Frau Welt

Ein blasiertes Gedicht


Frau Welt beschloß, nicht mehr zu sein,
Der Fluß der Dinge schafft ihr Pein.
Sie grollte: »Allem schlägt die Stunde,
Nur ich geh' nimmermehr zugrunde.
Was sich auch wandelt für und für,
Nur mir winkt keine Ausgangstür.
Das ist ein ewiges Geflute –
Unheimlich schier wird mir zumute.
Wo harrt mein Grab, wo find' ich Ruh?
Im Gange bleib' ich immerzu.
Ist denn kein Doktor aufzutreiben,
Mir Weltarsenik zu verschreiben?«
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Sie raufte sich ihr Nebelhaar,
Das währte zehn Millionen Jahr.
Sie biß sich auf die Himmelslippen,
Sie schlug sich auf die Höllenrippen,
Indes sie: »Weh, Welt! Weh, Welt!« sang.
Das dauerte Milliarden lang.
Wie sie auch aufstieß mit den Füßen,
Herr Nichts vermied, sie zu begrüßen.
Matt sank aufs Sofa sie zurück:
»Ich bin und bleib ein Schelmenstück.
Bin schon so gräßlich alt geworden
Und darf mich nicht mal selbst vermorden.
Reicht keiner den Erlösungstrank,
Werd' ich vor Tiefsinn geisteskrank ...«
Frau Welt beschloß, zu resignieren
Und Schopenhauer zu studieren.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Gedichte. Buch des Lebens. Züricher Bilder. Frau Welt. Frau Welt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4E1C-3