[286] Das Staatschristenthum

1770.


Woher, Du Wolkenpalast, an die Säume
Der Erd' hinausgebreitet, fern
Vom Libanon zum Hekla, zu den Affen
Und Patagonen hin?
Woher, Du Himmelsstürmer, der den Zeiten
Verwüstung drohet? Wo dann ruhn
Die ew'gen Säulen, die Dich stützen? Hobest,
Erhobst Du Dich nicht selbst
Auf Trümmern nur versunkner Heiligthümer,
Im Sturz der Zeiten, namenlos?
So wie in Tagesneig' ein Moderwölkchen
Im fernen grauen Ost.
Das Moderwölkchen unbeahnet sammelt
Aus Höll- und Klüften Dämpfe sich,
Bis Mitternachts es hoch sein Haupt erhebet
Und deckt der Sterne Glanz,
Und überzieht den Himmel, stürzet nieder
Die Schlummernden in mehr als Nacht,
In Dampf und Trümmer. Schaut die Zauberwolke!
Sie hüllt das alte Rom,
Das Helden-Rom, die Königin der Welten,
Auf ihren sieben Thronen ein
Zur Zaubervettel mit dem vollen Becher,
Zur Herrscherin der Welt
Auf sieben neuen Thronen. Und die Erde
Floß über von des Bechers Wuth;
Die Völker taumelten; der Berg der Götter,
Der Berg der Musen wich;
Meerüber floh die Weisheit in die Zelte
Gastfreier wilder Araber.
Die Bücher brannten, und der Rauch der Bücher
Erhebt sie prächtiger,
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Die Zauberwolk'. In schwarzen runden Wellen
Rollt sie von Erd' zu Erden hin,
Und in ihr klirren Ketten, heil'ge Waffen
Der Zwietracht, Paukenschall
Zum Morde der Vernunft. Die Banne blitzen,
Wie Höllengabeln heben sie
Die Kronen von der Königsschläfe, jagen
Im Strudel alle Welt
Gen Osten in das heil'ge Grab des Todes;
Da pranget nun, was Wolke war,
Als Palast des gekrönten Schuhs, der Thronen
Wie Sünden niedertrat.
Noch steht der alte Palast, aber öde;
Und immer sinkt der Nebel mehr.
Ihr Brüder, seht, die schöne helle Sonne
Steigt langsam schon empor!
Der Nebel sinkt, und mehr als Wolkenschlösser
Stehn glänzend uns vor Augen da.
So nahe wart Ihr, Hütten bessrer Menschen,
Und wir, wir sahn Euch nicht,
In Nacht begraben. Kommt, der Hütten Kinder!
Auf freiem Hügel wollen wir
Der Morgenkönigin, der Sonn', uns weihen,
Die Euch das Licht gebracht.
Ihr horchet, was dort in der letzten Wolke
Wegjammert? Brüder, horchet nicht!
Es ist der Circe Lied! sie wandelt Menschen
Zu Opferthieren um.
Kommt, vor dem Angesicht der Morgenröthe
Uns zu umarmen, und nur ihr,
Der Göttlichen, so lange, lange Sklavin,
Der Wahrheit uns zu weihn!
Und Menschenwürde, Menschenfreiheit wollen
Wir redlich anerkennen, rein
Anbeten Gott, bis einst allgegenwärtig
Der Welt die Sonne strahlt!

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TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Fünftes Buch. Das Staatschristenthum. Das Staatschristenthum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5D2B-8