8.

Wisset, ich war in Meta; ich trug zur Tante die Bänder,
Die ich gewebt; sie hält dort sie im Laden zu Kauf.
Doch nicht war sie daheim; ich hatt' ein Stündchen zu warten,
Und dies Sträußchen indes pflückt' ich im Garten für Euch.
Denn sie erzieht an Rosen die herrlichsten Sorten das Jahr durch,
Und Ihr, wie ich gesehn, pflegt und betrachtet sie gern.
Und mir sagte Luisa des Vormittags, da ich fortging,
Daß Ihr traurig und blaß säßet, vergraben in Angst,
Weil Euch Briefe gebrächen von Haus. Nun sehet, ich kann nicht
Schreiben; ich schrieb' Euch gern allerlei Briefe zum Scherz.
Freilich, es wär' doch keiner von Margherita; was hülf' es?
Doch Ihr lachtet vielleicht über das alberne Zeug.
Nehmt nun aber die Rosen; sie sind doch immer Gesellschaft.
Fangt sie! Die Mädchen in Rom, denk' ich, sie lehrten es Euch.
Da! – Und die Freundliche warf. Ich fing mit der Rechten den schönen
Üppigen Strauß, und entzückt taucht' ich hinein das Gesicht.
Wie nur dank' ich es dir, Holdselige, daß du so herzlich
Meiner gedenkst, wenn ach! ganz mich die Liebste vergißt! –
Stille davon, und addio für heut! – Du gehst? – In die Kirche
Muß ich. – So spät am Tag, lange nach Ave Marie? –
Ja, noch haben wir Mai, da hält ein Padre des Abends
Immer die Maiandacht, wegen der Mutter des Herrn,
Die im Maien geboren; man weiß nicht sicher, an welchem
Tag. – So feiert Ihr nun jeden, um sicher zu gehn?
Darf ich mit in die Kirche? – Mit mir nicht; aber Ihr könntet
Auch hinkommen, allein, und man begegnete sich.
Horch, da ruft mich die Schwester, Pepina. Wenn ich bei Euch bin,
Immer vergess' ich die Zeit, oh, und sie schelten mich aus.
[329]
Also – Ihr kommt! – So flog sie hinweg. Ich eilig hinunter,
Und mir wiesen sogleich andere Fromme den Weg.
Mädchen zumeist, sittsam in der Hand ein Büchlein, die Köpfchen
Unter den Tüchern versteckt, wie's in der Kirche sich ziemt.
Nicht in die stattliche ging's, Sant Antonino geheiligt,
Sondern ein Kirchlein war's mit in die Häuser gereiht.
Und nun kam Mariuccia daher und die Schwester. Sie sah mich
Gleich und blickte beiseit, aber sie lächelte doch,
Als ich den Strauß an die Lippen erhob. So folgt' ich den Mädchen
Unter das Vordach erst, dann in der Kirche Bereich.
Traulich beschränkt war's drinnen und kühl und duftete Weihrauch,
Und zwei Lichter allein brannten im wolkigen Duft.
Und so setzten wir uns, und zwar Weiblein von den Männlein
Züchtig gesondert; vereint aber begann der Gesang
Samt Litanei. Vorsang mit der zitternden Stimme die alte
Lehrerin, welcher Sorrent Nähen und Stricken verdankt,
Und wir anderen fielen mit ein. Mir wies der betagte
Küster das Buch und schrie heiser und falsch mir ins Ohr.
Dich auch hört' ich heraus mit der hellen und kindischen Stimme,
L'Arrabbiata; ich sah's, wie du am spätesten kamst,
Finster die Stirne verhängt hinschrittest die Reihen der Bänke
Und zu den Kindern gesellt vorne den Platz dir ersahst.
Endlich verstummt der Gesang; zur offenen Sakristeitür
Schreitet ein Priester heraus, welchem der Knabe voran-
Trägt ein wankendes Lämpchen und leuchtet hinauf in die Kanzel,
Daß nur ein Streiflicht fällt über den stattlichen Kopf.
