[172] Anhang oder Vertrauliche Sitzung

[173] [175]Armin

Uns ist in alten Sagen gar wunderviel gesagt,
Wonach in unsern Tagen das Publicum nicht fragt.
Ich aber will berichten was heute nur geschieht,
Nur schöne neue Geschichten. Und also hebt sich an das Lied.
Es kam vom Himmel nieder der deutsche Held Armin,
Seit grauen Zeiten wieder, er kam, wir sahen ihn;
Er war noch stets derselbe, er ging ganz frank und frei,
Er wollte Deutschland sehen, ob's noch dasselbe Deutschland sei.
Im Teutoburger Walde da ließ er sich herab,
Er dacht' an Alles wieder was einst sich dort begab.
Da fragt ihn ein Gensd'arme: »wo haben Sie Ihren Paß?«
Es erwiedert ihm der Recke: »was kümmert dich denn wunder das
Ich bin ein Officiante, ich thue nur meine Pflicht,
Und thue gar nichts weiter als was die Vorschrift spricht:
Wer ohne Paß hier kommet, wer sich nicht legitimiert,
Der wird von Polizeiwegen sofort hier arretiert.«
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Zum Glücke kam gegangen ein alter Edelmann,
Der hatte sich von ferne schon gehört die Sachen an;
Es war ihm aus der Kindheit Armins Porträt bekannt:
»Für diesen Fremden bürg' ich.« Er nahm ihn gleich auch bei der Hand,
Und führt' ihn durch den Schloßhof in den alten Rittersaal;
Das Gesinde hieß er kommen, es bracht' ihm einen Pokal,
Das war ein echter Römer, den schenkt er ganz voll Wein,
Und bot ihn auf Deutschlands Freiheit dem viellieben Gaste sein.
»Ja, sprach Armin, ich trinke auf Deutschlands Freiheit jetzt,
Ich bin des Fechtens müde, was hat man auch zuletzt?
Doch ewig hass' ich die Römer und ewig bei Tag und Nacht,
Sie haben uns stets das Schlechte, und gewiß auch die Pässe hergebracht.«
Der Edelmann versetzte: »Besänftige dich nur!
Es ist in der Welt von Römern jetzt kaum noch eine Spur;
Du hast sie ja vertilget, kein Mensch spricht mehr Latein,
Du hast ihn ausgelöschet des Römerreiches Glanz und Schein.«
»Es beten zwar die Christen in Latein noch hie und da,
Auch lernen die Juristen draus ihre Principia;
Auch treiben es die Gelehrten und halten noch viel darauf,
Doch, glaub' ich, endlich höret der Bettel mal von selber auf.«
»So etwas darf nicht kümmern, das ist bei uns der Brauch:
Ein Deutscher ist ein Gelehrter, drum lernt er Alles auch.
Du hast in deiner Jugend ja auch gelernt Latein,
Und bist kein Römer gewesen – Trink aus! ich schenke wieder ein.«
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»Doch sei mir gottwillkommen, du hoher Held Armin!
O laß mich dich umfangen, o laß mich vor dir knien!
Du bist noch stets derselbe, mit deinem blonden Haar,
Mit deinem liebevollen, deinem schönen blauen Augenpaar!«
»Vergönne daß ich lese, wie lieb und werth du bist,
Wie jede deiner Thaten uns hoch und heilig ist –«
Es las darauf der Edelmann ihm aus dem Lohenstein;
Bald kam ein süßer Schlummer, Nacht war's, der Held Armin schlief ein.
Und als am hellen Tage Armin erwachet war,
Da kamen alle und brachten ihm ihren Glückwunsch dar;
Es kam die Frau mit den Fräuleins, es kam der Edelmann,
Und alle sahen den Helden mit Blicken minniglichen an.
Und unterdessen eilte die Mähr von Mund zu Mund,
Und durch die Eisenbahnen ward's allen Deutschen kund:
Er ist da, ist wiedergekommen Deutschlands Befreier Armin!
Im Teutoburger Walde, kommt her, kommt her und sehet selber ihn.
Da schickten die Westphalen als Festcomité im Nu
Grobkörnigen und feisten Pumpernickel ihm zu,
Es schickten die alten Sassen ihm echte Cheruskerwurst,
Und andre deutsche Stämme dachten an des Helden guten Durst.
Es sandten ihm die Baiern mit Bock ein Fuderfaß,
Weil das in ihrem Lande noch immer das beste was;
Es sandten darauf die Franken Bocksbeutel wohl verpicht
Und die freien Städte Cigarren aus Havanna, sie hatte Deutscheres nicht.
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Und wie ein Schwarm Heuschrecken kamen von Pyrmont herbei
Die Naturforscher und Aerzte fünfhundert und fünfzigerlei;
Sie hielten die zehnte Spatzierfahrt in solcher Geschäftigkeit,
Daß sie des Essens vergaßen und zum Trinken sich nahmen keine Zeit.
Sie wollten die deutsche Trinksucht erforschen am Helden Armin,
Ob Gott in so frühen Zeiten schon uns dieselbe verliehn,
Sie wollten nach Pariser Zollen ihm messen seinen Schlund
Und dann in Oken's Isis promulgieren den Sachbefund.
