[Ich lieb den stillen Pfad/ dich lieb ich/ wilder Wald]

Es fügte sich aber ohngefär/ daß das erste Theil des zerrissnen [72] Papiers an einer Hekken hangend bliebe/das andre aber/ nachdem es von dem Winde etliche mahl überworfen/ mitten auf der Strassen liegend bliebe. Hier wolten ihme Montano und Klajus in die Rede fallen/ er bate aber/ sie wolten ihn diese Erzehlung vollenden lassen/ hernach könden sie/ wann etwas darinnen gefehlt/ genugsame Anmerkung thun. Welches/ weil sie es ihme verwilligten/ fuhre er ferner also fort: Folgender Tagen gelangeten der Orten herüm Montano und Klajus/ deren dieser den ersten/jener den letzern Teil von dem zertrümmerten Gedichte gefunden/ wiewol keiner mit des andern Vorwissen/Vnd sind sie beede vermutlich sobald mit ihrem Fund/ nach eben der vorbesagten Wildniß/ als die ihnen vielleicht allbereit bekandt/ geeilet/ einhälligen Willens/ jeder sich/ seinen Teil zu ergäntzen/ zu bemühen/ und zwar mit ungleichen Gedanken: Dann Klajus wänende das Gedicht behandle

Die Ein-falt.

(massen ihme nur die zwo ersten Sylben/ des Titels/die Einsamkeit als den Inhalt anmeldende/ zu handen kommen) ergäntzete die ersten Halbreimen solcher massen/ wie ihr von diesem Papier vernehmen möget: 1


Ich lieb den stillen Pfad/ dich lieb ich/ wilder Wald/
Entfernet von Geplärr/ der Einfalt Aufenthalt.
Hier hat kein Wagenrad das Sorgengeld gehäuffet/
Der Fisch in diesem Deich wie ich/ in Ruhe schweiffet.
Es hat kein Wandersmann betreten diesen Platz/
Erhaben aus der Qwell der Perlenmutter Schatz.
Kein leichtgefüstes Reh hat Bezoar getrehnet/
Noch in dem dikken Busch sich nach der Lust gesehnet.
Es hegt in jenem Schloß kein List und Meucheltrug/
Da nur die Fledermauß im Dunkeln hebt den Flug.
Das unverschlossne Haus heist offnes Hertzens trauen/
Der Last hat seinen Grund die Palmen machen schauen.
[73]
Das Käutzlein unn der Dachs bewohnt den öden Sand/
Es dekkt das Marderthier der Sorgen-Marterstand.
Im Keller findet man noch Wein noch Bier zū bästē
Die Kröten samt der Maus sind von den stäten Gästen.
Ein Nusbaum wächset dort mit Capuciner-Kost/
Er stehet Wurtzelfäst/ das Wasser ist der Most.
Der düsterrauhe Wald hegt die bejahrten Eichen/
Dem nie-gepflügten Ort/ das ältste Träid zu reichen.
Wie nennet man den Fluß? von der Vergessenheit/
Sein Abfall dienet mir in mancher Sorgen Leid.
Ist dann der Schattenwald zur Einfalt-Ruh geheget? 2
Sein grünbelaubter Thron noch Kron noch Purpur träget.
Hör/ leichtes Felsen-Kind/ was ist die schwerste Pein?
Der gelblich-grüne Frosch spricht: falscher Warheitschein
Mich dünkt in dieser Gruft solt man geruhig greissen.
Die pfleget meiner Pfeiff den Gegenhall zu weissen.
Ich liebe diesen Ort/ der sonder Hofarts-pracht
Mich auf so ödem Weg mir selbst selb-eigen macht.
Es überschattet mich mein unversehrt Gewissen/
Wo sich mit dem Gesang die Freuden reich ergiessen.
Von welcher Brunstbegierd entstehet nicht die Reu?
Hört/ wies im Thal erklingt Wann fält das Steingebäu?
Wie? redet auch der Stein? so rühr ich auch die Säiten/
Daß meiner Flöten Spiel muß mit dem Echo streiten:
Einsamkeit lehret einfältige Lieder/
Lieder die lauten vom Gegenhall wieder:
Aber wir sollen nicht Städtepracht suchen/
Weil sie verursacht der Einfalt zu fluchen.
Liebet doch/ liebet einfältiges Streben/
Liebet der Hürden unschuldiges Leben/
Flöte/ wir wollen nicht Städtepracht suchen/
Weil sie verursacht der Einfalt zu fluchen.

Fußnoten

1 Hemisticliū.

2 Claud de rapt. Pros. glande relictâ Cesserit inventis Dodonia quercus aristis.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Harsdörffer, Georg Philipp. Gedichte. Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey. Hirtengedichte. [Ich lieb den stillen Pfad- dich lieb ich- wilder Wald]. [Ich lieb den stillen Pfad- dich lieb ich- wilder Wald]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-349D-4