes Ziel, das er verfolgt,
Glanz ist's, Größe, Ruhm und Herrschaft,
Und vor Allem: der Triumph
Des Homunkelthums auf Erden.
Ach, schon fühlt er sich ermattet
In dem Streben, in dem Ringen
Nach dem Uebermenschlichen,
Will verzweifeln an dem Sterne,
Der geleuchtet seinem Ursprung.
Plötzlich aber beut noch einmal
Ihm durch eine große Wendung
In dem jüngsten Völkerleben
Winkende Gelegenheit sich,
Kühn zu trachten nach dem Höchsten.
Zu derselben Zeit geschah es,
Daß den Christen wieder einmal
Nicht gesiel der Juden Nase,
Die gekrümmte Judennase,
[205]
Und man hörte plötzlich wieder
Von verschwund'nen Christenkindern,
Die geschlachtet ohne Zweifel
Waren von Israeliten
Zu geheimen Kultuszwecken.
Gegen den bekannten foetor
Judaeorum war man plötzlich
Außerordentlich empfindlich
Wieder und nervös geworden.
Und man glaubte zu entdecken,
Dieser unleugbare foetor
Judaeorum sei der faul'ge
Ausfluß dessen, was man neu'stens
»Korruption« zu nennen liebte.
Je nun, der Geruch ist alt,
Stammt schon aus dem Paradiese,
Wohin ihn gebracht die Schlange,
Wenn zu glauben ist der Bibel ...
Zur Entäuß'rung des Geruches
Ward dem Judenvolk die Taufe
Von den Christen warm empfohlen.
Je entschiedener die Christen,
Aufgeklärt, sich selbst vermaßen,
Christen nicht mehr sein zu wollen,
Desto dringender verlangten
Sie von Juden, es zu werden.
Und so sahen plötzlich wieder,
Wie so oft schon, die Hebräer
[206]
Sich vom Nimbus int'ressanter
Dulder, Märtyrer, umflossen.
Und es gab nun wieder etwas
Für die nächsten Menschenalter
Zu erlösen, zu befreien,
Unterdrückten Menschenrechten
Neu zum Siege zu verhelfen.
Endlich stieg so hoch im Westen
Gegen Israel der Unmuth,
Daß mit feierlichem Urtheil
Man, und Parlamentsbeschlüssen,
Für Heloten sie erklärte,
Sie zu zwingen so zur Heimkehr
Nach dem Land, woher sie stammten,
Nach dem fernen Palästina.
Mit geheimen Sympathien
Sah sich hingezogen Munkel
Zu dem unterdrückten Volke.
Jüd'scher Sinn und jüd'sches Wesen,
Jüdischen Verstandes Schärfe,
Aetzende, wie Scheidewasser,
Jüd'sche dreist-verschlag'ne Thatkraft,
Und noch manches and're Jüd'sche,
Stand, so dünkt es ihn, erheblich
Nahe seinem eig'nen Wesen,
Nahe dem Homunculismus.
Ei, wie wär's, wenn er's versuchte
Nun zuletzt noch mit den Juden?
[207]
Außerordentliche Gaben
Dieses auserwählten Volkes
Schienen Großes zu verbürgen,
Schienen viel ihm zu versprechen
Für die hohen, großen Ziele,
Die er steckte seinem Wirken.
Und in seine Träume mischten
Sich Idole neuer Größe,
Neuen Ruhmes, neuen Glanzes.
Sich gefeiert als Messias
Träumt' er eines weltzerstreuten,
Arg geschmähten, arg bedrängten,
Doch durch ihn auf's Neu' vereinten,
Neu zur Macht gelangten Volkes.
Von so gold'nem Traum gestachelt,
Predigte den Juden Munkel
Eines neuen Heiles Botschaft:
Heimkehr nach dem schöner'n Osten!
Gründung eines neuen Reiches
Israel, bestimmt, die ganze
Welt am Ende zu umfassen,
Sie vom sicher'n Heimatboden
Aus aufs Neu' zu unterwerfen.
»Kinder ihr des Morgenlandes!«
Rief er mit beredten Worten
Ihnen zu, »was säumt ihr länger?
Braucht es doch nur eines Blickes,
Eines Blicks in eure Züge,
[208]
Eines Blicks auf die Gestaltung
Aeuß'ren Wesens, Gang und Haltung,
Um zu seh'n, daß ihr Verbannte,
Fremdlinge hier seid im Westen!
In des Westens Tracht gewährt ihr
Einen Anblick, gleich als schaute
Man der Bibel Patriarchen
Karrikirt, gezwängt in Fräcke,
Und in steifen Filzes Röhren
Schnöd' gepreßt die würd'gen Häupter!
Traun, ein krummgenas'ter Jüngling
Eures Stamms, mit Säbelbeinen,
Welcher schlottrig-unbeholfen
Hin in europä'schem Leibrock
Torkelt und in knappen Hosen,
Wird als Märchenprinz erscheinen
In des Orients Gewandung!
In des Orients Gewandung,
Traun, wird sicherlich, der Spötter
Wort zum Trotz, auch nicht im Alter
Je ein »schönster« Jude »schäbig«!
In des Orients Gewandung
Wird das Häßlichste auf Erden,
Eine alte Jüdin mein' ich,
Würdig als Matrone glänzen,
Und das Schönste, was es giebt,
Eine junge Jüdin mein' ich,
Wird die Welt unwiderstehlich
[209]
Wie Kleopatra bezaubern,
Wie Semiramis erobern!« –
Dies und And'res zu bedenken
Gab den lauschenden Hebräern
Munkel, und sie machten endlich
Sich vertraut mit dem Gedanken,
Heimzupilgern nach den Stätten
Ihrer einst'gen Macht und Blüte,
Ihrer gottgeliebten Heimat:
Freilich mehr als Munkels Worten
Mitleidslosem Zwange weichend.
Denn von Tag zu Tage grimmer
Waren über dem Bedrängten,
Dem Hebräer, her die Christen,
Wie Philister über Simson.
Schließlich spielte man den größten,
Letzten Trumpf aus gegen Israel:
Insolvent erklärte kurzweg
Eines Tags die Christenwelt sich
Den Hebräern gegenüber.
Längst schon war man ihnen schuldig
Mehr als man bezahlen konnte.
Dieser Schlag, der letzte, schwerste,
Diese Katastrophe, dieser
Bankerott des Christenthumes
Gab den Ausschlag für die Juden:
Sie entschlossen sich zum Auszug.
Uebertrat zum Judenthume
[210]
Munkel jetzt, ließ sich beschneiden,
Nannte Gotthold Ephraim Munkel
Sich, und als des Auszugs Führer
Wählten ihn die Abramssöhne;
Denn wie er zu ihnen, fühlten
Sie zu ihm sich hingezogen,
Ahnten, daß er ihnen nahe,
Zwar nicht Blut von ihrem Blute,
Zwar nicht Fleisch von ihrem Fleische,
Zwar nicht Herz von ihrem Herzen,
Aber Geist von ihrem Geiste.
Moses, Xenophon, Firdusi,
Hermann Lingg und Dahn und Jordan,
Große Menschenherdentreiber,
Große Völkerzugsbeschreiber,
Müßten mir den Griffel leihen,
Um des auserwählten Volkes
Exodus zu schildern würdig!
»Fahre hin, du undankbare
Schnöde Welt der Europäer!«
Also riefen, rückwärts blickend
Von des Mittelmeeres Borden
Die im Zug geeinten Schaaren:
»Weh euch, gier'ge Judenfresser!
Traun, ihr werdet's noch erleben:
Leicht ist's, Juden zu verschlingen,
Aber schwer, sie zu verdauen!« –
Tausend Wimpel führten flatternd
[211]
Das Semitenvolk meerüber:
Ebensoviel Lastfahrzeuge
Schleppten hinter ihnen her sich
Mit den unbezahlten Wechseln.
Ernst, schier traurig anzuseh'n war
Des Hebräervolkes Auszug;
Um so glorreicher der Einzug
In die Stadt Jeruscholajim.
Festlich schimmerten die Zinnen,
Jedes Haus und jede Pforte
War geschmückt mit Palmenzweigen,
Blumenüberstreut die Gassen.
Pauken, Cymbeln, Harfen klangen,
Jünglinge und Jungfrau'n tanzten,
Alte Juden sangen Psalmen.
Aelteste des Volkes ritten
Auf Kameelen an des Zuges
Spitze – unter ihnen Munkel
Auf geschmücktem Dromedare.
Neben Munkel in dem Zuge
Ward geführt, seltsamen Anseh'ns,
Gleichwie im Triumph der alte
Ahasver, der ew'ge Jude.
Nicht geruhet hatten seine
Stammgenossen vor dem Auszug,
Bis sie seine Spur gefunden,
Ihn bewogen mitzuwandern
Nach dem heil'gen Heimatlande.
[212]
Auf ihn blickten sie mit Stolz,
Hielten ihn in hohen Ehren,
Als das Bild, das fleischgeword'ne,
Der Unsterblichkeit, der zähen
Kraft des Stammes Israel.
Schön geschaart und schön gesondert,
Schier in endlos langen Reihen,
Zogen alle die verschied'nen
Zünfte, Ordnungen und Stände
Israels mit ihren Zeichen
Und Standarten und Emblemen.
Erstlich die der Schacherjuden,
Schwere Bündel auf den Rücken,
Dann der Schwarm der Wucherjuden;
Ihr Emblem auf lichtem Banner:
Shylocks Fleischpfund in der Wagschal'.
Dann der Schwarm der Börsejuden;
Ihr Emblem: Fortunens Kugel
In Gestalt von einer Bombe,
Welche platzt mit einem Krach.
Dann die glanzvoll-stolze Gruppe
Mauschelnder Finanzbarone,
Sich um Rothschilds, des Erlauchten,
Goldene Karosse schaarend;
In den Wappenschildern führten
Einen blanken Ritterhelm sie
Ueber einem schweren Geldsack.
Und dann kam der unabsehbar
[213]
Lange Schwarm der Zeitungsjuden –
Dann der Schwarm der Kunstsemiten
Und der Lit'raturhebräer,
Krit'schen Lorbeer in den Locken –
Dann ein Nachtrab buntgemischter,
Herrenloser Judenknaben,
Draller, schmucker Judendirnchen,
Schmutz'ger Judenhökerinnen,
Und so weiter, und so weiter.
Unermeßlich so bewegte,
Schöngeordnet, schöngesondert,
Des erwählten Volkes Einzug
Durch die Gassen sich der schönen
Palmenstadt Jeruscholajim.
Ach, wer zählt, wer nennt sie alle,
Die in diesem Zuge glänzten?
All die Gold- und Silbermänner,
Lilien- und Rosenzweige,
Und die Pinkeles und Pork'les,
Hündchen-Reis und Vögle-Ochs,
Schnapper-Elle und dergleichen,
Ganz zu schweigen von noch größer'n,
Von noch weit berühmter'n Namen?
Tags darauf erwählte Munkel
Man zum Könige der Juden.
Längst ja hatte man im Volke
Ihn erkannt als den verheiß'nen,
Spät zwar, aber endlich doch
[214]
Nun gekommenen Messias.
Wunderbare Schicksalswendung –
Der Homunkel auf dem Throne! –
Schon erwog sein Geist die Frage
Einer würdigen Genossin
Seines Thrones, seines Lagers,
Der Begründung eines edlen,
Eines königlichen Samens.
Da kam eines Tages fernher
In die Stadt Jeruscholajim
Eine Schaar von frommen Pilgern,
Christenpilgern aus Europa,
Die zum heil'gen Grabe wallten.
Und es wollte das Verhängniß,
Daß zur selben Stunde Munkel
Eben stand am heil'gen Grabe,
Es besichtigend, bedenkend,
Ob es zieme, Christenunfug
Irgend ferner noch zu dulden
In dem neuen Israel –
Als der Pilgerzug herankam,
Andachtsvoll im Heiligthume
Auf die Kniee hin sich werfend
Und in Andacht fromm versinkend.
Unter ihnen fielen Munkels
Blicke auf ein schönes, blasses
Frauenantlitz, und er meinte,
Daß er's irgend schon gesehen.
[215]
Forschend mustert er die Züge
Dieses Weibes – neckt ein Traum ihn?
Himmel! diese schöne, blasse,
Fromme Pilg'rin, ist's nicht Lurlei?
»Ist sie's wirklich, meine Nixe?«
Spricht er bei sich; »wie erkund' ich's?
Spähend schielt er nach dem Saume
Des Gewandes, ob er feucht sei.
Feucht nicht ist er, doch voll Staubes.
Dennoch ist's die Nixe; rheingrün
Schimmern ihre schönen Augen,
Unvergeßlich dem, der einmal
Sah in echte Nixenaugen.
In der That, sie ist's, ist Lurlei.
Mittlerweile fromm geworden
War das unstät-wandelbare,
Ruhelose Frauenwesen,
Seit hinweg von Munkels Seite
Sie gefolgt dem löwenherz'gen
Sieger, dem Rebellenführer.
Lurlei – Munkel – Aug' in Auge –
Sie gekrönt den Gatten schauend
Mit des Judenlandes Krone,
Er das Weib in ihr erblickend,
Das, wie keins, für ihn geschaffen,
Uebermenschlich wie er selber –
Konnten an einander fremd sie,
Feindlich ganz vorübergehen?
[216]
Stumm hinweg vom heil'gen Orte
Winkt er sie, und sie, sie folgt ihm,
Und erzählt ihm ihres Schicksals
Wandlungen, die jüngst erlebten.
»Nach Amerika gegangen
War ich« – so berichtet Lurlei –
»Mit dem kühnen Freischarführer
Leo Hase – der, du weißt es –
Bei des Amazonenlagers
Ueberfall in Eldorado
Keck mich zur Gefang'nen machte,
Und der nun jenseits des Meeres,
Auf der Freiheit, auf der Gleichheit
Festem Grund als reicher Pflanzer
Alsbald eine Rolle spielte.
Und nicht schlechte Hoffnung hatt' er,
Präsident einmal zu werden
Des glorreichen Yankee-Freistaats.
Doch darauf bei ihm zu warten
Mangelte Geduld und Lust mir,
Denn entartet zum Philister,
Mäkler, trock'nem Ziffernmenschen,
Schien er mir, zum kecken, rohen,
Geldstolz-aufgeblas'nen Dickwanst.
Ein paar Jährchen dann am Salzsee
Lebt' ich im Mormonenstaate,
Als die erste, angeseh'nste
Von den Frau'n des vielbeweibten
[217]
Ehrwürd'gen Mormonenhäuptlings.
Grille war's und Sporn der Neugier!
Auf das Studium der Ehe
Warf ich mich, – dann trieb zu wirken
Mich aufs Neu' der Drang in's Weite.
Mein Geschlecht wollt' ich befreien
Aus dem Sklavenjoch der Männer,
Aus dem Sklavenjoch der Treupflicht.
Doch gebrochen kann es werden,
Dieses Sklavenjoch, das schnöde,
Nur durch gleiches Recht der Frauen
Mit den Männern auf die Arbeit.
Und so trat für dieses Recht ich
Kühnlich kämpfend in die Schranken.
Doch die Männerwelt, sie fluchte:
»Langt die Arbeit für uns Männer
Knapp nur aus, wie soll sie langen,
Wenn nun gar davon den halben
Theil für sich die Weiber heischen?« –
Als nun so ich an dem wilden,
Rohen Eigennutz der Männer
Sah gescheitert mein Bemühen,
Sagt' ich Lebewohl dem Westen.«
»Und bist seither fromm geworden?«
Scherzte Munkel, bitter lächelnd.
»Bist in heil'ger Herzensregung
Nach Jerusalem gepilgert?«
»Warum nicht?« versetzte Lurlei.
[218]
»Ist doch solcher Herzensantrieb,
Pilgernd nach den Gnadenorten,
Sein Gemüth, das wilderregte,
Zu beschwicht'gen und dem Dasein
Neuen Wechsels Reiz zu leihen,
Häufig just bei Frau'n von ›Welt‹,
Heldinnen der ernsten, heiter'n
Bühne –«
»Schönen Sünderinnen
Ueberhaupt!« fiel hier in's Wort ihr
Munkel. »Schöne Sünderinnen,
Freilich, ach, sie haben alle
Manchmal solche fromme Regung!« ..
»Oefter als du denkst,« versetzte
Lurlei, »ist's mit solcher Regung
Ernst den schönen Sünderinnen!«
»Ernst auch den gebornen Nixen?«
Fragte Munkel, spöttisch lächelnd.