Und er beginnt eindringlich in schwellendem Flusse. Man horcht' ihm
Gern; auch flocht er gewandt schöne Legenden mit ein.
Seht, so sprach er, es heißt Maria Santissima »Mutter
Gottes.« Warum? das weiß, hoff' ich, ein jedes von euch.
Weil sie den Heiland gebar. Allein, ihr Name »Maria« –
Wisset ihr auch, was der heißet? Ihr wisset es nicht.
Merkt, ich will es erklären. Ihr wißt, was mare bedeutet,
Meer. Nun aber, da ist manches verschiedene Meer.
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Erstlich das große da unten, das mittelländische. Eins dann
Bei Ancona, es wird Adrias Busen genannt,
Und noch andere, anders genannt, groß ist ja die Erde.
Doch ein Urmeer gibt's, welches die anderen tränkt,
Flüss' und Seen und Quellen entläßt aus ewigen Füllen,
Welches den Regen ernährt und den erquicklichen Tau.
So wie dieses die Erde belebt und befruchtet und alle
Kreaturen erquickt, also die Mutter des Herrn,
Also Maria, des Heils Urmeer. Welch heilige Namen:
»Mutter des Herrn, Urmeer!« Bitte, Maria, für uns!
Dich anrufen erquickt das Gemüt und löschet der Seele
Durst. Du aber belohnst köstlich ein gläubig Gebet.
Davon wissen genug hochpreisliche Wunder die heil'gen
Bücher, und eines davon will ich erzählen. So hört!
Einst vor Jahren da lebt' ein Mönch, jung, aber begnadet,
Und sein lauteres Herz lag vor der Mutter des Herrn
Tag und Nacht auf Knieen; er sang die fünf benedeiten
Psalmen, und jeden beginnt eine der Lettern, versteht:
M-A-R-I-A; die sang er mit brünstiger Seele.
Solches gefiel gar wohl Unserer himmlischen Frau.
Darum bat sie einmal ihr Söhnlein, ihn zu belohnen;
Und wie ward er belohnt? Ratet! – Ihr ratet es nicht.
Laßt euch sagen: der Herr ließ wachsen am Munde des Frate
Eine Rose! Nun denkt! Eine gewöhnliche nicht;
Eine vom Paradiese! Sie duftete himmlischen Wohlduft.
Und was weiter? Es stand golden auf jeglichem Blatt
Eine der Lettern gemalt, der fünf, die den Psalmen voranstehn,
M-A-R-I-A. Solches geschahe mit Fleiß,
Um zu bekunden, wie hold und teuer ein eifriges Beten
Immer der Jungfrau sei. Also versäumet es nicht!
Also verunreint nimmer den Mund mit häßlichen Worten,
Deren ein Türke sogar, ja und ein Jude sich schämt,
Sondern schmücket den Mund mit dem heiligen Namen »Maria«.
Bitte, Maria, für uns! – Und in der Kirche wie still
War's, kein Atem erging. So stieg er die Kanzel herunter;
Knab' und Lämpchen voran ging's in die Pforte zurück.
Doch wir anderen wallten hinaus, ich wieder die Rosen
Fest an die Lippen gedrückt. Unter der Tür im Gewühl
[331]
Zu Mariuccia fand ich den Weg. Wir gingen in Schweigen
Nebeneinander. Die Hand rührte geheim an die Hand.
Aber die Hand war heiß, und der Strauß an den brennenden Lippen
War so eilig verwelkt, daß ich im Herzen erschrak.
Draußen die Nacht sternhell und die schauernden Lüfte lebendig,
Und es gelüstete mich nieder ans klingende Meer.
Unten verweilt' ich lange. Ich sang in die Wellen ein deutsches
Lied, am Rande des Schaums wandelnd das Ufer entlang,
Und ich sah, wie zu Füßen, im Mondschein blinkend, die Ebbe
Meinen erblassenden Strauß riß in die offene See.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Idyllen von Sorrent. 8. [Wisset, ich war in Meta; ich trug zur Tante die Bänder]. 8. [Wisset, ich war in Meta; ich trug zur Tante die Bänder]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-68B8-2