[248] Der Heilige Nimbus

Manch Heiliger von alters her
Stand bei der Menschheit hoch in Ehr.
Der eine, weil er Kranke heilte,
Der andre, weil er Heiden keilte
Für die katholische Verbindung,
Der dritte wegen Mitempfindung
Für alle Vögel auf dem Feld,
Der ob der Unbegier für Geld
Und sogenannte äußre Güter,
Und der als Meister der Gemüter.
Der Heilige, den ich erküre,
Hat gänzlich andere Allüre,
Er ist aus einem Material
So schleierhaft wie schenial,
Denn er besteht nur aus der Sohle
Und sonst aus nichts als Aureole.
Die Sohle freilich macht dafür
So groß wie eine Kirchentür,
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Und tritt der Heilige herein,
Möcht' alles gleich: »Der Herrgott!« schrein.
Wo das Gespräch in vollem Brausen,
Entsteht die tiefste aller Pausen,
Man fällt vor Ehrfurcht von dem Platz –
Das macht der hohe Untersatz.
Die Sohle ist ein hohles Ding,
Kautschuk mit Luft wie 'n Rettungsring,
Doch eine Schelle pingpingping
Betört selbst einen Sonderling,
Der sonst sich schwer läßt imponieren
Von annoncierten großen Tieren.
Doch nach dem unteren Symbole
Wirkt erst die obre Aureole
Ganz unbeschreiblich mit dem Kranz
Von Flimmerflammerflummerglanz.
Da dreht sich statt dem Oberleibe
Nur eine Riesenblendescheibe,
Davor die Sonne sich verbirgt
Und ihre Scham herunterwürgt.
Und solcher Übersonnenschimmer
Kommt nur von Talmiglas und -Glimmer,
Dahinter sich wie ein Prolet
Ein ganz gemeines Talglicht dreht.
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Wo nun der Heilige erscheint,
Da ist man nahezu versteint.
Wer sonst die Nase hochgetragen,
Wagt kaum die Augen aufzuschlagen,
Und wer sonst kein verlegner Lurch,
Der ist vertattert durch und durch.
Die Kniee knicken, daß es knackt,
Die Wirbel biegen sich im Takt,
Und auf dem Gipfelpunkt des Glanzes
Beginnt nach Art des Eiertanzes
Ein wunderlicher Ehrenstuß –
Der Kotau macht sodann den Schluß.
Wer diesen Heiligen nun benützt,
Daß er besonders ihn beschützt,
Der läßt um sich die Welt sich drehen,
Weil alle nach dem Heiligen sehen,
Der als ein magisch Transparent
Vor seinem Schutzbefohlnen brennt.
Vom Hausknecht an bis zu den Spitzen
Fängt's an vor Hochachtung zu spritzen,
Man glotzt geblendet auf das Licht
Und sieht den – Talg vor Nimbus nicht.
Sankt Nimbus ist der stolze Name
Des Heiligen von Notreklame,
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Das in den böhmischen Wäldern liegt,
Wo man es nie zu sehen kriegt.
Wer mit ihm auftritt, mag geboren
Als Schuster sein, er ist erkoren,
Daß jede Festung sich ergibt,
In die er seine Plempe schiebt.
Ist er ein Ludewig der Gosse,
Er wird vermittelst Rudolf Mosse,
Vielleicht auch Haasenstein und Vogler,
Zunächst ein süßer, frecher Mogler,
Denn unser Heiliger bringt Heil
Auch durch den Inseratenteil.
Dann thront er bald im »Grand Hotelle«
Beim »Souper« an der ersten Stelle,
Sämtliche Schneider sind verrückt,
Bald ist's beim Marschall ihm geglückt
Just durch die fixste Kammerzofe,
Und schließlich hält er – an – zu – Hofe.
Doch von dem ordinären Lucki
Ganz abgesehn, der Doljorucki
Und Fürst Kanaljewitsch sich nennt –
Der Heilige mit Transparent
Macht selbst ganz unbescholtne Männer
Zu einer Sensation für Kenner.
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Dem »im Detail« noch nachzuspüren,
Das würde hier »zu weit mich führen«,
Die Kunst ist kurz, die Elle lang,
Wer zuviel schreibt, kriegt Blutandrang.
Genug – man darf Herr Schulze heißen,
Hat Nimbus er, kann er drauf – pfeifen
Und wird, wenn es Sankt N. gefällt,
Rasch Aufsichtsrat der ganzen Welt.
Hast einen Zirkus du von Flöhen,
Laß dich nur ominös »erhöhen«,
Und bald ziehst du an einem Haar
Die hohe Professorenschar
Mitsamt den Frauen und den Töchten,
Die sich dressieren lassen möchten.
Bist du ein Schornalist, so nimm
Den Majestatikus und schwimm
Im Glanz der öffentlichen Meinung –
Gen Himmel wächst die Schmockerscheinung.
Ein sogenannter Dichter aber,
Als welchen sticht des Ruhmes Haber,
Er lasse bei dem Heiligen sich
Versichern prompt. Hat er den Strich,
Dann um so besser! Nur heran!
Der Nimbus macht den Dichtersmann.
Enorm wirkt hier die hohe Sohle
Der allerdunkelsten Symbole,
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Gemischt aus Schall und blauem Dunst,
Apartem Brei, besondrer Brunst.
Der Nimbus adelt einen bloßen
Nonsensplusultra gleich zum großen
Gedanken – »Tiefsinn!« raunt der Snob,
Und hurrehurrehopphopphopp
Schreit das Gerücht den seltnen Kleister
Zum Kunstwerk aus, den Matz zum Meister.
So geht der Heilige Nimbus um,
Er kennt, er kennt sein Publikum.
Er ist – samt Sohle, Schein und Schelle –
Von Haus aus Tapeziergeselle
Und hat – das sei ihm nicht verdacht! –
Es sehr weit auf der Welt gebracht.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Gedichte. Buch des Kampfes. Der Heilige Nimbus. Der Heilige Nimbus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-50A9-1