»Den gebornen Nixen, welche
Die Natur der Nixe schützt
Vor dem Altern, dem Verwelken?« –
»Ernst auch den gebornen Nixen,
Wenn sie menschlich angekränkelt!«
Gab zurück die fromme Pilg'rin.
Seltsam ernsten Ton's, gesenkten
Hauptes sprach sie diese Worte.
»Diesmal führte dich,« warf Munkel
Leicht und neckisch hin, »vielleicht doch
[219]
Ein klein wenig auch die Sehnsucht,
Unbewußte Sehnsucht, einmal
Wieder einen Freund zu sehen,
Einen alten Freund – zumal er
Eine Königskron' inzwischen
Sich errang. Ist Kronengold nicht
Gold'nen Erzes beste Sorte?
Gold'nen Erzes, das wir lieben?« ...
Lächelnd sprach er's, lächelnd zuckte
Anmuthreich statt aller Antwort
Sie die feinen Nixenschultern ...
Mit Sarkasmen züchtigt Munkel
Fürder noch die Ungetreue.
Doch sie läßt die Wasserkünste
Perlenlichter Thränen spielen,
Und des Zürnenden Gemüthe
Stimmt gemach sie zur Versöhnung.
In die Rechte seiner Gattin
Sie noch einmal einzusetzen,
War nach reifer Ueberlegung
Er des andern Tags entschlossen.
Und sie thut mit Mund und Augen,
Oft getäuscht, nun welterfahren,
Das Gelöbniß, auszuharren
Fernerhin bei ihm getreulich.
Jüdin wird nunmehr auch Lurlei.
Vorstellt Munkel seinem Volke
Sie als angetraut-verlor'ne,
[220]
Wieder nun gefund'ne Gattin!
Und sie sitzt fortan mit ihm
Glorreich auf dem Stuhle Davids!
Wundersame Schicksalswendung –
Der Homunkel auf dem Throne!
Eine Krone trägt die Nixe! –
Aber nicht zum müss'gen Träger
Einer Krone nur berufen
Fühlt sich Munkel. Mehr als König,
Traun, Messias muß er werden,
Ja, Messias seinem Volke.
Wächst der Mensch mit seinem Zweck nicht,
Wie das Haus wächst mit der Schnecke?
Ein Messias will er werden,
Ein Messias des Verstandes,
Und mit besserem Erfolge,
Als der arme Galiläer,
Der Messias war des Herzens,
Und den Lohn am Kreuz gefunden.
»Dieser weiche Mensch,« so sprach er,
Leichthin spottend, »welcher Liebe
Predigte und nichts als Liebe,
Taugte nicht zum Judenkönig,
Und zu viel Gemüth, zu wenig
Geist besaß er zum Messias!« –
Um den angebornen Scharfsinn
Seiner Juden auszubilden,
Gründet Munkel eine Schule,
[221]
Eine hohe Schule, welche
Echte Lebensklugheit lehren
Und erneuern soll die Feinheit,
Die Spitzfindigkeit des Talmud,
Doch nur in modernem Geiste
Und auf praktischem Gebiete.
Er verkündete die Botschaft
Eines dritten Testamentes,
Zur Ergänzung, zur Erklärung,
Zur Erfüllung jener andern
Beiden alten Testamente.
Auf sothanem Weg gelangte
Der eklektisch-kritisch-prakt'sche
Sinn des Judenvolks zu höchster,
Nirgend sonst erreichter Blüte.
Doch, was half's? Dem ungeheuren
Können ward zu eng die Schranke
Der Bethätigung, des Wirkens.
Unter sich, auf sich beschränkt nur,
War das Judenthum ein Deckel
Ohne Topf; es konnte Keiner
Je den Andern überlisten,
Denn gleich pfiffig waren Alle,
Alle dreist und ohne Skrupel.
Keiner borgte Geld vom Andern.
Rothschild schlich verarmt, als Schnorrer,
Abends heimlich durch die Gassen.
Die gewiegt'sten Rezensenten
[222]
Hatten nichts zu rezensiren,
Und die beißendsten der Spötter
Nichts zu spotten, nichts zu beißen.
Heller gähnte, Spitzer nagte
An der Feder; Herrn Fritz Mauthner
Fehlt' es an »berühmten Mustern«,
Und in rasender Verzweiflung
Zehrend an dem eig'nen Nichts,
Parodirte er sich selber.
So zu einem großen Ghetto
Ward die Stadt Jeruscholajim,
Allwo käuferlos ein Weltmarkt
Schimmelte von alten Hosen.
Sein gelangweilt Volk aufs Neue
Zu beschäft'gen, zu beleben,
Gründet Munkel eine »Waaren-
Und Realitätenbörse«
Größten Stils, in welcher Alles
Ward gekauft, nur um es wieder
Zu verkaufen; täglich wurden
Da geschaffen »neue Werthe«,
Flogen spielballgleich von einer
Hand zur andern, und da Niemand
Fragte nach dem Werth in Wahrheit,
Sondern nur nach Hausse und Baisse,
Wurden schließlich Knöpfe, Scherben,
Roßkastanien, Rattenschwänze,
Rost'ge Nägel, ja sogar auch
[223]
Die hierher nach Palästina
Mitgebrachten unbezahlten
Wechsel auf den Markt geworfen,
Und sie hatten ihren »Curs«.
Dieses Börsenspiel belebte
Zwar den Spekulationsgeist
Und beschäftigte den Scharfsinn,
Gab Gelegenheit zu manchem
Schönen glänzenden »Manöver«,
Diente aber doch im Ganzen
Mehr zum Sport und zur Zerstreuung
Der Gemüther, als zur Förd'rung
Des Nationalwohlstandes.
Schlimmer ward's, Unfrieden folgte
Der Verkümm'rung. Israel
War ein Magen, welcher drohte
Bald sich selber aufzuätzen,
Weil für seine scharfen Säfte
Ihm gebrach der Stoffe Zufuhr.
Und zu murren nun begannen
Schon die Juden, ungesund sei
Dieses Aneinanderkleben;
Fanden schließlich unerträglich
Ihre eig'ne konzentrirte
Oriental'sche Hautausdünstung,
Sehnten sich hinaus ins Freie,
Sehnten sich hinaus ins Weite.
Ihre besten Dichter sangen,
[224]
Harften alte Trauerweisen,
Welche stammten aus den Zeiten
Des Exils in Babylonien.
Rothschild fiel nun gar in Irrsinn,
Schwor dem Einmaleins ab,
Warf sich auf die Kabbala,
Schwatzt' apokalypt'schen Unsinn
Auf dem Markt und an der Börse,
Gab sich aus für den Propheten
Jeremias, ward als toller
Bettler von dem Volk gemieden.
Auf den alten Ahasverus
Blickten seine Stammgenossen,
Wie vordem mit Stolz und Ehrfurcht,
Jetzt mit scheelen, düstern Augen:
Ach, des Stamms unsterblich Leben,
Dessen Bild in ihm sie schauten,
Allgemach zum Fluche schien es
Ihnen allen nun zu werden;
Müde Wand'rer dünkten sie sich
Alle nun, und sie erfaßte
Ueberdruß am Erdendasein.
And'rerseits begann des Westens
Welt auch wiederum allmählich
Ihre Juden zu vermissen.
Schien es doch nunmehr zu fehlen
Allenthalben an dem rechten
Sauerteig im Völkerleben!
[225]
Oede waren alle Börsen,
Lahm der Schwung des Spekulirens,
In der Tagespresse machte
Bald ein Mangel an Reportern,
Unverfrorenen, sich geltend.
Ueberhand nahm ganz entsetzlich
Kunst und Poesie; die Mäuse,
In Abwesenheit der Katzen,
Tanzten auf dem Musenberge.
Um sich griffen bald nicht minder
Auch gewisse Hautkrankheiten,
Weil die besten Spezialisten
Dieses Faches jetzo fehlten.
Lebenslust'ge junge Leute
Dachten seufzend der Hebräer.
Gänzlich auch verkamen manche
Völkerschaften, und zu Tage
Trat es, daß sie ohne Juden
Leben nicht noch sterben konnten.
Stimmen machten schon sich geltend,
Welche die Zurückberufung
Des Hebräervolks verlangten.
Langeweil' und Unmuth wuchsen
Unterdessen in der heil'gen,
Schönen Stadt Jeruscholajim,
Und ihr Opfer sucht' in Munkels
Haupt des Volkes üble Laune.
Was im Innersten zuletzt noch
[226]
Gegen ihn das Volk empörte,
War, daß er, um es des Stumpfsinns
Schnödem Banne zu entreißen,
Es gespornt zu großen Thaten,
Zugemuthet ihm, die Welt sich
Mit dem Schwerte zu erobern.
Hatt' er nicht den Sieg versprochen
Ihnen, und der Welt Erob'rung,
Durch des Geist's blutlose Waffen,
Durch die Klugheit, des Verstandes
Uebermenschlich hohen Aufschwung?
Und was war daraus geworden?
Heimlich gährend erst, gelangte
Die Verschwörung rasch zum Ausbruch;
Auf ein feiges Häuflein schmolzen
Ihm zusammen die Getreuen.
Es erstürmen die Rebellen
Seine Zionsburg, die neue,
Werfen ihn in Kerkermauern.
Man verurtheilt ihn zum Tode:
Und durch's Schwert nicht soll er enden,
Nicht durch Henkerstrick, durch Fallbeil
Oder Blei nach fremdem Brauche,
Nein, gekreuzigt soll er werden
Nach uralter Landessitte.
Und man führt zum Marterholz ihn,
Welches für ihn aufgerichtet
Außerhalb der Mauern einsam
[227]
Ragt an hochgeleg'nem Orte;
Und mit ausgestreckten Händen
Wird er, ausgestreckten Füßen,
Festgebunden an die Balken.
Da verbreitet von der Stadt her
Wie im Flug sich eine Botschaft
In dem Schwarme der Hebräer,
Die das Kreuzgerüst umstanden;
Eine Botschaft, welche wachruft
Unbeschreibliche Erregung
Im gesammten Judenvolke,
Daß es wie ein Ameishaufen,
Welchen aufgestört ein Steinwurf,
In unsäglicher Verwirrung
Hastend durcheinander wimmelt –
Nur so lautlos nicht, nein, lärmvoll,
Schreiend, kreischend, krächzend, tobend.
Abgesandte von des Westens
Völkerschaften sind gelandet,
Einzuladen die Hebräer,
Nach Europa heimzukehren.
Gleichberechtigung geboten
Wird aufs Neu' den Ausgestoß'nen,
Unter der Bedingung einzig,
Daß die Wechsel, die in Händen
Annoch sind der Abramssöhne,
Lautend auf des Westens Völker
Christlichen Geblüts, für immer
[228]
Sei'n vertilgt, verbrannt, zerrissen
An dem Tag der Wiederkehr.
Raserei befällt das ganze
Israel bei dieser Botschaft.
Einen Purzelbaum schlägt Rothschild,
Alle folgen seinem Beispiel.
Ungesäumt dem Ruf gehorchen
Wollen sie im Uebereifer.
Welch' ein tolles Springen, Tänzeln,
Welche drolligen Geberden!
Nicht ein Tag, nicht eine Stunde
Soll verloren sein – das ganze
Judenvolk stürzt wie besessen
Sich hinab zum Meeresstrande
Mit der aufgerafften Habe. – –
Munkel ist allein geblieben,
An dem hohen Kreuze hangend;
Von der lichten Höhe Gipfel
Auf die Scene blickt er nieder.
Niemand kümmert sich um ihn mehr!
Er ist todt, er ist verlassen,
Ist vergessen, ist verschollen. –
Nacht inzwischen ist's geworden,
Doch der Mond ist aufgegangen;
Munkel sieht die heimatmüden,
Ungetreu'n, verrätherischen
Bürger seines jungen Reiches
Ihren Weg zum Meer verfolgen,
[229]
Sieht ein großes Feuer lodern,
Fern am Strand, von welchem hochauf
Rauch und Funken weh'n zum Himmel,
Und in welchen sacht verflackert,
Sacht verknistert die papierne
Riesenschuld des Abendlandes ...
Hingeht also Stund' um Stunde,
Schaurig ist die Grabesstille
In der öden weiten Runde –
Munkel hängt am Kreuz verlassen,
Ist vergessen, ist verschollen;
Raben nur und Geier kreisen
Krächzend um das hohe Kreuz.
Jetzo aber von dem grauen
Felsen in des Mondes Dämmer
Löst das Bild sich eines Greises:
Uralt, runzlich Wang' und Stirne,
Trocken gelb die Haut wie Leder,
Geisterhaft, phosphorisch flimmert
Seines langen Haares Silber.
Nur die beiden Augen glimmen
Wie zwei Kohlen in der grauen
Asche dieses Mumienleibes.
Ahasverus war's, der müde,
Tod-vergess'ne Weltdurchwand'rer.
Unvermerkt zurückgeblieben
War in Munkel's Näh von allen
Juden einer noch – der ew'ge.
[230]
Unter'm Kreuze steht er jetzt,
Blickt empor zu Munkel, schüttelt
Sacht sein Haupt, das glitzernd-weiße,
Flüstert dumpfen Tons die Worte:
»Will der Tod auch dich vergessen,
Armer Erdensohn da droben?«
»Ja, er läßt mich,« seufzte Munkel,
Zwischen Himmel hier und Erde,
Zwischen Leben, Sterben schwebend
Hängen in der weiten Oede.
Alle haben mich verlassen,
Sind hinweg von mir gelaufen,
Ohne mir zuvor aus Mitleid
Noch den Gnadenstoß zu geben!«
War's ein Seufzen, war's ein Kichern,
Was vernehmen ließ mit sachtem
Schütteln seines Silberhauptes
Hier der greise Ahasverus? –
»Ja, sie haben mich verlassen,«
Seufzt nach einer Pause wieder
Auf dem Marterholz der Aermste;
»Ja, sie haben mich verlassen,
Die Erbärmlichen, die Wichte,
Dieser feige Judenpöbel!
Ich verachte sie und glücklich
Bin ich, daß sie mir ersparen,
Sei's im Leben, sei's im Sterben,
Ihren gottverhaßten Anblick!
[231]
Eines Wesens nur gedenk' ich,
Eines nur vermiss' ich peinlich:
Meine Gattin, die zum Thronsitz
Ich erhoben, zur Genossin
Meiner Herrschaft, meines Glanzes.
Bin ich auch von ihr verlassen?
Bin ich auch von ihr vergessen?
Hat der schnöde Judenpöbel
Sie, auch sie geschleppt zum Tode?
Oder schmachtet wo im Kerker
Sie, verlassen und vergessen,
Wie ich schmachte hier am Kreuze?« –
Wieder seufzt und kichert leise,
Dumpf, der greise Weltdurchwand'rer.
Dann mit ausgestrecktem Arme
Weis't er fernhin nach des Meeres
Saum hinab, wo in des Vollmonds
Hellem Licht ein weißes Segel
Gleitet sacht hinaus in's off'ne
Weite Meer ...
»In jenem Fahrzeug,«
Flüstert er, »in jenem Fahrzeug
Schifft ein unermeßlich reicher,
Edler Muselmann, ein Emir,
Heimwärts nach Konstantinopel.
Und in diesem seinen Fahrzeug
Gastlich hat er aufgenommen
Die verlass'ne, die vergess'ne
[232]
Schöne Königin der Juden.
Warst du doch zum Tod verurtheilt!
Warst du doch an's Kreuz gehangen!
Hat als Wittwe dich betrauert
Redlich, wie es ihr geziemte.
Und der unermeßlich reiche
Moslem, der sie sah auf seiner
Wanderfahrt durch Palästina,
Warb um sie, die schöne Wittwe,
Und die Wittwe, sie versprach,
Zu versuchen, ihn zu lieben.
Und nun bringt das Fahrzeug Beide
Heimwärts gen Byzanz im Fluge!« –
Einen Fluch, ein Wort des Schimpfes
Ausstieß Munkel; zürnend stöhnt' er:
»Dies der Dank für eine Krone,
Welche ihr durch mich geworden?
Dies der Dank für meine Duldung?
Dies der Dank für mein Verzeihen? –
O wie konnt' ich mich entschließen,
Nochmals in den Mund zu nehmen
Diesen ausgeworf'nen Bissen!
War ihr Wesen mir verborgen?
Kannt' ich nicht von Anbeginn sie?
