21. Noth und Hoffnung
Ein Gespräch
Nach dem Griechischen

1:
Ihr Götter, weh mir, daß ich Noth und Gram
Zu Lebensführerinnen mitbekam!
Geängstiget von aussen und von innen,
Wenn werd ich Ruh im Spiel der Welt gewinnen?
2:
Ihr Götter, wohl mir, daß ihr Noth mir gabt,
Und mit der Hoffnung Liebekuß mich labt.
Von aussen soll die Eine fort mich dringen,
Von innen machts die andre mir gelingen.
1:
Der Fels des Sisyphus ist unsre Müh,
Sie steiget schwer, und schwerer sinket sie.
Ixions Rad, es brennt in unserm Herzen,
Auch wenn mit Wolken wir und Hoffnung scherzen.
2:
Der Erde Saat ist unsre kurze Müh,
Sie sinket leicht und frisch erstehet sie.
Wie junges Grün soll unsre Hoffnung grünen;
Bald ist es Frucht, wo Blüthen nur erschienen.
1:
Der Herbst entlaubt das Leben und den Hain,
Und Winterfrost wird deine Hoffnung seyn.
[352]
2:
Der Frühling kommt mit Hain und Hoffnung wieder,
Und süsse Noth besingen alle Lieder.
Ihr Nachtigallen, klaget süsse Pein,
Ihr Turteltauben, girret Liebe drein,
Ihr Knospen sproßt der Mühe süsses Streben,
Ihr Lerchen singt der Hoffnung Frühlingsleben.
1:
So will ich denn, des Lebens mich zu freun,
In Noth getrost, in Hoffnung glücklich seyn.
Wenn unter Rosen oft auch Dornen stechen,
Von Dornen will ich meine Rosen brechen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Liedsammlung. Volkslieder. Zweiter Theil. Drittes Buch. 21. Noth und Hoffnung. 21. Noth und Hoffnung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5A67-9