[126] Leben
Die Sonne sinkt den lebenleeren Tagen
Und sinkt der Stadt vergoldend und gewaltig,
So wie sie sank der Zeit, die viel zu sagen
Und viel zu schenken hatte, vielgehaltig.
Und Schatten scheint die goldne Luft zu tragen
Versunkener Tage, blaß und zartgestaltig,
Und alle Stunden, die vorübergleiten,
Verhüllt ein Hauch verklärter Möglichkeiten.
Ein Morgen war in blassen weiten Gärten,
Von kühlem Duft und Einsamkeit durchzogen,
Die Sonne steigt, es finden sich Gefährten,
Aus Lauben tretend, aus lebendigen Bogen,
Und die Gedanken, die sich funkelnd mehrten
Und aus der Einsamkeit die Schönheit sogen,
Ergießen sich in losgebundenen Scharen
Mit offenen Lippen, Efeu in den Haaren.
Und alle Dinge werden uns lebendig:
Im Winde weht der Atem der Mänaden,
Aus dunklen Teichen winkt es silberhändig,
Und die verträumten flüstern, die Dryaden,
In leisen Schauern sehnend und beständig
Von nächtigen geheimnisvollen Gnaden
Mit gelbem warmem Mond und stillem Prangen
Und vieler Schönheit, die vorbeigegangen.
Doch aus dem Garten sind wir schon getreten:
Auf goldenen Fluten harren die Galeeren
Mit Flötenklang und Segeln, weißgeblähten ...
Und weiter Treppen königliche Ehren
Mit Purpurprunk und silbernen Trompeten ...
Und von berühmten griechischen Hetären,
[127]In goldenes Braun und Pfirsichrot gehüllt,
Ist der Balkone Gitterwerk erfüllt.
Es gleitet flink durch dunkelblaue Wogen
Das goldene Schiff der Insel nun entgegen,
Der Flötenschall ist singend vorgeflogen,
Und auf den blumen-überquollnen Wegen
Aus des Theaters schwarzem Marmorbogen
Sieht man den Chor sich feierlich bewegen,
Um Bacchos und die Musen anzurufen,
Die aus dem Rausche die Tragödie schufen.
Im Fackelschein, wo alle Schatten schwanken,
Ist die Tragödie königlich beendet,
Mit schweren reifen purpurnen Gedanken
Sind wir zur Heimfahrt durch die Nacht gewendet.
Und wie die Formen all in Dunkel sanken,
So hat auch alles Irdische geendet,
Und wie der Schlaf im leisen Takt der Wogen –
Willkommen käme jetzt der Tod gezogen.