Durft' ich Besseres versprechen
Mir von dieser schnöden Fischbrut,
Von der herzenskalten Nixe? –
Weißer Busen, schwarze Seele –
[233]
Volle Brust und leeres Herz! –
Ha, was ließ ich mich bethören
Noch zuletzt vom heuchlerischen
Ernst der »welterfahr'nen Pilg'rin?«
And're haben falsche Locken,
Falsche Busen, falsche Glieder:
Aber dieses Weib hat eine
Falsche Seele, die sie ablegt
In der Nacht, wenn sie allein,
Auf dem Tischchen der Toilette!
Keine Seele hatte sonst sie,
Jetzo hat sie eine falsche:
Zum Ersatze für die echte,
Die ihr die Natur versagte
In des Stromes feuchten Gründen!« –
Zornentflammt so stöhnte Munkel.
Mitleidsvoll erbietet jetzo
Sich der Greis, die Hände, Füße
Munkels an dem Marterbalken
Aus den Banden zu erlösen,
Ihn vom Kreuze zu befreien.
Doch er schlägt das Anerbieten
Grollend aus und wünscht zu sterben.
»Ach,« versetzt der ew'ge Wand'rer
»Könnt' ich tadeln, könnt' ich schelten
Einen, der mit mir die Sehnsucht
Theilt nach Ruhe – ew'ger Ruhe?
Ew'ger Ruhe – doppelt süß mir
[234]
Und verlockend, seit ich endlich
Ihren Vorgeschmack gekostet,
Durch das seltsamste der Wunder,
Seltsamste der Abenteuer,
Welche mir bisher begegnet
Auf der langen Lebensirrfahrt!« –
Seufzend und gleichwie versunken
In schwermüthiges Erinnern,
Eine Weile schwieg der Alte,
Und von neuem dann begann er:
»Hundert Jahr' nun mag es her sein
Daß aus alter Todeslust ich
Mich, und eitler Todeshoffnung,
In den Schlund des Aetna stürzte.
Doch des Berges Flammenkrater
Reicht hinab in's Bodenlose:
Als ich nun vom Kraterrande
Stürzend fiel, und fiel, und fallend
Kam zum Mittelpunkt der Erde,
Wo das Centrum ist der Schwerkraft,
Jenes Centrum, das nach einem
Punkt von üb'rall her an sich reißt
Jedes Erdending und festhält,
Nicht mehr weiter, selbstverständlich,
Konnt' ich fallen: schwebend hing ich,
Frei, wie Mahvms, des Profeten,
Sarg im Tempelraum zu Mekka.
Ein Jahrhundert lang so blieb ich
[235]
Schwebend hängen – nicht verhungern,
Konnt' ich, ach, ich Unglücksel'ger,
Nicht verdursten, nicht verderben,
Bis zuletzt ein neuer Ausbruch
Mich des Innersten der Erde
Durch des Feuerberges Krater
Warf nach oben, mich zurückgab
Neuerdings der Oberwelt
Und dem schalen Erdendasein.
Habe mich die hundert Jahre
Doch 'mal gründlich ausgeschlummert,
Tief im dunklen Schoß der Erde,
Lebend eingesargt, begraben
In dem einzig unbewegten
Centrum aller Erdendinge,
Wohin alles strebt voll Unrast,
In der Gruft, der allerstillsten,
Die mir einen Vorgeschmack gab
Von der unterweltlich süßen
Rast des Todes und des Nichtseins!
In der That, ich hatt' es nöthig,
Einmal so mich auszuschlummern!
Spür' ich doch das Alter endlich
Auch allmählich in den Gliedern!
Meine Wanderfüße wollen
Nicht so munter mehr mich tragen!
Bin nicht mehr so frisch, so rüstig,
Wie in den vergang'nen Zeiten,
[236]
Wo aus reinem Uebermuth ich,
Auf des Niagarafalles
Höchsten Wogengrat mich setzend,
Hundertmal so nach einander
Von dem brausend-wilden Flutschwall
Mich ließ strudeln in die Tiefe;
Oder wo ich mir die Adern
Aufschnitt, die zu heiß pulsirten,
Und, um kühl da zu verbluten,
Mich hinunterwarf vom Felsstrand
In die Flut des rothen Meeres –
Damals hieß es nicht das rothe,
Sondern ward erst so geheißen,
Als es roth von meinem Blute
War auf lange Zeit geworden ...
Vierzig Wochen lang verblutend
Lag ich schwimmend auf den Wogen;
Wohl bekam der Aderlaß mir,
Ach, in frischer, toller Jugend!« –
Also sprach der ew'ge Jude,
Sprach der greise Ahasverus,
Streckte dann sich unter'm Kreuze
Seufzend hin, zum nächt'gen Schlummer.
Aber auch der Schlummer flieht ihn
Wie der Tod, und in Betrachtung
Sinkt er tief bei Munkels Anblick.
»So auch,« denkt er, leidvoll sinnend,
»So wie dieser Mann am Kreuz hier
[237]
In der grabesstillen Oede,
Werd' auch ich des Daseins Schreckniß,
Ganze Trauer erst ermessen,
Wenn ich übrig einst geblieben
Als der letzte Mensch auf Erden,
Wenn um mich die Sterne kreisen
In der schauerlichen Stille
Des verlass'nen Erdenrundes.
Werden mit dem Erdenstaub dann,
Wenn der Erdenkloß verwittert,
Nicht verwitternd und zerstäubend
Sich doch auch am Ende mischen
Die Atome meines Wesens?« –
Schlaflos wie der unter'm Kreuze
War der Mann auch auf dem Kreuze
Tief versenkt in ernstes Sinnen.
Schaurig ist die Grabesstille
In der öden, weiten Runde;
Munkel hängt am Kreuz verlassen,
Ist vergessen, ist verschollen,
Raben nur und Geier kreisen
Krächzend um das hohe Kreuz.
Auf sein Leben einen Rückblick
Warf er und aufschlug er plötzlich
Hohnvoll eine bitt're Lache.
»Käme doch nun mein Erzeuger,«
Dacht' er, »um am Kreuz zu sehen
Schmachvoll hier sein Meisterstück!
[238]
Er, der so beredt geflunkert
Von der glanzvoll-reichen Zukunft,
Welche für sein Werk noch schlummern
Sollt' im Zeitenhintergrunde!
Ha, nimm meinen Fluch zum Danke
Für den schalen Trank des Lebens,
Für den Quickborn, der mit so viel
Unquicklichem verquickt ist!
Armer Prahler! ha, was rühmst du
Mit so ungemess'nem Hochmuth
Dich, daß aus den feinsten Stoffen
Mühevoll zusammen etwas
Du gestümpert von der schlechten
Töpferwaare, Mensch geheißen?
Ei was bildest auf dein Schaffen
Du dir ein? Ward nicht dergleichen
Minder anspruchsvoll, doch besser
Und bezeichnender gestümpert
Längst aus Lehm, geworf'nen Steinen,
Angestoß'nen Eichenklötzen,
Drachenzähnen? Ward geschaffen
Nicht aus Adams Rippe Eva,
Und er selber gar aus nichts? –
Mich erfaßt ein tiefer Ekel
Vor dem Dasein, vor dem Leben.
Ha, um welchen trunk'nen Gott,
Welchem schwindelt in der Leere
Der Unendlichkeit, des Nichts,
[239]
Dreht sich diese Welt so närrisch?!« –
Wolken zogen vor den Mond sich,
Und noch tiefer ward die Stille
Um das Kreuz her auf der Höhe,
Und entseelt schien alles Leben.
Aber plötzlich durch die Stille
Drang der kurze Todesangstschrei
Eines Vogels, aus dem Schlummer
Aufgeschreckt vom Stoß des Falken ...
Ha, was ist das? Fern im Meer dort
Auftaucht ein gespenstig Fahrzeug,
Oede, schaurig, todeseinsam:
Rabenschwarz sind seine Segel,
Schwarz der Mast und leer der Bord –
Eines einz'gen Mann's Gestalt lehnt
An dem schwarzen Mast wie Einer,
Der an einen Pfahl gebunden.
Auf zum fahlen Monde blickt er,
Starr und wie entseelt, gespenstig,
Und im starren, düstern Blicke
Des gespenst'gen Seglers spiegeln,
Wie im Blick des Manns am Kreuze,
Alle Schauer sich des Lebens ...
»Alles Leben,« ächzte klagend
Der Homunkel auf dem Kreuze,
»Ist es nicht ein wilder Angstschrei?
Vor dem Tod? nein, vor sich selber!
Der gepredigt neues Leben,
[240]
Pred'gen möcht' ich jetzt das Nichtsein
Möchte leben, weiterleben,
Nur um weitum in den Landen
Zu verkündigen das große
Evangelium des Todes!« –
Morgenhauch beginnt erfrischend
Jetzt zu wehen um die Höhe.
Zu gewaltigem Entschlusse
Sind gereift im nächt'gen Grauen
Die Gedanken der Verzweiflung
In dem Geiste des Homunkels.
Mählich hatte doch indessen
Sich gesenkt ein leiser Schlummer
Auf das Haupt des greisen Wand'rers,
Welcher unter'm Kreuze ruhte.
Und in einem Traumgesichte
Meint' er schlummernd zu vernehmen
Eine wundersame Kunde:
Daß Erlösung doch ihm werden
Sollte noch, dem Wandermüden,
Und daß auf der Erde wandle
Einer, wunderbar geartet
In der Schaar der Erdensöhne,
Auserlesen und berufen,
Jenen Fluch auf sich zu nehmen,
Jenen Fluch und jenes Erbe
Der Unsterblichkeit, mit welcher
Sich so lang' geschleppt der müde
[241]
Jude von Jeruscholajim.
Aus dem Traum erwacht, und seufzend,
Daß es nur ein Traum gewesen,
Wendet sich der Greis zu Munkel,
Klagend, daß er weiter wandern,
Wieder weiter wandern müsse,
Während er so müde, müder
Sei als je und auf dem Gipfel
Angelangt der Todessehnsucht.
»Müder als ich selbst,« erwidert
Munkel, »müder als die Menschheit
Bist du nicht, o Greis – und dennoch
Bitt' ich jetzo dich, die Bande
Von den Händen, von den Füßen
Mir zu lösen – noch nicht sterben
Will ich, sterben nicht allein hier,
Wirken will ich noch und streben
Für Gedanken, die gereift sind
Diese Nacht in meinem Geiste!« –
»Ruhe, ruhe! Schweige, schweige!«
Flüstert mahnend Ahasverus.
»Schweigen? Ruh'n?« erwidert Jener,
»Schweigen werd' ich, wenn ich ruhe,
Ruhen werd' ich nur im Grabe.
Reden ziemt dem Leben – Schweigen
Ist das große Recht der Todten.«
Als herabgelangt vom Kreuze
Mit des Greises Hülfe Munkel,
[242]
Wanderten die Beiden schweigend
Bis zum Klippenstrand des Meeres,
Zu erspäh'n, ob noch ein Fahrzeug
Sich da finde, fortzubringen
Sie aus dem verlass'nen Lande.
Aber öd', wie ausgestorben
Weithin war der Strand. Doch rastlos
Schreitet Ahasver, es folgt ihm
Sinnend Jener. Da erschließt sich
Eine öde, schmale Felsbucht,
Und in dieser steht ein Fahrzeug
Regungslos. Es ist das todte
Meerschiff mit den schwarzen Segeln,
Mit dem schwarzen Mast, dem einz'gen
Mann an Bord, dem schattenhaften.
Munkel schaudert. Doch der stumme
Greis und der gespenst'ge Segler
Kennen sich, so scheint's; die Blicke
Beider streifen sich vertraulich.
Dem Gefährten winkt der Alte
Stumm, den Schiffsbord zu besteigen.
Dieser folgt. In grauer Dämm'rung
Stößt vom Land das Geisterfahrzeug.
[243]

9. Gesang: Sein oder Nichtsein

Neunter Gesang.
Sein oder Nichtsein.

Jenen tiefen nächt'gen Schauer
Alles Lebens, welchen Munkel
Mitempfunden, als er einsam
Hing am hohen Marterholze
Dort auf ödem Bergesgipfel
In der schauerlichen Mondnacht –
Jenen tiefen nächt'gen Schauer,
Der versöhnt sich immer wieder
Lös't im heil'gen Strahl des Tages,
Aber zur Verzweiflung wurde
In der Seele des Homunkels –
Warf als düst're Schreckensbotschaft,
Unversöhnten Leid's Alarmruf
Munkel zündend in die Menge.
Das verschämte Leid der Seelen
[244]
Ward zur widrig off'nen Wunde,
Ward zur Krankheit, ward zur Seuche
Für die Seelen, für die Leiber.
So zur Perle wird die Thräne,
Einsam rollend – wird der Tropfen
In der Muschel; doch sich mischend
Dem gemeinen Erdenstaube,
Wird zum Koth er in der Straße ...
Langweil', Ueberdruß, Blasirtheit,
Spleen, Zerrissenheit und Weltschmerz
Aller frühern Menschenalter
Schienen nur ein harmlos Vorspiel,
Als die große Völkerseuche
Um sich griff des »Pessimismus«.
Jeder warf hinweg das Leben,
Welches werthlos ihn bedünkte;
Fürchten mußte, wer sich wagte
In die Gasse, daß bei jedem
Schritte schier ein Unglücksel'ger,
Aus dem Fenster just sich stürzend,
Ihn mit sich zu Boden schmett're.
Sämmtlich hingen voll die Bäume
In den Gärten, in den Wäldern
Von den Opfern der Verzweiflung,
Und an keinem Weiher konnte
Man vorbeigeh'n, keinem Flusse,
Ohne daß ein Trupp Selbstmörder –
Einer Schaar von Fröschen ähnlich,
[245]
Wenn Lustwandelnde sich nähern –
In's Gewässer glitt vom Strande ...
Einzig und allein die Greise
Zwischen achtzig, neunzig Jahren
Wünschten immer noch zu leben,
Konnten nicht des jüngern Volkes
Todeslüsternheit begreifen.
Kleine Knaben, zarte Mägdlein
Spielten Sterben und Begraben,
Und nur kleines Mordwerkspielzeug
Liebten sie; die Knaben waren
Hypochonder, und die Mädchen,
Schon in ihrem dritten Jahre
Litten sie an Hysterie.
Aus den Schenken klang es nur mehr:
De profundis! Miserere!
Gaudeamus war verschollen,
Laute Fröhlichkeit verpönt,
Und erlaubt der »stille Suff« nur.
Ind'sche Arten der Askese
Nahmen überhand: es lebten
Eremiten, weltverachtend,
Zahlreich in den Wüsteneien.
Allverhaßt war nun das Dasein,
Und es steigerte bei Manchem
Sich der Ekel vor dem Leben
Bis zu tödlichem Erbrechen.
Auch im Stadium der Tobsucht
[246]
Wüthete die Weltverachtung.
Viele mußte man an Ketten
Legen, weil sie geifernd, scheltend,
Unablässig sich des Hauptes
Haar voll Wuth zerrauften, Alles
Kurz und klein zu schlagen drohten.
Schließlich wurden selbst die Thiere
Angesteckt von der »Blasirtheit«
Und »Nervosität« der Menschen.
Hunde wurden Hypochonder,
Mitgetheilt in den Familien
Ward die Hysterie den Katzen;
Diese dann auf and're Thiere
Pflanzten fort durch Biß das Uebel,
Wie die Wasserscheu. Der Zeisig
Sang nur mehr in Molltonweisen,
Leberkrank die Fische schlichen
Durch die Wellen, und die Rinder
Wiederkäuten – Schopenhauer.
Riesig wuchs der Kreaturen
Harm, Unseligkeit, Ermattung!
Doch der schwärzeste der Schatten,
Die das Uebel und das Weltleid
Warf in dieses Thal der Thränen,
Lag im Geiste des Homunkels.
Trübsinn hielt ihn tief umnachtet,
Tiefer als die andern armen
Kinder all' der weiten Erde.
[247]
Nur ein einzig Wesen gab es
Auf dem weiten Erdenrunde,
Das an Trübsinn, inn'rer Leere,
Lebensmüdigkeit ihm gleichkam.
Dieses Wesen war ein schönes
Blasses Weib, das düster-blickend,
Sinnend eines Tags im hohen
Dom zu Köln vor einem Bildniß
Stand der Mater dolorosa.
Heimgekehrt war sie zum Rheine
Von des Hellesponts Gestaden,
Wo als strahlendster der Sterne,
Ueppigste der Schönheitsrosen,
Sie geglänzt am gold'nen Horne,
Im Serail des Padischah.
