Toscolano

Ja, das sind die alten Gassen,
Mauerschluchten, schauerkühl,
Wie ich damals dich verlassen,
Mein gesegnet Herbstasyl!
[381]
Über jener dunklen Türe,
Die sich gastlich mir erschloß,
Hängt verwittert noch das früh're
Herbergsschild, das »weiße Roß«.
Kahl und düster war mein Zimmer,
Doch das Bette breit und rein;
Eßbar wohl die Kost nicht immer,
Aber trinkbar stets der Wein.
Und wie herrlich all die Pfade
Bei dem Kirchlein steil hinab,
Wo am blauen Seegestade
Mir der Ölwald Schatten gab!
Steil hinauf zu den Zypressen
Um Gainos Klösterlein,
Wo ich saß und weltvergessen
Träumte weit ins Land hinein.
Wenn die Sonne dann versank, o
Wie beglückt ich heimwärts ging,
Wo mich im cavallo bianco
Mein frugales Mahl empfing!
Bracht' ich doch im Skizzenbuche
Manches Landschäftchen mit heim,
Sehr bescheidne Pfuschversuche
Und dazwischen manchen Reim.
Dann mit meinem Wirt vertraulich
Schwatzt' ich noch im Gärtchen lang,
Wenn die Nachtluft weich und laulich
Überm See die Flügel schwang.
Liebste, und es nimmt dich wunder,
Daß ich gern hier blieb zu Gast,
Da mir all der eitle Plunder
Der Kulturwelt tief verhaßt?
[382]
Ihre Fratze stört mich minder
Hier am Busen der Natur,
Unter Menschen, die wie Kinder
Harmlos gehn auf ihrer Spur.
Etwas Einsamkeit und Stille,
Etwas Schönheit ringsumher,
Traum und Zauber der Idylle –
Was bedarf ein Dichter mehr?
Da ich all dies hier besessen,
Dünkt mich wie ein Zauberschloß
Trotz dem mangelhaften Essen
Toscolanos »Weißes Roß«.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Italien. Frühling am Gardasee. Toscolano. Toscolano. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-64FB-E