[184] Der Tod
Ein Gespräch an Lessing's Grabe.
»Himmlischer Knabe, was stehest Du hier, die verglimmende Fackel
Nieder zur Erde gesenkt, aber die andere flammt
Dir auf Deiner ambrosischen Schulter im Lichte so herrlich!
Schöneren Purpurglanz sah ja mein Auge nie!
Bist Du Amor?« »Ich bin's! doch unter dieser Umhüllung,
Ob ich gleich Amor bin, heiß' ich den SterblichenTod.
Unter allen Genien sahn die gütigen Götter
Keinen, der sanft wie ich löse das menschliche Herz;
Und sie tauchten die Pfeile, womit ich die Armen erlöse,
Ihnen ein bitter Geschoß, selbst in den Becher der Lust.
Dann geleit' ich im lieblichen Kuß die scheidende Seele
Auf zum wahren Genuß bräutlicher Freuden hinauf.«
»Aber wo ist Dein Bogen und Pfeil?« »Dem tapferen Weisen,
Der sich selber den Geist längst von der Hülle getrennt,
Brauch' ich keiner Pfeile. Ich lösche die glänzende Fackel
Sanft ihm aus; da erglimmt eilig vom purpurnen Licht
Diese andre. Des Schlafes Bruder, gieß' ich ihm Schlummer
Um den ruhigen Blick, bis er dort oben erwacht.«
»Und wer ist der Weise, dem Du die Fackel der Erde
Hier gelöschet, und dem jetzo die schönere flammt?«
»Der ist's, dem Athene, wie dort dem tapfern Tydides,
Selber schärfte den Blick, daß er die Götter ersah.
Mich erkannte Lessing an meiner sinkenden Fackel,
Und bald zündet' ich ihm glänzend die andere an.«