Georg Herwegh
Dichter und Staat
Besser daß zehn Studenten sich die Karriere verderben,
Als daß ein einzig Genie unter dem Hofrat erstickt.
Condorcet schreibt in seinem »Leben Voltaires« von demselben:
»Man beschuldigt ihn, er habe es für das Glück eines Volkes hinreichend gehalten, wenn es berühmte Künstler, Redner und Dichter besitze: dies ist ihm niemals eingefallen. Wohl aber glaubte er, daß Kunst und Wissenschaft die Sitten mildern und der Vernunft einen bequemeren, sichereren Weg bahnen; er dachte, der Sinn für Kunst und Wissenschaft stimme die Herzen [36] der Machthaber zu sanfteren Gefühlen und erspare ihnen manche verbrecherische, gewalttätige Handlungen; er hielt dafür, das geistreichste, aufgeklärteste Volk sei bei weitem auch immer das am wenigsten unglückliche.«
Guter Voltaire! Wie konntest du dir solche Wirkungen nach oben versprechen? Hattest du vergessen, wie oft du in der Bastille saßest, hattest du vergessen das elendigliche Geschick des ältern Racine, als er auf Anraten der Frau von Maintenon die paar Worte für sein Volk schrieb? Wußtest du nicht, daß es längst keine Margarethen von Navarra mehr gab?
Voltaire war wohl der letzte Schriftsteller, der von einem Einfluß der Literatur auf die Mächtigen dieser Erde geträumt. Schade, daß er nicht selbst die Enttäuschung noch erlebt!
Oder waren die tausend goldenen Worte, die Voltaire an Könige und Fürsten, an Prinzen und Prinzessinnen verschwendete, nur ebensoviele Bestechungen, seine literarische Kontrebande um so ungestrafter unter das Volk zu schmuggeln! Waren sie nur der Zucker um die herben Pillen, die er ihnen zu verschlucken geben wollte?
Gleichviel. Als die Herren der Welt sahen, welch geharnischte Kinder aus dem Schild der Pallas Athene, der Literatur, sprangen, als sie sahen, welch schreckliche Männer die Nachkommen der Racineschen und Corneilleschen Helden waren, da wurde jedes befreundete Verhältnis mit den Dichtern flugs abgebrochen. Das Mißtrauen der Regierungen gegen die Literatur, namentlich gegen die Dichter, schreibt sich von der französischen Revolution her. Man schien die Dichter nur noch einmal gut brauchen zu können, nämlich in unseren Kriegen gegen Frankreich. Offiziell werden sie jetzt bloß bei Geburtstagsfestlichkeiten in Anspruch genommen.
Daß Goethe an einem fürstlichen Hofe gehegt und gepflegt wurde, ist kein Einwurf gegen meine Behauptung. Goethe war noch vor Ausbruch der französischen Revolution nach Weimar gekommen. Und Schiller? Schiller hatte seine erträgliche Lage mehr seinem Freunde Goethe, als seinem Freund August zu verdanken. Zudem – was hatte es mit dieser erträglichen Lage für eine Bewandtnis? Hatte er mehr, als die Besoldung des gewöhnlichsten Finanz- oder Obersteuerrats? Welche Summe hat Lessing aus fürstlichen Beuteln bezogen? Welches freundliche Wort ward ihm von oben herab zuteil?
Je größer das Mißtrauen der Regierungen gegen die Literatur wurde, desto mehr erstarkte die letztere. Die Literatur ist jetzt die zweite Macht im Staate geworden, und die [37] Regierung darf sich mit ihrem Mißtrauen kecklich auf Plato berufen, dessen Ausspruch um so wahrer ist, als er auf ihn selbst die erste Anwendung gefunden hätte. Wenn ich irgendwo einmal sagte: Jeder echte Dichter sei eigentlich Demokrat, so muß ich hier diesen Ausdruck als den Begriff nicht ganz erschöpfend zurücknehmen. André Chenier war gewiß Demokrat, und die Republik hat ihn doch auf das Schafott geschickt. Jeder Dichter steht in Opposition mit dem Staate, auch mit dem besten. – Diese Fassumg des Begriffs wird richtiger lauten:
Jeder Dichter steht in Opposition mit dem Staate? Und das wagt man zu schreiben und gar zu drucken? Warum nicht? Denke ich doch hiebei an keine offenen Angriffe, keine gewaltsamen Mittel, wie sie in politischer Hinsicht das 18. Jahrhundert an die Hand gab! Denke ich doch nur an die friedliche Opposition des Herzens, dem ehernen Geist der Gesetze und Staatsformen gegenüber!
Und daß eine solche wenigstens idealische Ausgleichung politisch oft gerechtfertiger Übelstände auch von Seite der Regierungen für Bedürfnis erkannt wird, dafür bürgt mir manch erlauchtes Herz, das schmerzlich bewegt pochte bei Szenen, über die im Staatsrate die Hand den Stab gebrochen hätte; dafür bürgen mir die Tränen mancher hohen Schönen beim Anblick von Verhältnissen, die sie vielleicht tags darauf selbst mit kaltem Blute einzugehen hatte. Gibt es doch Staatsmänner, welche in ihren Kabinetten die eifrigsten Männer der Bücher sind, die sie kaum öffentlich so streng verpönt haben. Die Aristokratie Östreichs hat ihre innerliche Freude an Anastasius Grün und Nikolaus Lenau, und zuckt doch die Achseln über sie, wenn dieselben in ihre Salons treten,weil sie Dichter sind. Dichten aber ist ein höchst unadeliges Geschäft.
Manche haben es tief beklagt, daß die Regierungen der Literatur so wenig Schutz angedeihen lassen. Mit Unrecht, scheint mir. Nur so wird eigentlich der Dichter hingetrieben, wo er hingehört, zum Volke.
Die neueste Philosophie will alles auf den Staat beziehen und alle Zweige des menschlichen Wissens sollen nur Radien sein, die im Zentrum des Staates zusammenlaufen. Da wird gepredigt, der Staat, der Staat und noch einmal der Staat sei es, in dem sich alles absorbieren müsse, weil Hegel es gesagt hat und Hegel der größte Staatsphilosoph ist. Hegels Philosophie ist ein großes Resultat tausendjährigen Denkens, aber der Abschluß ist sie noch nicht; und es ist gewiß nicht einmal in Hegels eigenem Sinne gedacht, wenn man seine Philosophie als Richtschnur [38] für alle zukünftigen Gestaltungen brauchen will. Gott allein ist das Maß aller Dinge.