[173] Nachtgesicht

Ich lag und schlief im Windsgebraus,
Da hab' ich ein Gesicht geschaut.
Viel Gäste kamen zu mir ins Haus,
Mein kleines Hündchen winselte laut.
Ich kannte sie alle ganz genau,
Es ward geschmaust, getanzt, gescherzt.
Ich saß bei meiner lieben Frau
Und sah, wie sie ihr Jüngstes herzt'.
Sie war ein wenig blaß und still,
Doch schön wie je und sanft und gut.
Sie sprach: Was nur das Hündchen will?
Ich sprach: Es bellt aus Übermut.
Mein Vater schenkte vom besten Wein
Und rief: Das Leben, es lebe hoch! –
Meine Mutter lud zum Essen ein:
Kommt, Kinder, wir haben Vorrat noch!
Meine Jugendfreunde traten heran,
Das Glas in der Hand, und tranken mir zu.
Ich leerte das meine und rief: Wohlan,
Auf Brudertreue in Kampf und Ruh'!
Dann faßt' ich meiner Liebsten Hand,
Sie küßte mich sanft und sprach: Gute Nacht!
Ich muß nun fort in ein andres Land;
Nimm unsre kleinen Kinder in acht! –
Da schrie ich auf und sah mich verwaist,
Da krähte der Hahn, und der Morgen graut'.
Mit den Toten hatt' ich zu Nacht gespeist –
Mein kleines Hündchen winselte laut.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Margarete. Nachtgesicht. Nachtgesicht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-68F5-7