[Dir, der Wahrheit]

[9]
Dir, der Wahrheit, gelte des ernsten Sängers
erster Laut! Dir ficht er des Geistes Kämpfe,
deiner Krone blitzender Strahl erhob und
bannt seinen Blick nun!
Opferdampf stieg von der befleckten Erde
wahrlich niemals herrlicher auf zum Himmel,
denn, da dein Wort Märtyrerblut besiegelt,
heilige Wahrheit,
da der Pfaff sich, Pfaffe zugleich und Henker,
an der Gluthqual denkender Menschen letzte,
da im Rauch sein Blick und des Ketzers Blick wie
Dolche sich kreuzten! –
[9]
Jene Gluth, entglommen dem Schooss des Dunkels,
überwand siegreich den Bezirk der Scheite,
als des Dunkels Feind, und der Strom der Zeiten
wird sie nicht löschen!
Nein! Sie glüht! Und wärs in den fernsten Tagen,
Asche wird die finstere Tempelhalle,
drin, geknechtet, seufzet der Geist der Menschheit!
Hegend und reifend
eine Saat, die spätere Enkel ernten,
fasst sie Herzen, die sie entflammt zum Trotze:
ihre Macht verkündigend, hat sie meine
Lieder befeuert.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hartleben, Otto Erich. Gedichte. Meine Verse 1883-1904. [Dir, der Wahrheit]. [Dir, der Wahrheit]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3741-7