Ungedruckt gebliebene Vorrede zu den Nibelungen

An die geneigten Leser


Der Zweck dieses Trauerspiels war, den dramatischen Schatz des Nibelungen-Liedes für die reale Bühne flüssig zu machen, nicht aber den poetisch-mythischen Gehalt des weit gesteckten altnordischen Sagen-Kreises, dem es selbst angehört, zu ergründen, oder gar, wie es schon zum voraus auf eine jugendliche, vor bald zwei Dezennien publizierte und überdies noch arg gemißdeutete Vorrede hin in einer Literatur-Geschichte prophezeit wurde, irgend ein modernes Lebens-Problem zu illustrieren. Die Grenze war leicht zu treffen und kaum zu verfehlen, denn der gewaltige Schöpfer unseres National-Epos, in der Conzeption Dramatiker vom Wirbel bis zum Zeh, hat sie selbst haarscharf gezogen und sich wohl gehütet, in die Nebel-Region hinüber zu schweifen, wo seine Gestalten in Allegorien umgeschlagen und Zaubermittel an die Stelle allgemein gültiger Motive getreten wären. Ihm mit schuldiger Ehrfurcht für seine Intentionen auf Schritt und Tritt zu folgen, soweit es die Verschiedenheit der epischen und dramatischen Form irgend gestattete, schien dem Verfasser Pflicht und Ruhm zugleich, und nur bei den klaffenden Verzahnungen, auf die der Geschichtschreiber unserer National-Literatur bereits mit feinem Sinn und scharfer Betonung hinwies, ist er notgedrungen auf die älteren Quellen und die historischen Ergänzungen zurückgegangen.

Es ist nämlich gar nicht genug zu bewundern, mit welcher künstlerischen Weisheit der große Dichter den mystischen Hintergrund seines Gedichts von der Menschen-Welt, die doch bei oberflächlicher Betrachtung ganz darin verstrickt scheint, abzuschneiden gewußt, und wie er dem menschlichen Handeln trotz des bunten Gewimmels von verlockenden Riesen und Zwergen, Nornen und Valkyrien seine volle Freiheit zu wahren verstanden hat. Er bedarf, um nur die beiden Hauptpunkte hervorzuheben, auf der einen Seite zur Schürzung des Knotens keiner doppelten [109] Vermählung seines Helden und keines geheimnisvollen Trunks, durch den sie herbeigeführt wird; ihm genügt als Spiral-Feder Brunhilds unerwiderte Liebe, die ebenso rasch unterdrückt, als entbrannt, und nur dem tiefsten Herzenskenner durch den voreiligen Gruß verraten, erst der glücklichen Nebenbuhlerin gegenüber wieder als Neid in schwarzen Flammen auflodert und ihren Gegenstand auf alle Gefahr hin nun lieber dem Tode weiht, als ihn dieser überläßt. Er überschreitet aber auch, obgleich ihm dies oft und nicht ohne anscheinenden Grund vorgeworfen wurde, auf der andern Seite bei der Lösung des Knotens ebenso wenig die Linie, wo das Menschliche aufhört, und das tragische Interesse erlischt, ja er wagt sich noch lange nicht so weit, wie Aeschylos in seiner Klytämnestra, die, von neuen Begierden aufgeregt, weit mehr oder doch wenigstens ebenso sehr durch ihren heimtückischen Mord den Besitz des errungenen zweiten Gatten verteidigt, als die Manen der hingeschlachteten Tochter sühnt. Denn, wie Kriemhilds Tat uns auch anschauen mag: er führt sie langsam, Stufe nach Stufe, empor, keine einzige überspringend und auf einer jeden ihr Herz mit dem unendlichen, immer steigenden Jammer entblößend, bis sie auf dem schwindligen Gipfel anlangt, wo sie so vielen mit bittrem Schmerz gebrachten und nicht mehr zurückzunehmenden Opfern das letzte, ungeheuerste noch hinzufügen oder zum Hohn ihrer dämonischen Feinde auf den ganzen Preis ihres Lebens Verzicht leisten muß, und er söhnt uns dadurch vollkommen mit ihr aus, daß ihr eigenes inneres Leid selbst während des entsetzlichen Rache-Akts noch viel größer ist, als das äußere, was sie den anderen zufügt.