Liebestoll zu Füßen lag ihr
Dort der mächt'ge Herr der Gläub'gen;
Doch sie fühlte sich als Sklavin,
Und von Ueberdruß ergriffen,
Rafft sie auf von üpp'ger Langweil'
Seid'nem Pfühl sich, will entsagen
Ganz der Menschenwelt, der schalen.
Maßlos fühlt sie sich unselig
Und es überkommt sie Reue,
Daß sie aufgab einst ihr bess'res,
Schönes, stilles Nixendasein
In krystall'ner Strombehausung,
Eingetauscht dafür des tollen
[248]
Menschenseins enttäuschungsvollen
Unbestand in ew'ger Unrast.
Heimgekehrt zum grünen Rheine,
Auf der Spitze ihres Felsens
Mitternachts bei Sternenscheine
Streift sie ab den eitlen Tand,
Der den Nixenleib umflittert,
Stürzt sich in die holdvertraute
Dunkle Flut hinab mit Jauchzen.
Doch wie wird ihr? Sie erschauert
In der Kühle der kristall'nen
Heimat auf dem Grund des Stromes.
Nicht mehr gleitet durch die Wellen
Sie wie einst, so leicht, so munter,
Trübe schwinden ihr die Tage,
Endlos lang die Sternennächte,
Denn gelernt die Zeit zu messen
Hat sie bei den Menschenkindern:
Zeitlos rann in holdem Gleichmaß
Einst der Stromesnymphe Dasein,
Wie des Stromes Welle selber!
Menschlich angekränkelt war sie
Und verloren der Natursinn
Längst, der laut're, der in schönem,
Sel'gen Einklang einst ihr Wesen
Hielt mit Himmel und mit Erde,
Mit den Wellen, mit den Lüften,
Mit den wandelnden Gestirnen.
[249]
Losgerissen war sie, ach,
Von dem mütterlichen Busen
Der Natur, der unbewußten,
Und doch auch nicht ganz vermenschlicht,
Nicht durchwärmt vom Götterfunken
Einer echten Menschenseele:
Einer Menschenseele, fähig
Echten Liebens, echten Leides ...
Auf der schmerzenreichen Mutter
Bildniß blickt die bleiche Schöne
Mit den lebensmüden Augen:
Und es blitzt in diesen Augen
Auf ein Strahl schier wie des Neides.
Und sie flüstert: »Hehres Weib,
Gieb mir deine sieben Speere –
Gieb sie mir, die sieben Speere,
Die dein Mutterherz durchstoßen:
Minder elend fühlen werd' ich
Mich mit diesen sieben Speeren,
Als mit dieser öden Leere,
Diesem Ueberdruß im Herzen! ..
So in Munkels, Lurleis Seele
Zeigte sich das Leid der Welt,
Sich das Leid der Zeit, das arge,
Schauerlich auf seinem Gipfel.
Ohne weit're Säumniß raffte,
Als so weit gedieh'n das Unheil,
Zu dem rettenden Gedanken,
[250]
Dem titanischen Entschlusse
Unser Held sich auf, der öden
Existenz ein Ziel zu setzen
Hier auf Erden und für immer.
Doch wie sollt' er sie vollführen,
Die titan'sche Retterthat?
Neun der Tage, neun der Nächte
Sann er nach und schier vergeblich.
Und wie Zeus, als er der Weisheit
Göttin dachte zu gebären,
Mußt' er sich den Kopf zerbrechen:
Aber nicht, um zu gebären
Eine Welt – nein, zu vernichten!
Erst gedacht' er allgemeine
Mörderische Hungersnöthe,
Theurung durch Getreidewucher
Zu erzeugen – neue Seuchen,
Tödtlicher als all' die andern
Einzuschmuggeln aus versumpften,
Pesthauch-schwangern Erdenwinkeln –
Oder große Völkerkämpfe,
Rassenkämpfe zu entfesseln,
D'ran die ganze Menschheit endlich
Sacht vermöchte zu verbluten.
Nationen, Natiönchen
Hetzt' er grimmig auf einander.
Kräftig waren diese Mittel,
Doch zu schleppend schien die Wirkung.
[251]
Trennung der Geschlechter pries er
Als der Hoffnung letzten Anker:
Plato's Liebestheorie
Von den zwei verschied'nen Hälften,
Welche erst zum vollen Menschen
Sich ergänzen, stieß er um.
Zahlreich macht' er Proselyten:
Aber immer – Gott weiß wie? –
Wurden Kinder noch geboren.
Schwämerische Frau'nspersonen
Predigten »spiritual love«,
Und – und kamen in die Wochen.
Einen Plan auch viel erwog er,
Das Azot der atmosphär'schen
Luft auf ein'ge Meilen hoch in
Pikrinsäure zu verwandeln.
Doch zu solchem Thun erwiesen
Unerschwinglich sich die Mittel.
Nach all' diesen und noch andern
Aehnlichen Versuchen, welche,
Halb gelungen, ganz gescheitert,
Nicht vom Fleck die Sache brachten,
Zeigte sich dem Geiste Munkels
Als entscheidender Gedanke
Dieser noch: einzuberufen
Einen großen allgemeinen
Weltkongreß der Seinsverächter.
Zur Berathung sollten hierbei
[252]
Sich aus aller Herren Ländern
Unverweilt zusammenfinden
Die erlesensten der Geister.
So dann mit vereinten Kräften
Würde man vielleicht gelangen,
Meinte Munkel, zum erstrebten
Ziel der Seins- und Weltvernichtung.
Schließlich noch besann sich Munkel,
Daß ja die gesammte Thierwelt
Auch, die lebenden Geschlechter
All', des Menschen Stammesbrüder
Rings in Erde, Luft und Wasser
Miterlös't zu werden trachten,
Schmachtend in des Daseins Joche.
Wär's erlaubt, sie auszuschließen,
Wenn es gälte, zu erwägen,
Wie am gründlichsten dem Leben
Dieser siechen öden Erdwelt
Sei der Gnadenstoß zu geben?
War zum Glück doch der Gedanke
Allgemeinsamer Berathung,
Allgemeinsamer Verständ'gung
Der gesammten Lebewesen
Nicht mehr bloß Aesop'sche Fabel!
Denn es hatte jüngst, durch Munkels
Immer regen Geist ergrübelt,
Eine allgemeine Sprache,
Ein vereinfacht' Volapük,
[253]
Unter allen Völkerschaften
Und sogar bis in die Thierwelt
Sich verbreitet – eine Sprache,
Angepaßt den Stimmorganen
Auch der Thiere: ganz aus Lauten
Der Natur gebildet, Tönen
Und Geräuschen in verschied'ner
Stärke, wechselnder Betonung,
Abgestuft in Höhe, Tiefe,
Und begleitet von Geberden,
Deutungsvoll dem Sinn vermittelt.
Als Dolmetscher im Beginne
Zwischen Menschen erst und Vögeln,
Endlich der gesammten Thierwelt,
Dienten gern die Papageien,
Die mit Elstern, Staaren, Spechten,
Uns're edle Menschensprache
Längst schon leidlich radebrechten.
Alsobald von nah' und ferne
Strömten zu die Gleichgesinnten.
Stolze Briten, spleenbehaftet,
Nihilisten von der Moskwa,
Tiefgelehrte Doktrinäre
Und Kathederpessimisten
Uns'res großen Denkervolkes,
Buddhaisten auch aus Indien,
Neben Negern, Lappen, Kaffern,
Und noch vielen andern Völkern,
[254]
Waren allzumal vertreten.
Auch ein großer Schwarm von lauernd-
Lauschenden Berichterstattern
Kam aus aller Herren Ländern,
Spitzen Stift in spitzem Ohre.
Und gefolgt dem Rufe Munkels
War, nicht säumend, auch die Thierwelt.
Adler zwar und Greif und Löwe,
Phönix und Simurg und and're
Der erlauchter'n Thiergeschlechter
Ließen sich entschuld'gen: aber
Pica kam, die Elster, Rohrspatz,
Eule, Fledermaus und Unke,
Dompfaff, Wiedehopf und Guckuck –
Papageien selbstverständlich –
Und noch manche And're kamen.
Ahasver, der ew'ge Jude,
War, da unbekannt des alten
Weltdurchwand'rers Aufenthalt,
In den öffentlichen Blättern
Aller Länder aufgefordert,
Der Versammlung höh're Weihe
Zu verleih'n durch sein Erscheinen.
Er erschien und ward empfangen
Allerseits von des Kongresses
Gliedern mit den höchsten Ehren,
Als der Todessehnsucht ält'ster
Und ehrwürdigster Bekenner;
[255]
Ward gehoben auf die Schultern
Und im Kreis umhergetragen
Unter allgemeinem Jubel.
Gleich zum Alterspräsidenten
Wählte man ihn dann durch Zuruf,
Und so hatt' er zu eröffnen
Feierlich den großen ersten
Sitzungstag der Seinsverächter,
Dieses Schwarms von »ew'gen Juden«,
Welche nach dem Tod verlangten.
Eine kurze Rede hielt er,
Zitternd, dumpf, mit Greisenstimme,
Und so blieb sie unvernommen;
Nach dem Ausspruch der »Reporter«
Mit den schärfst-gespitzten Ohren
Zeugte sie von Altersschwäche.
Als dann Munkel zur Eröffnung
Sinn'ge Worte noch gesprochen,
Tritt hervor zunächst ein deutscher
Hochansehnlicher Gelehrter,
Welcher die von ihm erfund'ne
Therm-elektro-phonographisch
Konstruirte, patentirte
»Lust- und Unlustwage« vorweis't,
Mittelst welcher er seit Jahren
Täglich die von ihm und Andern
Durchempfund'ne Lust und Unlust
Bis zur unermeßlich kleinsten,
[256]
Unbemerkbar-unbewußten,
Abgewogen, ziffermäßig
Dargestellt, protokollirt hat.
Rechenschaft dann giebt er gründlichst
Ueber das hierbei zu Tage
Ganz unzweifelhaft getret'ne
Defizit der Lust im Durchschnitt,
Wobei er, gewissenhaftest,
In Berechnungen sich einläßt
Mit viel langen Ziffernreihen
Und so manchem Dezimalbruch.
Die Versuche eines andern
Schätzbaren Kollegen, welcher
Lust- und Unlustgrademesser
Nach der Höhe solcher Sprünge,
Wie der Mensch sie thut vor Freuden,
Und der Tiefe Grad, in der er
Hängen läßt den Kopf vor Unlust,
Konstruirt – verurtheilt Redner,
Nennt sie ungenau und kindisch.
Günst'ger spricht er von der Absicht,
Jägers »Lust- und Unlustdüfte«
Anzuseh'n auf ihre Eignung
Hin zu solcher Maßbestimmung.
Mit Berufung ferner darauf,
Daß nachweislich expandirend
Wirkt die Lust, und kontrahirend
Auf den Organism die Unlust,
[257]
Glaubt er ziemliche Erfolge
Sich versprechen auch zu dürfen
Vom auf dies Prinzip gebauten
Neuesten »Hedonometer«,
Dessen Plan ihn just beschäftigt.
Diesen Vortrag nahm mit lebhaft-
Wissenschaftlichem Int'resse,
Beifallspendend, gern zur Kenntniß
Uns're preisliche Versammlung.
Jetzt betritt ein spleenbeherrschter
Britenlord die Rednerbühne,
Und beginnt – nervöses Zucken
Wetterleuchtet ihm im Antlitz –
Zu ereifern sich: ein Wicht,
Ein erbärmlicher Geselle
Sei von je der Mensch auf diesem
Schnöden Rund der Welt, mit welchem
Gott und Teufel Fangball spielen!
»Ha!« so ruft er, bitter lachend,
»Dies Geschlecht der armen Wichte,
Das so prahlt mit seinem Scharfsinn,
Das so eitel pocht auf seine
Riesigen Kulturfortschritte,
Ist thatsächlich noch so weit nicht
Fortgeschritten, zu erfinden
Endlich eine Art von Knöpfen,
Welche fest am Rocke sitzen! –
Ja, der Mensch – ein armer Tropf ist's
[258]
Von Natur und durch Verhängniß,
Und was er auch immer treibe,
Was er thue, was er lasse,
Niemals kann er etwas and'res
Als erbärmlich sein und elend.
Schließ' ich einen Bund der Ehe,
Werd' ich Hahnrei: laß' ich's bleiben,
So verkomm' ich und verderb' ich
Einsam, alt, als Hagestolz.
Bild' ich mich, je nun, so werd' ich
Ein Pedant, ein raffinirter
Kopfmensch, und es geht zum Teufel
Herz, Gemüth mir und Natursinn!
Thu' ich's nicht – ei, so verdumm' ich
Und verthier' ich und bin schlechter
Als das Rind, das brüllt im Stalle!
O, die Menschen – hu! mich gruselt's!
Wie kann diese Sippschaft einem
Je gefallen, wenn er denken
Muß bei Jedem in der Menge,
Jedem, der ihm kommt vor Augen:
Ha, der Bursche, der vor mir da
Steht so ruhig und so harmlos,
Trägt vielleicht in sich den Keim schon
Einer fürchterlichen Krankheit,
Die ihn hinrafft nächste Woche –
Oder wird verrückt im nächsten
Augenblicke – oder macht sich
[259]
Schuldig in der nächsten Stunde
Eines gräßlichen Verbrechens!!! –
Und erscheint einmal erhaben
Ob der andern Dutzendmenschheit,
Der erbärmlichen, ein Erdsohn
Durch Genie – sieht er nicht schmählich
In den Wust und Dust des Alltags
Wiederum herabgezogen
Durch die hundert lächerlichen
Kleinlichen Erbärmlichkeiten
Seiner physischen Natur sich?
Welche Prosa grinst aus Schillers
Ewigem Katarrh und Schnupfen,
Goethes, des Olympiers,
Zahngebrest und Gliederreißen! –
Ist nicht jede kleinste Stelle
Uns'res Menschenleibs befähigt,
Einer schnöden, martervollen
Schmerzempfindung Sitz zu werden?
Aber auf wie wen'ge Stellen
Ist beschränkt das schale Bischen
Lustgefühl im selben Leibe!
Und schlägt nicht durch fortgesetzte
Steig'rung jede Lustempfindung
Alsbald in ihr Gegentheil um?
Aber wann schlägt jemals Unlust,
Wenn gesteigert, in Genuß um?
Wann verwandelt, wenn zunehmend,
[260]
Mißduft je in Wohlgeruch sich?
Und wann eine Tracht von Prügeln,
Wenn verdoppelt, sich in Wollust?
Ha, verräth in solchen Dingen
Nicht so recht die ganze Bosheit,
Ganze Tücke der Natur sich? –
Aber (fuhr der Redner fort
In gesteigerter Erregung)
Alles Menschenelends Krone
Bleibt doch stets die Langeweile,
Die unendliche, des Daseins!
Ha, dies tägliche Sichauszieh'n
Um sich wieder anzuziehen –
Dieses tägliche Rasiren –
Dieses siebzig, achtzig Jahr' lang
Fortgesetzte, auch nicht einen
Augenblick je unterbroch'ne
Pulsgetick und Luftgeschnappe –
Dies entwürdigende, schale
Einerlei des Stoffewechsels
Tag für Tag im langen Leben –
Tod und Teufel! ist mein Leib denn
Eine chemische Retorte?
Nur ein Tummelplatz für Buhlschaft
Oder Faustkampf der Molekel?
Muß ich fröhnen des Naturlaufs
Eigensinn'gen, närr'schen Launen,
Wie der Holzklotz, wie der Erdkloß,
[261]
Wie der dumme Stein am Wege?
Bin Nußknacker ich, Pagode,
Drahtfigur, Marionette?
Und dann überhaupt das ew'ge,
Unerträgliche Gebanntsein
In dies leid'ge Ich – Ich – Ich – ha!
Ich sein müssen, immer Ich,
Eingefangen, eingepfercht sein
Immer in dem eig'nen Selbst – oh!
Dieses Selbst, das uns zeitlebens
Sitzt als Huckepack im Nacken,
Niemals abzuschütteln auch nur
Eine flüchtige Minute,
Ob man seiner noch so sehr auch
Ueberdrüssig – dieser Popanz,
Der man »ist« – ja, immer »ist«,
Und den man im längsten Leben
Doch so wenig kennt – so wenig
Kennen lernt, als seinen – Rücken!
Ist es nicht um toll zu werden?« –
So der Sprecher, stets erregter,
Wilder stets hervor die Worte
Stoßend – jedes Wort ein Steinwurf.
