Schwarze Visionen

An eine imaginäre Geliebte

1.

Du ruhst im Dunkel trauriger Askesen
In deinem weißen Tuch, ein Eremit,
Und deine Locken, die in Nacht verwesen,
Bedecken tief dein eingesunknes Lid.
Auf deinen Lippen gruben sich die Male
Der toten Küsse schon in Trichtern ein.
Die ersten Würmer tanzen um das fahle
Vom Grubenwasser bleiche Schläfenbein.
Wie Ärzte stechen lang sie die Pinzette
Der Rüssel, die im Fleische Wurzel schlägt.
Du jagst sie nicht von deinem Totenbette,
Du bist verflucht, zu leiden unbewegt.
Des schwarzen Himmels große Grabesglocke
Dreht trüb sich rund um deine Winterzeit.
Und es erstickt der Schneefall, dicke Flocke,
Was unten in den Gräbern weint und schreit.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heym, Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Schwarze Visionen. 1. [Du ruhst im Dunkel trauriger Askesen]. 1. [Du ruhst im Dunkel trauriger Askesen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-637E-A