Alle Momente des Trauerspiels sind also durch das Epos selbst gegeben, wenn auch oft, wie das bei der wechselvollen Geschichte des alten Gedichts nicht anders sein konnte, in verworrener und zerstreuter Gestalt oder in sprödester Kürze. Die Aufgabe bestand nun darin, sie zur dramatischen Kette zu gliedern und poetisch zu beleben, wo es nötig war. Auf diese hat der Verfasser volle sieben Jahre Arbeit verwandt, und die in Weimar statt gefundene Darstellung bewies, daß er seinen Zweck nicht verfehlt hat, dem Franz Dingelstedts geniale Leitung erreichte mit Kräften, die zum größeren Teil doch nur für bescheidene gelten können, einen Erfolg, der das Schicksal des Stücks auf allen Bühnen sicher stellt, [110] wo man ihm mit gutem Willen entgegen kommt, da das moderne Virtuosentum mit seinen verblüffenden Taschenspielereien nicht den geringsten Anteil daran hatte. Weitere Aufführungen in Berlin und Schwerin stehen bevor. Der geneigte Leser aber wird gebeten, auch in dem Trauerspiel hinter der »Nibelungen Not« nichts zu suchen, als eben »der Nibelungen Not« selbst, und diese Bitte freundlichst mit den Umständen zu entschuldigen.


[111][113]

Ich war an einem schönen Maientag,

Ein halber Knabe noch, in einem Garten

Und fand auf einem Tisch ein altes Buch.

Ich schlug es auf, und wie der Höllenzwang,

Der, einmal angefangen, wär es auch

Von einem Kindermund, nach Teufelsrecht,

Trotz Furcht und Graun, geendigt werden muß,

So hielt dies Buch mich fest. Ich nahm es weg

Und schlich mich in die heimlichste der Lauben

Und las das Lied von Siegfried und Kriemhild.

Mir war, als säß ich selbst am Zauberborn,

Von dem es spricht: die grauen Nixen gossen

Mir alle irdschen Schauer durch das Herz,

Indes die jungen Vögel über mir

Sich lebenstrunken in den Zweigen wiegten

Und sangen von der Herrlichkeit der Welt.

Erst spät am Abend trug ich starr und stumm

Das Buch zurück, und viele Jahre flohn

An mir vorüber, eh ichs wieder sah.

Doch unvergeßlich blieben die Gestalten

Mir eingeprägt, und unauslöschlich war

Der stille Wunsch, sie einmal nachzubilden,

Und wärs auch nur in Wasser oder Sand.

Auch griff ich oft mit halb beherztem Finger,

Wenn etwas andres mir gelungen schien,

Nach meinem Stift, doch nimmer fing ich an.

Da trat ich einmal in den Musentempel,

Wo sich die bleichen Dichter-Schatten röten,

Wie des Odysseus Schar, von fremdem Blut.

Ein Flüstern ging durchs Haus, und ein heiliges Schweigen

Entstand sogleich, wie sich der Vorhang hob,

Denn du erschienst als Rächerin Kriemhild.

Es war kein Sohn Apolls, der dir die Worte

Geliehen hatte, dennoch trafen sie,

Als wärens Pfeile aus dem goldnen Köcher,

[113]

Der hell erklang, als Typhon blutend fiel.

Ein lauter Jubel scholl durch alle Räume,

Wie du, die fürchterlichste Qual im Herzen,

Und grause Schwüre auf den blassen Lippen,

Dich schmücktest für die zweite Hochzeits-Nacht;

Das letzte Eis zerschmolz in jeder Seele

Und schoß als glühnde Träne durch die Augen,

Ich aber schwieg und danke dir erst heut.

Denn diesen Abend ward mein Jugendtraum

Lebendig, alle Nibelungen traten

An mich heran, als wär ihr Grab gesprengt,

Und Hagen Tronje sprach das erste Wort.

Drum nimm es hin, das Bild, das du beseelt,

Denn dir gehörts, und wenn es dauern kann,

So seis allein zu deinem Ruhm und lege

Ein Zeugnis ab von dir und deiner Kunst!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hebbel, Friedrich. Dramen. Die Nibelungen. Vorrede. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3AF7-C