Jetzt aus Wolken tritt die Sonne,
Und des Redners wirrer Blick fällt
Auf den Schatten in der Sonne,
Den er wirft. Hohnlachend ruft er:
»Ei, da seht nur einmal den da!
[262]
Ha! auch der zu all' dem Andern?
Was nur will, was will er, dieser
Ueberflüss'ge Doppelgänger
Eines überflüss'gen Ich's?
Dieses Zerrbild uns'rer eig'nen
Wesenlosigkeit, was will es?
Dies Symbol des wesenlosen,
Schattenhaften großen Ganzen
Spiegelbild des großen Nichts,
Welches doch so schauerlich, ha,
Schauerlicher als der Tod ist! –
Oder wär' er doch am Ende
Nicht so nichtig als er aussieht,
Der zudringliche Geselle? « –
Unheimlich begann zu funkeln
Und zu zucken und zu rollen
Hier des Sprechers graues Auge:
»In der That, ich trau' ihm nicht!
Mir wird angst zuweilen, wenn ich
Ganz allein mit ihm! Wer bürgt mir,
Daß mich dieser Doppelgänger,
Dies Gespenst des großen Nichts,
Nicht auch einmal plötzlich anfällt,
Sich von hinten auf mich stürzt,
Mich mißhandelt, mich beraubt,
Dann davon läuft und mich steh'n läßt
Schattenlos im Sonnenscheine?« –
Tief entsetzt auf seinen Schatten
[263]
Starrt der Sprecher.
»Ha, was fletschest
Du die Zähn', erhebst die Fäuste,
Reckst empor dich und bedräust mich
Mit Grimassen und Geberden?!« –
Vor den Mund trat jetzt der Schaum ihm;
Wüthend auf den Doppelgänger
Wirft er sich, das große Nichts.
Er ist toll geworden – schleunig
Wird er durch die schreck-ergriff'nen
Hörer, die ihm nahe standen,
Mit Gewalt von der Tribüne
Nieder und hinweg geführt.
Ihn ersetzt ein Moskowiter,
Ein Prophet des »Nihilismus«,
Welcher mit blasirtem Gleichmuth,
Der in angenehmer Weise
Absticht gegen die erregte
Sprache jenes andern Redners,
Nur so ein paar Worte hinwirft,
Scharf und hart und kalt wie Dolche:
»Alles muß vernichtet werden!
Solches will der Nihilismus.
Was der Sinn sei, was das Wesen,
Was das Ziel des Nihilismus?
Dynamit ist's und Petroleum!
Das Bestehende zu stürzen
Ist das Erste, ist das Letzte.
[264] Alles muß vernichtet werden!
Nichts ist werth, daß es bestehe,
Und Gott hat die Welt geschaffen,
Nur daß sie der Teufel hole!« –
Sprach's und schaute mit verglas'tem
Geieraug' noch einmal um sich
Und verließ die Rednerbühne.
Tiefer ward gefaßt die Sache
Von dem deutschen »Doktrinär«,
Der hernach das Wort sich ausbat.
»Alles muß vernichtet werden
Hub er an. – »Ganz recht! so denk' ich
Auch – so denken ja wir Alle!
Doch der Weltvernichtungs-Losung
»Dynamit-Petroleum«
Sich're Trefflichkeit bestreit' ich:
Denn es mangelt ihm die logisch-
Metaphysische Korrektheit.
So gewiß nach Schopenhauer
Alles Sein und Leben einzig
Ruht auf dem geheimnißvollen,
Ruht auf dem all-Einen Willen,
Welcher Wille ist zu leben,
Und in seiner Unvernunft
Blindlings sich die Welt geschaffen –
So gewiß auch kann das Leben
Einzig durch all-Eines Wollen,
Nicht zu leben, aufgehoben,
[265]
Ganz und gründlich und für immer
Ausgetilgt, vernichtet werden.
Aber nicht durch Einzelwillen!
Solcher Wille kann nur tödten,
Und der Tod, er kann das Leben
Nur zertrümmern, nie vernichten!
Nein! vereinen muß in einem
Und demselben Augenblicke
Aller Wesen Lebenswille
Sich, das Leben nicht zu wollen!
Denn allmächtig ist der Wille,
Zu vernichten diese Welt,
Wie er's war, um sie zu schaffen.
Was als ew'ger, allgemeiner,
Der Urwille schuf, der blinde,
Kann zurück in's Nichts auch stürzen
Nur er selbst als ganzer, Einer.
Und so liegt der Sache Kernpunkt
Darin einzig, daß der Wille,
An sich unvernünft'ge Wille,
Eines Besseren belehrt nun
Durch den reifen Intellekt,
Sich in wiederhergestellter
Metaphysisch-myst'scher Einheit
Selbst bestimme, nicht zu leben,
Dieses Dasein zu verneinen!« –
»Hört!« erscholl's durch die Versammlung,
Und fortfuhr der Sprecher, während
[266]
Athemlos die Hörer lauschten.
»Wenden wir an die Gesammtheit
Aller Wesen uns des Erdballs!
Wenn mit angestrengt-vereinter,
Koncentrirter Willenskraft sie
Sich entschließen, nicht zu wollen,
Ist verneint der Lebenswille,
Ist verneint das Leben selber,
Und die große Seifenblase
Welt in unserem Bewußtsein,
Platzen wird sie plötzlich; schwinden
Wird auch das Bewußtsein selber
Mit dem Sein, das nur Bewußtsein! –
Und so sprech' ich's denn gelassen
Aus, das große Wort: an alle
Menschlichen und Thiergeschlechter
Dieses weiten Erdenrundes
Ungesäumt ergeh'n zu lassen
Eine Mahnung, unerhört,
Eine Frage, nie vernommen:
Ob gesonnen sie, so weiter
Noch zu leben, ob sie vorzieh'n
Diesem bitt'ren Sein des Nichtseins
Ew'ges Dolce far niente!
Hier an unserm Bundesorte,
Wenn nach Mondesfrist wir wieder
Uns dahier zusammenfinden,
Wird auf Schwingen der Elektrik
[267]
Ungesäumt zu theil uns werden
Aller Länder, aller Völker,
Aller sterblichen Geschlechter
Willensmeinungs-Offenbarung!
Und erklingt das Todesurtheil
Für die Welt, das große Nein,
Tag und Stunde zu bestimmen
Gilt es dann und kund zu machen
Für den großen feierlichen
Aktus der Gerichtsvollstreckung
An dem Sein, dem tod-verfall'nen,
Wo in einem und demselben
Augenblick auf weiter Erde
Nicht bloß in der Mehrzahl etwa –
Nicht genügen würde Solches,
Wie schon fälschlich ward behauptet –
Nein, in Allen, wie ein Licht,
Stracks erlöscht der Lebenswille,
Und mit ihm, was er in blöder
Jugendthorheit einst erzeugte
Mit der Buhlin Phantasie:
Dieses Traum- und Schaumgebilde,
Das wir Welt zu nennen pflegen!« –
Aufgenommen ward mit Staunen,
Mit Verblüffung und mit ries'gem
Beifallsjubel dieser Vorschlag.
Aber Munkel gab das Wort jetzt
Den Vertretern auch der Thierwelt.
[268]
Und sie traten auf und sprachen,
Und bewiesen, daß Verstand nicht
Und Vernunft es war und Einsicht,
Was bisher gebrach den Thieren,
Sondern nur die Redegabe.
Allen Andern that der Rohrspatz
Es zuvor in bitterbösem
Schelten auf die Welt, die arge,
Ihren Schnabel wetzte blinzelnd
Zu des Lichts Unglimpf die Eule,
Wimmerte, ein Elend sei es
Für die schnöden Taggeschöpfe,
Daß der wohligen, der stillen,
Süßen Dunkelheit entrissen,
Gleich bei'm ersten Augenaufschlag
Sie das Licht der Welt erblicken,
Diese unverschämte Helle!
Lebhaft schwatzend, ohrzerreißend,
Gab der Papagei zu hören
Das von Anderen Gesagte
Und erging sich in Citaten
Ohne Zahl aus allen Büchern
Aller Sprachen, die des alten
Weltleids je Erwähnung thaten.
»Selbstverneinung, allgemeine
Selbstverneinung,« schnarrt' er schließlich,
»Ja, das ist's! Als genialer
Blitz am höchsten Geisteshimmel
[269]
Zuckt' er auf, der Hochgedanke!
Ha, mit dem Gedanken beißt sich
In den Schweif die Weltenschlange,
Sich zur Null des Nichts zu ründen!
Weltgeschick, vollende dich!
Hurrah!« schloß er kreischend, krächzend,
»Hurrah, hoch die Selbstverneinung,
Weltverneinung, Allverneinung!« –
Ungesäumt nun an des Erdballs
Völker ward entsandt die Botschaft,
Und an alle Thiergeschlechter.
Festlich schloß des hohen Wirkens
Der Versammlung ersten Ablauf
Ein Bankett. Unzähl'ge Toaste
Wurden ausgebracht: auf Munkel
Allvoran, dann auf den greisen
Ahasver – auf Schopenhauer –
Auf den Gott der Weltvernichtung
Shiva – auf den Tod – das Nichts.
Becher blinkten, Pfropfen knallten.
Schließlich, um die Geisterstunde,
Brüllten Ein'ge »Gaudeamus
Igitur« – »Freut euch des Lebens« –
Doch das war ein wüster Traum nur,
Draus sie tiefbeschämt erwachten. –
Und des Erdballs leidbedrängte
Wesen alle, sie vernahmen
Die Verkündung und erwogen
[270]
All' ihr Uebermaß des Leides,
All' die Drangsal und Beschwerde,
Ihr vergebliches Bemühen,
Ihr verlornes Sinnen, Trachten,
Und den Trug des falschen Glückes;
Und es war das Endergebniß,
Das erklang in tausend Sprachen:
»So kann es nicht weiter gehen!
Laßt uns denn ein Ende machen!« –
Also schien das schöpferische
Urprinzip der Welt, der blinde,
Blöde, unvernünft'ge Wille,
Endlich zur Vernunft gekommen,
Und besann sich und erklärte
Sich bereit, nicht mehr zu wollen!
Mit gehobenen Gemüthern
Lauscht man diesem Endergebniß
An dem Mittelpunkt der Dinge,
An dem hohen Bundesorte.
Und nun traten sie zusammen,
Der Versammlung edle Häupter,
Tag und Stunde zu bestimmen
Für den großen, feierlichen
Akt der heil'gen allgemeinen
Weltverneinung, Weltvernichtung,
Wo durch das all-Eine, kräftigst
Auf das hohe Ziel vereinte
Wollen aller Creaturen
[271]
Sich zur Wirklichkeit gestalten
Soll die Riesenkatastrophe.
Und der Tag, den man bestimmte,
War: der erste des April.
Und die Stunde war die zwölfte
Nach des Thurmes Stundenweiser
An des hohen Bundes Stätte.
Für die andern Erdenorte
Ward sie festgestellt entsprechend
Von den besten Himmelskund'gen.
Und der Tag, er kam heran,
Und die Stunde, sie war nahe.
Des Kongresses edle Glieder
Lauschten, blaß, ernst, stumm geworden,
All' in weihevoller Spannung.
Von des Thurmes Höh' erdröhnte
Schlag für Schlag die zwölfte Stunde,
Und der letzte war verklungen.
Der Moment, er war gekommen,
Wo sie platzen sollte plötzlich,
Jene große Seifenblase
Welt im menschlichen Bewußtsein ...
Ineinanderzittern sollten
Aller Willenskräfte Ströme
Zu dem mystisch-metaphysisch-
Einheitlichen Willensschlusse:
Nicht zu wollen ...
Jetzt verfinsterte die Sonne
[272]
Sich am Himmel, und der Mond,
Wie ein düst'rer Todesherold,
Trat im weißen Leichenlaken
Zwischen Sonnenrund und Erdball ...
Dunkel ward's und dunkler immer,
Und die Finsterniß umhüllte
Mit den Schrecknissen der Nacht sich,
Gleich als wäre sie die letzte.
Alle Fledermäuse schwirrten,
Alle Todtenwürmer pickten,
Alle Raben, alle Geier
Schwärmten lauernd in den Lüften,
Alle Unken in den Weihern,
Alle Eulen in den Wäldern
Und Rohrdommeln in den Sümpfen
Stöhnten, ächzten, und gespenstig
Durch die Nacht erdröhnte fernher
Die geheimnißvolle Stimme,
Die man Nachts vernimmt auf Ceylon –
Schauerliche Töne klangen,
Wie der nächt'ge Todesangstruf
Eines Rosses, das verendet
Unter Leichen auf dem Schlachtfeld ...
Einen kurzen Augenblick, traun,
War's, als ob das Weltenschicksal
Nur an einem Faden hinge –
War's, als ob die Erde bebte,
War's, als ob ein Schauer ginge
[273]
Durch das Herz der Welt, der Dinge ...
Plötzlich doch – bei Seite stoßend
Jenen fahlen Todesherold
Und des Schleiers Saum zerreißend,
Trat aus ihrem düstern Dunkel
Vor die gold'ne Sonn' und – lachte.
Und die Wasser rauschten lachend,
Und die Winde wehten kichernd,
Und auf allen Wölkchen, welche
Durch den blauen Himmel zogen,
Saßen Geisterchen und lachten.
Frühling war's – die Erde glänzte
Blumen-überstreut und lachte.
In der Bergesschlünde Tiefen
Saßen Zwerge, saßen Gnomen,
Hielten sich den Bauch vor Lachen.
Ueberall in Luft und Wasser,
Höh'n und Tiefen scholl ein Kichern,
Scholl ein Lachen; selbst der Himmel
Machte jenen Lieblingsausdruck
Der Poeten wahr und lachte.
Selbst die Sterne guckten diesmal
Ausnahmsweis' am hellen Tage
Aus der Weltenferne tiefstem
Hintergrund hervor und lachten ...
Was geschah in jenem großen
Augenblick, als alles Lebens,
Aller Willenskräfte Ströme
[274]
Ineinander sollten zittern
Zu dem mystisch-metaphysisch-
Einheitlichen Willensschlusse:
Nicht zu wollen? –
Was geschah –
Niemand ahnt' es; von den damals
Lebenden erfuhr es Keiner.
Nur die Muse kann es sagen,
Und sie will es nicht verhehlen.
Ach, gescheitert ist das hohe,
Hehre Werk nur an dem Frevel
Eines blöden Liebespaares!
Eines blöden Liebespaares,
Das die Finsterniß verlockte
Sich zu küssen – weltvergessen –
Und das dann im Augenblicke,
Dem entscheidenden, zu spät kam
Zur einmüth'gen Weltverneinung! –
Dieses Liebespaar, das blöde,
Eldo – Eldo war's und Dora,
Die nach langer, langer Trennung
Just an diesem Schicksalstage
Durch des Zufalls Gunst und Fügung
Unverhofft sich wiedersahen. –
Alles Lebens Pulse schlugen,
Gleich als wäre nichts geschehen.
Eines nach dem Andern schlichen
Sich hinweg die edlen Glieder
[275]
Vom Kongreß der Weltverneiner,
Stumm, beschämt, die Köpfe schüttelnd,
Einer meinte, schlecht gewählt
Sei die Jahreszeit gewesen
Für den Tag der Weltverneinung:
Denn der Wille, nicht zu wollen,
Sei bekanntlich schwach im Lenze.
Ach, was half dir's, armer Wille,
Daß vernünftig du geworden?
Ach, du bist zu schwach gewesen!
Stark genug bist du gewesen
Schaffend diese Welt zu wollen,
Aber nicht, sie nicht zu wollen!
Alles kann der Lebenswille,
Scheint's, nur nicht: sich selbst nicht wollen! –
Munkel und der ew'ge Jude
Sind allein zurückgeblieben,
Steh'n versenkt in tiefes Sinnen.
»Wiederum im Stich gelassen
Hast du mich, elende Menschheit!«
Ruft in wilder Zornerregung
Munkel. »Thor, wer hofft, zu großem
Wollen je dich zu vereinen!
Eure matte Selbstverneinung,
Thöricht eitle Erdenkinder,
Fastnachtsposse ist's für Götter!
Eure Sehnsucht nach dem Tode,
Mit der ihr so gerne flunkert,
[276]
Ist ein Wahngeschwätz von Kindern,
Die nicht wissen, was sie wollen!
Und wenn Einer selbst sich tödtet,
Ist's ein übereilter Schritt,
Den er flugs bereuen würde,
Wenn dazu die Zeit ihm bliebe!
