An Denselben

Kann Euch in Jamben ungereimt und prächtig
Denn heut sogar antworten nicht; ohnmächtig
Mög'n Knittelverse zur Antwort sein
Und dem Heldensänger wohl gedeihn!
Zuerst kam Dein prosaisch Brieflein an.
Verzeih, wenn Dir mein letzter Wetterhahn
Hat etwas zu Leid gethan!
War nicht mein's Herzens Grund,
War nur ein' böse Stund.
Ich lieb' Dein' Seele, rein als Gold,
Und dau'rt mich, daß Du Dich mit Briefen quälen sollt,
Die immer aufschnappen nach Himmelsluft
Und riechen nicht des Freundes Duft.
Woll'n uns einander helf'n und tragen
Und nicht die Seel' aus'm Leibe jagen.
Darinnen lag von Mägdleins Hand
Ein Brieflein hold und unbekannt,
Kam mir wie Manna an zur Stund
Aus der Aurora goldnem Mund.
Ich streckt' meine Hände hin zu ihr,
Wußt' nicht, zu wem, und war bei Dir.
Und leg' ein'n Gruß in Deine Hand,
So heilig, wie ins Engelsland
Einer lieben Verklärten zu tragen,
Ihr Dank und Dank und Dank zu sagen,
Daß sie in holder Unschuldtracht
Mich so – beschämt gemacht.
Konnt' nie für solchen Engel schreiben
Und werd's auch lang' noch lassen bleiben,
Ob denken an sie in sel'ger Stund
An der Aurora Rosenmund,
Wenn ich sie noch einmal kann ansehn,
Und Gottes Gedanken in mir aufgehn,
[384]
Wie er sie schaffend – doch genung!
Ich schreib' ja Lästerung.
Dein Versebrief ist gar nicht wahr;
Drum ist er auch Dichtung sonnenklar
Und kam auf großen Stelzen schwer
Zum großen, starken Herder her,
Der eben hinterm Kirchenthurm
Sich fühlt' und wand, ein armer Wurm,
Ging nicht an Goethens Heldenarm
Die Ilm hinan! lag, Gott erbarm'!
Zehn Klafter tief im Erdenschooß
Und fühlt' keinen Quell, der von ihm floß,
Fühlt' keinen Tropfen Labung, wie
Ihn 's Herz und nicht die Phantasie
Begehrt und doch nur im Wahntraum kennt,
Wenn es nicht Christus' Name nennt.
Den wir denn freilich Alle nennen
Und sing'n und jubeln und doch nicht kennen,
Woll'n Teufel austreiben und Wunder thun
Und können noch in ihm nicht – ruhn.
Ja, ruhn, mein Freund, als wie ein Kind,
Und warten, ob nicht, wohlgesinnt,
Ueber aller Erdenväter Schaar
Uns unser Vater ganz und gar
Was gebe, was wir nicht – verstehn,
Weder mit Tichten noch Trachten sehn,
Nicht erfliegen und nicht erzwingen,
Nicht erschnappen und nicht erringen
Durch aller Wörter Kuppeltand,
Der uns itzt ist statt Bruderband.
Gebe Dir und mir Gott den Frieden,
Von ew'ger Ewigkeit beschieden,
So wird ihn Dir mitsammt dem Glauben
Weder Breitinger noch Hottinger rauben.
Amen!
Nutzt Dir's nicht, und ist's ohn' Beschwer,
So schick mir meinen armen Christus her!
Er ist besser als all', die Herr Junker
Dahingeschwärmt hat auf Deinem Speer.
[385]
Leb wohl und bet Dich zu mir her!
Und zerreiß dies Blättlein kreuz und quer!

Den 25. November. Weimar 1776.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Fünftes Buch. An Denselben. An Denselben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-58BE-8