Es befand sich einer drunter, der schien ein Agent zu sein
Von dem Jenaer beliebten Mineralogen-Verein;
Der zog ein Diplom aus der Tasche: »dem deutschen Freiheitsstein!«
Da sprach von Lemgo ein Steinmetz: »mit Nichten, das ist doch zu gemein!«
Auch kamen in selber Stunde von München und von Berlin
Zwei berühmte Mitglieder der berühmten Akademien:
Herr Zeüne war der eine, (der fehlt bei keinem Fest!)
Der andere war Herr Maßmann, die sollten forschen aufs Allerbest,
Der eine nur erdkundlich, wie Germania damals war,
Ob blaue Augen hatten die Teutonen und blondes Haar?
Der andere philologisch wie sich selber schrieb' Armin,
Ob deutsch, ob teutsch, was richtig und welches vorzuziehn?
Auch stellte sich Herr Albrich, ein kleines Männlein ein, –
Er war fast außer Athem, – vom Philologenverein,
Der sollt' Arminium fragen, wie man spreche das Latein,
Und ob damals die Schulmeister in Rom nur Sklaven gewesen sei'n?
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Es kamen auf Flügeln des Sanges die Sänger aus Schwabenland,
Weil sonst kein anderer Sänger in Zunft und Ansehn stand;
Sie brachten von der Freiheit gar manchen süßen Bar,
Da von dieser Freiheit zu singen noch keinem bisher verboten war.
Sie brachten auch große Listen zu einem Denkmal herbei,
Genehmigt von allen Fürsten und auch von der Polizei;
Sie luden mit Subscriptionen jeden biderben Deutschen ein,
Es sollte das Armins-Denkmal ein Denkmal aller Deutschen sein.
Es waren von Köln am Rheine elftausend Jungfraun geschickt,
Die brachten ein seidenes Fähnlein, drin mit Gold und Perlen gestickt,
Gar lieblich anzuschauen, ein heiliger Hermann stand,
Weil mit der Heiligen Hülfe Armin befreit das deutsche Land.
Von Düsseldorf und München kam ein Wagen mit Künstlern an,
Ihre Aufwartung zu machen dem größten deutschen Mann;
Sie wollten ihn zeichnen und malen, radieren und modelliern,
In Stein und Marmor hauen, in Erz gießen und lithographiern.
Es saß Armin im Sessel, wusste nicht wohin? woher?
Von allem Sehen und Hören war ihm das Herz so schwer.
Was andre gerne möchten, das fühlte recht der Held;
Den Drang nach Ruhme fühlet nur wer berühmt ist in der Welt.
Armin in heiterem Ernste nahm den Römer in die Hand:
»Hoch lebe die deutsche Freiheit! hoch lebe das Vaterland!«
Und alle, alle riefen: »sie lebe früh und spat!«
Zwar war im Saale zugegen gar mancher geheime Rath.
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Armin in heiterem Ernste nahm den Becher wieder jetzund:
»Hoch alle Majestäten und hoch der deutsche Bund!«
Und alle, alle riefen: »recht lang' in Einigkeit!«
Zwar waren im Saale zugegen Cherusker genug zur Zeit.
Kaum war es ausgesprochen, da kam vom Leinestrom
Ein Zug von Professoren mit einem schönen Diplom.
Georgia Augusta hatte einstimmig sich resolviert
Und Armin den hehren Helden zum Doctor juris utriusque creiert.
Armin in heiterem Ernste nahm in die Hand das Diplom:
»Gut daß ich es noch erfahre – was ich gethan an Rom
Ist also Recht gewesen, ist Recht bis auf diesen Tag!
Gott gebe, daß es den Sieben, wie's mir jetzt geht, ergehen mag!«
Schon war es Nacht geworden, der Wächter blies ins Horn,
Da kam ein Bote geritten mit einem goldenen Sporn
Und einem Pergamentbriefe, – er kam noch zu rechter Zeit, –
Es war darin eine Bulla von Seiner Heiligkeit.
Armin begann zu lesen, er schüttelte das Haupt;
Daß er sein Latein verlernet, das hätt' er nicht geglaubt.
Er ließ von einem Professor sich die Bulla klassisch vertiern
Und dann zu besserm Verständniß im Tacitusstile expliciern.
Seine Heiligkeit begehret, daß sich der Held Armin
Bei seinem großen Einfluß jetzt wolle gern unterziehn,
Ein Friedenswerk zu stiften von wegen gemischter Eh'n,
In Germania könn' und dürf' es so uncanonisch nicht mehr gehn.
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Um dazu anzuspornen, erfolg' hier ein Symbol;
Wer's Wohl der Kirche wolle, erlang' auch so sein Wohl,
Und wen die Kirche begnade, sei begnadet für alle Zeit:
So, meinte der Philologe, so schriebe Seine Heiligkeit.
Ihm war so angst geworden, dem edlen Helden Armin,
Trotz aller Freud' und Wonne wollt' er nach Walhalla ziehn.
Da hielt den großen Deutschen zu unserm hohen Glück
Auf einige Minuten ein frohes Ereigniß noch zurück.
Es kam ein Fürst geritten, der erhob mit eigener Hand
Und sportelfrei den Helden in den deutschen Adelstand.
Das war zu viel – da starb er. Nun heißt es doch fortan:
Das Vaterland hat gerettet ein alter deutscher Edelmann.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich. Gedichte. Unpolitische Lieder. Erster Theil. Anhang oder Vertrauliche Sitzung. Armin. Armin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7309-4