Ihr erklärt für lebensmüd' euch,
Und doch wünscht von euch ein Jeder
Die neun Leben sich der Katze
Insgeheim, anstatt des einen.
Nicht der Thierwelt will ich grollen,
Schmachvoll aber für die Menschen
Ist's, daß sie in ihrem Dünkel
Denken, handeln wie die Thiere!
Ha, ihr Elenden, die ihr euch
Hohe Wesen dünkt, als »echte«
Menschensöhne, als »gezeugte«,
Ja sogar als »gottgeschaff'ne«,
Und verachtend blickt auf mich,
Mich, den Sprößling der Retorte:
Hört! noch wen'ger Grund zum Stolze
Hat auf das, was er geschaffen,
Seine Menschen, seine Welt,
Euer Gott in Himmelshöhen,
Als mein chemischer Erzeuger
Auf die Schöpfung seiner Hände.
Und gedenkend, was bei euch ich,
Mit euch durcherlebte, sag' ich:
[277]
Gottgeschöpfe, ich veracht' euch
Allesammt – ich, der Homunkel!
Schnöde Welt! den Rücken kehr' ich
Dir auf immer! Dich dir selber
Ueberlass' ich, überlasse
Dem gewohnten, dem verdienten
Elend dich des Weiterlebens!« –
Spricht's und sucht die tiefste Wildniß.
Seufzend greift der ew'ge Jude,
Der den herben Zornesworten
Still und scheu gelauscht und zitternd,
Gleich als hätt' erneut, verschärft, ihn
Jetzt der alte Fluch getroffen,
Nach dem alten, knot'gen, morschen
Wanderstab und humpelt weiter.
[278]

10. Gesang: Ende ohne Ende

Zehnter Gesang.
Ende ohne Ende.

Aus der Welt sich in die tiefste
Einsamkeit zurückzuziehen
Dachte Munkel. Aber schwer ward's
Ihm, zu finden eine solche.
Giebt es tiefe Einsamkeit noch?
Giebt es noch ein Fleckchen Erde,
Das unsicher nicht die Neugier
Macht, der Unternehmungseifer
Oder auch nur schnöde, müss'ge
Bummelei der Menschenkinder?
Endlich schien ein Felsgebirg' ihm
Oed' genug für seine Zwecke,
[279]
Klüfte, voll von Urweltsknochen
Und verlass'nen Drachennestern,
Boten ihm ein jungfräuliches,
Nie betretenes Asyl.
Und hier warf sein reger Geist sich
Mit dem ganzen zähen Eifer
Und dem Starrsinn, der ihm eigen,
Auf das einz'ge Feld, auf dem er
Seine Kraft noch nicht erprobte:
Das des Forschens, der Erkenntniß,
Auf das Feld der Wissenschaften.
Jeden Grund wollt' er ergründen;
In die schwierigsten Probleme
Und Projekte sich versenkt' er,
Und sein Ziel war, zahm zu machen
Die Natur, sie zu beherrschen,
Ganz als eine Art von Hausthier
Für den Geist sie einzujochen,
Zu dressiren die Gewalt'ge.
Ist nicht Wissen Macht? Ihm sollt' es
Zum Organ noch unerhörter
Zaubermacht und Herrschaft werden.
Als ein umgekehrter Faustus
Aus dem Leben zu den Büchern
Wandt' er sich, und unablässig
So studirend, meditirend,
Saß ein Loch er in den Steinsitz
Seiner Felskluft. Oft geschah es,
[280]
Daß die Spinne ihr Gespinnst,
Wie sie sonst es thun an Büchern,
Um den Leser selbst nun woben,
Um den einsam Regungslosen,
Und nie konnt' er los sich machen
Ganz vom Wust, in den ihn Spinnen
Und Gedanken eingesponnen,
Merkend nichts mehr, was bei Menschen
In der Welt rings umher vorging,
Ward er, als man, einen Tunnel
Mitten durchs Gebirg' zu bohren,
Steine brach und Felsen sprengte,
Ungesehen, ungeahnet,
Mitgesprengt sammt seiner Felskluft
In die Lüfte. Hülflos lag er
Und bewußtlos lange Tage.
Doch er lebte. Als er endlich
Aus der lastenden Betäubung
Los sich ringt und langsam, langsam
Aufschlägt die noch todesmüden,
Todesschlummer-trunk'nen Augen –
Welche Grau'nerscheinung, ha!
Beut sich seinen ersten Blicken?
Ueber ihn sich beugend, kauert
Dicht vor ihm ein Scheusal, starrt ihm
Keck in's Antlitz, zähnefletschend.
»Träum' ich noch?« fragt Munkel; »lieg' ich
Noch in Fieberphantasien?«
[281]
Aber nach dem ersten Schrecken
Sich ermannend, schaut er muthig
Aug' in Aug' dem Ungeheuer.
Ach, ein matt-verblaßt' Erinnern
Taucht empor in seiner Seele!
Ein Erinnern längst verscholl'ner
Dinge – Bilder aus Lemurien!
Diese Ungestalt, dies Unthier,
Ist es nicht ein Orangutong?
Ist es nicht geflügelt? schleppt es
Hinter sich nicht einen langen
Schupp'gen Drachenschwanz? – Kein Zweifel:
Es ist Draco! – Ja, er ist es!
Munkel war nicht feind dem Draco;
Fühlt' er doch im Gegentheile
Insgeheim sich ihm verpflichtet.
Hatte nicht der Flügelaffe
Ihn befreit von seinem schnöden
Nebenbuhler, jenem Krallfratz?
Und da nun auch Draco selbst sich
Schien auf Munkel zu besinnen,
Keine Eil' auch schien zu haben,
Ihm ein Leides zuzufügen,
Sprach, ein Herz sich fassend, der ihn
An in halbvergess'nen Lauten
Jener kräft'gen Satyrsprache,
Die zu herrlicher Vollendung
War gediehen in Lemurien.
[282]
Draco freilich sprach die Mundart
Seiner väterlichen Ahnen
Mehr mit bestial'schem Ausdruck
Und mit zischender Betonung,
Die vererbt ihm ohne Zweifel
War von mütterlicher Seite.
Doch die Beiden, sie verstanden
Leicht einander und erzählten
Sich in langen Mußestunden
Ihre wechselnden Geschicke.
Draco nun, vernehmend, Munkel
Suche eine tief verborg'ne
Stille, sichere Behausung,
Bot ihm gastlich an die seine;
Führte durch ein dunkles, krauses
Labyrinth von neun gewund'nen
Klüften ihn in eine zehnte,
Tief im Schoß der Erde, welche
An Verborgenheit, an Stille,
Nichts mehr übrig ließ zu wünschen,
Und geschützt durch ihre Lage
War auch gegen Sprengversuche
Frevelhafter Menschenhände.
Alsbald war der Flügeldrache
Munkels treu'ster Freund und Diener.
Unergründliche Naturmacht,
Sympathie geheimer Art schien
Zu verknüpfen bald das Wesen
[283]
Dieses wunderlichen Mischlings
Dem Homunkel. Nahrung schafft' er,
Wie sie, karg zwar, bot die Wildniß,
So daß Munkel ganz sich widmen
Konnte seiner Denkerarbeit;
Ließ sich bald auch rüstig brauchen,
Holz zu fällen, Erz zu graben,
Werkgeräth sogar zu schmieden.
Schäbig ward der Drachenschweif ihm,
Abgerieben, fast verkümmernd,
Bei so rührigem Bemühen.
Auch vor Feinden schützte Draco
Seinen Herrn, vor Faunen, tückisch-
Wilden Wald- und Bergkobolden,
Schützt' ihn namentlich vor seinen
– Draco's – eigenen Verwandten,
Seinen Tanten, Basen, Vettern,
Welche rings in Klüften wohnten,
Und im Gegensatz zu Draco's
Aeffischem, behenden Wesen,
Unheil brütend, träumend lagen
Auf den langen Wickelschwänzen.
Allgemach jedoch erstreckte
Des Homunkels Zaubermacht sich
Ueber all' die Höh'n: im Bunde
Mit dem riesenstarken Draco
Unterwarf er die gesammte
Fauna sich der grausen Wildniß.
[284]
All' die Wald- und Bergkobolde,
Gnome, Greife, kluge Raben,
Und die trägen Drachen selber
Waren ihm zuletzt behülflich,
Aufzurichten, auszurüsten
Eine ungeheure Werkstatt,
Tief im dunklen Schoß der Erde,
Zu gestalten, auszuführen,
Was sein Geist ersann von hohen
Wundern der Naturbeherrschung.
Karg genährt von Wurzeln, Kräutern,
Trotz der Schätze, die noch sein,
Aufgespart für große Zwecke,
Und die Schwächen, die Gebreste
Tragend des Homunkelthumes,
Seiner künstlichen Erzeugung,
Schrumpft' er ein beinah' zum Gnomen,
Zum Alraun, zum zwerghaft welken,
Aber zaubermächt'gen Kobold.
Alt nun war er längst geworden,
Aber durch Verjüngungstränke,
Die er selber sich gebrauet,
Tilgt' er zwar nicht die Verschrumpfung
Seines Leibes, noch die Runzeln
Seiner Züge, doch geschmeidig,
Fiebrisch-regsam seine Glieder
Noch erhielt er, und je mehr ihm
Abstarb des Gemüthes Leben,
[285]
Um so schärfer stets nur spitzte
Sein Verstand sich zu, sein Scharfsinn,
Um so feiner nur gedieh' ihm
Das Gespinnst der Grübeleien.
Er erfand und konstruirte
Eine kleine Denkmaschine,
Ein »Dianoëtikon,«
Das wie eine Taschenuhr man
Bei sich tragen konnt' im Sacke,
Und das man nur in der Weise,
Wie's entsprach dem Denkprobleme,
Aufzuziehn, zu stellen brauchte,
Um die bündigste, die klügste,
Unbestreitbar-beste Lösung
Des Problemes zu erhalten.
Nach dem Muster dieser kleiner'n
Denkuhr konstruirte Munkel
Eine and're, zu vergleichen
Herschels Riesenteleskope.
Und mit Hülfe dieses Werkzeugs,
Dieser Riesendenkmaschine,
Drang nun Munkel in die tiefsten
Tiefen der Natur und zwang ihr
Antwort ab auf alle Fragen,
Und Erfindungen gelangen
Seiner Kunst und seiner Einsicht,
So erfolgreich, so gewaltig,
Und damit aus ihren Angeln
[286]
Die Natur, die Welt zu heben.
Er erfand auch, rastlos grübelnd,
Ein Universal-Heilmittel;
Ferner ein Vergnügungsmittel
In der Art des türk'schen Haschisch,
Aber von so unfehlbarer,
Großer, zauberischer Wirkung,
Daß zur Lust das Dasein werden
Und für immer schwinden mußte
Alles Leid und Weh' der Erde.
Nur ein Spiel ihm war's, mit Hülfe
Der Magnet-Elektro-Thermik
Zu erzeugen Ungewitter,
Nordlicht, unterird'sches Beben,
Hagel, Reif und Schneegestöber.
Unbenützte Kraftvorräthe,
Die in ungeheurem Umfang
Aufgespeichert sind im Haushalt
Uns'rer Sphäre und des Kosmos,
Die Bewegungen der Winde,
Wasser, Wolken, Sterne – dacht' er
Nach Prinzipien der Einheit
Aller Kräfte, und der Wandlung
Aller Kräfte ineinander,
Dienstbar seinem Zweck zu machen,
All' die niedern in die höher'n,
Die Bewegungen, die Wärme,
Elektrizität in Lebens-
[287]
Und in Denkkraft umzusetzen.
Umgekehrt sodann erwog er,
Wie nach gleichen Kraftgesetzen
Das nutzlose geist'ge Streben
Mancher Menschen, Dichter, Künstler,
Uebermäßig starker Herzschlag
Der Verliebten, die zwecklose
Rührigkeit von Pflastertretern
Und von andern Müssiggängern
Nützlich wäre zu verwerthen.
Zu verwandeln, umzusetzen
In mechanische Bewegung
Zum Betriebe von Maschinen.
Was schon Büchner wußte, daß man
Heizen könne Wohngemächer
Auch mit einem Wasserfalle,
Einem Strom, Windmühlen, Rädern,
Dacht' er praktisch auszubeuten.
Durch das Aufeinanderplatzen
Auch der Geister und die Reibung
Der Parteien, meint' er, wären
Ries'ge Wärmekraft-Vorräthe
Hergestellt, die sich mechanisch
Nützlicher verwerthen ließen.
Windmühlflügel wollt' er treiben
Mit dem »Wind«, den Manche »machten«.
Wissend, daß des Licht's Erscheinung
Und des Klanges und der Wärme,
[288]
Des Magnets, Elektrons Wunder,
Des Chemismus, und sogar auch
Die des Lebens und des Denkens
Ruhen auf dem mehr und minder
Raschen Pendeltanz der Schwingung,
Schuf er grübelnd aller Wunder
Größtes, schier ein Zauberwesen,
Ueberbietend als Erfindung
Selbst die Riesendenkmaschine!
Tief und fest ins Erdreich steckt' er
Einen Stab, und den verstand er
Wie ein Metronom (von Meltzl)
Zu versetzen in jedweden
Grad von Schnelligkeit der Schwingung.
Schwang der Stab in der Sekunde
Zweiunddreißig mal, so gab er
Einen dumpfen tiefen Baßton,
Dann sich immer rascher schwingend,
Einen höhern, bis zum höchsten,
Der vernehmbar noch dem Ohre.
Dann zu Schwingungen von ungleich
Rascher'm Tempo übergehend,
Hub er mählich an, um sich her
Eine angenehme Wärme
Zu verbreiten; dann begann
Allgemach zuerst ein schwaches
Rothes Licht an ihm zu dämmern,
Dann ein gelbes – dann ein grünes: –
[289]
So die ganze Farbenskala
Bis zum Violett durchläuft er.
Rasch so, rascher, immer rascher,
Immer rasend-rascher schwingend,
Mit Millionen und Billionen
Schwingungen in der Sekunde,
Zeigt der Stab die Phänomene,
Zeigt die hohen Wunder alle,
Die wir Magnetismus nennen,
Elektrizität, Chemismus –
Und nachdem er in undenkbar-
Schnell'stem Schwung zuletzt erreicht hat
Jene Zahl von Billionen
Schwingungen in der Sekunde,
Deren Resultat das Leben,
Reißt er von der Erde Grund sich
Plötzlich los und – läuft von dannen:
Denn er lebt – er lebt und denkt!
Er auch ein Homunkel, traun,
Wenn auch auf ganz ander'm Wege,
Auf unendlich kürzer'm Wege
Hergestellt – à la minute
Als der and're, der ihn machte.
Froh der Vaterschaft war Munkel,
Und in seinem Stolz, in seiner
Freude setzt' er in die Welt noch
Viele ähnliche Homunkel,
Die in ihr umher nun laufen.
[290]
Wie das Sehrohr zeigt dem Auge
Dinge, welche sonst nicht sichtbar,
So erfand ein Hörrohr Munkel,
Das dem Ohr aus weiter Ferne
Alle Töne nahe brachte –
Töne ferner, die mit freiem
Ohr wir nie vernehmen würden,
Und die deshalb auch bis dahin
Unbekannt uns Erdensöhnen,
Weil sie viel zu dumpf und leise:
Wie der Infusorien Sprache,
Zärtlich-trauliches Geflüster
Eines Falters mit der Rose,
Die verschwiegensten Gedanken
Tief im menschlichen Gehirne,
Eines Schuft's Gewissensstimme,
Und der Hülferuf der Jungfrau'n; –
Oder weil zu fern ihr Ursprung,
Oder weil zu tief, zu hoch sie
Für ein Ohr – selbst für das längste.
Auch die Harmonie der Sphären
Ward erlauschbar durch dies Hörzeug.
Aber auch den andern Sinnen
Wußte Schwingen zu verleihen
Munkels Scharfsinn. Grübelnd schuf er
Riech- und Schmeck- und Tastgeräthe,
Die das Fernste nahe brachten,
Es zu riechen, es zu schmecken,
[291]
Es zu fühlen, zu betasten,
Und die das unmerkbar Feinste
Wahrzunehmen noch erlaubten
Mit Geruch- und Schmeck- und Tastsinn,
So daß sich erschließen mußte
Eine neue Welt den Sinnen.
Gleichberechtigt mit den höher'n
Sinnen waren jetzt die niedern,
Und zum Organon des Wissens,
Wie zuvor das Sehen, Hören,
Ward das Wittern und das Schnüffeln.
Auf den wundersamen Umstand,
Daß das Licht, und mit dem Lichte
Das, was auf des Lichtes Schwingen
Trifft das Aug' – der Dinge Bilder –
Manch' Jahrhundert, manch' Jahrtausend
Zeit sich nehmen, von den fernsten
Sternen bis zur Erde nieder,
Und von da zu jenen Sternen
Zu gelangen, so, daß Sterne,
Welche längst verkohlt, erloschen,
Wir noch stets am Himmel sehen –
Auf so wundersamen Umstand
Gründete den keck'sten Luftsprung
Seines Genius der Homunkel.
Wem gereicht' es nicht zu hoher,
Uebermenschlich-hoher Freude,
Zur Erfüllung eines oftmals
[292]
Tief und warm gehegtem Wunsches,
Menschen, welche längst dahin sind,
Weise, Helden, schöne Frauen,
Welche todt schon manch' Jahrtausend,
Leibhaft lebend zu erblicken
Einen einzigen Moment nur –
Dieses, jenes längstvergang'ne
Welthistorische Geschehen
Nachträglich in seiner vollen
Wirklichkeit, in seiner nackten
Wahrheit noch mit anzusehen?
Uebermenschlich scheint die Sache,
Scheint unmöglich, scheint undenkbar.
Nein! sie ist es nicht! Geläng' es,
Dachte Munkel, von entferntem
Fixstern hoch herabzuschauen
Auf das Erdenrund, so würde
Man auf ihm, mit Hülfe bester
Fernrohrlinsen, längst Vergang'nes
Noch erschau'n als gegenwärtig!
Auf Athens erhab'nem Burgberg
Sähe man vielleicht noch wandeln
Perikles, Aspasia –
Säh' am Hellespont den Xerxes
Mit den Seinen, oder Cäsar
Sinnend stehn am Rubikon,
Säh' mit Plato sich ein Stück noch
An des Aristophanes
[293]
Im Theater des Dionysos,
Und mit Nero eine Thierhatz'
In der römischen Arena.
Zu berechnen nach Entfernung
Der verschied'nen Sterne wär' es,
Welcher Stern zum Standort dienlich,
Eben dieses, eben jenes
Längst Vergang'ne noch zu schauen.
Einzig gält' es, zu versetzen
Sich mit Leichtigkeit auf Sterne
Mittelst eines Luftvehikels,
Dessen Schnelligkeit unendlich
Um damit den nöth'gen Vorsprung
Zu gewinnen vor dem Lichtstral.
Dies Problem zuletzt zu lösen
Noch mit Hülfe seiner Riesen-
Denkmaschine hoffte Munkel.
Unterdessen wollt' er darauf
Koncentriren sein Bestreben,
Zu erschließen, zu erproben
Neue Mittel erst und Wege
Des Verkehrs im Sternenreiche.
Ach, der Mensch – und hätt' er alles
Höchste hier erreicht auf Erden,
Ewig strebt er in die Ferne,
Selbst vom Erdrund weiter, weiter,
Bis hinauf ins Reich der Sterne.
So auch Munkel. Nichts gethan noch
[294]
Schien ihm schließlich, wenn er müßte
An der ird'schen Scholle kleben.
Jedes Sperlings Flug in's Weite
Dünkt dem Strebenden beschämend,
Ist für ihn ein ew'ger Vorwurf;
Und die Schwingen zu ersetzen,
Die ihm fehlen, bleibt des Menschen
Schönster Traum von Anbeginn.
Sollte nicht auch dies gelingen?
Ist er doch nichts Neues, dieser
Aufschwung sterblicher Geschöpfe
Von der Erde hoch in's Blaue!
Schauten nicht seit grau'ster Urzeit
Die verwunderten Gestirne
Schon so manchesmal ein Erdkind,
Das den Weg nach oben einschlug?
Denkt an Ikarus und an sein
Wachsgefieder, das ihn aufwärts
Tragen sollt' der Sonn' entgegen;
Denkt an Phaëton, der kühnlich
Mit des Vaters Flammenrossen
Auf der Sonnenbahn sich umtrieb;
An Bellerophon, den Eigner
Des bekannten Flügelrosses,
Das seither Poeten tummeln;
An den Hirten Ganymedes,
Den der Aar des Zeus, an Psyche,
Die der Liebesgott emportrug;
[295]
An Trygäus, der auf einem
Käfer, einem ganz gemeinen,
Reitend zum Olymp gelangte;
Denkt an Ikaro-Menipp,
Der auf einem Paar von Flügeln,
Einem Adler eins und eines
Einem Geier abgeschnitten
Und geheftet an die Schultern,
Seinen Himmelsflug versuchte;
An den alten Perserkönig
Kai Kawus, der, nach Firdusi,
Einen Thron sich ließ erbauen,
D'ran ein Doppelpaar lebend'ger
Adler war gebunden, welche
Hoch ihn über Wolken trugen,
Ueber Sterne, bis er freilich
Stürzte und beinah' den Hals brach;
An Domingo Gonzales,
(Don Gonzago), der auf einer
Gans zum Mond die Reise rittlings
Machte, die er dann beschrieben?
An den großen Dichter Dante,
Welchen seine Beatrice –
Nicht die erste, nicht die letzte
Schöne, die so that dem Liebsten –
In das Paradies entrückte;
Zu geschweigen von den andern
Dichtern, welche nach Belieben
[296]
Sich auf gold'nen Wolken wiegen.
Und ward jenes ew'ge Blau nicht
Wiederholt zum Schauplatz ries'ger
Kämpfe zwischen Erd' und Himmel?
Tummelten sich nicht da wilde,
Himmelstürmende Titanen?
Stürzten nicht von da die Engel,
Himmelsengel, als Rebellen
In des Höllenabgrunds Tiefen?
Sperrten da nicht einst die Vögel,
Angeführt von den zwei Schelmen
Aus Athen, den ew'gen Göttern
Keck den Weg zur schönen Erde
Durch ihr Wolkenkuckucksheim? –
Keine allzu unwegsame
Gegend also ist sie, diese
Gegend zwischen Erd' und Himmel –
Der Verkehr ist ziemlich lebhaft ...
So erbaute denn ein Luftschiff
Der Homunkel. Kinderspiel war
Solcherlei für ihn, sein Wissen,
Seine Kunst und sein Genie!
Lenkbar war das Schiff und tausend
Menschen faßt' es; sechs Stockwerke
Thürmten eins sich ob dem andern
In des Schiffs Gerüst; versehen
War's mit Allem, was ein Mensch nur
Wünschen mag auf einer Weltfahrt.
[297]
Zu des Schiffes Luftball hatten
Seidenwürmer, welche Munkel
Eigens zu dem Zweck gezüchtet,
Eine Seidenart geliefert,
Deren Feinheit unerhört,
Deren Stärke fabelhaft war.
Und die Taue, die den Luftball
Mit dem Riesenschiff verbanden,
Diese waren das Erzeugniß
Einer Art von Riesenspinnen,
Welche Munkel unverdrossen
Allgemach im Lauf der Jahre
Nach Darwinischen Prinzipien
Aus der stärksten Art von Spinnen,
Die wir kennen, aufgezüchtet
Bis zu einer Riesenrasse,
Welche Riesentaue spann,
Dick und stark und unzerstörbar.
Nicht durch Sturmgewalt, noch Feuer
Waren jemals zu zerstören
Diese Seide, diese Taue.
Ganz zu unterst lag im Schiffsbauch
Das Gelaß zur Luftbereitung,
Ueber ihm die chem'sche Küche
Zur Ernährungs-Grundstoff-Mischung,
Deren Elemente stetig
In des Stoffewechsels Kreislauf
Immer wieder her sich stellten.
[298]
Unter'm Schiffsgeräth befand sich
Munkels herrlich' Riesen-Sehrohr,
Und sein unvergleichlich Sprachrohr,
Und sein wundervolles Hörrohr,
Und sein zauberhaftes Riechrohr,
Um mit allen Sinnen machtvoll
Alle Winkel so des Weltraums
Zu durchspüren, zu durchstöbern.
Und so konnte unbekümmert
Um den Lauf der Dinge Munkel
Mit dem Riesen-Luftschiff, tausend
Menschen fassend, das er aber
Erst allein erproben wollte,
Trotz der Zeit, dem Raume bieten!
Als da fertig stand mit seinem
Hochgethürmten Kielgerüste
Das gewalt'ge Fahrzeug Munkels,
Und, wie schwer auch, leicht empor sich
Schwingend, wie der Erdball selber
Schwamm im Blau, da war's, als hätte
Babels Thurm, nun doch vollendet,
Losgerissen sich vom festen
Grund und hinge, tanzte schwebend
Jetzo zwischen Erd' und Himmel.
Flügelschlagend, keck umkreiste
Munter das gewalt'ge Luftschiff
Munkels einziger Begleiter
Auf der stolzen Luftfahrt: Draco;
[299]
Saß dann wieder auf des Fahrzeugs
Borde rastend, starrte nieder,
Halb entsetzt und halb vergnügt
In die bodenlose Tiefe,
Grinsend und die Zähne fletschend.
Hoch empor flog Munkel pfeilschnell,
Bis des Erdballs weites Halbrund
Von dem einen Pol zum andern
Seinen Blicken sich enthüllte.
Und des Halbrunds Regionen
Uebersah mit Einem Blick er:
Sah die Region des Erdreichs,
Sah die Region der Wasser,
Sah die Region des Sandes,
Sah die Region des Eises.
Tiefblau erst, dann graulich glänzend,
Lag das Meer – einkrümmt' es mählich
Sich zu einer Riesenschale,
Schien ein Spiegelbild der blauen
Umgekehrten Himmelswölbung.
Die beschneiten Alpenzüge
Glichen langgestreckten Häufchen
Schnee's, wie man auf Markt und Gassen
Sie zusammenfegt im Winter.
Flüsse zogen sich wie blaue
Adern hin im Leib der Erde;
Gelb als Gürtel schlang um ihre
Mitte sich der Sand der Wüsten.
[300]
Eiseswüsten starrten schaurig,
Endlos um die todten Pole.
Eiseswüsten, Sandeswüsten –
Wasserwüsten – und ein wenig
Land dazwischen für den Menschen! –
Mit Erstaunen, mit Entsetzen
Sieht die Menschenwelt das Wunder,
Den Koloß, des Luftreichs Babel,
Ueber's Hochgebirg sich heben:
Eines ganzen Erdhalbrundes
Augen sind gekehrt nach oben,
Festgebannt, so lang das Wunder
Sichtbar bleibt für Menschenaugen
In des Aethers Regionen.
Stolzes, hohes Selbstgenügen
Schwellt die Seele des Gewalt'gen,
Der auf sich, wie vor ihm Keiner,
Lenkt der Erdgeschlechter Blicke;
Hochgemuth an seine Lippen
Setzt er stracks sein Riesensprachrohr,
Und wie Donner aus Gewölken
Läßt er zu den Menschenkindern
Dumpf die Kunde niederdröhnen:
»Seht das Werk nun des Homunkels,
Den ihr nicht gekannt, gewürdigt!
Seht den Flug, der Scholle Sklaven,
Den er nimmt, hinweg von euch,
Tief in's All, in's schrankenlose!« –
[301]
Diese Botschaft aus der Höhe,
Staunend hörten sie die Menschen.
Mit den andern Erdensöhnen
Hörte sie der zauberkund'ge
Greise Meister, der Erzeuger
Des Homunkels: hundert Jahre
Zählt' er nun und lag im Sterben;
Und mit einem Freudenrufe
Haucht' er aus den letzten Odem.
Uebermüthig fürder gleitet,
Hoch und höher stets des Aethers
Leviathan, von den Schrecken
Wechselreicher Atmosphären
Rings umdräut. Durch Sonnengluten,
Frosterstarrte Regionen
Prickelnd scharfer Eiskristalle
Geht der Flug; auf Nebelwände,
Auf Gewölke wirft das Fahrzeug
Seinen ungeheuren Schatten,
Wie ein Luftgespenst, ein ries'ges,
Und im Schiffe der Homunkel
Sprengt durch Regenbogenringe,
Wie durch Reife Cirkusreiter!
Hei, du Sonne, gold'ne Sonne,
Wechselst du vor Angst die Farbe?
Blutroth bald und bald smaragdgrün
Blickt sie durch die Nebeldünste,
Und wo rein erglänzt der Aether
[302]
Regen sich erschrockne Sterne,
Greller vor Erregung funkelnd
Auf blauschwarzem Hintergrunde.
Wie des Meeres Fläche sinkt nun
Auch der Erde ganzes Halbrund
Mit der Berge höchsten Gipfeln
Mählich ein zur Riesenschale,
Ein zum öden Riesenkrater,
Der empor zum Himmel gähnt.
Ist's nicht eine Thränenurne,
Aschenurne, Todtenurne?
Ist es nicht ein Schreckenskrater? –
Reiche Schätze der Erkenntniß
Sammelt in den Aetherhöhen
Munkel mit des Riesensehrohrs,
Riesenhörrohrs, Riesenriechrohrs
Hilfe, die der Sinne Spürkraft
Ihm in's Unermeß'ne steigert.
Manchesmal erwägt er brütend
Sein Problem des Luftvehikels,
Das den Lichtstral überflügelt.
O wie wird er sie verblüffen,
Diese Menschlein, wenn er heimkehrt,
All' der Schöpfung Räthsel deutend!
Und schon sinnt er, was zum Voraus
Durch das hehre Sprechtonwerkzeug,
Das er schuf, zu größer'm Ruhme
Seines hohen Unternehmens
[303]
Künden soll den Erdgeschlechtern.
Von dem Bord des Riesenfahrzeugs
Blickt mit seinem Riesensehrohr
Oft verachtend der Homunkel
In die überwund'ne Tiefe.
O wie scheint ihm arm die Erde!
O wie scheint ihm klein der Mensch!
Klein und elend! und die ganze
Kleinlichkeit, die ganze Schalheit
Aller ird'schen Dinge steht ihm
Doppelt widrig nun vor Augen! –
»Ich verachte dich, o Erdball,«
Ruft er trotzig; »ich verachte
Dich, armsel'ge Sternenschlacke,
Blasser Mond, der Erde folgend,
Wie das Hündlein an der Leine
Folgt dem Herrn; und euch, Planeten,
Die ihr euch um eure Achse
Dreht am Sonnenfeuerherde,
Schmorend, wie am Spieß der Hammel!
Ich veracht' euch all', ihr Sterne,
Die ihr, wie im Menuettschritt
Gravitätisch um einander
Euch bewegt nach ew'ger Regel!
Ich allein bin Herr des Luftreichs;
Kreuz und quer mein Fahrzeug lenkend,
Tanz' ich hin nach freier Willkür! –
So zu höhnen, so zu schmähen
[304]
Pflegt er in den ungezählten
Tagen seiner stolzen Weltfahrt.
Mitten stets durch Wetterwolken,
Ob sie blitzen auch und donnern,
Seinen Weg nimmt der Koloß:
Und dann gleicht er einem Renner,
Der, umhüllt von einer Wolke
Staubes auf dem Weg dahinjagt.
Aber wehe dir, Gigant!
In die Ferse sticht wohl einmal
Dich ein Schlänglein! –
So geschah's!
Und der gift'ge Biß der Schlange
War ein Blitz aus tück'scher Wolke,
Eine wilde Zickzackschlange,
Die dem Renner in die Flanke
Wüthend schoß. Aufbäumt' er sich
Unterm Biß der Blitzesschlange,
Und das Gift, das ihn durchschauert,
Feuer ist's, ist Flammenlohe!
Unverletzbar sind die Taue
Unverletzbar ist der Luftball;
Doch am Steuer kann sie zehren,
Lecken mit den gier'gen Zungen
Am Gebälk, dem hochgethürmten,
Ungemess'ne Zeit, die Lohe.
Angstvoll um das Fahrzeug flattert
Draco; zischend faßt der Gluthauch
[305]
Seine Schwingen, steckt in Brand sie:
Grausig war es anzusehen,
Wie sein schwebend ausgestrecktes,
Hellaufloderndes Gefieder
Stöhnend schüttelte das Unthier,
So den Brand zu löschen trachtend,
Aber ihn nur mehr entfachend,
Bis zuletzt der flügellose
Rumpf, versengt, halb Affe nur noch,
Und halb Wurm, hinunterstürzte
Aus des Aethers Schwindelhöhen
In die bodenlose Tiefe ...
Meerwärts spornt das Schiff der Lenker,
In der Flut den Brand zu löschen;
Doch die Welle nicht erreicht es,
Sondern schweift, nunmehr entzügelt,
Mit dem halbverkohlten Steuer
Hin in greulicher Verwüstung
Ueber Länder, Meer und Erde.
Städtezinnen, Königsburgen,
Dome steckt's in Brand im Fluge,
In Friedhöfen aus der Erde
Reißt's die Kreuze, Kirchthurmspitzen
Knickt's wie Halme, knickt die Wälder,
Knickt sie schon von fern im Anhauch
Durch den Stoß bewegter Lüfte.
Aneinander schlägt sie manchmal
Ries'ge Wipfel, daß sie donnernd
[306]
Sich entzünden, hoch auflodernd,
Und ein ungeheurer Waldbrand
Weithin das Gebirg verwüstet.
Kreischend flüchten sich die Vögel,
Flüchtet sich sogar die Eule,
Flüchten sich die wilden Thiere,
Aufgescheucht aus den Verstecken.
Felsen, Bergesgipfel, Gletscher
Reißt es fort von Alpenhöhen,
Mächt'ge Fels- und Erdreichmassen
Sammt den Tannen, die d'rin wurzeln,
Rollen knatternd, rasselnd, krachend,
Donnernd nieder in das Tiefland.
Steingeblöck und Eichwaldstrünke,
Moor und Schlamm, und Rasentrümmer,
Und Gesträuch, geballt zu Knäueln,
Wirbeln durch die Luft wie Flugsand.
Eines Berges ganzer Gipfel
Stürzt ins nahe Meer, zum Himmel
Spritzend einen umgekehrten
Niagarasturz von Wassern,
Aufgelöst in Dampf und Schaum.
Wogen macht des Feuerdrachens
Hauch die See gleich einem Saatfeld,
Macht sie, näher rückend, kochen,
Qualmen wie die Flut im Kessel.
Himmelstürmender Homunkel,
Hei, wie lustig ist die Weltfahrt!
[307]
Fahre zu, du kühner Segler! –
Umstülpt jetzt sein Riesennachen
Plötzlich, und nun müßt' er stürzen
In die Tiefe und zerschellen:
Doch er hat in weiser Vorsicht
Alles, was im Schiff beweglich,
Und sogar den eig'nen Fuß auch,
Dicht umschnürt mit hänf'ner Schlinge,
Festgeknüpft am Grund des Fahrzeugs:
Und nun hängt er sicher zwar, doch
Umgestülpt, das Haupt nach unten,
Wie der Schwengel aus der Glocke!
Wundersamer neuer Standpunkt,
Traun, für eine Weltbetrachtung,
Wie sie Keiner noch genossen! –
Aber einen Augenblick nur:
Neu sein Gleichgewicht gewinnend,
Aufgerichtet, jagt nun wieder
Hin das Wrack, das steuerlose.
Fahre zu, du kühner Segler!
In der Macht, die da dich hinreißt
Mit dem Fluch der ew'gen Unrast,
Findest du dein tiefstes Wesen!
Ha, zum schweifenden Kometen
Für die Erdwelt wird der Greuel,
Und Weltunterganges-Schrecken
Sieht sie über sich verbreitet.
In den Gräbern, in den Grüften
[308]
Regt es sich, die Todten träumen
Von dem Tage des Gerichts. –
Auf dem wilden Samumfluge
Des Homunkels über alle
Erdenfluren, Erdenhügel,
Streift zuletzt das Riesenluftschiff
Ueber eines Klosters Hallen,
Eines Nonnenklosters Hallen,
Das auf freier Bergeszinne
Steht am fernen Libanon.
Hier auch übt es Grau'n-Verwüstung,
Und von einem Sarg, der eben
Zur Bestattung da bereit steht,
Stößt in des Vorüberschwunges
Wucht herunter es den Deckel.
Und ein bleiches Frauenbild sieht
Ruh'n im Sarg der Weltdurchstürmer
Und erkennt – die Züge Lurlei's.
Nie zu altern, nie zu welken,
War vergönnt dem Nixenleibe.
Lurlei hat gesucht die Ruhe
Nach der wilden Lebensirrfahrt
Hier in klösterlicher Stille.
Wunder haben sich ereignet
An der Bahre der Verblich'nen.
Ihren Leib hebt aus dem Sarge
Munkel im Vorüberfluge;
Rasch in seine Riesengondel
[309]
Hebt er ihn zu sich empor,
Zwingt die Todte so, Gefährtin
Ihm zu sein, ob auch entseelt,
Auf der Weltenfahrt voll Grausens ...
Jetzo hebt, als wär' vollbracht im
Erdbereich nun seine Sendung,
Das gigant'sche Wrack sich wieder,
Stürzt in raschem, wildem Flug sich,
Wie verstoßen von der Erde
Aus den irdischen Bereichen,
Zügellos ins Unermess'ne.
Unzerstörbar ist der Luftball,
Unzerstörbar sind die Taue,
Und zu mächtig war der Schiffskiel
Selbst für die gefräß'ge Flamme:
Doch ein Spielball nun geworden
Der Anziehungen des Weltalls,
Nicht ein irdisch Ding mehr ist es,
Dieses Ungethüm, das tolle
Riesenfahrzeug des Homunkels:
Angehört es nun dem Aether,
Dem unendlichen – um es her
Schwärmen, wie Geschwärm der Vögel,
Meteore seines Gleichen;
Ein Asteroidenhagel
Peitscht die Flanken ihm, es flattern
Riesenbänder von den Schweifen
Der Kometen, deren Leiber
[310]
Es zerfetzt, wie Flaggen ringsher
Hängend ihm an Haupt und Gliedern.
Näher jetzt dem Mond gekommen,
Der sich riesengroß heranwälzt,
Sieht mit Grausen der Homunkel
Aufgethan vor seinen Augen
Ber Zerstörung und der Oedniß
Reich und der verlor'nen Dinge.
Er erbebt; zum ersten mal nun
Faßt sein Herz, das kalte, kecke,
Jetzt ein unnennbarer Schauder.
Und dem wilden Grau'n zu trotzen,
Leert er einen Becher feur'gen
Alkohols, der ihm die Sinne,
Die zu schwinden schon beginnen,
Neu entflammt zum Uebermuthe.
Immer ries'ger schwillt das fahle
Rund des Mondes ihm entgegen,
Er erblickt das Mondgesicht
Bleich und welk und starr und grinsend,
Mit geschloss'nen Augenlidern.
Und berauscht, wahnwitzig trotzt er
Dem gespenst'gen »Mann im Monde«,
Trinkt ihm zu mit keckem Anruf
Einen Becher seines Trankes.
Doch mit höhnischer Grimasse,
Seine Augenlider öffnend,
Giebt das Mondgesicht ihm Antwort.
[311]
Drohend ballt, erboßt darüber,
Seine Fäuste der Homunkel.
Und nun schleudern sich die Beiden
Worte zu voll wüsten Schimpfes.
»Weltdurchbummler Zwerg, was willst du?
Du geberdest dich, als wolltest
Du verschlingen mich, den Mond?
Dünkst dich ja, so scheint's, hier oben
Selbst schon einer von den Unsern?
Selbst ein Stern hier unter Sternen?« –
Ihm entgegen der Homunkel:
»Schweig, Du altersgrauer Bursche,
Todesblasser Hörnerträger!
Schweig, wie es geziemt dem Todten,
Der du bist, dem längst Verkomm'nen,
Längst Verdorb'nen, längst Gestorb'nen!
Hu – als Leichnam schleppt die Erde
Dich mit sich so durch den Weltraum!« –
Drauf der Mond: »Dich glücklich preisen
Könntest du, Weltbummler Zwerg,
Wärst du todt, wärst du verkommen
Und verdorben und gestorben!
Ausruh'n doch von deiner Irrfahrt
Könntest du! so aber reißt dich
Ruhelos der Flug in's Weite!« –
»Dessen rühm' ich mich!« versetzte
Der Homunkel. »Stoffgebilde,
Reinste Stoff- und Kraftnatur
[312]
Bin ich, aus dem Born geschöpfte,
Aus dem Born der Elemente,
Frei vom Wuste des Vererbten –
Und die Menschheit überleb' ich
Die beseelte, wie der Himmel
Ueberlebt das Erdeleben!« –
Weiter mit dem Mondesriesen
Zankt sich eifernd der Homunkel,
Jetzt das Sprachrohr an die Lippen
Stemmend, seine Lästerungen
Fernhin Jenem zuzudonnern,
Jetzt an's Ohr das Hörrohr stoßend,
Um die Antwort zu vernehmen,
Bis aus dem Bereich des Mondes
Fort ihn reißt das Riesenfahrzeug.
Eine Arche ist dies Fahrzeug,
Eine Arche auf des Aethers
Hoher See, auf unermess'ner
Hochflut des Unendlichen:
Eine Arche, welcher nirgends
Dämmert je ein grünes Ufer,
Eine Arche, welcher niemals
Naht die Taube mit dem Oelzweig.
Einst auf seinem Weltenfluge
Spähte der Homunkel sinnend
Aus der Sternwelt in die Tiefe,
Nach der Heimat, d'raus er stammte,
Nach der einst vertrauten Erde.
[313]
Sie erschien – o Wunder! – leuchtend
Als ein schöner, heller Stern ihm,
Als ein Stern voll wundersamen
Glanzes, und sein Zauberfernrohr,
Das ihm greifbar schier stets nahe
Brachte selbst das Allerfernste,
Ließ in seiner vollen Reinheit,
Ließ in seiner lautern Schönheit
Ihn das Erdenthal betrachten
Wie von eines Berges Gipfel.
O wie schien es ihm verwandelt!
Welcher Reiz, o, welcher Zauber!
Funkelnder Demant bedünkt ihn
Nun des Eispols Kronenschimmer,
Blitzend stralt des Wüstensandes
Gelber, gold'ner Riesengürtel,
Flüssiger Sapphir erscheint ihm
Nun das Meer, Smaragd die Fluren,
Und es schlingt als Heil'genschein sich
Um der Erde Stirn das Nordlicht!
Wälder, Auen, Hügel sieht er
Ruh'n in heit'rem Sonnenscheine,
Sieht beglückte, frohe Menschen
Trauben keltern, Früchte pflücken,
Sieht auf Triften munt're Hirten
Singen und Schalmeien blasen,
Sieht in Hainen Liebespaare,
Sieht die Kinder selig gaukeln,
[314]
Oder ruhn am Mutterbusen,
Sieht auf gold'nem Saatgefilde
Eldo steh'n und Dora, lächelnd,
Glückumstralt, ein Bild der Urkraft,
Vollbeseelten Menschenthumes,
Das im Wandel der Geschlechter,
Ob umdunkelt auch, umdüstert,
Sich behaupten wird aufs Neu' stets
Bis an's Ende aller Tage.
Helden sieht er, Streiter, Dulder,
Die, nach hohen Idealen
Ringend, freudig selbst sich opfern,
Helden sieht er freier Forschung,
Schleierloser Wahrheit – Helden
Der Erkenntniß, die mit reinem
Aug' der Isis Schleier heben,
Und bei welchen Licht im Haupte
Sich mit Wärme paart im Herzen –
Schöpferische edle Geister
Sieht er, welche auf sich schwingen,
Schönheitstrunken, ohne Luftball,
In die höchsten Regionen ...
Und je länger er betrachtet
Das Gestirn aus weiter Ferne,
Desto mehr fühlt er von Heimweh'
Sich ergriffen nach dem Sterne –
Und es überkommt ein Sehnen
Ihn nach menschlichem Geschicke,
[315]
Menschenleid und Menschenfreude.
Schier begehrenswerther scheint nun
Dort entsagendes Genügen
In des Daseins enger Schranke,
Als in ruheloser Irrfahrt
Das Unendliche durchschweifen,
Und sich fühlen stets unselig!
Ach, was hilft Unendlichkeit
Dir, unsel'ger Weltdurchstürmer?
Kann sie dir verleihen, was zur
Seligkeit Dir fehlt: die Seele? –
Nach dem Sarge Lurlei's wendet
Seinen Blick er. Unverweslich
Bleibt ihr Leib im reinen Aether.
Wie aus blendend weißem Wachse,
Fast durchsichtig, scheint gebildet
Ihr noch reizerfülltes Antlitz,
Welches mit der Nixe Zauber
Hat getrotzt dem welken Alter,
Auch dem Tod scheint sie zu trotzen,
Aber auch um ihre Züge
Scheint Unseligkeit zu schweben,
Ueberdruß und Lebensunmuth.
Und zugleich doch ist's, als lechzten
Die Atome dieses Weibes,
Mumienhaft also gefesselt,
Sich zu lösen, frei zu werden,
In des ungeliebten Lebens
[316]
Wirbel sich zurückzustürzen ...
Ja – das Antlitz einer Mater
Dolorosa, der von sieben
Speeren bebt das Herz durchstochen,
Es ist himmlischer, ist sel'ger
Noch im tiefsten Mutterschmerze,
Als der Zug des schalen, bitter'n
Nachgeschmacks der durchgenoss'nen
Erdenlust aus diesem schönen,
Kalten, todesblassen Antlitz! –
Ueber ihren Sarg gebeugt ruht
Der Homunkel; auf ihr Antlitz
Fest den Augenstern gerichtet
Seufzt er sinnend, wie im Traume:
»Warum konnten wir nicht lieben?« –
Unter Himmelskörpern selber
Himmelskörper, doch unselig,
Treibt das Fahrzeug des Homunkels
In des Himmels, in des Aethers
Hafenlosem Ozeane.
Unmuthsvoll, mißgünstig blicken
Auf den Eindringling die andern,
Alten, seligen Gestirne.
Aufbäumt sich der große Drache
Gegen ihn, mit seinem Horne
Dräut der Stier, mit seinen Fängen
Ihm der Aar, es schwingt die Keule
Perseus gegen ihn, der Held,
[317]
Seinen Bogen spannt der Schütze,
Und der Skorpion krümmt den Stachel.
Sie bedroh'n ihn, jagen Einer
Ihm den Anderen entgegen,
Keiner will ihn nahe haben,
Hetzen so ihn durch den Himmel.
Selbst das gold'ne Herz der Sternwelt,
Selbst die Sonne, die sonst Alles
Reißt an ihren Flammenbusen,
Stößt von sich ihn, wie vor Abscheu,
Wirft hinaus ihn aus dem Lichtreich,
Wo sie Königin; auf seiner
Flucht geräth er taumelnd, ziellos,
In dem langen Lauf der Zeiten
Weit hinein in Sternenwelten,
Welche blos als dünne Nebel
Unser Aug' erspäht am fernsten
Dämmerrand der Himmelswölbung:
Dorthin, wo ein Weiser ragt
Mit der Aufschrift: »Weg in's Nichts
Doch die Riesenhand des Weisers
Ist unendlich – ihre Länge
Nicht durch Zahlen auszudrücken.
So entlang Milchstraßen schweifend,
Scheint der Fremdling, der Gigant,
In dem rasend wilden Fluge
Selbst ein Staubgewölk von Welten
[318]
Aufzuwirbeln. Zum Kometen
Ward er und sein ird'scher Eigner
Ward zum »fliegenden Holländer«,
Ward zum Ahasver des Weltraums.
Schweifen wird er immer noch
In des Himmels ew'gen Fernen,
Wenn getilgt des Erdenpilgers
Fluch und der gespenst'ge Segler
Längst erlöst im Hafen ausruht.
Wem nicht die Natur, die heil'ge,
Die geheimnißvolle Mutter,
Gab das Leben durch die Liebe,
Gab das Leben in der Liebe,
Dem verweigert auch den Tod sie,
Und den schönsten Tod vor Allem,
Das Ersterben in der Liebe –
Und kein Grab der sel'gen Ruhe,
Keine Stätte ew'gen Friedens
Hat für ihn das weite Weltall.
Wer vermag zu sagen, wo
Und wie lang mit dem Homunkel
Und der Nixe, die gesellt ihm,
Das verkohlte Riesenluftschiff
In der ehernen Gesetze,
In des Stoffs, der Kräfte Wirbel
Auf den schrankenlosen Bahnen
Jagt das waltende Verhängniß?
[319]
Sonntagskinder noch erblicken
Manchesmal in Sternennächten
Jenes Wrack als dunklen Irrstern
Hoch in unermess'ner Ferne,
Und das Schicksal ahnen schaudernd
Sie des ewig Ruhelosen.
[320]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hamerling, Robert. Epos. Homunculus. Homunculus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3415-5